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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Geschäfte, die um Mitternacht im Gang sind
(Wie man's von Geistern sagt), sind stets von mehr
Verwickelter Beschaffenheit, all solche,
Die nur am Tage abgemacht sein wollen.

Heinrich VIII.

Die kleine Gesellschaft sah nun der Ankunft des Vogts muthig entgegen. Arthur fühlte sich durch die Festigkeit geschmeichelt und gehoben, die Anna bewiesen, als die Ankunft dieses Mannes gemeldet wurde, und überlegte in der Eile bei sich die Rolle, welche er bei dem herannahenden Auftritt spielen sollte. Klüglich beschloß er, keinen thätigen Antheil daran zu nehmen, bis er aus dem Betragen Anna's von Geierstein ersähe, daß ihr ein solcher von Nutzen oder angenehm wäre. Er nahm also seinen Platz, in einiger Entfernung von ihr, an dem Tisch wieder ein, auf welchem kürzlich ihr Nachtessen aufgetragen worden war. Hier blieb er, entschlossen, so zu handeln, wie es ihm das Betragen Anna's am passendsten und klügsten erscheinen ließe. – Zugleich suchte er die lebhafteste Unruhe, die ihn aufregte, unter dem Anschein der ehrerbietigen Ruhe zu verbergen, welche ein Mann von niederem Stande annimmt, wenn er vor einen Höheren tritt. Anna ihrerseits schien sich auf eine Zusammenkunft vorzubereiten. Eine Miene voll bewußter Würde folgte der ungewöhnlichen Erregung, die sie erst kürzlich verrathen hatte. Sie beschäftigte sich mit einer weiblichen Arbeit, und schien dem Besuch, welcher ihrer Dienerin so viel Bangigkeit verursacht, mit Ruhe entgegenzusehen.

Jetzt vernahm man auf der Treppe einen eiligen und ungleichen Schritt, wie von Einem, der eben so bestürzt als eilig ist; die Thür flog auf und Eitel Schreckenwald trat herein.

Dieser Mann, mit dem der Leser durch die Erzählung bereits einigermaßen bekannt ist, welche der Landammann dem alten Philipson von ihm gemacht, war groß, gut gebaut, und hatte ein soldatisches Aussehen. Sein Anzug glich dem der Leute von Stand, wie man ihn damals in Deutschland trug, hatte aber mehr Farben und Verzierungen, mehr Schlitzen und Zacken, als die Kleider, die man in England und Frankreich zu sehen bekam. Die nie fehlende Habichtsfeder schwankte von seinem Barett, und war mit einem Medaillon festgemacht, welches als Schnalle diente. Sein Wamms war von Büffelleder des besseren Schutzes wegen, aber nach dem Schneiderausdruck mit reichen Schnüren an jeder Naht besetzt. Auf der Brust hing ihm eine goldene Kette, das Zeichen seines Rangs im Hause des Grafen. Er kam hastig, mit unzufriedener und geschäftiger Miene herein, und sagte ziemlich grob:

»Was ist das, Fräulein? Was soll das heißen? Fremde im Schloß zu dieser Stunde der Nacht?«

Anna von Geierstein kannte, obgleich sie lange aus ihrem Geburtslande entfernt gewesen, die Gewohnheiten und Bräuche desselben sehr wohl. Sie wußte, mit welchem Stolz die Adeligen ihr Ansehen allen von ihnen Abhängigen fühlbar machten.

»Seid Ihr ein Lehensmann von Arnheim, Eitel Schreckenwald?« sagte sie, »und wagt Ihr es, mit dem Freifräulein von Arnheim in ihrem eigenen Schlosse mit erhobener Stimme, unverschämtem Blicke und bedecktem Haupte zu sprechen? Denkt an das, was Ihr seid; und wenn Ihr mich um Verzeihung gebeten habt für Eure Frechheit, so werde ich anhören können, was Ihr mir zu sagen habt, vorausgesetzt, daß Ihr Euch so ausdrücket, wie es Eurer Stellung zu mir zukommt.«

Schreckenwald fuhr wider seinen Willen an's Barett und entblößte die hochmüthige Stirn.

