Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einunddreißigstes Kapitel.

– – Braucht ihr einen Mann,
Erfahren in der Welt und ihrem Treiben?
Hier ist, was ihr begehrt. – Es ist ein Mönch,
Der abgesagt der Welt und ihrem Wesen;
Doch um so besser weiß er, wie's drin hergeht;
Am besten kennt er's Schlimmste, 's ist ein Mönch.

Altes Schauspiel.

Der Morgen begann kaum zu grauen, als Arthur durch ein lautes Geläute an dem Thore des Klosters erweckt wurde. Gleich darnach trat der Pförtner in die Zelle, die man ihm als Wohnung angewiesen, und sagte ihm, wenn er Arthur Philipson hieße, so hätte ein Bruder aus ihrem Orden Botschaft von seinem Vater gebracht. Der Jüngling sprang auf, zog sich schnell an, und wurde in das Sprachzimmer zu einem Karmelitermönch geführt. Dieser Gemeinschaft gehörten auch die Geistlichen auf Sainte Victoire an.

»Ich bin manche Meile geritten, junger Mann, um Euch diesen Brief zu übergeben,« sagte der Mönch, »denn ich hatte mich gegen Euren Vater verpflichtet, ihn ohne Verzug an Euch abzuliefern. Ich kam letzte Nacht während des Sturms nach Aix, erfuhr im Palast, daß Ihr hierhergeritten wäret, setzte mich zu Pferd, sobald das Unwetter nachließ, und hier bin ich.«

»Ich bin Euch zu Dank verpflichtet, Vater,« erwiderte Arthur, »und wenn ich Eure Mühe durch ein kleines Geschenk an Euer Kloster vergelten könnte – –«

»Durchaus nicht,« antwortete der gute Vater; »wenn ich mir einige Mühe gemacht habe, so ist es aus Freundschaft gegen Euern Vater geschehen, und mein eigenes Geschäft hat mich den Weg geführt. Für die Kosten meiner langen Reise ist hinlänglich gesorgt. Aber öffnet Euer Päckchen, ich habe Zeit, auf Eure Fragen Antwort zu geben.«

Der junge Mann trat demgemäß in eine Fenstervertiefung und las, wie folgt:

 

»Mein Sohn!

Was den Zustand des Landes und die Sicherheit des Reisens betrifft, so thue ich dir zu wissen, daß es damit noch immer gefährlich aussieht. Der Herzog hat die Städte Brie und Granson eingenommen, die fünfhundert Mann starke Besatzung gefangen und über die Klinge springen lassen. Aber die Eidgenossen nähern sich mit bedeutender Macht und Gott wird recht richten. Wie die Sache auch gehen mag, es ist ein hitziger Krieg, in welchem auf beiden Seiten wenig von Schonung die Rede ist. Daher gibt es keine Sicherheit für Leute von unserem Gewerbe, bis etwas Entscheidendes geschieht. Indessen kannst du die verwittwete Frau versichern, daß unser Geschäftsfreund noch immer sehr geneigt ist, das Eigenthum an sich zu bringen, was sie in Händen hat; er wird aber kaum im Stande sein, den Preis dafür zu zahlen, bis seine gegenwärtigen dringenden Geschäfte abgemacht sind. Ich hoffe, es werde dieß zeitig genug geschehen, daß wir unser Geld in die vortheilhafte Unternehmung stecken können, von welcher ich unserer Freundin gesprochen. – Ich habe einen Mönch, der in die Provence reist, beauftragt, diesen Brief dir zu überliefern, und hoffe, er werde sicher in deine Hände gelangen. Auf den Ueberbringer kannst du dich verlassen.

Dein dich liebender Vater
Johann Philipson,«

 

