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Viertes Kapitel.

So anstrengend und aufreibend der Tag für den älteren Philippson auch gewesen war, so vermochte er nun doch nicht die ersehnte Ruhe zu finden. Er war zu aufgeregt, die Adern pulsierten ihm viel zu fieberisch, seine Besorgnis um den Sohn, seine Befürchtungen über den Ausgang seiner Sendung an den Herzog von Burgund, und tausend andere Gedanken, die ihn an frühere Erlebnisse erinnerten oder ihm künftige Erlebnisse vorspiegelten, fuhren ihm durch die Seele gleich Wogen eines aufgeregten Meeres und verscheuchten jede Hingebung zur Ruhe. Schon eine Stunde lang hatte er schlaflos im Bette gelegen, da fühlte er plötzlich, daß das Feldbett, auf dem er lag, unter ihm sank und mit ihm hinabglitt, ohne daß er wissen konnte, wohin. Das Knarren von Wirbeln und Stricken ließ sich, wenn auch undeutlich, vernehmen, als wenn man sich Mühe gäbe, sie so geräuschlos wie möglich arbeiten zu lassen, und der Reisende erkannte bald, daß das Bett, das ihn trug, auf einer Falltür gestanden haben müßte, mit welcher es in die unteren Gewölbe oder Gemächer hinabgelassen werden konnte.

Furcht ergriff ihn; denn wie konnte er einen glücklichen Ausgang von einem Abenteuer hoffen, das so seltsam begonnen hatte? Jedoch seine Besorgnisse waren die eines tapferen, entschlossenen Mannes, der selbst in der dringendsten Gefahr die Geistesgegenwart nicht verlor. Obgleich an Jahren vorgeschritten, war er doch ein Mann von großer Körperstärke und Behendigkeit, und zu furchtbarer Gegenwehr entschlossen. Doch sollte ihm jeder Widerstand vereitelt werden; denn kaum erreichte er den Boden des Gewölbes, in das er hinabgelassen worden war, so legten von beiden Seiten zwei Männer, die sein Hinabsinken abgewartet zu haben schienen, Hand an ihn und warfen ihm einen Strick über die Arme. So war er gezwungen, sich widerstandslos dreinzugeben, und den Ausgang dieses fürchterlichen Abenteuers abzuwarten. Gebunden oder geschnürt, wie er war, konnte er nur den Kopf von einer Seite zur andern wenden; und mit Freuden erblickte er endlich schimmernde Lichter, die jedoch in weiter Ferne von ihm sichtbar wurden.

Nach der Unregelmäßigkeit zu schließen, in der die einzelnen Lichter sich näherten, indem sie manchmal in gerader Linie sich bewegten, manchmal sich untereinander mischten oder durchkreuzten, mußte das Gewölbe, worin sie erschienen, von bedeutendem Umfange sein. Auch wuchs ihre Zahl immer mehr, und als mehrere an einem Punkt beisammen waren, konnte Philippson erkennen, daß der Lichtschein von vielen Fackeln ausging, die von Männern in schwarzen Mänteln getragen wurden. Sie schritten einher, gleich den Trägern einer Leiche, und hatten die Kappen über den Kopf gezogen, um ihr Gesicht zu verbergen. Sie schienen emsig beschäftigt zu sein, einen Teil der düsteren Kluft auszumessen, und dabei sangen sie in altdeutscher Sprache folgende Reime, die viel zu dumpf und fremdartig klangen, als daß Philippson sie hätte verstehen können.

»Bringt, den Platz hier anzuweisen,
Richtscheit, Schnur und Winkeleisen,
Grube grabt und Altar setzt,
Beide dann mit Blut benetzt,
Sechs Schuh lang von Eck zu Ecken,
Muß die Schreckensbank sich strecken,
Sechs Schuh querbreit zwischen Richter
Und verklagte Bösewichter –
Das Gericht im Ost sich hebt,
Wenn im West der Schuld'ge bebt.
All und Einer saget an.
Ob der Form genug getan?«

Ein dumpfer Chor schien auf die Frage zu antworten. Nach den vielen Stimmen zu urteilen, war eine große Zahl bereits im unterirdischen Gewölbe, viele aber auch noch draußen in den mancherlei Zugängen, die mit demselben in Verbindung standen. Der Gesang der Antwort erklang folgendermaßen:

»Bei Leib und Seele, bei Blut und Gebeinen,
Einer für alle und alle für einen,
Wird unser Tun wohl als recht erscheinen?
Noch ist es Nacht.
Im breiten Rhein
Spiegelt sich der Sterne Schein,
Kein Morgenlicht glänzt weit und breit.
Nur eine Stimm' ist hörbar auf der Flut,
Der finstre dumpfe Ruf nach Blut für Blut,
Ihm zu gehorchen, ist's nun an der Zeit!«

Der Chor erwiderte darauf in zahlreich vermehrten Stimmen:

»Auf denn! Ging der Tag zur Rüst,
Ist es Zeit für uns, zu wachen.
Auf! daß zum Gericht wir taugen;
Rache hat nicht Schläfers Augen –
Rach' und Nacht Gemeinschaft machen!«

Der Inhalt dieser Strophen brachte unsern Philippson bald zu der Erkenntnis, daß er sich in der Nähe der Femrichter befände, der berühmten Richter des heimlichen Gerichts, das zu jener Zeit in Schwaben, Franken und andern Gegenden des östlichen Deutschlands bestand. Philippson hatte gehört, daß insgeheim sogar auf dem linken Rheinufer ein Oberrichter dieses furchtbaren Tribunals seinen Sitz hatte, dessen Macht sich selbst über das Elsaß ausbreitete, obgleich Herzog Karl von Burgund, sie zu brechen, bemüht gewesen war. Aber die Dolche dieser geheimen Verbindung arbeiteten so furchtbar, daß es selbst für ein gekröntes Haupt gefährlich war, einen Vernichtungszug gegen die Feme zu versuchen.

Diese Erwägungen klärten Philippson auch gleich über Stand und Rang des schwarzen Priesters von St. Paul auf, und er vermutete in diesem einen Präsidenten oder Oberrichter des heimlichen Gerichtes. Nun konnte er sich nicht mehr darüber wundern, daß dieser Mann es voller Zuversicht auf sich genommen hatte, die Hinrichtung des Hagenbachers zu rechtfertigen, daß sein Erscheinen jenen Bartholomäus, den er auf der Stelle hätte verurteilen und töten lassen können, in Schrecken versetzte und daß seine Anwesenheit an der Abendtafel zum »Goldenen Vließe« alle Gäste erblassen machte; denn obwohl alles, was das heimliche Gericht, dessen Tun und Treiben und dessen Richter und Beisitzer betraf, durchaus geheim gehalten wurde, so wußte man doch auch von dem und jenem, daß er einer der Richter wäre und gar hohe Gewalt bei dem Bundestribunal besäße. Solche Männer waren sehr gefürchtet, und niemand wagte, ihnen Achtung und Gehorsam zu verweigern.

Alles dies ging dem Engländer durch den Kopf. Er fühlte, daß er in die Hände eines schonungslosen Gerichtes gefallen war, und daß es für einen freundlosen Fremdling, wie unschuldig er sich auch fühlen mochte, bloßer Zufall sein mußte, wenn ihm vor diesem Tribunal Gerechtigkeit zuteil würde. Zu gleicher Zeit beschloß er aber auch, seiner Sache nichts zu vergeben, sondern sich auf das beste zu verteidigen.

So lag er da, während die Männer, die er im Lichtschimmer vor sich sah, wie Phantome eines Fieberkranken erschienen. Endlich versammelten sie sich im Mittelpunkte des Gewölbes und stellten sich in Reih und Glied. Eine Menge schwarzer Fackeln wurde nach und nach angezündet, bis der Ort völlig erleuchtet war. In der Mitte konnte Philippson jetzt einen der Altäre wahrnehmen, die sich bisweilen in alten, unterirdischen Kapellen befinden.

