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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Sprecht nicht davon – ich konnte niemals leiden
Die Mummerei erzwung'ner Höflichkeit.
»Setzt Euch, mein gnäd'ger Herr.« Das sagt man mit
Gebog'nem Rücken und gebeugtem Knie.
Der Höfling hört es lächelnd an. – »Vor Euch, mein Herr?
So müßt' es denn am Boden sein.« Zum Henker
Mit all' dem Zeug! Ein Stolz, der sich so einhüllt,
Paßt kaum, um eines Bettlers Brust zu schmücken.

Altes Lustspiel.

Anneli Veilchen eilte Treppen auf und Treppen ab, denn sie war die Seele von Allem, was in dem bewohnbaren Theile des gewaltigen Arnheimer Schlosses vorging. Sie paßte gleich gut für jede Art von Dienst; sie steckte den Kopf in den Stall, um sich zu versichern, daß Wilhelm ordentlich für Arthurs Pferd sorgte, sie guckte in die Küche hinein, um zu sehen, ob Marthe, die alte Köchin, die Hühner zu rechter Zeit brate, eine Aufmerksamkeit, die ihr jedoch keinen Dank zuwege brachte; dann suchte sie ein paar Flaschen Rheinwein aus einem Keller, und endlich blinzelte sie geradezu in das Zimmer, wo sie Arthur gelassen, um zu erfahren, was aus ihm geworden wäre. Sie hatte die Freude, wahrzunehmen, daß er sich so gut er konnte und mit Sorgfalt herausgeputzt, und versicherte ihn, er werde in Kurzem ihre Gebieterin sehen, welche zwar etwas unwohl wäre, sich aber doch nicht enthalten könnte, herunter zu kommen und einen so geschätzten Bekannten zu sehen.

Arthur wurde roth, da sie so sprach, und seine belebten Züge fanden so viel Gnade in den Augen der Kammerjungfer, daß sie im Hinaufgehen zu ihrer Gebieterin bei sich selber sagte: »Nun, wenn treue Liebe nicht Alles so zu karten versteht, daß das junge Paar trotz aller Hindernisse zusammen kommt, welche sie jetzt aufhalten, so glaube ich nimmer, daß es treue Liebe in der Welt gibt, mag Martin Sprenger sagen, was er will, und auf's Evangelium schwören.«

Als sie zu ihrer Gebieterin in's Zimmer kam, fand sie zu ihrer Ueberraschung, daß das junge Fräulein keine von den Putzsachen, die sie besaß, sondern dasselbe einfache Mieder angelegt hatte, das sie am ersten Tage getragen, da Arthur auf den Geierstein kam. Hannchen schien anfangs überrascht und bedenklich, erkannte aber dann plötzlich den guten Geschmack, der die Wahl dieser Tracht geleitet, und rief: »Ihr habt recht – Ihr habt recht – es ist am besten, ihm wie ein offenherziges Schweizermädchen entgegenzutreten.«

»Aber doch muß ich,« sagte Anna lächelnd, »mich in den Mauern von Arnheim einigermaßen als die Tochter meines Vaters zeigen. – Hier, Mädchen, hilf mir diesen Edelstein an das Band heften, welches meine Haare zusammenhält.«

Das Schmuckwerk bestand aus zwei Federn von einem Geier, die von einem Opal zusammengehalten wurden. Dieser bot bei wechselndem Licht eine solche Mannigfaltigkeit dar, daß es das Schweizermädchen entzückte, denn sie hatte in ihrem Leben noch nichts Derartiges gesehen.

»Nun, Baronesse Anna,« sagte sie, »wenn das hübsche Ding da wirklich als Zeichen Eures Rangs getragen wird, so ist es das einzige zu Eurer Würde Gehörige, wonach mich gelüsten könnte. Denn es schimmert und zeigt gerade ein so wunderbares Farbenspiel wie unsere Wangen, wenn wir aufgeregt sind.«

»Ach, Hannchen,« erwiderte die Baronesse und fuhr mit der Hand über die Augen; »von allen Kleinodien, welche die Frauen meines Hauses besessen, ist dieses hier vielleicht seinen Besitzerinnen am verderblichsten gewesen.«

»Warum traget Ihr es also?« fragte Hannchen. »Warum gerade jetzt und heute?«

»Weil es mich am besten an die Pflichten gegen meinen Vater und meine Familie erinnert. Und jetzt, Mädchen, denk' daran, daß du mit uns zu Tische sitzest, und verlaß das Zimmer nicht. Steh' nicht auf und lauf' hin und her, um dich oder Andere zu bedienen und das und jenes auf den Tisch zu holen, sondern bleib' ruhig sitzen, bis dir Wilhelm gibt, was du brauchst.«

