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Dreißigstes Kapitel.

Er ist es, der den Kranz von Lorbeer'n trägt,
Geflochten von Apoll und den neun Schwestern,
Dem Zeus' furchtbarer Blitz nicht schadet. Er
Hat abgelegt den schweren Stahlhelm und
Die noch beschwerlichere, gold'ne Krone;
Den Blätterreif um seine Stirne, herrscht
Der Dichter König und der Liebenden.

Arthur näherte sich vorsichtig dem Kamin, d. h. dem Lieblingsspaziergang des Königs, von dem Shakespeare sagt, er habe geführt

Den Titel eines Königs von Neapel,
Beider Sicilien und Jerusalems,
Doch ärmer als in England jeder Freisaß.

So erhielt er einen vollständigen Ueberblick über das Aeußere desselben. Er sah einen alten Mann, dessen Haare und Bart an Reichthum und Weiße fast mit denen des Gesandten von Schwyz wetteiferten, aber mit frischen, rothen Wangen und sehr lebhaften Augen. Seine Kleidung war so glänzend, daß sie mit seinen Jahren nicht zusammenpassen wollte. Während er den kurzen und bedeckten Spaziergang durchschritt, welchen er mehr wegen der Bequemlichkeit, als um des Alleinseins willen gewählt, zeigte sein nicht blos fester, sondern rüstiger und hurtiger Gang, daß noch jugendliche Kraft den bejahrten Körper belebte. Der alte König hielt seine Schreibtafel und einen Bleistift in den Händen, und schien völlig in Gedanken verloren und gleichgültig dagegen zu sein, daß er auf der offenen Straße unter seinem höher gelegenen Spaziergang von mehreren Personen beobachtet wurde.

Einige davon sahen nach Anzug und Betragen selber wie Troubadours aus; denn sie hatten Geigen, Leyern, kleine, tragbare Harfen und andere Zeichen ihres Gewerbes bei sich. Sie schienen sich hier aufzuhalten, um Bemerkungen über die Betrachtungen ihres Fürsten zu machen und sich einzuprägen. Andere Vorübergehende, welche eigenen und ernsthafteren Geschäften nachgingen, blickten auf den König, als auf Einen, den sie täglich zu sehen gewohnt waren. Doch gingen sie nie vorüber, ohne ihre Mütze abzunehmen, und durch eine geziemende Verbeugung eine Achtung und Zuneigung zu erkennen zu geben, welche durch Herzlichkeit zu ersetzen schien, was ihr an tiefer und feierlicher Ehrerbietung abging.

René wußte indessen augenscheinlich weder etwas von denen, die still standen und nach ihm hinaufstarrten, noch von den Grüßen der Vorbeigehenden. Sein Geist schien völlig durch irgend eine schwierige Aufgabe in Dichtkunst oder Musik in Anspruch genommen. Er ging schnell oder langsam, wie es der Gang seines Machwerks mit sich brachte. Manchmal stand er still, um schnell etwas in seine Schreibtafel zu bemerken, was ihm des Aufzeichnens werth schien; dann löschte er wieder aus, was er geschrieben, und warf in einer Art von Verzweiflung den Bleistift weg. Dieser wurde, wenn solches vorkam, sorgfältig von einem schönen Pagen, seinem einzigen Begleiter, aufgehoben, der ehrerbietig die erste passende Gelegenheit abwartete, um ihn wieder den königlichen Händen zu übergeben. Der Jüngling trug auch eine Bratsche, auf welcher er nach einem Zeichen seines Herrn dann und wann ein paar Töne hervorbrachte. Der König horchte darauf bald mit freundlicher und zufriedener Miene, bald mit finsterer und trauriger Stirne. Manchmal steigerte sich seine Begeisterung so sehr, daß er mit einer für sein Alter überraschenden Beweglichkeit hüpfte und sprang; dann verlangsamten sich wieder seine Bewegungen, und oft stand er plötzlich still, wie wenn er in's tiefste und unruhigste Sinnen vertieft wäre. Wenn er zufällig auf die Gruppe sah, die alle seine Geberden bewachte, und es sogar wagte, ihn mit einem Beifallsgemurmel zu grüßen, so geschah es blos, um ihnen mit einem freundlichen und wohlwollenden Kopfnicken zu danken. Mit diesem Gruße verfehlte er auch nicht, die Ehrenbezeugungen der gewöhnlichen Vorübergehenden zu erwidern, wenn seine ernstliche Aufmerksamkeit auf sein Geschäft, worin es nun auch bestehen mochte, ihm verstattete, sie zu bemerken.

Endlich fiel das Auge des Königs auf Arthur, den seine still beobachtende Stellung und die ausgezeichnete Gestalt als einen Fremden erkennen ließen. René winkte seinem Pagen und flüsterte ihm etwas zu. Als dieser seines Herrn Befehle empfangen, stieg er von dem königlichen Kamin herunter auf die breitere Bettung unten, auf welche Jedermann Zutritt hatte. Der junge Mensch redete Arthur mit vieler Höflichkeit an und theilte ihm mit, der König wünschte ihn zu sprechen. Dem Engländer blieb nichts übrig, als zu folgen, doch erwog er einige Zeit, wie er sich gegen ein so sonderbares Muster von einem König betragen sollte.

Als er näher kam, wandte sich König René in höflichem und würdigem Tone an ihn, und Arthurs Ehrfurcht in seiner unmittelbaren Gegenwart war größer als er nach seinen früheren Vorstellungen von dem König hatte vermuthen können.

»Ihr seid, wie es scheint, ein Fremder, schöner Herr,« sagte König René, »in diesem Lande. Wie müssen wir Euch nennen und welchem Geschäft haben wir das Glück zuzuschreiben, daß wir Euch an unserem Hofe sehen?«

Arthur schwieg einen Augenblick, und der gute, alte Mann, der solches der Ehrerbietung und Furchtsamkeit beimaß, fuhr in ermuthigendem Tone fort:

»Die Bescheidenheit in der Jugend ist immer empfehlenswerth; Ihr seid wahrscheinlich eingeweiht in die edle und fröhliche Kunst der Minstrels und in die Musik, und hierhergezogen worden durch die bereitwillige Aufnahme, welche wir denen gewähren, die sich zu diesen Wissenschaften bekennen. Wir selbst – gepriesen sei die Mutter Gottes und die Heiligen! – leisten, wie man sagt, Einiges hierin.«

»Ich trachte nicht nach der Ehre, ein Troubadour zu sein,« antwortete Arthur.

