Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Das ist ein tobender und wilder Styl,
Ein Styl für Raufer. Wie ein Türk' dem Christen,
So trotzt sie mir.

Wie es euch gefällt. (Nach Schlegel.)

Die Thüren des Saales öffneten sich nun den Schweizer Abgeordneten, die schon eine Stunde außen vor dem Gebäude hatten warten müssen, ohne daß man ihnen die geringste der Aufmerksamkeiten erwies, welche unter gebildeten Nationen den Stellvertretern eines fremden Staates allgemein zu Theil werden. Wirklich diente ihre ganze Erscheinung, die groben, grauen Kittel, in welche sie wie Jäger oder Hirten aus dem Gebirge gekleidet waren, in einer Versammlung, in welcher das Auge durch prächtige Kleider von allen Farben, durch goldene und silberne Schnüre, Stickereien und kostbare Steine geblendet wurde, die Vorstellung zu bestätigen, daß sie nur als sehr demüthige Bittsteller dahergekommen wären.

Indessen bemerkte Oxford, welcher das Benehmen seiner letzten Reisegefährten sorgsam bewacht, daß jeder von ihnen die Entschlossenheit und Gleichgültigkeit beibehielt, die sie früher ausgezeichnet hatte. Rudolph Donnerhügel zeigte noch immer seine kühne und übermüthige Miene; der Bannerherr die soldatische Gleichgültigkeit, die ihn mit anscheinender Fühllosigkeit Alles um sich her beschauen ließ; der Solothurner Bürger war so förmlich und wichtigthuend, wie immer; und keiner von den Dreien verrieth die geringste Betroffenheit über den Glanz des sie umgebenden Schauspiels, oder Verlegenheit bei Betrachtung der vergleichungsweisen Geringfügigkeit ihrer eigenen Tracht. Nur der edle Landammann, auf welchen Oxford besondere Aufmerksamkeit wendete, schien durch die Ueberzeugung von der unsicheren Stellung niedergedrückt, in welcher sich sein Vaterland befand. Er fürchtete, daß nach der wenig ehrenvollen und groben Art, wie sie empfangen worden, der Krieg unvermeidlich sein würde. Zu gleicher Zeit bedauerte er als Freund seines Landes den Untergang der Freiheit desselben. Diesen konnte eine Niederlage, den Verlust der tugendhaften Einfachheit und der Verachtung gegen den Reichthum konnte ein Sieg und die Einführung fremder Ueppigkeit mit allen Uebeln herbeiführen, welche die Folge davon sind.

Oxford war vollkommen vertraut mit den Ansichten Arnold Biedermanns, und konnte sich leicht seine Traurigkeit erklären. Sein Kamerad Bonstetten war weniger im Stande, die Gedanken seines Freundes zu begreifen, und blickte auf ihn mit dem Ausdruck, den man in den Augen eines treuen Hundes wahrnimmt, wenn das Thier Mitgefühl an den Tag legt mit seines Herrn Trauer, ohne die Ursache derselben zu wissen oder sie würdigen zu können. Von Zeit zu Zeit warf einer aus der Gruppe einen Blick der Ueberraschung auf die glänzende Versammlung, Donnerhügel und der Landammann ausgenommen. Der unbändige Stolz des Einen und die unerschütterliche Vaterlandsliebe des Andern verhinderten, daß sie ein äußerer Gegenstand von ihren tiefen und ernsten Betrachtungen abzog.

Nach einem Schweigen von etwa fünf Minuten nahm der Herzog in der hochmüthigen und rauhen Weise das Wort, von der er glauben mochte, sie komme seiner Stelle zu, welche aber in Wahrheit der Ausdruck seines Wesens war.

»Ihr Leute von Bern, Schwyz, oder welches Dörflein und welche Einöde ihr vertreten möget, wisset, wir hätten euch, als Aufrührer gegen eure gesetzlichen Oberen und Herren, nicht mit einer Audienz beehrt, wenn sich nicht ein sehr geschätzter Freund für euch verwendet hätte, der in euren Bergen sich aufgehalten hat, und den ihr unter dem Namen Philipson, der Engländer, kennen gelernt haben möget, da er das Gewerbe eines Kaufmanns betrieb und gewisse kostbare Waaren für unseren Hof bei sich trug. Seiner Vermittlung haben wir in so weit nachgegeben, daß wir Euch nicht, wie ihr verdient, zu Galgen und Rad auf dem Platze Marimont führen ließen, sondern geruht haben, euch vor uns, und in eine Sitzung unseres versammelten Hofes zuzulassen. Wir wollen von euch die Entschuldigungen anhören, die ihr für euren verwegenen Sturm auf unsere Stadt La Ferrette, für die Tödtung vieler unserer Unterthanen und die planmäßige Ermordung des edeln Ritters Archibald von Hagenbach beibringen könntet, der in eurer Gegenwart, mit eurer Zustimmung und nach eurer Angabe hingerichtet worden ist. Sprecht – wenn ihr etwas zur Vertheidigung eures Verbrechens und Verraths sagen könnt, um die gerechte Strafe abzubitten, oder die unverdiente Gnade anzuflehen.«

Der Landammann schien eine Antwort beginnen zu wollen, aber Rudolph Donnerhügel nahm mit der ihm eigenthümlichen Kühnheit und Unerschrockenheit die Erwiderung auf sich. Er hielt dem stolzen Blick des Herzogs furchtlos und mit gleichem Hochmuth Stand.

