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Zweiunddreißigstes Kapitel

Denn völlig bin ich damit einverstanden,
Den König seiner Pracht hier zu entkleiden,
Den Stolz herabzudrücken und aus Herren
Sklaven zu machen, Bauern aus den Großen
Und Unterthanen aus den stolzen Fürsten.

Shakespeare's Richard II.

Am nächsten Tag fand ein ernsthafter Auftritt statt. Der König René hatte nicht versäumt, die Vergnügungen des Tages anzuordnen, als zu seinem Schrecken und Verdruß Margarethe eine Unterredung über wichtige Geschäfte verlangte. Wenn es in der Welt einen Vorschlag gab, welchen René aus voller Seele verabscheute, so war es der, in welchem das Wort Geschäft vorkam.

»Was war es, was sein Kind wollte?« fragte er sich, »Geld?« Er wollte ihr geben, was sich in der Kasse vorfand, obgleich er sich gestand, daß sein Schatz etwas entblöst wäre. Doch hatte er sein vierteljähriges Einkommen erhalten, zehntausend Kronen. Wie viel wünschte sie, daß man ihr ausbezahlte? Die Hälfte – drei Viertel – oder das Ganze? Alles stand ihr zu Diensten.

»Ach, mein theurer Vater,« sagte Margarethe, »es sind nicht meine, sondern Eure eigenen Angelegenheiten, von denen ich mit Euch zu sprechen wünsche.«

»Wenn es Sachen sind, welche mich betreffen,« versetzte König Rene, »so steht es mir gewiß frei, sie aus einen andern – aus einen trüben Regentag zu verschieben, der zu nichts Besserem gut ist. Sieh', meine Liebe, die Falkner sitzen schon zu Pferde und sind bereit – die Rosse wiehern und stampfen – die Herren und Frauenzimmer sind auch ausgestiegen und haben schon die Falken auf der Faust, die Hunde werden ungeduldig an der Leine. Es wäre eine Sünde, bei so günstigem Wind und Welter den lieblichen Morgen zu verlieren.«

»Laßt sie ihres Weges reiten,« entgegnete Margarethe, »und ihrer Jagd nachgehen; denn bei dem Gegenstand, von dem ich zu reden habe, handelt es sich von der Ehre und dem Rang, von dem Leben und den Mitteln des Unterhalts.«

»Ja, ich habe aber Calezon und Johann von Aigues-Mortes, die zwei berühmtesten Troubadours, anzuhören und zwischen ihnen zu entscheiden.«

»Verschiebt ihren Streit bis morgen,« erwiderte Margarethe, »und verwendet eine oder zwei Stunden auf dringendere Angelegenheiten.«

»Wenn du darauf bestehst,« versetzte der König René, so weißt du wohl, mein Kind, daß ich nicht Nein sagen kann.«

Und mit innerem Widerstreben gab er den Falknern Befehle, abzugehen und ihre Jagd zu verfolgen, da er sie heute nicht begleiten könnte.

Der alte König ließ sich hierauf, wie ein Windspiel, das man gegen seinen Willen von der Jagd abhält, in ein besonderes Gemach führen. Um jede Störung zu verhindern, ließ Margarethe ihren Schreiber Mordaunt und Arthur im Vorzimmer, und gab ihnen den Befehl, Niemand hereinzulassen.

»Wenn es sein muß, Margarethe,« sagte der gutmüthige, alte Mann, »so will ich mich dazu verstehen, zu Haus zu bleiben; aber warum den alten Mordaunt von einem Spazierritt an diesem schönen Morgen abhalten? Und warum soll der junge Arthur nicht mit den Andern fortgehen? Ich kann dich versichern, er hat, obgleich sie ihn den Weltweisen nennen, doch letzte Nacht mit der jungen Gräfin von Boisgelin ein so leichtes Paar Fersen gezeigt, als irgend ein Edelmann in der Provence.«

»Sie sind aus einem Lande,« sagte Margarethe, »in welchem die Männer von Kindheit auf dazu angehalten werden, die Pflicht ihrem Vergnügen vorzuziehen.«

Der König sah, als er in das Berathungszimmer gelangte, mit innerem Schauder den verhängnißvollen, silberbeschlagenen Schrank von Ebenholz, welcher noch nie geöffnet worden war, ohne ihm die tödtlichste Langeweile zu machen. Mit Kummer berechnete er, wie oft er würde gähnen müssen, bis er den Inhalt desselben untersucht hätte. Als dieser aber vor ihm lag, erregte er seine Theilnahme, war sie gleich schmerzlicher Art.

Seine Tochter legte ihm eine kurze und deutliche Uebersicht der Schulden vor, die auf seinen Besitzungen hafteten, und für welche verschiedene Stücke der letzteren verpfändet waren. Sodann zeigte sie ihm auf einem anderen Zettel die großen Forderungen, deren augenblickliche Bezahlung verlangt wurde, zu deren Tilgung aber keine Gelder aufgebracht oder angewiesen werden konnten. Der König vertheidigte sich in seiner verzweifelten Lage, wie es viele Andere gethan haben würden. Auf jede Forderung von sechs-, sieben- oder achttausend Dukaten behauptete er, er habe zehntausend Kronen in seinem Kasten, und ließ sich nur mit Widerstreben, nur nach wiederholten Vorstellungen überführen, daß diese Summen nicht hinreichen, um den dreißigfachen Betrag zu entrichten.

»Nun,« rief der König etwas ungeduldig, »warum denn nicht die bezahlen, die am meisten darauf dringen, und die Andern warten lassen, bis wieder Etwas eingeht?«

»Das ist ein Verfahren, zu dem man schon zu oft seine Zuflucht genommen hat,« versetzte die Königin, »und schon die Rechtschaffenheit erfordert, daß man Gläubiger bezahlt, welche Euer Gnaden ihr ganzes Vermögen vorgeschossen haben.«

»Aber sind wir denn nicht,« sagte René, »König von beiden Sicilien, von Neapel, von Aragonien und Jerusalem? Und warum sollte man den Monarchen solcher schönen Reiche auf's Aeußerste treiben, wie einen bankbrüchigen Freisaßen, und das wegen ein paar Säcke voll lumpiger Kronen?«

»Ihr seid freilich König dieser Reiche,« sagte Margarethe; »aber es ist nothwendig, Euer Gnaden daran zu erinnern, daß Ihr das gerade seid, wie ich Königin von England bin, wo ich nicht eine Hufe Land besitze und keinen Pfennig Einkünfte zu erheben habe. Ihr habt keine Besitzungen, um ein Einkommen daraus zu ziehen, als die, welche Ihr auf diesem Verzeichniß mit einer genauen Angabe dessen, was sie abwerfen, finden könnt. Es reicht nicht aus, wie Ihr seht, um standesgemäß zu leben, und den großen Verpflichtungen nachzukommen, die Ihr gegen frühere Darleiher eingegangen.«

»Es ist grausam, mich so zu quälen,« sagte der arme König. »Was kann ich machen? Wenn ich arm bin, so bin ich nicht schuld daran. Gewiß würde ich die Schulden zahlen, von denen du sprichst, wenn ich wüßte, wie ich es machen sollte.«

»Königlicher Vater, ich will Euch das sagen. – Verzichtet auf eine leere und unnütze Würde, die durch die Anforderungen, mit welchen sie verbunden ist, nur dazu dient, Euer Elend lächerlich zu machen. Entsaget Euren Rechten als Fürst, und die Einkünfte, welche für die gehaltlosen Ausschweifungen eines Hofes voll Bettler nicht ausreichen, werden Euch in Stand setzen, als einfacher Edelmann in Ruhe und Wohlstand alle Vergnügungen zu genießen, die Euch Freude machen.«

»Margarethe, du sprichst thörichtes Zeug,« antwortete René mit Ernst. »Ein König und sein Volk sind mit einander durch Bande verknüpft, welche keines von Beiden ohne Würde lösen kann. Meine Unterthanen sind meine Heerde und ich bin ihr Hirte; der Himmel hat sie meiner Leitung vertraut, und ich wage nicht, der Pflicht mich zu entschlagen, die mir gebietet, sie zu schützen.«

