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Neunzehntes Kapitel

Erster Kärrner. He, Stallknecht! – Daß dich die Schwerenoth! Hast keine Augen im Kopfe? Kannst nicht hören? Wenn es nicht ein christliches Werk wäre, dir den Kopf einzuschmeißen, so will ich ein Hundsfott sein. – Komm an den Galgen! Bist ganz des Teufels?

Gadshill. Sei so gut und leihe mir deine Laterne, daß ich nach meinem Wallach im Stalle sehen kann.

Zweiter Kärrner. Ei, sieh da! schönen Dank! Ich weiß Euch Pfiffe, die noch 'mal so gut sind, meine Seel!

Gadshill. Sei so gut und leihe mir deine.

Dritter Kärrner. Ja, wenn eh'r? Das sagt' mir 'mal. »Leih' mir deine Laterne!« Ei ja doch, ich will dich erst am Galgen sehen.

Heinrich VI.

Der gesellschaftliche Geist, welcher der französischen Nation eigenthümlich ist, hatte damals bereits in der Herberge dieses Landes den muntern und fröhlichen Willkommen eingeführt, über welchen sich in einer späteren Zeit Erasmus mit großem Nachdruck als über den Gegensatz zu dem finstern und mürrischen Empfang ausläßt, auf welchen sich die Fremden in einem deutschen Wirthshause gefaßt haben müßten. Philipson erwartete daher von einem geschäftigen, höflichen und geschwätzigen Wirth, von der Wirthin und ihrer Tochter, Beide liebreich, gefallsüchtig und lustig – von dem lächelnden und geschmeidigen Kellner – und einer gefälligen Hausmagd mit Grübchen im Kinn empfangen zu werden. Die besseren Herbergen in Frankreich hatten auch gesonderte Zimmer aufzuweisen, in denen die Fremden ihre Kleider wechseln oder in Ordnung bringen, wo sie ganz allein schlafen und ihr Gepäck in Sicherheit bringen konnten. Aber in Deutschland gehört all' das noch zu den größten Seltenheiten, und im Elsaß, dem gegenwärtigen Schauplatz unserer Handlung, wie in den andern Zugehörden des Reichs, betrachtete man Alles als weibisch, was über die Vorkehrungen hinausging, welche zu Befriedigung der Bedürfnisse der Reisenden unumgänglich nöthig waren. Selbst diese wurden noch roh und mittelmäßig zubereitet, und, mit Ausnahme des Weins, sparsam verabreicht.

Als der Engländer sah, daß Niemand am Thore erschien, fing er an, sein Dasein durch lautes Rufen kund zu thun; zuletzt stieg er ab und polterte aus Leibeskräften geraume Zeit an die Thore des Wirthshauses, ohne die geringste Aufmerksamkeit erregen zu können. Endlich schob sich der Kopf eines grauen Knechts durch ein kleines Fenster und fragte, was er wollte, mit einer Stimme, in welcher mehr Verdruß über die Störung durchklang, als Hoffnung auf den Vortheil, den die Ankunft eines Gastes bringen konnte.

»Ist das ein Wirthshaus?« erwiderte Philipson.

»Ja,« versetzte der Diener kurz, und wollte sich schon wieder von dem Fenster entfernen, als der Reisende hinzusetzte:

»Und wenn das ist, kann ich übernachten?«

»Ihr könnt hereinkommen,« war die kurze und trockene Antwort.

»Schicket Jemand heraus, der mir die Pferde abnimmt,« entgegnete Philipson.

»Es hat Niemand Zeit,« antwortete dieser abstoßendste aller Aufwärter. »Ihr müßt Euren Pferden selbst eine Streu zurecht machen, so gut Ihr könnt.«

»Wo ist der Stall?« sagte der Kaufmann, dessen Klugheit und Mäßigung dieser ächt holländischen Gleichgültigkeit und Trägheit gegenüber auf einer harten Probe stand.

Der Bursche, der so sparsam mit Worten zu sein schien, als ob er mit jedem derselben einen Dukaten verlöre, wie die Prinzessin im Feenmärchen, wies blos auf eine Thüre in einem Außengebäude, die eher zu einem Keller als zu einem Stalle zu führen schien. Dann zog er, als wäre er des Gesprächs müde, den Kopf hinein und warf das Fenster dem Gaste gerade vor der Nase zu, wie wenn er es mit einem zudringlichen Bettler zu thun gehabt hätte.

Philipson fluchte über den Geist der Unabhängigkeit, welcher einen Reisenden seinen eigenen Hülfsquellen und Anstrengungen überließ, machte aber aus der Noth eine Tugend und führte die zwei Klepper der Thüre zu, die man ihm als die des Stalles bezeichnet. Er war herzlich erfreut, als er durch die Spalte derselben Licht schimmern sah, und trat mit den Thieren in einen Raum ein, der sehr viel Aehnlichkeit mit dem Kerkergewölbe eines alten Schlosses hatte, und in roher Weise mit Raufen und Krippen versehen war. Er dehnte sich beträchtlich in die Länge, und am untern Ende beschäftigten sich zwei oder drei Menschen damit, ihre Pferde anzubinden, zu striegeln und mit Futter zu versorgen.

Das letztere wurde von dem Hausknecht verabreicht, einem sehr alten lahmen Manne, der weder den Wischer noch den Striegel in die Hand nahm, sondern da saß und das Heu pfundweise abwog. Den Haber, schien es, zählte er Korn für Korn heraus, so eifrig lag er seinem Geschäfte mit Hülfe eines schwachen Lichtes ob, das in einer Hornlaterne steckte. Nicht einmal den Kopf drehte er bei dem Geräusch herum, welches der Engländer machte, als er mit seinen zwei Pferden eintrat; noch weniger zeigte er Lust, im Geringsten sich stören zu lassen, oder dem Fremden den mindesten Beistand zu leisten.

In Bezug auf Reinlichkeit glich der Stall dieses elsässischen Dorfes ziemlich dem des Augias, und es wäre eine des Herkules würdige That gewesen, ihn in einen solchen Stand von Sauberkeit zu bringen, daß er in den Augen des pünktlichen Engländers anständig und für die Nase desselben erträglich geworden wäre. Dies war aber Etwas, was Philipson weit mehr anwiderte, als seine Begleiter, die es insbesondere anging. Sie, die zwei Rosse nämlich, schienen vollkommen zu begreifen, es sei die Regel des Orts, »wer zuerst kommt, mahlt zuerst,« und eilten, die leeren Plätze einzunehmen, welche ihnen zunächst standen. Hierin sah sich aber wenigstens eines von ihnen getäuscht, denn es wurde von einem Knechte mit einem Ruthenhieb über den Kopf empfangen.