»Ich glaube Euch,« erwiderte der König, »denn Eure Sprache hat etwas vom Norden oder dem normännisch-französischen an sich, wie man es in England und bei anderen nicht verfeinerten Völkern spricht. Aber Ihr seid vielleicht ein Minstrel aus den Gegenden jenseits der Berge. Seid versichert, wir verachten Eure Leistungen nicht; denn wir haben nicht ohne Vergnügen und Belehrung viele von ihren kühnen und wilden Romanzen angehört. Sie sind roh nach Entwurf und Sprache und stehen deßhalb weit unter den geregelten Dichtungen unserer Troubadours, aber doch liegt Etwas in ihrem gewaltigen und ungeschlachten Versmaß, welches dann und wann das Herz erregt, wie der Schall einer Trompete.«

»Ich habe die Wahrheit dessen gefühlt, was Euer Gnaden bemerken, als ich auf die Gesänge meiner Heimath horchte,« sagte Arthur, »aber ich bin weder geschickt noch kühn genug, das nachzuahmen, was ich bewundere – ich habe mich zuletzt in Italien aufgehalten.«

»So verstehet Ihr vielleicht etwas von Malerei,« sagte René: »eine Kunst, welche sich an's Auge wendet, wie Dichtkunst und Musik an's Ohr; sie wird von uns kaum weniger hoch geschätzt. Wenn Ihr in der Kunst geschickt seid, so habt Ihr einen Fürsten gefunden, der sie liebt, und das schöne Land, in welchem man sie ausübt.«

»Ich bin, Euer Gnaden, um es kurz zu sagen, ein Engländer, und meine Hand ist bei Führung des Bogens, der Lanze und des Schwerts zu hart geworden, um die Harfe spielen und den Pinsel führen zu können.«

»Ein Engländer!« sagte René, und die Wärme seines Willkomms ließ bedeutend nach; »und was bringt Euch hierher? England und ich sind seit langer Zeit schlechte Freunde gewesen.«

»Gerade deßwegen bin ich hier,« entgegnete Arthur. »Ich komme, um Euer Gnaden Tochter, der Prinzessin Margarethe von Anjou, meine Huldigung darzubringen. Ich und mancher ächte Engländer betrachten sie noch als unsere Königin, obgleich Verräther sich ihren Titel angemaßt haben.«

»Ach, guter Jüngling,« sagte René; »ich muß Euch bedauern, wenn ich auch Eure Anhänglichkeit und Treue achte. Wäre meine Tochter meines Sinnes gewesen, so hätte sie schon lange die Ansprüche aufgegeben, welche die edelsten und wackersten ihrer Anhänger in Ströme von Blut gestürzt haben.«

Der König schien mehr sagen zu wollen, hielt aber inne.

»Geh' in meinen Palast,« fügte er hinzu; »frage nach dem Haushofmeister, Hugo von Saint Cyr, er wird dir sagen, wie du zu Margarethe kommen kannst – d. h. wenn sie Lust hat, dich zu sehen. Wenn nicht, guter englischer Jüngling, so kehre in meinen Palast zurück, und du sollst gastfreundlich bewirthet werden; denn ein König, der ein Liebhaber der Minstrels, der Musik und Malerei ist, kann nicht gleichgültig sein gegen die Forderungen der Ehre, Tugend und Treue. Ich lese in deinen Augen, daß du alle diese Eigenschaften besitzest, und glaube gerne, daß du in ruhigeren Zeitläuften darnach streben würdest, die Ehren der fröhlichen Wissenschaft zu theilen. Wenn du aber Sinn und ein Herz hast für Schönheit und schöne Verhältnisse, so wird es beim ersten Anblick meines Palastes hüpfen. Denn die erhabene Anmuth desselben läßt sich mit der fehlerfreien Gestalt einer hochgebornen Dame, oder mit der kunstreichen, aber scheinbar einfachen Durchführung des Tonstücks vergleichen, welches wir eben jetzt zu Stande gebracht haben.«

Der König schien geneigt, sein Instrument zu ergreifen und den jungen Mann mit einer Probe der Weise zu beglücken, die er eben verfertigt; aber Arthur erfuhr in diesem Augenblick das peinliche Gefühl der besonderen Art von Scham, welches feinfühlende Gemüther ergreift, wenn sie sehen, daß sich Andere eine große Wichtigkeit anmaßen und sich darauf verlassen, sie werden Bewunderung erregen, während sie sich in Wirklichkeit blos lächerlich machen. Arthur verabschiedete sich kurz, und schämte sich herzlich für den König von Neapel, beiden Sicilien und Jerusalem. Vielleicht entfernte er sich mit etwas weniger Umständen, als der Gebrauch erforderte. Der König blickte ihm einigermaßen verwundert über diesen Mangel an Lebensart nach, schrieb ihn aber der Erziehung zu, welche der Besucher auf seiner Insel erhalten, und fing dann wieder an, auf seiner Bratsche zu klimpern.

»Der alte Narr!« sagte Arthur; »seine Tochter ist entthront, seine Besitzungen zerfallen in Stücke, seine Familie ist dem Erlöschen nahe, sein Enkel wird von einem Versteck in's andere getrieben und ist aus dem Erbtheil seiner Mutter verjagt – und er kann in solchen Lappereien Unterhaltung finden! Ich stellte mir ihn wegen seines langen, weißen Barts vor, wie Nikolaus Bonstetten; aber der alte Schweizer ist ein Salomo im Vergleich mit ihm.«

Während diese und andere dem König René keineswegs günstige Gedanken Arthur'n durch den Kopf gingen, erreichte er den Ort der Zusammenkunft, und fand Thiebold unter dem dampfenden Springbrunnen. Dieser wurde durch eine der heißen Quellen getrieben, welche in früheren Zeiten das Entzücken der Römer gewesen sind. Thiebold versicherte seinen Herrn, sein Gefolge, Roß und Mann sei so untergebracht, daß es beim ersten Zeichen zu seinen Diensten stehe, und war gleich bereit, ihn zu König René's Palast zu führen. Der letztere verdiente durch seine Eigenheit und die Schönheit der Bauart alles Lob, welches der alte Monarch über ihn ausgesprochen. Die Vorderseite bestand aus drei Thürmen in römischem Styl. Zwei davon standen an den Ecken des Palastes, und der dritte, der als Grabmal diente, bildete ebenfalls einen Theil der Gruppe, stand aber etwas von den anderen Gebäuden ab. Er war in schönen Verhältnissen aufgeführt. Der untere Theil desselben, ein Viereck, diente als Gestell für den oberen, kreisförmigen und mit Säulen von massivem Granit umgebenen Theil. Die zwei anderen Thürme an den Ecken des Palastes waren rund, ebenfalls mit Säulen verziert, und hatten eine doppelte Fensterreihe. Vor und in Verbindung mit diesen römischen Denkmälern, deren Entstehung eine Angabe in's fünfte oder sechste Jahrhundert zurückversetzt, erhob sich der alte Palast der Grafen von Provence, der ein oder zwei Jahrhunderte später erbaut worden ist. Die reiche gothische oder maurische Vorderseite stand im Gegensatz und doch im Einklang mit der regelmäßigeren und festeren Bauart der Herren der Welt. Es ist nicht mehr als vierzig oder fünfzig Jahre her, daß dieser merkwürdige Rest alter Kunst zerstört worden ist, um neuen öffentlichen Gebäuden Platz zu machen, die aber bis heute noch nicht aufgeführt worden sind.