»Edles Fräulein,« sagte er mit etwas sanfterem Tone, »entschuldigt mich, wenn meine Eile mich hat barsch reden lassen, aber der Fall ist dringend. Die Söldner des Rheingrafen haben sich empört, die Banner ihres Herrn zerrissen und eine unabhängige Fahne aufgepflanzt, die sie das Fähnlein des heiligen Nikolaus nennen. Sie erklären, daß sie mit Gott Frieden halten und mit der ganzen Welt Krieg führen wollen. Das Schloß kann ihnen nicht entgehen, wenn sie bedenken, das Erste, was sie zu thun haben, müsse die Eroberung eines festen Platzes sein, um sich darin zu halten. Ihr müßt also mit Tagesanbruch von hier fort. In diesem Augenblick sind sie beschäftigt, den Bauern den Wein wegzutrinken, aber wenn sie am Morgen aufbrechen, so werden sie ohne Frage hierherziehen, und Ihr könnt Leuten in die Hände fallen, welche die Schrecknisse des Arnheimer Schlosses für Erdichtungen aus einem Feenmärchen halten, und zu lachen anfangen, wenn seine Gebieterin auf Ehrenbezeigung und Achtung Ansprüche erhebt.«

»Ist kein Widerstand möglich? Das Schloß ist stark,« entgegnete das Fräulein, »und ich habe nicht Lust, das Haus meiner Väter zu verlassen, ohne Etwas für unsere Vertheidigung gethan zu haben.«

»Fünfhundert Mann,« versetzte Schreckenwald, »könnten die Gebäude und Thürme von Arnheim besetzen. Mit einer geringeren Anzahl wäre es Unsinn, so ausgedehnte Mauern halten zu wollen, und ich weiß kaum, wie ich zwanzig Söldner zusammenbringen sollte. – Und jetzt, da Ihr die ganze Geschichte wißt, erlaubt mir die Bitte, diesen Fremden zu verabschieden. Er ist zu jung, wie mich dünkt, um sich in der Wohnung einer jungen Dame aufzuhalten, und ich will ihm den nächsten Weg aus dem Schloß zeigen; denn in der Noth, in der wir eben sind, müssen wir uns begnügen, bloß an unsere eigene Sicherheit zu denken.«

»Und wohin gedenkt Ihr zu gehen?« fragte die Baronesse, die immer gegen Eitel Schreckenwald die Miene unumschränkter Gewalt beibehielt. Er gab derselben auch nach; aber mit Zeichen von Ungeduld, wie ein feuriges Pferd unter der Hand eines geübten Reiters.

»Nach Straßburg schlage ich vor, zu gehen, d. h. wenn es Euch recht ist, – und zwar unter der Bedeckung, die ich von jetzt an bis zu Tagesanbruch zusammenbringen kann. Ich hoffe, wir können entwischen, ohne von den Meuterern bemerkt zu werden. Und wenn wir auf eine Abtheilung derselben stoßen, so glaube ich, es werde uns nicht schwer fallen, den Weg zu erzwingen.«

»Und warum wählt Ihr vorzugsweise Straßburg zum Zufluchtsort?«

»Weil ich denke, wir werden dort Euer Gnaden Vater, den edeln Grafen Albert von Geierstein, finden.«

»Das ist gut,« sagte das Fräulein. – »Auch Ihr, Herr Philipson, habt, mein' ich, davon gesprochen, Ihr wollet Euch Straßburg zuwenden. Wenn es Euch recht ist, so könntet Ihr den Schutz meiner Bedeckung bis in diese Stadt benutzen, wo Ihr Euren Vater zu treffen erwartet.«

Man wird wohl glauben, daß Arthur herzlich gerne in einen Vorschlag willigte, der ihr Zusammenbleiben verlängern mußte, und ihm, wie ihm seine lebhafte Einbildungskraft zuflüsterte, auf einer mit Gefahren besäeten Straße Gelegenheit zu einem wichtigen Dienst verschaffen konnte.

Eitel Schreckenwald wollte Vorstellungen machen.

»Fräulein! – Fräulein!« – sagte er mit einigen Zeichen der Ungeduld.