»Wir sind,« sagte er, »nicht hierher gekommen, um unsere eigene Ehre oder die Würde des freien Volkes zu verunglimpfen, dessen Stellvertreter wir sind, indem wir uns zu Verbrechen bekennen, an denen wir keine Schuld haben. Wenn Ihr uns Aufrührer nennt, so müßt Ihr Euch erinnern, daß eine lange Reihe von Siegen, deren Geschichte mit dem edelsten Blute Oesterreichs geschrieben worden ist, unsern verbündeten Gemeinden diese Freiheit errungen hat, deren uns eine ungerechte Tyrannei umsonst zu berauben versuchte. So lange Oesterreich seine Herrschaft auf gerechte und wohlthätige Weise handhabte, opferten wir ihm unser Leben; – als es Unterdrückung und Tyrannei übte, machten wir uns unabhängig. Wenn es noch etwas an uns zu fordern hat, so werden die Nachkommen Tells, Fürsts und Stauffachers eben so bereit sein, ihre Freiheit zu vertheidigen, als unsere Väter gewesen sind, sie zu erwerben. Euer Gnaden – wenn das Euer Titel ist – braucht sich nicht in einen Streit zwischen uns und Oestreich zu mengen. Was Eure Drohungen mit Galgen und Rad betrifft, so sind wir hier als wehrlose Männer, und Ihr könnt Euer Gelüste an uns büßen; aber wir wissen zu sterben und unsere Landsleute wissen uns zu rächen.«

Der gereizte Herzog würde mit dem Befehl zu augenblicklicher Verhaftung und wahrscheinlich zu unverweilter Hinrichtung der ganzen Gesellschaft geantwortet haben. Aber sein Kanzler machte von dem Vorrecht seiner Stelle Gebrauch, stand auf, nahm mit einer tiefen Verbeugung gegen den Herzog sein Barett ab und begehrte für sich die Erlaubniß, dem dummen, dreisten, jungen Manne zu antworten, der, wie er sagte, den Zweck der Rede Seiner Hoheit so völlig mißverstanden habe.

Karl fühlte sich in diesem Augenblick zu sehr vom Zorn erregt, um einen ruhigen Bescheid zu fassen, er legte sich in seinen Staatssessel zurück, und gestattete mit ungeduldigem und zornigem Nicken seinem Kanzler zu reden.

»Junger Mann,« sprach der hohe Staatsbeamte, »Ihr habt die Meinung des hohen und mächtigen Fürsten, vor dem Ihr steht, schlecht aufgefaßt. Welches auch die gesetzlichen Rechte von Oesterreich über die aufgestandenen Ortschaften sein mögen, welche das Joch des Herrn ihres Geburtslandes abgeschüttelt haben, wir sind nicht berufen, diesen Gegenstand zu erörtern. Burgund verlangt Auskunft darüber, warum Ihr, da Ihr doch in der Eigenschaft friedlicher Botschafter in Angelegenheiten, die Eure eigenen Gemeinden und die Rechte der Unterthanen des Herzogs betreffen, hierhergekommen seid, warum Ihr trotz dem in unserem friedlichen Lande Krieg erregt, eine Festung erstürmt, die Besatzung derselben niedergehauen und einen edlen Ritter, ihren Befehlshaber, zum Tode gebracht habt? – Alle diese Handlungen stehen im Widerspruch mit dem Völkerrecht und verdienen völlig die Strafe, mit welcher Ihr bedroht worden seid, ich hoffe aber, unser gnädiger Fürst werde sie Euch erlassen, wenn Ihr einen zureichenden Grund für diese schändliche Frechheit anführet, Euch zur Unterwerfung unter den Willen Seiner Hoheit erbietet, und für solch' großes Unrecht genügenden Ersatz leistet.«

»Ihr seid ein Priester, ehrwürdige Herr?« antwortete Rudolph Donnerhügel, gegen den Kanzler von Burgund gewendet. »Wenn es einen Soldaten in dieser Versammlung gibt, der für Euere Beschuldigung einstehen will, so fordere ich ihn zum Einzelkampf heraus. Wir haben die Stadt La Ferrette nicht im Sturm genommen, man hat uns die Thore in friedlicher Weise geöffnet; sobald wir aber eingetreten waren, sind wir augenblicklich von den Söldnern des weiland Archibald von Hagenbach augenscheinlich in der Absicht umringt worden, uns, trotz unserer friedlichen Sendung, anzufallen und zu ermorden. Wäre das geschehen, so hättet Ihr von noch mehr Todten gehört, als von uns. Aber da entstand ein Aufruhr unter den Einwohnern der Stadt, und sie wurden, glaub' ich, dabei durch einige Nachbarn unterstützt, denen sich Archibald von Hagenbach durch Unverschämtheit und Unterdrückung verhaßt gemacht, wie Allen, die mit ihm zu thun bekamen. Wir haben ihnen dabei nicht geholfen, und ich denke, man konnte von uns nicht erwarten, daß wir für die Partei ergriffen, welche uns das Schlimmste hatten anthun wollen. Aber nicht eine Pike, nicht ein Schwert, was uns gehörte oder unsern Begleitern, wurde in burgundisches Blut getaucht. Wahr ist, Archibald von Hagenbach ist auf dem Schaffot gefallen, und ich habe ihn mit Vergnügen sterben gesehen, zufolge eines Spruchs, der von einem zuständigen Gerichtshof erlassen war. Wenigstens ist er als solcher in Westphalen und allen seinen Zugehören selbst auf dieser Seite des Rheins anerkannt. Ich habe nicht nöthig, das Verfahren desselben zu rechtfertigen; aber ich erkläre, der Herzog hat hinlängliche Beweise von diesem rechtmäßigen Urtheil erhalten, und daß es reichlich verdient war durch Unterdrückung, Tyrannei und gottlosen Mißbrauch der Gewalt, das will ich mit den Waffen in der Hand gegen Jeden erweisen, der es widerspricht. Hier liegt mein Handschuh.«

Bei diesen Worten und mit einer denselben entsprechenden Bewegung warf der stolze Schweizer seinen rechten Handschuh auf den Boden des Saales. Dem Geist der Zeit gemäß, zufolge des Wunsches, sich in den Waffen auszuzeichnen, welchen jener Zeitgeist nährte und vielleicht, um des Herzogs Gunst zu gewinnen, entstand eine allgemeine Bewegung unter den jungen Burgundern, die Ausforderung anzunehmen. Mehr als sechs oder acht Handschuhe wurden im Augenblick von den jungen Rittern hingeworfen, die dem Auftritt beiwohnten. Die entfernter Stehenden warfen sie den vorderen über die Köpfe und Jeder von ihnen rief seinen Namen und Titel, wenn er das Pfand des Kampfes anbot.

