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25. Kapitel

Ave Maria! Von den Männern und Frauen, die bei dem ersten Heuschnitt auf den Wiesen beschäftigt waren, nahmen die einen die Hüte ab, die anderen falteten die Hände. Dann schulterten sie die Rechen und wanderten ihren Dörfern und Hütten zu, aus deren Schloten blaue Rauchwolken in die Luft sich kräuselten.

Über den Feldrain, der von Monthan nach dem Spitzhörndlbach führt, schritt einer, der des Friedensgrußes, der von St. Vigil herüberklang, nicht achtete. Er war mit Säbel und Stutzen bewaffnet und schaute mit finsterer Miene auf den Kirchturm von St. Vigil, der schlank und weiß zum Himmel deutete.

Es war Ambros. Ein paar Fleischwunden, auf die er in der Hitze des Gefechtes nicht geachtet, hatten ihn noch in Innsbruck zurückgehalten, nachdem die Landwehren heimgezogen waren. Er hatte mit dem Heldenmut eines Mannes gekämpft, der gegen den Tod völlig gleichgültig ist. Der Gedanke oder Wunsch, durch eine barmherzige Kugel von den Qualen befreit zu werden, hatte ihm völlig ferngelegen. Nein, er sehnte sich nicht nach dem Tode. Erfüllt von dem Gefühl, daß seine Reue nutzlos sei, hatte er nur danach getrachtet, der Schrecken und das Verderben des Feindes zu werden. Es gab kein Mittel, das Unheil, das er angerichtet hatte, wiedergutzumachen! Diese Überzeugung hatte sich, während seine Wunden ihn zur Untätigkeit verurteilten, immer tiefer in ihm festgesetzt, zugleich mit der Reue, die sich von dem Gedanken an die Treue, Opferfreudigkeit und Lieblichkeit derer, die er zugrunde gerichtet hatte, nährte. Die Erinnerung daran, von dem ersten aufkeimenden Glück bis zu dem Rausch an seinem Hochzeitstage, hatte auf dem ganzen Wege von St. Lorenzen her eine Leidensstation an die andere gereiht.

Das Herz lag ihm kalt und schwer in der Brust, als er den Dorfanger heraufkam und seinen Schritt nach der Pfarre vom St. Vigil lenkte; er wußte von Sampogna und Mutschleitner, daß sich Stasi dort bei seinem Bruder befand, und wollte dem Entsetzlichen sofort ins Auge blicken.

Da gewahrte er jenseit der niedrigen Kirchhofsmauer die große, hagere Gestalt seines Bruders. Er ging zu ihm. Hannes aber war nicht allein: Vor ihm auf dem Grabhügel ihrer Mutter saß Stasi. Seit sie wieder in St. Vigil war, pflegte sie stundenlang hier zu sitzen. Hannes war gekommen, um sie zu suchen, da sie sich zum Abendessen nicht in der Pfarre eingefunden hatte, und er redete ihr freundlich zu, mit ihm nach Hause zu gehen.

Sie erhob sich gerade, als Ambros um die Ecke der Kirche bog. Erschrocken machte Hannes ihm ein Zeichen, fernzubleiben. Ambros aber rief Stasi bei Namen und eilte auf sie zu. Sie wandte ihm ihr Gesicht zu; es war blühend wie in den Tagen des Glücks, und noch schwebte um ihre Lippen das stille, blöde Lächeln, das sich zu zeigen pflegte, wenn Hannes mit ihr sprach. Aber es schwand, und ihre sanftem braunen Augen wurden bei dem Anblick ihres Mannes starr und starrer.

»Stasi! Stasi!« rief er in den Tönen schmerzlichster Angst und wollte ihre Hände ergreifen; sie aber streckte die Hände abwehrend gegen ihn aus und wich mit den Anzeichen heilloser Furcht vor ihm zurück. Da rief er, der Winke des Bruders nicht achtend, verzweiflungsvoll: »Stasi, um aller Heiligen willen, erkennst du mich mit?«

Ein Zittern überflog Stasis Körper, und über ihre Lippen glitt es wie in tödlicher Angst: »Ja …, deine Augen …, du bist der Versucher!« Und mit einem Schrei floh sie, Schutz suchend, an die Brust des Pfarrers. In Hannes' Arme floh sie vor Ambros!

Mit dem dumpfen Aufächzen eines zu Tode Getroffenen brach Ambros bei dem Grabe in die Knie.

Hannes führte Stasi, die fortwährend wie ein Espenblatt zitterte, hinter der Kirche herum nach Hause, worauf er sofort wieder zu Ambros zurückeilte. Er fand ihn jedoch nicht mehr. In seinen Mienen spiegelte sich eine tiefe Bewegung. Seit er von den heimgekehrten Kämpfern erfahren, daß Ambros am Leben war, hatte er sich der Hoffnung hingegeben, daß sich bei dem Wiedererscheinen seines Bruders die Bande, die Stasis Geist gefangenhielten, lockern und lösen würden. Doktor Ostler selbst hatte auf eine solche Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit hingewiesen, und nun war Stasi mit Entsetzen vor Ambros zurückgewichen! Hannes nahm seinem Hut ab und wischte sich mit dem Tuche die Stirn, obgleich sie völlig trocken war.

Ambros hatte sich zu seinem Gehöft hinaufbegeben. Die Stube war leer. Als er über die Schwelle trat, gedachte er des Fluches der Witwe Larseit. Er war an ihm in Erfüllung gegangen! Er hängte seine Waffen an die Wand, schob sich einen Stuhl an dem Tisch und stützte den Kopf in die Hände.

David begoß unterdessen im dem Gärtchen die Blumen. Der Rosenstock war voller Knospen, deren grüne Hüllen schon hier und da die roten Blütenblätter zu sprengen begannen. David betrachtete sie voll Zärtlichkeit und setzte sich dann auf das Bänkchen.

Mona, die ihm noch immer die Wirtschaft führte und ihn vollkommen beherrschte, störte ihn aus seiner beschaulichen, hindämmernden Ruhe. Aufgeregt berichtete sie, daß der Ambros Falkner in der Stube sitze.

David betrachtete sie eine Weile mit seinen verschwommenen Augen und sagte: »Ja, ich weiß nit; es hat ja geheißen, daß er wiederkommen würd.«

»Und jetzt ist er da!« rief Mona. »Er hat gar nit aufgeschaut, wie ich in die Stub gekommen bin. Ihr müßt zu ihm gehn, Vater David. Er wird auch was essen wolln. Fragt ihn das.«

David erhob sich mit einem leisen Seufzer und ging, von dem halbwüchsigen Mädchen gefolgt, in die Stube. »Gelobt sei Jesus Christus!« sagte er.

Ambros hob den Kopf, und nachdem er David erkannt hatte, streckte er ihm die Hand hin und brummte: »Grüß Gott, Ohm.«

Dieser setzte sich ihm gegenüber und wiegte den Kopf stumm hin und her. Mona stieß ihn leise mit dem Ellbogen an, um ihn an den Auftrag zu erinnern, den sie ihm gegeben hatte.

David erinnerte sich und sagte: »Ja, ich weiß nit; du wirst was essen wohn?«

»Ja, ich hab Hunger«, murmelte Ambros zerstreut.

Mona trug die Reste des Abendessens auf. Sie hatte Furcht vor Ambros; aber sie konnte die Augen nicht von ihm wenden. Er sah so unheimlich und zugleich so unglücklich aus.

Ambros fing einen ihrer Blicke auf und fragte David, wer sie sei. »Das ist Schullehrers Mona«, versetzte dieser. Da wurde sie rot, lief aus der Stube und kam nicht wieder.