»Gönnt Euch nur Athem und nehmt Euch Zeit, Schreckenwald,« sagte Anna, »dann werdet Ihr Euch eher deutlich und mit geziemender Achtung ausdrücken können.«

Der ungeduldige Lehensmann murmelte einen Fluch zwischen den Zähnen, und gab mit erzwungener Höflichkeit zur Antwort:

»Erlaubt mir, Euch darauf aufmerksam zu machen, wie unsere Lage verlangt, daß wir nur an Euch allein zu denken haben. Wir werden unser nicht zu Viele zur Vertheidigung sein, und ich kann keinem Fremden erlauben, mit uns zu reisen.«

»Wenn,« sagte Arthur, »ich glaubte, daß ich dem Rückzug dieser Dame hinderlich oder schädlich wäre, so würde nichts auf der Welt, Herr Stallmeister, mich zur Annahme ihres Anerbietens vermögen. Aber ich bin weder ein Kind noch ein Weib – ich bin ein ausgewachsener Mann, und bereit, bei der Vertheidigung Eures Fräuleins so gute Dienste zu leisten, als die Mannheit vermag.«

»Wenn wir auch nicht an Eurer Tapferkeit und Geschicklichkeit zweifeln, junger Herr,« entgegnete Schreckenwald, »wer soll denn für Eure Treue gutstehen?«

»An jedem anderen Orte,« rief Arthur, »wäre es gefährlich, sie in Zweifel zu ziehen!«

Aber Anna trat zwischen Beide. »Da wir so früh abreisen müssen,« sagte sie, »so ist es Zeit, in's Bett zu gehen. Schreckenwald, ich verlasse mich darauf, daß Ihr sorgfältige Wache haltet, – Ihr habt wenigstens dazu Leute genug. – Und höret mich wohl an. Es ist mein Wunsch und Wille, daß dieser Fremde heute hier übernachtet, und daß er morgen mit uns reist. Dafür übernehme ich die Verantwortlichkeit bei meinem Vater, und Eure Aufgabe ist blos, meinem Befehl zu gehorchen. Ich habe Gelegenheit gehabt, des jungen Mannes Vater und ihn selbst kennen zu lernen. Sie sind alte Gäste meines Oheims, des Landammanns. Auf der Reise werdet Ihr den Jüngling Euch zur Seite behalten, und so höflich gegen ihn sein, als es Euer rohes Wesen erlaubt.«

Eitel Schreckenwald gab seine Einwilligung mit einem erbitterten Blick, den wir umsonst zu beschreiben versuchen würden. Er drückte Trotz, Verdruß, gedemüthigten Stolz und widerstrebende Unterwürfigkeit aus. Er gehorchte indessen und führte Arthur in ein anständiges Gemach mit einem Bette, welches die Anstrengung und Aufregung des vergangenen Tages sehr annehmbar machten.

Trotz der Ungeduld, mit welcher er den Anbruch des Tages erwartete, versenkte ihn die Müdigkeit in tiefen Schlaf, bis sich der Osten röthete und Schreckenwald ihm zuschrie: »Auf, Herr Engländer, wenn Ihr die Dienste leisten wollt, deren Ihr Euch gerühmt. Wir sollten schon im Sattel sein und werden nicht auf die Faulen warten.«

In einem Augenblick stand Arthur auf dem Fußboden und zog sich an; er vergaß sein Panzerhemd nicht, und eben so wenig die nöthigen Waffen, um eine thätige Rolle bei der Bedeckung zu spielen. Er eilte dann hinaus, den Stall zu suchen und sein Pferd in Bereitschaft zu halten. Zu diesem Ende durchschritt er die Gänge im Erdgeschoß des Gebäudes, um sich in den Hof zu begeben, da flüsterte ihm die Stimme Veilchens leise zu: »Hierher, Herr Philipson, ich habe mit Euch zu sprechen.«

Das Schweizermädchen machte ihm zugleich ein Zeichen, in ein Zimmerchen zu treten, und hier fand er sich allein mit ihr.