»Ich hebe sie alle auf,« rief der verwegene junge Schweizer, und las die Handschuhe zusammen, wie einer um den andern vor ihm niederfiel. »Noch mehr, ihr Herren, noch mehr! Einen Handschuh für jeden Finger! Heran, Alle nach der Reihe – ehrlichen Kampf, gerechte Richter, den Streit zu Fuß, die Waffen, zweihändige Schwerter, und ich nehme es mit zwanzig von euch auf!«

»Halt, ihr Herrn, bei eurem Eid, halt!« sagte der Herzog, zufrieden mit dem für seine Sache bewiesenen Eifer und einigermaßen durch denselben besänftigt; für ihn lag etwas Anziehendes in der unerschrockenen Tapferkeit, die der Herausforderer darlegte, in der mit seiner eigenen verwandten Keckheit; vielleicht war es ihm auch angenehm, im Angesicht seines versammelten Hofes mehr Mäßigung beweisen zu können, als ihm anfangs möglich gewesen war. »Halt, befehle ich euch. – Herold, lies die Handschuhe auf und gib jeden seinem Eigenthümer zurück. Gott und der heilige Georg verhüte, daß wir das Leben des letzten aus unserem burgundischen Adel gegen einen Lümmel auf's Spiel setzen, wie dieser Schweizer Bauer, der nie ein Pferd bestiegen hat, und nicht ein Jota von ritterlicher Höflichkeit oder von ritterlichem Anstand weiß. Geht anderswohin mit Eurer gemeinen Prahlerei, junger Mann, und wißt, daß für dießmal nur der Platz Marimont die für Euch passende Schranke und der Henker Euer gehöriger Gegner wäre. Und ihr, ihr Herren, seine Genossen – die ihr diesen Laffen das Wort für euch führen lasset, scheint durch euer Benehmen zu erweisen, daß die Gesetze der Natur bei euch eben so gut verkehrt sind, als die der Gesellschaft, und daß die Jugend dem Alter vorgeht, wie der Bauer dem Adel. Ihr graubärtigen Männer, sag' ich, ist keiner unter euch, der seinen Auftrag in Ausdrücken vorzubringen vermag, wie sie ein unabhängiger Fürst anhören kann?«

»Edler Herzog,« antwortete der Landammann vortretend und hieß Rudolph Donnerhügel schweigen, der eine trotzige Antwort geben wollte. – »Gott verhüte, daß wir nicht im Stande sein sollten, so zu sprechen, wie es sich vor Eurer Hoheit ziemt, da wir, wie ich glaube, nur die Sprache der Wahrheit, des Friedens und der Gerechtigkeit führen werden. Wenn die Demuth Eure Hoheit geneigt machen kann, uns gütiger anzuhören, so bin ich bereit, mich zu erniedrigen, falls ich solches dadurch bewirke. Was mich selbst angeht, so kann ich mit Wahrheit sagen, daß ich durch meine Geburt das Recht ererbt habe, vor Herzogen und Königen, ja vor dem Kaiser selbst zu sprechen, ob ich gleich bisher aus freier Wahl als Ackersmann und Jäger in den Alpen von Unterwalden gelebt und als solcher zu sterben entschlossen bin. Es gibt keinen in dieser erlauchten Versammlung, gnädiger Herr Herzog, dessen Blut aus edlerer Quelle flösse, als Geierstein.«

»Wir haben von Euch gehört,« versetzte der Herzog. »Die Leute nennen Euch den Bauerngrafen. Euere Geburt macht Euch Schande, oder vielleicht Eurer Mutter, wenn Euer Vater einen hübschen Knecht gehabt hat; denn ein solcher wäre der passende Vater für einen, der sich freiwillig zum Leibeigenen gemacht.«

»Kein Leibeigener, gnädiger Herr,« erwiderte der Landammann, »sondern ein freier Mann, der weder Andere unterdrücken noch sich von Andern unter dem Joch halten lassen will. Mein Vater war ein edler Herr, und meine Mutter eine tugendhafte Frau. Aber ein höhnender und spöttischer Scherz wird mich nicht verhindern, mich ruhig der Sendung zu entledigen, mit welcher mich mein Vaterland beauftragt. Die Bewohner der rauhen und unwirthbaren Alpenländer wünschen, mächtiger Herr, im Frieden mit allen ihren Nachbarn zu leben und bei der Regierungsweise zu verbleiben, die sie als mit ihren Verhältnissen und Gewohnheiten am meisten übereinstimmend selbst gewählt haben. Sie lassen allen anderen Staaten und Ländern in dieser Beziehung ihren freien Willen. Sie wünschen besonders in Frieden und Einigkeit mit dem fürstlichen Hause Burgund zu bleiben, dessen Gebiet ihre Besitzungen an so vielen Punkten berührt. Gnädiger Herr, sie wünschen es, sie gehen Euch darum an, ja sie verstehen sich dazu, Euch darum zu bitten. Man hat uns halsstarrige, unnachgiebige und freche Verächter der Macht und die Häupter von Aufständen und Empörungen genannt. Zum Beweise des Gegentheils, gnädiger Herr, finde ich, der ich noch vor Niemand als vor dem Himmel gekniet, keine Schande darin, vor Eurer Hoheit das Knie zu beugen, als vor einem unumschränkten Fürsten, der vor versammeltem Hofe auf seinem Gebiete sich befindet, und von seinen Unterthanen Verehrung als eine Pflicht und von Fremden als eine Höflichkeit zu verlangen berechtigt ist. Ein eitler Stolz,« fuhr der edle alte Mann mit feuchten Augen fort, und ließ sich auf ein Knie nieder, »wird mich nicht von persönlicher Demüthigung abhalten, wenn der Friede, der segensreiche, der für Gott so angenehm und für Menschen so unschätzbar ist – in Gefahr steht, gebrochen zu werden.«

Die ganze Versammlung und der Herzog selbst waren gerührt von der erhabenen Weise, mit der der wackere alte Mann eine Kniebeugung machte, welche augenscheinlich weder durch Furcht noch Niedrigkeit hervorgerufen wurde.

