Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.

Die Pforten der Halle wurden nun den Schweizer Abgeordneten geöffnet, die eine Stunde lang außerhalb des Palastes hatten harren müssen, ohne im mindesten jene Aufmerksamkeiten zu erfahren, die unter gebildeten Völkern den Stellvertretern eines fremden Staates erwiesen werden. Allerdings mußte ihr äußeres Erscheinen, als seien sie Gebirgsjäger oder Hirten, inmitten einer in buntfarbigen Anzügen, in Gold- und Silberschnüren, Wirkereien und Edelsteinen prunkenden Versammlung, jedem die Meinung einflößen, sie könnten nur in aller Demut als Bittsteller hierher gekommen sein.

Oxford, der das Benehmen seiner ehemaligen Reisegenossen genau beobachtete, erkannte jedoch sogleich, daß sie alle der Festigkeit und Gleichgültigkeit getreu blieben, durch die sie sich schon früher hervorgetan hatten. Rudolf von Donnersberg behielt seinen kecken, trotzigen Blick bei – der Bannerherr zeigte seinen gewohnten kriegerischen Gleichmut, mit dem er alles um sich her, scheinbar teilnahmlos, betrachtete – der Bürger von Solothurn gab sich ebenso förmlich und gewichtig wie immer. Nur der edle Landammann, auf den Oxford hauptsächlich seine Aufmerksamkeit richtete, schien von dem Gefühle der unsichern Lage, in die sein Vaterland versetzt wurden war, überwältigt zu sein; indem er nach dem rauhen, unehrenwerten Empfang zu fürchten schien, daß der Krieg sich nicht mehr vermeiden ließe.

Nach einem Schweigen von fast fünf Minuten sprach der Herzog in dem hochfahrenden, schneidenden Tone, den er hier wohl für angemessen halten konnte, und der nur allzusehr seine Gemütsart verriet: »Ihr Männer von Bern, Schwyz, oder welche Weiler und Wildnisse Ihr hier vertreten möget, wisset, daß wir Euch, die Ihr Aufrührer seid gegen die Herrschaft Eurer gesetzmäßigen Obern, nimmer Gehör verliehen hätten, wenn nicht ein wohlgeschätzter Freund, der sich eine Zeitlang in Euren Bergen aufhielt, und den Ihr unter dem Namen Philippson kennt, sich für Euch verwendet hätte. Seiner Fürsprache haben wir soweit stattgegeben, daß wir, statt Euch nach Verdienst dem Galgen zu überliefern, uns herabließen, Euch zu empfangen. Nun laßt hören, welche Genugtuung Ihr dafür bieten könnt, daß Ihr frech und vermessen unsere Stadt La Ferette bestürmtet, unsere Untertanen niederschlugt und den Mord mitansaht, unterstütztet und anrietet, der an dem edlen Ritter, unserm Vogte Archibald von Hagenbach verübt wurde. Sprecht, so Ihr etwas zur Verteidigung Eurer Missetat und Eures Verrats vorbringen könnt!«

Der Landammann schien antworten zu wollen, allein Rudolf von Donnersberg übernahm mit der ihm eigenen Kühnheit und Verwegenheit die Verteidigung. Er stellte sich dem Herzoge mit unerschrockenem Auge gegenüber. »So Ihr uns Aufrührer nennt,« sprach er, »so müßt Ihr erwägen, daß eine lange Reihe von Siegen, mit Österreichs edelstem Blut besiegelt, unserer Eidgenossenschaft die Freiheit zurückgegeben hat, die eine ungerechte Tyrannei uns vergebens zu rauben versuchte. Solange das Land Österreich sich uns als gerechter und wohlwollender Herrscher zeigte, dienten wir ihm mit unserm Leben. Als es tyrannisch gegen uns wurde, machten wir uns unabhängig. Will es uns jetzt noch etwas anhaben, so werden die Nachkommen eines Stauffacher, Tell und Walter Fürst ebenso bereit sein wie sie, ihre Freiheit zu verfechten. Euer Erlaucht – so solches Euer Titel ist – hat nichts zu schaffen mit einem Zwist zwischen uns und Oesterreich. Was endlich Eure Drohung mit Galgen und Rad anbelangt, so sind wir hier wehrlose Männer, mit denen Ihr nach Laune verfahren mögt; jedoch wissen wir zu sterben, und unsere Landsleute wissen uns zu rächen.«

