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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Mein Blut war zu gelassen und zu kalt,
Unfähig sich bei solch' unwürd'gem Treiben
Zu regen. Das habt ihr herausgefunden
Und d'rum mißbraucht ihr schändlich meine Güte.

Heinrich IV.

Die Morgenröthe erweckte den verbannten Grafen von Oxford und seinen Sohn, und ihre ersten Strahlen zeigten sich kaum am östlichen Himmel, als ihr Wirth Colvin mit einem Diener eintrat, der ein paar Päcke trug, sie am Boden niederlegte und sich alsbald wieder entfernte. Des Herzogs Artillerie-General kündigte ihnen sodann an, daß er mit einem Auftrag von Seiten des Herzogs von Burgund komme.

»Seine Hoheit,« sagte er, »hat meinem jungen Herrn von Oxford vier starke Lanzenreiter geschickt, um ihn zu geleiten, eine wohlgefüllte Börse voll Gold für seine Ausgaben in Aix, so lange ihn seine Geschäfte daselbst zurückhalten werden; einen Beglaubigungsbrief an den König René, um seine Aufnahme zu sichern, und zwei vollständige Anzüge, wie sie für einen englischen Edelmann passen, der Zeuge der Festlichkeiten in der Provence zu sein wünscht, und an dessen Sicherheit der Herzog den innigsten Antheil zu nehmen geruht. Seine Hoheit empfiehlt ihm, seine anderen Geschäfte in jenem Lande, wenn er deren hat, mit Klugheit und Verschwiegenheit abzuthun. Der Herzog schickt ihm auch zwei Pferde zu seinem Gebrauch, einen Paß gehenden Zelter für die Reise, und ein starkes flandrisches Pferd mit einer Rüstung, falls er dessen bedürfte. Es wäre passend, wenn mein junger Herr die Kleider wechselte und sich mehr seinem Range gemäß anzöge. Seine Begleiter kennen den Weg und sind im Nothfall ermächtigt, im Namen des Herzogs jeden getreuen Burgunder zum Beistand aufzurufen. Ich habe nur noch hinzuzufügen, daß man ein um so günstigeres Vorzeichen einer glücklichen Fahrt darin sehen wird, je bälder der junge Mann sich auf den Weg macht.«

»Ich bin bereit, zu Pferde zu steigen, sobald ich mich anders angezogen habe,« antwortete Arthur.

»Und ich,« fügte sein Vater hinzu, »habe keine Lust, die geringste Zögerung in den Dienst zu bringen, dessen er sich zu entledigen hat. Weder er noch ich haben uns etwas Anderes zu sagen als: Gott sei mit dir! Wer kann sagen, wann oder wo wir uns wiedersehen?«

»Ich glaube,« sagte Colvin, »das wird von den Bewegungen des Herzogs abhängen, über welche vielleicht jetzt noch nichts bestimmt ist; aber Karl zählt darauf, daß Ihr bei ihm bleibet, gnädiger Herr, bis die Geschäfte, die Euch hierher geführt, vollständig beendigt sind. Ich habe Euch noch Etwas unter vier Augen zu sagen, wenn Euer Sohn abgereist ist.«

Während Colvin so mit dem Grafen sprach, benutzte Arthur, der bei der Ankunft des Erstern blos halb angekleidet gewesen war, die Dunkelheit in einer Ecke des Zeltes, um die einfachen Kleider, die für seinen Stand als vorgeblicher Kaufmann gepaßt hatten, gegen ein Reisegewand zu vertauschen, wie es einem jungen Mann von Stande am Hofe von Burgund zukam. Natürlicherweise griff Arthur nicht ohne eine Empfindung von Vergnügen nach einer seiner Geburt angemessenen Tracht, welche sich auch zufolge des Aeußeren für Niemand besser eignete, als für ihn. Mit noch größerer Freude aber, und so heimlich als möglich, warf er sich eine kleine goldene Kette um den Hals, und verbarg sie unter dem Kragen und den Falten seines Wammses. Sie war von zierlicher, maurischer Arbeit, wie man damals sagte, und er hatte sie in dem kleinen Päckchen gefunden, das ihm Anna von Geierstein aus Nachgiebigkeit gegen seine und vielleicht auch gegen ihre eigenen Gefühle beim Scheiden in die Hand gegeben. Die Kette wurde durch eine leichte Goldplatte zusammengehalten, und auf der einen Seite war mit einer Haarnadel oder mit einer Messerspitze in deutlichen, wenn auch feinen, Zügen eingegraben: Lebt wohl für immer! Auf der Kehrseite standen etwas undeutlicher die Worte: Denkt an A. von G.