»Steht auf, Herr,« sagte Karl; »wenn wir Etwas gesagt haben, was Eure persönliche Empfindlichkeit rege machen könnte, so nehmen wir es eben so öffentlich zurück, als wir es ausgesprochen, und sind bereit, Euch als einen wohlmeinenden Gesandten anzuhören.«

»Ich danke Euch dafür, mein edler Herr; und ich werde diesen Tag für einen glücklichen halten, wenn ich Worte finden kann, die der zu verfechtenden Sache würdig sind. Ein Blatt, das in Euer Gnaden Hände gekommen ist, enthält eine Aufzählung der zahlreichen Beschwerden, welche wir von Seiten Eurer Beamten und von Romont, Graf von Savoien, Eurem Verbündeten und Rathgeber erlitten. Dieser hat dabei, wie wir zu vermuthen berechtigt sind, unter dem Schutz Eurer Hoheit gehandelt. Was den Grafen Romont betrifft, so hat er bereits empfunden, mit wem er zu thun hat; aber wir haben noch keine Maßregeln ergriffen, um die Beleidigungen, die Beschimpfungen, die Störungen unseres Handels an denen zu rächen, die sich Eurer Gewalt bedient haben, um unsere Landsleute auf ihren Reisen festzunehmen, unsere Waaren zu rauben, sie in's Gefängniß zu werfen, und sogar in einigen Fällen hinzurichten. In Bezug auf den Streit zu La Ferrette kann ich blos von dem Zeugniß geben, was ich gesehen habe. Wir haben daran keinen Antheil genommen und keine Veranlassung dazu gegeben. Indessen ist es unmöglich, daß eine unabhängige Nation die Wiederholung solcher Beleidigungen dulde. Wir sind entschlossen, frei und unabhängig zu bleiben oder in Vertheidigung unserer Rechte zu fallen. Was muß daraus folgen, wenn Eure Hoheit nicht auf die Vorschläge hört, die ich zu machen beauftragt bin? Ein Krieg und ein Vertilgungskrieg; denn so lange einer aus unserer Genossenschaft eine Hellebarde schwingen kann, so lange wird, hat der unglückliche Kampf einmal begonnen, Krieg sein zwischen den mächtigen und reichen Staaten Eurer Hoheit und unsern armen und unfruchtbaren Kantonen. Und was kann der edle Herzog von Burgund bei einem solchen Streit gewinnen? Reichthum und Beute? Ach, Euer Gnaden, es ist mehr Gold und Silber an Zaum und Gebiß der Pferde Eurer Leibwache, als im öffentlichen Schatz oder bei Privatleuten in unserer ganzen Eidgenossenschaft gefunden werden mag. Trachtet Ihr nach Ruhm und Ehre? Es ist wenig Ehre zu gewinnen, wenn ein zahlreiches Heer einigen zerstreuten Haufen, wenn eisenbedeckte Männer halbbewaffneten Ackerleuten und Schäfern entgegenstehen; – ein solcher Sieg brächte wenig Ruhm. Wenn aber, wie alle Christen glauben, und wie das Andenken an die Zeiten unserer Väter und meine Landsleute vertrauensvoll hoffen läßt, der Gott der Schlachten die Wage der geringeren Anzahl und der schlechteren Bewaffnung zuneigte, so überlasse ich es Euch selbst, zu beurtheilen, wie sehr in einem solchen Fall die Würde und der Ruf Eurer Hoheit leiden müßte. Wollt Ihr mehr Unterthanen, mehr Gebiet durch einen Krieg mit Euren Nachbarn in den Bergen erringen? Wißt, wenn es Gott gefällt, so könnt Ihr unsere unfruchtbaren und steilen Gebirge erobern; aber wir werden uns, wie unsere Vorfahren vor Alters, eine Zuflucht in wilderen und entlegeneren Einöden suchen, und wenn wir bis auf's Aeußerste widerstanden, so werden wir in den Eiswüsten unserer Gletscher sterben. Ja, Männer, Weiber und Kinder werden sich eher mit einander der Vernichtung übergeben, ehe ein freier Schweizer einen fremden Herrn anerkennt.«

Die Rede des Landammanns machte einen sichtbaren Eindruck auf die Versammlung. Der Herzog bemerkte dieß und sein anererbter Starrsinn wurde abermals durch die günstige Stimmung aufgereizt, die er allgemein gegen den Gesandten herrschen sah. Diese üble Eigenschaft überwältigte die Wirkung, welche die Anrede des edlen Biedermann auf ihn gemacht hatte. Er antwortete mit gerunzelter Stirne, und unterbrach den Greis, welcher eben weiter fortfahren wollte, – »Ihr urtheilt falsch, Herr Graf, oder Herr Landammann, oder wie Ihr Euch nennen möget, wenn Ihr glaubt, wir wollen Euch in der Hoffnung auf Beute oder aus Ruhmsucht bekriegen. Ohne daß Ihr es uns zu sagen braucht, wissen wir, daß weder Nutzen noch Ruhm zu erlangen ist, wenn wir Euch besiegen. Aber Fürsten, denen der Himmel die Gewalt dazu gegeben, müssen einen Haufen Räuber ausrotten, wenn es auch eine Schande ist, die Schwerter mit ihnen zu messen. Wir hetzen eine Heerde Wölfe zu Todt, obgleich ihr Fleisch nur Aas und ihr Fell zu nichts nütze ist.«