Ambros aß einige Bissen; dann schob er den Teller fort und stützte den Kopf auf den Arm.

»Ja, sie hat die arme Stasi in ihrer schweren Krankheit rechtschaffen gewartet«, unterbrach David nach einer langen, langen Weile das Schweigen. Er meinte Mona.

Nach einer weiteren Pause murmelte Ambros: »Ich hab sie gesehn, Ohm.« David ächzte.

Ambros strich sich einigemal über die Stirn und sagte nach einigen Sekunden: »Erzähl mir von ihrer Krankheit, Ohm!«

Es war mittlerweile ganz finster geworden. David ächzte abermals, schüttelte seinen großen Kopf und versuchte zu berichten.

Ambros unterbrach ihn mit keinem Wort und blieb auch stumm, nachdem David zuletzt den Schrecken geschildert, in den sich ihrer aller Freude über die glücklich überstandene Krisis verwandelt hatte, als Stasis Geistesstörung offenbar geworden war.

»Und seitdem sucht sie allerwärts ihr Kind und glaubt's nit, daß es bei Gott ist«, schloß er mit schwankender, kaum verständlicher Stimme.

Ambros hatte den Kopf in beide Hände gestützt, um zu verbergen, daß seine Augen naß waren. Nach einiger Zeit schlurfte David aus der Stube und begab sich zur Ruhe, ohne dem Heimgekehrten eine gute Nacht zu wünschen.

Beim Frühmahl am nächsten Morgen äußerte er: »Es ist mir lieb, daß du wieder da bist. Jetzt, wo die Bayern zum Land hinausgejagt sind, wird sich unser Kloster auch wieder auftun, und dort will ich meine letzten Tage in Frieden beschließen. Ach, was ist das für eine Welt!«

»Wir reden wohl ein andermal davon, wie's auf dem Hof werden soll«, erwiderte Ambros, der dem Frühstück mit gutem Appetit zusprach. Die Natur machte ihr Recht geltend. Auch gut geschlafen hatte er, obgleich er sich gefürchtet hatte, sich niederzulegen. Die körperliche Ermüdung hatte die Erinnerungen, vor denen ihm unter seinem Dache gegraut, nicht aufkommen lassen.

David ging nach dem Frühstück mit Mona auf die Halde, die sich hinter dem Gehöft zum Lärchenwalde emporhob, um dort mit dem Heuen zu beginnen. Ambros nahm die Felder und Wiesen im Augenschein. Er fand manches vernachlässigt und die Äcker schlecht bestellt. Es hätte viel zu tun gegeben, um die Wirtschaft wieder instand und in die Höhe zu bringen; aber es reizte Ambros nicht, Hand anzulegen. Sein Schaffen erschien ihm zwecklos. Er wollte nach Österreich gehen und Soldat werden.

Eben war er wieder nach Hause gekommen, als seine Schwester und hinter ihr Hannes in der Stube erschienen. Lisei umschlang mit überwallendem Gefühl seinen Hals; voll schwesterlicher Liebe blickte sie ihm im die Augen, und unter einem Lächeln begannen sich Perlen an ihre Wimpern zu hängen. Ambros drückte sie kräftig an sich und sagte aus dem Herzen heraus: »Grüß Gott, Schwester!« Dem Bruder reichte er stumm die Hand, und stumm drückte Hannes sie.

»Daß du wieder da bist, Brosi!« stammelte Lisei tiefbewegt. »Unser Bruder ist noch gestern abend zu mir gekommen, um es mir zu sagen. Jetzt mein ich, daß noch alles gut werden wird.«

»Wie kann's noch gut werden?« fragte Ambros düster. »Sie hat mich für dem leibhaftigen Bösen gehalten.«

»Darauf darfst du nix geben; das ist die Krankheit«, nahm Hannes das Wort. »Du bist zu plötzlich vor ihr erschienen. Hätten wir sie auf das Wiedersehen erst vorbereiten können, wär die Wirkung wohl eine andre gewesen. Sie ist noch immer aufgeregt und unruhig, und ich bitt dich daher, dich einstweilen nit vor ihr zu zeigen.«

»Du mußt noch ein wenig Geduld haben, armer Brosi, du«, sagte Lisei.

Ambros schüttelte dem Kopf. »Ihr meint's gut, und ich dank euch dafür«, antwortete er. »Und ich dank besonders dir, Lisei, deren schwesterliche Lieb ich immer so schlecht vergolten hab und die doch selbst so viel zu leiden hat!«

Hannes wendete sich nach dem Fenster und zog seine Dose hervor. Lisei aber hatte den Mut, zu erwidern: »Was redst du da von Leiden? Ich versteh's nit.«

»Ich soll wohl glauben, daß du mit dem Jerg glücklich bist?« fragte er. »Schau, es hat mich hart gedrückt, daß ich glaubt, ihn totgeschlagen zu haben. Aber ich wollt, ich hätt's getan! Dann hätt der Vater dich nit zwingen können, ihn zu heiraten.«

»Aber du irrst dich ganz und gar, Brosi; der Vater hat mich nit dazu gezwungen«, entgegnete Lisei, wobei sich ihr Gesicht lebhafter rötete. »Ich hab ihn aus freien Stücken genommen. Aber lassen wir das.«

»Freiwillig?« rief er. »Du den Jerg? Und der Wolf?«

Lisei hob verlegen bittend ihre Hände zu ihm auf, während ihre Wangen dunkelrot glühten.

Hannes kehrte sich ihnen wieder zu und sagte: »Ja, sie hat ihn freiwillig genommen, du kannst's ihr glauben. Sie hat sich in den Willen des Vaters gefügt, unsrer aller wegen und zumeist um deinetwillen. – Nein, Lisei, laß mich nur reden! Der Ambros soll jetzt gleich alles wissen!«

»Wann Sie meinem, daß er's wissen soll, nachher will ich ihm lieber selbst erzähln, wie's gekommen ist«, rief Lisei. »Komm, Brosi, setze dich her zu mir!«

Sie ergriff ihn bei der Hand und zog ihn mit sich nach der Ofenbank. Dabei warf sie Hannes einen bittenden Blick zu, und dieser äußerte, sie verstehend, er wolle inzwischen einen Krankenbesuch machen.

»Schau, Brosi«, begann Lisei, nachdem Hannes sich entfernt hatte, »wie damals das Unglück mit dem Jerg und mit der armen Stasi geschehn ist, ha hab ich nit anders vermeint, als daß das Strafgericht Gottes über uns alle hereingebrochen wär. Und unser Bruder hat ein Wort gesprochen, von dem mir das Herz geschüttert hat. Hier, in dieser nämlichen Stub, ist's gewesen, an dem Abend, wo's sich hat entscheiden solln, ob die Stasi am Leben bleiben würd oder sterben müßt. Wann der Mensch glaubt, daß seiner Selbstsucht alles erlaubt ist und er alles unter die Füß treten kann – eines Tags muß er's entgelten! So hat der Hannes damals gered't. Das aber haben wir wohl alle geglaubt. Ach, Brosi, das hat deiner armen Frau schwer und schwerer auf dem Herzen gelegen, daß sie um deinetwillen das Versprechen nit gehalten, das sie ihrer Mutter auf dem Sterbebett gegeben hat. Und so hab ich gedacht, daß, wann ich dem Vater seinem Wunsch erfüllen würd und den Jerg heiraten tät, daß hernach Frieden werden würd zwischen ihm und euch beiden, dir und dem Hannes, und auch zwischen dir und dem Jerg und daß der Vater dir vergeben würd.«

»Und was hat er mir zu vergeben?« grollte Ambros. »Ist seine Hartherzigkeit und sein Haß gegen den Kaspar Larseit nit schuld an allem?«

»Ach ja, der Haß hat viel verschuldet«, erwiderte die Schwester leise. »Aber das hat der Vater nit verschuldet, daß du die arme Stasi so krank hast wiederfinden müssen.«

»Das ist die Verwünschung ihrer Mutter«, murmelte Ambros, beiseite blickend.

