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Dreizehntes Kapitel.

Indem wir den Grafen Oxford im Gefolge des hartnäckigen Herzogs von Burgund an dem Zuge gegen die Schweiz teilnehmen lassen, den der eine als kurzen Ritt bezeichnete, der andere aber in weit ernsterem, gefährlicherem Lichte betrachtete, kehren wir zu Arthur de Vere oder dem jüngeren Philippson zurück, der, wiewohl sehr langsam, so doch sicher und wohlbehalten von seinem treuen Geleitsmann nach der Provence geführt wurde.

Der Zustand Lothringens, das von des Herzogs Kriegsmannen überflutet war und zu gleicher Zeit von mancherlei umherziehenden Scharen durchstreift wurde, machte das Reisen so gefährlich, daß man oft die Hauptstraße seitwärts liegen lassen und auf Umwegen weiter ziehen mußte. Durch traurige Erfahrungen belehrt, fremden Führern zu mißtrauen, fühlte Arthur sich auf dieser so wichtigen und gefährlichen Reise dessenungeachtet geneigt, seinen diesmaligen Führer, dem Provencalen Thibault, oder Theobald, zu vertrauen, da dieser genau die Wege kannte, die sie zu ziehen hatten, und, soweit er folgern konnte, den besten Willen zeigte, sein Amt mit Treue zu erfüllen.

Als man den Grenzen der Provence näher kam, begann Thibault, von seiner Heimat alles, was er als echtes Kind dieses Landes wußte, zu erzählen. Er kannte nicht nur den Namen und die Geschichte jeder romantisch gelegenen Feste, an der man auf abgelegenen und bedenklichen Wegen vorüberzog, sondern auch die ritterliche Geschichte der Edlen und Freien, dem sie gehörte oder früher einmal gehört hatte. Im Verlaufe solcher Mitteilungen kam Thibault auf die Troubadours zu sprechen, ein Geschlecht eingeborener Dichter der Provence, deren Erzählungen und Gesänge unserm Arthur, wie den meisten edelgeborenen Jünglingen seines Vaterlandes, genau bekannt waren, da man sie vielfach ins Englische übersetzt hatte. So kam das Gespräch auf den König René, den Schutzherrn aller Minnesänger, und Arthur, dem daran lag, über diesen Fürsten mehr zu erfahren, als was er vom Hörensagen bisher wußte, ließ sich von Thibault ausführlich von den Eigenschaften des guten alten Königs erzählen, der gerecht, heiter, gutherzig, ein Freund der edelsten Jagd und Turnierübungen und mehr noch der Poesie und Musik war, der mehr, als er besaß, in Geschenken an fahrende Ritter und Spielleute verteilte, von denen seine winzige Hofhaltung überfüllt war.

Entsprossen aus königlichem Stamme, war René zu keiner Zeit seines Lebens imstande gewesen, seine hohen Vorrechte genügend geltend zu machen. Von all den Reichen, auf die er ein Anrecht hatte, war ihm außer der Provence keins mehr geblieben. In seiner Jugend widmete René sich mehr als einem Kriegszuge, in der Hoffnung, einen Teil der Lande wiederzuerhalten, als deren Monarch er betitelt war. Seinem Mute war dabei nichts vorzuwerfen, allein das Glück lächelte seinen Zügen nicht, und er scheint zuletzt eingesehen zu haben, daß die Kunst, kriegerisches Verdienst zu besingen, noch niemand befähige, Kriege zu führen. René war in der Tat ein Fürst von sehr beschränkten Fähigkeiten, begabt mit Liebe für die schönen Künste, die er bis zum Uebermaß trieb, sonst aber von einer Genügsamkeit, die ihn da noch sich glücklich fühlen ließ, wo ein Fürst von kräftigeren Empfindungen in Verzweiflung gestorben wäre. Dieses sorglose, heitere, leichtgestimmte Wesen verhalf dem König René zu einem gesunden, muntern Greisenalter, indem es ihn allen den Leidenschaften entfremdete, die das Leben verbittern und verkürzen. Die meisten seiner Kinder raffte frühzeitiger Tod hinweg; René nahm es sich nicht zu Herzen. Die Vermählung seiner Tochter Margarethe mit dem mächtigen Heinrich V. von England wurde als eine Verbindung angesehen, die bei weitem über die Glücksgrenze eines Troubadourkönigs hinausreichte; der Ausgang zeigte, daß René, statt aus dieser Ehe Glanz für sich herzuleiten, in das Mißgeschick seiner Tochter verwickelt wurde und zu wiederholten Malen genötigt war, sich selbst zu plündern, um ihr auszuhelfen. Vielleicht beklagte der alte König in seiner tiefsten Seele weniger diese Verluste als vielmehr die Notwendigkeit, Margarethe wieder an seinen Hof und in sein Königshaus aufzunehmen. In ihrem Ingrimm über erlittene Verluste, in ihrem Schmerz über erschlagene Freunde und verlorene Länder paßte die stolzeste, leidenschaftlichste Fürstin übel zu dem fröhlichsten, muntersten Monarchen, dessen Treiben sie verachtete, und dessen leichte Sinnesart, die ihm Trost in allen Widerwärtigkeiten verlieh, sie nicht verzeihen konnte.