»Nun, das ist eine Sitte, die mir schon gefällt,« sagte Hannchen. »Wilhelm bedient uns mit so viel Gefälligkeit, daß es eine Freude ist, ihm zuzusehen; indessen kommt es mir manchmal vor, als wäre ich nicht mehr Anneli Veilchen selbst, sondern nur ihr Bild: denn ich kann weder aufstehen, noch mich setzen, noch herumlaufen, noch stehen bleiben, ohne eine der Regeln des höflichen Betragens zu verletzen. Mit Euch ist es nicht so, ich muß es sagen, Ihr habt immer Hofmanieren an Euch gehabt.«

»Sie sind mir weniger natürlich, als du zu glauben scheinst,« sagte das hochgeborene Mädchen; »aber ich fühle den Zwang mehr auf dem Rasen und unter freiem Himmel, als wenn ich ihn innerhalb der Mauern eines Zimmers erdulde.«

»Ja, das ist wahr – der Tanz,« meinte Hannchen, »das ist Etwas, um was es Einem wohl leid sein darf.«

»Ich bin am bekümmertsten darüber, Hannchen, daß ich eigentlich nicht sagen kann, ob ich Recht oder Unrecht thue, wenn ich den jungen Mann sehe, obgleich es zum letzten Mal geschehen muß. Wenn mein Vater käme? – Wenn Eitel Schreckenwald zurückkehrte?« –

»Euer Vater ist zu tief in einen seiner dunkeln und geheimnißvollen Plane verwickelt,« sagte die schwatzhafte Schweizerin; »er ist auf den Brocken geflogen, wo die Hexen ihren Sabbath feiern, oder auf einer Jagdpartie mit dem wilden Jäger.«

»Pfui, Hannchen, wie unterstehst du dich, so von meinem Vater zu sprechen?«

»Ich kenne ihn persönlich sehr wenig,« entgegnete die Dirne, »und Ihr wißt nicht viel mehr von ihm. Und warum sollte falsch sein, was alle Leute für wahr ausgeben?«

»Was sagen sie, du Närrin?«

»Daß der Graf ein Hexenmeister – daß Eure Großmutter ein Irrwisch gewesen, und der alte Eitel Schreckenwald ein eingefleischter Teufel sei. Am Letzten ist etwas Wahres, wie es nun auch mit dem Uebrigen stehen möge.«

»Wo ist er?«

»Er ist hinuntergegangen, die Nacht im Dorfe zuzubringen, zu sehen, wie des Rheingrafen Leute einquartirt werden, und sie in einiger Ordnung zu halten, wenn das möglich ist, denn die Söldner sind unzufrieden über das Ausbleiben des Soldes, den man ihnen versprochen; und wenn das der Fall ist, so gleicht nichts so sehr einem wüthenden Bären, als ein Lanzknecht.«

»Wir wollen also hinuntergehen, Mädchen; es ist vielleicht für Jahre die letzte Nacht, die wir in einiger Freiheit zubringen können.«

Ich will mich nicht darauf einlassen, die auffallende Verlegenheit zu beschreiben, mit der Arthur Philipson und Anna von Geierstein zusammentrafen. Keines hob die Augen; sie brachten nur unverständliche Worte hervor, als sie einander grüßten, und das Mädchen selbst erröthete nicht stärker, als ihr blöder Liebhaber. Die lustige Schweizerin, deren Begriffe von Liebe etwas von der Freiheit der Sitten des alten Arkadiens an sich hatten, runzelte die Stirne, meist aus Verwunderung und aus Verachtung über ein Paar, das nach ihrer Ansicht mit so unnatürlicher und gezwungener Zurückhaltung zu Werke ging. Arthur bot mit einer tiefen Verbeugung und hoher Röthe dem jungen Fräulein die Hand; und Anna von Geierstein bewies, als sie die Höflichkeit erwiderte, eben so viel Furchtsamkeit, Erregung und Verlegenheit. Mit einem Wort, obgleich sich wenig oder nichts Verständliches zwischen dem wirklich schönen und reizenden Paare zutrug, wurde doch die Zusammenkunft dadurch nicht minder anziehend. Arthur führte das Mädchen, wie es die Pflicht jedes wohlerzogenen Mannes in dieser Zeit war, in's nächste Zimmer, wo das Essen bereit stand; und Hannchen, die mit besonderer Aufmerksamkeit auf Alles Acht gab, was vorfiel, ward mit Erstaunen gewahr, daß die Förmlichkeiten der höheren Stände selbst auf ihren freien Geist eben so viel Einfluß äußerten, als die Gebräuche der Druiden auf den römischen Feldherrn, der sagte:

»Ich spotte ihrer, aber sie flößen mir Ehrfurcht ein.«

»Was mag sie nur so viel verändert haben?« sagte Hannchen; »da sie auf Geierstein waren, sahen sie aus wie andere Mädchen und Jünglinge; nur daß Anna sehr schön war; aber jetzt bewegen sie sich in so gemessener Weise, als eröffneten sie eine ernsthafte Menuette, und behandeln sich mit so viel Ehrerbietung, als wäre er der Landammann von Unterwalden und sie die erste Frau von Bern. All' das ist wohl sehr schön, aber es ist nicht die Weise, in der Martin Sprenger seine Liebe zu erkennen gibt.«

Die Umstände, in welchen sich die beiden jungen Leute befanden, erinnerten sie offenbar an die stolze und etwas umständliche Artigkeit, an welche sie in früheren Tagen gewöhnt sein mochten. Die Baronesse hielt für nöthig, den strengsten Anstand zu beobachten, um die Zulassung Arthurs in's Innere ihres Aufenthaltes zu rechtfertigen; er seinerseits bemühte sich, durch die tiefste Ehrerbietung zu zeigen, er sei unfähig, die Güte zu mißbrauchen, mit der er behandelt worden war. Sie setzten sich zu Tische und hielten dabei sorgfältig die Entfernung ein, die sich für »tugendhafte Herren und Mädchen« ziemen mochte. Der junge Wilhelm versah den Dienst beim Mahl mit Gewandtheit und Höflichkeit, wie Einer, der an solche Geschäfte gewöhnt ist; Hannchen setzte sich zwischen die jungen Leute und suchte sich so streng als möglich an die Gebräuche zu halten, die sie in Ausübung bringen sah, sie zeigte auch so viel Höflichkeit, als man von der Dienerin einer Baronesse erwarten konnte. Indessen beging sie doch verschiedene Fehler, und betrug sich im Allgemeinen wie ein Windspiel an der Leine, das jeden Augenblick fortzulaufen bereit ist. Sie wurde blos durch den Gedanken daran zurückgehalten, daß sie um das bitten mußte, was sie lieber selbst zu holen gegangen wäre.

Noch gegen mehrere andere Regeln der guten Lebensart verstieß sie, als das Essen vorüber war und der Diener sich entfernt hatte. Sie nahm oft mit zu wenig Umständen an der Unterhaltung Theil, und es begegnete ihr häufig, daß sie ihre Gebieterin bei ihrem Taufnamen Anna nannte, und allen Vorschriften des gesitteten Tons zum Trotz sie sowohl als Arthur mit Du anredete, welches damals eine grobe Verletzung der deutschen Höflichkeit war, so gut als jetzt. Ihre Versehen hatten aber wenigstens etwas Gutes. Sie gaben den jungen Leuten etwas zu denken, was nicht mit ihrer Lage zusammenhing; sie setzten dieselben in Stand, ihre Aufmerksamkeit von ihrer eigenen Verlegenheit abzuziehen und auf des armen Hannchens Kosten ein Lächeln auszutauschen. Es dauerte nicht lange, bis sie es bemerkte, und halb beleidigt, halb erfreut, eine Veranlassung zu finden, um ihre Gedanken auszusprechen, rief sie mit Keckheit: »Ihr habt euch Beide in der That gehörig auf meine Kosten lustig gemacht, und das Alles, weil ich lieber aufgestanden wäre und geholt hätte, was ich brauchte, als daß ich wartete, bis der arme Junge, der immer zwischen dem Eß- und Credenztisch hin und her traben mußte, Zeit fand, es mir zu bringen. Jetzt lacht ihr über mich, weil ich euch die Namen gebe, welche ihr von der heiligen Kirche in der Taufe erhalten habt; und weil ich Du zu euch sage, und mit einem Junker und meinem Fräulein spreche, wie ich es thun würde, wenn ich auf meinen Knieen läge und zum Himmel betete. Aber euern neuen Grillen zum Trotz werde ich euch sagen, daß ihr nichts seid, als ein paar Kinder, die nicht wissen, was sie wollen, und den einzigen Augenblick, der ihnen zur Sicherung ihres Glücks vergönnt ist, mit Späßen verderben. Werdet nicht böse, meine gnädige Baronesse; ich habe den Pilatusberg zu oft gesehen, um eine gerunzelte Stirne zu fürchten.«