»Wäret Ihr im Stande, das zu thun,« erwiderte Margarethe, »so würde ich Euch bitten, bis zum Tode dafür zu kämpfen. Aber ziehet den lange nicht gebrauchten Harnisch an – besteigt Euer Kriegsroß – ruft René und Provence! und seht zu, ob sich hundert Männer um Eure Fahne sammeln. Eure Besten sind in den Händen von Fremden; Ihr habt kein Heer; Eure Vasallen mögen guten Willen besitzen, aber es fehlt ihnen an aller kriegerischen Erfahrung und an Uebung im Felde. Ihr behauptet nichts mehr als das bloße Gerippe eines Staats, welchen Frankreich oder Burgund niederwerfen können, sobald der Eine oder der Andere sich die Mühe nehmen will, die Hand nach ihm auszustrecken.«

Reichliche Thränen flossen dem alten König über die Wangen, als diese wenig schmeichelhafte Aussicht vor ihm eröffnet ward. Er konnte sich selbst nicht verbergen, daß er durchaus nicht im Stande sei, sich und sein Land zu vertheidigen; er mußte zugeben, daß er oft an die Nothwendigkeit gedacht, mit einem seiner mächtigen Nachbarn sich wegen seiner Thronentsagung in Unterhandlungen einzulassen.

»Dein Interesse, Margarethe, so unfreundlich und hart du bist, war es, welches mich bis jetzt abhielt, zu Maßregeln zu schreiten, die meinem Gefühl schmerzlich, aber vielleicht am besten auf meinen Vortheil berechnet sind. Ich hegte die Hoffnung, mich halten zu können, so lange ich lebe. Und dann dachte ich, du würdest mit den Talenten, welche dir der Himmel verliehen, Mittel finden, um dem Unglück zu entgehen, dem ich mich nur dadurch entziehen kann, daß ich mir die Gedanken daran fern halte.«

»Wenn Ihr ernstlich von meinem Vortheil sprecht,« sagte die Königin, »so wißt, daß Ihr durch eine Verzichtleistung auf die Provence den eifrigsten und fast einzigen Wunsch befriedigen würdet, welchen mein Herz nährt. Aber, der Himmel sei mein Zeuge, um Euretwillen sowohl, gnädiger Herr, als meinetwegen rathe ich Euch, mir zu willfahren.«

»Sag' nichts mehr davon, Kind; gib mir das Pergament mit der Verzichtleistung, und ich will es unterzeichnen: ich sehe, du hast sie schon ausgefertigt; laß uns unterschreiben und dann wollen wir den Jägern nacheilen. Wir müssen das Mißgeschick ertragen; aber es ist gar nicht nöthig, daß wir uns hinsetzen und darüber weinen.«

»Fraget Ihr nicht,« sagte Margarethe, überrascht von seiner Theilnahmlosigkeit, »wem Ihr Eure Besitzungen abtretet?«

»Was nützt es,« antwortete der König, »da sie nicht mehr mein eigen sein sollen? Entweder muß es Karl von Burgund sein oder mein Neffe Ludwig – beides mächtige und staatskluge Fürsten. Gott gebe, daß mein armes Volk keine Ursache hat, den alten Mann zurückzuwünschen, dessen einzige Freude es war, dasselbe glücklich und froh zu machen.«

»An Burgund überlasset Ihr die Provence,« versetzte Margarethe.

»Ich würde ihn vorgezogen haben,« erwiderte René; »er ist heftig, aber nicht bösartig. Noch ein Wort, – sind die Vorrechte und Freiheiten meiner Unterthanen völlig sicher gestellt?«

»Vollkommen,« entgegnete die Königin; »und für Eure eigenen Bedürfnisse jeder Art ist in ehrenhafter Weise gesorgt. Ich wollte die Bestimmungen darüber nicht dem Herzog von Burgund freistellen, obgleich ich mich vielleicht auf ihn hätte verlassen können, soweit es das Geld allein betrifft.«

»Ich verlange nichts für mich – mit seiner Geige und seinem Pinsel wird René, der Troubadour, so glücklich sein, als René, der König.«

Bei diesen Worten fing der praktische Philosoph den Schluß des zuletzt von ihm verfaßten Liedchens zu pfeifen an, und unterzeichnete die Entsagung auf den Rest seiner königlichen Besitzungen, ohne den Handschuh abzuziehen oder nur die Urkunde zu lesen.

»Was ist das?« fragte er mit einem Blick auf ein anderes Pergament von viel kürzerem Inhalt. »Verlangt mein Vetter Karl auch noch Sicilien, Katalonien, Neapel und Jerusalem zu den ärmlichen Ueberbleibseln der Provence? Ich meine, des Anstands wegen hätte man für Abtretung eines so ausgedehnten Gebiets ein größeres Stück Pergament nehmen können.«

»Diese Schrift,« erwiderte Margarethe, »besagt blos, daß Ihr Euch von aller Unterstützung Ferrands von Vaudemont bei seinem unbesonnenen Unternehmen auf Lothringen lossaget, daß Ihr ihn nicht anerkennt und jeden Streit über die Sache gegen Karl von Burgund aufgebet.«

Dießmal hatte sich Margarethe in der nachgiebigen Gemüthsart ihres Vaters verrechnet. René fuhr wirklich auf, wechselte die Farbe und unterbrach sie mit vor Erregung stockender Stimme – »blos nicht anerkennen – blos im Stich lassen – blos die Sache meines Enkels aufgeben, des Sohnes meiner theuren Jolantha – seine rechtmäßigen Ansprüche auf das Erbtheil seiner Mutter! – Margarethe, ich schäme mich für dich. Dein Stolz dient deinem bösen Herzen zur Ausrede; aber was ist der Stolz werth, der sich zu einer Handlung schmählicher Gemeinheit erniedrigt? Verlassen, ja verläugnen soll ich mein eigen Fleisch und Blut, weil der Jüngling als kühner Ritter zu Felde liegt, und entschlossen ist, um sein Recht zu kämpfen. – Ich verdiente, daß Harfe und Horn meine Schande ausposaunten, wenn ich dir Gehör gäbe.«

Margarethe wurde durch den unerwarteten Widerstand des alten Mannes einigermaßen aus der Fassung gebracht. Sie versuchte indessen zu beweisen, daß, vom Standpunkt der Ehre aus betrachtet, keine Veranlassung vorhanden sei, warum sich René in das Treiben eines tollen Abenteurers verwickeln sollte, dessen Recht, ob es nun darum gut oder schlimm stehe, blos durch unbedeutende und geheime Geldvorschüsse von Frankreich und durch die Waffen einiger unruhiger Banditen in der Höhe gehalten werde, welche die Gränzen aller Länder beunruhigten. Aber ehe König René eine Antwort geben konnte, ließen sich ungewöhnlich laute Stimmen in dem Vorzimmer hören. Die Thüre desselben wurde von einem geharnischten, mit Staub bedeckten Ritter aufgerissen, dessen Aeußeres ankündigte, daß er weit herkäme.

