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Zehntes Kapitel.

Colvin, der englische Geschützhauptmann, dem der Herzog von Burgund bei glänzendem Sold und Unterhalt die Sorge für diesen Teil seiner Heeresmacht vertraute, empfing den Engländer mit all der Hochachtung, die dessen Range gebührte. Er selbst war ein Anhänger der Lancaster-Partei gewesen und folglich den Männern wohlgeneigt, die jenem Hause trotz aller Schicksalsschläge die Treue wahrten. Ein Mahl, an welchem der Sohn schon Anteil genommen hatte, wurde dem Grafen durch Colvin angeboten, dann geleitete der General seine Gäste in denjenigen Teil des Zeltes, der für sie allein bestimmt war.

»Und jetzt, Arthur,« sagte sein Vater, »laß mich Dir sagen, daß wir noch einmal scheiden müssen. Du mußt an den Hof des Königs René ziehen, wo unsere unglückliche Königin weilt. Ich wage es nicht, Dir in diesem Lande der Gefahr einen geschriebenen Bericht mitzugeben; allein sage ihr, der Herzog von Burgund sei nicht abgeneigt, sich mit ihr zu vereinbaren. Sage ihr, daß ich wenig Zweifel hege, er werde uns die begehrte Hilfe angedeihen lassen, jedoch nicht, ohne daß sie und der König René zu seinen Gunsten entsagen müssen. Sage ihr, ich würde nimmer solches Opfer angeraten haben, wenn es bloß den Sturz des Hauses York gälte; ich sei jedoch überzeugt, daß Frankreich oder Burgund nach ihres Vaters Tode doch die Besitzungen an sich reißen würden, die sie zu seinen Lebzeiten nur ungern noch verschonen. Fordere daher die Königin Margarethe auf, so sie ihre Willensmeinung nicht geändert hat, die förmliche Abdankung des Königs René zu erhalten, so daß er mit ihrer Majestät Zustimmung seine Staaten dem Herzoge von Burgund überläßt. Der notwendige Unterhalt des Königs, so wie seiner königlichen Tochter soll ganz nach Gefallen festgesetzt oder die Summe offen gelassen werden. Ich kann es der Großmut des Herzogs zutrauen, daß er diese Summe geziemend ausfüllen werde. Alles, was ich fürchte ist, daß Karl verwickelt ist in –«

»In irgend einen törichten Kriegszug, der zu seiner Ehre und zur Ehre seiner Untertanen notwendig ist,« rief eine Stimme hinter der Leinwand des Zeltes – »und darüber mehr auf seine Angelegenheiten als auf die unsrigen acht haben wird. Wie nun, Herr Graf?«

In demselben Augenblicke wurde der Vorhang zurückgezogen, und es trat ein Mann ein, der Wams und Mütze eines gemeinen Wallonen trug, in dem Oxford jedoch augenblicklich die scharfen Züge und brennenden Augen des Herzogs von Burgund erkannte.

Arthur, der den Herzog nicht kannte, starrte den Eindringenden an, und fuhr mit der Hand nach dem Dolche; doch sein Vater gab ihm ein Zeichen, innezuhalten. Er sah mit Verwunderung, mit welch feierlicher Ehrfurcht der Graf den zudringlichen Kriegsmann empfing. Das erste Wort setzte ihn über die Sache ins klare. »Wenn Ihr durch diese Verkleidung meine Treue prüfen wolltet, edler Herzog, so erlaubt mir zu sagen, daß es ganz überflüssig war.« – »Ei, Oxford,« entgegnete der Herzog, »ich war ein höflicher Spion, denn ich hörte in dem Augenblicke auf, ein Horcher an der Wand zu sein, wo ich Ursache hatte zu vermuten, daß Ihr etwas Nachteiliges über mich sagen würdet.« – »So wahr ich ein echter Ritter bin, Herr Herzog, wärt Ihr hinter der Leinwand geblieben, so würdet Ihr nur dieselben Wahrheiten gehört haben, die ich in Eurer Hoheit Gegenwart zu wiederholen bereit bin.« – »So sprich sie denn aus! Die Leute lügen es in den Hals hinein, wenn sie sagen, daß Karl von Burgund sich jemals durch den Rat eines wohlmeinenden Freundes beleidigt gefühlt hätte.«