Lisei schüttelte verneinend den Kopf. »Gegen deine Lieb hätt die Verwünschung ihrer Mutter nix ausgerichtet«, sagte sie mit bekümmerter Stimme. »Du selbst hast dem Fluch erfüllt durch deine Untreu gegen sie. Und auch den Frieden in der Mühl hast du dadurch gestört.«

Ambros sank wie vernichtet in sich zusammen. Nur mühsam brachte er hervor: »Und auch dich hab ich unglücklich und elend gemacht? – Lisei, ich ertrag's nit!«

»Nein, nein! Sei davon still!« bat sie und zog ihn wieder zu sich auf die Bank; sie legte ihren Arm um seinen Nacken und fuhr fort: »Der Vater und der Hannes sind miteinander ausgesöhnt, und der alte Angaya hat dir verziehn; auch der Vater will dir vergeben, das hat er mir an meinem Hochzeitstag gelobt. Es braucht nur ein gutes Wort von dir.«

Ambros rang schwer mit sich.

»Die Leut haben mir erzählt, was du für ein tapfrer Held geworden bist«, sagte Lisei mit einem Lächeln. »Zeig's jetzt auch mir, indem du dein Herz besiegst. Du kannst dir vorstelln, wie unglücklich der Vater ist, daß er dem Hof verlorn hat. Sei großmütig!«

»Ich sollt vor dir niederknien, Lisei!« rief er. »Sei's denn um deinetwilln!«

»So laß uns gehn«, bat sie und stand auf.

»Wohin?«

»Zum Vater!«

»Jetzt gleich?« rief Ambros. »Ein andermal! Es eilt ja nit.«

»Ja, Brosi, es eilt!« versetzte sie und holte ihm seinen Hut. »Du sollst dein Herz nit kalt werden lassen. Und glaubst du denn, der Vater weiß nit, daß du wieder da bist? Was muß er denken, wann du heut nit zu ihm kommst?«

Sie gab nicht nach, er mußte sie begleiten.

Wie glücklich leuchtete ihr gutes Gesicht, als sie neben dem Bruder nach der Försterei hinunterging. Ambros blickte nichts weniger als glücklich oder auch nur zufrieden; er dachte an seine letzte Begegnung mit dem Vater vor dem »Stern«.

Der Klosterbauer saß in der Stube und rechnete. Immer nur von dem Gedanken erfüllt, wieder ein reicher Mann zu werden, verbrachte er seine Zeit mit allerlei Spekulationen. Jetzt trug er sich mit dem Plan, die verfallene Mühle im Bannwald, an die sich so unheimliche Sagen knüpften, an sich zu bringen und wieder instand zu setzen. Er machte gerade einen Voranschlag, und Vefa spann in einer Ecke, als Lisei froh erregt mit den Worten hereintrat: »Vater, hier ist der Ambros!«

»Alle gutem Geister!« rief Vefa erschrocken, und der Faden zerriß zwischen ihren Fingern.

»Ja, hier bin ich! Grüß Gott, Vater«, sagte Ambros mit fester Stimme, während er auf den Tisch zuging.

Der Klosterbauer sah ihn an, ohne den Bleistift aus der Hand zu legen, er sagte kein Wort, sondern preßte die Lippen zusammen, und die Mundwinkel zogen sich herab.

Ambros richtete sich unwillkürlich höher auf; im nächsten Augenblick jedoch streckte er dem Alten die Hand hin und sagte: »Vergib mir!«

Die Hand blieb unberührt. Die Bitte war freilich auch kühl genug vorgebracht worden.

»Ach, Vater, was hast du mir doch versprochen?« rief Lisei vorwurfsvoll. »Da ist der Brosi jetzt und bittet dich um Verzeihung, wie du's verlangt hast!«

Da legte der Klosterbauer seine Hand in die des Sohnes; aber er sagte kein Wort dazu und erwiderte auch nicht dem Druck, mit dem Ambros seine Hand umspannte. Steif und empfindungslos lag sie im der seinen. Ambros wurde feuerrot. Lisei sah ihm bittend am, und flehend wandte sie sich am den Vater, er möge doch nur ein Wort sprechen. Ambros wartete darauf um der Schwester willen.

»Du bist also wieder da«, sagte der Klosterbauer endlich. »Das ist ja denn gut!« Damit nahm er den Bleistift, den er hingelegt hatte, wieder auf.

Ambros drehte an seinem Schnurrbart und bemerkte nach einigem Zögern: »Ich hab dich in deiner Arbeit unterbrochen; ich will wiederkommen, wann du Zeit hast«

Lisei hielt ihn zurück. Ein Weilchen Zeit hätte der Vater wohl noch, äußerte sie und nahm diesem, der sich wieder über seine Zahlen gebeugt hatte, mit sanfter Gewalt den Bleistift aus der Hand. Die Furcht, daß die Begegnung erfolglos verlaufen könnte, machte sie so kühn. Zornig zuckte es durch die Brauen des Klosterbauern, aber er sagte nichts und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück.

»Der Vater weiß, daß ich in ehrlicher Absicht hergekommen bin«, meinte Ambros, »und daß ich nix von ihm begehr als seine Vergebung dafür, daß ich die Stasi gegen seinen Willen geheiratet hab.«

»Ich hab freilich keinem mehr was zu geben; ich bin jetzt ein armer Mann«, erwiderte der Klosterbauer, und bitteres Mitleid mit sich selbst drückte sich deutlich in seinen Worten aus. »Da muß ich dir ja dankbar sein, daß du dich noch um mich alten armen Mann kümmerst und dich von der Lisei hast bewegen lassen, zu mir zu kommen.«

»O Vater!« rief Lisei schmerzlich.

Er aber fuhr fort, indem er die Augen öffnete und einen feindseligen Blick auf seinem Sohn schoß: »Und hättst du die Eckschlagerin geheiratet, wär alles anders gekommen.«

»Der Vater weiß, warum's halt nit hat sein können«, entgegnete Ambros mit mühsam unterdrückter Aufwallung. »Um deinetwilln tut's mir leid, daß der Klosterhof verlorngegangen ist. Mir ist er unheimlich geworden, und ich hab nit mal nach ihm umgeschaut, wie ich heimgekommen bin. Er hat uns allen kein Glück gebracht, auch dir nit, Vater. Wie ein Sumpf, aus dem das Fieber kommt, hat er uns alle krank gemacht. Er hat alles vergiftet.«

Der Klosterbauer richtete sich steif aus seinem Stuhle auf und starrte ihn mit weitgeöffneten Augen an.

»In dem Stück aber hast du recht: ja, ich bin um der Lisei willn hergekommen«, fuhr Ambros nach einem tiefen Atemzug fort und heftete seine Augen auf die Schwester. »Denn ich weiß, was sie hingegeben hat aus Lieb zu dir und zu mir, um uns beide miteinander auszusöhnen. Ich hab's erkannt – jetzt, wo's für mich zu spät ist –, was das wert ist, was die Lisei für uns hingegeben hat. Was will dein verlorner Klosterhof dagegen bedeuten? Du hast mir die Hand gereicht, und so mag's denn für jetzt gut sein. Es brauchen alle Wunden Zeit, um zu heilen, und alle Frucht, um reif zu werden.«

Der Klosterbauer sah mit zusammengezogenen Brauen vor sich nieder. Es nagte an ihm, daß er dagegen nichts vorbringen konnte.