»Das nimm dafür,« sagte der Bursche, »daß du dich in den Platz eindrängst, der für die Pferde des Freiherrn von Randelsheim aufbehalten ist.«

Niemals im Laufe seines Lebens hatte der englische Kaufmann mehr Mühe gehabt, über sich Herr zu bleiben, als in diesem Augenblicke. Er dachte indessen an den Schimpf, den ihm ein Streit in solcher Sache und mit einem solchen Mann zuziehen mußte und begnügte sich damit, daß er das so aus dem Stall, den es sich erlesen, vertriebene Thier in einen andern neben seinem Gefährten stellte, auf welchen, wie es schien, keinerlei Ansprüche erhoben wurden.

Hierauf machte sich der Kaufmann, trotz der Anstrengungen des Tages, daran, den stummen Genossen seiner Fahrt alle die Aufmerksamkeit zu widmen, welche jeder einigermaßen kluge, um nicht zu sagen menschliche Reisende auf sie verwendet. Die ungewöhnliche Mühe, die sich Philipson gab, um seine Pferde ordentlich zu versorgen, obgleich ihn sein Anzug und mehr noch sein Benehmen über diese Knechtsarbeit zu erheben schien, machte selbst auf die eiserne Unempfindlichkeit des alten Hausknechts Eindruck. Er bewies einige Hurtigkeit, den Reisenden, der das Geschäft eines Stallknechts so wohl inne hatte, mit Haber, Stroh und Heu zu versorgen. Aber auch er bekam nur eine geringe Menge davon und zu übertriebenen Preisen, die augenblicklich bezahlt werden mußten. Der Mann trieb die Artigkeit so weit, daß er bis an die Stallthüre vortrat und über den Hof hinüber auf den Brunnen deutete, aus welchem Philipson eigenhändig Wasser holen mußte. So glaubte der Kaufmann, als er die Stallgeschäfte zu Ende gebracht, er habe Theilnahme genug bei dem mürrischen Stallmeister erregt, um von ihm erfahren zu können, ob seine Ballen im Stalle sicher wären.

»Ihr könnt sie hier lassen, wenn Ihr wollt,« gab der Hausknecht zur Antwort; »aber in Bezug auf ihre Sicherheit werdet Ihr klüger thun, wenn Ihr sie mitnehmet und Niemand dadurch in Versuchung führet, daß Ihr die Augen davon wegwendet.«

Damit schloß der Habermann sein Orakel, und ließ sich nicht dazu bringen, den Mund wieder aufzumachen, sein Kunde mochte Fragen an ihn richten, wie und so lange er wollte. Im Verlauf dieses kühlen und wenig einladenden Empfangs erinnerte sich Philipson wieder an die Nothwendigkeit, das Betragen eines klugen und vorsichtigen Handelsmanns beizubehalten, welches er an diesem Tage schon einmal außer Acht gelassen. Er that also nach, was die Andern gethan, die, wie er, für ihre Pferde hatten sorgen müssen, nahm sein Gepäck auf die Achsel, und begab sich mit seinem Eigenthum in die Herberge. Hier ließ man ihn mehr herein, als daß man ihm den Zutritt freigab, und zwar in die allgemeine oder große Gaststube, worin sich, wie in der Arche der Patriarchen, alle Stände ohne Unterschied, rein oder unrein, zusammengefunden hatten.

Die Stube einer deutschen Herberge hat ihren Namen von dem großen Ofen Im Englischen heißt Stove ein Ofen, und das Wort wird fast wie das deutsche Stube ausgesprochen. D. Uebers., der immer stark geheizt wird, um das Gemach warm zu halten, in welchem er sich befindet. In derselben waren Reisende von jedem Alter und Stand versammelt. Da hingen ihre Oberkleider ohne Unterschied in der Stube herum, um zu trocknen oder gelüftet zu werden, und die Gäste selbst sah man in verschiedener Weise mit Waschungen, mit ihrem Anzug und anderen Dingen beschäftigt, die man heutzutage gewöhnlich für sich allein und im Ankleidezimmer abmacht.

Die verfeinerten Begriffe des Engländers fühlten sich von diesem Auftritt abgestoßen, und er sträubte sich dagegen, sich in denselben zu mischen. Daher fragte er nach dem besonderen Aufenthalte des Wirthes selbst, und glaubte, mittelst einiger von den Beweisgründen, die so viel Einfluß auf die Zunft desselben äußern, werde er eine von den übrigen abgesonderte Wohnung und etwas zu essen bekommen können, was er für sich verzehren wollte. Ein grauhaariger Ganymed, an welchen er sich mit der Frage wandte, wo der Wirth wäre, deutete auf einen Winkel hinter dem ungeheuren Ofen, wo es dem großen Mann gefiel, seine Herrlichkeit in einer sehr dunkeln und außerordentlich heißen Ecke zu verhüllen und sich dem gemeinen Anblick zu entziehen. Es lag etwas Merkwürdiges in seinem Aeußeren. Kurz, drall, krummbeinig und eingebildet, glich er in diesen Beziehungen manchen Leuten seines Standes in allen Ländern. Aber das Gesicht des Mannes und mehr noch sein Betragen unterschieden sich mehr von dem der fröhlichen Wirthe in Frankreich und England, als selbst der erfahrene Philipson hatte erwarten können. Er kannte die Gebräuche Deutschlands zu wohl, um hier an die demüthigen und dienstfertigen Eigenschaften des Herrn eines französischen Gasthofs, oder auch nur an das derbere und freiere Betragen eines englischen Wirthes zu denken. Die deutschen Schenkwirthe, die er bisher getroffen, waren willkürlich und gebieterisch, nach der Sitte ihres Landes und Zeitalters; wenn man ihnen aber dabei nicht widersprach, so zeigten sie sich, wie Tyrannen in ihren Erholungsstunden, gegen die Gäste, über welche sich ihre Herrschaft ausdehnte, gütig und milderten die Strenge ihrer unbeschränkten Gewalt durch Scherz und Lustigkeit. Die Stirne dieses Mannes aber glich einem Band Trauerspiele, in welchem man ebensowenig etwas von Spaß oder Unterhaltung finden wird, als im Brevier eines Einsiedlers. Seine Antworten waren kurz, heftig und zurückschreckend, die Miene und die Art, mit der sie losgelassen wurden, eben so rauh als ihr Inhalt. Dies wird sich aus dem nachstehenden Gespräch zwischen ihm und seinem Gast ergeben.