Alle, welche dieses lesen, sind, waren oder werden verliebt sein, und es gibt daher Niemand, der nicht zu begreifen vermöchte, warum Arthur dieses Zeichen sorgfältig um den Hals hing, so daß die Inschrift gerade und unmittelbar auf seinem Herzen hing, und daß jeder Schlag desselben das Pfand seiner Liebe in Bewegung setzen mußte.

In wenigen Minuten hatte er seinen Anzug vollendet, und kniete vor seinem Vater, um seinen Segen und seine ferneren Aufträge nach Aix zu erbitten.

Fast tonlos segnete ihn sein Vater, und sagte dann mit wiedergewonnener Festigkeit: »Du weißt schon Alles, was dir für das Gelingen deiner Sendung nöthig ist. Wenn du mir die nöthigen Papiere bringen kannst,« flüsterte er ihm noch zu, »so wirst du mich in der Nähe des Herzogs von Burgund finden.«

Schweigend traten sie aus dem Zelte, und fanden vor demselben die vier burgundischen Lanzenreiter, große und lebendige Leute, die schon im Sattel saßen, und zwei gesattelte und gezäumte Pferde an der Hand hielten; eines davon kriegerisch gerüstet, das andere ein feiner Zelter für die Reise. Einer der Soldaten hielt ein Saumroß mit Gepäck am Zügel, und Colvin erklärte Arthur'n, daß er dabei die Kleider finden würde, die er bei seiner Ankunft in Aix brauchte. Zugleich übergab er ihm einen Beutel voll Gold.

»Thiebold,« fuhr er fort, und zeigte dabei auf den ältesten unter der Bedeckung, »verdient alles Vertrauen; ich stehe für seine Klugheit und Treue. Die drei Andern sind ausgezeichnete Leute, und fürchten sich nicht vor einem Riß in der Haut.«

Arthur sprang mit einem Lustgefühl in den Sattel, wie es einem jungen Ritter wohl natürlich war, der viele Monate lang kein ordentliches Pferd unter sich gehabt. Der lebhafte Zelter wieherte vor Ungeduld; Arthur aber blieb fest im Sattel, wie wenn er einen Theil des Thieres selbst ausgemacht hätte, und sagte: »Ehe wir lange mit einander bekannt sind, wird deine Hitze etwas nachgelassen haben, mein schöner Schimmel.«

»Noch ein Wort, mein Sohn,« sagte sein Vater, und flüsterte ihm in's Ohr, als er sich vom Pferde herunterbeugte, »wenn du einen Brief von mir erhältst, so halte dich nicht für völlig vertraut mit seinem Inhalt, bis du das Papier gegen das Feuer gehalten.«

Arthur nickte und gab dem älteren Reisigen ein Zeichen, vorauszureiten. Hierauf ließen Alle ihren Pferden den Zügel, und so zogen sie in scharfem Schritt durch das Lager, nachdem der Jüngling seinem Vater und Colvin nochmals zum Abschied zugewinkt.

Der Graf blieb in Gedanken versunken stehen, und folgte seinem Sohne mit den Augen in einer Art Träumerei, die erst aufhörte, als Colvin sagte: »Ich wundere mich nicht, gnädiger Herr, daß Euer Sohn Euch so viel Unruhe einflößt; er ist ein wackerer junger Mann und verdient eines Vaters Sorge; denn die Zeit, in der wir leben, ist falsch und blutig.«

»Ich nehme Gott und die heilige Jungfrau zu Zeugen,« erwiderte der Graf; »wenn ich bekümmert bin, so bin ich es nicht blos meines eigenen Hauses wegen; – wenn ich besorgt bin, so bin ich es nicht allein um meines Sohnes willen; aber es ist schmerzlich, in einer so gefährlichen Sache das Letzte auf's Spiel zu setzen. Nun, welche Befehle bringt Ihr mir vom Herzog?«