»Laß uns denn warten, Vater«, sagte Ambros. »Adjes!« Er nickte der Schwester zu und ging nach der Tür.

»Es hat einer leicht verliern, was er nimmer besessen hat!« kam es jetzt grämlich bitter über die Lippen des Alten, während er aufstand.

Ambros, der schon die Hand nach der Türklinke ausgestreckt hatte, wandte den Kopf noch einmal zurück und rief mit aufflammenden Augen: »Und hab ich nix verlorn? Und bist du daran ohne Schuld? Aber wir wolln nit rechnen!«

Die Tür fiel hinter ihm zu.

Vefa, die sich, von Ambros gänzlich unbeachtet gelassen, bisher ganz still in der Ecke gehalten hatte, rief jetzt giftig: »Ist das ein Hochmütiger! Jetzt hätt bloß noch gefehlt, daß der Klosterbauer vor ihm auf die Knie hätt falln müssen! Freilich, der Klosterhof ist für ihn ja bloß ein Sumpf!« Mit einem energischen Fußtritt setzte sie ihr Spinnrad wieder in Bewegung.

Lisei trat vor den Vater, dem sich über die Worte seines Sohnes das Blut in die Wangen gedrängt hatte, erfaßte seine Hände und sah ihn mit einem langen, vorwurfsvollen Blick an. »Leb wohl, Vater!« war alles, was sie schließlich sagte.

Der Klosterbauer stapfte in der Stube auf und ab. Plötzlich blieb er vor Vefa stehen und schrie sie heftig an, sie solle sich mit ihrem Spinnrad aus der Stube scheren, er könne das ewige Schnurren nicht leiden.

Lisei hatte nicht vermutet, daß die Brust des Vaters noch so viel Groll gegen Ambros barg, und niedergeschlagen kam sie nach Hause. Das Eis zwischen beiden hatte zwar einen Riß bekommen, aber wieviel Zeit würde es noch brauchen, bis es schmölze – wenn es überhaupt je schmölze!

Jerg beobachtete sie verstohlen; denn ihm war bei der Rückkehr seines Schwagers nicht wohl zumute. Um sie auszuforschen, äußerte er hämisch: »Das Wiedersehn scheint ja recht erfreulich gewesen zu sein. Er hat dich wohl rechtschaffen getröstet, daß du seinen besten Freund geheiratet hast?«

»Du unglücklicher Mensch, mußt du denn jedes Gefühl verhöhnen?« seufzte Lisei. »Ich hab keinen Trost von meinem Bruder begehrt, denn wollt ich mein Elend zu klagen anfangen, wo fänd ich ein End? Aber ich bitt dich – du bildst dir ja so viel auf deine Klugheit ein –, denk doch nach, ob's nit dein Vorteil ist, wann du dich mit meinem Bruder gut stellst. Du hast jetzt keinen mehr im ganzen Tal, der dir auch nur den kleinen Finger reichen möcht.«

»Als ob ich einen braucht!« rief er geringschätzig. »Es könnt freilich einer zuletzt unter all den Narrn seinen Verstand verliern!«

Es war in der Tat mit ihm so weit gekommen, wie Lisei sagte. Die Vigiltaler verziehen es ihm nicht, daß er zu Hause geblieben war, während sie ihr Leben für das Vaterland eingesetzt hatten. Keiner wollte ihm mehr Rede stehen oder richtete das Wort an ihn. War er im Wirtshaus, so setzte sich keiner an seinen Tisch, es mochte noch so voll sein, oder die Leute standen auf und suchten sich andere Plätze, wenn er sich zu ihnen setzte. Er versuchte der Acht, die über ihn verhängt war, Trotz zu bieten, ließ sich prahlerisch vom besten Wein geben und führte laut anzügliche und höhnische Reden. Dummköpfe seien es, die sich für Österreich totschlagen ließen. Erst hetze es die Tiroler gegen die Bayern und Franzosen auf, und nachher lasse es sie in der Patsche stecken. Mancher ballte wohl ob solcher Reden die Faust; Jerg erhielt jedoch keine Antwort. Er war für niemanden vorhanden. Wo er stand, war er isoliert, wo er saß, rückten die Nächsten so weit wie möglich von ihm ab. Nichts aber ergrimmte ihn innerlich so wie die Anerkennung und Achtung, mit der er die Dörfler von der Tapferkeit Ambros' reden hörte, und seit Ambros wieder in St. Vigil war, mied er Kirche und Wirtshaus.

Ambros ließ, sich unterdessen nur selten einmal sehen. Er mied die Menschen, weil ihm sein Leid keine Freiheit ließ. Kam er einmal in den »Stern« und das Gespräch lenkte sich, wie es natürlich war, auf die jüngsten Kriegsereignisse, dann verhielt er sich still. Ein Prahler war er nie gewesen, weder früher in dem hochmütigen Bewußtsein seiner Überlegenheit über die andern noch jetzt, da er erfahren hatte, daß andere in dem Kampf gegen den Feind ebensoviel und noch mehr als er geleistet hatten. Sein Vorsatz, in Österreich Kriegsdienste zu nehmen, stand fest; jedoch verschob er die Ausführung von einem Tag auf den andern. Die Liebe zu Stasi hielt ihn in St. Vigil fest. Aus aller Selbstsucht, Verblendung und Unlauterkeit hatte sich diese Empfindung nun freigerungen und durchglühte seine Brust. Wahrlich, die Folgen seines unseligen Tuns konnten ihn nicht härter treffen als durch das zu späte Erwachen seiner Liebe. Er half David fleißig bei den Feldarbeiten; aber gegen Abend stand er regelmäßig an der Hecke vor seinem Hause und schaute nach dem Kirchhof hinunter. Stasi zeigte sich jedoch nicht. Wie er von seinen Geschwistern erfuhr, war sie zwar allmählich ruhiger geworden, aber vor dem Kirchhof hatte sie Furcht: dort gehe der Böse um. Und der Böse war er!

Als er eines Tages in St. Vigil zu tun hatte, erfuhr er, daß sich das Kriegsgewitter, das sich seit dem Tage von Aspern über Österreich zusammengebraut, in einem furchtbaren Schlage entladen habe. Erzherzog Karl, der, statt seinen damaligen Sieg energisch auszunutzen, untätig in seiner Stellung verharrt und dadurch Napoleon Zeit gegeben hatte, Verstärkung auf Verstärkung heranzuziehen, war aufs Haupt geschlagen worden. Dieser Nachricht folgte bald die andere, daß ein Waffenstillstand abgeschlossen sei. Und über dessen Bedingungen verbreiteten sich die beunruhigendsten Gerüchte.

Der Landrichter, Planta und Mutschleitner fuhren nach Bruneck, um bei Peter Hueber nähere Erkundigungen einzuziehen. Dieser empfing sie mit sorgenvoller Miene. Andreas Hofer hatte geschrieben, daß der Waffenstillstand die Räumung Tirols bedinge, aber nicht sage, ob zugunsten Bayerns oder Frankreichs, und daß er kein Wort über eine Amnestie für die Tiroler enthalte.