Hinter dem Altar, der den Mittelpunkt zu bezeichnen schien, auf welchen aller Blicke gerichtet waren, befanden sich, gleichlaufend hingestellt, schwarzbehangene Bänke. Jede derselben war mit einer Anzahl Personen besetzt, welche Richter zu sein schienen. Allein die, welche auf der vordersten Bank saßen, waren minder zahlreich und schienen höheren Ranges als diejenigen, die die übrigen Sitze innehatten. Erstere schienen durchweg Männer von Bedeutung, hohe Geistliche, Ritter und Adelige zu sein, und obschon unter allen Anwesenden eine gewisse Gleichheit zu herrschen schien, so wurde doch auf die Meinung und das Zeugnis der ersteren ein größeres Gewicht gelegt. Sie hießen Freiritter oder Freigrafen, während die Richter der geringeren Klasse den Namen Beisitzer führten.

Außer denen, die die Bänke besetzt hielten, standen andere umher, schienen die verschiedenen Eingänge zur Gerichtssitzung zu bewachen oder verhielten sich hinter den Sitzen ihrer Oberen, bereit, die Befehle der letzteren auszuführen. Auch diese waren Mitglieder des Ordens, jedoch von niedrigerem Range. Gewöhnlich wurden sie Frei- oder Femschöffen, also Diener des heimlichen Gerichtes, genannt, dem sie geschworen hatten, Gutes wie Böses zu berichten, auch wenn es ihre nächsten geliebtesten Verwandten betraf. Die Missetat selbst einer Mutter vor dem Tribunal zu verheimlichen, wäre ebenso strafbar gewesen, als hätte der betreffende Schöffe oder Beisitzer das Femverbrechen selber begangen.

Als die Richter versammelt waren, wurde ein Strick und ein bloßes Schwert, die wohlbekannten Sinnbilder der heiligen Feme, auf dem Altar niedergelegt, wobei das Schwert, gewöhnlich mit einem Griff in Form eines Kreuzes versehen, als das geheiligte Emblem der christlichen Erlösung, der Strang aber als Zeichen des Rechtes, des Urteils auf Leben und Tod, anzusehen war. Dann erhob sich der Vorsitzer oder Freigraf, der den mittelsten Platz auf der ersten Bank einnahm, legte seine Hand auf die Symbole und sprach laut die Eidesformel der Richter aus, die von allen Beisitzern und Schöffen mit dumpfer und tiefer Stimme nachgesagt wurde.

»Ich gelobe und schwöre bei der heiligen Dreifaltigkeit, sonder Erlaß den Dingen fördersam zu sein, die die heilige Feme betreffen, deren Grundsätze und Wahrsprüche gegen Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Weib und Kinder durchzuführen, auch gegen Feuer, Wasser, Luft und Erde, gegen alles, was die Sonne bescheint, gegen alles, was der Tau benetzt, gegen alle erschaffenen Dinge im Himmel und auf Erden oder in den Wassern und unter der Erde; und ich schwöre, dem heiligen himmlischen Gerichte alles kundzutun, was ich für wahr halte oder durch glaubwürdiges Zeugnis als wahr angeben höre und was nach den Satzungen der heiligen Feme Tadel oder Strafe verdient; schwöre, daß ich nichts bemänteln oder verhehlen will, wovon mir Kunde wird, weder um der Liebe, noch um der Freundschaft willen, noch um Goldes, Silbers und aller Edelsteine willen; auch will ich nicht Bündnis schließen mit den Verfemten, das heißt, ich will keinem Schuldigen einen Wink geben von der ihm drohenden Gefahr, will ihm nicht Rat erteilen zur Flucht, ihm weder mit Hilfe noch mit Hilfsmitteln dazu an die Hand gehen; will solchen Schuldigen weder Feuer noch Bekleidung, weder Nahrung noch Obdach reichen, ja, sollte auch mein Vater von mir einen Becher Wassers bei der Glut eines Sommertages erbitten oder mein Bruder in der bitterkältesten Winternacht an meinem Herde zu sitzen begehren. Und endlich gelobe und schwöre ich, den Bund der heiligen Feme zu ehren und dessen Geheiß vorzugsweise vor jedem Spruch eines andern Gerichtes rasch, getreu und standhaft auszuführen. – So wahr mir Gott helfe und seine heiligen Evangelisten!«

Nachdem dieser Amtseid geleistet worden war, redete der Oberrichter oder Freigraf die Versammelten als Männer an, die gleich der Gottheit im verborgenen richten und strafen, und forderte sie auf, ihm zu sagen, warum dieser Sohn des Stranges[R1] gebunden und hilflos vor ihnen läge? Einer der Richter erhob sich auf einer der entferntesten Bänke und erklärte in einer Stimme, die, obschon sie verstellt wurde, Philippson doch zu erkennen glaubte, er erscheine vor dem heiligen Gerichte, dem er durch seinen Eid verpflichtet wäre, als Kläger gegen den vor ihnen liegenden Gefangenen oder Sohn des Stranges.