Arthur verstand sehr, gut den letzten Theil der Zuschrift, und war erfreut, sie in einem so entscheidenden Augenblick empfangen zu haben. Er fragte den Karmeliter nach der Stärke des burgundischen Heeres, und der Mönch gab sie zu sechzigtausend Mann an. Die Eidgenossen, sagte er, hätten zwar alle möglichen Anstrengungen gemacht, seien aber nicht im Stande gewesen, auch nur den dritten Theil davon zusammen zu bringen. Der junge Ferrand von Vaudemont sei bei ihrer Armee und habe, wie man glaube, von Frankreich insgeheim Unterstützung erhalten; aber er besitze wenig Erfahrung im Kriege, und führe nur wenig Mannschaft bei sich, und so trage der Titel eines Generals, den er führe, nur wenig zur Verstärkung der Eidgenossen bei. Ueberhaupt, sagte er, schiene jede Wahrscheinlichkeit zu Gunsten Karls zu sein. Arthur fand in einem Siege des Herzogs die einzige Möglichkeit, welche einen günstigen Erfolg für das Unternehmen seines Vaters herbeiführen könnte, und war nicht wenig erfreut, ihn so weit gesichert zu finden, als dieß durch eine große Ueberlegenheit der Streitkräfte möglich schien. Er hatte keine Zeit, weitere Fragen zu stellen, denn die Königin trat in diesem Augenblick in's Zimmer, und der Karmeliter zog sich mit einer tiefen Verbeugung zurück, als er ihren Stand erfuhr.

Die Blässe ihres Gesichts verrieth noch die Anstrengungen des vergangenen Tages; aber ihre Stimme war fest, ihr Auge klar und ihre Haltung sicher, als sie Arthur einen huldvollen Morgengruß bot. »Ich sehe dich wieder,« sagte sie, »nicht wie ich dich verließ, sondern mein Entschluß ist jetzt gefaßt. Ich bin überzeugt, daß René mit Gewalt vom Throne der Provence gestoßen werden wird, die ihm vielleicht das Leben kostet, wenn er demselben nicht freiwillig und durch einen Schritt entsagt, wie der, den wir ihm vorschlagen. Wir wollen uns also, so schnell als möglich, an die Arbeit machen. Das Schlimmste ist, daß ich das Kloster nicht verlassen kann, ohne die gehörigen Büßungen für den Besuch beim Garagoul abgethan zu haben. Wenn ich mich ihnen nicht unterzöge, so wäre ich keine Christin mehr. Wenn du nach Aix zurückkommst, so frage nach meinem Schreiber; diese Zeilen werden dir bei ihm Vertrauen zuwege bringen. Ich habe schon, ehe mir diese Hoffnungsthüre aufging, versucht, mir eine genaue Einsicht von der eigentlichen Lage des Königs René zu verschaffen, und alle dazu nöthigen Belege gesammelt. Sag' ihm, er solle mir gehörig versiegelt und auf sicherem Wege das silberbeschlagene Kästchen schicken. Die Stunden, in welchen man alte Verirrungen abbüßt, lassen sich dazu verwenden, um neuen zuvor zu kommen. Aus dem Inhalt des Kästchens werde ich ersehen, ob ich in dieser wichtigen Angelegenheit den Vortheil meines Vaters meinen halbzertrümmerten Hoffnungen aufopfern darf. Aber darüber hege ich wenig oder gar keinen Zweifel. Ich kann hier unter meiner Aufsicht die Abdankungs- und Uebertrags-Urkunden ausfertigen lassen, und die Vollziehung derselben für die Zeit vorbereiten, da ich nach Aix zurückkehre. Und das soll in dem Augenblick geschehen, wenn meine Büßungszeit vorüber ist.«

»Und dieser Brief, gnädige Frau,« sagte Arthur, »wird Euch von den Ereignissen unterrichten, die sich vorbereiten, und Euch zeigen, wie nothwendig es ist, sich zu Benutzung der Umstände bereit zu halten. Uebergebt mir nur diese wichtigen Urkunden, und ich werde Tag und Nacht reisen, bis ich des Herzogs Lager erreiche. Ich werde ihn wahrscheinlich im Augenblick des Sieges antreffen, und dann wird sein Herz zu offen sein, um der königlichen Verwandten, die ihm Alles hingibt, seinen Beistand zu versagen. Wir werden, wir müssen in einer solchen Stunde eine Hülfe erlangen, die eines Fürsten würdig ist; bald wird sich zeigen, ob der ausschweifende Eduard von York, der wilde Richard, der verrätherische und meineidige Clarence für immer Herren des lustigen Englands bleiben sollen, oder ob sie einem rechtmäßigeren Fürsten und besseren Menschen Platz machen müssen. Aber, o meine königliche Gebieterin, Alles hängt von der Schnelligkeit ab.«

