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Vierzehntes Kapitel.

Indem Arthur sich dem Lieblingsplätzchen des Königs vorsichtig näherte, hatte er Gelegenheit, Seine Majestät, den guten, alten René, eingehend zu betrachten. Er sah einen Greis mit Scheitellocken und einem Barte, die an Fülle und Weiße fast mit denen des Abgeordneten von Schwyz wetteiferten, jedoch mit einer frischen und rötlichen Farbe auf den Wangen und einem überaus lebhaften Auge. Seine Kleidung war für sein Alter überaus auffallend; und sein nicht nur fester, sondern behender und rascher Schritt zeigte, daß jugendliche Kraft diesen betagten Körper noch beseelte. Der alte René trug ein Täfelchen und einen Griffel in der Hand und schien gänzlich seinen Gedanken hingegeben und gleichgiltig dagegen zu sein, ob er von mehreren Leuten auf der unter seinem höher gelegenen Plätzchen hinlaufenden Straße beobachtet würde oder nicht.

Etliche dieser Leute schienen, ihrer Kleidung und ihrem Wesen nach zu urteilen, Troubadours zu sein; denn sie hielten in ihren Händen Geigen, Zithern, kleine tragbare Harfen und andere Kennzeichen ihres Gewerbes. Andere Vorübergehende, die ernsteren Geschäften nacheilten, blickten auf den König hin, wie auf einen Gegenstand, den täglich zu sehen sie gewohnt waren, doch schritten sie nimmer vorüber, ohne ihre Barette abzuziehen und durch geziemenden Gruß Hochachtung und Ehrfurcht für seine Person zu äußern. Wenn er zufällig auf die Gruppe blickte, die seine Bewegungen beobachtete und sogar wagte, ihn mit einem Murmeln des Beifalls zu begrüßen, so geschah es nur, um sie durch ein freundliches und frohgelauntes Kopfnicken auszuzeichnen.

Endlich fiel des Königs Blick auf Arthur, in dem er sofort einen Fremden erkannte. René winkte seinem Edelknaben und flüsterte ihm etwas zu. Der Page kam dann herab, redete unsern Arthur an und teilte ihm mit, daß der König mit ihm zu reden wünschte. Dem jungen Engländer blieb keine andere Wahl, als sich zu nähern, wobei er jedoch in seinem Innern erwog, wie er sich gegen eine so sonderbare Art von Königswürde wohl zu benehmen hätte.

Als er näher kam, redete König René ihn in höflichem, doch würdevollem Tone an, und als er nun dicht vor dem Könige stand, empfand Arthur eine weit größere Ehrfurcht, als er nach allem, was er von dem Charakter des Greises vernommen, jemals vor ihm zu hegen geglaubt hätte.

»Eurem Aeußern nach, schöner Herr,« sagte René, »seid Ihr ein Fremdling in diesem Lande. Mit welchem Namen hat man Euch zu benennen und welchem Geschäfte hat man das Glück zuzuschreiben, Euch an unserm Hofe zu sehen?« – Arthur schwieg einen Augenblick, und der gute, alte Mann, der dies Schweigen der Scheu und Ehrfurcht zuschrieb, fuhr in einem ermutigenden Tone fort: »Bescheidenheit an einem Jünglinge ist jederzeit eine Zier. Sonder Zweifel seid Ihr ein Jünger der edlen, heitern Kunst des Minnesangs und der Musik, hierhergelockt durch den gern gebotenen Willkommengruß, den wir den Bekennern dieser Kunst gern gewähren, in welcher wir – gelobt seien Unsere heilige Mutter und die Heiligen! – uns selbst ein wenig versucht haben!« – »Ich ringe nicht nach der Ehre des Troubadours,« antwortete Arthur, »denn ich besitze weder Geschicklichkeit noch Verwegenheit genug, das nachzuahmen, was ich bewundere. Schlichte Wahrheit, Sire! Ich bin ein Engländer, und meine Hand ist zu starr geworden durch Bogenspannen, Lanzenschwingen und Schwertführen, um die Harfe zu schlagen oder gar den Pinsel führen zu können.« –