»Hier bin ich,« sagte er, »Vater meiner Mutter – seht Euren Enkel – Ferrand von Vaudemont; der Sohn Eurer verlorenen Jolantha kniet zu Euren Füßen, und bittet um Euern Segen für sich und sein Vorhaben.«

»Du hast ihn,« erwiderte René, »und möge er dir Glück bringen, tapferer Junge, Ebenbild deiner seligen Mutter – mein Segen, mein Gebet, meine Hoffnung geleite dich!«

»Und Ihr, schöne Tante von England,« fuhr der junge Ritter, gegen Margarethe gewendet, fort, »Ihr, die Ihr durch Verräther aus Eurem Eigenthum vertrieben seid, wollt Ihr Euch nicht für die Sache eines Vetters erklären, der für sein Erbe kämpft?«

»Ich wünsche Euch alles Gute, freundlicher Neffe,« antwortete die Königin von England; »obgleich Eure Züge mir fremd sind. Aber es wäre eine gottlose Thorheit, diesem alten Manne zu rathen, er solle sich Eurer Sache annehmen, da sie in aller klugen Leute Augen verzweifelt ist.«

»Ist denn meine Sache verzweifelt?« fragte Ferrand; »verzeiht mir, das habe ich nicht gewußt. Und das sagt meine Tante Margarethe, deren Seelenstärke Lancaster so lange aufrecht erhielt, nachdem der Muth seiner Krieger in so vielen Niederlagen untergegangen war? Was – vergebt mir, denn meine Sache muß ich vertheidigen – was würdet Ihr gesagt haben, wenn meine Mutter Jolantha im Stande gewesen wäre, ihrem Vater zu rathen, er solle sich von Eurem Eduard lossagen, falls Gott ihm verstattet hätte, die Provence wohlbehalten zu erreichen?«

»Eduard,« antwortete Margarethe, und weinte beim Sprechen, »war unfähig zu wünschen, seine Freunde sollten sich in einen Streit einlassen, bei dem kein günstiger Erfolg zu hoffen stand. Auch war sein Handel von der Art, daß mächtige Fürsten und Barone die Lanzen dafür einlegten.«

»Doch hat sie der Himmel nicht gesegnet,« sagte Vaudemont.

»Die Eure wird blos von deutschen Raubrittern unterstützt, von den aufgeblasenen Bürgern in den Städten am Rhein und von den elenden, bäurischen Eidgenossen in den Kantonen.«

»Aber der Himmel hat sie gesegnet,« versetzte Vaudemont. »Wißt, stolze Frau, daß ich komme, zwischen Eure verrätherischen Ränke zu treten; nicht als niedriger Abenteurer, der den Krieg mehr mit List als Gewalt führt, sondern als Sieger von einem blutigen Schlachtfelde, auf welchem der Himmel den Stolz des Tyrannen von Burgund gedemüthigt hat.«

»Das ist falsch!« sagte die Königin zitternd. »Ich glaube es nicht.«

»Es ist wahr,« entgegnete Vaudemont, »so wahr als der Himmel über uns ist. – Es sind jetzt vier Tage, daß ich das Feld von Granson verließ, wo die burgundischen Söldner in Haufen liegen – sein Reichthum, seine Juwelen, sein Silbergeschirr, seine prächtigen Schmucksachen sind die Beute der armen Schweizer geworden, die kaum den Werth derselben zu bestimmen vermögen. Kennt Ihr das, Königin Margarethe?« fuhr der junge Krieger fort, und zeigte das wohlbekannte Kleinod, welches des Herzogs Orden vom goldenen Vließ geschmückt hatte; »glaubt Ihr nicht, daß der Löwe tüchtig gejagt wurde, da er solche Trophäen, wie diese, hinter sich ließ?«

Margarethe blickte mit starren Augen und verwirrten Gedanken auf ein Zeichen, welches die Niederlage des Herzogs und das Erlöschen ihrer letzten Hoffnungen bestätigte. Ihr Vater dagegen war gerührt über den Heldenmuth des jungen Kriegers, eine Eigenschaft, welche, wie er fürchtete, in seiner Familie verloren gegangen war, außer bei seiner Tochter Margarethe. Er bewunderte den Jüngling, der sich um des Ruhmes willen der Gefahr aussetzte, fast eben so sehr, als die Dichter, welche den Krieger unsterblich machen; er drückte seinen Enkel an die Brust, forderte ihn auf, »sein Schwert umzugürten in Kraft«, und versicherte ihn, wenn Geld seinen Angelegenheiten dienlich sein könnte, so hätte er, König René, über zehntausend Kronen zu verfügen, und ein Theil davon oder das Ganze stände zu Ferrands Befehl. Damit bewies er, was man ihm nachsagte, nämlich, daß sein Kopf unvermögend war, zwei Vorstellungen auf einmal zu fassen.

Wir kehren zu Arthur zurück, der mit Mordaunt, dem Sekretär der Königin von England, durch den Eintritt des Grafen von Vaudemont nicht wenig überrascht worden war. Dieser hatte sich als den Herzog von Lothringen in dem Vorzimmer angekündigt, wo sie eine Art Wache hielten, und ihm war ein großer, starker Schweizer mit einer mächtigen Hellebarde auf der Schulter gefolgt. Als sich der Prinz nannte, hielt es Arthur nicht für ziemlich, sich seinem Eintritt zu seinem Großvater und seiner Tante zu widersetzen, besonders da ihm einleuchtete, daß er hiedurch einen Streit herbeiführen würde. In dem großen, verdutzten Hellebardier, der verständig genug war, im Vorzimmer zurückzubleiben, war Arthur nicht wenig überrascht, Siegmund Biedermann zu erkennen, der ihn eine Weile betroffen anstarrte, dann wie ein Hund, der plötzlich seinen Liebling wieder sieht, mit einem Freudenschrei auf den jungen Engländer zustürzte und ihm sagte, wie glücklich er sei, ihn zu treffen, und wie er ihm noch Wichtiges zu sagen habe. Es war für Siegmund nie etwas Leichtes, seine Begriffe zu ordnen, und jetzt waren sie durch die triumphirende Freude völlig in Verwirrung gerathen, welche ihm der neuerliche Sieg seiner Landsleute über den Herzog von Burgund einflößte. Mit Verwunderung hörte Arthur aus seine unordentliche und ungeschmückte, aber wahrheitsgetreue Erzählung.