Arthur erfuhr wirklich eine Empfindung von der Art, wie sie der alte König vorhergesagt hatte, und stand mit verwundertem Blick an dem beständig offenen Thor des Palastes, in welchen der Eintritt Leuten von jeder Gattung frei zu stehen schien. Nachdem er sich ein paar Minuten umgesehen, stieg der junge Engländer die Treppen einer schönen Säulenhalle hinauf und fragte einen Thürsteher, so alt und faul, wie der Diener eines großen Mannes sein muß, nach dem Haushofmeister, den ihm der König genannt. Der wohlbeleibte Mann übergab den Fremden mit großer Artigkeit der Sorge eines Pagen, und dieser führte ihn in ein Zimmer, wo er einen anderen bejahrten Beamten höheren Rangs fand. Derselbe hatte ein freundliches Gesicht, ein klares, ruhiges Auge und eine Stirne, die nie im Ernste gerunzelt zu werden und anzudeuten schien, daß der Hofmarschall von Aix sich die Philosophie seines königlichen Herrn zu eigen gemacht habe. Er kannte Arthur im Augenblick, da ihn dieser anredete.

»Ihr sprecht das Nordfranzösische, schöner Herr, Ihr habt lichteres Haar und eine hellere Farbe als die Eingeborenen dieses Landes – Ihr fragt nach der Königin Margarethe – aus all' diesen Zeichen erkenne ich Euch als einen Engländer. Ihre Gnaden von England vollzieht in diesem Augenblick ein Gelübde in dem Kloster auf dem Berge Sainte Victoire, und wenn Ihr Euch Arthur Philipson nennt, so habe ich den Auftrag, Euch augenblicklich zu ihr zu befördern – d. h. sobald Ihr gekostet habt, was sich gerade von Speisen bei dem König vorfindet.«

Der junge Mann wollte Einwendungen dagegen erheben, der Hofmarschall ließ ihm aber keine Zeit dazu.

»Essen und Messen,« sagte er, »sind keinem Geschäft noch im Wege gewesen – es ist gefährlich für die Jugend, mit leerem Magen zu weit zu gehen – ich selbst werde mit dem Gast der Königin einen Bissen genießen, und ihm obendrein in einer Flasche alten Weins Bescheid thun.«

Der Tisch wurde mit einer Schnelligkeit gedeckt, welche bewies, daß man auf dem Gebiet des Königs René häufig Gastfreundschaft übte. Pasteten, Schüsseln mit Wildpret, der Kopf eines wilden Schweins und andere Leckereien wurden aufgetragen, und der Haushofmeister spielte den fröhlichen Wirth. Dabei entschuldigte er sich häufig und ohne alle Noth, daß er nicht mit gutem Beispiele vorangehen könne, weil ihm obliege, dem König René vorzuschneiden, und der gute König nie zufrieden sei, wenn er ihn nicht eben so herzhaft mitessen als gewandt vorschneiden sehe.

»Aber Ihr, Herr Gast, esset Ihr nur zu; denn Ihr werdet nichts mehr zu sehen bekommen, bis die Sonne untergeht. Die gute Königin nimmt sich ihr Mißgeschick so zu Herzen, daß Seufzer ihre Nahrung und Thränen ihr Trank sind, wie der Psalmist sagt. Aber ich denke, Ihr werdet Pferde brauchen für Euch und Euer Gefolge, um nach dem Berge Sainte Victoire zu kommen, welcher drei Stunden von Aix entfernt ist.«

Arthur erwiderte, daß er einen Führer und Pferde bei sich habe, und bat um Erlaubniß, sich verabschieden zu dürfen. Der würdige Hofmarschall, dessen hübschen, runden Bauch eine goldene Kette zierte, begleitete ihn an das Thor. Sein Schritt war durch einen leichten Gichtanfall etwas unsicher geworden; er versicherte aber Arthur, es würde vergehen, ehe er noch drei Tage die heißen Quellen gebraucht hätte. Thiebold erschien vor dem Thore, aber nicht mit den müden Pferden, von denen sie vor einer Stunde abgesessen waren, sondern mit frischen Rossen aus des Königs Stall.

»Sie gehören Euer, sobald Ihr den Fuß in den Steigbügel gesetzt,« sagte der Hofmarschall; »der gute König René nimmt kein Pferd zurück, welches er einem Gast geliehen, und darin liegt vielleicht ein Grund davon, daß Seine Gnaden und wir von seinem Haushalt oft zu Fuß gehen müssen.«

Hier wechselte der Haushofmeister seine Grüße mit Arthur und dieser ritt davon, um den Ort aufzusuchen, wohin sich die Königin Margarethe für den Augenblick zurückgezogen hatte. Er fragte seinen Wegweiser, in welcher Richtung das berühmte Kloster Sainte Victoire liege, und Thiebold wies mit triumphirender Miene auf einen dreitausend und mehr Fuß hohen Berg, der in einer Entfernung von drei oder vier Stunden von der Stadt in die Höhe stieg, und den sein kühner und felsiger Gipfel zu dem am meisten in die Augen fallenden Gegenstand der Landschaft machte. Thiebold sprach von ihm mit ungewöhnlicher Freude und mit vielem Feuer, so daß Arthur merkte, sein treuer Knappe habe nicht versäumt, die verschwenderische Gastfreundschaft des guten Königs René zu benutzen. Thiebold fuhr indessen fort, sich über den Ruf des Berges und Klosters zu verbreiten. Sie hätten, sagte er, ihren Namen von einem großen Sieg, den ein römischer General, Cajo Mario geheißen, gegen zwei große Heere Sarazenen mit welschen Namen gewonnen. (Wahrscheinlich die Cimbern und Teutonen). Aus Dankbarkeit gegen Gott für den Sieg habe Cajo Mario gelobt, ein Kloster auf dem Berge zu bauen, und es dem Dienste der Jungfrau Maria zu widmen, von der er in der Taufe den Namen erhalten. Mit aller Wichtigkeit eines Kenners der Oertlichkeiten machte sich Thiebold daran, seine allgemeine Behauptung durch besondere Thatsachen zu erweisen.

»Dort,« sagte er, »war das Lager der Sarazenen. Als die Schlacht entschieden schien, stürzten sich ihre Gattinnen und Frauen unter schrecklichem Geschrei mit fliegenden Haaren und den Geberden von Furien daraus hervor, und eine Zeitlang gelang es ihnen, die Flucht der Männer aufzuhalten.« Er wies auf den Fluß, zu welchem die überlegene Kriegskunst der Römer den Barbaren, wie er die Sarazenen nannte, den Zugang abgeschnitten hatte. Um sich diesen zu verschaffen, wagten die Sarazenen das Treffen, und rötheten mit ihrem Blut die Wellen des Waldstroms. Kurz, er erwähnte vieler Umstände, welche zeigten, wie genau die Ueberlieferung die Einzelnheiten vergangener Ereignisse bewahrt, wenn sie auch Zeitangaben und Personen vergißt, entstellt und verwirrt.