Der Landammann schüttelte sein graues Haupt und entgegnete ohne irgend eine Erregung zu verrathen, ja beinahe lächelnd: – »Ich bin ein älterer Waidmann als Ihr, gnädiger Herr Herzog – und vielleicht habe ich auch mehr Erfahrung. Der kühnste, der keckste Jäger verfolgt den Wolf nicht ohne Gefahr in seine Höhle. Ich habe Euer Gnaden gezeigt, wie wenig zu gewinnen ist und wie viel Ihr zu verlieren waget, wenn Ihr, so mächtig Ihr auch seid, Euch in einen Krieg mit entschlossenen und verzweifelten Leuten einlasset. Erlaubet mir nun, Euch zu sagen, was wir zu thun bereit sind, um einen aufrichtigen und dauernden Frieden mit unserem mächtigen Nachbar von Burgund zu Stande zu bringen. Euer Gnaden ist im Begriff, Lothringen wegzunehmen, und es scheint wahrscheinlich, daß sich Eure Gewalt unter einem so thätigen und unternehmenden Fürsten bis an die Ufer des mittelländischen Meeres ausdehnen wird – seid unser edler Freund und aufrichtiger Bundesgenosse, und unsere Berge, von Kriegern vertheidigt, die mit dem Siege vertraut sind, werden Euch als Vormauern gegen Deutschland und Italien dienen. Um Euretwillen wollen wir uns in Unterhandlungen mit dem Grafen von Savoien einlassen, und ihm unsere Eroberungen unter den Bedingungen zurückgeben, die Euer Gnaden für billig erkennen. Ueber die Klagen, die wir wegen des Vergangenen gegen Eure Statthalter und Befehlshaber an der Gränze zu erheben hätten, wollen wir Stillschweigen beobachten, sofern wir die Zusicherung erhalten, daß solche Angriffe für die Zukunft unterbleiben. Ja, noch mehr, und das ist mein letztes und wichtigstes Anerbieten, wir wollen dreitausend unserer jungen Leute Eurer Hoheit zum Beistand in jedem Kriege schicken, den Ihr gegen Ludwig von Frankreich oder den Kaiser von Deutschland unternehmen möget. Das ist – ich darf es mit Stolz und in Wahrheit sagen – ein ganz anderer Schlag Leute, als der Auswurf von Deutschland und Italien, die sich zu Haufen von Miethtruppen bilden. Und wenn der Himmel Eure Hoheit zur Annahme unseres Erbietens bestimmt, so werdet Ihr in Eurem Heere eine Schaar haben, die ihr Leben auf dem Schlachtfelde läßt, ehe auch nur ein Mann die geschworene Treue bricht.«

Ein schwärzlicher, aber großer und schöner Mann, in einem reich mit maurischer Arbeit verzierten Harnisch fuhr hier vom Sitze auf, als würde er durch die Bewegung fortgerissen, der er nicht zu widerstehen vermochte. Es war der Graf von Campo-Basso, der Befehlshaber von Karls italienischen Miethtruppen. Er besaß, wie schon angedeutet, viel Einfluß auf den Herzog, und verdankte diesen besonders der Geschicklichkeit, mit der er sich den Meinungen und Vorurtheilen seines Herrn fügte, und ihm scheinbare Gründe lieferte, um die Hartnäckigkeit des Herzogs in seinen Entwürfen zu rechtfertigen.

»Die hohen Anwesenden müssen mich entschuldigen,« sagte er, »wenn ich das Wort ergreife, um meine Ehre und die der guten Lanzen zu vertheidigen, welche meinem Stern aus Italien gefolgt sind, um dem tapfersten Fürsten in der Christenheit zu dienen. Ich hätte gewiß ohne Empfindlichkeit die beleidigende Sprache dieses grauhaarigen Bauern anhören können, da seine Worte auf einen Ritter und Edelmann nicht mehr Eindruck zu machen vermögen, als das Gebell eines Bauernhunds. Aber, da ich höre, daß er den Vorschlag macht, Haufen von meuterischen, rohen Lümmeln mit Eurer Hoheit Truppen zu vereinigen, so muß ich ihm erklären, daß unter meinen Leuten kein Stallbube ist, der in solcher Genossenschaft fechten möchte. Ich selbst, der ich durch tausend Bande der Dankbarkeit dazu verpflichtet bin, könnte mich nicht entschließen, neben solchen Kameraden zu dienen. Ich würde meine Fahnen zusammenlegen und fünftausend Mann nicht unter das Banner eines edleren Herrn führen, denn die Welt besitzt keinen solchen – aber ich würde Kriege aufsuchen, bei denen wir nicht über unsere Waffengefährten zu erröthen brauchten.«

»Still, Campo-Basso,« sagte der Herzog, »und seid versichert, Ihr dienet einem Fürsten, der Euren Werth zu genau kennt, um ihn für die unerprobten und unzuverlässigen Dienste von Leuten auszutauschen, welche wir blos als boshafte und lästige Nachbarn kennen gelernt haben.«

Hierauf wandte er sich zu Arnold Biedermann und redete in kaltem und ernstem Tone also zu ihm: »Herr Landammann, wir haben Euch ruhig angehört; wir haben auf Euch gehorcht, obgleich Ihr mit Händen vor uns tretet, welche noch gefärbt sind von dem Blute unseres Dieners, Archibald Hagenbach. Denn angenommen auch, er sei durch eine elende Verbindung ermordet worden, – die, bei Sankt Georg! nie, so lange wir leben und regieren, ihr giftiges Haupt auf dieser Seite des Rheins erheben soll – so ist doch unläugbar und wird von Euch nicht in Abrede gestellt, daß Ihr Zeugen dieses Verbrechens gewesen seid, daß Ihr mit den Waffen in der Hand demselben beigewohnt, und die meuchlerische That durch Eure Anwesenheit ermuthigt habt. Geht heim in Eure Berge und danket Gott, daß Ihr lebendig zurückkehren könnet. Saget denen, welche Euch geschickt, daß ich bald an Euren Gränzen sein werde. Eine Gesandtschaft Eurer angesehensten Personen, die einen Strick um den Hals, eine Fackel in der linken Hand, und mit der rechten das Schwert an der Spitze haltend, vor uns erscheint, kann erfahren, auf welche Bedingungen hin wir Euch Frieden gewähren.«

»Dann fahre hin, Frieden, und willkommen sei der Krieg,« erwiderte der Landammann. »Mögen seine Plagen und Flüche auf die Häupter derer zurückfallen, die Blut und Streit einer friedlichen Verbindung vorziehen. Ihr werdet uns an unseren Gränzen finden, aber die bloßen Schwerter und ihr Griff, nicht die Spitze wird in unserer Hand sein. Karl von Burgund, Flandern und Lothringen, Herzog von sieben Herzogthümern, Graf von siebenzehn Grafschaften, ich sage Euch auf und erkläre Euch den Krieg im Namen der verbündeten Kantone und Anderer, die sich mit ihnen verbinden werden. Hier ist der Absagebrief.«

Der Herold nahm von Arnold Biedermann die verhängnißvolle Erklärung.