»Guter Wirth,« sagte Philipson im sanftesten Tone, den er annehmen konnte, »ich bin müde und etwas unwohl, darf ich um ein besonderes Zimmer bitten, um einen Becher Wein und etwas zu essen, was ich für mich allein verzehren möchte?«

»Das dürft Ihr,« antwortete der Wirth, aber mit einem Blick, der im Widerspruch mit der scheinbaren Einwilligung stand, welche seine Worte in sich schlossen.

»Laßt mich also solcher Bequemlichkeit theilhaftig werden, sobald es Euch gelegen ist.«

»Sachte!« versetzte der Herbergsvater. »Ich habe gesagt, Ihr dürftet solche Sachen fordern, aber nicht, ich würde Euch dieselben zugestehen. Wenn Ihr darauf beharrt, anders als Andere bedient sein zu wollen, so muß das in einem andern Wirthshaus geschehen, als in dem meinigen.«

»Nun denn,« sagte der Reisende, »ich will mich einmal ohne Nachtessen behelfen, – ja, noch mehr, ich verstehe mich dazu, ein Nachtessen, das ich nicht genieße, zu bezahlen, wenn Ihr mir nur ein besonderes Gemach anweisen wolltet.«

»Herr Reisender,« entgegnete der Schenkwirth, »hier wird Jedermann so gut versorgt wie Ihr, denn Alle zahlen gleich. Wer in dieses Gasthaus kommt, muß essen was Andere essen, und trinken was Andere trinken, mit meinen übrigen Gästen zu Tische sitzen, und in's Bett gehen, wenn die Gesellschaft genug getrunken hat.

»All' das,« sagte Philipson, der sich demüthigte, da es lächerlich gewesen wäre, sich aufgebracht zu zeigen, »ist höchst billig, und ich widersetze mich Euren Gesetzen oder Gebräuchen nicht. Aber,« fügte er hinzu und nahm den Beutel vom Gürtel, »Krankheit begründet ein Vorrecht, und wenn der Leidende dafür bezahlt, meine ich, sollte die Strenge Eurer Gesetze einige Milderung zulassen.«

»Ich halte ein Wirthshaus, Signor, und kein Spital. Wenn Ihr hier bleibt, so werdet Ihr ebenso aufmerksam bedient werden, wie die Andern, – wenn Ihr nicht thun wollt, was die Anderen thun, so verlasset mein Haus und suchet eine andere Herberge.«

Als Philipson diese entscheidende Zurückweisung erhielt, gab er den Streit auf und zog sich aus dem Allerheiligsten seines ungnädigen Wirths zurück, um die Ankunft des Nachtessens abzuwarten. Er war eingesperrt wie ein Ochse im Pferdestall, unter den sich drängenden Bewohnern der Stube. Einige der letztern hatte ihr Weg erschöpft, und sie schnarchten die Zeit zwischen ihrer Ankunft und dem Beginn der erwarteten Mahlzeit hinweg; Andere besprachen mit einander die Neuigkeiten der Gegend; noch Andere würfelten oder machten andere Spiele, die dazu dienen konnten, die Zeit zu vertreiben. Die Gesellschaft gehörte verschiedenen Ständen an, von denen, deren Aeußeres Reichthum und Wohlhabenheit verrieth, bis zu denen, deren Kleider und Betragen ankündigten, daß sie nur gerade nicht mit Armuth kämpften.

Ein Bettelmönch, ein Mann von offenbar fröhlichem und gefälligem Wesen, näherte sich Philipson und knüpfte ein Gespräch mit ihm an. Der Engländer kannte die Welt hinreichend, um zu wissen, daß ein geselliges und offenes Benehmen am besten zu verstecken vermochte, was er von seinem Stand und Vorhaben geheim gehalten zu wissen wünschte. Er kam deshalb der Annäherung des Mönchs freundlich entgegen, und besprach sich mit ihm über den Zustand von Lothringen und die Theilnahme, welche der Versuch des Herzogs von Burgund, sich dieses Lehens für eigene Hand zu bemächtigen, wohl in Frankreich und Deutschland hervorrufen würde. Hiebei begnügte sich Philipson, die Ansichten seines Reisegefährten anzuhören, und gab nichts von seinen eigenen preis, sondern hielt es, nachdem er die Nachrichten in Empfang genommen, die ihm der Mönch mitzutheilen für gut fand, für besser, von der Geographie des Landes zu reden, von den Erleichterungen, die es dem Handel gewährte, und den Einrichtungen, die den Verkehr hemmten oder beförderten.

Während er so in ein Gespräch verflochten war, welches am besten zu seinem Gewerbe zu passen schien, trat plötzlich der Wirth in's Zimmer, stieg auf ein altes Faß und blickte langsam und fest rund im Gemach herum. Als er seine Musterung vollendet, sprach er in entscheidendem Tone den doppelten Befehl aus, – »Schließt die Thore, – deckt den Tisch.«

»Der heilige Antonius sei gelobt,« sagte der Mönch, »unser Wirth hat die Hoffnung aufgegeben, noch mehr Gäste für die Nacht zu bekommen. Wir hätten sonst bis zu dieser gesegneten Zeit aus Mangel an Nahrung vergehen können, ehe er uns erlöst hätte. Ei, da kommt ja das Tischtuch, die alten Hofthore sind jetzt fest genug verriegelt, und wenn Johann Mengs einmal sagt, macht die Thore zu, so kann ein Fremder außen klopfen, so lang er will, wir dürfen versichert sein, daß ihm nicht aufgemacht wird.«

»Herr Mengs hält strenge Zucht in seinem Hause,« bemerkte der Engländer.

»So unumschränkt, als der Herzog von Burgund,« antwortete der Mönch. »Nach zehn Uhr kein Zutritt – das ›sucht eine andere Herberge‹, wird, sobald die Glocke geschlagen und die Nachtwächter ihre Runde begonnen haben, ein unumstößliches Ausschließungsgebot. Wer draußen ist, bleibt draußen; wer innen ist, muß eben so bleiben, bis bei Tagesanbruch die Thore aufgehen. Bis dahin ist das Haus wie eine belagerte Veste, Johann Mengs ihr Befehlshaber.«

»Und wir seine Gefangenen, guter Vater,« sagte Philipson; »nun, ich bin zufrieden, ein kluger Reisender unterwirft sich der Gewalt der Volksführer, wenn er unterwegs ist, und ich hoffe, ein wohlgenährter, feister Potentat, wie Johann Mengs, wird so milde sein, als seine Stelle und Würde es zulassen.«

Während sie sich so unterhielten, hatte der bejahrte Kellner mit manchem müden Blick und vielen Seufzern gewisse Bretter hervorgezogen, mit welchen ein in der Mitte der Stube stehender Tisch so vergrößert werden konnte, daß er die anwesende Gesellschaft aufzunehmen vermochte. Er bedeckte ihn mit einem Tuch, das sich weder durch außerordentliche Reinlichkeit noch Feinheit des Gewebes auszeichnete. Als der Tisch für die Gästezahl groß genug war, wurden Teller und Löffel von Holz nebst einem Trinkglas vor die Plätze gestellt, denn man versah sich, daß Jeder für die anderen Bedürfnisse des Tisches sich seines eigenen Messers bedienen würde. Gabeln kamen erst in viel späterer Zeit in Aufnahme; alle Europäer machten damals Gebrauch von ihren Fingern, um ihre Bissen auszuwählen und sie in den Mund zu befördern, wie die heutigen Asiaten.