Der zornmütige Herzog würde hierauf mit nichts anderm als dem Befehle geantwortet haben, die ganze Gesandtschaft augenblicklich zu verhaften und hinzurichten. Doch sein Kanzler erhob sich in diesem Augenblick, lüftete die Mütze mit tiefer Verbeugung gegen den Herzog und bat um Erlaubnis, dem überstolzen Jüngling zu antworten, der, wie er sagte, die Worte Seiner Hoheit falsch verstanden hätte. – »Junger Mann,« sprach der hohe Staatsdiener: »Burgund hat Antwort von Euch zu begehren auf folgende Fragen: Was kamet Ihr unter dem Deckmantel friedlicher Gesandten hierher und erregt Fehde in unsern ruhigen Besitzungen, stürmt eine Feste, erschlagt die Besatzung und tötet deren Befehlshaber, den edlen Ritter von Hagenbach? Was begingt Ihr also Handlungen, die dem Völkerrechte zuwiderlaufen und in vollem Maße die Strafe verdienen, die Euch mit Recht angedroht ward, die jedoch, wie ich hoffe, unser gnädiger Landesfürst Euch schenken wird, so Ihr geziemend Genugtuung für so arge Verletzungen bietet?«

»Ihr seid ein Priester, ehrwürdiger Herr,« sagte Rudolf von Donnersberg, indem er den Kanzler von Burgund anredete. »Findet sich in dieser Versammlung ein Krieger, der Eure Anklage vertreten will, so fordere ich ihn Mann gegen Mann zum Kampfe. Wir stürmten die Feste La Ferette nicht. – Wir wurden friedlich eingelassen, dort aber augenblicklich von den Reisigen des Hagenbachers umringt, offenbar in der Absicht, uns zu überfallen und zu erschlagen. Wäre es geschehen, Ihr hättet, traun! von mehr Erschlagenen als von uns gehört. Allein Aufruhr brach aus unter den Insassen des Ortes, einige Nachbarn, denen die Bedrückung und das rohe Wesen Archibalds von Hagenbach längst verhaßt war, halfen mit. Wir leisteten den Anstürmenden keinen Beistand, kamen aber auch dem Hagenbacher nicht zu Hilfe, der bereit gewesen war, das Aergste an uns zu tun. Archibald von Hagenbach starb, es ist wahr, auf einem Blutgerüst, und mit Vergnügen sah ich ihn sterben! jedoch es geschah unter dem Spruch eines Gerichts, das in Westfalen und den Grenzgauen diesseits des Rheins für gültig anerkannt wird. Ich bin nicht gehalten, ein solches Verfahren zu rechtfertigen! allein ich meine, den Urteilsspruch hat Hagenbach durch Willkür, Grausamkeit und schändlichen Mißbrauch der ihm verliehenen Macht sattsam verdient. All das will ich gegen jeden, der mir widerspricht, mit diesem meinem Leibe vertreten. Und hier liegt mein Handschuh!«

Mit kühner Gebärde schleuderte der Schweizer den Handschuh seiner rechten Hand auf den Boden. Gemäß dem Geiste des Jahrhunderts und der allgemeinen Vorliebe für edle Waffentat, entstand eine allgemeine Bewegung unter den burgundischen Jünglingen, und mehr denn sechs oder acht Handschuhe wurden hastig von anwesenden jungen Rittern und zwar von den entfernter Stehenden über die Köpfe der Vordern hingeworfen, wobei ein jeder seinen Stand und Namen laut ausrief. – »Ich nehme es mit allen auf!« rief der kecke junge Schweizer, indem er die um ihn herum hinklatschenden Handschuhe aufhob. »Mehr, Ihr Herren, mehr! Einen Handschuh für jeden Finger! Kommt heran, einer nach dem andern – offene Schranken, biedere Kampfrichter, Gefecht zu Fuß und mit doppelgriffigen Schwertern, so werd' ich einem Schock von Euch stehen.«