»Seine Gnaden,« versetzte Colvin, »wird nach dem Frühstück ausreiten. Er sendet Euch hier einige Kleider, die, wenn sie auch nicht Eurem Range gemäß sind, doch besser für Euch passen, als die, welche Ihr jetzt traget. Er wünscht, daß Ihr Euer Incognito als ein englischer Kaufmann von Bedeutung beibehaltet, und Euch an den Zug anschließet, der ihn zu Pferd nach Dijon begleiten wird. Er soll dort eine Antwort der burgundischen Landstände auf die ihrer Prüfung vorgelegten Gegenstände erhalten, und wird hierauf den Abgeordneten der Schweiz öffentlich Audienz geben. Ich bin von ihm beauftragt, Euch einen Platz anzuweisen, von dem aus Ihr bequem die beiden Feierlichkeiten ansehen könnet, und er vermuthet, Ihr werdet als Fremder ihnen mit Vergnügen beiwohnen. Wahrscheinlich hat er Euch über all' das selbst gesprochen, denn ich glaube, Ihr habt ihn die vergangene Nacht in einer Verkleidung gesehen. Nun, seht mich nicht so befremdet an. Der Herzog spielt diesen Streich zu oft, als daß er es in's Geheim thun könnte; es gibt keinen Troßbuben, der ihn nicht kennt, wenn er die Zelte der Soldaten durchschreitet; und die Marketenderinnen geben ihm den Namen des ertappten Spions. Wenn der ehrliche Heinrich Colvin der Einzige wäre, der von der Sache wüßte, würde er sich wohl hüten, den Mund darüber aufzuthun; aber es wird zu offen getrieben und ist zu allgemein bekannt. Edler Herr, obgleich ich meine Zunge lehren muß, diesen Titel zu vergessen, wollt Ihr zum Frühstück kommen?«

Nach der Sitte der Zeit wurde ein tüchtiges und förmliches Mahl gehalten, und einem begünstigten Offizier des Herzogs von Burgund fehlte es begreiflicher Weise nicht an Mitteln, die gebührende Gastfreundschaft einem Manne zu erweisen, der Ansprüche auf so hohe Achtung besaß. Ehe aber noch das Frühstück vorüber war, verkündigte der lärmende Schall der Trompeten, daß der Herzog und sein Gefolge zu Pferde stiegen. Man brachte Philipson, wie der Graf Oxford noch immer hieß, einen prächtigen Renner von dem Herzog; und er schloß sich nun mit seinem Wirth der glänzenden Gesellschaft an, die sich vor dem Zelte des Fürsten zu sammeln anfing. Dieser selbst trat nach ein paar Minuten in der prächtigen Tracht des Ordens vom goldenen Vließe heraus, welchen sein Vater gestiftet hatte, und dessen Schützer und Haupt Karl selber war. Mehrere seiner Höflinge trugen die nämliche Kleidung, und zeigten nebst ihrem Gefolge so viel Glanz und Reichthum, daß sie die allgemeine Behauptung rechtfertigten, der burgundische Hof sei der prächtigste in der ganzen Christenheit. Die Beamten seines Haushaltes standen Alle an ihrem Platze, eben so auch die Wappenherolde und ihre Gehülfen in malerischen und reichen Gewändern. Ihre Tracht nahm sich sonderbar aus neben dem Kirchenanzug der hohen Geistlichkeit und Ritter und Kronvasallen, die sich in ihren Rüstungen aufgestellt hatten. Unter den Letzteren, die nach der Verschiedenheit ihres Dienstes verschiedentlich gekleidet waren, ritt Oxford im Gewande eines Privatmanns, das weder so einfach war, daß es neben solcher Pracht nicht am Platze gewesen wäre, noch so reich, um besondere Aufmerksamkeit zu erregen. Er ritt neben Colvin, und seine große, kräftige Gestalt, seine scharf ausgesprochenen Züge bildeten einen scharfen Gegensatz zu dem groben, fast gemeinen Aussehen und dem derben, drallen Aeußeren des Glückssoldaten.

Den feierlichen Zug schloß eine Leibwache von zweihundert Büchsenschützen, eine Art von Soldaten, die damals gerade aufkamen, und eben so viele berittene Reisige; und so zog der Herzog und seine Begleitung aus dem Lager gegen Dijon, in diesen Zeiten die Hauptstadt von ganz Burgund.