»Waret Ihr nicht überrascht,« sagte sie, »zu sehen, wie meine Gebieterin diesen Eitel Schreckenwald zum Gehorsam zu bringen versteht, während er allen anderen Leuten mit seinem wilden Aussehen und barschen Tone Schrecken einjagt? Aber es scheint, es sei ihr so natürlich, zu befehlen, daß sie statt eines Fräuleins ganz gut eine Kaiserin sein könnte. Es muß von der Geburt herkommen, denk' ich; denn gestern Abend habe ich es versucht, mich in die Brust zu werfen wie meine Gebieterin, und würdet Ihr es glauben, das Vieh von Schreckenwald drohte, mich zum Fenster hinaus zu werfen. Wenn ich aber je wieder zu Martin Sprenger komme, so will ich sehen, ob Stärke in einem Schweizerarm, und ob er im Stande ist, den Knüttel zu schwingen. Aber da steh' ich und plaudere, und mein Fräulein wünscht Euch für eine Minute zu sprechen, ehe wir aufsitzen.«

»Euer Fräulein?« sagte Arthur zitternd; »warum habt Ihr denn so viel Zeit verloren? Warum habt Ihr mir das nicht früher gesagt?«

»Weil ich Euch blos hier aufhalten sollte, bis sie käme, und – da ist sie.«

Anna von Geierstein trat ein, völlig zur Reise gerüstet. Hannchen, die immer bereit war, für Andere zu thun, was sie für sich gethan zu sehen gewünscht hätte, wollte eben das Zimmer verlassen, als ihre Gebieterin ihr bestimmt zu bleiben befahl. Sie hatte offenbar einen festen Entschluß in Bezug auf das gefaßt, was sie thun oder reden wollte.

»Ich bin überzeugt,« sagte sie, »Herr Arthur Philipson wird dem Gefühle der Gastfreundschaft, ich darf sagen der Freundschaft, die rechte Deutung geben, welches mich verhindert hat, zu dulden, daß man ihn aus dem Schlosse weggeschickt. Dasselbe hat mich auch bestimmt, ihm zu gestatten, daß er mich auf meiner etwas gefährlichen Reise nach Straßburg begleitet. Am Thore dieser Stadt werden wir uns trennen, ich, um mich mit meinem Vater zu vereinigen, Ihr, um Euch unter die Leitung des Eurigen zu stellen. Von diesem Augenblick an endet der Verkehr zwischen uns, und wir dürfen an einander nur wie an geschiedene Freunde denken.«

»Es gibt,« sagte Arthur mit Leidenschaft, »zarte Erinnerungen, die unserem Herzen theurer sind, als alles, was uns das Leben noch bieten kann!«

»Kein Wort in diesem Tone,« antwortete das Mädchen. »Alle Täuschung muß mit der Nacht aufhören, und mit dem Tage muß die Vernunft erwachen. Kein Wort mehr. – Redet mich nicht an auf der Straße; Ihr könntet mich dadurch Quälereien und beleidigendem Argwohn, Euch selbst Streitigkeiten und Gefahren aussetzen. – Lebet wohl, unsere Bedeckung ist bereit, zu Pferde zu steigen.«

Sie verließ das Zimmer, und ließ Arthur darin ganz verwirrt von Kummer und Betrübniß zurück. Die Geduld, selbst die Huld, mit welcher Anna von Geierstein in verwichener Nacht das Geständniß seiner Leidenschaft angehört, hatte ihn nicht auf die zurückhaltenden Ausdrücke vorbereitet, welche sie eben jetzt gegen ihn gebrauchte. Er wußte nicht, daß ein edles Herz, wenn Gefühl und Leidenschaft es einen Augenblick vom Pfade der Grundsätze und Pflicht abgebracht haben, bemüht ist, diesen Fehler dadurch wieder gut zu machen, daß es augenblicklich auf denselben zurückkehrt, und sich streng an die Linie hält, von welcher es einen Moment abgewichen ist. Er blickte traurig auf Hannchen, die vor Anna's Ankunft im Zimmer gewesen war, und sich die Freiheit nahm, nach ihrem Abgang noch eine Minute zu bleiben. Aber er fand keinen Trost in den Blicken der Vertrauten, die eben so verlegen war, als er selbst.

»Ich kann nicht begreifen, was ihr begegnet ist,« sagte Hannchen; »gegen mich ist sie gütig wie immer; aber gegen alle Anderen um sie her spielt sie das Fräulein und die Gräfin bis in die Fingerspitzen; und jetzt hat sie angefangen, ihren eigenen Gefühlen Gewalt anzuthun. Wenn das Größe ist, so hofft Anneli Veilchen beständig ein armes Bergmädchen zu bleiben; sie ist wenigstens ihre eigene Herrin, kann frei mit ihrem Schatz sprechen, wenn's ihr beliebt, und so lang Religion und Bescheidenheit nichts an dem Gespräch auszusetzen haben. O! ein Gänseblümchen, das ich zufrieden in meine Haare flechte, ist so viel werth als alle Opale Indiens, wenn die uns zwingen, uns und andere Leute zu quälen, oder uns verhindern, zu sagen, was wir denken, wenn uns das Herz auf der Zunge sitzt. Aber fürchtet nichts, Arthur; denn wenn sie grausam genug ist und daran denkt, Euch zu vergessen, so könnt Ihr Euch auf eine Freundin verlassen, die ihr solches unmöglich machen wird, so lange sie eine Zunge und Anna Ohren hat.«