»Haltet ein, Ihr Herren, haltet ein!« sagte der Herzog, geschmeichelt und besänftigt durch den Eifer, der für seine Sache an den Tag gelegt wurde. Auch gefiel ihm die riesige Tapferkeit, die der Herausforderer mit einer dem Herzoge selber eigenen Kühnheit gezeigt hatte: »Halt, befehl ich Euch allen! – Herold, sammle die Handschuhe und gib sie den Eigentümern zurück. Gott und der heilige Georg mögen verhüten, daß wir das Leben auch nur des Letzten unserer Edlen gegen einen Schurken wagen sollten, wie dieser Schweizer Bauer einer ist, der nimmer einen Gaul bestieg und von ritterlichem Wesen keinen Dunst hat! – Bringt Euer pöbelhaftes Gebrüll anderswohin, junger Recke, und wißt, daß Eure offenen Schranken nur der Markt Morimont und der Einzige, mit dem Ihr zu kämpfen hättet, der Henker sein müßte! Und Euch, die Ihr diesen Polterer das Wort unter Euch führen laßt, vor allem Dich, Du weißbärtiger Alter dort, Dich frage ich, ob keiner unter Euch ist, der Eure Botschaft in Worten ausrichten kann, die für das Ohr eines Monarchen passen?«

»Gott sei Dank!« sagte der Landammann, indem er vortrat, und Rudolf von Donnersberg Schweigen gebot, der abermals eine kecke Antwort auf den Lippen trug. – »Gott sei Dank, edler Herzog! wir wissen so zu sprechen, daß Eure Hoheit uns verstehen wird, zumal wir, wie ich hoffe, die Sprache der Wahrheit, des Friedens und der Gerechtigkeit führen. Was mich betrifft, so kann ich mit Wahrheit sagen, daß ich es zuvor aus freier Wahl vorzog, als Landmann und Jäger auf den Alpen von Unterwalden zu leben und zu sterben, daß ich aber doch von Geburt auf das Recht Anspruch erheben darf, vor Herzogen und Königen, ja vor dem Kaiser selber zu reden. Es ist, mein Herzog, keiner hier in dieser stolzen Versammlung, der edleren Stammes wäre, als die Freiherren von Geierstein.«

»Wir haben von Euch gehört,« sagte der Herzog. »Die Leute nennen Euch den Bauerngrafen. Eure Geburt ist für Euch nur eine Schmach, nachdem Ihr freiwillig ein Leibeigener wurdet.« – »Kein Leibeigener, Herr,« antwortete der Landammann, »sondern ein Freisasse, der weder andere knechten, noch sich von andern knechten lassen will. Doch will ich mich durch Stachelrede nicht aus der Gelassenheit reißen lassen, die notwendig ist, um gehörig zu vertreten, was meine Landsleute mir aufgetragen haben. Die Bewohner der eisigen, unwirtlichen Alpen begehren, mächtiger Herr, in Frieden zu bleiben mit allen ihren Nachbarn, und ihrer selbstgewählten Verfassung sich zu erfreuen, da diese sich am besten für ihren Stand und ihre Sitten eignet. Vornehmlich wünschen sie in Eintracht mit dem fürstlichen Hause Burgund zu bleiben, dessen Besitzungen auf so manchen Punkten die Schweizer Grenzen berühren. Sie wünschen Eintracht, ja sie bitten sogar darum, mein hoher Herr! Zum Beweise dafür, Herr Herzog, erblicke ich, der ich nimmer das Knie beugte, als nur vor dem Ewigen im Himmel, keine Entwürdigung darin, vor Eurer Hoheit zu knien!«