Als er bemerkte, daß ihm Arthur nicht ohne Theilnahme zuhörte – denn man kann sich denken, daß die Erziehung eines jungen Menschen, der mitten in Bürgerkriegen aufwächst, ihn nicht eben befähigte, den Bericht über Kriege einer fernen Zeit zu beurtheilen; – machte sich der Provençale, der jetzt seinen Gegenstand erschöpft hatte, ganz dicht zu seinem Herrn hin, und fragte mit unterdrückter Stimme, ob er wüßte oder zu erfahren wünschte, warum Margarethe Aix verlassen und das Kloster Sainte Victoire bezogen habe?«

»Um ein Gelübde zu erfüllen,« antwortete Arthur; »wie die ganze Welt weiß.«

»Ganz Aix weiß das Gegentheil,« sagte Thiebold; »und ich kann Euch die Wahrheit sagen, wenn ich sicher sein darf, daß es Euer Ehren nicht beleidigt.«

»Die Wahrheit kann keinen vernünftigen Menschen beleidigen, wenn sie in Worten ausgesprochen wird, wie sie sich ziemen, wenn man von der Königin Margarethe in Gegenwart eines Engländers redet.«

Arthur antwortete in dieser Weise, weil er begierig war, alle möglichen Nachrichten einzuziehen, und zugleich den Muthwillen seines Dieners im Zaum zu halten wünschte.

»Ich habe nichts zu sagen,« versetzte Thiebold, »was die gnädige Königin herabsetzen könnte. Ihr einziges Unglück ist, daß sie, wie ihr königlicher Vater, mehr Titel hat als Städte. Uebrigens weiß ich wohl, daß ihr Engländer euch frei genug über eure Fürsten auslasset, aber Anderen nicht verstattet, die Achtung gegen sie aus den Augen zu setzen.«

»Sprich also!« erwiderte Arthur.

»Euer Ehren muß wissen,« sagte Thiebold; »daß der gute König René über die tiefe Traurigkeit, welche die Königin Margarethe niederdrückte, in keine geringe Unruhe gerieth. Er arbeitete also mit aller Macht daran, sie in eine fröhlichere Laune zu bringen. Er hielt öffentliche und Privat-Unterhaltungen; er versammelte Minstrels und Troubadours, und ihre Musik und ihre Verse hätten einem Menschen auf seinem Sterbebette ein Lächeln entlockt. Das ganze Land wiederhallte von Freude und Lust, und die gnädige Königin konnte, wenn sie sich auch noch so sehr verbarg, keine hundert Schritte weit gehen, ohne auf eine unerwartete Ueberraschung zu stoßen, wie ein hübsches Puppenspiel, oder eine festliche Mummerei. Oft befand sich der König selbst dabei, und störte ihre Einsamkeit, um ihre trüben Gedanken durch irgend einen angenehmen Zeitvertreib zu verscheuchen. Aber die tiefe Betrübniß der Königin verwarf alle diese Versuche zu ihrer Erheiterung; sie ging zuletzt nicht mehr aus ihren Gemächern, und weigerte sich entschieden, auch nur den König, ihren Vater, vor sich zu lassen, weil er gewöhnlich Leute zu ihr mitbrachte, deren Künste er für geeignet hielt, ihren Kummer zu bannen. Sie schien mit Widerwillen den Harfenspielern zuzuhören, nichts von der Gegenwart der Menschen zu wissen, und sie nie zu bemerken. Nur bei einer wilden und traurigen Ballade, die ein wandernder Engländer sang, brach sie in einen Strom von Thränen aus, und gab ihm eine werthvolle Kette. Zuletzt, wie ich Euch schon zu sagen die Ehre gehabt habe, weigerte sie sich auch, ihren Vater vor sich zu lassen, wenn er nicht allein käme. Und dazu hatte er nicht das Herz.«

»Ich wundere mich nicht darüber,« sagte der junge Mann; »bei dem weißen Schwan! Ich bin vielmehr überrascht darüber, daß seine Mummereien sie nicht um den Verstand gebracht haben.«

»Es kam etwas Derartiges vor,« versetzte Thiebold; »und ich will Euer Ehren erzählen, wie das zuging. Ihr müßt wissen, daß der gute König René seine Tochter nicht dem bösen Geist der Schwerter überlassen wollte, und beschloß, einen Hauptversuch zu machen. Ihr müßt ferner wissen, daß der König, geübt in aller Kunst der Troubadours und Gaukler, in besonderem Ansehen steht wegen seiner Geschicklichkeit in Anordnung von geistlichen Lustspielen und anderen kurzweiligen und ergötzlichen Belustigungen und Aufzügen, mit welchen unsere heilige Kirche ihre ernsteren Gebräuche zur Erheiterung aller wahren Gläubigen zu mildern und zu vermannigfaltigen gestattet. Es ist anerkannt, daß Niemand je es Seiner Gnaden in der Anordnung des Frohnleichnamsfestes gleichthun konnte. Das Tonstück, nach welchem die Teufel den König Herodes zu großer Erbauung aller christlichen Zuschauer abprügeln, ist ein Machwerk unseres guten Königs selbst. Er hat in Tarascon das Ballet, die heilige Martha und der Drache, mitgetanzt und galt für den einzigen Spieler, der im Stande wäre, darin mit Erfolg aufzutreten. Seine Gnaden hat auch ein neues Verfahren bei Einweihung des Knabenbischofs eingeführt, und die Musik für das ganze Eselsfest verfaßt. Kurz, Seiner Gnaden Stärke besteht in der Erfindung solcher unterhaltender Festlichkeiten, welche den Pfad des Lebens mit Blumen bestreuen, und die Leute unter Tanzen und Singen in den Himmel befördern.

»Nun beschloß der gute König René, überzeugt von seiner großen Anlage zur Hervorbringung solcher Ergötzlichkeiten, sich auf's Aeußerste anzustrengen; denn er hoffte, er würde auf diese Art der Traurigkeit ein Ende machen, in welche seine Tochter versunken war, und welche Alle ansteckte, die in ihre Nähe kamen. Da geschah es vor Kurzem, daß die Königin einige Tage abwesend war, ich weiß nicht, in welchen Geschäften, aber der gute König erhielt dadurch Zeit, seine Vorbereitungen zu machen. Als seine Tochter zurückkam, drang er mit großem Ungestüm in sie, einem religiösen Umzug in der Hauptkirche zu Aix beizuwohnen. Die Königin wußte nichts von dem, was im Werke war, und kleidete sich feierlich an, um an der ernsten und frommen Handlung Theil zu nehmen, die sie erwartete. Kaum erschien sie aber auf dem freien Platz vor dem Palast, als sich mehr als hundert Masken, Türken, Juden, Sarazenen, Mohren und ich weiß nicht was noch um sie her drängten, um ihr, als der Königin von Saba, ihre Huldigung darzubringen. Ein wunderliches Musikstück forderte sie auf, sich zu einem spaßhaften Tanz aufzustellen, während dessen sie die Königin in der ergötzlichsten Weise und mit den ungereimtesten Geberden anredeten. Die Königin ward von dem Lärm ganz betäubt, durch die Ausgelassenheit des unerwarteten Angriffs beleidigt, und wäre gerne in den Palast zurückgegangen, aber die Thore waren auf Befehl des Königs geschlossen worden, sobald sie herausgetreten war. So blieb ihr der Rückzug in dieser Richtung abgeschnitten. Da sie sich von dem Palast ausgeschlossen fand, trat die Königin auf die Vorderseite desselben, und suchte durch Zeichen und Worte das Getöse zum Schweigen zu bringen, aber die Masken, die dazu angewiesen waren, antworteten blos mit Gesang, Musik und Geschrei.«