Damit trippelte Hannchen davon, nachdem sie Philipson zuerst den Weg gezeigt, auf welchem er in den Hof kommen könnte, wo die Ställe waren. Hier fand er sein Roß gesattelt und gezäumt bei etwa zwanzig anderen. Zwölf davon trugen eine Schutzbedeckung von Eisen, eiserne Stirnbänder, Streitsättel u. dgl. Sie waren für eben so viele Reiter oder Reisige bestimmt, Lehensleute des Hauses Arnheim, welche es dem Vogt für diesen Dienst zusammenzubringen gelungen war. Zwei prächtig aufgezäumte Zelter waren für Anna von Geierstein und ihre Lieblingsdirne bestimmt; die anderen geringeren Pferde für die übrige männliche und weibliche Dienerschaft. Auf ein gegebenes Zeichen ergriffen die Reisigen ihre Lanzen und stellten sich zu ihren Rossen, bis die Baronesse mit ihren Dienerinnen aufgesessen war; dann schwangen auch sie sich in die Sättel, und fingen an, langsam und mit großer Vorsicht vorwärts zu gehen. Schreckenwald ritt voraus, und Arthur Philipson hielt sich ihm zur Seite. Anna und ihre Dienerin befanden sich im Mittelpunkt der Bedeckung; ihnen folgte der nicht wehrhafte Theil der Dienerschaft, und drei oder vier erfahrene Reisige zogen im Nachtrab. Sie hatten strengen Befehl, gegen einen Ueberfall auf der Hut zu sein.

Als man sich in Bewegung gesetzt hatte, war das Erste, was Arthur auffiel, daß die Hufe der Pferde nicht den scharfen und durchdringenden Ton von sich gaben, der durch das Zusammentreffen von Eisen und Stein sich erzeugt, und als das Morgenlicht heller ward, wurde er gewahr, daß man ihnen die Füße sorgfältig mit Wolle umwickelt hatte. Es war etwas Sonderbares, die kleine Truppe den Felsenpfad herunterkommen zu sehen, welcher vom Schloß in die Ebene führte, und doch nichts von dem Geräusch zu hören, welches wir als unzertrennlich von den Bewegungen der Pferde anzusehen gewöhnt sind. Der Mangel desselben schien dem Reiterzug ein seltsames und fast überirdisches Aussehen zu geben.

Auf diese Art legten sie den gewundenen Pfad vom Arnheimer Schloß in das dabei liegende Dorf zurück. Dieses lag, nach der Sitte der Zeiten des Lehenwesens, der Burg so nahe, daß seine Einwohner auf einen Ruf ihres Herrn augenblicklich zu seiner Vertheidigung herbeizueilen vermochten. In diesem Augenblick aber war es von ganz verschiedenen Einwohnern besetzt, nämlich von den aufgestandenen Söldnern des Rheingrafen. Als der Zug von Arnheim sich dem Dorfeingang näherte, gab Schreckenwald ein Zeichen, und seine Leute machten augenblicklich Halt. Dann ritt er selbst, von Arthur begleitet, vorwärts, um zu rekognosciren, und Beide rückten mit der größten Umsicht vor. Das tiefste Schweigen herrschte in den verödeten Straßen. Hier und da ließ sich ein Söldner sehen, der als Schildwache aufgestellt zu sein schien; Alle aber lagen in festem Schlaf.