Die Stadt war wohl versehen mit Mauern und Gräben, welche ein kleiner Fluß, die Ouche, nebst einem Bache, Suzon genannt, mit Wasser versorgte. Die vier Thore mit den gehörigen Brückenköpfen, Außenwerken und Zugbrücken entsprachen nahezu den vier Himmelsgegenden, und verstatteten den Zutritt in die Stadt. Die Zahl der Thürme, die hoch über die Mauern emporragten und in verschiedenen Winkeln angebracht waren, sie zu vertheidigen, belief sich auf drei und dreißig; die Mauern selbst hatten an den meisten Stellen eine Höhe von mehr als dreißig Fuß, und waren in beträchtlicher Dicke aus viereckigen Steinen aufgeführt. Diese schöne Stadt umgaben mit Weinbergen bepflanzte Hügel, und innerhalb ihrer Mauern erhoben sich die Thürme vieler stattlicher öffentlicher und Privatgebäude. Auch die Thürme der Kirchen und reich begabten Klöster bewiesen den Reichthum und die Frömmigkeit des Hauses Burgund.

Als die Trompeten des Gefolges der am St. Nikolausthore stehenden Bürgergarde das Zeichen gegeben, ging die Zugbrücke nieder, das Fallgitter erhob sich, das Volk stieß ein großes Freudengeschrei aus, und Karl zog in der Mitte seiner angesehensten Offiziere in der Stadt ein, deren Häuser alle mit Teppichen behängt waren. Er saß auf einem Schimmel, weiß wie der Schnee. Ihm folgten sechs Pagen, von denen der Jüngste noch nicht vierzehn Jahre alt war. Jeder von ihnen hielt eine vergoldete Partisane in der Hand. Der allgemeine Zuruf, mit welchem der Herzog begrüßt wurde, bewies, daß, wenn auch einige gewaltthätige Handlungen seine Beliebtheit vermindert hatten, ihm genug übrig blieb, um in seiner Hauptstadt mit Freude, wenn auch nicht mit Begeisterung, empfangen zu werden. Es ist wahrscheinlich, daß die Verehrung, die sich an das Andenken seines Vaters knüpfte, lange Zeit den ungünstigen Eindruck zurückhielt, welchen sein Betragen zum Theil auf den öffentlichen Geist hervorbringen mußte.

Der Zug hielt vor einem großen, gothischen Gebäude in der Mitte von Dijon. Man hieß es des Herzogs Haus; und nach der Vereinigung Burgunds mit Frankreich benannte man es des Königs Haus. Der Bürgermeister von Dijon stand harrend an den Stufen dieses Palastes, begleitet von seinen Amtsgenossen. Sein Gefolge bestand aus etwa hundert handfesten Bürgern in schwarzen Sammtkleidern und mit Halbpicken in den Händen. Der Bürgermeister kniete nieder, dem Herzog den Steigbügel zu küssen, und in dem Augenblick, da Karl vom Pferde stieg, begann von allen Glocken in der Stadt ein Geläute, womit man die Todten in der Nähe der wankenden Kirchthürme hätte erwecken können. Unter diesem betäubenden Willkommen betrat der Herzog den großen Saal des Palastes. Am oberen Ende desselben war für den Fürsten ein Thron errichtet, Sitze standen da für die ersten Offiziere und die ausgezeichneten Vasallen, und die Bänke hinter ihnen für Leute von geringerer Bedeutung. Auf eine der letzteren, aber an einer Stelle, von wo aus man die ganze Versammlung, sowie den Herzog selbst überschauen konnte, setzte Colvin den edlen Engländer. Karl, dessen schnelles, scharfes Auge alle Reihen durchlief, sobald man sich gesetzt, schien durch eine leichte Neigung des Kopfes, die seine Umgebung nicht bemerken konnte, zu verstehen zu geben, daß er mit dieser Anordnung einverstanden sei.

Als der Herzog und sein Gefolge sich gesetzt, näherte sich der Bürgermeister abermals in demüthigster Weise, kniete auf der untersten Stufe des herzoglichen Thrones nieder und bat den Herzog um Erlaubniß zu der Frage, ob er Zeit habe, den Ausdruck des Eifers und der Ergebung der Bewohner seiner Hauptstadt an seine Person entgegen zu nehmen, und ob es ihm gefalle, als Zeichen ihrer Anhänglichkeit einen mit Goldstücken gefüllten silbernen Becher zu empfangen, welchen er im Namen der Bürger und des Gemeinderaths von Dijon ihm zu Füßen zu legen die Ehre habe.