»Seht Ihr, König Arthur, der Herzog war mit seiner gewaltigen Armee bis nach Granson gekommen, welches nahe am Ende des großen Neufchateler-See's liegt. Es lagen fünf- oder sechshundert Eidgenossen darin und hielten es, bis es an Mundvorrath fehlte; dann, wißt Ihr, waren sie gezwungen, es zu übergeben. Aber obgleich der Hunger schwer zu ertragen ist, hätten sie doch besser gethan, ihn noch einen oder zwei Tage länger auszuhalten, denn der Schlächter Karl ließ sie Alle an Bäumen um den Platz her aufhängen. Und Ihr wißt, nach einer solchen Behandlung gab es für sie nichts mehr zu schlucken. Mittlerweile war auf unseren Bergen Alles in Bewegung, und jeder Mann, der eine Lanze oder Schwert besaß, richtete es her. Wir vereinigten uns zu Neufchatel, und einige Deutsche stießen mit dem edeln Herzog von Lothringen zu uns. Ach, König Arthur, das ist ein Anführer! – wir Alle halten ihn für den zweiten nach Rudolph von Donnerhügel – Ihr habt ihn erst kürzlich gesehen – der war's, der in das Zimmer hereinkam – und Ihr habt ihn zuvor schon gesehen – es war der blaue Ritter von Basel; aber wir hießen ihn damals Lorenz, denn Rudolph, sagte unser Vater, dürfe nichts davon erfahren, daß er da sei, und ich wußte damals selber noch nicht wer er war. Gut, als wir nach Neufchatel kamen, bildeten wir eine hübsche Schaar; wir waren unser fünfzehntausend tüchtige Eidgenossen, und die andern, die Deutschen und Lothringer, beliefen sich, wollt' ich wetten, auf mehr als fünftausend. Wir hörten, die Burgunder ständen sechzigtausend Mann stark im Feld, aber zugleich erfuhren wir auch, daß Karl unsere Brüder wie Hunde hatte hängen lassen, und es war kein Mann unter uns – unter den Eidgenossen meine ich – der sich damit aufgehalten hätte, die Köpfe zu zählen, als es sich davon handelte, sie zu rächen. Ich wollte, Ihr hättet können das Geschrei der fünfzehntausend Schweizer hören, die verlangten gegen den Schlächter ihrer Brüder geführt zu werden! Mein Vater selbst, der, wie Ihr wißt, gewöhnlich so eifrig am Frieden hängt, stimmte jetzt zuerst für die Schlacht. So zogen wir im Morgengrauen am See gegen Granson hinunter, Thränen in den Augen und Waffen in den Händen, zum Tod oder zur Rache entschlossen. Wir gelangten zu einer Art von Engpaß zwischen Vauxmoureux und dem See; da stand die Reiterei auf der Ebene zwischen Gebirg und See, und eine starke Abtheilung Fußvolk an der Seite des Bergs. Der Herzog von Lothringen und seine Begleiter ließen sich mit den Reitern ein, während wir den Berg erstiegen, um das Fußvolk zu vertreiben. Die Sache war im Augenblick im Reinen. Jeder von uns ist in den Felsen zu Hause, und Karls Leute blieben in denselben gerade so stecken wie du, Arthur, da du nach Geierstein kamst. Aber es gab da keine freundlichen Mädchen, welche die Hände ausstreckten, ihnen herunterzuhelfen. Nein, nein – da gab es Piken, Kolben und Hellebarden, und das in hübscher Anzahl, um sie hinabzustoßen und von Stellen zu verjagen, wo sie kaum auf den Füßen stehen konnten, wenn auch Niemand gekommen wäre, sie zu stören. Die Reiter wurden von den Lothringern gedrängt, und flohen so schnell als sie ihre Rosse tragen konnten, da sie uns in ihrer Flanke sahen. Dann rückten wir wieder zusammen gegen eine schöne Ebene, eine buon campagna, wie die Italiener sagen, wo die Berge vom See zurücktreten. Aber kaum hatten wir unsere Reihen geordnet, als wir ein solches Getöse und Geräusch von Instrumenten, ein solches Getrampel ihrer großen Pferde, ein solches Rufen und Schreien von Menschen hörten, als ob alle Söldner und alle Minstrels in Frankreich und Deutschland mit einander stritten, wer den ärgsten Lärm zu machen im Stande wäre. Dann kam eine mächtige Staubwolle auf uns zu, und wir fingen an einzusehen, wir müßten handeln oder sterben, denn Karl und seine ganze Armee zog heran, seinen Vortrab zu unterstützen. Ein Windstoß vom Gebirge zerstreute den Staub, denn sie hatten Halt gemacht, um sich zur Schlacht zu rüsten. O, guter Arthur! du hättest zehn Jahre von deinem Leben gegeben, blos um das mit anzusehen. Da hielten tausende von Reitern, alle in vollständiger Rüstung, die in der Sonne erglänzte; hunderte von Rittern mit goldenen und silbernen Kronen an den Helmen, dann dichte Haufen von Lanzenträgern zu Fuß, und Kanonen wie man sie heißt. Ich wußte nicht, was das für Maschinen wären, die sie mit Mühe durch Ochsen herbeiführen ließen und vor dem Heere aufstellten; aber ich erfuhr mehr von ihnen, ehe der Morgen vorüber war. Gut, wir bekamen Befehl, ein Viereck zu bilden, wie man es uns bei den Uebungen gelehrt, und ehe wir uns in Bewegung setzten, hieß man uns, wie es frommer Brauch und Weise in unseren Feldzügen ist, niederknieen, und Gott, die heilige Jungfrau und die gepriesenen Heiligen anrufen. Hinterdrein erfuhren wir, Karl habe in seinem Uebermuth gemeint, wir bäten um Gnade – ha! ha! ha! ein schöner Spaß. Wenn mein Vater einmal vor ihm gekniet hat, so that er es um Christenbluts und Gott wohlgefälligen Friedens willen; aber auf dem Schlachtfeld hätte sich Arnold Biedermann nicht vor ihm und seiner ganzen Ritterschaft auf die Kniee niedergeworfen, wäre er auch allein mit seinen Söhnen dagestanden. Gut, aber Karl, der glaubte, wir bitten um Schonung, war entschlossen, uns zu zeigen, daß wir sie von einem unerbittlichen Sieger erflehten, und rief: schießt mit meinen Kanonen auf die feigen Sklaven, das ist alle Gnade, die sie von mir zu erwarten haben! – Bang – bang – bang – los gingen die Dinger, von denen ich dir gesagt, wie Donner und Blitz. Sie richteten auch einigen Schaden an, aber um so weniger, weil wir auf den Knieen lagen; die Heiligen machten ohne Zweifel, daß die mächtigen Kugeln über die Häupter derer hinflogen, die ihre Gnade erflehten, nicht aber die sterblichen Geschöpfe. So bekamen wir ein Zeichen, aufzustehen und vorzurücken, und ich versichere dich, es waren keine Lässigen unter uns. Jeder Mann fühlte sich so stark als zehn. Meine Hellebarde ist kein Kinder-Spielzeug – wenn du sie vergessen hast, hier ist sie – und doch zitterte sie in meiner Faust, als wäre sie eine Weidenruthe, mit der man Kühe austreibt. Weiter gingen wir, als plötzlich die Kanonen schwiegen und die Erde von einem dumpfen und anhaltenden Geräusch erdröhnte, wie unterirdischer Donner. Es waren die Reisigen, die heranstürzten, uns anzugreifen. Aber unsere Führer verstanden ihr Geschäft und hatten so Etwas schon mehr gesehen – es hieß: Halt, halt – kniet nieder vorne, bückt euch in der zweiten Reihe, schließt Schulter an Schulter, wie Brüder, neiget alle Spieße vorwärts und empfanget sie wie eine eiserne Mauer! Sie rennten heran, und da gab es ein Lanzenbrechen, daß die alten Weiber in Unterwalden mit Holzspähnen für ein ganzes Jahr versehen gewesen wären. Niederstürzten gewappnete Rosse, niederfielen die Reiter in ihren Rüstungen, niedersanken die Banner und Bannerträger, am Boden lagen spitzige Stiefel und gekrönte Helme, und von denen die fielen, kam nicht ein Mann mit dem Leben davon. So zogen sie sich in Unordnung zurück und wollten sich zu neuem Angriff ordnen, als der edle Herzog Ferrand und seine Reiter sich ihnen entgegenwarfen. Auch wir setzten uns in Bewegung, um ihnen zu helfen; wir stürmten immer weiter, und das Fußvolk wagte kaum uns zu erwarten, nachdem es gesehen, wie wir mit der Reiterei umgesprungen waren. Da hättest du den Staub sehen und die Hiebe hören sollen! Der Lärm von hunderttausend Dreschern und das Fliegen der Spreu, die sie um sich her jagen, gäbe nur ein schwaches Bild davon. Bei meinem Wort, ich hielt es fast für eine Schande, meine Hellebarde zu schwingen, so ohne Widerstand und erbärmlich ging der Rückzug vor sich. Hunderte wurden erschlagen, ohne sich zu wehren und die ganze Armee war in vollständiger Flucht.«

»Mein Vater, – mein Vater!« rief Arthur, »was kann bei einer solchen Schlächterei aus ihm geworden sein?«

»Er entrann glücklich,« sagte der Schweizer; »floh mit Karl.«

»Das Feld muß blutig gewesen sein, ehe er die Flucht ergriff,« versetzte der Engländer.

»Ei,« antwortete Sigmund; »er nahm keinen Theil am Gefecht, sondern blieb nur bei Karl. Gefangene haben ausgesagt, das sei ein Glück für uns gewesen, denn er sei eben so verständig im Rath, als unerschrocken im Kampf. Und was das Fliehen betrifft, so muß ein Mann rückwärts gehen, wenn er nicht vorwärts kann, und dabei ist keine Schande, besonders wenn man selber Nichts mit dem Streit zu thun hat.«

Als er dieß gesagt, wurde die Unterredung durch Mordaunt unterbrochen, der zu ihnen sagte: »Still, still – die Königin kommt.«

»Was soll ich thun?« fragte Siegmund in einiger Unruhe. »Ich bin nicht besorgt wegen des Herzogs von Lothringen; aber was muß ich thun, wenn Könige und Königinnen hereinkommen?«

»Du brauchst nichts zu thun, als aufzustehen, die Mütze abzuziehen und zu schweigen.«

Siegmund that, wie man ihn geheißen.