»Still, Hannchen,« sagte die Gebieterin, »oder verlaß das Zimmer.«

»Wäre ich nicht mehr Eure als meine Freundin,« erwiderte die widerspenstige und unerschrockene Schweizerin, »so würde ich das Zimmer verlassen und das Schloß obendrein, und ließe Euch hier mit Eurem liebenswürdigen Vogt, Eitel Schreckenwald, die Wirthschaft treiben.«

»Wenn du es nicht aus Liebe zu mir thun willst, so schweig' aus Scham, oder aus Mitleid, oder geh' aus dem Zimmer.«

»Mein Bolzen ist verschossen,« antwortete Hannchen; »und ich habe blos zu verstehen gegeben, was Jedermann auf dem Rasen bei Geierstein sagte, an dem Abend, wo der Bogen von Buttisholz gespannt wurde. Ihr wißt, was die alte Prophezeihung sagt.«

»Still, still, um des Himmels willen, oder ich fliege davon Das englische Wort drückt fliehen und fliegen zugleich aus. D. Uebers.,« sagte die junge Baronesse.

»Ach,« sagte Hannchen, und änderte den Ton, als hätte sie wirklich Furcht, ihre Gebieterin möchte sich entfernen, »wenn Ihr fliegen müßt, so thut, was Ihr nicht lassen könnt. Ich weiß Niemand, der zu folgen vermöchte. Diese meine Gebieterin, Signore Arthur, braucht zur Kammerfrau nicht ein gutes, junges Mädchen von Fleisch und Blut, wie Ihr in mir eine vor Euch seht, sondern ein Wesen von so feiner Beschaffenheit, wie die Sommerfäden, und das blos die zartesten Theile der Luft einathmet. Würdet Ihr es glauben – Viele glauben es ernstlich, daß sie zu einem Geschlecht von Elementargeistern gehört, und das macht sie so viel furchtsamer, als die Mädchen aus dieser Alltagswelt.«

Anna von Geierstein schien erfreut über die Gelegenheit, dem Gespräch eine andere Richtung zu verschaffen. Ihre eigensinnige Zofe hatte dazu Veranlassung gegeben, und sie lenkte es jetzt auf gleichgültigere Gegenstände, obgleich diese sich immer noch auf sie selbst bezogen.

»Signore Arthur,« sagte sie, »glaubt vielleicht Grund zu irgend einem seltsamen Verdacht zu haben, wie ihn deine unüberlegte Thorheit ausspricht, und wie ihm die Narren in Deutschland und der Schweiz Raum geben. Gesteht, Herr Arthur, Ihr dachtet Seltsames von mir, da ich in einer der letzten Nächte an Euerm Posten auf der Brücke von Grafslust vorüberging.«

Die Erinnerung an die Vorfälle, welche ihn seiner Zeit so höchlich überrascht hatten, brachte einen solchen Eindruck auf Arthur hervor, daß er einiger Augenblicke bedurfte, um antworten zu können. Aber auch so bestand seine Erwiderung blos aus einigen unzusammenhängenden Worten.

»Ich gestehe, ich habe gehört – d. h. Rudolph Donnerhügel hat mir erzählt – daß ich aber geglaubt hätte, edles Fräulein, Ihr wäret keine Christin …«

»Ah,« rief Hannchen, »wenn Eure Erzählung von Rudolph herrührt, so habt Ihr Alles gehört, was man Schlimmes über meine Gebieterin und ihre Familie sagen kann. Rudolph ist einer der klugen Leute, welche Fehler an den Waaren finden, die sie zu kaufen Lust hätten, um Andern den Muth zum Daraufbieten zu nehmen. Ja, er hat Euch eine schöne Gespenstergeschichte erzählt, kann ich Euch sagen, von meines Fräuleins Großmutter; und wirklich traf es sich, nicht wahr, daß die Umstände der Sache einen Anschein von Wirklichkeit gaben.« –

»Gar nicht, Hannchen,« antwortete Arthur; »ich habe alles Sonderbare und Unbegreifliche, was ich je über Eure Gebieterin gehört, so angesehen, als verdiene es keinen Glauben.«