Karl machte nie viel Ansprüche auf Höflichkeit und gab kurz und barsch mit einer von Haus aus rauhen und mißtönenden Stimme zur Antwort: »Alles nach der Reihe, guter Herr Bürgermeister. Zuerst wollen wir vernehmen, was die Stände von Burgund uns zu sagen haben und dann auf die Bürger von Dijon hören.«

Der Bürgermeister stand auf und trat mit seinem Silberbecher zurück, wahrscheinlich ebenso überrascht als beleidigt darüber, daß der Inhalt des Geschenks nicht augenblicklich angenommen worden war und ihm keine bessere Aufnahme zuwege gebracht hatte.

»Ich hätte erwartet,« sprach Karl, »zu dieser Stunde und an diesem Ort unsere Stände aus dem Herzogthum Burgund mit einer Antwort auf die Anfrage anzutreffen, die wir ihnen vor drei Tagen durch unsern Kanzler zugeschickt haben. Ist Niemand von ihnen da?«

Da Niemand eine Antwort versuchte, so sagte der Bürgermeister, die Ständemitglieder haben den ganzen Morgen ernste Berathung gehalten, und würden ohne Zweifel Seiner Hoheit augenblicklich aufwarten, wenn sie hörten, daß er ihre Stadt mit einem Besuch beehrt hätte.

»Geht,« sagte darauf der Herzog zu dem ersten Herold des goldenen Vließes, »und kündigt den Herren an, daß wir das Ergebniß ihrer Berathungen kennen zu lernen wünschen, und daß ihnen weder die Artigkeit noch die Anhänglichkeit erlauben, uns lange warten zu lassen. Sprecht deutlich mit ihnen, Herr Herold, oder wir werden Euch derb die Meinung sagen.«

Während der Herold seinen Auftrag auszurichten geht, können wir unseren Lesern in's Gedächtniß zurückrufen, daß in allen Ländern, wo das Lehenwesen eingeführt war, d. h. in fast ganz Europa während des Mittelalters ein Geist glühender Freiheit die Verfassungen durchwehte. Der einzige Fehler, der sich dabei vorfand, war der, daß die Vorrechte und Freiheiten, für welche die größeren Vasallen kämpften, sich nicht gehörig auf die untern Klassen der Gesellschaft ausdehnten, und denen keinen Schutz gewährten, welche desselben am meisten bedurften. Die zwei ersten Stände im Staat, der Adel und die Geistlichkeit, erfreuten sich hoher und wichtiger Vorrechte, und selbst der dritte Stand, die Bürger, besaßen die besondere Gerechtsame, daß ihnen keine neuen Dienste, Bräuche oder Auflagen irgend einer Art ohne ihre Zustimmung auferlegt werden konnten.

Das Andenken an den Herzog Philipp, Karls Vater, war den Burgundern theuer, denn in den zwanzig Jahren, während welcher dieser Fürst seinen Rang unter den Herrschern Europa's mit Würde eingenommen, hatte er Schätze aufgehäuft, ohne von den großen, ihm unterworfenen Ländern größere Steuern zu erhalten. Aber die ausschweifenden Entwürfe und der unmäßige Aufwand des Herzogs Karl hatten bereits die Unzufriedenheit seiner Stände erregt, und das gegenseitige gute Vernehmen zwischen Fürst und Volk fing an, auf der einen Seite dem Argwohn und Mißtrauen, auf der andern dem Trotze Platz zu machen. Der Widerspruchsgeist der Stände hatte zuletzt sich gesteigert; sie mißbilligten laut die verschiedenen Kriege, in welche sich ihr Herzog ohne Noth eingelassen, und die Anwerbung so großer Haufen von Miethtruppen erregte in ihnen den Verdacht, er möchte die Steuern, die ihm seine Unterthanen verwilligten, am Ende dazu verwenden, um seine fürstlichen Rechte über die Gebühr auszudehnen und die Freiheit des Volkes zu vernichten.

Dabei umgaben jedoch des Herzogs beständiges Glück in verzweifelt und schwierig aussehenden Unternehmungen, die Achtung vor seinem Freimuth und seiner Offenheit, die Furcht vor seinem eigensinnigen und hitzigen Wesen, mit dem er sich selten eines Andern belehren ließ und nie Widerspruch ertrug, den Thron noch immer mit Ehrfurcht und Schrecken, und diese wurden noch wesentlich unterstützt durch die Anhänglichkeit des gemeinen Volks an den gegenwärtigen Herzog und das Andenken an seinen Vater. Man hatte vorausgesehen, daß bei der jetzigen Gelegenheit sich unter den Ständen ein heftiger Widerspruch gegen die neue Besteuerungsart erheben würde, welche der Herzog vorschlug. Die Räthe des Herzogs sahen mit großer Unruhe, der Herzog selbst mit ärgerlicher Ungeduld dem Ende der Sitzung entgegen.