König René trat Arm in Arm mit seinem Enkel herein, und Margarethe folgte. Kummer und Verdruß waren auf ihrer Stirne zu lesen. Sie gab Arthur im Vorbeigehen ein Zeichen und sagte zu ihm: »Erkundige dich genau nach dem Thatbestand dieser unerwarteten Neuigkeiten, und theile mir die Einzelnheiten davon mit. Mordaunt wird dich zu mir lassen.«

Sie warf sodann einen Blick auf den jungen Schweizer und erwiderte höflich seinen linkischen Gruß. Die königliche Gesellschaft verließ das Zimmer, René in der Absicht seinen Enkel auf die unterbrochene Jagdpartie zu führen; – Margarethe, um die Einsamkeit ihres Zimmers aufzusuchen und die Bestätigung dessen abzuwarten, was sie als erdichtete Nachrichten betrachtete.

Kaum waren sie vorbei, als Siegmund bemerkte: – »Und das ist ein König und eine Königin! Pest! – Der König sieht fast aus wie der alte Giacomo, der Geiger, der uns gewöhnlich Etwas auf seiner Fiedel vorkratzt, wenn er auf seinen Fahrten nach Geierstein kommt. Aber die Königin ist eine stattliche Frau. Die erste Kuh von einer Heerde, welche die Sträußer und Kränze trägt und die anderen auf die Alpen führt, hat keinen stolzeren Gang. Und wie gewandt du zu ihr getreten bist und mit ihr gesprochen hast! Ich hätte das nicht mit so viel Anstand thun können – aber du hast wohl das Geschäft eines Hofmanns gelernt?«

»Laß das für jetzt, guter Siegmund,« antwortete Arthur, »und erzähle mir noch mehr von der Schlacht.«

»Bei der heiligen Maria, ich muß zuerst etwas zu essen und zu trinken haben,« sagte Siegmund; »wenn dein Einfluß in diesem schönen Hause so weit geht, daß du mir Etwas verschaffen kannst.«

»Ohne Zweifel, Siegmund,« antwortete Arthur; und durch Mordaunts Vermittlung verschaffte er dem jungen Biedermann in einem entfernteren Zimmer eine Mahlzeit und Wein. Der Schweizer that beiden große Ehre an; er schmatzte mit den Lippen, da er die köstlichen Weine versuchte, an die er, seines Vaters strengen Vorschriften zum Trotz, sich ordentlich zu gewöhnen angefangen hatte. Als er sich mit einer Flasche Côte-rôtie, mit Backwerk und seinem Freund Arthur allein fand, war es leicht ihn zur Fortsetzung seines Siegesberichtes zu bringen.

»Gut, – wo bin ich geblieben – oh, da wo wir in ihr Fußvolk einbrachen – gut – sie sammelten sich nicht wieder und geriethen bei jedem Schritt in größere Unordnung. – Wir hätten die Hälfte von ihnen niedermachen können, wenn wir uns nicht bei der Besichtigung von Karls Lager aufgehalten hätten. Gnädiger Himmel, Arthur, was war das für ein Anblick! Jedes Zelt war gefüllt mit reichen Kleidern, prächtigen Rüstungen und großen Schüsseln und Flaschen, von denen einige Leute sagten, sie wären von Silber. Aber ich weiß, es gibt nicht so viel Silber auf der Welt, und bin überzeugt, daß sie nur aus gut polirtem Zinn bestanden. Da gab es Haufen von betreßten Lakaien und Pagen, und so vielen Dienern als Söldner beim Heere waren; und Tausende von hübschen Mädchen, ich wußte nicht zu was. Bediente und Mädchen stellten sich zur Verfügung der Sieger, und ich versichere Euch, daß mein Vater sich äußerst streng zeigte gegen Jeden, der das Kriegsrecht mißbrauchen wollte. Aber einige von unsern jungen Leuten horchten nicht auf ihn, bis er sie mit seiner Hellebarde Gehorsam lehrte. Ach, Arthur, das war ein hübsches Plündern; die Deutschen und Franzosen, die bei uns waren, nahmen Alles weg, und einige von den Unsrigen folgten ihrem Beispiel – es ist ordentlich ansteckend. – So ging ich in Karls eigenes Zelt, von dem Rudolph und einige seiner Leute Jedermann abzuhalten suchten, ich denke, um für sich zu behalten, was sich darin vorfand. Aber weder er, noch irgend ein anderer Berner wagten, mir den Knüttel auf den Kopf zu schlagen; so trat ich denn hinein und sah sie Stöße von zinnernen Tellern, die so stark glänzten, daß sie von Silber zu sein schienen, in Kisten und Körbe zusammenpacken. Ich drängte mich durch sie in den innern Theil, wo Karls Bett stand; – ich will ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen, es war das einzige harte in seinem Lager – da lagen auch glänzende Steine und Kiesel, untermischt mit Handschuhen, Stiefeln, Armschienen und solcherlei Dingen – da dachte ich an dich und deinen Vater, und suchte nach Etwas für euch, als ich meinen alten Freund da erblickte,« (hier zog er das Halsband der Königin Margarethe aus der Tasche) »ich erkannte es gleich, denn du erinnerst dich, daß ich es dem Scharfrichter von La Ferrette abgenommen habe.« – »Oho, ihr hübschen Funkler,« sagte ich, »ihr sollt nicht länger burgundisch sein, sondern zu meinen wackeren englischen Freunden zurückkehren. Und darum« –

»Es ist von unermeßlichem Werthe,« sagte Arthur, »und gehört weder meinem Vater, noch mir, sondern der Königin, die du eben gesehen.«

»Und es wird ihr sehr gut stehen,« antwortete Siegmund. »Wenn sie nur zwanzig oder dreißig Jahre jünger wäre, so gäbe sie ein wackeres Weib für einen Schweizer Gutsbesitzer. Ich wollte dafür stehen, daß sie ihre Haushaltung in der besten Ordnung hielte.«

»Sie wird dich freigebig dafür belohnen, daß du ihr Eigenthum wieder beigeschafft hast,« sagte Arthur, und unterdrückte mit Mühe ein Lächeln, bei der Vorstellung, daß die stolze Margarethe die Hauswirthin eines Schweizer Schäfers werden sollte.

»Was – Belohnung!« sagte der Schweizer. »Bedenk doch, ich bin Siegmund Biedermann, der Sohn des Landammanns von Unterwalden – und kein gemeiner Lanzknecht, der sich für eine Gefälligkeit mit Piastern bezahlen läßt. Wenn sie mir ein freundliches Wort des Dankes sagt, oder einen Kuß verstattet, bin ich wohl zufrieden.«

»Einen Kuß auf ihre Hand vielleicht,« versetzte Arthur, und mußte abermals über die Einfalt seines Freundes lachen.

»Hm, auf die Hand! Nun, es mag gelten bei einer Königin von etlichen fünfzig Jahren und darüber, wäre aber eine armselige Huldigung für eine Maienkönigin.«

Hier brachte Arthur den Jüngling wieder auf die Schlacht zurück und erfuhr, daß das Gemetzel im Heere des Herzogs während der Flucht viel geringer gewesen war als während des Treffens.

»Viele retteten sich zu Pferde,« sagte Siegmund; »und unsere deutschen Reiter warfen sich auf die Beute, statt das Wild zu verfolgen. Und übrigens hielt, die Wahrheit zu sagen, Karls Lager uns selbst auch von der Verfolgung ab. Wären wir aber eine halbe Meile weiter gegangen, und hätten wir unsere Freunde an den Bäumen hängen gesehen, so würde gewiß kein Eidgenosse von der Jagd zurückgeblieben sein, so lang ihn die Füße zur Verfolgung hätten tragen können.«

»Und was ist aus dem Herzog geworden?«

»Karl hat sich nach Burgund zurückgezogen, wie ein Eber, der die Spitze eines Spießes gefühlt hat, und ist mehr wüthend als verletzt. Aber sie sagen, er sei traurig und schweigsam. Andere berichten, er habe seine zerstreute Armee gesammelt und ungeheuere Streitkräfte noch dazu, und seine Unterthanen habe er gezwungen, ihm Geld zu geben, so daß wir einen zweiten Angriff erwarten dürfen. Aber das ganze Schweizerland wird nach einem solchen Siege zu uns stehen.«

»Und mein Vater ist bei ihm?« fragte Arthur.