»Ein Engländer!« sagte René, und die Wärme seines Empfanges kühlte sich ab. »Und was führt Euch hierher? England und ich, wir haben wenig Freundschaft miteinander gepflogen.« – »Aus diesem Grunde bin ich hier,« entgegnete Arthur; »ich komme Euer Hoheit Tochter, der Prinzessin Margarethe von Anjou, die ich und mancher getreue Engländer nach wie vor als unsere Königin betrachten, obwohl Verräter sich ihre Rechte anmaßten, meine Huldigung darzubringen,« – »Ach, guter Jüngling!« rief René. »Es tut mir leid um Euch, weil ich Eure Treue und Anhänglichkeit hochschätze. Dächte meine Tochter Margarethe wie ich, so würde sie längst auf Ansprüche verzichtet haben, deretwegen die edelsten und tapfersten unserer Vasallen in ein Meer von Blut getaucht wurden. Geht in meinen Palast und fragt nach dem Seneschall Hugo von Saint-Cyr! er wird Euch zu Margarethen führen – das heißt, so sie Verlangen trägt, Euch zu sehen. Wo nicht, guter englischer Jüngling, so weile in meinem Palaste, und Du sollst gastliche Aufnahme finden. Wenn Du Sinn hast, für Schönheit und edle Formen, so wird Dir das Herz im Busen hüpfen beim Anblick meines Palastes, dessen stattliches Aussehen wohl der tadellosen Gestalt irgend einer wohlerzogenen Dame oder der kunstreichen, nur dem Anscheine nach einfachen Melodie gleicht, die wir soeben zu einem Liede gesetzt haben.«

Der König schien nach seinem Instrumente greifen und dem Jüngling das eben verfaßte Lied vorsingen zu wollen; allein Arthur empfand in diesem Augenblick jene Art sonderbarer Scham, die feinfühlende Seelen ergreift, wenn jemand, der sich etwas auf irgend eine Kunst einbildet, mit einem Vertrauen, als könnte er Bewunderung erregen, sich hervortun will und dabei doch nur lächerlich wirken muß. Er nahm daher rasch Abschied von dem Könige von Neapel, beiden Sizilien und Jerusalem, und zwar auf eine Weise, die sehr wenig der herkömmlichen Etiquette entsprach. Der König blickte ihm etwas verwundert nach; schien aber sein Benehmen mangelhafter Erziehung zuzuschreiben und begann dann wieder auf seiner Geige zu fiedeln.

»Der alte Tor!« sagte Arthur, »seine Tochter ist entthront, seine Staaten zerstückelt, sein Königshaus ist im Erlöschen, sein Enkel wird von einem Schlupfwinkel zum andern verscheucht und aus dem Erbe seiner Mutter vertrieben – dennoch findet dieser Greis Belustigung in dergleichen Albernheiten! Mit seinem langen weißen Barte hielt ich ihn für ebenso ehrwürdig, wie Nikolaus Bonstetten; allein dieser alte Schweizer ist, mit diesem Männlein verglichen, ein wahrer Salomo.«

Unter solchen Betrachtungen erreichte Arthur den Springbrunnen und fand hier Thibault, der ihm versicherte, Gepäck, Pferde und Mannschaft wären so untergebracht worden, daß man ihrer auf den ersten Blick habhaft werden könnte. Dann führte er unsern Arthur nach des Königs Palast, der wegen der Eigenart und Schönheit seines Baues die Lobrede wohl verdiente, die der König ihm gehalten hatte.

Arthur wunderte sich vor allem darüber, daß das Tor des Palastes offen stand und Leute aus allen Ständen ungehindert aus- und einzugehen schienen. Nachdem der Jüngling sich einige Minuten lang umgesehen hatte, stieg er die Stufen hinan und fragte bei dem Türsteher nach dem ihm vom König genannten Seneschall. Der wohlbeleibte Hüter übergab den Fremden einem Edelknecht, der ihn in ein Gemach führte, wo er einen Diener höheren Ranges fand, einen Mann mit freundlichem Gesicht, ruhigem, hellem Auge und einer Stirn, die sich wohl nie zum Ernst runzelte.

»Ihr sprecht Nordfranzösisch, schöner Herr,« sagte er zu Arthur, »habt lichteres Haar und weißere Gesichtsfarbe als die Eingeborenen dieses Landes. – Ihr fragt nach der Königin Margarethe. – An allen diesen Zeichen erkenne ich in Euch den Engländer. Ihre Gnaden von England ist in diesem Augenblick beschäftigt, im Kloster zu Mont Saint-Victoire ein Gelübde abzulegen, und so Euer Name Arthur Philippson ist, so habe ich Auftrag, Euch sofort zu der Königin zu führen. Nur sollt Ihr zuvörderst Speise und Trank zu Euch nehmen.« Als dies geschehen, begleitete ihn der Seneschall bis an das Tor, und dort zeigte sich Thibault, nicht mit den ermüdeten Rossen, von denen sie vor einer Stunde abgestiegen waren, sondern mit frischen Kleppern aus dem Stalle des Königs. »Sie sind die Eurigen von dem Augenblicke an, wo Ihr den Fuß in den Steigbügel setzt,« sprach der Seneschall; »der gute König René nimmt niemals ein Pferd zurück, das einem Gaste geliehen wurde; und das ist vielleicht eine von den Ursachen, warum Seine königliche Hoheit und wir, seine Hausdiener, oftmals zu Fuße gehen müssen.«