»Ihr habt recht – wenige Tage können, ja müssen den Würfel zwischen Karl und seinen Gegnern fallen machen. Ehe ein so großes Opfer gebracht wird, wäre es doch gerathen, sich zu vergewissern, ob der Mann, den wir uns günstig zu stimmen wünschen, im Stande ist, uns zu unterstützen. Alle Ereignisse eines unglücklichen und wechselvollen Lebens haben mich zu der Erkenntniß gebracht, daß kein Feind zu verachten ist. Indessen will ich mich beeilen und hoffen, wir werden in der Zwischenzeit gute Nachrichten von den Ufern des Neufchateller See's erhalten.«

»Aber wen wollt Ihr dazu verwenden, um diese wichtigen Urkunden zu fertigen?« fragte der junge Mann.

Margarethe besann sich, ehe sie erwiderte: – »Der Vater Guardian ist gefällig und ich halte ihn für treu, aber ich werde immer nur mit Widerstreben einem Mönch aus der Provence mein Vertrauen schenken. Halt, da fällt mir ein – dein Vater sagt, man könne sich auf den Karmeliter verlassen, der den Brief gebracht hat. Das ist der Mann, dessen wir bedürfen. Er ist fremd und wird für ein Stück Geld schweigen. Lebe wohl, Arthur von Vere, – du wirst von meinem Vater mit aller möglichen Gastfreundschaft behandelt werden. Wenn du wieder Nachrichten bekommst, so versäume nicht, sie mir mitzutheilen; ich meinerseits werde mich an dich wenden, wenn ich Anweisungen abzuschicken habe. – Der Herr sei mit dir!«

Arthur stieg jetzt den Berg noch eiligeren Schrittes hinunter, als er ihn den Tag zuvor erstiegen. Das Wetter war wieder wunderschön geworden, und die Schönheiten der Pflanzen in einem Lande, wo die Natur nie ganz schlummert, waren wirklich entzückend und erquickend. Seine Gedanken schweiften von den Spitzen des Berges Sainte Victoire auf die Felsen des Kantons Unterwalden. Seine Einbildungskraft rief ihm die Zeit in's Gedächtniß zurück, in welcher seine Spaziergänge durch die Schweizergebirge nicht einsam waren, in welchen ihm eine Jungfrau zur Seite ging, deren einfache Schönheit sich in sein Herz gegraben hatte. Solche Gedanken waren im Stande, ihn ausschließlich zu beschäftigen, und es thut mir leid, sagen zu müssen, daß sie die Ursache waren, warum er die geheimnißvolle Warnung gänzlich vergab, welche ihm sein Vater mitgegeben, die nämlich, er solle sich nicht an den Wortlaut der Briefe halten, die er empfänge, ehe er sie dem Feuer ausgesetzt.

Das erste, was ihn an diese sonderbare Vorsichtsmaßregel wieder erinnerte, war der Anblick einer Schüssel mit glühenden Kohlen in der Küche des Wirthshauses am Fuß des Berges, wo er Thiebold und seine Pferde antraf. Es war das erste Feuer, das ihm zu Gesicht kam, seit er seines Vaters Brief erhalten, und es mahnte ihn ziemlich natürlich an das, was ihm der Graf empfohlen. Wie groß war seine Ueberraschung, als er das Papier, wie um es zu trocknen, am Feuer erwärmt hatte und nun gewahr wurde, daß ein Wort an einer wichtigen Stelle des Schreibens sichtbar wurde, und die Schlußworte nun lauteten, – »Auf den Ueberbringer kannst Du dich nicht verlassen.« Fast überwältigt von Scham und Aerger, konnte Arthur kein anderes Mittel, die Sache gut zu machen, herausfinden, als daß er augenblicklich in das Kloster zurückkehrte, um der Königin seine Entdeckung mitzutheilen. Er hoffte noch zeitig genug zu kommen, um jede Gefahr zu verhindern, der sie sich durch die Verrätherei des Karmeliters aussetzte.

Aergerlich über sich selbst und bestrebt, seinen Fehler gut zu machen, nahm er alle seine Kraft zusammen, um den Berg abermals zu erklettern. Wahrscheinlich war er nie zuvor in so kurzer Zeit erstiegen worden, als von dem jungen Erben von Vere; denn nach einem Gang von vierzig Minuten stand er außer Athem und keuchend vor der Königin Margarethe, die über seine Rückkehr und über seine Erschöpfung gleich sehr erstaunt war.