»Freilich, und er hat in recht frommer Weise versucht, einen Frieden mit meinem Vater einzuleiten. Aber es will damit nicht recht gehen. Karl ist so erboßt als je; und unsere Landsleute sind ganz stolz auf ihren Sieg, und haben ein Recht dazu. Indessen predigt mein Vater immer und immer, solche Siege und solche große Reichthümer werden unsere alten Sitten verändern, und der Ackersmann werde seine Arbeit verlassen, um Soldat zu werden. Er spricht viel davon; aber warum Geld, gutes Essen und Wein und schöne Kleider so viel Unheil anrichten sollten, das will mir nicht in den Kopf – und vielen Köpfen, die besser sind als der meine, will es auch nicht einleuchten. – Deine Gesundheit, Freund Arthur! – Das ist ein feines Getränk.«

»Und was veranlaßt dich und deinen General, den Prinzen Ferrand, nach Aix zu kommen?« fragte der junge Engländer.

»Meiner Treu! du bist selber die Ursache unserer Reise.«

»Ich?« rief Arthur. »Warum, wie kann das sein?«

»Warum? Man sagt, du und die Königin Margarethe dringet in den alten geigenden König René, daß er sein Land an Karl von Burgund abtrete und sich von Ferrand bei seinen Ansprüchen auf Lothringen lossage. Und der Herzog von Lothringen hat einen Mann abgeschickt – du kennst ihn nicht, wohl aber Einige aus seiner Familie, und er weiß mehr von dir als du von ihm – um eine Speiche in Euer Rad zu stecken und zu verhindern, daß Ihr die Grafschaft Provence an Karl bringet, oder daß Ihr Ferrand in seinen angeborenen Rechten auf Lothringen störet und ihm Etwas in den Weg leget.«

»Bei meinem Worte, Siegmund, ich kann dich nicht fassen,« sagte Arthur.

»Nun,« versetzte der Schweizer. »Mir ist ein hartes Loos gefallen. Unser ganzes Haus sagt, ich könne nichts begreifen, und jetzt wird es nächstens heißen, Niemand könne mich verstehen. – Nun, um es deutlich zu sagen, ich rede von meinem Oheim, dem Grafen Albert von Geierstein, wie er sich selber nennt, meines Vaters Bruder.«

»Dem Vater Anna's von Geierstein?« rief Arthur.

»Ei freilich, ich dachte wohl, wir würden ein Zeichen finden, woran du ihn erkennen müßtest.«

»Aber ich habe ihn noch nie gesehen.«

»Ei, ja wohl hast du das – er ist ein geschickter Mann, und weiß mehr von anderer Leute Angelegenheiten, als diese selbst. Ja, er hat nicht umsonst die Tochter eines Salamanders geheirathet!«

»Pah, Siegmund, wie kannst du den Unsinn glauben?« antwortete Arthur.

»Rudolph hat mir gesagt, daß du in jener Nacht auf Grafslust eben so gut irre geworden bist, als ich selbst,« erwiderte der Schweizer.

»In diesem Fall bin ich wirklich ein großer Esel gewesen,« versetzte Arthur.

»Nun, aber dieser mein Oheim hat einige von den alten Büchern zum Geisterbeschwören aus der Arnheimer Sammlung genommen, und man sagt, er könne sich mit übermenschlicher Schnelligkeit von einem Ort zum andern versetzen; er werde bei seinen Entwürfen durch Rathgeber unterstützt, die mächtiger seien, als bloße Menschen. So geschickt und hochbegabt er indessen ist, so bringen ihm seine Künste, haben sie nun einen erlaubten oder unerlaubten Ursprung, nie einen bleibenden Vortheil. Er steckt ewig in Streitigkeiten und Gefahren.«

»Ich weiß wenig Näheres aus seinem Leben,« sagte Arthur, und verbarg, so gut er konnte, seinen ängstlichen Wunsch, mehr von ihm zu hören; »aber ich habe vernommen, daß er die Schweiz verließ, um sich an den Kaiser anzuschließen.«

»Recht,« gab der junge Schweizer zur Antwort, »und die junge Freiin von Arnheim heirathete; aber nachgehends gerieth er in Ungnade bei meinem kaiserlichen Namensbruder, und eben so auch bei dem Herzog von Oesterreich. Es heißt, man könne nicht in Rom sein und mit dem Pabst in Streit leben. So hielt es mein Oheim für das Beste, über den Rhein zu gehen und sich an den Hof Karls zu begeben, der bereitwillig die Edelleute aus allen Ländern aufnahm, wenn sie nur wohlklingende Namen führten, und diesen der Titel Graf, Markgraf, Freiherr oder dergleichen vorausging. Mein Oheim wurde daher auf's Freundlichste empfangen, aber seit einem oder zwei Jahren hat die ganze Freundschaft aufgehört. Der Oheim Albert erlangte großen Einfluß bei einigen geheimen Gesellschaften, deren Bestehen Karl mißbilligte. Darum ward er so böse auf meinen armen Oheim, daß dieser sich genöthigt sah, die Weihe zu nehmen und sich eine Glatze scheeren zu lassen, um nicht den Kopf zu verlieren. Aber, ob er sich gleich das Haar abschneiden ließ, blieb doch sein Kopf so geschäftig, wie immer. Und wenn ihm der Herzog schon die Freiheit gelassen hat, so findet er ihn doch so oft auf seinem Weg, daß Jedermann der Ansicht ist, er warte bloß einen Vorwand ab, um ihn greifen und hinrichten zu lassen. Aber mein Oheim behauptet, er fürchte Karl nicht, und wenn dieser gleich Herzog sei, so habe er doch mehr Ursache zur Furcht vor ihm, als er vor dem Fürsten. – Uebrigens hast du ja gesehen, wie keck er seine Rolle zu La Ferrette spielte.«

»Beim heiligen Georg von Windsor!« rief Arthur, »der schwarze Priester an der Sankt Pauls-Kirche?«

»Ja, ja! jetzt verstehst du mich. Nun, er behauptete, Karl würde nicht wagen, ihn für seinen Antheil an der Hinrichtung Hagenbachs zu strafen. Und wirklich ist ihm auch nichts geschehen, obgleich Oheim Albert auf dem burgundischen Landtage saß und mitstimmte, und sie Alle aufstiftete, so gut er konnte, dem Herzog das Geld zu verweigern, was er von ihnen begehrte. Als aber der Schweizerkrieg ausgebrochen war, merkte Oheim Albert, daß ihm sein Stand als Geistlicher nicht länger Schutz gewähre, und daß der Herzog die Absicht habe, ihn anzuklagen, als wäre er mit seinem Bruder und seinen Landsleuten im Einverständniß gewesen. So erschien er plötzlich in Ferrands Lager zu Neufchatel und sandte Botschaft an Karl, worin er diesem den Lehenseid aufkündigte und ihm die Fehde ansagte.«

»Seltsame Geschichte! Was für ein thätiger und gewandter Mann!« rief der junge Engländer.