»Doch nicht ganz, glaub' ich,« erwiderte Hannchen, ohne auf Zeichen und Stirnrunzeln ihrer Herrin zu achten, »und ich hege starken Verdacht, ich würde viel mehr Mühe gehabt haben, Euch in dieses Schloß zu bringen, wenn Ihr gewußt hättet, daß Ihr Euch einem Ort nähert, an welchem die Feuernymphe umgeht, der Salamander, wie man es heißt. Nicht zu gedenken des Anstoßes, den Euch die Vorstellung gegeben hätte, daß Ihr den Abkömmling einer Tochter des Feuermantels wieder sehen würdet.«

»Noch einmal, sei still, Hannchen,« sagte die Gebieterin; »da das Schicksal dieses Zusammentreffen veranstaltet hat, so wollen wir die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne unsern englischen Freund über die albernen Berichte zu enttäuschen, auf die er vielleicht mit Zweifel und Verwunderung, aber nicht mit völliger Ungläubigkeit gehorcht hat.«

»Herr Arthur Philipson,« fuhr sie fort, »es ist wahr, mein mütterlicher Großvater, der Freiherr Hermann von Arnheim, war ein Mann von großen Kenntnissen in verborgenen Wissenschaften. Er war auch Freigraf oder vorsitzender Richter bei einem Tribunal, von dem Ihr gehört haben müßt, und welches man die heilige Vehme nennt. Es ist aber nicht einmal klug, ihren Namen auszusprechen. In einer Nacht kam ein Fremder, dem die Diener des Gerichts auf den Fersen waren, auf das Schloß und machte Ansprüche auf seinen Schutz und die Rechte der Gastfreundschaft. Mein Großvater sah, daß der Fremde den Grad eines Adepten besaß, und gewährte ihm seine Bitte. Er verbürgte sich für ihn, daß er sich stellen und auf die gegen ihn erhobene Klage in Jahr und Tag antworten würde. Es scheint, daß er das Recht hatte, diesen Aufschub zu Gunsten seines Schützlings zu fordern. Die ganze Zeit über studirten sie mit einander, und trieben ihre Forschungen in den Geheimnissen der Natur wahrscheinlich so weit, als es dem Menschen möglich ist. Als der verhängnisvolle Tag herankam, an welchem der Fremde sich von seinem Wirth trennen mußte, bat er um die Erlaubniß, seine Tochter auf's Schloß kommen zu lassen, um ihr sein letztes Lebewohl zu sagen. Diese wurde insgeheim hergeholt, und nachdem sie einige Tage dagewesen, schlug der Baron vor, ihr einen Zufluchtsort bei sich zu gewähren, da die Zukunft ihres Vaters sehr ungewiß schien. Er hegte dabei die Hoffnung, mit ihrer Beihülfe weitere Fortschritte in den Sprachen und Wissenschaften des Morgenlandes zu machen. Danischmend, ihr Vater, willigte darein und verließ das Schloß, um sich dem Vehmgericht in Fulda zu stellen. Was darauf erfolgte, ist unbekannt; wahrscheinlich wurde er durch das Zeugniß des Freiherrn von Arnheim gerettet; vielleicht wurde er Schwert und Strick übergeben. Wer darf von solchen Dingen sprechen?

»Die schöne Perserin wurde die Gemahlin ihres Vormunds und Beschützers. Mit einer Menge guter Eigenschaften verband sie einige Unbesonnenheit. Sie benutzte ihre fremde Kleidung und ihre ausländischen Sitten, ihre, wie man sagt, wunderbare Schönheit und eine Beweglichkeit ohne Gleichen, um unwissende deutsche Damen zu erschrecken und in Staunen zu setzen. Das konnte ihr nicht schwer werden, denn diese waren schon, wenn sie die Baronesse persisch und arabisch sprechen hörten, geneigt, von ihr zu argwöhnen, sie treibe unerlaubte Künste. Ihre Einbildungskraft war lebhaft und erfinderisch, und es gefiel ihr, sich in Stellungen zu bringen, welche die thörichten Vermuthungen bestätigen konnten, über die sie sich lustig machte. Es ward kein Ende mit den Geschichten, zu welchen sie die Veranlassung gab. Ihr erstes Auftreten im Schloß soll sehr malerisch und fast wunderbar gewesen sein. Mit dem Leichtsinn eines Kindes vereinigte sie kindische Leidenschaften, und während sie die Verbreitung der außerordentlichsten Sagen in der Nachbarschaft beförderte, gerieth sie in Streit mit den Frauen ihres Standes über den Rang und den Vortritt, auf welche die westphälischen Edeldamen zu allen Zeiten große Stücke gehalten haben. Das kostete sie ihr Leben. Denn an dem Morgen, da meine arme Mutter getauft wurde, starb die Baronesse von Arnheim plötzlich und während eben eine glänzende Gesellschaft in der Schloßkapelle versammelt war, um der Feierlichkeit anzuwohnen. Man glaubte, sie sei durch die Baronesse von Steinfeld vergiftet worden, mit welcher sie in heftiger Fehde lag. Und dieser Streit war besonders dadurch veranlaßt worden, daß sie die Partei ihrer Freundin und Gesellschafterin, der Gräfin Waldstetten, gegen jene genommen hatte.«