Kaum war der Tisch gedeckt, so beeilten sich die hungrigen Gäste, ihre Sitze daran einzunehmen. Die Schläfer wurden geweckt, die Würfler gaben ihr Spiel auf, die Müssiggänger und Politiker brachen ihre weisen Verhandlungen ab, um ihren Platz an dem Abendmahlstisch zu besetzen und ihre Rolle bei der anziehenden Feierlichkeit zu spielen, welche vor sich gehen zu wollen schien. Aber zwischen Mund und Kelchesrand ist eine weite Kluft gespannt, und manchmal nicht weniger zwischen dem Tischdecken und Auftragen. Die Gäste saßen in Ordnung, jeder mit blankem Messer, und bedrohten schon die Lebensmittel, welche noch unter der Hand des Kochs herumgingen. Sie hatten, der Eine mit viel, der Andere mit wenig Geduld, eine volle halbe Stunde gewartet, als zuletzt der alte vorerwähnte Kellner mit einem Krug Moselwein hereinkam. Dieser war aber so leicht und von so scharfem Geschmack, daß Philipson seinen Becher niedersetzte und ihm jeder Zahn im Munde knirschte, nachdem er nur ein klein wenig davon verschluckte. Der Wirth, Johann Mengs, hatte einen etwas erhöhten Sitz oben am Tische eingenommen; er gewahrte dieses Zeichen von Ungehorsam, und unterließ nicht, es zu ahnden.

»Der Wein schmeckt Euch, scheint's, nicht, mein Herr?« sagte er zu dem englischen Kaufmann.

»Als Wein nicht,« antwortete Philipson; »aber wenn ich etwas bemerken könnte, was eines solchen Zugusses bedürfte, so hätte ich selten besseren Essig gefunden.«

Dieser Scherz wurde zwar ganz ruhig und gelassen vorgebracht, schien aber den Herbergsvater in Wuth zu versetzen.

»Was seid Ihr,« schrie er, »für ein fremder Hausirer, daß Ihr Euch untersteht, meinen Wein zu tadeln, der von so vielen Prinzen, Herzogen, regierenden Fürsten, Rheingrafen, Grafen, Freiherrn und Reichsrittern gelobt worden ist, denen Ihr nicht einmal die Schuhe zu putzen verdienet? Ist das nicht von dem Wein, von welchem der Pfalzgraf von Nimmersatt sechs Viertel trank, ehe er aus dem gesegneten Sessel aufstand, in welchem ich jetzt sitze?«

»Ich zweifle nicht daran, mein Wirth,« entgegnete Philipson; »und es würde mir nicht einfallen, etwas über die Mäßigkeit Eures ehrenwerthen Gastes zu sagen, wenn er auch doppelt so viel getrunken hätte.«

»Still, du boshafter Spötter!« sagte der Wirth. »Augenblicklich entschuldige dich bei mir und dem Wein, den du gelästert, oder ich lasse das Nachtessen bis Mitternacht verschieben.«

Jetzt entstand ein allgemeiner Lärm unter den Gästen. Alle schwuren, sie haben keinen Antheil an den Vergehen Philipsons, und die meisten von ihnen schlugen vor, Johann Mengs solle sich an dem wirklichen Schuldigen dadurch rächen, daß er ihn alsbald zur Thüre hinauswerfe, aber nicht so viele unschuldige und hungrige Leute in die Folgen seiner Missethat verflechten. Sie erklärten den Wein für ausgezeichnet. Zwei oder drei tranken sogar ihre Gläser aus, um ihre Worte zu erweisen, und Alle erboten sich, wenn auch nicht mit Leben und Vermögen, doch wenigstens mit Händen und Füßen das Hausrecht gegen den widerspenstigen Engländer zu schützen. Während Bitten und Vorstellungen Johann Mengs von jeder Seite her anfielen, war der Mönch gleich einem klugen Rath und treuen Freund bemüht, den Streit dadurch zu enden, daß er Philipson rieth, sich der Gewalt des Wirths zu unterwerfen.

»Erniedrige dich selbst, mein Sohn,« sprach er; »beuge dein halsstarriges Herz vor dem großen Herrn vom Zapfen und Faß. Ich spreche für mein eigenes Bestes so gut, als für das der Andern; denn der Himmel allein weiß, wie lange sie oder ich dieses zehrende Fasten noch aushalten können!«

»Werthe Gäste,« sagte hierauf Philipson, »es thut mir leid, daß ich unsern verehrten Wirth beleidigt habe. Ich bin so weit entfernt, den Wein zu tadeln, daß ich eine Doppelkanne davon bezahlen will, die Allen in dieser ansehnlichen Gesellschaft herumgereicht werden soll – wenn sie nur nicht verlangen, daß ich mittrinken soll.«

Die letzten Worte wurden beiseite gesprochen; aber der Engländer konnte an den krummen Mäulern einiger von den Anwesenden, die einen feinen Gaumen besaßen, wohl abnehmen, daß sie eben so sehr, als er selbst, über eine Wiederholung des sauren Getränkes erschrocken waren.

Der Mönch wandte sich nun an die Gesellschaft mit dem Vorschlag, der fremde Kaufmann sollte, statt eine Kanne des von ihm gelästerten Weines zu bezahlen, um eine gleiche Menge von den edleren Weinen gebüßt werden, die gewöhnlich aufgetischt würden, wenn das Mahl beendigt wäre. Dabei fanden Wirth und Gäste gleich viel Vortheil. Da Philipson keine Einwendung erhob, wurde der Vorschlag einstimmig angenommen, und Johann Mengs gab von seinem Ehrenplatze das Zeichen zum Auftragen.