»Ich würde also gesagt haben,« versetzte der englische Graf, »Margarethe von Anjou hätte vor allem zu fürchten, der Herzog von Burgund könnte, um vermeintliche Beleidigungen zu rächen, zuvörderst einen Kriegszug gegen die Schweiz unternehmen, über die einen wesentlichen Vorteil zu erringen ihm nicht gelingen wird. Die Schweizer wohnen zwischen Felsen und Einöden, die fast unzugänglich sind, und nähren sich auf so rohe Weise, daß der ärmste Eurer Untertanen, Herr Herzog, bei solcher Lebensart verkommen würde. Von der Natur sind sie gleichsam geschaffen, die Kriegsbesatzung der Bergfesten abzugeben, die ihnen zur Wohnung angewiesen wurden.– Laßt Euch um des Himmels willen nicht mit ihnen ein, sondern geht edleren und wichtigeren Plänen nach, ohne ein Nest von Hornissen zu stören, die, einmal aufgeschreckt, Euch bis zum Rasendwerden stechen möchten.«

Der Herzog hatte Geduld angelobt und bemühte sich, Wort zu halten; doch seine geschwollenen Gesichtsmuskeln, seine blitzenden Augen zeigten, wie große Anstrengung es ihn kostete, seinen Grimm zu unterdrücken. »Ihr seid falsch berichtet, Mylord,« sagte er. »Diese Menschen sind nicht friedsame Hirten und Bauern, wie Ihr wähnt. Stolz auf etliche Siege über das gierige Oesterreich, haben sie alle Hochachtung vor Macht und Ansehen abgeschüttelt, nehmen eine Miene von Unabhängigkeit an, schließen Verbündungen, überfallen und erstürmen Städte, verurteilen und köpfen die Männer von edler Geburt nach ihrem Gefallen. Eben dieselben unruhigen, treulosen und unversöhnlichen Feinde wie die Schotten gegen England, sind die Schweizer für Burgund und dessen Bundesgenossen. Was sagt Ihr? Kann ich eher etwas Wichtiges unternehmen, als bis ich den Hochmut dieses Volkes zertreten habe? Auch wird es nur das Werk weniger Tage sein. Mit meinem Stahlhandschuh will ich all jenen Schneckenklee und Stechdorn der Gebirge zu packen wissen. Doch um all Eure Bedenklichkeiten zum Schweigen zu bringen, laßt mich Euch sagen, daß dieses Volk durch Mithilfe und Beistand eine der gefährlichsten Verschwörungen in meinen Staaten unterstützt. Gebt acht! Ich sagte Euch, daß mein Vogt Archibald von Hagenbach ermordet wurde, als die Stadt La Ferette von diesen friedliebenden Schweizern, wie Ihr sie nennt, verräterischerweise überfallen wurde. Und hier ist eine Pergamentrolle, die mir kundmacht, daß mein Vogt nach Urteil und Spruch des Femgerichts geköpft worden, das aus einer Rotte im Finstern schleichender Meuchler besteht, denen ich nimmermehr Sitzung zu halten in meinen Staaten gestatten will! O, könnt ich sie nur fassen! Sie sollten erfahren, was das Leben eines Edelmannes wert ist! Da leset nur die Frechheit in ihrer Kundmachung.«

Das Pergament erklärte unumwunden, daß Archibald von Hagenbach wegen verübter Tyrannei, Gewalttat und Erpressung von der heiligen Feme zum Tode verurteilt und von den Schöffen der Feme, die dafür dem heiligen Gerichte verantwortlich wären, hingerichtet worden sei. Die Urkunde war mit roter Tinte unterzeichnet und trug die Zeichen des Femgerichtes, nämlich Strang und Dolch, in ihrem Siegel. – »Diese Beglaubigungsschrift war mit einem Messer auf meinem Tisch angeheftet,« sagte der Herzog, »wieder ein Streich, der beweist, wie trefflich sie ihr mörderisches Gaukelwesen in Geheimnis zu hüllen wissen!«

Bei der Erinnerung an das, was ihm im Verließ unter dem Hause des Gastwirtes Johann Mengs begegnet war, überlief den braven Engländer unwillkürlich ein Schauder.

»Um aller Heiligen des Himmels willen,« sagte er, »unterlaßt es, o Herr, von dieser furchtbaren Feme zu reden, deren Werkzeuge über, unter und neben uns sind! Kein Mann ist seines Lebens sicher, wie geschützt er sich auch wähne! Ihr seid umringt von Deutschen, Italienern und anderen Fremden.– Wie viele unter diesen mögen mit der Feme verknüpft sein! Edler Fürst, als Freund Eures Hauses muß ich Euch, wäre es auch mit dem letzten Hauche meines Lebens, sagen, daß die Schweizer gleich einer Schneelawine über Euch hängen und jener geheime Bund unter Eurem Boden Euch bedroht, gleich den ersten Stößen eines herannahenden Erdbebens. Ruft nicht auf zum Kampfe, so werden die Schneemassen auf den Gebirgen ruhig bleiben, der Qualm unterirdischer Gluten beschwichtigt in der Tiefe lagern; allein ein einziges Wort des Trotzes oder ein einziger Blick entwürdigenden Hohnes möchte ihre Schrecknisse in Tätigkeit versetzen.«