»Bringt den Gefangenen heran!« sagte der Freigraf. Sechs der Schöffen trugen sofort das Feldbett, auf dem Philippson lag, vor den Altar. Als dies geschehen war, entblößte jeder von ihnen seinen Dolch, während zwei ihn von seinen Banden lösten und ihn leise warnten, daß er beim geringsten Versuch, Widerstand zu leisten oder zu fliehen, niedergestochen würde,

»Erhebe Dich,« sagte der Freigraf, »höre auf die Klage, die gegen Dich vorgebracht werden wird, und glaube, daß Du in uns eben so gerechte wie unbeugsame Richter finden wirst.«

[F1 Sohn – oder Kind des Stranges hieß der vor der Feme Angeklagte.] Philippson, der noch Unterwams und Beinkleider anhatte, richtete sich auf dem Lager zu sitzender Stellung auf, so daß er den vermummten Oberrichter des entsetzlichen Tribunals ins Auge fassen konnte. Selbst unter diesen fürchterlichen Umständen blieb der unerschrockene Engländer gefaßt und zuckte mit keiner Wimper, sein Herz pochte nicht stärker als sonst, obwohl er, wie es in der Schrift heißt, ein Pilgrim im Schatten des Todes zu sein schien, umgarnt von Schlingen und umringt von dichter Finsternis, da, wo Licht zu seiner Sicherheit so nötig war. –

Der Freigraf fragte ihn nach seinem Namen, seinem Geburtslande und seiner Beschäftigung. – »John Philippson,« war die Antwort, »von Geburt ein Engländer, von Gewerbe ein Kaufmann.« – »Habt Ihr jemals einen anderen Namen geführt und ein anderes Gewerbe betrieben?« fragte der Richter. »Ich bin Kriegsmann gewesen – und war damals unter einem andern Namen im Heere bekannt.« – »Wie nanntet Ihr Euch da?« –

»Ich habe den Namen zusammen mit dem Schwerte abgelegt und will unter diesem Namen nie wieder gekannt sein. Ueberdies führte ich ihn damals da, wo Euer Gericht nichts zu sagen hat,« antwortete der Engländer. – »Weißt Du, vor wem Du stehst?« fuhr der Richter fort. – »Ich glaube, ich befinde mich vor dem heimlichen Gericht der Feme.«

»Ganz richtig,« versetzte der Richter, »dann weißt Du auch, daß Du Dich sicherer fühlen würdest, hingst Du an einem Haare über dem Rheinfall bei Schaffhausen, oder lägest Du unter einem Henkerbeil, das nur durch einen seidenen Faden am Fallen gehindert wird. Was hast Du verbrochen, daß Du hier stehst?« – »Darauf mögen die antworten, die mich dem Gerichte überliefert haben,« antwortete Philippson mit eben der Gelassenheit wie vorher.

»Sprich, Kläger,« sagte der Freigraf, »sprich zu allen vier Winden des Himmels! sprich zu den Ohren der freien Schöffen dieses Gerichtes und zu den getreuen Spruchvollstreckern! sprich in das Angesicht dieses Sohnes des Stranges, der seine Schuld verhehlt oder leugnet, rechtfertige also Deine Klage!«