Das lange ersehnte Mahl erschien, und zweimal so viel Zeit wurde verwendet, es zu verzehren, als man beim Warten auf dasselbe hingebracht hatte. Die Bestandtheile des Essens sowohl, als die Art, wie man sie auftrug, waren so gut darauf berechnet, die Geduld der Gäste auf die Probe zu stellen, als der Verzug, welcher voranging. Trachten von Brod und Gemüse folgten nach einander mit Schüsseln voll gesottenem und gebratenem Fleisch. Jede von ihnen ging der Reihe nach regelmäßig an der weiten Tafel herum, und wurde Jedermann bei dem Umlauf angeboten. Blutwürste, geräuchert Fleisch, getrocknete Fische, machten ebenfalls die Runde. Verschiedenes Eingemachte, das man Botargo, Caviar und so fort nannte, und das aus einer Mischung von Fischrogen mit Gewürzen und dergleichen Zuthaten bestand, war darauf berechnet, Durst zu erwecken, und zu wackerem Trinken anzuregen. Flaschen mit Wein begleiteten diese Leckerbissen. Das Getränk übertraf an Geschmack und Schärfe den gewöhnlichen Wein, der einen so großen Streit veranlaßt hatte, so weit, es war so berauschend, feurig und stark, daß Philipson trotz der Vorwürfe, die ihm sein Tadel schon zugezogen, etwas kaltes Wasser zu fordern wagte, um es zu verdünnen.

»Ihr seid sehr schwer zufrieden zu stellen, Herr Gast,« erwiderte der Wirth, und warf abermals einen finstern und unwilligen Blick auf den Engländer; »wenn Ihr den Wein in meinem Hause zu stark findet, so braucht Ihr, seine Stärke zu mindern, nur weniger zu trinken. Es ist uns gleichgültig, ob Ihr trinkt oder nicht; Ihr bezahlt in diesem Falle blos die Zeche der guten Gesellen, die solches thun,« Und er schlug ein rauhes Gelächter auf.

Philipson wollte eben darauf antworten; aber der Mönch behielt seine Rolle als Vermittler bei, zupfte ihn am Mantel und bat ihn, es zu unterlassen. »Ihr versteht die Art und Weise dieses Ortes nicht,« sagte er; »es ist hier nicht wie in den englischen und französischen Gasthäusern, wo jeder Gast fordert, was er will – und nicht mehr. Hier geht Alles nach einem ausgedehnten Grundsatz der Gleichheit und Brüderlichkeit. Keiner verlangt etwas besonderes; sondern, was der Wirth für hinreichend hält, wird Allen ohne Unterschied vorgesetzt. Und wie mit der Bewirthung, so ist es auch mit der Zeche. Alle bezahlen gleichen Antheil daran, ohne Rücksicht auf die Menge von Wein, die Einer mehr als der Andere genossen haben mag, und so zahlt der Kranke und Schwächliche, ja das Weib und das Kind so viel, als der hungrige Bauer und herumziehende Lanzknecht.«

»Das scheint mir eine unbillige Sitte,« sagte Philipson; »aber ein Reisender hat darüber kein Urtheil zu fällen. Wenn also eine Rechnung gefordert wird, zahlt Jedermann gleich, soviel ich verstehe?«

»Das ist die Regel,« sagte der Mönch, »ausgenommen ist vielleicht nur ein armer Bruder unseres Ordens, den die Mutter Gottes und der heilige Franz zu einem solchen Vorgang führen, damit gute Christen ihm ihre Almosen geben, und so einen Schritt auf dem Wege zum Himmel vorwärts thun.«

Die ersten Worte dieser Anrede wurden offen und frei gesprochen, wie der Mönch das Gespräch begonnen hatte; der letzte Satz verschwamm in dem kläglichen, seinem Stande angehörigen Tone, der den Bettelgenossenschaften eigen ist, und belehrte Philipson auf einmal, welchen Preis er für des Mönches Rath und Vermittlung bezahlen sollte. Nachdem er so die Sitte des Landes besprochen, machte sich der gute Pater Gratian daran, sie mit seinem eigenen Beispiele zu beleuchten. Er hatte gar nichts gegen eine neue Tracht Wein, wegen der Stärke desselben, und schien sehr geneigt, sich unter ein paar rüstigen Zechern hervorzuthun, welche aussahen, als wären sie entschlossen, ihre Zeche bis auf den letzten Pfennig abzuverdienen. Der gute Wein that auch allmälig seine Wirkung, und selbst des Wirths mürrische und häßliche Züge wurden milder. Er lächelte, da er sah, daß die zündende Flamme der Fröhlichkeit Einen nach dem Andern ergriff, und am Ende fast alle die zahlreichen Gäste an der Tafel mit Ausnahme einiger wenigen erfaßte, die zu mäßig waren, um dem Wein so stark zuzusprechen, oder zu stolz, um in die Streitereien einzugehen, zu welchen er Veranlassung gab. Auf diese warf der Wirth von Zeit zu Zeit einen finsteren und mißfälligen Blick.

Philipson blieb zurückhaltend und schweigsam, sowohl in Folge seiner Enthaltsamkeit als seiner Abgeneigtheit, sich in ein Gespräch mit Fremden einzulassen, und wurde deshalb von dem Wirth als ein Ungehorsamer angesehen. Mengs begann, als er seine Natur mit dem feurigen Weine aufgestachelt, mit versteckten Andeutungen, mit Freudenstörer, Spielverderber und ähnlichen Beinamen um sich zu werfen, die offenbar gegen den Engländer gerichtet waren. Philipson erwiderte mit der größten Gleichmüthigkeit, er wisse recht gut, daß seine Stimmung ihn für jetzt nicht zu einem angenehmen Mitglied einer lustigen Gesellschaft mache; er möchte deßhalb, mit der Erlaubniß der Anwesenden, sich in sein Schlafzimmer zurückziehen, und ihnen allen guten Abend und Fortdauer ihrer Fröhlichkeit wünschen.

Aber dieser Vorschlag, der Jedermann sonstwo ganz am Platz geschienen hätte, schloß einen Verrath an den Gesetzen einer deutschen Zechgesellschaft in sich.