»Lest sie nicht, Herold des goldenen Vließes!« rief der hochmüthige Herzog. »Laßt sie den Nachrichter am Schweif seines Pferdes durch die Straßen schleppen und an den Galgen nageln, um zu zeigen, wie hoch wir den edlen Wisch anschlagen und die, welche ihn gesandt. – Fort, ihr Herren,« sagte er zu den Schweizern, »packt euch in eure Wildnisse, so schnell euch eure Füße dahin tragen wollen. Wenn wir einander das nächste Mal treffen, sollt ihr besser erfahren, wen ihr beleidigt habt. – Führt unser Pferd vor – die Versammlung ist aufgehoben.«

Der Bürgermeister von Dijon näherte sich, während Alles in Bewegung war, um den Saal zu verlassen, abermals dem Herzog, und drückte ängstlich die Hoffnung aus, Seine Hoheit werde geruhen, an einem Festmahle Theil zu nehmen, welches der Gemeinderath in der Erwartung bereitet hätte, er würde ihnen diese Ehre erweisen.

»Nein, bei Sankt Georg von Burgund, Herr Bürgermeister,« antwortete Karl mit einem der stechenden Blicke, durch welche er Unwillen und Verachtung auszudrücken gewohnt war, – »das Frühstück, das Ihr uns aufgetragen, hat uns nicht so gut geschmeckt, daß wir es für passend hielten, unserer guten Stadt Dijon die Sorge für unser Mittagessen anzuvertrauen.«

Mit diesen Worten wandte er dem betroffenen Beamten ohne Weiteres den Rücken, stieg zu Pferd und ritt in lebhaftem Gespräch mit dem Grafen Campo-Basso zurück in sein Lager.

»Ich würde Euch ein Mittagessen anbieten, mein gnädiger Herr von Oxford;« sagte Colvin zu dem Engländer, als er vor seinem Zelte abstieg, »aber ich sehe voraus, daß Ihr vor den Herzog gefordert werdet, ehe Ihr einen Bissen genießen könnet, denn es ist Karls Art, wenn er einen verkehrten Weg eingeschlagen, daß er sich mit seinen Freunden und Räthen herumstreitet, bis er ihnen bewiesen, er sei auf dem rechten Weg, und wahrhaftig, den geschmeidigen Italiener bekehrt er immer zu seiner Meinung.«

Colvins Prophezeihung wurde alsbald verwirklicht; denn fast unmittelbar darauf forderte ein Page den englischen Kaufmann Philipson auf, sich zum Herzog zu begeben.

Ohne einen Augenblick zu warten, sprudelte Karl eine unzusammenhängende Fluth von Vorwürfen gegen die Stände seines Herzogthums heraus, weil sie ihm in einer so unbedeutenden Sache ihre Unterstützung verweigert hätten. Dann erging er sich in Erklärungen darüber, wie er sich in die Nothwendigkeit versetzt sehe, die Verwegenheit der Schweizer zu züchtigen. »Auch du, Oxford,« schloß er, »bist ungeduldig und närrisch genug, um zu wünschen, ich möchte mich in einen entfernten Krieg mit England einlassen und Truppen über's Meer führen, wenn ich solche unverschämte Meuterer an meinen eigenen Gränzen zu bestrafen habe?«

Als er endlich schwieg, setzte ihm der Graf mit ehrerbietigem Ernst die Gefahr auseinander, die damit verbunden zu sein schien, wenn er sich mit einem Volk einließe, das zwar arm, aber wegen seiner Mannszucht und seines Muthes allgemein gefürchtet wäre.

»Da dieß Alles unter den Augen eines so gefährlichen Nebenbuhlers geschehen muß, als Ludwig von Frankreich ist,« fuhr er fort, »so steht es fest, daß er Eure Feinde unter der Hand unterstützen wird, wenn er sich nicht offen mit ihnen vereinigt.« Aber in diesem Punkt blieb des Herzogs Entschluß unerschütterlich.

»Man soll nimmer von mir sagen,« rief er, »daß ich Drohungen ausgestoßen und nicht gewagt, sie zu verwirklichen. Die Bauern haben mir den Krieg erklärt, und sollen erfahren, wessen Zorn sie unbedachterweise gereizt. Ich gebe aber darum deinen Plan nicht auf, mein guter Oxford. Wenn du mir die Abtretung der Provence zuwege bringen und den alten René dazu bewegen kannst, die Sache seines Enkels, Ferrand von Vaudemont, in Lothringen aufzugeben, so wird es schon der Mühe werth sein, daß ich dir gehörigen Beistand leiste gegen meinen Bruder Blackburn. Der wird dann seine Besitzungen in England verlieren, während er Gesundheiten aus Flaschen trinkt. Werde nicht ungeduldig, wenn ich meine Truppen nicht im Augenblick über den Ocean schicken kann. Der Marsch auf Neufchatel, den ich vorhabe, weil dieses, denk' ich, der nächste Ort ist, wo ich die Bauern finden werde, ist nichts als ein Morgenausflug. Ich hoffe, du gehst mit uns, alter Gesell. Ich möchte gerne sehen, ob du in jenen Gebirgen vergessen hast, wie man ein Roß besteigt und eine Lanze einlegt.«