»Höchstgefürchteter!« redete der Kläger den Freigrafen an; »dieser Mann hat sich dem Boden genaht, der die rote Erde heißt – ein Fremdling unter falschem Namen und erlogenem Gewerbe. Als er noch auf der Ostseite der Alpen zu Turin in der Lombardei und an anderen Orten weilte, hat er zu mehrerenmalen von der heiligen Feme in Worten des Hasses und der Verachtung gesprochen und erklärt, wäre er Herzog von Burgund, so würde er ihr nicht gestatten, sich aus Westfalen und Schwaben in seine Staaten zu verpflanzen. Auch klage ich ihn an, daß er die Absicht geäußert hat, an den Hof des Burgunderherzogs zu ziehen, um seinen Einfluß daselbst gegen das heilige Gericht geltend zu machen, der, wie er vorgibt, bedeutend genug sein wird, ein Verbot gegen die Sitzungen der Feme in den burgundischen Landen auszuwirken und die Richter und Schöffen des Gerichtes mit denjenigen Strafen belegen lassen, die an Räubern und Meuchlern vollzogen zu werden pflegen.«

»Das ist eine schwere Anklage, mein Bruder,« sagte der Freigraf, als der Kläger zu reden aufhörte. »Wie gedenkst Du, sie zu rechtfertigen? Welches sind Deine Beweismittel? Du sprichst zu heiligen und wissenden Ohren.« – »Ich beweise meine Anklage,« sprach der Kläger, »durch das Geständnis des Beklagten und durch meinen Eid auf die heiligen Zeichen des Bundes, auf Schwert und Strang.«

»Ein rechtmäßiger Beweis,« sprach einer der andern auf den Bänken sitzenden Richter. »Dieser Herzog von Burgund hat eine Menge Fremder in seine Heerscharen aufgenommen, die er leicht gegen diesen heiligen Gerichtshof führen kann; besonders wenn diese Fremdlinge Engländer, ein kühnes Inselvolk, sind, die blind an ihres Landes Gebräuchen hängen und die Gebräuche aller andern Völker hassen. Nicht unbekannt ist es uns, daß der Herzog von Burgund bereits zum Widerstand gegen die heilige Feme in mehr als einer seiner deutschen Besitzungen aufrief. So es sich ergibt, daß der Angeklagte einer von denen ist, welchen dergleichen Grundsätze eingeimpft wurden, so sage ich, lasset Schwert und Strang ihr Werk an ihm vollführen!«

Ein allgemeines Murmeln schien das, was der Sprecher gesagt hatte, zu billigen; denn alle erkannten die Notwendigkeit, die Furcht vor der Feme durch gelegentliche Beispiele schwerer Strafe wach zu halten, und wohl keiner konnte bereitwilliger geopfert werden als ein unbekannter und wandernder Fremdling. –

Alles das hätte unserm Philippson wohl den Mut nehmen mögen, doch hinderte es ihn nicht, standhaft auf die Anklage zu antworten: »Ritter, Herren und Bürger,« sprach er, »wisset, daß ich in früheren Jahren weit größeren Gefahren gegenüber gestanden habe, als mir jetzt drohen, und daß ich noch nie in meinem Leben zur Rettung meines Lebens die Flucht ergriff. Strang und Dolch sind nicht geeignet, demjenigen Schrecken einzuflößen, der Schwerter und Lanzen hat blinken sehen. Meine Antwort auf die Anklage lautet, daß ich ein Engländer bin, also einem Volke angehöre, das gewohnt ist, offenes und unverhohlenes Recht bei hellem Lichte des Tages zu geben und zu empfangen. Dennoch weiß ich, daß ich ein Reisender bin, der nicht das Recht hat, sich den Satzungen und Regeln anderer Völker zu widersetzen, weil dieselben nicht den Gesetzen seines Landes gleichen. Der Kläger beschuldigt mich, daß ich zu Turin oder andern Orten Norditaliens mich tadelnd über das Gericht ausließ, vor welchem ich mich gegenwärtig befinde. Ich will nicht leugnen, daß ich mich dessen erinnere; allein, es geschah, weil ich mit Fragen darüber von zwei Gästen, die zufällig mit mir an der Tafel saßen, bestürmt wurde. Ich ließ mich lange und eindringlich auffordern, ehe ich meine Meinung äußerte.«

»Und wie lautete diese Meinung?« fragte der Vorsitzende, »war sie dem Stuhle der heiligen Feme günstig oder nicht? Laßt Wahrheit Eure Zunge lenken, – bedenkt, das Leben ist kurz, das Gericht dauert ewig.« – »Ich würde nie mein Leben auf Kosten einer Lüge zu verlängern suchen. Meine Meinung war nachteilig. Ich drückte mich folgendermaßen aus: Kein Gesetz noch gerichtliches Verfahren kann gerecht noch anratungswert sein, das auf geheimer Anordnung beruht und nach derselben verfährt. Ich sage, die Gerechtigkeit vermag sich nur dann zu behaupten, wenn sie öffentlich geübt und verkündet wird. Sowie sie aufhört, öffentlich zu sein, artet sie in Haß und Rache aus.«