Nach etwa zehn Minuten trat der Kanzler von Burgund, der zugleich Erzbischof von Vienne und ein Prälat von hohem Rang war, mit seinem Gefolge in den Saal: er schritt hinter dem herzoglichen Throne auf einen der ehrenvollsten Sitze in der Versammlung zu, und hielt einen Augenblick an, um in seinen Herrn zu dringen, er möchte die Antwort seiner Stände in einer Privataudienz entgegennehmen. Zugleich gab er ihm zu verstehen, daß das Ergebniß der Berathung keineswegs ein befriedigendes wäre.

»Bei Sankt Georg von Burgund, mein Herr Erzbischof,« gab der Herzog ernsthaft und laut zur Antwort: »Wir sind kein Fürst von so niedriger Seele, daß wir uns vor den mürrischen Blicken einer unzufriedenen und frechen Partei scheuen sollten. Wenn die Stände von Burgund eine ungehorsame und pflichtwidrige Antwort auf unsere väterliche Botschaft schicken, so mögen sie dieselbe vor dem versammelten Hof aussprechen, damit das ganze Volk erfährt, wie es zwischen seinem Herzog und diesen kleinlichen aber ränkevollen Seelen zu entscheiden hat, die unserer Macht entgegentreten wollen.«

Der Kanzler verbeugte sich ernsthaft und begab sich auf seinen Sitz, und der englische Graf bemerkte, daß die meisten Mitglieder der Versammlung, diejenigen ausgenommen, welche dem Herzog im Gesicht waren, ihren Nachbarn Bemerkungen zuflüsterten, und daß diese mit halbem Nicken, mit Achselzucken oder Kopfschütteln aufgenommen wurden, wie man es bei Leuten sieht, die Etwas verhandeln, über was eine Erklärung mit Gefahr verbunden ist. Jetzt führte der Herold des goldenen Vließes, welcher den Ceremonienmeister machte, einen aus zwölf Mitgliedern bestehenden Ausschuß der Stände in den Saal. Es waren vier aus jedem Stande, und sie wurden angekündigt als bevollmächtigt, die Antwort ihrer Versammlung an den Herzog von Burgund zu überbringen.

Beim Eintritt der Abgeordneten in den Saal erhob sich Karl, altem Brauche gemäß, vom Throne, nahm das mit einem großen Federbusch geschmückte Barett ab und sprach: »Heil und Willkommen unseren guten Unterthanen aus den Ständen von Burgund!« Der ganze zahlreiche Haufe der Hofleute erhob sich ebenfalls und entblößte in derselben Weise die Häupter. Die Ständemitglieder ließen sich hierauf auf ein Knie nieder. Dabei befanden sich die vier Geistlichen, unter denen Oxford den schwarzen Priester von der St. Paulskirche erkannte, dem Herzog am nächsten, die Edlen knieten hinter ihnen und die Bürger zuletzt.

»Edler Herzog,« sprach der Priester von der St. Paulskirche, »beliebt es Euch, die Antwort Eurer guten und getreuen Stände von Burgund von einem Mitglied anzuhören, das für Alle spricht, oder von drei Männern, aus denen Jeder die Ansicht der Körperschaft ausspricht, der es angehört?«

»Wie Ihr wollt,« antwortete der Herzog von Burgund.

»Ein Priester, ein Edelmann und ein freier Bürger,« fuhr der Priester, noch immer knieend, fort, »werden zu Euer Hoheit der Reihe nach reden. Denn, obgleich wir, gepriesen sei der Gott, der Brüder einträchtig bei einander wohnen heißt, in unserer Antwort übereinstimmen, so könnte doch jeder Stand besondere Gründe für die allgemeine Ansicht aufzuführen haben.«

»Wir wollen Euch einzeln anhören,« sagte Karl, indem er den Hut aufsetzte und sich nachlässig auf seinen Sitz lehnte. Zugleich bewiesen Alle in dem Ausschuß oder unter den Zuschauern ihr Recht auf Gleichstellung mit ihrem Fürsten dadurch, daß sie sich wieder mit ihren Baretten bedeckten. Die Wolke von fallenden Federbüschen gab der Versammlung neue Anmuth und Würde.