»Also das ist die Meinung im Hoflager!« bemerkte Herr Zengerl mit einer tiefen Falte zwischen den Brauen. »Man gratuliert dem General Chasteler, der davongelaufen ist, in gnädigem Handschreiben, daß er Tirol so standhaft und ruhmvoll behauptet hätt, aber alles, was Tirol für Österreich getan hat, soll nix gelten, und das Land hat für seine Opfer an Gut und Blut keine Dankbarkeit zu beanspruchen!«

»Dennoch ist's des Hofers Meinung, daß wir den Waffenstillstand einhalten müssen, wann ihn der Feind einhält«, sagte Hueber. »Die österreichischen Truppen sind längst abberufen und auch die wenigen, die noch im Land gestanden, bereits abgezogen. Mit ihnen sind die österreichischen Kommissare und Regierungsbeamten geflohen, und mancher Tiroler, der die Rache des Feindes fürchtet, hat sich als Soldat verkleidet. Sie wird auch schwerlich ausbleiben, die Rache.«

Man müsse ihr mit dem Schwert in der Faust zuvorkommen, rief der Oberförster mit seiner tiefen Stimme.

Hueber aber versetzte kopfschüttelnd: »Dazu ist der Hofer nit zu bewegen, denn er will sich nit ins Unrecht setzen. Die österreichischen Generale haben uns schon immer Rebellen genannt, und der General Buol hat bei seinem Abzug an der Grenze alle seine Geschütz samt Munition lieber den Franzosen übergeben, als sie uns zu lassen.«

»Das ist ja Feigheit und Landesverrat zugleich!« rief Herr Planta in hellem Zorn. »Wär ich der Erzherzog Karl, ich ließ den Hund von hinten erschießen!«

»Ereifert Euch nit, alter Freund!« sagte der Landrichter. »Er ist kein französischer General, sonst könnt's ihm von seinem Kaiser passiern. Dem Hofer kann ich aber nur zustimmen, wann er das Recht auf seiner Seit behalten will.«

»Ja, im Recht müssen wir bleiben«, pflichtete ihm Mutschleitner bei.

Zur selben Zeit aber wurde das Recht durch den Feind bereits unter die Füße getreten. Marschall Lefebvre Lefebvre – François-Joseph Lefebvre, Herzog von Danzig (1755-1820); wurde 1804 von Napoleon zum Marschall von Frankreich ernannt, nahm u. a. an der Schlacht bei Jena (14. 10. 1806) und bei Eylau (8. 2. 1807) sowie an den Kämpfen in Spanien (1808) teil, leitete die Belagerung von Danzig (Einnahme am 26. 5. 1807) und unterdrückte 1809 als Befehlshaber der bayrischen Armee den Volksaufstand in Tirol. war mit Bayern, Sachsen und Franzosen von Salzburg her eingerückt und hatte, ohne sich an die Proteste Hofers zu kehren, Innsbruck besetzt, wo er wie in einer eroberten Stadt hauste, während der französische General Rusca Rusca – François-Dominique Baron Rusca (1761-1814), französischer General; schlug die österreichische Armee 1809 mehrmals. von Süden her plündernd, sengend und mordend vordrang und jeden Tiroler, der mit der Waffe in der Hand ergriffen wurde, sofort erschießen ließ.

Eines Nachmittags – die Leute waren überall auf den Feldern mit der Kornernte beschäftigt – ertönte in St. Vigil die Sturmglocke. Bei ihren raschen, kurzen, ängstlichen Schlägen ließen die Leute alles stehen und liegen und eilten nach dem Dorfplatz. Von allen Seiten, von allen Hängen und Hügeln, aus allen Gehöften und Häusern kamen sie herbeigeströmt, Männer und Frauen, und drängten in die Kirche, deren Pforten weit offenstanden. Hannes bestieg die Kanzel, einen Laufzettel des bärtigen Andrä in der Hand, der eben an Mutschleitner überbracht worden war. Hofer rief zu den Waffen. Der Waffenstillstand war gebrochen, Marschall Lefebvre befand sich auf dem Marsch über den Brenner. Einem seiner Kuriere an den General Rusca war eine lange Proskriptionsliste Proskriptionsliste – Namensliste von (meist aus politischen Gründen) Geächteten. abgenommen worden.

»Ihr seht, wie die Sachen stehn, liebe Freunde«, fuhr Hannes nach diesen Mitteilungen fort. »Wir müssen uns wehrn, bis wir die Bayern gezwungen haben, uns eine bessere Kapitulation zu geben. Die Not drängt, die Österreicher sind alle fort aus Tirol, und wir sind auf uns allein angewiesen unter Gottes Beistand. Laßt das Getreide den Vögeln unter dem Himmel. Mag die Ernte verderben, wann nur das Vaterland nit verdirbt! Das Vaterland braucht alle seine Söhne. Zu den Waffen! Zu den Waffen!«

»Zu den Waffen! Zu den Waffen!« wiederholten alle Anwesenden begeistert, die Frauen nicht ausgenommen, und das Gewölbe erdröhnte von dem Schall.

Vor der Kirche trafen sich der Landrichter und der Oberförster. »Ich zieh mit«, sagte jener, und Herr Planta erwiderte: »Ich auch, das versteht sich.« Sie drückten einander die Hand, und Herr Zeugen zitierte halb sprechend, halb singend – mit einer leichten Variante seinen Lieblingsdichter:

»Und setzen wir nicht das Leben ein,
Nie wird uns das Leben gewonnen sein!« Und setzen wir nicht das Leben ein ... – Die letzten beiden Verszeilen von Schillers Reiterlied »Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd!« lauten: »Und setzet ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen sein.«

Um den alten Arigaya bildete sich ein Kreis älterer Männer und beriet die Errichtung eines Landsturms. Der Müller war ganz verjüngt. Auf seinen Vorschlag wurde beschlossen, alle Männer vom fünfzigsten Jahre ab aus allen Ortschaften des Tales für den nächsten Nachmittag nach St. Vigil zu einer Versammlung einzuladen. – Der Klosterbauer hielt sich grämlich in seiner Wohnung verschlossen.

Jerg aber konnte an keinen Kriegszug denken. Er hatte einen oder zwei Tage, nachdem der Landrichter mit dem Oberförster und Mutschleitner in Bruneck gewesen war, das Unglück gehabt, sich beim Aufbringen eines frischen Baumstammes in seiner Sägemühle zu verheben, und mußte seitdem das Bett hüten.

»Der Spektakel geht also wieder los!« äußerte er zu Lisei, als er das Wimmern und Heulen der Sturmglocke vernahm.

»Willst du auch diesmal wieder daheim bleiben?« fragte sie bekümmert. »Läßt's dich denn ganz kalt, was die Leut von dir denken? Ich möcht vor Scham um dich in die Erd sinken. Jetzt kannst du noch alles gutmachen, und ich bitt dich um Gottes willen, laß die Gelegenheit nit so vorübergehn! Steh auf, nimm deinen Stutzen und bring dich wieder zu Ehrn!«

»Kann ich denn ein Glied rührn!« stöhnte er. »Aber freilich, das wär dir lieb, wann ich mich von der Tollheit anstecken ließ! Du denkst, es träf mich wohl eine Kugel, und du wärst mich los!«

Lisei richtete ihre schlanke Gestalt hoch auf und maß ihn mit einem verächtlichen Blick.

Afra hatte ihren Mann zur Kirche begleitet; beim Hinausgehen war sie im Gedränge von ihm getrennt worden. Als sie sich nach ihm umsah, stand plötzlich Ambros vor ihr. Er hatte sie schon in der Kirche bemerkt. Seit dem Unglückstag in der Mühle hatte er sie nicht wiedergesehen. Was er für sie empfunden, war in den bitteren Schmerzen über seine Untreue untergegangen. Ihr Anblick mahnte ihn an seins Unrecht gegen sie. Mit einem trüben Lächeln reichte er ihr die Hand hin. Sie wurde bleich, als er auf einmal vor ihr stand. Im nächsten Moment überflutete eine Blutwelle das schöne Gesicht, und Feuer schoß aus ihren Augen. Sie sollte die Hand fassen, die mit ihrem Herzen gespielt hatte?