»Traut dem Karmeliter nicht!« rief er – »Ihr seid verrathen, edle Königin, und zwar durch meine Nachlässigkeit. Hier ist mein Dolch – laßt mir ihn in die Brust stoßen!«

Margarethe verlangte und erhielt eine nähere Erklärung. Als sie gemacht war, sagte sie: »Das ist ein unglücklicher Zufall; aber dein Vater hätte sich deutlicher ausdrücken sollen. Ich habe jenem Karmeliter schon den Inhalt der Verträge mitgetheilt und mit ihm verabredet, daß er sie abfaßt. Er hat mich so eben verlassen, um sich in den Chor zu begeben. Unmöglich kann ich das Vertrauen zurücknehmen, das ich ihm unglücklicherweise geschenkt; aber leicht werde ich von dem Vater Guardian erlangen, daß er den Mönch daran hindert, das Kloster zu verlassen, bis uns nichts mehr an seiner Verschwiegenheit zu liegen braucht. Dieses ist das beste Mittel, uns derselben zu versichern, und wir werden dafür sorgen, daß er durch eine Belohnung für die Unannehmlichkeiten entschädigt wird, die ihm seine Haft verursachen könnten. Unterdessen ruhe aus, guter Arthur, und mache deinen Mantelkragen auf, armer, junger Mensch, du bist ganz erschöpft durch deine Eile.«

Arthur gehorchte, und ließ sich auf einen Sitz im Sprachzimmer nieder, denn die Schnelligkeit, die er gebraucht, machte es ihm fast unmöglich, zu stehen.

»Wenn ich nur,« sagte er, »den falschen Mönch sehen könnte, so würde ich wohl Mittel finden, ihn zum Schweigen zu bringen.«

»Es ist besser, du überlässest es mir,« sagte die Königin; »mit einem Wort, ich verbiete dir, dich mit ihm zu befassen; die Haube kann besser mit der Mönchskappe umgehen als der Helm. Sprich nicht mehr von ihm. Es freut mich, daß du die heilige Reliquie um den Hals trägst, die ich dir geschenkt; – aber was für einen maurischen Talisman hast du denn daneben? Ach, ich brauche nicht zu fragen. Du wirst fast so roth, als du vor einer Viertelstunde warst, als du hereinkamst: gesteh', es ist ein Liebespfand. Ach, armes Kind; hast du nicht blos einen Theil von dem Unglück deines Vaterlandes zu tragen, sondern auch deine eigene Bürde von Kümmerniß? Sie ist jetzt auch die minder schwere, aber die Zukunft wird dir zeigen, wie ungereimt sie ist. Margarethe von Anjou hätte früher deine Neigung unterstützen können, welches auch der Gegenstand derselben gewesen wäre; aber heutzutage vermag sie blos zum Unglück ihrer Freunde beizutragen, nichts zu ihrem Wohlergehen. Aber das Zaubermädchen, Arthur, ist sie schön – ist sie verständig und tugendhaft – ist sie von edler Geburt – und liebt sie dich?« Sie überflog mit einem Adlerblick sein Gesicht und fuhr fort, »du würdest auf alle diese Fragen mit Ja antworten, wenn die Bescheidenheit dir solches verstattete. Liebe sie also wieder, mein wackerer Junge, denn die Liebe ist die Mutter edler Handlungen. Geh, mein junger Freund – hochgeboren und treu, tapfer und tugendhaft, verliebt und jung, wie weit kannst du es nicht bringen! Das Ritterthum des alten Europa lebt nur noch in Herzen wie das deine. Geh' und laß das Lob einer Königin dich mit Liebe für Ehre und kühne Thaten entflammen. In drei Tagen sehen wir uns in Aix wieder.«

Arthur nahm tief gerührt über die Herablassung der Königin auf's Neue Abschied von ihr.

Er ging wieder den Berg hinab, aber mit viel weniger Eile, als er beim Hinaufsteigen angewendet. Unten fand er seinen provençalischen Stallmeister, der in großer Ueberraschung zurückgeblieben war, als er die Verwirrung bemerkte, in welcher sein Herr das Wirthshaus fast unmittelbar wieder verlassen hatte, nachdem er es ohne scheinbare Eile oder Erregung betreten.