Als der Herzog seinen Sitz eingenommen, standen die Abgeordneten von den Knien auf, der schwarze Mönch von der Sankt Paulskirche trat abermals vorwärts und redete ihn folgendermaßen an: –

»Gnädiger Herr Herzog, Eure getreue und ergebene Geistlichkeit hat in Erwägung gezogen, wornach Eurem Volke eine Steuer aufgelegt werden soll, um Euch in den Stand zu setzen, die vereinigten Kantone in den Alpen zu bekriegen. Der Krieg, mein Lehensherr, scheint Eurer Geistlichkeit ungerecht und unmenschlich von Seiten Eurer Hoheit; sie kann sich nicht der Hoffnung überlassen, Gott werde Diejenigen segnen, welche die Waffen darin tragen, und ist daher genöthigt, den Vorschlag Eurer Hoheit zurückzuweisen.«

Des Herzogs Augen hefteten sich mit finsterem Ausdruck auf den Ueberbringer einer so unschmackhaften Botschaft. Er schüttelte den Kopf mit einem der stolzen und drohenden Blicke, zu denen ihn seine harten Züge besonders befähigten. »Ihr habt gesprochen, Herr Priester,« war die einzige Erwiderung, zu der er sich herabließ.

Hierauf sprach sich einer der vier Edelleute, ein Herr von Mirabeau, folgendermaßen aus: –

»Eure Hoheit hat von ihrem getreuen Adel die Einwilligung zu Erhebung neuer Auflagen in ganz Burgund gefordert, um noch mehr fremde Truppen zur Ausfechtung der Streitigkeiten des Staates zu besolden. Gnädiger Herr, die Schwerter der burgundischen Edelleute, Ritter und Herren sind Eurer Hoheit immer zu Befehl gestanden, wie die unserer Ahnen für Eure Vorfahren bereitwillig gezogen worden sind. In gerechten Kämpfen Eurer Hoheit werden wir weiter gehen und besser streiten, als alle die bezahlten Burschen, die man in Frankreich, Deutschland oder Italien auftreiben kann. Wir werden unsere Zustimmung nicht dazu geben, daß das Volk besteuert werde, um Söldner zu bezahlen, damit diese eine kriegerische Pflicht erfüllen, während es unser Stolz und unser ausschließliches Vorrecht ist, solche zu leisten.«

»Ihr habt gesprochen, Herr von Mirabeau,« war abermals die einzige Entgegnung des Herzogs. Er sprach sie langsam und bedächtig aus, als hätte er gefürchtet, es möchte ihm ein unbesonnenes Wort im Zorn mit dem entwischen, was er sagen wollte. Oxford glaubte zu sehen, daß er einen Blick auf ihn warf, ehe er solches sagte, wie wenn die Gegenwart des Fremden seinem Zorn einen Zügel angelegt hätte.

»Nun, gebe der Himmel,« sagte er bei sich selbst, »daß dieser Widerspruch die gewünschte Wirkung thue, und den Herzog dazu bringe, dem unklugen, gewagten und unnützen Plan zu entsagen.«

Während er sich diesen Gedanken überließ, gab der Herzog einem aus dem dritten Stand oder den Gemeinen ein Zeichen zu sprechen. Der Mann, der dem stummen Befehl gehorchte, war Martin Block, ein reicher Schlächter und Viehzüchter aus Dijon. Er drückte sich so aus: –

»Edler Fürst, unsere Väter waren die pflichtgetreuen Unterthanen Eurer Vorfahren; wir sind es für Euch; unsere Kinder werden Euren Nachfolgern eben so diensthaft sein. Aber was die Forderung, die Euer Kanzler an uns gestellt, betrifft, so würden unsere Vorfahren nie in eine solche gewilligt haben. So sind auch wir entschlossen, sie zu verweigern, und die Stände von Burgund werden sie nie bis an's Ende der Tage irgend einem Fürsten zugestehen.«