»Ich wollte,« sagte Arthur, »es wären ein paar Dutzend englische Bauern mit ihren kurzen Prügeln da gewesen, um die kreischenden Schurken Achtung für eine Frau zu lehren, welche die Krone von England getragen hat.«

»Aller Lärm, der zuvor gemacht wurde, war Stille und sanfte Musik,« fuhr Thiebold fort, »gegen den, der sich erhob, als der gute König selbst in dem wunderlichen Aufzuge des Königs Salomo erschien.« – –

»Mit dem er unter allen Fürsten am wenigsten Aehnlichkeit hat,« sagte Arthur.

»Er machte solche Sprünge und Geberden, um die Königin von Saba zu begrüßen, daß sie, wie mich Augenzeugen versichert haben, einen Todten wieder zum Leben bringen und einen Lebendigen vor Lachen hätten sterben machen können. Unter andern Dingen, die seiner Rolle zukamen, hatte er einen Stock in der Hand, der einer Narrenkolbe ähnlich sah.« – –

»Der passendste Scepter für einen solchen Fürsten,« sagte Arthur.

»Auf der Spitze desselben,« fuhr Thiebold fort, »war ein Modell des jüdischen Tempels, hübsch vergoldet und künstlich in Pappe ausgeschnitten. Er trug den Stock mit vieler Anmuth, und entzückte jeden Zuschauer durch seine Heiterkeit und Beweglichkeit, die Königin ausgenommen; je mehr er hüpfte und sprang, desto zorniger wurde sie. Als er sich ihr näherte, um sie zu dem Zuge zu führen, schien sie in eine Art von Raserei zu gerathen; sie riß ihm den Stock aus der Hand, durchbrach die Menge, die eben so sehr erschrak, als wenn eine Tigerin aus dem Karren ihres Führers entsprungen wäre, und stürzte in den Hof des königlichen Schlosses. Ehe die Ordnung in der Darstellung des geistlichen Lustspiels, die ihre Heftigkeit unterbrochen, wieder hergestellt werden konnte, kam die Königin abermals heraus; sie saß auf einem Pferde, und zwei oder drei englische Edelleute aus ihrem Gefolge begleiteten sie ebenfalls zu Roß. Sie erzwang sich einen Weg durch die Menge, ohne sich darum zu bekümmern, ob sie verletzt würde oder Andere verletzte, ritt wie ein Hagelwetter durch die Straßen, und zog nicht eher den Zügel an, bis sie an der Stelle des Berges Sainte Victoire anlangte, wo der Weg für Pferde nicht mehr zugänglich ist. Hierauf wurde sie in das Kloster aufgenommen, und ist seither dort geblieben. Ein Bußgelübde ist der Vorwand, unter dem man den Streit zwischen ihr und ihrem Vater verbirgt.«

»Wie lange mag es sein,« sagte Arthur, »daß solches geschehen ist?«

»Es ist erst drei Tage, seit die Königin Margarethe Aix in der Weise verließ, die ich Euch beschrieben. – Aber wir sind so weit auf den Berg heraufgekommen, als man gewöhnlich reitet. Seht, dort erhebt sich das Kloster zwischen zwei hohen Felsen, welche die Spitze des Berges Sainte Victoire bilden. Es ist nicht mehr ebener Boden vorhanden, als der, welchen die Kluft darbietet, in welche das Kloster der heiligen Maria vom Siege wie in eine Nische versteckt ist. Der Zugang dazu wird durch die gefährlichsten Abgründe vertheidigt. Um den Berg zu ersteigen, müßt Ihr diesen schmalen Pfad einschlagen, welcher sich durch die Felsen hindurchwindet, und zuletzt zu dem Gipfel des Berges und dem Thore des Klosters führt.«

»Und was wird aus Euch und Euren Pferden?« fragte Arthur.

»Wir bleiben,« antwortete Thiebold, »in dem Spital, das die guten Väter zur Bequemlichkeit der Pilger am Fuß des Berges unterhalten, denn ich versichere Euch, das Heiligthum wird von Vielen besucht, die aus der Ferne herkommen, und Pferde und Leute mitbringen. – Sorgt nicht für mich, – ich werde noch vor Euch unter Dach und Fach sein; aber da zeigen sich dort im Westen einige drohende Wolken, und Euer Ehren könnten von ihnen Ungelegenheiten bekommen, wenn Ihr nicht bei Zeiten das Kloster erreicht. Ich gebe Euch eine Stunde Zeit, den Weg zurückzulegen, und will Euch für so flink erklären, als einen Gemsenjäger, wenn Ihr innerhalb dieser Zeit hinaufkommt.«

Arthur sah sich um, und entdeckte wirklich, daß sich am entfernten Abendhimmel Wolken zusammengezogen hatten, und daß sie das Wetter zu ändern drohten, das bisher glänzend hell und so ruhig gewesen war, daß man ein Blatt hätte fallen hören können. Er wandte sich also dem steilen Felsenpfade zu, der den Berg hinanführte, indem er bald fast senkrechte Felsen gerade hinaufkletterte, bald ihre Spitzen dadurch gewann, daß er sie umging. Der Weg wand sich durch Dickichte von wildem Buchs und anderes eben so niedriges Gesträuch, welches den Bergziegen einiges Futter gewährte, aber keine geringe Belästigung war für den Reisenden, der sich durch dasselbe hindurchdrängen mußte. Derartige Hemmnisse waren so häufig, daß die Stunde, welche Thiebold eingeräumt, völlig abgelaufen war, ehe er auf den Gipfel des Berges Sainte Victoire und vor dem merkwürdigen Kloster gleichen Namens stand.

Wir haben schon gesagt, daß der Kamm des Berges blos aus einem einzigen nackten und massiven Felsen bestand, und durch eine Kluft oder Oeffnung in zwei Spitzen getheilt wurde, zwischen welchen das Klostergebäude allen freien Raum bedeckte. Die Vorderseite des letzteren war von der frühesten düstern Bauart der alten Gothen oder Sachsen, wie man sie genannt hat. Insofern stand sie im Einklang mit dem wilden Aeußern der nackten Felsen, von denen der Bau einen Theil auszumachen schien, und die es vollständig umgaben bis auf einen kleinen, offenen Platz mit mehr ebenem Boden. Auf diesen hatten die guten Väter mit vieler Mühe Erde von verschiedenen Stellen zusammengetragen, wo sie solche in geringer Menge antrafen, und auf diese Art war es ihnen gelungen, dem Kloster die Bequemlichkeit eines Gartens zu verschaffen.