»O, du kannst die ganze Welt durchsuchen ohne einen Mann zu finden, wie Oheim Albert. Dann weiß er Alles; und er hat dem Herzog Ferrand gesagt, daß du hier wärest, und sich erboten, bestimmtere Nachricht zu bringen. Ob er gleich das Lager der Schweizer nur fünf oder sechs Tage vor der Schlacht verließ, und die Entfernung zwischen Arles und Neufchatel volle achtzig Stunden beträgt, trafen wir ihn doch schon auf dem Rückweg, als der Herzog Ferrand und ich, der ich ihm den Weg zeigte, hierhereilten, nachdem wir uns von der Schlacht weg auf den Weg gemacht.«

»Ihr habt ihn getroffen!« sagte Arthur – »Wen? – Den schwarzen Priester von der St. Paulskirche?«

»Ei freilich,« versetzte Siegmund; »aber er war als Karmelitermönch gekleidet.«

»Als Karmeliter?« rief Arthur, und ein plötzliches Licht ging ihm auf; »und ich konnte so blind sein, seine Dienste der Königin zu empfehlen! Ich erinnere mich wohl, daß er sein Gesicht tief in seine Kaputze versteckt hielt – und ich Dummkopf, so plump in die Falle zu gehen! – Indessen ist es vielleicht besser, daß die Unterhandlungen unterbrochen wurden; denn wenn Alles glücklich durchgeführt worden wäre, so fürchte ich, hätte doch Alles durch diese erstaunliche Niederlage vereitelt werden müssen.«

So weit war ihre Unterredung vorangeschritten, als Mordaunt erschien und Arthur aufforderte, in das Gemach seiner königlichen Gebieterin zu kommen. In diesem fröhlichen Palast bildete ein düsteres Zimmer, von dessen Fenstern aus man einen Theil der Trümmer des römischen Gebäudes sehen und sonst nichts erschauen konnte, als gebrochene Mauern und wankende Säulen, den Aufenthalt, welchen sich Margarethe gewählt. Sie empfing Arthur mit einer Güte, die um so rührender wurde, als sie aus einem so stolzen und hochmüthigen Geist entsproß, aus einem Herzen, das so viel Unglück ertragen hatte und dasselbe lebhaft empfand.

»Ach, armer Arthur!« sagte sie, »dein Leben fängt gerade an, wie das deines Vaters zu endigen droht, mit vergeblichen Anstrengungen, um ein sinkendes Fahrzeug zu retten. Durch das gewaltige Leck stürzt das Wasser schneller herein, als daß menschliche Kraft es ausladen oder erleichtern könnte. Alles – Alles geht verkehrt, womit unsere unglückliche Sache in Verbindung tritt. Stärke wird Schwäche, Klugheit Unsinn, und der Muth Feigheit. Der Herzog von Burgund, der bisher in allen seinen kühnen Unternehmungen glücklich gewesen, hat kaum einen Augenblick sich mit dem Gedanken getragen, Lancaster Hülfe zu bringen, da muß er sein Schwert durch den Flegel eines Bauern zerbrochen sehen; sein wohlgeübtes Heer, das man für das schönste in der Welt hielt, flieht wie Spreu vor dem Winde, und was man bei ihm erbeutet, wird von abtrünnigen, deutschen Miethlingen und rohen Alpenschäfern getheilt. – Was hast du noch von diesem seltsamen Ereigniß erfahren?«

»Wenig, gnädige Frau, was Ihr nicht gehört habt. Das Schlimmste, was dazukommt, ist, daß die Schlacht mit schmählicher Feigheit geschlagen wurde, und völlig verloren ging, während alle Aussicht vorhanden war, sie zu gewinnen: – das Beste, daß die burgundische Armee eher zerstreut, als vernichtet, daß der Herzog selbst entronnen ist, und seine Macht in Oberburgund wieder sammelt.«

»Um eine neue Niederlage zu erleiden oder sich in einen langwierigen und zweifelhaften Kampf einzulassen, der seinem Rufe so nachtheilig ist, als die Niederlage selbst. Wo ist dein Vater?«

»Bei dem Herzog, gnädige Frau; wie ich erfahren habe,« erwiderte Arthur.

»Begib dich eilig zu ihm und sag', ich mache es ihm zur Pflicht, für seine eigene Sicherheit zu sorgen, und nicht mehr an meine Angelegenheiten zu denken. Dieser letzte Schlag hat mir den Todesstoß gegeben – ich bin ohne Verbündete, ohne Freund, ohne Geld.« – –

»Nicht also, gnädige Frau,« versetzte Arthur. »Eine Laune des Glücks hat Euer Gnaden dieses unschätzbare Ueberbleibsel von Eurem Eigenthum zurückgebracht.« – Hierbei zog er das kostbare Halsband hervor und erzählte, wie es wieder aufgefunden worden war.

»Ich bin erfreut über den Zufall, der mir diese Diamanten wieder verschafft,« sagte die Königin, »damit ich wenigstens im Punkte der Dankbarkeit nicht völlig bankbrüchig werde. Bring' sie deinem Vater – sag' ihm, daß es mit meinen Entwürfen vorüber, und daß mein Herz endlich gebrochen sei, nachdem es so lange die Hoffnung festgehalten. – Sag' ihm, der Schmuck sei sein Eigenthum, und zu seinem eigenen Vortheil solle er ihn anwenden. Er ist ein ärmlicher Ersatz für die schöne Grafschaft Oxford, die er im Kampf für die Sache der Unglücklichen verloren, welche ihn leistet.«

»Königliche Frau,« erwiderte der Jüngling, »seid versichert, mein Vater würde lieber seinen Lebensunterhalt als Schwarzreiter verdienen, denn Euch in Eurem Unglück zur Last fallen.«

»Er hat noch nie meinen Befehlen den Gehorsam verweigert,« sagte Margarethe, »und das ist der letzte, den ich ihm auferlege. Wenn er zu reich ist oder zu stolz, um von seiner Königin eine Wohlthat anzunehmen, so wird er arme Lancastrier genug finden, die weniger Mittel oder weniger Bedenklichkeiten haben.«

»Ich habe Euch noch einen Umstand mitzutheilen,« sagte Arthur, und erzählte die Geschichte Alberts von Geierstein und seine Verkleidung als Karmelitermönch.

»Bist du so thöricht,« antwortete die Königin, »zu glauben, daß dieser Mann bei seinen ehrgeizigen Planen und schnellen Reisen von einer übernatürlichen Macht unterstützt wird?«

»Nein, gnädige Frau – aber man flüstert sich zu, der Graf Albert von Geierstein oder der schwarze Priester von der St. Paulskirche sei eines der Häupter der geheimen Gesellschaften in Deutschland, welche von Fürsten gefürchtet werden, wenn ihnen dieselben gleich verhaßt sind. Denn ein Mann, dem hundert Dolche zu Gebot stehen, muß selbst Denen Furcht einjagen, die über tausend Schwerter gebieten.«

»Kann dieser Mensch,« sagte die Königin, »da er jetzt ein Geistlicher ist, eine Gewalt unter Denen ausüben, welche über Leben und Tod entscheiden? Das steht im Widerspruch mit den Kirchengesetzen.«

»Es scheint so, gnädige Frau; aber diese dunkeln Vorschriften weichen immer von dem ab, was offen in Ausübung kommt. Prälaten sind oft Vorsteher eines Vehmgerichts, und der Erzbischof von Köln übt das furchtbare Amt eines Oberhaupts derselben als Herzog von Westphalen, einem Lande, in welchem diese Verbindungen hauptsächlich im Ansehen stehen Der Erzbischof von Köln war das anerkannte Haupt aller Frei- oder Vehmgerichte in Westphahlen. Diese Gerechtsame wurde ihm im Jahr 1325 vom Kaiser Karl IV. zugewiesen, und von Wenzel durch eine neue Urkunde von 1382 bestätigt, in welcher der Erzbischof Großmeister oder Großrichter der Vehme genannt wird. Dieser Prälat und andere Priester wurden von Papst Bonifaz III. zu Ausübung eines solchen Amtes ermächtigt. In einem solchen Falle verlieh ihnen die Kirchenordnung das Recht, über Leben und Tod abzuurtheilen. D. V.. Solche Vorrechte knüpfen an den geheimen Einfluß der Häupter dieser finsteren Gesellschaften Etwas, was Denen wohl als übernatürlich erscheinen kann, die nicht unterrichtet sind von gewissen Umständen, über welche man sich scheut, offen zu reden.«