Karl hatte in geduldigem Schweigen die Reden der zwei ersten Sprecher ertragen; aber diese derbe und kühne Antwort des dritten Standes war mehr, als er auszuhalten vermochte. Er überließ sich aller Heftigkeit seiner Gemüthsart, und stampfte auf den Boden, daß der Thron zitterte und das hohe Gewölbe über ihm erdröhnte. Er überhäufte den kecken Bürger mit Vorwürfen. »Lastvieh,« sagte er, »willst du mich auch noch mit deinem Eselsgeschrei übertäuben? Die Adeligen mögen das Recht zu sprechen in Anspruch nehmen, denn sie können fechten; die Geistlichkeit mag das Maul brauchen, denn das ist ihr Geschäft; aber du, der du nie anderes Blut vergossen hast, als das deiner Ochsen, die noch dummer waren, als du selbst – wagst du und deine Heerde, wie ein bevorrechtetes Wesen, hierher zu kommen und am Stuhl eines Fürsten zu brüllen? Wisse, Vieh, das du bist, daß man die Stiere nie in den Tempel führt, als um sie zu schlachten, daß man Schlächter und Handwerker nur vor ihren Fürsten läßt, um sie damit zu beehren, daß sie mit ihren aufgehäuften Schätzen den öffentlichen Bedürfnissen abhelfen.«

Ein unzufriedenes Murren, welches selbst die Furcht vor dem Zorn des Herzogs nicht zurückhalten konnte, ließ sich bei diesen Worten in der ganzen Versammlung vernehmen, und der Bürger von Dijon, ein trotziger Plebejer, entgegnete mit einer kurzen Verbeugung: – »Unsere Beutel, Herr Herzog, sind unser – und wir werden die Schnüre daran Eurer Hoheit nicht in die Hände geben, wenn wir nicht mit den Zwecken einverstanden sind, zu denen das Geld verwendet werden soll; wir wissen wohl, wie wir uns selbst und unser Eigenthum gegen fremde Landstreicher und Räuber schützen müssen.«

Karl war auf dem Punkt, den Deputirten verhaften zu lassen; als er aber sein Auge auf den Grafen von Oxford heftete, dessen Gegenwart ihm wider Willen einen gewissen Zwang auferlegte, änderte er seinen Entschluß, aber nur, um eine andere Unklugheit zu begehen.

»Ich sehe,« sagte er, an den Ausschuß der Stände gewendet, »daß ihr Alle zusammenhaltet, um meinen Plan zu durchkreuzen und mich ohne Zweifel aller fürstlichen Macht zu berauben. Ich soll wohl blos noch eine Krone tragen dürfen und, wie Karl der Einfältige, auf den Knieen bedient werden, während sich die Stände meines Reichs in die Gewalt theilen. Aber ihr sollt erfahren, daß ihr mit Karl von Burgund zu thun habt, einem Fürsten, der, wenn er sich auch herabgelassen, euch zu Rathe zu ziehen, doch wohl im Stande ist, seine Schlachten ohne Hülfe seines Adels auszufechten, da dieser ihm die Mitwirkung seines Schwertes verweigert, – der die Kosten davon tragen kann, ohne diese Unterstützung dieser schmutzigen Bürger – und der vielleicht auch einen Weg zum Himmel findet, ohne den Beistand einer undankbaren Priesterschaft. Ich werde allen Anwesenden beweisen, wie wenig eure aufrührerische Antwort auf die Botschaft, mit der ich euch beehrt, Eindruck auf mich gemacht, wie wenig sie meinen Entschluß verändert hat. Herold, laß die Abgeordneten der verbündeten Schweizer Städte und Kantone, wie sie sich nennen, vor uns kommen.«

Oxford und Alle, welche wahren Antheil an dem Glücke des Herzogs nahmen, hörten ihn mit der lebhaftesten Unruhe den Entschluß ankündigen, den Schweizer Gesandten Gehör geben zu wollen. Denn er war gegen sie eingenommen, und in diesem Augenblick im höchsten Grad erbost über die Weigerung der Stände, ihm Geld zu schaffen. Sie wußten, daß die Hindernisse, welche sich seinem Zorn entgegenstellten, den Felsen im Bett eines Flusses glichen. Sie können den Lauf desselben nicht aufhalten, bringen aber seine Wellen zum Rasen und Schäumen. Alle fühlten, daß der Würfel gefallen war, aber man hätte mit mehr als menschlicher Voraussicht begabt sein müssen, um sich alle Folgen vorzustellen, die daraus entspringen konnten. Oxford besonders begriff, daß die Ausführung seines Entwurfs zu einem Einfall in England der Hauptgegenstand wäre, der durch die unbesonnene Hartnäckigkeit Karls gefährdet würde. Aber er ahnte nicht, er hätte zu träumen geglaubt, wenn ihm der Gedanke aufgestiegen wäre, daß das Leben des Fürsten selbst und der Bestand Burgunds, als eines unabhängigen Reichs, in derselben Wagschale liegen könnten.



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