»Wer seid Ihr,« sagte Johann Mengs, »daß Ihr Euch herausnehmt, den Tisch zu verlassen, ehe die Rechnung verlangt und bezahlt ist? Sapperment und Teufel! Wir sind keine Männer, an denen eine solche Beleidigung ungestraft verübt werden darf! Ihr könnt Eure feinen Streiche in Rams-Alley, oder in Eastcheap, oder in Smithfield loslassen, wenn Ihr wollt, aber nicht im goldenen Vließ bei Johann Mengs. Auch werde ich nicht zugeben, daß einer der Gäste zu Bett geht, um der Zeche zu entschlüpfen, und so mich und den Rest meiner Gesellschaft betrügt.«

Philipson sah sich um, die Ansichten seiner Tischgenossen zu erfahren, fand sich aber nicht ermuthigt, sich auf ihre Entscheidung zu berufen. Auch war vielen von ihnen wenig Besinnung mehr übrig, die man hätte in Anspruch nehmen können; und die, welche der Sache einige Aufmerksamkeit schenkten, waren ein paar ruhige alte Saufbrüder, die bereits an die Rechnung zu denken anfingen, und mit dem Wirth in Übereinstimmung den englischen Kaufmann für einen Flunkerer ausgegeben hätten, der die Absicht führte, der Zahlung für das zu entgehen, was nach seinem Weggang aus dem Zimmer getrunken wurde. Johann Mengs erhielt also den Beifall der ganzen Gesellschaft, als er triumphirend seine Anklage gegen Philipson schloß.

»Ja, Herr, Ihr könnt fortgehen, wenn Ihr wollt; aber, Potz Element! nicht mehr um eine andere Herberge zu suchen, sondern in den Hof und nicht weiter, dort könnt Ihr Euer Bett auf dem Stroh im Stall machen; das ist gut genug für den Mann, der mit Gewalt zuerst aus guter Gesellschaft aufbrechen will.«

»Das heiße ich wohl gesprochen,« sagte ein reicher Handelsmann von Regensburg; »und hier sind sechs von uns – mehr oder weniger – die Euch beistehen werden, die guten alten Gebräuche von Deutschland aufrecht zu halten; und die – umpf – löblichen und – und preiswürdigen Gesetze vom goldenen Vließ.«

»Ei, werdet nicht zornig, Herr,« erwiderte Philipson: »Ihr und Eure drei Gefährten, welche der gute Wein zu sechsen vermehrt hat, sollt die Sache nach Eurem Gutdünken in Ordnung bringen dürfen; und da Ihr mir nicht erlauben wollt, zu Bett zu gehen, so denke ich, wird es Euch nicht beleidigen, wenn ich auf meinem Stuhl einschlafe.«

»Wie sagt Ihr? Was meint Ihr, mein Wirth?« sagte der Regensburger; »der Herr ist betrunken, wie Ihr seht, denn er weiß nicht mehr, daß drei und eins sechs ist – ich sage, darf er, da er betrunken ist, in dem Lehnstuhl schlafen?«

Diese Frage rief einen Widerspruch von Seiten des Wirths hervor, der behauptete, drei und eins sei vier, nicht sechs; und dagegen that der Regensburger wieder Einsprache. Ein anderes Geschrei erhob sich zu gleicher Zeit und wurde zuletzt mit Mühe durch die Strophen eines Liedes von der Freude und Geselligkeit zum Schweigen gebracht, welches der Mönch, der jetzt die Regeln des heiligen Franziskus einigermaßen vergessen hatte, mit mehr gutem Willen anstimmte, als er je einen Psalm des Königs David abgesungen. Unter dem Schutze dieses Lärms zog sich Philipson ein wenig bei Seite, und ob er gleich fühlte, daß es ihm unmöglich wäre, zu schlafen, wie er vorgehabt, war er doch im Stande, den vorwurfsvollen Blicken auszuweichen, welche Johann Mengs auf alle diejenigen schoß, die nicht recht laut nach Wein schrieen und wacker tranken. Seine Gedanken streiften ferne von der Stube des goldenen Vließes und in Gegenständen umher, die nicht das Mindeste mit dem gemein hatten, was rund um ihn verhandelt wurde. Da ward seine Aufmerksamkeit plötzlich durch ein lautes und anhaltendes Klopfen an der Thüre des Gasthauses erregt.

»Was gibt's da?« sagte Johann Mengs, und seine Nase wurde roth vor Unwillen; »welcher gottlose Teufel drängt sich zu dieser Stunde so ungestüm in's goldene Vließ, als ob er an die Thüre eines H–hauses donnerte? Geh' Einer an das Thurmfenster – Gottfried, Schelm von Hausknecht, oder du, alter Timotheus, sag' dem tollen Menschen, daß blos zu gehöriger Zeit der Zugang ins goldene Vließ offen ist.«

Die Männer thaten, wie ihnen geheißen worden, und man konnte in der Stube hören, wie Einer den Andern in der bestimmten Abweisung zu übertreffen suchte, die sie dem Gast zuriefen. Indessen kamen sie zurück und sagten ihrem Herrn, sie seien nicht im Stande, die Hartnäckigkeit des Fremden zu bewältigen, der sich entschieden weigere, wegzugehen, bis er eine Zusammenkunft mit Mengs selbst gehabt habe.

In mächtigen Zorn gerieth der Herr des goldenen Vließes über diese schlimme Beharrlichkeit, und sein Unwille dehnte sich, wie eine feurige Ausdünstung, von seiner Nase über die nächsten Gegenden der Wangen und Stirn aus. Er fuhr vom Sessel auf, nahm einen derben Stock in die Hand, welcher gewöhnlich sein Herrscherstab zu sein schien, und murrte etwas von Prügeln für die Schultern von Narren und Krügen voll saubern oder schmutzigen Wassers, um ihnen die Ohren zu waschen. Dann schritt er dem in den Hof hinausgehenden Fenster zu und ließ seine Gäste sitzen. Diese nickten, winkten einander und wisperten sich zu, in voller Erwartung, den thätlichen Ausbruch seines Zornes zu vernehmen. Es geschah aber ganz anders: denn nachdem einige undeutliche Worte gewechselt worden, erstaunte man allgemein, das Geräusch von der Aufriegelung und Aufsperrung der Thore des Wirthshauses und gleich danach die Tritte von Männern auf der Treppe zu vernehmen. Der Wirth trat herein und bat mit einem Anschein plumper Höflichkeit die Versammelten, einem verehrten Gaste Platz zu machen, der, obgleich spät, ihre Zahl zu vergrößern käme. Eine große schwarze Gestalt folgte ihm, in einen Reisemantel gehüllt; als sie diesen ablegte, erkannte Philipson alsbald seinen letzten Reisegefährten, den schwarzen Mönch von der St. Paulskirche.