»Mag er ein Hexenmeister oder ein Meuchelmörder sein,« sagte die Königin, »ich bin ihm dankbar dafür, daß er dazu beigetragen, den Plan zu unterbrechen, nach welchem ich den alten Mann zur Verzichtleistung auf die Provence bewegen wollte. So wie die Sachen jetzt stehen, würde René dadurch seiner Besitzungen beraubt worden sein, und unser Entwurf zu einem Einfall in England wäre doch nicht gefördert gewesen. – Noch einmal, mache dich mit Tagesanbruch auf den Weg, kehre zu deinem Vater zurück, und sag' ihm, er solle für sich selber sorgen und nicht mehr an mich denken. Die Bretagne, wo der Erbe von Lancaster sich aufhält, wird der sicherste Zufluchtsort für die tapferen Anhänger desselben sein. Längs des Rheines treibt, wie es scheint, das unsichtbare Gericht auf beiden Ufern sein Wesen, und die Unschuld bietet keine Sicherheit vor demselben. Selbst hier könnte von dem Vertrag, den wir mit Burgund abschließen wollten, etwas verlauten, und die Provenzalen tragen so gut Dolche als Hirtenstäbe und Pfeifen. Aber ich höre, daß die Pferde eilig von der Jagdpartie zurückkehren; der alte, einfältige Mann hat die gewichtigen Vorgänge des Tages vergessen und kommt pfeifend die Treppe herauf. Nun, wir werden uns bald trennen, und meine Entfernung wird für ihn eine Erleichterung sein, wie ich glaube. Rüste dich zum Schmaus und Ball, zum Lärmen und Unsinn – überdieß zum Abschied von Aix mit dem frühen Morgen.«

Als Arthur so von der Königin entlassen war, ließ er es seine erste Sorge sein, Thiebold zu benachrichtigen, daß Alles für seine Abreise in Bereitschaft gehalten werden müsse. Dann machte er sich für die Vergnügungen des Abends zurecht. Er war vielleicht nicht so schwer ergriffen von dem Fehlschlagen seiner Unterhandlungen, daß er dem Trost keinen Eingang verstattet hätte, den diese Belustigungen boten. Ihn empörte insgeheim der Gedanke, daß der schlichte, alte König seiner Güter beraubt werden sollte, um einen Einfall in England möglich zu machen, bei welchem wenig Aussicht auf Erfolg sich zeigte, mochte er nun auch den Rechten seiner Tochter noch so viel Theilnahme widmen.

Wenn solche Gedanken Tadel verdienten, so blieb auch die Strafe dafür nicht aus. Obgleich nur wenige Personen wußten, wie vollständig die Ankunft des Herzogs von Lothringen und die Nachrichten, die er mitbrachte, die Plane der Königin Margarethe vereitelt hatten, so war es doch wohl bekannt, daß die Königin und ihre Schwester Jolantha sich nie sehr gut gewesen waren. Der junge Prinz fand sich daher an der Spitze einer zahlreichen Partei am Hofe seines Großvaters, welche das hochmüthige Betragen seiner Tante mißbilligte und nicht verbarg, wie sehr sie der beständigen Traurigkeit in den Blicken und Gesprächen derselben und der unverhüllten Verachtung müde war, welche die Königin gegen das kleinliche Treiben um sich her an den Tag legte. Ferrand war überdieß jung, hübsch, er kam eben als Sieger von einem Schlachtfelde, wo er ruhmvoll gekämpft und gegen alle Erwartung gesiegt hatte. Daß er daher der allgemeine Liebling wurde und Arthur Philipson als einen Anhänger der keineswegs beliebten Königin der Beachtung entzog, welche der Einfluß seiner Beschützerin ihm an einem früheren Abend verschafft, war blos eine natürliche Folge ihrer beiderseitigen Stellung. Aber es verletzte Arthurs Gefühl einigermaßen, als er seinen Freund Siegmund, den Einfältigen, wie ihn seine Brüder nannten, vom Wiederschein des Ruhms bestrahlt sah, welchen der Herzog Ferrand von Lothringen verbreitete. Dieser stellte den tapfern, jungen Schweizer allen anwesenden Frauenzimmern als den Grafen Siegmund von Geierstein vor. Durch seine Vorsorge hatte er seinem Begleiter einen Anzug verschafft, der etwas besser für eine derartige Gesellschaft paßte, als die ländliche Tracht des Grafen, sonst Siegmund Biedermann.

Eine Zeitlang gefällt alles Neue, was man unter die Leute bringt, wenn es sich auch durch sonst Nichts empfiehlt. Man kannte die Schweizer außer ihrer Heimath nur wenig, sprach aber viel von ihnen, und es galt für eine Empfehlung, diesem Lande anzugehören. Siegmunds Betragen war plump; eine Mischung von Unbeholfenheit und Rohheit nannte man hier Freimuth während des Augenblicks, in welchem er in Gunst stand. Er sprach schlecht Französisch und noch schlechter Italienisch – das verlieh Allem, was er sagte, Naivetät. Seine Glieder waren zu groß, um zierlich zu sein; sein Tanz, denn Graf Siegmund ermangelte nicht, zu tanzen, glich dem Hüpfen und Springen eines jungen Elephanten; aber selbst die schwarzäugige Gräfin, in deren Gunst Arthur am vergangenen Abend einige Fortschritte gemacht, zog solches den schönen Verhältnissen und anmuthigen Bewegungen des jungen Engländers vor. So wurde Arthur in Schatten gestellt, und erfuhr dieselbe Empfindung, welche später in Herrn Pepys aufstieg, da er seinen Camelott-Mantel zerriß, – der Schaden war nicht groß, aber unangenehm.

Dessen ungeachtet verging der Abend nicht, ohne ihn einigermaßen zu rächen. Es gibt Kunstwerke, deren Mängel man nicht sieht, bis man sie ungeschickterweise in ein zu starkes Licht stellt, und das war der Fall mit Siegmund, dem Einfältigen. Die launenhaften Provençalen fanden mit ihrem lebhaften Geiste bald heraus, wie langsam er begriff und wie äußerst gutmüthig er war, und belustigten sich auf seine Kosten mit spöttischen Artigkeiten und wohlverhüllten Scherzen. Wahrscheinlich wären sie hierin mit weniger Zartheit zu Werke gegangen, hätte der Schweizer nicht seine nie fehlende Hellebarde mit in den Tanzsaal gebracht. Ihr Gewicht, ihre Größe und Dicke bedeutete wenig Gutes für Jeden, den der Eigenthümer bei einem Spaß auf seine Kosten entdeckt hätte. Aber Siegmund richtete diese Nacht weiter keinen Schaden an, als daß er bei einem prächtigen Satz mit seinem ganzen Gewicht auf den niedlichen Fuß seiner schönen Tänzerin trat und diesen fast in Stücke zerquetschte.

Arthur hatte bisher im Laufe des Abends vermieden, nach der Königin Margarethe zu blicken, um ihre Gedanken nicht von dem Gang abzubringen, den sie genommen hatten, und sich nicht den Anschein zu geben, als bäte er sie um ihren Schutz. Aber es lag bei dem zuletzt erzählten Vorgang etwas so Spaßhaftes in der verdutzten Miene des ungeschickten Schweizers, daß er sich nicht enthalten konnte, verstohlen nach der Ecke hinzuschauen, wo der Staatssessel der Königin stand, um zu sehen, ob sie denselben bemerkte. Ihr Anblick fesselte aber im Augenblick seine ganze Aufmerksamkeit. Margarethens Kopf war auf den Stuhl zurückgelehnt, ihre Augen standen halb offen, ihre Züge waren verzogen und verzerrt, ihre Hände fest geschlossen. Die englische Ehrendame, die hinter ihr stand – alt, taub und fast blind, hatte nichts in der Haltung ihrer Gebieterin bemerkt, als die Zerstreuung und Gleichgültigkeit, mit welcher die Königin den Festlichkeiten des provençalischen Hofes, körperlich gegenwärtig und geistig abwesend, beizuwohnen pflegte. Als aber Arthur in großer Unruhe hinter den Sitz trat und ihre Aufmerksamkeit auf ihre Gebieterin lenkte, rief sie nach minutenlanger Untersuchung: »Heilige Mutter Gottes, die Königin ist todt!« Und so war es. Es schien, die letzte Lebensfaser in diesem stolzen und ehrgeizigen Geiste sei, wie sie selbst prophezeit, zugleich mit dem letzten Faden der politischen Hoffnung zerrissen.



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