»Die viehischen Meuterer!« sagte Schreckenwald; »sie halten sauber Wache, und ich wollte ihnen einen schönen Wecker abgeben, müßte ich nicht vor allem Anderen jene eigensinnige Dirne beschützen. – Halt du hier, Fremder, während ich zurückreite und sie herbeibringe – es ist keine Gefahr dabei.«

Schreckenwald verließ Arthur bei diesen Worten. Dieser hatte, allein in der Straße eines mit Banditen angefüllten Dorfes, obgleich sie für den Augenblick schliefen, keinen Grund, sich für vollkommen sicher zu halten. Einige Strophen eines Trinkliedes, die ein Betrunkener im Schlaf wiederholte, oder das Knurren eines Dorfhundes konnte für hundert wüste Gesellen ein Zeichen werden, sich mit einem Male um ihn zu erheben. Aber nach zwei oder drei Minuten traf der geräuschlose Zug, mit Eitel Schreckenwald an der Spitze, wieder mit ihm zusammen und folgte dem Führer mit der größten Behutsamkeit, damit kein Lärm entstände. Alles ging glücklich, bis sie an's andere Ende des Dorfes gelangten. Obgleich der Bärenhäuter, der hier auf dem Posten stand, eben so betrunken war, als seine dienstthuenden Kameraden, war doch ein großer Zottelhund, der neben ihm lag, wachsamer. Als die kleine Truppe herankam, stieß das Thier ein furchtbares Geschrei aus, mit dem man hätte die Siebenschläfer Die Anspielung auf die Siebenschläfer kommt in W. Scott häufig vor. Es ist das eine christliche Legende, die sich in dem wunderlichen Morgenlande zugetragen hat. Unter der Regierung des Decius flohen junge Leute aus Ephesus, um der Verfolgung zu entgehen, in eine Höhle, und schliefen darin verschiedene Jahre. Ein Hund war ihnen gefolgt und sagte zu ihnen, als sie ihn fortjagen wollten: »Ich habe Diejenigen gern, welche Gott lieb hat; schlafet, ich werde euch bewachen.« Der Hund ist jetzt mit Bileams Esel in Mahomeds Paradies. Der Uebers. erwecken können, und das wirklich seinen Herrn aus dem Schlaf aufstörte. Der Soldat ergriff seinen Karabiner und gab Feuer, ohne zu wissen auf was und warum. Die Kugel traf indessen Arthurs Pferd, und als das Thier zusammenstürzte, rannte die Schildwache vorwärts, um den Reiter zu tödten oder gefangen zu nehmen.

»Vorwärts, vorwärts, ihr Männer von Arnheim! sorgt für nichts als für des Fräuleins Rettung!« rief der Anführer der Schaar.

»Halt, sag' ich Euch, helft dem Fremden, bei Eurem Leben!« sagte Anna mit einer Stimme, die, obgleich immer sanft und mild, jetzt wie eine silberne Trompete erklang. »Ich werde nicht einen Schritt weiter gehen, bis er außer Gefahr ist.«

Schreckenwald hatte sein Pferd bereits zur Flucht angespornt; da er aber sah, daß Anna sich weigerte, ihm zu folgen, kehrte er um, ergriff ein vollständig aufgezäumtes und gesatteltes Pferd, welches neben ihm an einen Pfahl gebunden war, warf Arthur'n die Zügel desselben zu, drängte seinen eigenen Gaul zwischen den Engländer und den Soldaten hinein, und zwang diesen, seinen Gefangenen fahren zu lassen. In einem Augenblick war Arthur wieder beritten, ergriff eine Streitaxt, die am Sattelbogen seines neuen Rosses hing, und schlug die taumelnde Schildwache, da sie ihn abermals zu halten versuchte, zu Boden. Dann ritt die ganze Schaar im Galopp davon, denn der Lärm begann im Dorf allgemein zu werden. Man sah einige Söldner aus ihren Quartieren herauskommen, und Andere fingen an, sich zu Pferde zu setzen. Ehe Schreckenwald und seine Begleiter eine halbe Stunde geritten waren, hörten sie mehr als einmal den Ton der Hörner. Als sie auf die Spitze einer Anhöhe gelangten, welche die Aussicht über das Dorf beherrschte, machte ihr Führer, der sich bisher im Nachtrab gehalten hatte, Halt, um sich nach dem zurückgelassenen Feinde umzusehen. Alles war in Aufregung und Verwirrung auf der Straße, aber man schien nicht zur Verfolgung geneigt. Und so setzte Schreckenwald seinen Weg den Fluß entlang mit Lebhaftigkeit und Eile, aber zugleich mit so viel Vorsicht fort, daß nicht einmal das schlechteste seiner Pferde dienstuntüchtig wurde.