»Und der Opal? – Und das Besprengen mit Wasser?« fragte Arthur Philipson.

»Ach,« erwiderte die Freiin, »ich sehe, Ihr wollt die umständliche und wahre Geschichte meiner Familie hören, von welcher Ihr blos die fabelhafte Legende vernommen. – Als meine Großmutter das Bewußtsein verlor, war es ganz natürlich, daß man ihr Wasser in's Gesicht spritzte; was den Opal betrifft, so habe ich sagen hören, daß er seinen Glanz in diesem Augenblick verlor, aber man versichert, das sei eine Eigenthümlichkeit dieses kostbaren Edelsteins, wenn irgend welches Gift mit ihm in Berührung komme. Ein Theil des Zwists mit der Baronesse Steinfeld kam daher, daß diese Dame behauptete, die Perserin habe kein Recht, den Stein zu tragen, welchen einer meiner Ahnen in der Schlacht dem Sultan von Trebisonde abgenommen. Alle diese Umstände haben sich in der Ueberlieferung vermischt, und die Thatsachen sind ein Feenmärchen geworden.«

»Aber Ihr habt mir nichts gesagt von, von – –« fiel Arthur Philipson ein.

»Von was?« fragte die Wirthin.

»Von Eurer Erscheinung in einer der letzten Nächte.«

»Ist es möglich,« sagte sie, »daß ein Mann von gesundem Verstand, ein Engländer, die Erklärung nicht zu errathen vermag, die ich ihm, obgleich nicht ganz deutlich, geben kann? Mein Vater hat, wie Ihr wißt, eine wichtige Rolle in einem unruhigen Lande gespielt und sich den Haß vieler mächtiger Männer zugezogen. Er ist daher genöthigt, seine Bewegungen im Geheimen zu machen und sich der Beobachtung nicht ohne Noth auszusetzen. Ueberdies war er geneigt, mit seinem Bruder, dem Landammann, zusammenzutreffen, und ließ mir deßhalb bei unserem Eintritt in Deutschland sagen, daß ich beim ersten Zeichen, das ich erhalten würde, mich gefaßt halten sollte, mit ihm zusammenzukommen. Das Zeichen sollte ein kleines Cruzifix von Bronze sein, das meiner armen Mutter gehört hatte. In meinem Zimmer zu Grafslust fand ich das Zeichen mit einem Briefe meines Vaters, der mir einen geheimen Weg anzeigte, um zu ihm zu gelangen, wie sie solchen Orten eigen sind. Der Gang sah zwar aus, als wäre er mit Steinen fest vermauert, aber es war leicht, dieselben zu verrücken. Ich sollte durch diesen mein Zimmer verlassen und durch das Thor des Schlosses in ein Gehölz gehen, wo ich meinen Vater antreffen würde.«

»Ein sonderbares und gefährliches Unternehmen,« sagte Arthur.