Arthur erklärte seine schnelle Rückkehr dadurch, daß er vorgab, er habe seinen Beutel in dem Kloster vergessen gehabt; »ja in diesem Fall,« sagte Thiebold, »wenn ich bedenke, was und wo Ihr es liegen ließet, wundre ich mich nicht über Eure Eile, obgleich ich, die heilige Jungfrau steh' mir bei! nie ein lebendes Wesen, als etwa eine Ziege mit einem Wolf auf den Fersen, den Weg über Felsen und Hecken mit halb so viel Schnelligkeit zurücklegen sah, als Euch.«

Sie erreichten Aix nach einem Ritt von etwa einer Stunde, und Arthur verlor keine Zeit, den guten König René aufzusuchen. Dieser empfing ihn sehr freundlich sowohl aus Rücksicht auf den Brief des Herzogs von Burgund, als in Betracht, daß er ein Engländer und der ergebene Unterthan der Königin Margarethe war. Der versöhnliche Monarch verzieh bald seinem jungen Gast den Mangel an Gefälligkeit, mit dem er sich geweigert, seine musikalischen Erzeugnisse anzuhören. Arthur erkannte schnell, daß eine Entschuldigung für den Mangel an Lebensart, den er in dieser Beziehung gezeigt, ihn wahrscheinlich in die Lage bringen würde, mehr aushalten zu müssen, als seine Geduld zu ertragen vermochte. Er konnte sich dem sehnlichen Wunsche des alten Königs, seine eigenen Gedichte vorzulesen und seine eigene Musik aufzuführen, blos dadurch entziehen, daß er von seiner Tochter Margarethe zu sprechen anfing. Arthur hatte manchmal an dem Einfluß zweifeln wollen, dessen sich die Königin über ihren alten Vater rühmte; nachdem er aber René näher kennen gelernt, überzeugte er sich, daß der gewaltige Verstand und die heftigen Leidenschaften der Tochter dem schwachsinnigen und lenksamen König eine Mischung von Stolz, Zuneigung und Furcht eingeflößt hatten, und daß diese sich vereinigten, um jener die ausgedehnteste Herrschaft über ihren Vater zu verschaffen.

Obschon sie ihn erst vor ein paar Tagen und auf eine so unfreundliche Art verlassen hatte, war René doch so vergnügt über die Nachricht von ihrer wahrscheinlichen und nahe bevorstehenden Rückkehr, als der zärtlichste Vater bei der Aussicht auf Wiedervereinigung mit dem gehorsamsten Kinde hätte sein können, das er Jahre lang nicht gesehen. Der alte König erwartete den Tag ihrer Ankunft mit der Ungeduld eines Knaben. Noch immer befand er sich in seltsamer Unwissenheit über die Verschiedenheit ihres Geschmacks von dem seinen, und nur mit Mühe konnte man ihn von dem Plan abbringen, ihr im Aufzug des alten Palämon

»des Stolzes und Fürsten der Hirten,«

an der Spitze eines Zugs arkadischer Nymphen und Schäfer entgegenzugehen. Dabei wollte er zu den Chortänzen und Gesängen jede Pfeife, jede Handtrommel im Lande in Bewegung setzen. Aber selbst der alte Haushofmeister gab seine Mißbilligung über diese Art von joyeuse entrée (fröhlichen Einzug) zu erkennen. So ließ sich René am Ende überreden, die Königin sei zu sehr mit den religiösen Eindrücken beschäftigt, denen sie in letzter Zeit ausgesetzt gewesen, als daß sie durch Betrachtung oder Anhörung weltlicher Gegenstände angenehm berührt werden könnte. Der König gab diesen Gründen nach, obgleich er nicht mit ihnen einverstanden war, und so entging Margarethe einem widerlichen Empfang, der sie vielleicht in ihrer Ungeduld auf den Berg Sainte Victoire und in die schwarze Höhle von Lou Garagoule zurückgetrieben hätte.

Während ihrer Anwesenheit brachte der Hof von Provence seine Tage in Spielen und Belustigungen aller Art hin: Turniere in den Schranken mit stumpfen Speeren, Ringelrennen, Hasen- und Falkenjagden, an denen die Jugend beiderlei Geschlechts Antheil nahm, bildeten die Ergötzung des Königs, und die Abende wurden unter Musik und Tanz zugebracht.