In stolzer Haltung wandte sie sich von ihm ab. Er warf nur noch einen Blick auf sie und entfernte sich dann langsam.

Wie war das Leben wieder heiß durch ihre Adern geflutet, wie hatte ihr Auge wieder aufgeleuchtet, als es geheißen: er kommt, er ist da! Kaum hatte sie mit Rücksicht auf ihren Mann, der diesem Augenblick um ihretwillen mit schweren Sorgen entgegengesehen, den Jubel ihres Herzens zu mäßigen vermocht, so daß er sich nicht laut Luft gemacht hatte. Nun war ja alles gut gewesen, und mit glühenden Farben hatte sie sich das Wiedersehen ausgemalt. Ihr Verstand hatte ihr freilich zugerufen, daß er Jergs wegen nicht nach der Mühle käme. Nun, so würde sie ihn in der Kirche treffen, oder er würde ihr Botschaft schicken, wo sie ihn sehen könnte! Und dann war ein Tag nach dem andern vergangen, mit Hoffnung begrüßt, mit Enttäuschung begraben. Er liebte sie nicht mehr, er hatte sie vergessen! Sie war zu stolz, um zu verraten, was sie litt, und nie war eine Frage nach Ambros über ihre Lippen gekommen. – Wie konnte sie ihm den Verrat an ihrer Liebe vergeben? Daß er es auch nur zu verlangen wagte!

Lisei sah sie nach Hause kommen und ging kurz darauf zu ihr, um von ihr Näheres über die Ursache des Sturmläutens zu erfahren. Sie fand Afra in der größten Aufregung. Ihr Gesicht war weiß wie ein Tuch, ihre großen Augen glitzerten wie im Fieber, und ihre Brust drohte das Mieder zu sprengen.

Sie ergriff Lisei am Handgelenk und rief: »Ist er mir denn keine Treue schuldig?«

»Du bist mit Ambros zusammengetroffen?« fragte Lisei. »Ach, Afra, die Folgen seiner Untreu gegen Stasi erfülln ihn mit bittrer Reue. Wie kann seine Liebe zu dir dabei bestehn?«

»Aber ich lieb ihn!« schrie sie auf.

»Komm, sei doch ruhig«, sagte Lisei sanft. »Du armes Weib, ich kann ja mit dir fühln.«

Afra sank auf den nächsten Sitz und brach in Tränen aus. Lisei ließ sie weinen; es war der beste Trost für sie. Sie streichelte ihr das Haar und ging nach einer Weile still aus der Stube. Afra suchte ihre Tränen gewaltsam zu ersticken. Ambros war es nicht wert, daß sie um seine Liebe weinte! Sie haßte ihn. Oh, wie sie ihn haßte! Und darüber flossen ihre Tränen nur noch heftiger.

Um vier Uhr des folgenden Morgens sammelten sich die Schützen und Landwehren auf dem Kirchplatz zum Auszuge. Hannes erteilte ihnen den Segen. Dann brachen sie auf, viele von ihren Angehörigen noch eine Strecke Weges begleitet. Hier trug eine Dirne den Stutzen ihres Liebsten, dort schleppte ein Büblein stolz das Gewehr seines Vaters. Manches junge Paar hielt sich stumm bei den Händen; Eheleute sprachen noch ein letztes Wort über ihre häuslichen Angelegenheiten; eine junge Mutter reichte ihren Säugling dem Vater zum letzten Kuß; die ledigen Burschen sangen und jodelten und neckten die Mädchen, die ihnen eine schneidige Antwort nicht schuldig blieben.

Ambros führte den Zug an. Er hatte von dem Vater nicht Abschied genommen. »Wozu!« hatte er auf den Vorwurf des Bruders geantwortet. »Sein Herz weiß nix von mir, wann er mir auch die Hand gegeben bat, und es ist gut, daß wir beide nit lügen mögen.«

Ernst und schweigend führte er seine Schar, zu der unterwegs die Schützen von Monthan, unter ihnen der junge Eckschlager, sowie die von Enneberg und Pleiken stießen.

Als sie sich der Ladritscher Brücke näherten, vernahmen sie starkes Schießen.

»Habt ihr geladen, Leut?« fragte Ambros, und als er ein allgemeines Ja zur Antwort erhielt, mahnte er zur Eile.

Fast laufend erreichten sie die Brücke. Da fanden sie Speckbacher, Haspinger, Kemenater und Peter Mayr von der Mahr in lebhaftem Kugelwechsel mit einer Abteilung Bayern jenseit der Eisack. Die Brücke war durch Feuer zerstört. Die Zahl der Tiroler war nicht groß, und die Verstärkung, die Ambros brachte, wurde mit lautem Hurra begrüßt. Speckbacher klopfte seinem ehemaligen Ordonnanzoffizier mit einem grimmen, lautlosen Lachen auf die Schulter und wies ihm die Stellung an, von der aus er mit seinen Leuten in das Gefecht eingreifen sollte. Der Feind erkannte denn auch bald an dem verstärkten Feuer, das er erhielt, die Aussichtslosigkeit, den Übergang über den Fluß, um den er bereits stundenlang kämpfte, zu erzwingen, und begann sich durch den Engpaß nach Unterau zurückzuziehen.

»Wie ist Ihnen zumut gewesen?« fragte der Oberförster Herrn Zengerl, nachdem die letzten Schüsse gefallen waren. »Gelt, das Herz hat Ihnen wohl beim Singen der Kugeln wie einst bei Ihrem Examen geklopft?«

»Nit daß ich wüßt!« versetzte der Landrichter in seiner langsamen Art. »Ich hatt mir die Geschicht bunter vorgestellt.«

»Sie wird auch wohl noch bunt genug werden«, meinte Haspinger, der dazugekommen war.

Unterdessen hatten Ambros und Peter Mayr einander herzlich die Hände geschüttelt, und wie sie so beieinanderstanden, glichen sie zwei jungen Kriegsgöttern. Dies war wenigstens der Gedanke des Landrichters, und auch manches andere Auge blickte mit Wohlgefallen auf sie.

Wie die Vigiltaler jetzt erfuhren, stand Marschall Lefebvre bereits in Sterzing, und der Feind, mit dem sie es zu tun gehabt hatten, bildete die Spitze von dessen Vorhut. Von Verhau zu Verhau waren Speckbacher und Haspinger, zu denen sich später noch Kemenater und Mayr gesellt hatten, erbittert kämpfend durch die Schluchten und Engpässe vor dem überlegenen Feind bis zur Ladritscher Brücke, die sie verbrannt, zurückgewichen.

»Wär Tirol schon unter Waffen gewesen, würd Lefebvre schwerlich über den Brenner gekommen sein!« meinte Haspinger. »Aber wir wenigen Unterinntaler konnten ihn dort nit lang aufhalten.«

»Auch das hat sein Gutes gehabt«, bemerkte Speckbacher und zupfte an seinem militärisch gestutzten Schnurrbart. »Der Franzos soll uns aus den Schluchten nit heraus! Mich dünkt, das Hauptkorps der Vorhut ist irgendwo steckengeblieben, sonst hätten wir hier heißere Arbeit gehabt. Der Andrä wird's wohl festgenagelt haben. Und jetzt, Leut, schafft Bäume herbei, damit wir über die Eisack können. Wir müssen das Spundloch zustopfen, damit der Franzwein nit ausläuft!«

Kemenater aus Schabs machte die Wiederherstellung der Brücke überflüssig. Er wußte einen Pfad über die Felsen zur Rechten und einen Abstieg bei Unterau, wo es eine Brücke gab. Über den Emporklimmenden erscholl der helle Jauchzer einer Frauenstimme. Von der untergehenden Sonne in Glut getaucht, stand droben eine weibliche Gestalt und schwenkte den Hut. Ihre aufgelösten Zöpfe flatterten im Winde.