Die ganze Versammlung, der Herzog selbst, war ergriffen, von der edlen, stattlichen Weise, in der der wackere Greis, offenbar frei von knechtischem Sinn und aller Furcht, das Knie beugte. – »Steht auf, Herr!« sagte Karl. »So wir etwas gesagt haben, was Euer persönliches Gefühl verletzen könnte, so nehmen wir es ebenso öffentlich zurück, wie wir es aussprachen, und sind bereit, Euch als einen Gesandten anzuhören, der es ehrlich meint.« – »Dank dafür, mein hochedler Herr, und ich werde den heutigen Tag segnen, so ich Worte finde, würdig der Sache, die ich zu vertreten habe. Hoher Herr, das Blatt, das ich in Eure Hand lege, erläutert die Unbill, die uns von den Bevollmächtigten Eurer Hoheit sowie von denen des Grafen Raymund von Savoyen, Eures getreuen Bundesgenossen, angetan worden sind. Als unabhängiges Volk können wir solcherlei Schmach nicht länger dulden, und wir sind entschlossen, unsere Unabhängigkeit zu wahren, oder in Verteidigung unserer Rechte zu sterben. Und was wird folgen müssen, wenn Eure Hoheit nicht den Friedensworten, deren Ueberbringer ich bin, Gehör verleiht? Krieg – Krieg auf völligen Untergang; denn so lange ein einziger unserer Eidgenossenschaft eine Hellebarde schwingen kann, so lange wird, wenn dieser böse Zwist einmal begann – Fehde sein zwischen Euren machtbegabten Reichen und unsern armen, ackerlosen Ländern. Und was kann der edle Herzog von Burgund in solchem Kampfe gewinnen? Reichtum und Beute? Ach, hoher Herr, auf dem Zaumzeug Eurer Leibwache ist mehr Gold und Silber als in den öffentlichen Schatzkammern und den Privatschatullen unserer gesamten Eidgenossenschaft. Ruhm? Den kann eine zahlreiche in Eisen gehüllte Heeresmacht im Kampf gegen mangelhaft bewaffnete Landleute und Hirten kaum gewinnen. – Wenn aber der Herr der Heerscharen der schwächeren Partei zum Siege verhilft, so überlasse ich es Eurer Hoheit zu entscheiden, wie sehr in solchem Falle Euer Ruhm, Eure Ehre verlieren würde. Wollt Ihr Eure Besitzungen und die Zahl Eurer Untertanen vermehren, indem Ihr uns befehdet? Wisset, daß wir in den wildesten, unnahbarsten Gegenden Zuflucht suchen, bis auf den letzten Mann Widerstand leisten und in den Eiswüsten der Gletscher den Tod erwarten würden. Ja, wir wollen, Männer, Weiber und Kinder, samt und sonders lieber untergehen, als daß wir freien Schweizer jemals einen ausländischen Herrn als den unserigen anerkennen!«

Die Rede des Landammannes machte einen merklichen Eindruck auf die Versammlung. Der Herzog gewahrte das, und der ihm innewohnende Trotz entfachte sich an der allgemeinen Stimmung zu Gunsten des Gesandten. – Er antwortete mit finsteren Brauen, indem er den Greis, der noch weitersprechen wollte, unterbrach: »Ihr schließt falsch, Herr Graf, oder Herr Landammann, oder mit welchen Namen Ihr Euch nennen mögt, wenn Ihr glaubt, wir befehden Euch aus Beutegier oder Ruhmsucht. Wir wissen ebensowohl wie Ihr, daß wir weder Vorteil noch Ruhm ernten können, wenn wir Euch besiegen. Alle Herrscher, denen der Himmel die Macht verliehen hat, müssen mindestens hin und wieder eine Rotte von Räubern vertilgen, obwohl es entehrend ist, das Schwert des Ritters mit ihnen zu kreuzen. So auch jagen wir eine Herde Wölfe zu Tode, wenngleich ihr Fleisch nur Aas und ihr Fell zu nichts nütz ist.« – Der Landammann schüttelte das greise Haupt und versetzte, ohne innere Bewegung zu verraten, ja sogar mit einem leisen Lächeln: »Ich bin ein älterer Weidmann als Ihr, Herr Herzog, und vielleicht erfahrener. Auch dem kühnsten, verwegensten Jäger kommt es übel an, dem Wolfe in seine Schlupfwinkel nachzujagen. Laßt mich Euch sagen, wozu wir bereit sind, um uns einen aufrichtigen, dauernden Frieden mit unserm mächtigen Nachbarn in Burgund zu sichern. Euer Erlaucht steht im Begriff, Lothringen zu vergrößern, und es ist zu erwarten, daß unter Euch Burgunds Macht sich bis an die Küsten des Mittelmeeres erstrecken werde, – seid Ihr nun unser edler Freund und getreuer Bundesgenoß, so werden unsere von siegesgewissen Streitern besetzten Berge Euch ein Bollwerk gegen Deutschland und Italien sein. Ja, was noch mehr ist, was mein letztes, stolzestes Anerbieten ist, wir wollen dreitausend unserer Jünglinge senden, um Euer Hoheit Beistand zu leisten in jeglichem Kriegszuge, den Ihr unternehmen möget, sei es nun gegen Ludwig von Frankreich oder gegen den Kaiser von Deutschland!«