»Ich bin nie so bestürzt gewesen,« fuhr das Mädchen fort, »als da ich die Aufforderung erhielt, insgeheim einen eben so gütigen als zärtlichen Oheim zu verlassen, und zu gehen, ich wußte nicht wohin. Doch mußte der Befehl befolgt werden. Der Ort der Zusammenkunft war deutlich bezeichnet. Ein Gang um Mitternacht in den Umgebungen eines Ortes, wo ich sicher auf Schutz zählen konnte, war mir ein Spiel: aber die Vorsicht, die man gehabt, Schildwachen am Thore aufzustellen, hinderte meine Entwürfe. Ich war genöthigt, mich einigen meiner Vettern aus der Familie Biedermann anzuvertrauen, und sie versprachen, mich hin und her gehen zu lassen, ohne eine Frage an mich zu thun. Ihr kennt meine Vettern; sie besitzen das beste Herz, aber einen beschränkten Verstand, und edelmüthige, zarte Gefühle sind bei ihnen so wenig zu suchen, als bei gewissen anderen Leuten.« – (Hier warf sie einen Blick auf Hannchen.) – »Sie verlangten, ich sollte meine Absicht Siegmund verbergen, und da sie immer auf Kosten dieses guten und einfachen Jungen lachen wollen, so bestanden sie darauf, ich sollte an ihm so vorbeigehen, daß er auf den Glauben geriethe, ich wäre eine Geistererscheinung. Sie hofften bei der Furcht, die ihm der Anblick eines überirdischen Wesens verursachen würde, viel Spaß zu haben. Ich war genöthigt, mir ihre Verschwiegenheit dadurch zu sichern, daß ich auf ihre Bedingungen einging. In Wahrheit machte es mir zu viel Kummer, meinen freundlichen Oheim zu verlassen, als daß ich viel an sonst Etwas hätte denken sollen. Wie groß war meine Ueberraschung, als ich gegen meine Erwartung an Siegmunds Statt Euch als Wache auf der Brücke fand. Ich frage Euch nicht, was Ihr Euch für Gedanken gemacht.«

»Ich war ein Narr,« erwiderte Arthur, »ein dreifacher Narr. Wäre ich etwas Anderes gewesen, so würde ich mich Euch zur Begleitung angeboten haben. Mein Schwert –«

»Ich würde Euern Schutz nicht angenommen haben,« sagte Anna ruhig. »Der Zweck meines Gangs mußte nach allen Beziehungen geheim bleiben. Ich fand meinen Vater – eine Zusammenkunft zwischen ihm und Rudolph Donnerhügel hatte stattgefunden und veranlaßte ihn, seinen Plan zu ändern und mich noch dieselbe Nacht mit sich fort zu nehmen. Ich vereinigte mich mit ihm früh Morgens, und Hannchen spielte eine Zeitlang unter den Schweizern meine Rolle fort. Mein Vater wünschte, daß Niemand erführe, wann oder mit wem ich meinen Oheim und seine Begleiter verlassen. Ich brauche Euch kaum zu erinnern, daß ich Euch in Eurem Gefängniß besucht habe.«

»Ihr habt mir das Leben gerettet,« rief der Jüngling, »mir die Freiheit zurückgegeben.«

»Fraget mich nicht nach der Ursache meines Schweigens. Ich handelte damals nach den Befehlen Anderer, nicht nach eigenem Willen. Man begünstigte Eure Flucht, um eine Verbindung zwischen den Schweizern außerhalb der Veste und den Söldnern in derselben zu bewirken. Nach dem Aufruhr von La Ferrette erfuhr ich von Siegmund Biedermann, daß ein Haufe Banditen Euern Vater und Euch verfolgten, um Euch zu plündern. Mein Vater hatte mich mit den Mitteln versehen, Anna von Geierstein in ein deutsches Mädchen von Stande zu verwandeln. Ich reiste auf der Stelle ab, und wünsche mir Glück, daß ich Euch einen Rath habe geben können, der Euch nützlich war.«

»Aber mein Vater?« fragte Arthur.

»Ich habe allen Grund, zu hoffen, daß er wohl und gesund ist,« antwortete das junge Fräulein. »Andere als ich wünschten ihn sowohl, als Euch zu schützen – der junge Siegmund vor Allen. – Und nun, mein Freund, da diese Geheimnisse aufgeklärt sind, ist es Zeit, daß wir scheiden, und zwar für immer.«

»Scheiden! – und für immer!« wiederholte der Jüngling mit einer Stimme wie ein sterbendes Echo.

»Es ist unser Schicksal,« sagte das Mädchen. »Ich berufe mich auf Euch, ob es nicht Eure Pflicht ist – ich sage, es ist die meinige. Ihr werdet mit Tagesgrauen nach Straßburg abreisen, – und – und – wir werden uns nie mehr wiedersehen.«

Mit einer Glut der Leidenschaft, die er nicht zurückhalten konnte, warf sich Arthur Philipson zu den Füßen des Mädchens, deren stockende Stimme deutlich die Gefühle gezeigt hatte, welche sie bewegten. Sie sah sich um nach Hannchen, aber Hannchen war in diesem entscheidenden Augenblick verschwunden; und ihre Gebieterin war vielleicht eine oder zwei Sekunden nicht ungehalten über ihre Abwesenheit.