Hier verabschiedete sich Arthur von dem Seneschall und ritt fürbaß, um Königin Margarethe in dem berühmten Kloster Saint-Victoire aufzusuchen. Er fragte seinen Führer, in welcher Richtung dasselbe gelegen wäre, und dieser zeigte mit einer Art von Triumph auf einen etwa dreitausend Fuß hohen Berg, der sich in einer Entfernung von ein paar Stunden Weges von der Stadt erhob und mit seinem kühnen Felsgipfel das Wahrzeichen der Landschaft bildete.

Thibault ritt dicht an seines Gebieters Seite und fragte ihn mit gedämpfter Stimme, ob er schon wüßte oder zu wissen begehrte, aus welcher Ursache Margarethe die Stadt Aix verlassen und sich in das Kloster von Saint-Victoire begeben hätte. – »Um ein Gelübde zu erfüllen,« sagte Arthur. – »Ich weiß es besser,« antwortete Thibault. »Um die Schwermut zu verscheuchen, in die seine Tochter versunken war und wodurch alles, was sich ihr näherte, gleichsam vergiftet wurde, traf König René, als sie auf einige Tage verreist war – man weiß nicht, weshalb oder wohin – umfassende Vorkehrungen zu einem lustigen Mummenschanz, in deren Veranstaltung er Meister ist. Als seine Tochter nun zurückkehrte und vor dem Palaste erschien, sah sie sich plötzlich von hundert Masken, Türken, Juden, Sarazenen und Mauren umringt, die ihr ihre Huldigung darbrachten und sie als die Königin von Saba begrüßten. Ein großes Musikstück rief die Masken auf, sich zu einem prächtigen Ballett zu vereinigen, indem sie die Königin auf höchst unterhaltende Weise und mit den seltsamsten Gebärden umtanzten. Frau Margarethe, bestürzt über den Lärm und verdrossen über diesen unerwarteten Ueberfall, wollte in den Palast gehen; allein auf Befehl des Königs waren die Pforten verschlossen. Die Königin wollte nun durch ein Zeichen und Worte den Tumult beschwichtigen; allein die Masken, die sich genau nach dem ihnen vorgeschriebenen Programm richteten, antworteten nur durch Gesang, Musik und Jubelgeschrei.« – »Ich wollte,« sprach Arthur, »es wären ein Schock englischer Jagddiener mit ihren Knütteln dagewesen, um den schreienden Schuften Ehrfurcht vor einer Dame einzubläuen, die die Krone von England trug.« – »Alles Getöse hörte sofort auf,« fuhr Thibault fort, »und sanfte Musik erklang, als der gute König selbst, in der Gestalt des Königs Salomo, erschien.«– »Mit welchem er unter allen Fürsten die wenigste Ähnlichkeit hat,« fiel Arthur ein. – »Er machte nun zur Bewillkommnung der Königin von Saba solche Sprünge und Gebärden, daß, wie Augenzeugen mir versicherten, selbst ein toter Mensch lebendig oder ein lebender Mensch des Todes vor Lachen geworden wäre. Je mehr er gaukelte und scherzte, desto aufgebrachter wurde die Königin, bis ihr Verdruß sich zu einer Art von Wahnsinn steigerte. Sie schlug ihm den Stab aus der Hand, brach sich durch die Volksmenge wie eine Tigerin Bahn, und eilte zum Vorhof des Palastes. Bevor die szenische Darstellung, die durch die Heftigkeit der Königin zerrissen worden war, wieder in Ordnung gebracht werden konnte, hatte sich die Fürstin bereits in Begleitung mehrerer Engländer aus ihrem Gefolge von hinnen begeben. Ohne auf ihre oder anderer Sicherheit weiter Rücksicht zu nehmen, jagte sie mit ihrem Rosse davon, flog wie ein Hagelwetter durch die Gassen und zog die Zügel nicht eher an, als bis sie zur Hälfte den Berg Saint-Victoire hinaufgeritten war. Sie wurde hierauf im Kloster aufgenommen und ist dort geblieben. Ein Gelübde muß jetzt als Deckmantel des Zwistes zwischen ihr und ihrem Vater dienen.«