Nach mehr als zweistündigem Ritt hatte sich das Vertrauen des Anführers so gesteigert, daß er es wagte, hinter einem freundlichen Gehölz, welches seine Truppe verdeckte, Halt machen zu lassen. Hier nahmen Reiter und Pferde einige Erfrischungen zu sich; denn man hatte sich mit Futter und Lebensmitteln versehen. Eitel Schreckenwald hielt ein kurzes Gespräch mit dem Fräulein, und kam dann zu seinem Reisegefährten zurück. Er fuhr fort, ihn mit mürrischer Höflichkeit zu behandeln, und lud ihn ein, an seinem Essen Theil zu nehmen. Dieses unterschied sich zwar wenig von dem, was den andern Reisigen ausgetheilt wurde, ward aber mit besserem Weine gewürzt.

»Eure Gesundheit, Bruder,« sagte er; »wenn Ihr die Geschichte des heutigen Tages getreulich erzählt, so werdet Ihr einräumen, daß ich mich gegen Euch vor zwei Stunden als guter Kamerad erwiesen habe, da wir durch das Dorf Arnheim kamen.«

»Das werde ich nie in Abrede stellen, guter Herr,« erwiderte Philipson, »und ich sage Euch meinen Dank für Euren Beistand zur rechten Zeit; dabei ist's einerlei, ob Ihr ihn auf Befehl Eurer Gebieterin oder nach eigenem guten Willen geleistet.«

»Ho, ho! mein Freund!« rief Schreckenwald lachend; »Ihr seid ein Philosoph und könnt Folgerungen ziehen, während sich Euer Pferd auf Euch herumwälzt und ein Bärenhäuter Euch das Schwert an die Gurgel hält? – Nun, da Euer Witz so viel entdeckt hat, so liegt wenig daran, ob Ihr wißt oder nicht, daß ich mich nicht lange bedacht hätte, zwanzig solche bartlose Herren, wie Ihr, aufzuopfern, ehe das junge Fräulein von Arnheim der geringsten Gefahr ausgesetzt werden dürfte.«

»Dieser Gedanke ist so richtig, daß ich ihm beistimme,« versetzte Philipson, »ob er gleich weniger grob hätte ausgedrückt werden können.«

Bei dieser Erwiderung erhob der junge Mann, gereizt durch die Unverschämtheit im Betragen Schreckenwalds, die Stimme ein wenig. Dies entging der Beobachtung nicht, denn Anneli Veilchen stand im Augenblick vor ihnen und brachte den Befehl von ihrer Gebieterin, sie sollten leise sprechen oder lieber ganz still sein.

»Sagt Eurer Gebieterin, daß ich stumm bin,« antwortete Philipson.

»Unsere Gebieterin, das Freifräulein, sagt,« fuhr Hannchen mit einem Nachdruck auf den Titel fort, welchem sie einen talismanartigen Einfluß beizulegen anfing, – »das Freifräulein, sag' ich, behauptet, daß das Schweigen für unsere Sicherheit sehr wichtig ist; denn es wäre höchst gefährlich, auf diese kleine, flüchtige Truppe die Aufmerksamkeit von Reisenden zu ziehen, die während des nothwendigen Halts auf der Straße vorüberkommen können. Daher, meine Herren, befiehlt das Fräulein, daß ihr euern Zähnen so schnell als möglich Beschäftigung zu geben fortfahret, euch aber enthaltet, eure Zunge in Bewegung zu setzen, bis ihr in einer sicheren Lage seid.«

»Mein Fräulein ist klug,« erwiderte Eitel Schreckenwald, »und ihre Zofe ist witzig. Ich trinke, Jungfer Hannchen, in einem Becher Rüdesheimer auf die Fortdauer ihres Scharfsinns und Eurer liebenswürdigen Lebhaftigkeit. Wollt Ihr mir darauf in diesem edeln Naß Bescheid thun?«

»Weg, du deutscher Weinschlauch! – Weg, du ewiger Saufbruder! – Habt Ihr je von einem ordentlichen Mädchen gehört, das vor dem Mittagessen Wein trank?«

»So werdet Ihr auch seinen wunderbaren Einfluß nicht erfahren,« sagte der Deutsche; »geht und nähret Euer spöttisches Wesen mit saurem Most oder Essigmolken.«

Nachdem sich die Reisenden ein paar Augenblicke Zeit zur Erfrischung genommen, bestiegen sie wieder ihre Pferde, und zogen mit solcher Eile weiter, daß sie lange vor Mittag bei der stark befestigten Stadt Kehl anlangten, die Straßburg gegenüber am östlichen Ufer des Rheins liegt.