Arthur mußte sich gestehen, daß ihn das Alles vor Kurzem noch vollkommen glücklich gemacht haben würde; aber die letzten Monate seines Lebens hatten seinen Verstand und seine Leidenschaften gereift. Er war nunmehr eingeweiht in das eigentliche Treiben des menschlichen Daseins, und blickte auf die Erheiterungen desselben mit einer Art von Geringschätzung. So erwarb er sich unter dem lustigen Adel, aus dem der fröhliche Hof bestand, den Titel des jungen Weltweisen; aber man gab ihm denselben vermuthlich nicht, um ihm eine Schmeichelei zu machen. Am vierten Tage lief durch einen besonderen Boten die Nachricht ein, daß die Königin Margarethe noch vor Mittag in Aix eintreffen würde, um ihren Aufenthalt wieder im Palaste ihres Vaters zu nehmen. Der gute König schien, als der Augenblick herankam, das Zusammentreffen mit seiner Tochter ebenso sehr zu fürchten, als er es früher gewünscht hatte, und steckte auch seine ganze Umgebung mit seiner rastlosen Unruhe an; er quälte seinen Haushofmeister und seine Köche, die Speisen zu bereiten, die sie, wie er bemerkt, gerne gegessen; er drang in die Spielleute, sich auf die Weisen zu besinnen, die ihr Vergnügen gewährten. Und als Einer von ihnen die kecke Antwort gab, er habe nie wahrgenommen, daß die gnädige Frau einem Musikstück geduldig zugehört hätte, so drohte ihm der Monarch, ihn für diese Lästerung auf den Geschmack seiner Tochter aus seinem Dienste zu entlassen. Das Essen wurde auf halb zwölf Uhr bestellt, wie wenn er durch die frühere Anordnung desselben die Ankunft der erwarteten Gäste hätte beschleunigen können. Der alte König lief mit einem Tellertuch unter dem Arm durch den Saal, von Fenster zu Fenster, und ermüdete Jedermann mit Fragen, ob nichts von der Königin von England zu sehen wäre. Gerade in dem Augenblick, da die Glocken zwölf Uhr schlugen, ritt die Königin mit einem sehr kleinen Gefolge, meistens aus Engländern bestehend, in Morgengewändern, wie sie selbst, in der Stadt Aix ein. König René versäumte nicht, an der Spitze seines Hofes von seinem stattlichen Palast herunter bis an's Ende der Straße seiner Tochter entgegenzugehen. Stolz, hochmüthig und besorgt, sich lächerlich zu machen, war Margarethe keineswegs erfreut über diese öffentliche Begrüßung auf dem Marktplatz. Aber sie wünschte in diesem Augenblick ihre neuliche Unart gut zu machen, und stieg darum ab von ihrem Zelter. Sie stieß sich zwar etwas daran, daß sie René mit einem Tellertuch daher kommen sah, dennoch erniedrigte sie sich so weit, daß sie ein Knie vor ihm beugte, und ihn um seinen Segen und um seine Verzeihung bat.

»Du hast – du hast meinen Segen, meine leidende Taube!« sprach der schlichte König zu der stolzesten und ungeduldigsten Fürstin, die je eine verlorene Krone beweinte. »Und wie kannst du um Verzeihung bitten, da du mich nie beleidigt, seit mich Gott zum Vater eines so trefflichen Kindes gemacht? – Steh' auf, sag' ich, steh' auf – an mir ist es, dich um Verzeihung zu bitten. – Wahrhaftig, ich sagte in meiner Unwissenheit und dachte bei mir selbst, mein Herz habe mir etwas Glückliches eingegeben, aber es ist dir unangenehm gewesen. Also ist es an mir, deine Vergebung nachzusuchen.« – Und wieder sank der gute König René auf beide Kniee; und das Volk, welches gewöhnlich von Allem angezogen wird, was etwas Auffallendes an sich hat, gab lärmend seinen Beifall zu erkennen. Einige unterdrückten auch das Lachen über eine Stellung, in welcher die Tochter und der Vater sich so sonderbar ausnahmen.