Es lag in dem Umstande selbst durchaus nichts Ueberraschendes, denn es war natürlich, daß ein Wirth, wenn er gleich grob und unverschämt gegen gewöhnliche Gäste sich zeigte, einem Geistlichen Achtung erwies, entweder wegen seines Ranges in der Kirche, oder wegen seines Rufes in Bezug auf Frömmigkeit. Aber was Philipson überraschend vorkam, war die Wirkung, welche der Eintritt dieses unerwarteten Gastes hervorbrachte. Dieser setzte sich ohne Bedenken an den obersten Platz am Tische, von welchem Johann Mengs den vorbesagten Handelsmann aus Regensburg entthront hatte, obgleich er viel Eifer für die alten deutschen Bräuche, eine so standhafte und neue Anhänglichkeit an das goldene Vließ und so viele Vorliebe für volle Becher an den Tag gelegt. Der Priester nahm sogleich und ohne Bedenken Besitz von seinem Ehrenplatz, nachdem er des Wirthes ungewohnte Artigkeit nachlässig erwidert. Es schien dies durch seine langen schwarzen Gewänder bewerkstelligt worden zu sein, die an die Stelle des aufgeschlitzten und faltigen Rockes seines Vorgängers getreten waren, aber auch durch das kalte, graue Auge, mit welchem er die Gesellschaft langsam musterte. Dieses glich einigermaßen der fabelhaften Gorgone, und wenn es auch die, welche darauf blickten, nicht buchstäblich in Stein verwandelte, so lag doch etwas Versteinerndes in dem festen, unbeweglichen Blick, mit dem er um sich schaute, als wollte er dem Menschen in der innersten Seele lesen, und von Einem zum Andern ging, als wäre Jeder, den er sich eben betrachtet, längerer Aufmerksamkeit unwürdig.

Auch an Philipson kam diese augenblickliche Prüfung; es mischte sich aber nichts darein, was eine Wiedererkennung verrieth. Aller Muth und alle Fassung des Engländers konnten ein unangenehmes Gefühl nicht verhindern, als er sich unter dem Auge des geheimnißvollen Reisenden befand. Er fühlte sich erleichtert, als es sich von ihm abwandte und auf einem Andern aus der Gesellschaft haften blieb, der seinerseits ebenfalls die schauererregenden Wirkungen dieses erstarrenden Blickes erfuhr. Der Lärm berauschter Fröhlichkeit und trunkenen Wortkampfs, der betäubende Streit und das noch stürmischere Gelächter, welche beim Eintritt des Priesters in das Eßzimmer aufgegeben worden waren, erstarben nun nach einem oder zwei erfolglosen Versuchen, sie wieder aufzunehmen, völlig, als ob das Gelage sich in ein Leichenmahl verwandelt hätte, und die lustigen Gäste waren auf einmal in traurige Stumme verwandelt, wie sie solchen Feierlichkeiten beiwohnen. Ein kleiner Mann mit rosenfarbenem Gesicht, von dem sich nachher herausstellte, daß er ein Schneider aus Augsburg war, wollte vielleicht aus Ehrgeiz einen Grad von Muth zeigen, der, wie man meint, seinem weibischen Gewerbe nicht eigen ist, und machte einen kühnen Versuch; und doch geschah es mit furchtsamer und angehaltener Stimme, als er den fröhlichen Mönch aufrief, seinen Gesang zu erneuern. Aber der wagte es entweder nicht, einem unkirchlichen Zeitvertreib in Gegenwart eines Ordensbruders sich zu überlassen, oder hatte er einen andern Grund, die Einladung abzulehnen. Der lustige Geistliche ließ den Kopf hängen und schüttelte ihn mit solch' ausdrucksvoller trauriger Miene, daß der Schneider davon abstand, wie wenn er etwas von eines Kardinals Gewändern in seine Hölle hätte fallen lassen, und dabei oder beim Mausen der Schnüre eines Altartuches oder Chorrocks ertappt worden wäre. Kurz, die Schmauserei war in tiefe Stille übergegangen, und die Gesellschaft lauschte mit solcher Aufmerksamkeit auf das, was zunächst kommen würde, daß die Glocken der Dorfkirche, da sie die erste Stunde nach Mitternacht ankündigten, die Gäste auffahren machten, als ob sie dieselben durch ihr Geläute einen Sturm oder Brand ankündigen hörten. Der schwarze Priester hatte ein leichtes und eiliges Mahl zu sich genommen, und der Wirth keinen Einspruch dagegen gemacht, ihn damit zu versorgen. Er schien jetzt die Glocken, welche den ersten kirchlichen Dienst nach Mitternacht ankündigten, für ein geeignetes Zeichen zu nehmen, um die Gesellschaft abzubrechen.

»Wir haben gegessen,« sprach er, »um unsern Körper aufrecht zu halten; jetzt wollen wir beten, daß wir auf den Tod vorbereitet seien; denn er folgt dem Leben so sicher, als die Nacht dem Tag, oder der Schatten der Sonne, obgleich wir nicht wissen, wann und von wannen er kommt.«

Alle Gäste entblößten und beugten gleichsam unbewußter Weise die Häupter, und der Priester sprach nun mit tiefer, feierlicher Stimme ein lateinisches Gebet. Er drückte darin Gott seinen Dank aus für den Schutz am Tage und bat um Fortsetzung desselben während der finsteren Stunden, die noch verfließen mußten, ehe der Tag wieder begann. Die Hörer neigten die Köpfe zum Zeichen ihrer Beistimmung zu dem heiligen Gebet, und als sie dieselben erhoben, war der schwarze Priester von der St. Paulskirche dem Wirth außer das Gemach gefolgt, wahrscheinlich in das Zimmer, in welchem er die Nacht verbringen konnte. Seine Abwesenheit war kaum bemerkt worden, als Zeichen und Winke und selbst Geflüster zwischen den Gästen ausgetauscht wurden. Niemand aber wagte es, laut oder in so zusammenhängender Weise zu sprechen, daß Philipson etwas davon deutlich verstehen konnte. Er selbst wagte an den Mönch, der neben ihm saß, in demselben unterdrückten Tone, der im Augenblick eingeführt war, die Frage: ob der würdige Geistliche, der sie eben verlassen, nicht der Pfarrer von der St. Paulskirche in der Grenzstadt La Ferrette wäre?