Die Alterthumsforscher mögen entscheiden, ob die Reisenden von Kehl nach Straßburg auf der berühmten Schiffbrücke kamen, welche gegenwärtig die Verbindung über den Fluß unterhält, oder ob sie den Fluß auf irgend eine andere Art überschritten. Genug, ihre Ueberfahrt ging glücklich von Statten, und sie landeten auf der anderen Seite. Sei es nun, daß das Fräulein fürchtete, Arthur möchte den Auftrag vergessen, den sie ihm gegeben und demzufolge sie sich hier trennen sollten, sei es, daß sie ihm im Augenblick des Scheidens noch einige Worte sagen zu können hoffte, – sie näherte sich, ehe sie wieder zu Pferde stieg, dem jungen Engländer, welcher nur zu gut errieth, war sie ihm noch sagen würde.

»Junger Fremder,« sprach sie, »ich muß jetzt Abschied von Euch nehmen. Erlaubt mir aber, Euch zuerst zu fragen, ob Ihr wißt, wo Ihr Euern Vater zu suchen habt?«

»In einer Herberge, ›zum fliegenden Hirsch‹ geschildert,« antwortete Arthur niedergeschlagen; »wo sie aber in der großen Stadt liegt, weiß ich nicht.«

»Kennt Ihr den Ort, Eitel Schreckenwald?«

»Ich, Fräulein? – Nein – ich weiß nichts von Straßburg und seinen Herbergen, und glaube auch, die meisten von unseren Leuten sind eben so unwissend darin, als ich.«

»Wenigstens sprecht Ihr eben so gut deutsch wie sie,« erwiderte die Freiin trocken, »und könnt leichter als ein Fremder Euch erkundigen. Geht, Herr, und vergeßt nicht, daß die Gefälligkeit gegen einen Fremden eine Vorschrift der Religion ist.«

Mit dem Achselzucken, welches das Mißfallen an einem Auftrag ausspricht, ging Eitel, einige Nachforschungen anzustellen, und so kurz auch seine Abwesenheit war, Anna ergriff die Gelegenheit, um Arthurn zuzuflüstern: – »Lebet wohl, – lebet wohl! Nehmt dieses Zeichen der Freundschaft an und traget es mir zu Liebe. Möget Ihr glücklich sein!«

Ihre zarten Finger ließen ein ganz kleines Päckchen in seine Hand gleiten. Er wandte sich, ihr zu danken, aber sie war schon ziemlich weit weg, und Schreckenwald, der statt ihrer an seine Seite getreten war, sagte mit seiner rauhen Stimme: »Kommt, mein Herr, ich habe den Platz herausgefunden, auf den Ihr bestellt seid, und es bleibt mir nur wenig Zeit, bei Euch den Ceremonienmeister zu machen.«

Er ritt hierauf Arthurn voraus, und dieser folgte ihm auf seinem Streitroß schweigend bis zu der Stelle, wo eine breite Straße sich mit derjenigen vereinigte oder kreuzte, welche sie von ihrem Landungsplatze hergeführt hatte.

»Dort baumelt der fliegende Hirsch,« sagte Eitel, und wies auf ein ungeheures Schild, das, an einem mächtigen Holzgestell befestigt, fast die ganze Breite der Straße einnahm. »Ich denke, Ihr werdet den Weg kaum verfehlen, mit einem solchen Wegweiser vor dem Gesicht.«

Bei diesen Worten wandte er sein Pferd, ohne weiteren Abschied zu nehmen, und ritt zu seiner Gebieterin und ihren Begleitern zurück.

Philipsons Augen hafteten einen Augenblick auf derselben Gruppe; der Gedanke an seinen Vater rief ihn zum Gefühl seiner Lage zurück; er spornte sein ermüdetes Pferd die Querstraße hinunter und erreichte bald das Gasthaus zum fliegenden Hirsch.



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