Eine Glocke brachte einen Laienbruder herbei, der den Pförtner dieses seltsam gelegenen Klosters machte. Arthur kündigte sich ihm als einen englischen Kaufmann, Namens Philipson, an, welcher der Königin Margarethe seine Achtung bezeigen wolle. Der Pförtner wies den Fremden mit großer Ehrfurcht in das Kloster, und führte ihn in ein Sprachzimmer, welches gegen Aix hin ging, und eine prächtige, ausgedehnte Fernsicht über die südlichen und westlichen Theile der Provence beherrschte. Es war dieselbe Richtung, in welcher Arthur von Aix aus sich dem Berg genähert hatte; aber der gewundene Pfad, auf dem er heraufgekommen, hatte ihn ganz um den Berg herumgeführt. Die westliche Seite des Klosters, auf welche sich die Fenster des Sprachzimmers öffneten, bot die erhabene Aussicht, deren wir erwähnt. Eine Art von Söller verband die zwei Zwillingsfelsen, die hier nicht über zwölf bis fünfzehn Fuß aus einander standen, und schien ausdrücklich angebracht, damit man sich von hier aus an der Aussicht erlaben könnte. Als aber Arthur durch eines der Fenster des Sprachzimmers auf die Zinnen des Balkons trat, wurde er gewahr, daß die Mauer, auf welcher die Brustwehr ruhte, am Rande des Abgrundes hinlief, und daß dieser auf einmal sich wenigstens fünfhundert Fuß unter die Grundlagen des Klosters hinabsenkte. Arthur fand sich mit Schrecken und Ueberraschung an dieser schwindligen Tiefe, und wandte die Augen von dem Schlund unter ihm ab, um die freie Landschaft zu bewundern, die jetzt von der Abendsonne zum Theil beleuchtet wurde. Die letzten Strahlen des Tages warfen einen lebhaften, röthlichen Glanz auf eine unendliche Mannigfaltigkeit von Bergen und Thälern, von Blachfeld und bebautem Boden mit Städten, Kirchen und Burgen. Einige von diesen erhoben sich aus Bäumen, während andere auf Felsenhöhen gebaut schienen. Wieder andere lagen an Flüssen oder Seen, wohin die Hitze und Trockenheit des Klima's die Menschen natürlicherweise führten.

Der Rest der Landschaft bot ähnliche Gegenstände, wenn das Wetter hell war; aber jetzt machte sie der dichte Schatten der herankommenden Wolken undeutlich oder verwischte sie völlig. Das Gewölke dehnte sich nach und nach über den größten Theil des Horizontes hin, und drohte die Sonne völlig zu verdunkeln, obgleich die Königin des Himmels noch für Behauptung ihres Einflusses kämpfte, und wie ein sterbender Held gerade im Augenblicke des Unterliegens sich am schönsten ausnahm. Schauervolle Töne, wie Stöhnen und Heulen, brachte der Wind in den zahlreichen Höhlen des Felsgebirges hervor. Sie vermehrten die Schrecknisse des Auftritts, und schienen die Wuth eines fernen Sturmes anzukündigen, obgleich die Luft im Allgemeinen ungewöhnlich ruhig und bewegungslos war. Beim Hinblick auf dieses außerordentliche Schauspiel gab Arthur den Mönchen völlig recht, welche sich diese wilde und sonderbare Lage ausgewählt hatten. Sie konnten von da aus die Natur in ihren erhabensten und furchtbarsten Kraftäußerungen beobachten, und die Nichtigkeit des Menschen mit ihren ehrfurchtgebietenden Zuckungen vergleichen.

Arthur war so ergriffen von dem Anblick, der vor ihm lag, daß er im Ausschauen von dem Söller beinahe das wichtige Geschäft vergessen hätte, welches ihn hergeführt. Es trat ihm aber augenblicklich wieder in's Gedächtniß zurück, als er sich vor Margarethe von Anjou fand, die ihn in dem Empfangszimmer nicht gesehen hatte, und auf den Balkon getreten war, um schneller mit ihm zusammenzutreffen.

Die Königin war schwarz gekleidet, und trug keinen Schmuck, als einen zollbreiten Goldreif, der ihre langen, schwarzen Flechten zurückhielt. Die zunehmenden Jahre und das Unglück hatten die Farbe der Haare zum Theil geändert. An dem Reif steckte eine schwarze Feder mit einer rothen Rose, der letzten des Jahres, welche der gute Vater, der den Garten besorgte, ihr am Morgen als das Wahrzeichen ihres Hauses überreicht hatte. Sorge, Anstrengung und Kummer schienen auf ihrer Stirne und in ihren Zügen den Sitz aufgeschlagen zu haben. Einem andern Boten würde sie aller Wahrscheinlichkeit nach einen scharfen Verweis gegeben haben, wenn er nicht mehr Eifer gezeigt hätte, sie bei ihrem Eintritt zu empfangen; aber Arthurs Alter und Aeußeres entsprachen dem ihres geliebten und verlorenen Sohnes. Er war das Kind einer Dame, welcher Margarethe mit fast schwesterlicher Neigung zugethan gewesen war, und die Anwesenheit Arthurs erregte in der entthronten Königin dieselben Gefühle mütterlicher Zärtlichkeit, welche in ihr beim ersten Zusammentreffen im Straßburger Münster erwacht waren. Sie hob ihn auf, als er sich ihr zu Füßen warf, sie sprach außerordentlich gütig mit ihm, und ermuthigte ihn, sich weitläufig über die Einzelnheiten der Botschaft seines Vaters auszulassen. Sie forderte ihn auf, ihr auch andere Neuigkeiten mitzutheilen, mit denen er während seines kurzen Aufenthalts in Dijon bekannt geworden wäre.

Sie fragte, auf welcher Straße Karl seine Armee in Bewegung gesetzt habe.

»So viel ich von seinem Geschützmeister erfahren,« sagte Arthur, »gegen den Neufchateller See hin, von wo aus er den ersten Angriff auf die Schweizer zu machen beabsichtigt.«

»Der eigensinnige Narr!« rief die Königin Margarethe, – »er gleicht einem armen Mondsüchtigen, der auf den Gipfel des Berges hinaufläuft, um dem Regen auf halbem Wege entgegen zu gehen. – Gibt mir dein Vater,« fuhr Margarethe fort, »also den Rath, die letzten Ueberreste der ausgedehnten Ländereien, die einst das Gebiet unseres königlichen Hauses ausgemacht, aufzugeben und, was uns noch von unserem väterlichen Erbe übrig geblieben ist, für ein paar tausend Kronen und den ärmlichen Beistand einiger hundert Lanzen an unseren stolzen und selbstsüchtigen Vetter von Burgund zu überlassen, der seine Ansprüche auf Alles ausdehnt, was wir haben, und dagegen so wenig Hülfe leistet oder blos verspricht?«