»Wie lange ist das her?« fragte Arthur. – »Es sind erst drei Tage verflossen, seit die Königin Margarethe die Stadt Aix verließ. Doch seht! dort erhebt sich das Kloster zwischen zwei ungeheuren Felsen, die den Gipfel des Berges Saint-Victoire bilden. Es ist dort weiter kein ebener Raum als der Spalt, in den das Kloster der heiligen Maria zum Siege eingebettet liegt, und der Zugang dazu wird durch höchst gefährliche Abgründe gesichert. Hier müßt Ihr vom Pferde steigen und den schmalen Fußpfad einschlagen, der sich endlich zu der Spitze des Felsens und zur Pforte des Klosters emporschlängelt.« – »Und was wird aus Euch und den Pferden?« fragte Arthur. – »Wir wollen in dem Hospiz bleiben,« sagte Thibault, »das die frommen Väter am Fuße des Berges zur Bequemlichkeit der Pilger unterhalten – denn ich sage Euch, von gar manchem Fernwohnenden wird zu Roß wie zu Fuß das Kloster besucht. Sorgt nicht für mich – ich komme schon zuerst von uns unter Dach!«

Arthur stieg den steilen Pfad hinan, der zum Kloster führte; indem er bald senkrechte Felsstücke erklomm, bald deren Spitzen auf Umwegen erreichte. Der Weg wand sich durch Dickicht von Buchsbaum und anderem duftenden Gesträuch, das den Bergziegen einiges Futter gewährte, jedoch dem Reisenden, der sich hindurcharbeiten mußte, ein ärgerliches Hindernis war. Die Krone dieses Berges bestand aus einem nackten Felsen und war durch einen Spalt oder eine Oeffnung in zwei Gipfel oder Spitzen geteilt, zwischen denen aller Raum von dem daselbst errichteten Klostergebäude eingenommen ward. Die Vorderseite dieses Gebäudes war von uralter, gotischer Bauart und entsprach dem wilden Ansehen der nackten Klippe, deren Form einen Teil des Klosters auszumachen schien.

Auf ein Glockenläuten erschien ein Laienbruder, der Pförtner dieses seltsam gelegenen Klosters. Arthur gab sich für einen englischen Kaufmann namens Philippson aus, der gekommen sei, der Königin Margarethe seine Huldigung darzubringen. Mit vieler Hochachtung wies der Pförtner den Fremden in das Kloster und dann in das Sprechzimmer, das, nach Aix hinüberblickend, eine weite, herrliche Aussicht auf die südlichen und westlichen Teile der Provence darbot. Arthur betrachtete entzückt die ferne Landschaft, die, von der Abendsonne beleuchtet, in verglimmendem Schimmer dalag. Die sinkenden Strahlen zeigten im dunkelroten Glanze eine weitgedehnte Mannigfaltigkeit von Hügeln, Höhen und Tälern, Feldern und Ackerland, mit Städten, Kirchen und Burgen, von denen etliche sich zwischen Bäumen erhoben, andere auf felsigen Höhen erbaut zu sein schienen, wieder andere an dem Ufer eines Sees oder Stroms hervorlugten. Plötzlich aber wurde das schöne Bild verhüllt durch den dunklen Schatten heranziehender Wolken, die sich allmählich über einen großen Teil des Horizonts hinlagerten und die Sonne zu verfinstern drohten, und heulend strich der Wind durch die Klüfte des Berges.