»Herr Landammann,« versetzte der Herzog kalt, »wir haben Euch offen angehört. Wir haben Euch gehört, obwohl Ihr hierher vor unser Angesicht gekommen seid, die Hände mit dem Blute unseres Vogtes, des Ritters Archibald von Hagenbach, befleckt. Denn angenommen, er wurde von einer hinterlistigen Verbrüderung hingerichtet – die, beim St. Georg! solange wir leben und regieren nie ihr pestilenzialisches Haupt in den Gauen diesseits des Rheins erheben soll! – so ist doch nicht zu leugnen, daß Ihr dabei standet und den Meuchlern zu ihrer Untat Vorschub leistetet. Kehrt heim in Eure Berge und dankt Gott, daß Ihr mit heiler Haut heimkehrt! Sagt denen, die Euch sendeten, daß ich sofort an ihren Grenzen stehen werde! Eine Gesandtschaft, aus der Mitte Eurer angesehensten Bürger gewählt, mag mir entgegenkommen, den Strick um den Hals, eine Fackel in der Linken und das Schwert bei der Spitze gefaßt! Dann werde ich geruhen, Euch den Frieden zu den Bedingungen, die mir belieben, zu diktieren!«

»So lebe denn wohl, Friede, und willkommen du, Krieg!« sagte Arnold Biedermann, »alle Plagen und Flüche dieser Fehde mögen auf die Häupter derer fallen, die lieber Blut und Kampf als Ruhe und Eintracht wählten! Karl von Burgund, Flandern und Lothringen, Herzog von sieben Herzogtümern und Graf von siebzehn Grafschaften! Ich erkläre Euch Fehde im Namen der verbündeten Kantone und aller derer, die sich denselben noch anschließen. Hier,« rief er, »ist mein Absagebrief!«

Der Herold nahm aus den Händen des Arnold Biedermann das verhängnisvolle Blatt. – »Lest es nicht!« sagte der hochfahrende Herzog. »Der Henker mag's am Schweife seines Pferdes durch die Straßen ziehen und dann an den Galgen nageln, damit alle Welt erfahre, wie wir eine elende Schrift und deren Ueberbringer behandeln. Hinweg mit Euch! so schnell Eure Füße Euch tragen! Treffen wir uns wieder, so sollt Ihr verspüren, wen Ihr beleidigt habt. – Mein Pferd! Die Sitzung ist aufgehoben.«

Als alles sich in Bewegung setzte, die Halle zu verlassen, näherte sich der Maire von Dijon abermals dem Herzoge und äußerte voller Scheu die Hoffnung, Seine Hoheit wolle huldreichst teilnehmen an einem Bankett, das die Ortsobrigkeit ihm zu Ehren veranstalte. »Nein, beim St. Georg von Burgund, Herr Maire,« rief Karl mit stechendem Blicke, »Euer Frühstück hat uns nicht so gefallen, daß es uns noch nach einem Mittagsschmaus bei Euch gelüstete!« – Mit diesen Worten drehte er dem betroffenen Bürgermeister den Rücken, bestieg seinen Hengst und ritt zurück in sein Lager, Als er sich unterwegs mit seinen Offizieren besprach, zu denen sich Philippson gesellte, ritt plötzlich der Kanzler von Burgund in großer Eile heran: »Herr,« sprach er, »soeben sind Nachrichten über Frankreich und England eingetroffen. Ludwig und Eduard sind völlig einig.« Sowohl der Herzog als auch Philippson erstaunte.

»Ich erwartete das,« sprach Karl, »jedoch nicht so schnell. Was haben sie abgemacht? Wo überwintert das englische Heer? Welche Städte, Festungen und Schlösser sind ihnen als Unterpfand oder zum dauernden Besitz eingeräumt worden?«