»Ich würde mich der Aufträge meines Vaters schlecht entledigt haben,« sagte Arthur, »wenn ich Eure Hoheit auf den Glauben gebracht hätte, er empfehle ein so großes Opfer. Des Herzogs gierige Ländersucht geht ihm nahe, er glaubt indessen, die Provence müsse bei König René's Tode, oder noch früher, entweder dem Herzog Karl oder Ludwig von Frankreich zufallen, welchen Widerstand auch Eure Hoheit einer solchen Verfügung entgegensetzen möge; und es kann sein, daß mein Vater, als Ritter und Soldat, viel davon erwartet, wenn er Mittel erhält, um einen neuen Versuch auf Britannien zu machen. Aber die Entscheidung muß er Eurer Hoheit überlassen.«

»Junger Mann,« sagte die Königin, »die Erwägung einer so dunkeln Frage nimmt mir fast den Verstand.«

Bei diesen Worten sank sie, als bedürfte sie der Ruhe, auf einen Steinsitz nieder, der gerade am Rande des Balkons angebracht war. Sie achtete nicht auf den Sturm, der sich jetzt in furchtbaren Windstößen zu erheben begann. Der Zug derselben wurde gehemmt und verändert durch die Felsen, um welche sie herheulten, und es sah wahrhaftig aus, als ob Boreas und Eurus und Caurus die Winde aus allen Himmelsgegenden losließen, und bei dem Kloster Unserer lieben Frau vom Siege mit einander um die Oberherrschaft kämpften. In diesem Getöse, unter Wellen von Nebel, welche die Tiefe des Abgrunds verbargen, und Massen von Wolken, die furchtbar über ihren Häuptern rollten, glich das Prasseln des herabstürzenden Regens eher einem Wasserfall als dem Rauschen eines Regengusses. Der Sitz, auf welchen sich Margarethe niedergelassen, war zwar größtentheils geschützt vor dem Unwetter, aber die Windwirbel, die bald in dieser, bald in jener Richtung daherfuhren, rissen oft ihr aufgelöstes Haar in die Höhe. Wir können den Anblick ihrer edeln und schönen, aber geisterhaften und verstörten Züge, wie sie von ängstlicher Unschlüssigkeit und streitenden Gedanken bewegt wurden, nur denen unserer Leser beschreiben, die Gelegenheit gehabt haben, unsere unnachahmliche Siddons in einer ähnlichen Rolle zu sehen. Arthur gerieth in Angst und Unruhe, und konnte Ihre Gnaden blos bitten, sich vor der Wuth des Sturmes in das Innere des Klosters zurückzuziehen.

»Nein,« erwiderte sie mit Festigkeit; »Dächer und Wände haben Ohren, und Mönche sind darum nicht minder neugierig, zu erfahren, was jenseits ihrer Zellen geschieht, weil sie der Welt abgesagt haben. Hier mußt du hören, was ich zu sagen habe; als Soldat solltest du gegen das Blasen des Windes oder einen Regenschauer abgehärtet sein; und mir ist der Kampf der Elemente eine wahre Kleinigkeit, denn ich habe oft Rath gehalten beim Klingen der Trompeten und beim Geklirr der Waffen, die zum Gefecht bereit standen. Ich sage dir, junger Arthur Vere, wie ich deinem Vater sagen würde – meinem Sohn – wenn der Himmel einer verlassenen und elenden Frau einen solchen Segen gelassen hätte.« –

Sie hielt inne und fuhr dann fort:

»Ich sage dir, wie ich es meinem geliebten Eduard gesagt haben würde, daß Margarethe, deren Entschlüsse sonst fest und unbeweglich waren, wie die Felsen, auf denen wir sitzen, jetzt unschlüssig und schwankend ist, wie die Wolken, die um uns treiben. Ich habe deinem Vater, in der Freude über das Zusammentreffen mit einem Unterthan von so unschätzbarer Treue, von den Opfern gesprochen, die ich bringen wollte, um mir den Beistand Karls von Burgund für das ihm von dem ergebenen Oxford vorgeschlagene Unternehmen zu sichern. Aber seit ich ihn gesehen, habe ich Veranlassung gehabt, tiefer darüber nachzudenken. Ich bin zu meinem betagten Vater blos zurückgekehrt, um ihn zu beleidigen und, ich gestehe es mit Scham, den alten Mann vor seinem Volke zu beschimpfen. Meine Gemüthsart ist der seinen eben so entgegengesetzt, als der Sonnenschein, der vor Kurzem eine heitere und schöne Landschaft vergoldet hat, dem Gewitter, welches sie jetzt durchrast. Ich habe mit offenem Spott und mit Verachtung die Mittel zur Tröstung zurückgewiesen, die er aus mißverstandener Zuneigung ersonnen. Ueberdrüssig der eiteln Thorheiten, die er erdacht, um die Schwermuth einer entthronten Königin, einer verwittweten Gattin und, ach! einer kindlosen Mutter zu heilen, habe ich mich aus der lärmenden und faden Lustigkeit zurückgezogen, welche meinen Kummer auf's Grausamste erschwerte. René ist so gutmüthig, daß selbst mein unkindliches Benehmen meinen Einfluß auf ihn nicht vermindern wird, und wenn Euer Vater mir angekündigt hätte, daß der Herzog von Burgund, wie ein Ritter und Fürst, mit Herzlichkeit und aufrichtig in den Plan des getreuen Oxford eingegangen sei, so hätte ich es über mich vermocht, meinen Vater zur Abtretung des Landes zu vermögen, welches seine kalte und ehrsüchtige Staatsklugheit begehrt. Ich hätte es gethan, um mir den Beistand zu sichern, den er jetzt zu leisten zögert, bis er seinem hochmüthigen Sinn Genüge gethan und unnütze Streitigkeiten mit seinen harmlosen Nachbarn beigelegt hat. Seit ich hier bin, und Ruhe und Einsamkeit mir Zeit zum Nachdenken gegeben haben, sind mir die Beleidigungen eingefallen, die ich dem alten Mann angethan, und ich habe das Unrecht erwogen, das ich an ihm zu üben im Begriff stand. Mein Vater ist, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, auch der Vater seines Volks. Seine Unterthanen wohnen unter ihren Weinbergen und Feigenbäumen, in unrühmlicher Gemächlichkeit vielleicht, aber frei von Unterdrückung und Erpressungen, und ihr Glück ist das ihres guten Königs. Soll ich all' das ändern? – Soll ich dazu beitragen, daß die zufriedenen Menschen einem hitzigen, eigensinnigen und gewaltthätigen Fürsten in die Hände gerathen? Würde ich nicht das sanfte und sorglose Herz meines armen, alten Vaters brechen, wenn es mir gelänge, ihn zu diesem Schritt zu vermögen? – Das sind Fragen, die ich an mich selbst zu richten schaudere. Auf der anderen Seite soll ich die Plane, die kühnen Hoffnungen deines Vaters zerstören, die einzige Gelegenheit vorbeigehen lassen, die sich vielleicht je noch darbietet, um an den blutigen Verräthern von York Rache zu nehmen und das Haus Lancaster wiederherzustellen! – Arthur, das Schauspiel um uns her ist nicht so bewegt durch das schreckliche Unwetter und die treibenden Wolken, als meine Seele von Zweifel und Ungewißheit.«