Kaum waren diese Worte ausgesprochen, so brach unter den Richtern höchst ungünstiges Murren aus. – »Er lästert die heilige Feme! Schließt ihm den Mund für immer!«

»Hört mich,« sagte der Engländer, »sowie Ihr eines Tages wünschen werdet, gehört zu werden! Ich sage, das war meine Meinung, und so sprach ich sie aus – ich sage auch, daß ich ein Recht hatte, diese Meinung auszusprechen, mochte sie nun verständig oder irrig sein; denn ich befand mich in einem Lande, wo dieses Gericht weder Anerkennung fordern, noch Gewalt ausüben konnte. Meine Gesinnungen sind noch dieselben. Ich würde das bekennen, wenn dieses Schwert in meiner Brust wühlte, jener Strang mir um den Hals gelegt würde. Allein ich leugne, daß ich jemals gegen die heilige Feme und deren Satzungen in einem Lande sprach, wo sie als landesübliches Gericht ihren Sitz hat. Weit kräftiger noch, wenn möglich, widerspreche ich der Lächerlichkeit der falschen Bezichtigung, die von mir, einem wandernden Fremdling, aussagt, als sei ich beauftragt, mit dem Herzoge von Burgund über so hohe Gegenstände zu verhandeln oder ihn zu einem Kriegszug gegen die Feme zu bestimmen. Davon ist gar keine Rede.«

»Kläger,« sprach der Freigraf: »Du hast den Beklagten gehört. Wie lautet Deine Erwiderung?« – »Den ersten Teil der Anklage,« sagte der Aufgeforderte, »hat er in Deiner hohen Gegenwart eingestanden, namentlich, daß seine schändliche Zunge unsere heiligen Mysterien höhnend entweiht hat; wofür er verdient, daß sie ihm aus dem Halse gerissen werde. Daß der übrige Teil der Anklage ebenso wahr ist, wie das, was er nicht abzuleugnen vermocht hat, das will ich auf meinen Richtereid nehmen.«

»Vor Gericht,« sagte der Engländer, »wird in Ermangelung triftigen Beweises der Eidschwur dem Beklagten auferlegt, doch wird dem Kläger nicht gestattet, durch einen Eid seine lückenhafte Anklage zu stützen.« – »Fremdling,« erwiderte der Freigraf, »wer unter diesen ehrwürdigen Richtern sitzen will, muß von untadelhaftem Charakter sein. Der Eidschwur eines solchen Richters würde daher die feierlichste Behauptung eines Jeden aufwägen, der nicht in unsere heiligen Geheimnisse eingeweiht ist. Die Aussage des Kaisers selbst, so dieser nicht zur Feme gehört, würde in unserm Kreise nicht soviel Gewicht haben, wie die des Geringsten dieser Schöffen. Die Behauptung des Klägers kann nur durch den Eid eines Beisitzers höheren Ranges zurückgewiesen werden.«

»So sei denn Gott mir gnädig! Ich habe keine Hoffnung als nur im Himmel!« sprach der Engländer in feierlichem Tone: »doch will ich nicht fallen, ohne den letzten Versuch gemacht zu haben. So rufe ich denn Dich an, Du finsterer Geist, der Du in dieser Todeshalle den Vorzug hast! Ich rufe Dich auf, bei Ehre und Glauben, zu erklären, ob Du mich für schuldig hältst dessen, warum mich jener boshafte Verleumder verklagt! Ich beschwöre Dich bei dem heiligen Namen, den Du –« – »Halt!« versetzte der Freigraf. »Der Name, unter welchem wir in freier Luft bekannt sind, darf vor diesem unterirdischen Gerichtsstuhle nicht ausgesprochen werden.« Dann fuhr er, zu dem Gefangenen, den Richtern und Schöffen gewendet, in folgenden Worten fort: »Ich, der ich zur Beweisführung aufgerufen bin, erkläre, daß die Anklage gegen Dich insofern wahrhaft ist, als Du sie selbst eingestandest, namentlich daß Du in andern Ländern leichtfertig von den Satzungen der heiligen Feme sprachest. Allein ich glaube in meiner Seele, und ich will es mit meiner Ehre bezeugen, daß der übrige Teil der Klage unglaubwürdig und falsch ist. Und dies schwör ich, indem ich die Hand auf Dolch und Strang lege. – Was ist Euer Urteil, meine Brüder, über diesen also verhandelten Fall?«