Margarethe haßte alles Lächerliche, und war sich wohl bewußt, daß ihre dermalige Lage sich wenigstens durch ihre Oeffentlichkeit komisch genug ausnahm; sie gab Arthur'n, den sie im Gefolge des Königs erblickte, ein Zeichen, zu ihr zu kommen, bediente sich seines Arms, um aufzustehen, und flüsterte ihm auf Englisch zu: »Welchen Heiligen soll ich anflehen, mir die Geduld zu bewahren, deren ich so sehr bedarf?«

»Um Gottes willen, königliche Frau, nehmt alle Eure Geistesgegenwart und Ruhe zu Hülfe,« antwortete leise ihr Knappe, der sich in diesem Augenblick mehr verlegen fühlte, als geehrt durch seinen ausgezeichneten Dienst; denn es konnte ihm nicht entgehen, daß die Königin vor Ungeduld und Verdruß zitterte.

Zuletzt traten sie ihren Weg in den Palast wieder an. Vater und Tochter Arm in Arm. Dieß war für Margarethe angenehm; sie vermochte es über sich, den Erguß der Zärtlichkeit ihres Vaters und den allgemeinen Ton seines Gesprächs zu ertragen, da er von Andern nicht gehört wurde. In gleicher Weise ließ sie sich mit lobenswerther Geduld die lästigen Aufmerksamkeiten gefallen, die er ihr bei Tische erwies; sie begrüßte die Vornehmsten von seinen Höflingen, fragte nach Andern, brachte den Lieblingsgegenstand seiner Unterhaltung, die Dichtkunst, zur Sprache, die Malerei und die Musik, bis der gute König so entzückt war über die ungewohnte Artigkeit seiner Tochter, als je ein Liebender über das Geständniß der Zuneigung seiner Gebieterin, wenn nach Jahren eifriger Bewerbung das Eis ihres Busens endlich aufgetaut ist. Es kostete die hochmüthige Margarethe Anstrengung, sich an diese Rolle zu halten – ihr Stolz sträubte sich, bis zu Schmeicheleien gegen die Schwächen ihres Vaters herabzusteigen, um ihn zur Verzichtleistung auf sein Land zu bewegen. Da sie es indessen einmal unternommen und schon so viel für die einzige noch übrige Möglichkeit eines günstigen Erfolgs bei einem Angriff auf England gewagt hatte, so sah sie keinen andern Ausweg oder wollte keinen andern sehen.

Zwischen der Mahlzeit und dem Ball, welcher der ersteren folgen sollte, suchte die Königin Gelegenheit, mit Arthur zu sprechen.

»Schlimme Neuigkeiten, mein weiser Rathgeber,« sagte sie. »Der Karmeliter ist nicht in's Kloster zurückgekehrt, nachdem der Gottesdienst vorüber war. Da er erfahren, daß du in großer Eile zurückgekommen seiest, schloß er wahrscheinlich, man möchte Verdacht auf ihn haben, und verließ das Kloster auf dem Berge Sainte Victoire.«

»Wir müssen die Maßregeln beschleunigen, welche Euer Gnaden zu ergreifen beschlossen hat,« antwortete Arthur.

»Ich werde morgen mit meinem Vater sprechen. Unterdessen mußt du die Vergnügungen des Abends mitmachen, denn für dich mögen es Vergnügungen sein. – Fräulein von Boisgelin, ich gebe Euch diesen Edelmann zum Tänzer für den Abend.«

Die schwarzaugige, hübsche Provençalin verbeugte sich mit gebührendem Anstand, und warf auf den schönen, jungen Engländer einen beifälligen Blick; aber entweder schreckte sie der Ruf eines Weltweisen ab, in dem er stand, oder sein zweifelhafter Rang – sie fügte die Bedingung hinzu – »wenn es meine Mutter zugibt.«

»Eure Mutter, Fräulein, wird, denk' ich, kaum Etwas an einem Tänzer auszusetzen haben, den Ihr aus den Händen Margarethens von Anjou empfanget. Glückliches Vorrecht der Jugend,« setzte sie mit einem Seufzer hinzu, als das junge Paar wegging, um die Plätze beim Tanzen einzunehmen, »welche auf den rauhesten Wegen eine Blume pflücken kann!«

Arthur hielt sich den ganzen Abend so gut, daß die junge Gräfin vielleicht blos bedauerte, daß ein so munterer und schöner Mann seine Complimente und Aufmerksamkeiten innerhalb der kalten Schranken der Höflichkeit hielt, welche durch die Vorschriften der Umgangssitten gezogen werden.



 << zurück weiter >>