»Und wenn Ihr wißt, daß er es ist,« antwortete der Mönch mit einem Gesicht und Ton, welche bewiesen, daß sein Rausch auf einmal vergangen war, »warum fragt Ihr mich?«

»Weil ich gerne den Zauber kennen lernen möchte,« erwiderte der Kaufmann, »welcher so viele lustige Zecher so plötzlich ernsthaft und nüchtern, und eine so lärmende Gesellschaft zu Karthäusern gemacht hat.«

»Freund,« sagte der Mönch, »deine Fragen sehen ganz so aus, als gingen sie auf Dinge, die du recht wohl weißt; aber ich bin keine so dumme Ente, daß ich mich durch's Locken fangen ließe. Wenn du den schwarzen Priester kennst, so kannst du nicht im Unklaren sein über den Schrecken, welchen seine Gegenwart einflößte, und daß es sicherer wäre, sich in dem heiligen Haus zu Loretto einen plumpen Spaß zu erlauben, denn da, wo er sich sehen läßt.«

Bei diesen Worten, und wie wenn er ein weiteres Gespräch zu vermeiden gewünscht hätte, zog er sich in einige Entfernung von Philipson zurück.

In diesem Augenblick erschien der Wirth wieder, und benahm sich jetzt etwas mehr, als zuvor, wie ein anderer Herbergsvater. Er befahl seinem Kellner Gottfried, der ganzen Gesellschaft den Schlaftrunk zu reichen. Dieser bestand aus abgezogenem, mit Gewürzen vermengtem Wasser, und war so gut, als ihn Philipson selber je gekostet. Johann Mengs sprach, während dies geschah, mit etwas mehr Ehrerbietung gegen seine Gäste die Hoffnung aus, daß sie mit seiner Bewirthung zufrieden wären. Indessen that er es in so gleichgültiger Weise, und schien sich so bewußt, er verdiene die bejahende Antwort, die ihm einstimmig zu Theil wurde, daß man deutlich sah, wie wenig eigentliche Demuth hinter der Frage versteckt lag. Der alte Mann, Timotheus, schrieb den Betrag der Zeche auf das Untertheil eines hölzernen Tellers, und zeigte die Einzelnheiten derselben in gewissen verabredeten Hieroglyphen an; auf einem andern machte er die Vertheilung der ganzen Summe unter der Gesellschaft, und ging dann daran, den Antheil eines Jeden einzufordern. Als der verhängnißvolle Teller, in welchen jeder Mann sein Geld niederlegte, dem fröhlichen Mönch nahe kam, schien er etwas die Farbe zu wechseln. Er warf einen kläglichen Blick auf Philipson, als den Einzigen, von dem er hoffen konnte, erlöst zu werden; und unser Kaufmann, obgleich unzufrieden über die Art, wie er sich seinem Vertrauen entzogen, wollte doch eine kleine Ausgabe nicht scheuen, um sich eine Bekanntschaft zu erhalten, die der Zufall nützlich machen konnte. Er bezahlte die Sache des Bettelmönchs wie seine eigene. Der gute Mann stattete seinen Dank mit vielen Segenswünschen in gutem Deutsch und schlechtem Latein ab, aber der Wirth unterbrach ihn kurz. Er näherte sich Philipson mit einem Licht in der Hand, und bot seine eigenen Dienste an, um ihm zu zeigen, wo er schlafen könnte. Ja, er hatte sogar die Herablassung, sein Felleisen oder seinen Mantelsack mit höchst eigenen Händen zu tragen.

»Ihr macht Euch zu viel Mühe, mein Wirth,« sagte der Kaufmann, etwas überrascht von dem Wechsel im Betragen des Johann Mengs, der ihm bis daher bei jedem Wort widersprochen.

»Ich kann mir nicht zu viel Mühe für einen Gast machen,« erwiderte dieser, »welchen mein ehrwürdiger Freund, der Priester an der St. Paulskirche, meiner Vorsorge besonders empfohlen hat.«

Hiemit öffnete er die Thüre eines kleinen Schlafzimmers, in welchem Alles für den Empfang des Reisenden hergerichtet war, und sagte zu Philipson: – »Hier könnt Ihr ruhen bis morgen und bis es Euch aufzustehen beliebt, überhaupt könnt Ihr so lange bei mir bleiben, als Ihr wollet. Der Schlüssel da wird Eure Waaren vor Diebstahl und Raub im Allgemeinen sicher stellen. Das thue ich nicht für Jedermann; denn wenn ich jedem meiner Gäste ein Bett für sich geben wollte, so wäre das Nächste, was sie von mir verlangten, ein besonderer Tisch. Dann hätte es ein Ende mit den guten, alten, deutschen Bräuchen, und wir würden eben so ausschweifend und läppisch, wie unsere Nachbarn.«

Er legte den Mantelsack auf den Boden und schien das Zimmer verlassen zu wollen, kehrte aber wieder und begann eine Art Vertheidigung wegen der Grobheit seines früheren Benehmens.

»Ich hoffe, es herrscht kein Mißverständniß zwischen uns, mein würdiger Gast. Ihr könntet eben so gut erwarten, einen von unseren Bären von den Bergen herunterkommen und Streiche wie ein Affe machen zu sehen, als einen von uns alten, zähen Deutschen finden, der die Kratzfüße eines französischen oder italienischen Wirths nachmacht, doch bitte ich Euch, zu bemerken, daß, wenn unser Betragen barsch ist, unsere Zechen billig und alle unsere Waaren ächt sind. Wir verlegen uns nicht darauf, durch ein Grinsen oder einen Bückling Moseler für Rheinwein auszugeben; wir machen auch keine vergiftete Brühe an Euer Essen, wie der verrätherische Italiener, der Euch dabei immer Illustrissimo und Magnifico nennt.«

In diesen Worten schien er seine Rednergabe erschöpft zu haben, denn als sie ausgesprochen waren, drehte er sich kurz um und verließ das Zimmer.

So verlor Philipson abermals eine Gelegenheit, zu fragen, wer oder was dieser Geistliche wäre, daß er einen solchen Einfluß auf Alle, die ihm nahe kamen, ausübte. Zwar fühlte er kein Verlangen, ein Gespräch mit Johann Mengs fortzuführen, obgleich er sein finsteres und abstoßendes Betragen so auffallend geändert, aber er hätte sehr gerne gewußt, wer der Mann wäre, welchen es nur ein Wort kostete, um die Dolche elsässischer Banditen abzulenken, welche, wie die Bewohner aller damaligen Grenzländer, an Plünderung und Räuberei gewöhnt waren, der mit einem Wort die sprüchwörtliche Grobheit eines deutschen Wirths in Höflichkeit umzuwandeln vermochte.

Solches waren die Gedanken Philipsons, als er sich auszog, um sich der Ruhe, die ihm ein Tag voll Anstrengung, Gefahr und Verlegenheiten so nöthig machte, auf dem Lager hinzugeben, welches ihm die Gastlichkeit des goldenen Vließes im Rheinthale darbot.



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