»Ich werde Euer Gnaden folgen,« sagte der Graf, »das ist meine Pflicht, denn meine Bewegungen müssen von Eurem Willen abhängen. Aber ich werde keine Waffen tragen, besonders nicht gegen dieses Schweizervolk, bei dem ich Gastfreundschaft genossen habe; es wäre denn zu meiner eigenen Vertheidigung.«

»Gut,« versetzte der Herzog, »sei es so! Wir werden an Euch einen trefflichen Richter haben, um uns zu sagen, wer gegen diese Bengel aus den Bergen am besten seine Schuldigkeit thut.«

In diesem Augenblicke wurde das Gespräch durch ein Klopfen am Eingang des Zeltes unterbrochen, und gleich darnach trat der Kanzler von Burgund in großer Hast und Aengstlichkeit herein. »Neuigkeiten, gnädiger Herr – Neuigkeiten aus Frankreich und England,« sagte der Prälat. Als er hier die Anwesenheit eines Fremden gewahr wurde, blickte er auf den Herzog und schwieg.

»Es ist ein zuverlässiger Freund, mein Herr Bischof,« sagte der Herzog: »Ihr könnt Eure Neuigkeiten vor ihm loslassen.«

»Es wird bald allgemein bekannt sein,« erwiderte der Kanzler – »Ludwig und Eduard haben sich völlig verständigt.« Der Herzog wie der Graf geriethen in Bestürzung.

»Ich habe das erwartet,« sagte der Herzog, »aber nicht so bald!«

»Die Könige haben sich getroffen,« antwortete der Minister.

»Wie – in der Schlacht?« fragte Oxford, der sich in seinem großen Eifer vergaß.

Der Kanzler war etwas überrascht; da aber der Herzog eine Antwort von ihm zu erwarten schien, erwiderte er; »Nein, Herr Fremder – nicht in der Schlacht, sondern nach einer Verabredung, in Frieden und Freundschaft.«

»Das muß recht sehenswerth gewesen sein,« sagte der Herzog, »wie sich der alte Fuchs Ludwig und mein Bruder Black – ich meine, mein Bruder Eduard – trafen. Wo hielten sie ihre Zusammenkunft?«

»Auf einer Brücke über die Seine, bei Picquigny.«

»Ich wollte, Du wärest dabei gewesen,« sagte der Herzog mit einem Blick auf Oxford, »mit einer guten Streitaxt in der Hand, um einen hübschen Streich für England und einen andern für Burgund zu führen. Mein Großvater wurde gerade bei einer solchen Zusammenkunft, auf der Brücke von Montereau an der Yonne, verrätherischerweise erschlagen.«

»Um einem ähnlichen Falle vorzubeugen,« sagte der Kanzler, »wurde ein starkes Schutzgatter auf der Mitte der Brücke angebracht, wie man es an den Käfigen sieht, in welchen man die wilden Thiere einsperrt. Es blieb ihnen nicht einmal die Möglichkeit, sich die Hand zu geben.«

»Ha, ha! bei Sankt Georg, das riecht ganz nach Ludwigs Mißtrauen und Vorsicht; denn der Engländer, um Jeden in seinem Werth zu lassen, kennt die Furcht eben so wenig als die Politik. Aber über was sind sie übereingekommen? Wo wird das englische Heer Winterquartiere beziehen? Welche Städte, Festungen und Schlösser werden ihm als Pfand oder für immer überlassen?«

»Keine, mein Lehensherr,« versetzte der Kanzler. »Die englische Armee kehrt nach Hause zurück, so schnell als Fahrzeuge zur Fortschaffung derselben beigebracht werden können, und Ludwig wird ihnen jedes Segel, jedes Ruder in seinem Gebiet leihen, damit sie augenblicklich Frankreich räumen.«

»Und durch welche Zugeständnisse hat Ludwig einen für seine Angelegenheiten so nothwendigen Frieden erkauft?«

»Durch schöne Worte,« antwortete der Kanzler; »durch freigebige Geschenke und etwa fünfhundert Fässer Wein.«

»Nein!« rief der Herzog – »hast du je dergleichen gehört, Signore Philipson? Meiner Treu', deine Landsleute sind wenig besser als Esau, der seine Erstgeburt für ein Linsengericht verkaufte. Wahrhaftig, ich muß gestehen, daß ich nie einen Engländer gesehen, der gerne einen Handel mit trockenen Lippen gemacht hätte.«

»Ich kann diese Nachrichten kaum glauben,« entgegnete der Graf von Oxford. »Wenn Eduard zufrieden wäre, das Meer mit fünfzigtausend Engländern blos zu überschreiten, um wieder heimkehren zu können, so giebt es in seinem Lager stolze Edelleute und muthige Gemeine genug, um sich einem so schmählichen Plane zu widersetzen.«

»Das Geld Ludwigs,« erwiderte der Staatsmann, »hat edle Hände gefunden, die geneigt waren, sich zu öffnen und es in Empfang zu nehmen. Der französische Wein hat alle Hälse im englischen Heere überschwemmt. Die Schmausereien und die Unordnung hatten keine Gränzen – und einmal war die Stadt Amiens, wo König Ludwig sich selbst aufhielt, so voll von lauter betrunkenen englischen Bogenschützen, daß der König von Frankreich beinahe in ihrer Gewalt war. Ihr Sinn von Nationalehre ist in dem allgemeinen Gelage untergegangen. Die unter ihnen, welche noch mehr auf Anstand halten und die Staatsklugen spielen, sagen, sie seien nach Frankreich gekommen, im Einverständniß mit dem Herzog von Burgund; da aber dieser Fürst sein Wort nicht gehalten und seine Streitkräfte nicht mit den ihrigen vereinigt habe, so sei es von ihnen, in Betracht der Jahreszeit und der Unmöglichkeit, Winterquartiere zu bekommen, gut, klug und recht gehandelt gewesen, daß sie von Frankreich eine Kriegssteuer genommen haben, und im Triumph nach Hause zurückgekehrt seien.«