Einer der Richter in der Vorderreihe, anscheinend ein hochbetagter Mann, erhob sich mühevoll und sprach mit zitternder Stimme: »Der Sohn des Stranges, der hier vor uns ist, war der Torheit und Uebereilung schuldig, unsere heiligen Satzungen gelästert zu haben. Allein er äußerte seine Torheit vor Ohren, die nimmer von unseren heiligen Statuten gehört hatten. Durch unwidersprechliches Zeugnis ist er davon freigesprochen worden, an machtlosen Umtrieben zum Sturze unserer Gewalt oder an der Aufhetzung von Fürsten gegen unsern heiligen Stuhl beteiligt zu sein. So ist er zwar ein Tor, jedoch kein Verbrecher; und da die heilige Feme keine andere Strafe als die Todesstrafe kennt, so schlage ich den Spruch vor, das Kind des Stranges unverletzt der menschlichen Gesellschaft und der Oberwelt zurückzugeben, sobald es gehörig wegen seiner Irrtümer ermahnt worden sei.«

»Sohn des Stranges,« nahm jetzt der Freigraf das Wort. »Du hast Deine Freisprechung vernommen. Allein so Du wünschest, in einem blutlosen Grabe zu schlummern, so laß mich Dich warnen: Bewahre die Geheimnisse dieser Nacht gegen Vater und Mutter, Gattin, Sohn oder Tochter, versprich nie davon zu sprechen, weder laut noch leise, noch in Andeutungen, Gebärden, Zeichen oder Gleichnissen! Gehorche diesem Geheiß, und Dein Leben ist gesichert. Laß Dein Herz fröhlich sein in Dir, allein laß es fröhlich sein mit Zittern! Nie mehr laß Eitelkeit Dich verleiten, Dir einzureden, Du seiest sicher vor den Richtern und Dienern der heiligen Feme, ob Du auch tausend Meilen Weges lägen zwischen Dir und uns, ob Du auch in einem Lande weiltest, wo man unsere Macht nicht kennt, ob Du auch auf Deiner heimatlichen Insel Dich geschützt wähntest durch das Weltmeer, von dem sie rings umgeben ist. Ich warne Dich, schlag ein Kreuz, sooft Du des heiligen, unsichtbaren Femgerichtes gedenkst, und verschließ Deine Gedanken fest in Deiner Brust! Geh von hinnen, sei weise und fürchte stets die heilige Feme!«

Am Schlusse dieser Rede erloschen zischend alle Lichter zu gleicher Zeit. Philippson wurde leise auf seine Lagerstatt hinabgedrückt und wieder an den Ort getragen, von dem aus man ihn an den Fuß des Altars gebracht hatte. Das Strickwerk wurde wieder angelegt, und Philippson fühlte, wie etliche Minuten lang sein Bett sich immer höher hob, bis ein leichter Stoß ihn belehrte, daß es wieder auf dem Fußboden des Schlafgemaches stand, in das man ihn in der vorigen Nacht oder, besser gesagt, an diesem Morgen geführt hatte.

Er erwog, was er erlebt hatte, und fühlte, zu wie großem Dank er dem Himmel für seine Befreiung verpflichtet war. Endlich siegte die Müdigkeit über seine Bekümmernis, und er verfiel in einen tiefen und festen Schlaf, aus dem er erst bei hellem Tage wieder erwachte. Augenblicklich beschloß er, einen so gefährlichen Ort zu verlassen, und ohne einen einzigen Bewohner, den alten Stallknecht ausgenommen, zu sehen, setzte er seine Reise nach Straßburg fort und erreichte diese Stadt ohne ferneren Unfall.


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