»Woher? Was schaffst du?« fragte Kemenater, der den Weg wies, als er bei ihr angelangt war.

Es war eine stämmige Dirne von etwa zwanzig Jahren. Sie versetzte, sie sei von Mittewald. Der Hofer habe über die Schlucht herübergerufen, daß einer dem Speckbacher ausrichten möchte, er solle morgen in der Frühe im Tal gegen Mittewald vorgehen. »Die andern waren alle müd, da bin ich über die Berge gesprungen«, schloß sie.

»Also der Hofer ist dort!« fragte Speckbacher.

»Drüben auf den Röm zwischen Sack und Mittewald«, antwortete die Botin.

»Und der Feind?«

»Ja, was von ihm in die engen Wege da eingedrungen ist, davon ist wohl wenig wieder nach Sterzing zurückgekommen«, berichtete die Dirne, neben Speckbacher hergehend. »Die Sachsen sind's gewesen. Die armen Menschen! Sie konnten nit vorwärts noch rückwärts. Menschen und Pferde, lebend und tot, Wagen, Kanonen, ganz und zerschmettert, alles war drunten zusammengestopft und -gestampft. Ihre Kugeln konnten uns nit erreichen, aber die unsrigen gingen nit fehl. Doch ich muß fort. Ihr wißt Bescheid.«

Leichtfüßig lief sie voran und war bald verschwunden.

Wie fürchterlich jedoch die Niederlage der Sachsen auch war (die Schlucht trägt noch heute ihren Namen), der Marschall Lefebvre empfing die spärlichen Überreste seiner Vorhut in hellem Zorn. Noch kannte er den Volkskrieg nicht aus eigener Erfahrung, und um drei Uhr am Morgen des nächsten Tages brach er selbst mit der Hauptmacht auf, um die Engpässe zu erzwingen.

»Heute werde ich Steine auf die Bauern werfen!« rief er seiner Wirtin in Sterzing zu.

Schweigend rückten die Kolonnen zwischen den steilen Bergwänden vor, und manchem schlachtgewohnten Soldaten mochte das Herz stärker klopfen beim Anblick der immer häufiger auftretenden Spuren des gestrigen Kampfes, der zermalmten Leichen zwischen und unter den Blöcken, der zerschmetterten Kanonen, Gepäckwagen und Munitionskarren, und manches Auge blickte scheu zu den Talrändern hinauf. Da geriet der Zug ins Stocken. Schüsse peitschten ihm entgegen. Speckbacher war zur Stelle! Links und rechts knatterte es von den Bergen, und jetzt begannen auch die grauenvollen Steinbatterien von droben zu spielen. Die Schützen, Mädchen und Frauen hatten keine Zeit verloren, um frische Felsblöcke an die Ränder der Abhänge zu rollen. Nun kamen sie heruntergesaust, die gewaltigen Blöcke, hüben und drüben, alles in ihrem Bereich verstümmelnd, tötend, zerschmetternd, zerquetschend, begrabend. Wilder Jubel auf den Höhen antwortete dem Geschrei in der Tiefe. Dazu schlugen die todbringenden Schüsse der Tiroler unaufhörlich von allen Seiten in den zusammengedrängten Feind. Das war der Volkskrieg in seiner elementarsten Gestalt, und dem Marschall gefror das Herz. Fort! Fort! Fort!

Still und ernst zogen die Sieger über das gräßliche Schlachtfeld. Die Schlucht war eine Hölle voller Ächzen, Stöhnen, Jammern, Schreien und Verzweiflung, so daß selbst das härteste Herz davon erbebte. Tagelang führte die Eisack Leichen mit. Der Marschall zog sich über den Brenner zurück. In Innsbruck erfuhr er, daß das bayrische Korps, das er in das obere Inntal geschickt hatte, um Hofer in den Rücken zu fallen, bei Pruz und Landeck eine ähnliche Niederlage erlitten hatte wie er.

Von General Rusca fehlte ihm jede Nachricht. Aber in diesem Augenblick war ganz Südtirol gegen den Wüterich unter Waffen, und zwei Tage später traf in Sterzing, wo Hofer einstweilen sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte, die Nachricht ein, daß Rusca aus dem Lande getrieben sei.

Die Streitkräfte, die Hofer, Speckbacher, Haspinger, Kemenater und Peter Mayr in der Eile hatten aufbringen können, waren zu schwach, als daß sie den Sieg gegen Marschall Lefebvre durch Verfolgung des Feindes hätten ausnutzen können. Man mußte die weiteren Zuzüge abwarten und sich darauf beschränken, die wichtigsten Positionen des Brenners zu besetzen. Kemenater und seine Pustertaler, unter ihnen Ambros mit den Vigilern, bezogen den vorgeschobenen Posten. Speckbacher übergab sein Kommando an den Rotbart und eilte selbst über die Berge, um die Zuzüge zu beschleunigen. Es waren die dringenden Erntearbeiten, die die Leute zögern ließen, und hinzu kam, daß sich viele mit ihren Herden in den Hochalpen befanden, wohin das Sturmläuten aus den Tälern nicht gedrungen war.

Nun aber loderten die Notfeuer auf allen Bergen und riefen die Sennen zu den Waffen, und in den Tälern mahnten die Geistlichen alle Säumigen. Viele Pfarrer zogen an der Spitze ihrer Gemeinde aus, und wie in St. Vigil, so bildeten sich überall Landsturmkompanien. Ein Sturm der Begeisterung durchbrauste das ganze Land, und Schar auf Schar kam herangezogen. Vom fünfzehnjährigen Buben bis zum Greise hatten alle Bauern und Knechte, Herren und Diener, Edelleute und Städter zu den Waffen gegriffen, und wer keinen Stutzen oder keine Muskete hatte erlangen können, der führte Morgenstern oder Dreschflegel, Sense, Hellebarde oder Pike mit; und selbst mit Keulen von hartem Eichenholz sah man manchen bewaffnet. Hofer hatte sein Hauptquartier in dem Gasthaus »Zum Schupfen« an der Bergstraße nahe der wild schäumenden Ruz genommen, und dort musterte er die vorüberziehenden Streiter und ließ ihnen durch seine Ordonnanzen ihre Stellungen anweisen.

»Grüß dich Gott, Andrä!« – »Grüß Gott, Hofer!« – »Hurra!« – »Hoch, unser Oberkommandant soll leben!«

So brauste es fort und fort mit dem Bergwasser um die Wette, und die Trommeln dröhnten, die Pfeifen quiekten, die zerbeulten Trompeten schmetterten.

Es war an einem Sonntag, da ließ Marschall Lefebvre alle seine Feuerschlünde ihr Eisen gegen den Berg Isel speien, der von den Waffen der Tiroler blinkte. Wieder kommandierte Speckbacher den linken, Haspinger den rechten Flügel und Hofer im Zentrum. Wenn der französische Marschall vor Begierde brannte, die Scharte an der Eisack auszuwetzen, so glühte in der Brust der Tiroler das Verlangen, heute die Mißhandlungen, die sie vier Jahre lang von den Bayern und Franzosen erduldet hatten, vollauf zu vergelten. Die von den Soldaten Wredes begangenen Schandtaten, die Gewalttätigkeiten Ruscas sowie der Bruch des Waffenstillstandes durch Lefebvre hatten ihre Erbitterung aufs höchste gesteigert. Auf der ganzen Linie ging der Feind zum Sturm vor, aber das Feuer, das ihn empfing, war mörderisch, und mörderisch wütete es fort. Es war eine schreckliche Sicherheit, mit der die Tiroler schossen, und mancher Feind stürzte, von zwei, drei Kugeln zugleich in die Brust getroffen. Mit dem gleichen mörderischen Feuer gingen nun die Tiroler ihrerseits vor und wichen nicht vor den Sturmkolonnen, die ihnen entgegengeworfen wurden. Sie kehrten die Gewehre um und schlugen mit den Kolben auf die Bayern und Franzosen ein.