»Steht auf,« sagte sie, »Arthur – steht auf. Ihr dürft Euch nicht Empfindungen hingeben, die für Euch und mich verderblich werden könnten.«

»Hört mich, Fräulein, ehe ich Euch Lebewohl sage, und für immer – man hört einen Verbrecher an, wie schlimm auch seine Sache sein möge – ich bin ein Ritter, der Sohn und Erbe eines Grafen, dessen Name in England und Frankreich bekannt ist, und überall, wo die Tapferkeit eine Geltung hat.«

»Ach!« sagte sie matt, »ich habe nur zu lange vermuthet, was Ihr mir jetzt saget. – Steht auf, ich bitte, steht auf!«

»Nicht ehe Ihr mich angehört,« antwortete der Jüngling und ergriff eine ihrer Hände. Sie zitterte, doch mühte sie sich nicht, ihm dieselbe zu entziehen. – »Höret mich,« sagte er mit der Begeisterung der ersten Liebe, wenn sie die Hindernisse besiegt hat, welche ihr die Furchtsamkeit und das Mißtrauen gegen sich selbst entgegenstellt. – »Mein Vater und ich sind – wie ich gestehe – mit einer sehr gefährlichen Sendung beauftragt, deren Erfolg höchst ungewiß ist. Ihr werdet bald erfahren, ob sie einen guten oder schlimmen Ausgang genommen. Gelingt sie, so sollt Ihr von mir unter meinem wahren Namen sprechen hören – falle ich, so darf – so kann – ja, so heische ich eine Thräne von Anna von Geierstein. Wenn ich davonkomme, so habe ich noch ein Pferd, eine Lanze und ein Schwert, und Ihr sollt Rühmliches von Dem hören, den Ihr dreimal aus drohender Gefahr gerettet.«

»Steht auf – steht auf!« wiederholte das Mädchen, deren Thränen zu strömen begannen. Sie fielen auf das Haupt und Gesicht ihres Geliebten, während sie ihn aufzuheben bemüht war. »Ich habe genug gehört – auf mehr zu horchen wäre Wahnsinn, für Euch wie für mich.«

»Nur noch ein einzig Wort,« fügte der Jüngling hinzu; »so lange Arthur ein Herz hat, schlägt es für Euch; so lange Arthur einen Arm heben kann, wird er bereit sein, Euch zu vertheidigen.«

Jetzt stürmte Hannchen in's Zimmer.

»Fort! fort!« schrie sie – »Schreckenwald ist aus dem Dorf mit schrecklichen Nachrichten zurückgekehrt, und ich fürchte, er kommt daher.«

Arthur hatte sich beim ersten Zeichen von Lärm erhoben.

»Wenn Eure Gebieterin in Gefahr ist, Hannchen, so steht ihr wenigstens ein treuer Freund zur Seite.«

Hannchen blickte ängstlich auf ihre Herrin.

»Aber Schreckenwald!« rief sie; »Schreckenwald, der Vogt Eures Vaters – sein Vertrauter – denkt wohl darüber nach – ich kann Arthur irgendwo verstecken.«

Anna von Geierstein hatte schon wieder ihre Fassung erlangt und erwiderte mit Würde:

»Ich habe nichts gethan, was meinen Vater beleidigen könnte. Wenn Schreckenwald meines Vaters Vogt ist, so ist er mein Unterthan. Ich verstecke keinen Gast um seinetwillen. Setzt Euch,« wandte sie sich an Arthur, »und so wollen wir den Mann empfangen. – Führe ihn alsbald herein, Hannchen, und laß uns seine Berichte anhören – sag' ihm, daß er mit seiner Herrin redet, wenn er vor mir steht.«

Arthur nahm seinen Sitz wieder ein, und war jetzt noch stolzer über seine Wahl, da das Mädchen eine so edle Furchtlosigkeit an den Tag legte, nachdem sie sich vor Kurzem empfänglich gezeigt für die zartesten Gefühle eines weiblichen Wesens.

Auch Hannchen schöpfte neuen Muth aus dem unerschrockenen Betragen ihrer Gebieterin; sie klatschte in die Hände, als sie das Zimmer verließ, und sagte halblaut: »Ich sehe, es ist denn doch etwas Schönes darum, ein Fräulein zu sein, wenn man seine Würde auf solche Art aufrecht zu halten weiß. Wie kommt es nur, daß mir der grobe Mensch eine solche Furcht eingejagt hat?«



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