Während Arthur das wunderbare Naturschauspiel betrachtete, vergaß er über dem erhebenden Anblick fast das wichtige Geschäft, das ihn hierher geführt hatte, als er plötzlich Margarethe von Anjou neben sich erblickte. Die Königin trug ein schwarzes Gewand, ohne allen Schmuck, einen goldenen, etwa einen Zoll breiten Reifen ausgenommen, der ihre langen schwarzen Haarflechten zusammenhielt, die durch das ihr nahende Alter und durch schwere Kümmernisse zum Teil ihren Glanz verloren hatten. Aus dem Reifen hervor hub sich eine schwarze Feder mit einer roten Rose, der letzten des Jahres, die der fromme Gärtner des Klosters ihr an diesem Morgen als Sinnbild ihres Hauses verehrt hatte. Sorge, Bekümmernis und Ermattung schienen auf ihrer Stirn und in ihren Gesichtszügen zu lagern. Jedem andern Boten hätte sie wahrscheinlich Vorwürfe gemacht, nicht rascher seiner Pflicht nachgekommen zu sein; allein Arthurs Alter und Gestalt erinnerten sie stets an ihren geliebten, verlorenen Sohn, und außerdem war Arthur der Sohn einer Dame, die von Margarethen mit fast schwesterlicher Innigkeit geliebt worden war. Daher erweckte Arthurs Erscheinen jedesmal in der entthronten Königin mütterliche Zärtlichkeit. Sie hieß ihn aufstehen, als er zu ihren Füßen kniete, sprach mit vieler Huld zu ihm und ermunterte ihn, ihr ganz ausführlich seines Vaters Botschaft auszurichten, auch ihr sonstige Nachrichten von seinem Aufenthalt in Dijon zu melden.

Dann fragte sie plötzlich, welches Weges der Herzog Karl von Burgund mit seinem Heere zöge. – »Soviel ich von dem Hauptmann seines Geschützes gehört habe,« antwortete Arthur, »zieht er nach Welsch-Neuenburg, wo er den ersten Angriff gegen die Schweizer zu machen gedenkt.« – »Der eigensinnige Tor!« sagte die Königin Margarethe. »Er gleicht einem armen Mondsüchtigen, der die Höhe eines Berges erklettert, um, wie er meint, dem Regen auf halben Wege entgegenzugehen. Rät Dein Vater mir denn,« fuhr Margarethe fort, »um etlicher tausend Krontaler und der kümmerlichen Mitwirkung weniger hundert Lanzen willen unserm stolzen und eigensinnigen Vetter von Burgund, der auf alles, was unser ist, Anspruch macht und dafür so wenig Hilfe verspricht, alles das hinzugeben, was von unserm väterlichen Erbe unser ist?«

»Ich würde meines Vaters Auftrag schlecht ausrichten,« sagte Arthur, »wenn ich Eure Hoheit in dem Wahne ließe, daß er ein so großes Opfer anriete. Er fühlt tief des Herzogs von Burgund gieriges Verlangen nach Länderbesitz. Dessenungeachtet meint er, die Provence müsse nach dem Tode des Königs René oder früher entweder dem Herzog Karl oder dem König von Frankreich zufallen, was für Widerstand auch Eure Hoheit gegen solche Verfügung aufbieten möge, und es mag wohl sein, daß mein Vater, als Ritter und Kriegsverständiger, sich von einem abermaligen Versuch auf Britannien viel verspricht. Allein die Entscheidung muß Eurer Hoheit überlassen werden.« – »Junger Mann,« sagte die Königin, »die Erwägung einer so schweren Frage beraubt mich fast des Verstandes. Margarethe, deren Entschließungen einst fest und unbeweglich wie der Fels waren, auf dem dieses Kloster steht, ist jetzt so unschlüssig und wankelmütig wie die Wolken, die um uns her jagen. In der Freude, mit einem so treuen Vasallen zusammenzutreffen, sagte ich zu Deinem Vater, daß ich alle Opfer bringen wollte, um den Beistand Karls von Burgund zu einer so ritterlichen Unternehmung zu gewinnen, wie der treue Oxford sie mir vorschlug. Doch seitdem habe ich Ursache gehabt, mir das alles reiflich zu überlegen. Ich kehrte zu meinem betagten Vater nur zurück, um ihn zu beleidigen, ja, mit Scham bekenne ich es, um dem Greise vor seinem Volke Schmach anzutun. Seine Gemütsart ist so von der meinigen verschieden wie der Sonnenschein, der vor kurzer Frist eine heitere, schöne Landschaft vergoldete, von dem Sturme, der jetzt wütet. Mit unverhülltem Hohn und offenbarer Geringschätzung, überdrüssig der eitlen Torheiten, die er zur Tröstung einer entthronten Königin, einer verwitweten Gattin und ach! einer kinderlosen Mutter vorbrachte, zog ich mich vor der geräuschvollen und müßigen Lust, die meinen Gram nur noch verschärfte, hierher zurück. Seitdem ich nun hier bin und Stille und Einsamkeit mir Zeit zum Nachdenken gewähren, habe ich an die Kränkungen gedacht, die ich dem alten Manne zufügte, und an das Unrecht, das ihm zu tun ich im Begriffe stand. Mein Vater – um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, – ist auch der Vater seines Volkes. Dieses Volk hat in seinen Weingärten und unter seinen Feigenbäumen in unendlicher Bequemlichkeit vielleicht, jedoch auch frei von Unterdrückung und Erpressung gelebt, und dieses Volkes Glück ist auch das Glück seines guten Königs. Muß ich all dies umgestalten? – Muß ich dazu verhelfen, dieses zufriedene Volk einem verwegenen, eigenwilligen, herrschsüchtigen Fürsten zu überliefern? – Würde ich nicht sogar das fröhliche und sorgenlose Herz meines armen alten Vaters brechen, wenn es mir glückte, ihn zu solchem Verzicht zu bestimmen? Dies sind Fragen, die ich mir nur mit Schauder vorlege. Andererseits aber handelt sich's dann darum, die kühnen Pläne Eures Vaters zunichte zu machen, die einzige Gelegenheit zu verscherzen, die sich jemals wieder darbieten mag, Rache zu nehmen an den Verrätern und das Haus Lancaster wiederherzustellen! –Ach, Arthur! die Natur um uns her ist nicht so bewegt durch den schauerlichen Sturm, wie meine Seele es ist durch Zweifel und Ungewißheit!«