»Ihr Räuber und Mörder!« schrien sie. Dabei schlugen und rissen sie die Feinde zu Boden, warfen sich über sie und suchten sie zu erwürgen.

Ambros brach sich mit seinem Schwert in kaltblütiger Wut Bahn durch das Gewühl. Plötzlich stieß er auf den Oberleutnant von Reitzenstein, der inzwischen zum Hauptmann aufgerückt war, und bei dem Anblick seines alten Gegners kam etwas wie Freude über ihn.

»Jetzt können wir unsern Span ausfechten!« rief er dem Hauptmann zu, der sich gegen die Angriffe eines hageren alten Mannes wehrte und eben zu einem Stich ausholte. Ambros sprang hinzu, um den Degen des Bayern mit seinem Säbel wegzuschlagen. Es gelang ihm nicht, und der tapfere Alte brach zusammen. Es war Anigaya. Doch Ambros hatte nicht Zeit, sich nach ihm umzusehen. Mit flammenden Augen wandte sich der Hauptmann gegen ihn.

»Seid ihr denn alle da?« schrie er, und die Klingen kreuzten sich wie Blitze. Im nächsten Augenblick erhielt der Hauptmann von einem dritten einen Kolbenstoß vor die Brust, so daß er zurücktaumelte, und eine Stimme rief: »Mit dem Büttel rauft sich kein ordentlicher Kerl. Jetzt schmeck, wie die Schläg tun!« Und ehe noch der Hauptmann von Reitzenstein sich zur Wehr setzen konnte, schmetterte ihn ein zweiter Kolbenschlag nieder. »Ah, das tut wohl!« sagte der Mann mit einem tiefen Aufatmen. Es war ein Holzknecht aus St. Vigil, eins der Opfer der summarischen Justiz des Auditors Stiermann. »Ich hatt's ihm geschworn.« Mit geschwungenem Stutzen warf er sich wieder in das Gewühl.

Ambros trat zu dem Müller. Ein brechender Blick, und das Auge des Alten ward starr und verglast. Ein leiser Schauder überkam Ambros. Er beugte sich über den Toten und drückte ihm die Augenlider zu. Dann hob er ihn auf und trug ihn ein wenig beiseite, damit die Leiche in dem Gewühl nicht zertreten würde. Im Schutze einer umgestürzten Kanone legte er ihn nieder.

»Du guter Alter!« murmelte er bewegt mit einem letzten Blick auf ihn. Langsam zog er seinen Säbel, und gleich darauf verschlang ihn wieder das wüste Ringen in Staub und Pulverdampf.

Dem Speckbacher gegenüber, bei Wiltau, standen die Sachsen. Sie fochten als tapfere Soldaten – der Wasserfall der Stil war von Blut gefärbt –, doch sie taten es ohne Kampfesfreudigkeit. Die Hekatomben Hekatombe – im Altertum ein Hundertopfer (von Rindern), das man bei großen Feierlichkeiten den Göttern darbrachte.

der Ihren, die in dem Engpaß zwischen Sack und Mittewald gefallen waren, hatten sie nicht zur Rache entflammt, sondern mit Schmerz erfüllt, mit Schmerz darüber, für den Ehrgeiz des korsischen Eroberers gegen die Freiheit eines so heldenmütigen Volkes kämpfen zu müssen. Als sich Speckbacher nun mit aller Wucht auf sie warf, streckten sie die Waffen. Er schützte sie, indem er den Seinen zurief: »Denen tut nix; es sind Sachsen und brave Leut!«

Von Wiltau aus fiel er dem Feind in die rechte Flanke und entschied dadurch vollends den Sieg seiner Landsleute. Marschall Lefebvre trat den Rückzug an.

Mitten auf dem Feld trafen sich Hofer, Speckbacher und Haspinger und schüttelten einander die Hände.

Dann erhob der Sandwirt seine Stimme und rief: »Laßt uns durch ein andächtig Vaterunser danken!« Er kniete zwischen seinen beiden Freunden nieder, und all die Tausende folgten seinem Beispiel. Die Waffen im Arme, sprachen sie laut das Gebet. Wie ein Flammenbrausen stieg es zum Himmel empor. Auch die Sachsen fielen überwältigt auf die Knie.

Hofer entließ sie später mit freundlichen Worten in die Heimat, auf das Versprechen hin, nicht mehr gegen Tirol die Waffen zu ergreifen.

Haspinger und Speckbacher brachen vom Schlachtfeld aus sofort zur Verfolgung des Feindes auf, der sich an beiden Ufern des Inn zurückzog. Ambros befand sich mit den Seinen an der Spitze der Vorhut. Unablässig war er dem Feinde auf den Fersen, der die Höfe, Dörfer und Getreidefelder in Brand steckte, um die Verfolger aufzuhalten. Aber es half nichts.

»Geh, das ist 'ne lustige Jagd?« rief Herr Planta mit glänzenden Augen dem Landrichter zu, und dieser rief zurück: »Auf den Feind! Auf den Feind!«

»Durch Feuer und Flamme zum Land hinaus!« rief der Rotbart, und der Speckbacher scherzte: »Das ist das Fegefeuer für seine Sünden. Fegt ihn! Fegt ihn!«

Und wie der Wind die Spreu von der Tenne fegt, so fegten sie den Feind aus dem Lande.

Gerade am Napoleonstage, Napoleonstag – der Geburtstag Napoleons I. (15. 8.1769). dem 15. August, hielt Andreas Hofer seinen Einzug in Innsbruck. In seiner grauen Lodenjoppe und seinem Spitzhut saß er in dem Wagen, den vier prächtige Schimmel zogen. Das Fuhrwerk war einem französischen Obersten abgenommen worden. Die eroberten Fahnen und Adler wurden vorangetragen. Dicht umdrängten die bewaffneten Scharen das stolze Gespann; die Straßen waren voller Menschen, und aus allen Fenstern winkten sie mit Tüchern und schrien und jubelten; alle Glocken läuteten, und am Inn donnerten die Kanonen. Das war der Einzug eines Königs.

Hofer hatte sich lange gesträubt, ehe er sich bewegen ließ, den Wagen zu besteigen; aber daß man ihn nach dem Schosse fuhr, litt er nicht. Zum »Adler«, seinem gewöhnlichen Absteigequartier, ging der Triumphzug. Aber Ruhe fand er hier noch lange nicht. Die Straße vor dem Wirtshaus blieb gedrängt voll Menschen, und sie fuhren fort, ihn hochleben zu lassen und nach ihm zu rufen.

Da trat er ans Fenster, und als es still wurde, sprach er: »Nun, so grüß euch Gott, meine lieben Sprugger! Ihr habt's mich zum Oberkommandanten haben wolln; so bin ich halt da. Andre sind auch noch da, die keine Sprugger sind. Haben auch tapfer mitgetan. Die das nit tun wolln, solln heimgehn. Meine braven Waffenbrüder werden mich nit verlassen, und so will ich euch auch nit verlassen, so wahr ich Andreas Hofer heiß! So, gesagt hab ich's euch, und gesehn habt's mich. Jetzt behüt euch Gott!«

Da waren die »Sprugger« zufrieden und zerstreuten sich.


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