»Ach,« erwiderte Arthur, »ich bin zu jung und unerfahren, um Euer Gnaden in einem so schwierigen Falle Rath zu ertheilen. Ich wollte, mein Vater wäre selber da.«

»Ich weiß, was er sagen würde,« versetzte die Königin; »aber da ich Alles weiß, so gebe ich die Hoffnung auf, bei menschlichen Rathgebern Hülfe zu finden – ich habe sie bei anderen gesucht, aber auch sie sind taub bei meinen Bitten. Ja, Arthur, Margarethens Mißgeschick hat sie abergläubisch gemacht. Wisse, daß unter diesen Felsen und unter den Grundmauern des Klosters eine Höhle sich hinzieht. Man gelangt in dieselbe durch einen geheimen und verborgenen Gang, etwas westlich von der Bergspitze, der durch den Berg hinläuft und südlich eine Oeffnung hat. Von dieser aus läßt sich, wie von diesem Söller, die Landschaft beschauen, die wir noch kürzlich erblickt, oder der Kampf der Winde und die verwirrten Wolken, die wir eben jetzt sehen. In der Mitte des höhlenartigen Durchgangs ist eine von der Natur gebildete Vertiefung, ein Loch von großer, aber unbekannter Tiefe. Einen Stein, den man hinunter fallen läßt, hört man bald an die, bald an jene Wand schlagen, bis das Geräusch seines Falls, das von Fels zu Fels sich donnerähnlich fortsetzt, in ein fernes und mattes Klingen sich verliert, schwächer als das der Glocke eines Widders in der Entfernung von einer Viertelstunde. Das gemeine Volk nennt den furchtbaren Schlund in seinem Kauderwälsch Lou Garagoule; und die Sagen des Klosters verbinden schauerliche und furchtbare Erinnerungen mit einem Ort, der schon an sich Grauen einflößt. Weissagungen, von unterirdischen Stimmen ausgesprochen, sollen in den heidnischen Zeiten aus der Tiefe emporgestiegen sein. Dem römischen Feldherrn, wird erzählt, sei in seltsamen und unordentlichen Reimen von da aus der Sieg versprochen worden, welcher dem Berge den Namen gegeben hat. Diese Göttersprüche, wird versichert, könne man noch jetzt einholen, wenn man zuvor wunderliche Gebräuche verrichtet habe, bei denen sich heidnische Zeremonien mit christlichen Andachtsübungen vermischen. Die Aebte von Sainte Victoire haben die Befragung von Lou Garagoul und die Geister, welche hier hausen, für verdammlich erklärt. Da aber die Sünde durch Geschenke an die Kirche, durch Messen und Büßungen gut gemacht werden kann, so wird die Thüre von den gefälligen Vätern denen manchmal geöffnet, welche verwegene Neugier verleitet, trotz aller Gefahren und mit allen möglichen Mitteln die Zukunft zu erforschen. Arthur, ich habe den Versuch gemacht, und bin eben jetzt aus der Höhle zurückgekehrt. Sechs Stunden habe ich, dem herkömmlichen Brauche gemäß, am Rande des Schlundes zugebracht, und es ist dieß ein so schauerlicher Ort, daß nach den Schrecknissen desselben selbst dieses Gewitter erquickend ist.«

Die Königin hielt inne, und Arthur war um so mehr betroffen über die grauenhafte Erzählung, als sie ihn an sein Gefängniß zu La Ferrette erinnerte. Aengstlich fragte er, ob sie auf ihre Erkundigungen eine Antwort erhalten habe. »Nein,« entgegnete die unglückliche Fürstin. »Die Geister von Garagoule, wenn es deren gibt, sind taub gegen das Flehen einer bedauernswerthen und elenden Frau, wie ich. Weder Freunde noch Teufel wollen mir Rath oder Beistand gewähren. Die Lage meines Vaters hält mich ab, sogleich einen festen Entschluß zu fassen. Wären meine eigenen Ansprüche auf dieses pfeifende, elende Volk von Troubadours allein im Spiel, so konnte ich für das Glück, meinen Fuß noch einmal in das lustige England zu setzen, denselben und der ärmlichen Krone von Provence eben so leicht und bereitwillig entsagen, als ich dem Sturm dieses leere Sinnbild des königlichen Rangs überlasse, den ich verloren.«

Der Wind hatte die schwarze Feder und die Rose von dem Reif losgemacht, an dem sie befestigt gewesen waren. Jetzt und bei den letzten Worten riß Margarethe dieselben aus ihrem Haar und schleuderte sie mit wilden Geberden von den Zinnen. Der Wirbel der fliegenden Wolken erfaßte sie alsbald und entführte die Feder in die Weite, so daß ihr das Auge nicht zu folgen vermochte. Arthur suchte unwillkürlich den Weg zu erspähen, den sie einschlug, da ergriff ein entgegengesetzter Windstoß die rothe Rose und warf sie zurück auf seine Brust, so daß es ihm leicht war, sie zu ergreifen und fest zu halten.

»Freude, Freude und gutes Glück, königliche Herrin!« rief er, und überreichte ihr die bedeutsame Blume wieder. »Der Sturm bringt das Zeichen des Hauses Lancaster seiner Eigenthümerin zurück.«

»Ich nehme die Deutung an,« sagte Margarethe; »aber das betrifft dich, edler Jüngling, und nicht mich. Die Feder, welche in die Oede und das Verderben weggetragen wurde, ist Margarethens Sinnbild. Meine Augen werden nimmer die Wiedereinsetzung der Linie Lancaster schauen. Aber du wirst leben und sie sehen und sie vollenden helfen, und unsere rothe Rose noch tiefer mit dem Blut der Tyrannen und Verräther färben. Meine Gedanken schwanken so seltsam, daß eine Feder oder eine Blume die Wage nach der einen oder andern Seite wenden kann. Aber mir schwindelt noch und mein Herz ist krank. – Morgen sollst du eine andere Margarethe sehen, und bis dahin lebe wohl!«

Es war Zeit, wegzugehen, denn das Unwetter begann stärkere Regenschauer herabzusenden. Als sie wieder in das Sprechzimmer zurückgekehrt waren, klatschte die Königin in die Hände, und zwei weibliche Dienerinnen kamen herbei.

»Saget dem Vater Abt,« redete sie dieselben an, »es sei unser Wunsch, daß dem jungen Herrn hier so viel Gastfreundschaft zu Theil werde, als sich für einen unserer geschätzten Freunde schickt. Bis morgen, junger Herr, lebt wohl!«

Ihr Gesicht verrieth nichts von der letzten Erregung ihrer Seele, als sie mit stolzer Höflichkeit, wie sie ihr angestanden hätte, da sie noch die Hallen von Windsor schmückte, die Hand ausstreckte, welche Arthur ehrerbietig küßte. Nachdem sie das Sprachzimmer verlassen, trat der Abt herein und bewies durch seine Sorge für Arthurs Bewirthung und Bequemlichkeit, wie ängstlich er den Wünschen der Königin Margarethe nachzukommen strebte.



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