»Leider,« sprach Arthur, »bin ich zu jung und zu unerfahren, um in so bedenklichem Falle der Ratgeber Eurer Majestät zu sein. Ich wollte, mein Vater wäre hier.« – »Ich weiß, was er sagen würde,« versetzte die Königin, »und da ich es weiß, verzweifle ich an der Hilfe menschlicher Ratgeber. Meines armen Vaters Lage macht es mir unmöglich, einen festen Entschluß zu fassen. Handelte es sich bloß um dieses pfeifende, winzige Volk von Troubadouren, so wollte ich es allein für das Glück, meinen Fuß noch einmal auf Englands Erde zu setzen, ebenso bereitwillig und leicht von mir schütteln, wie ich dem Sturme dieses verschollene Sinnbild meines verlorenen Königtums überantworte!«

– Indem Margarethe dies sagte, riß sie aus ihrem Haar die dunkle Feder mit der roten Rose, die durch den Sturmwind von dem Goldreif gelöst worden waren, und ließ sie mit einer wilden Gebärde über den Altan hinabwehen. Beide wurden augenblicklich von einer Windsbraut hinweggeführt, so daß die Feder weithin im leeren Raume, wohin das Auge ihr nicht folgen konnte, verschwand. Doch während Arthur unwillkürlich sich bemühte, ihren Flug zu verfolgen, warf ein entgegengesetzter Windstoß die rote Rose zurück, so daß sie auf seine Brust fiel, wo er sie auffing.

»Freude, Glück und Freude, meine königliche Herrin!« rief er, indem er Margarethen die Blume zurückgab! »der Sturm bringt das Wappenzeichen des Hauses Lancaster der rechtmäßigen Eigentümerin zurück!« – »Ich nehme die Deutung an,« sprach Margarethe, »doch sie ist Euch geworden, edler Jüngling, und nicht mir. Die Feder, die dem Verderben und der Vernichtung entgegengeführt wurde, ist ein Bild Margarethens. Meine Augen werden nimmer die Wiederaufrichtung des Hauses Lancaster erblicken! Ihr aber werdet es erleben, werdet selber dabei tätig sein. Doch meine Gedanken sind so seltsam schwankend, daß eine Rose oder Feder ihr Gleichgewicht aufzuheben imstande ist. O! mein Kopf ist schwindlig, mein Herz ist krank.– Morgen sollt Ihr eine andere Margarethe sehen, und bis dahin – Lebewohl!«

Es war Zeit, sich zurückzuziehen, denn das Unwetter begann heftigere Regengüsse herabzuschütten. Die Königin rief durch ein Händeklatschen zwei ihrer Dienerinnen. »Laßt den Pater Abt wissen,« sagte sie, »daß dieser junge Mann für diese Nacht so beherbergt werden soll, wie es sich für einen unserer geschätztesten Freunde geziemt. – Bis morgen, Sir, Lebewohl!« – Mit einem Angesicht, das nichts mehr von der Erregung der letzten Augenblicke verriet, und mit einer Majestät, die ihr in den Gemächern des Schlosses zu Windsor wohlgestanden hätte, reichte sie dem Jünglinge die Hand, die er ehrfurchtsvoll küßte.


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