Ein anderes Unglück lastete schwer auf ihm, – Yolanda, eine Tochter seiner ersten Gattin Isabella, war Nachfolgerin seiner Anrechte auf das Herzogtum Lothringen geworden und hatte diese auf ihren Sohn, Ferrand, Grafen von Vaudemont, einen Jüngling voll Mut und Geist übertragen, der um diese Zeit in dem scheinbar hoffnungslosen Unternehmen begriffen war, seine Rechte gegen den Herzog von Burgund geltend zu machen, der mit geringer Befugnis, aber mit großer Macht dies reiche Herzogtum mit Krieg überzog, um es als männliches Lehen an sich zu reißen. Um die Bekümmernis voll zu machen, mußte der alte König, der auf der einen Seite eine entthronte Tochter in ihrer hoffnungslosen Verzweiflung zu sich nehmen mußte, auf der andern Seite seinen erblosen Großsohn vergebens danach streben sah, einen Teil seiner Rechte wieder zu erstreiten, auch noch das Mißgeschick erfahren, daß sein Neffe Ludwig von Frankreich und sein Vetter Karl von Burgund insgeheim sich darum stritten, wer in den Besitz der Provence gelangen sollte, und daß er es nur dem gegenseitigen Neid dieser beiden Fürsten zu verdanken hatte, wenn ihm nicht auch noch der letzte Rest seiner Länder entrissen wurde. Inmitten jedoch all dieser Trübsal empfing René Gäste und bewirtete sie; sang, tanzte, dichtete, führte Pinsel und Bleistift mit nicht geringer Geschicklichkeit, ersann und ordnete Festlichkeiten und Prozessionen und war bemüht, die Fröhlichkeit und heitere Laune seiner Untertanen zu fördern, so daß diese ihn nie anders als den guten König René nannten.

Während Arthur der ausführlichen Schilderung seines Führers lauschte, betraten sie das Land dieses fröhlichen Herrschers. Es war spät im Herbste und um die Zeit, wo die südöstlichen Provinzen Frankreichs sich am unvorteilhaftesten zeigen. Das Laub der Olivenbäume ist dann vertrocknet und verwittert, und da diese Bäume in der Landschaft vorherrschen – und alsdann die Farbe des ausgedörrten Bodens annehmen, so wird dem ganzen dadurch ein aschgrauer und dürrer Anblick verliehen. Dennoch fanden sich auf den Hügeln und in den Ebenen Flecken, wo eine Menge von Immergrün das Auge selbst in dieser toten Jahreszeit erquickte.

Wer aus Burgund und Lothringen, wo die Einwohner sich mit deutscher Derbheit gaben, heraustrat in das Hirtenland der Provence, ward bald gewahr, daß hier der Einfluß eines milden Himmels und einer wohlklingenden Sprache, vereint mit den Gesinnungen des alten, romantisch angehauchten Monarchen, und der allgemeinen Vorliebe für Musik und Poesie, zu einer Veredlung der Sitten geführt hatte, die fast an Ziererei grenzte.

Vor allem aber wunderte sich Arthur darüber, daß es bewaffnete Männer und Kriegsknechte in diesem friedlichen Lande nicht zu geben schien. In England begab sich kein Mann ohne Bogen, Schwert und Schild auf die Heerstraße. In Frankreich trug der Ackerknecht Waffen, wenn er hinter dem Pfluge herging. In Deutschland konnte man keine Halbstunde Weges wandern, ohne Staubwolken aufsteigen zu sehen, aus denen sich bald wogende Federbüsche und glänzende Rüstungen hervorhoben. Allein in der Provence schien alles ruhig und friedsam, gleich als ob die Musik des Landes jegliche aufbrausende Leidenschaft in Schlaf gelullt hätte. Dann und wann zog ein Reitersmann an unseren Reisenden vorüber, der am Sattelknopf die Harfe zu hängen hatte und sich dadurch als Troubadour zu erkennen gab; aber auch diese Reiter trugen keine andern Waffen, als ein kurzes Schwert an der linken Hüfte, das mehr zur Zierde als zum Gebrauche diente.

Der Anblick der alten, schönen Stadt Aix, in welcher König René seinen Hof hielt, rief unserm jungen Engländer die besondere Botschaft ins Gedächtnis zurück, die er auszurichten hatte. »Ich muß an den Hof, und zwar sonder Verzug,« sagte Arthur zu seinem Führer. »Erwarte mich in einer halben Stunde dort in der Straße bei jenem Springquell, der in die Luft eine so prächtige Wassersäule aufsteigen läßt.« – »So Ihr zum guten König René wollt, so trefft Ihr ihn um diese Zeit am besten in seinem Kabinett – so nennt man nämlich die schmale Brustwehr dort drüben zwischen den zwei Türmen, die eine Aussicht nach Süden hat und nach allen übrigen Seiten verdeckt ist. Dort zu spazieren und der Sonnenstrahlen in so kalten Morgenstunden wie heute zu genießen, ist sein Vergnügen. Es stärkt dies, wie er sagt, seine poetische Ader. Wenn Ihr Euch diesem Platze nähert, so wird der König willig mit Euch reden; es sei denn, er wäre wirklich im Begriff, irgend eine poetische Arbeit zu verfassen.«

Arthur konnte nicht unterlassen zu lächeln, als er eines Königs gedachte, der, achtzig Jahre alt, gebeugt durch Mißgeschick und umringt von Gefahren, sich dennoch damit belustigte, auf offener Brustwehr spazieren zu gehen und Lieder zu dichten, in Gegenwart all seiner lieben Untertanen, die Lust haben mochten, ihm zuzuschauen.


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