»Ihr sprecht,« sagte der Herzog, »von einem Rudel nackter Schufte und einer Rotte mitternächtiger Meuchler mit mehr Scheu, als ich jemals in Zeiten der Gefahr an Euch wahrnahm. Doch will ich Euren Rat nicht verspotten – ich will die Schweizer Abgesandten ruhig anhören und, so ich es vermag, die Verachtung nicht blicken lassen, die ich gegen ihre Anmaßung hegen muß. Ueber die geheimen Verbindungen will ich schweigen, bis die Zeit mir Mittel an die Hand gibt, mit dem Kaiser und dem deutschen Reichstage vereint, gegen sie vorzugehen. Nun, Herr Graf, war das gut gesprochen?« – »Es war wohlbedacht, Herzog, doch zur Unzeit gesprochen. Ihr seid in einer Lage, in der ein einziges Wort, von einem Verräter erlauscht, Euch Tod und Verderben bereiten kann.«

»Ich bin von keinen Verrätern umgeben,« sagte Karl, »Könnte ich's denken, daß deren in meinem Lager wären, so möchte ich lieber gleich von ihren Händen sterben, als in immerwährendem Schrecken und Verdacht leben.« – »Euer Hoheit erprobteste Diener,« bemerkte der Graf, »reden ungünstig von dem Grafen von Campobasso, dem italienischen General, der bei Euch so hoch in Gnaden steht.« – »Mißtrauischer Tor!« rief der Herzog. »Soll ich Dir das Geheimnis dieses Campobasso aufdecken? Wisse denn, Du ungläubiger Sterblicher, daß mein guter Freund und Bruder Ludwig von Frankreich mir durch keinen geringeren Mann, als durch seinen Bartscherer Oliver le Diable, geheime Kunde sandte, es hätte Campobasso gegen eine gewisse Summe Geldes sich erboten, mich lebend oder tot in des Königs Hände zu liefern. – Ihr erstarrt?«

»In der Tat erstarre ich, wenn ich bedenke, wie Eure Hoheit gewohnt ist, leicht bewaffnet auszureiten, von nur wenigen begleitet, die Vorposten zu besuchen oder die Feinde zu beobachten, und wie leicht dann solch verräterischer Anschlag zur Ausführung gebracht werden kann.« – »Possen!« antwortete der Herzog. »Du siehst die Gefahr als wirklich vorhanden an, da doch nichts gewisser sein kann, als daß, wenn mein Vetter von Frankreich jemals solches Anerbieten erhielt, er der letzte wäre, der mich auf solchen Anschlag aufmerksam machen würde. Nein – er kennt den Wert, den ich auf Campobassos Dienste lege, und schmiedete jene Anklage, um mich eines so tüchtigen Dieners zu berauben.« – »Und dennoch,« sprach der englische Graf, »wolle Eure Hoheit meinen Rat hören, nie die kugelfeste Rüstung abzulegen und, wenn Ihr ausreitet, stets einige Dutzend Eurer wallonischen Krieger mitzunehmen.«

»Nun gut, ich will auf meiner Hut sein. Und Ihr, junger Mann, versichert meiner Base Margarethe von Anjou, daß ich Ihre Sache wie die meinige führen werde. Auch bedenkt, junger Mann, daß die Geheimnisse der Fürsten verfängliche Mitteilungen sind, wenn der, dem sie gemacht wurden, sie ausplaudert hingegen, daß sie dem Hüter, der sie sorglich in sich verschließt, Reichtum bringen. – Du sollst Ursache haben, meine Worte für wahr zu halten, so Du mir von Aix die Entsagung, von der Dein Vater sprach, überreichen kannst. – Gute Nacht, gute Nacht!« – Er verließ das Zelt.

»Du hast,« sagte der Graf von Oxford zu seinem Sohne, »nun diesen außerordentlichen Fürsten kennen gelernt. Es ist leicht, seinen Ehrgeiz, seinen Durst nach Macht rege zu machen; jedoch fast unmöglich, ihn auf die richtigen Grenzen zu beschränken, durch die sie am besten befriedigt werden können. Er gleicht stets dem jungen Bogenschützen, dem das Ziel in dem Augenblicke, wo er die Sehne anzieht, durch eine am Auge vorüberziehende Schwalbe entrückt wird. Bald beleidigend argwöhnisch – bald unverzeihlich leichtsinnig in seinem Vertrauen – noch vor kurzer Zeit der Feind des Hauses Lancaster, – jetzt dessen letzte einzige Hoffnung. Gott bessere alles!« –


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