»Und Ludwig,« sagte Oxford, »volle Freiheit ließen, Burgund mit allen seinen Kräften anzugreifen?«

»Keineswegs, Freund Philipson!« erwiderte Herzog Karl; »wisse, es besteht ein siebenjähriger Waffenstillstand zwischen Frankreich und Burgund. Wäre er nicht geschlossen und unterzeichnet, so hätten wir wahrscheinlich Mittel finden können, dem Vertrag zwischen Ludwig und Eduard ein Hinderniß in den Weg zu legen, und hätten wir diese gefräßigen Inselbewohner während der Wintermonate auf unsere Kosten mit Ochsenfleisch und Bier füttern müssen. – Herr Kanzler, Ihr könnt Euch entfernen, aber bleibt so nahe, daß man Euch schnell holen kann.«

Als der Minister das Zelt verlassen hatte, trat der Herzog, welcher mit seinem barschen und herrischen Wesen viel Güte verband, wenn man es nicht eine eingeborene Großmuth nennen konnte, auf den lancastrischen Edelmann zu. Dieser stand da, wie Einer, zu dessen Füßen eben der Blitz eingeschlagen hat, und der noch von dem Schrecken über den Schlag ergriffen ist.

»Mein armer Oxford,« sagte er, »du bist erstarrt über diese Nachricht, denn du kannst nicht zweifeln, daß sie eine schlimme Wirkung auf den Plan hervorbringen werde, welchen deine ehrliche Brust mit so viel Ergebenheit und Treue genährt. Ich wünschte um deinetwillen, daß ich die Engländer etwas länger hätte in Frankreich zurückhalten können. Der Versuch würde aber meinem Waffenstillstande mit Ludwig ein Ende und mir folglich unmöglich gemacht haben, die elenden Kantone zu züchtigen und ein Heer nach England zu schicken. So wie die Sachen jetzt stehen, laß mir nur eine Woche, um die Bergbewohner zu bestrafen, und du sollst mehr Truppen bekommen, als deine Bescheidenheit für dein Unternehmen gefordert hat. Mittlerweile werde ich Sorge tragen, daß Blackburn und seine Vettern, die Bogenschützen, von Flandern aus nicht mit Fahrzeugen unterstützt werden. Ruhig, Mann, fürchte nichts – du wirst lange vor ihnen in England sein. Nochmals, verlasse dich auf meinen Beistand, immer, wie du weißt und sich von selbst versteht, wenn die Abtretung der Provence zu Stande gebracht ist. Die Diamanten unserer Base Margarethe müssen wir einige Zeit behalten; und vielleicht können sie nebst einigen von den unsrigen als Pfand gelten, wenn wir die gottselige Absicht ausführen und die gefangenen Engel unserer flämischen Wucherer in Freiheit setzen, die nicht einmal ihrem Fürsten ohne gute gangbare Sicherheit Etwas leihen wollen. Zu solchen Auskunftsmitteln zwingt uns für den Augenblick der Geiz und Ungehorsam unserer Stände.«

»Ach, gnädiger Herr,« sagte der niedergeschlagene Edelmann, »ich wäre undankbar, wenn ich an der Aufrichtigkeit Eurer guten Absichten zweifeln wollte. Aber wer kann die Ereignisse des Kriegs vorhersehen, besonders wenn die Zeit zu augenblicklicher Entscheidung drängt. Es gefällt Euch, mir Euer Zutrauen zu schenken, Hoheit; dehnet es noch etwas weiter aus. Ich will mein Pferd nehmen und dem Landammann nachreiten, wenn er schon fort ist. Ich zweifle kaum, ich werde eine solche Uebereinkunft mit ihnen treffen können, daß Ihr an Eurer ganzen südöstlichen Gränze sicher seid. Dann könnt Ihr in Lothringen und der Provence ruhig Euren Willen durchführen.«

»Sprich mir nicht davon,« erwiderte der Herzog heftig; »du vergißt dich und mich, wenn du glaubst, ein Fürst, der sein Wort gegen sein Volk verpfändet, könne es zurücknehmen, wie ein Kaufmann, der um seine elenden Waaren schachert. Geht, wir werden Euch beistehen, aber wir selbst wollen entscheiden, wann und wie. Da wir es jedoch mit unserer unglücklichen Base von Anjou gut meinen, und Euer guter Freund sind, so werden wir in der Sache nicht zaudern. Unser Heer hat Befehl, diesen Abend noch aufzubrechen und sich gegen Neufchatel hinzuziehen. Dort sollen die stolzen Schweizer eine Probe von Feuer und Schwert bekommen, wie sie es gefordert haben.«

Oxford stieß einen tiefen Seufzer aus, machte aber keine weitere Gegenvorstellung. Er that wohl daran, denn er hätte dadurch wahrscheinlich blos den hitzigen Fürsten noch mehr aufgereizt, während er sicher den Entschluß desselben nicht im mindesten abgeändert haben würde.

Er nahm Abschied von dem Herzog und kehrte zu Colvin zurück, den er in die Geschäfte seines Fachs vertieft und mit Vorbereitungen für die Weiterschaffung des Geschützes beschäftigt fand. Diese Arbeit machte die Unbehülflichkeit der Stücke und der abscheuliche Zustand der Straßen damals noch viel mühsamer als heutzutage, obgleich sie auch jetzt noch eine der beschwerlichsten Bewegungen auf dem Marsch einer Armee ist. Der Geschützmeister bewillkommte Oxford mit vieler Freude, und wünschte sich Glück zu der ausgezeichneten Ehre, sich seiner Gesellschaft während des Feldzugs erfreuen zu dürfen. Er theilte ihm mit, daß er auf besonderen Befehl des Herzogs passende Vorkehrungen für seine Bequemlichkeit getroffen hätte, die zwar dem angenommenen Stande, den er beibehalten wolle, angemessen, aber in jeder andern Beziehung so anständig wären, als man es in einem Lager erwarten könnte.



 << zurück weiter >>