»Die englische Armee kehrt in die Heimat zurück,« versetzte der Kanzler, »und zwar so schnell die Ueberfahrt bewerkstelligt werden kann; und Ludwig versieht sie dabei mit allen Segeln und Rudern, die in seinen Staaten zu finden sind, damit sie Frankreich so schnell wie möglich räumen können.« – »Und durch welche Abtretungen hat Ludwig einen seinen Angelegenheiten so notwendigen Frieden erkauft?« – »Durch schöne Worte,« sagte der Kanzler, »durch reiche Geschenke und durch fünfhundert und etliche Tonnen Weins.« – »Wein!« rief der Herzog, »hörtest Du jemals dergleichen, Sir Philippson? Traun, Deine Landsleute sind kaum besser denn Esau, der seine Erstgeburt für ein Linsengericht verkaufte! Fürwahr, ich muß gestehen, ich habe noch keinen Engländer gekannt, der einen Handel mit trocknem Munde abgeschlossen hätte.«

»Ich kann diese Nachricht kaum glauben,« sagte der Graf von Oxford. »Wenn dieser Eduard sich auch damit begnügte, die Seefahrt gemacht zu haben, bloß um mit fünfzigtausend Engländern ruhig zurückzukehren, so sind in seinem Lager stolze Edelleute und hochfahrende Krieger, die sich seinem schmachvollen Vorhaben sicher widersetzen würden.«

»Das Geld Ludwigs,« sagte der Minister, »hat edle Hände gefunden, die es willig hinnahmen. Der französische Wein hat alle Kehlen des englischen Heeres überschwemmt, – der Lärm und Aufruhr waren zügellos, und das Gefühl für ihre Nationalehre ist in dem allgemeinen Jubel verloren gegangen, und diejenigen unter ihnen, die sich würdevoller und als weise Staatsklügler zeigen möchten, erklären, man hätte wohl weise und ritterlich gehandelt, weil man bei dieser Jahreszeit doch keine Quartiere hätte finden können. Nur hätte man noch Tribut von Frankreich fordern müssen, um wenigstens im Triumphe heimzukehren.« – »Und dem König Ludwig,« setzte Oxford hinzu, »volle Freiheit zu lassen, ungestört Burgund mit allen seinen Streitkräften anzugreifen.« –»Nicht so, Freund Philippson,« sagte der Herzog, »wisse, daß zwischen Burgund und Frankreich ein Waffenstillstand für sieben aufeinander folgende Jahre obwaltet, und wäre dieser nicht bewilligt und verbrieft worden, so möchten wir wahrscheinlich Mittel gefunden haben, den Vertrag zwischen England und Frankreich zu vereiteln, selbst wenn es darauf angekommen wäre, den gefräßigen Insulanern Rindfleisch und Bier während der Wintermonate zu reichen. – Herr Kanzler, Ihr mögt uns verlassen, jedoch bleibt in der Nähe, daß Ihr schnell zu haben seid!«

Als der Erzbischof das Zelt verließ, ging der Herzog, der mit seinem schroffen und herrschsüchtigen Charakter viele Herzensgüte verband, die man wohl Großmut nennen konnte, auf den Grafen Oxford zu, der wie vom Donner gerührt dastand. »Mein armer Oxford,« sprach er, »Du bist erstarrt über die Kunde, die wohl Deiner Ansicht nach, dem Plane nachteilig ist, den Deine wackere Seele mit so inniger Hingebung hegt. Ich hätte um Deinetwillen das englische Heer längere Zeit in Frankreich zurückhalten mögen; allein hätte ich versucht, dies zu tun, so wäre es mit dem Waffenstillstand zwischen Ludwig und mir zu Ende und es mir folglich nicht mehr möglich gewesen, diese lumpigen Kantone zu züchtigen und eine Kriegerschar nach England zu schicken. Wie die Sachen jetzt stehen, gib mir nur eine Woche Frist, die Schweizer zu strafen, und Du sollst eine größere Streitmacht erhalten, als Deine Bescheidenheit sie von mir begehrte. Fürchte nichts! verlasse Dich auf meinen Beistand, – vorausgesetzt, wohl verstanden, daß es mit der Abtretung der Provence seine Richtigkeit hat. Wir wollen alles so schleunig wie möglich betreiben. Unsere Mannschaft erhält Befehl, diesen Abend noch gegen Welsch-Neuenburg aufzubrechen, wo die hochmütigen Schweizer ein Pröbchen von Feuer und Schwert bekommen sollen!«

Oxford seufzte schwer, machte jedoch keine ferneren Vorstellungen. Hierin tat er sehr weise, denn er wußte, daß er nur des Herzogs leicht erregten Zorn entfacht, sonst aber nichts erreicht hätte.


 << zurück weiter >>