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9. Kapitel

Der Novembersturm pfiff, sang und heulte durch das Gadertal. Einen besseren Tummelplatz konnte er sich nicht wünschen, denn das Tal war nach Norden hin offen. Daher herrschte hier auch, besonders in dem oberen Teil, ein viel rauheres Klima als in dem gegen Norden geschützten Vigiltal. Es eignete sich wenig zum Getreidebau, und seine Bewohner waren überwiegend auf die Viehzucht angewiesen. Da dieser Erwerbszweig im Verhältnis zum Ackerbau nur wenige Hände erfordert, war die überschüssige Bevölkerung genötigt, ihr Brot in der Fremde zu suchen. Die Männer zogen alljährlich als Handwerker verschiedenster Art ins Weite, während sich die Mädchen namentlich in Südtirol als Mägde zu verdingen suchten. Nach Südtirol bot das Grödnertal, das sich zwischen Klausen und Bozen öffnet, von dem einige Stunden südlich von St. Martin gelegenen Colfosco aus über das Grödnerjoch eine nahe Straße.

Rauh und scharf wie das Klima des oberen Gadertals war auch der ladinische Dialekt seiner ärmlichen Bewohner, und der Kurat, Johannes Falkner, hatte sein Ohr erst an ihn gewöhnen müssen, als er von seiner Pfarre zu St. Martin Besitz ergriff.

Ein Wohlleben war es nicht, das Hannes unter seinen Ochsen mästenden und Schafe und Gänse züchtenden Pfarrkindern führte. Schmalhans war meist Küchenmeister, und die Hände des jungen Geistlichen hatten in den wenigen Monden, seit er am östlichen Fuße des Peitlerkofls predigte, taufte, kopulierte, Messen las, die Kranken tröstete und die Toten begrub, von Spaten und Hacke eine harte Haut bekommen. Wie die meisten Häuser von St. Martin, so war auch das Pfarrhaus aus Stein gebaut; denn Steine lagen ja überall genug zur Hand. Aber die Wohnstätte war klein und ärmlich, und der geistliche Hirt hauste kaum besser als die Herde. Er hatte bei Anbruch des Herbstes selber zu Schnitzmesser, Hammer und Kelle greifen müssen, um sein Haupt vor den eindringenden Wassern des Himmels zu schirmen, wie er auch bei seinem Einzug eigenhändig die beiden Räume, die ihm zur Schlaf-, Studier- und Amtsstube dienten, frisch geweißt hatte. Sauberkeit war der einzige Schmuck der Wohnung – dank der Wirtin, einer Witwe, die Hannes von seinem Amtsvorgänger übernommen hatte. Auch sonst besaß er an ihr einen wahren Schatz; aber er wußte es nicht und erfuhr es erst später. Sie wurde in St. Martin, ihrem Geburtsort, von alt und jung nur La Bona Uschina, die gute Nachbarin, genannt. In dieser Bezeichnung lag eine kleine Ironie; sie bezog sich nicht allein auf ihr gutes Herz, sondern auch auf ihre Geschicklichkeit als Bona Uschina, von den Leuten alle möglichen kleinen Gefälligkeiten in Gestalt von Naturalien zu Nutz und Frommen ihres geistlichen Herrn zu erlangen. Hier waren es gelegentlich ein paar Eier, dort ein wenig Wachs oder Honig, hier etwas Wolle für Winterstrümpfe, da ein kleiner Beitrag an Gerste zur Mast ihrer Gänse. Die Leute gaben ihr gern, und wenn jemand in St. Martin schlachtete oder buk, so vergaß er auch die »gute Nachbarin« nicht. Eigentlich hieß sie Carlotta Tyfona.

Die beiden Räume, die sich Hannes zu seinem ausschließlichen Gebrauch vorbehalten hatte, waren ganz mit Holz ausgekleidet; jedoch besaß nur der größere, unmittelbar am Flur gelegene einen Ofen. Durch den Flur, in dessen Hintergrund sich die Küche befand, wurde das Haus genau in zwei Hälften geteilt. Der Ofen bestand aus groben, grünen Kacheln, und um seine beiden freistehenden Seiten zog sich eine Bank. Darüber befand sich ein Gestänge zum Trocknen nasser Sachen. Die Möbel waren von ungebeiztem Tannenholz, mit Ausnahme einer Truhe, die ehemals grün angestrichen gewesen war. Ein Kleiderschrank, zwei Stühle mit Strohsitzen, ein großer Tisch, an dem Hannes zu schreiben und zu studieren pflegte, ein kleinerer in einer Ecke und ein schmales Büchergestell bildeten die ganze Ausstattung der Stube, aus der eine enge Tür in die anstoßende Schlafkammer des Geistlichen führte. Die kleinen, nach Osten gelegenen Fenster waren, abgesehen von zwei oder drei Scheiben, durch das Alter ziemlich erblindet. Wenn die in Blei gefaßten, eckigen Scheiben von der Morgensonne beschienen wurden, spielte das Licht auf den Dielen in allen Regenbogenfarben.

Die Hauptfüllung des Büchergerüstes bildeten sorgfältig zugebundene Packen von grauem Löschpapier: das Herbarium des jungen Kuraten. Mit Büchern waren die Fächer nur spärlich bestellt. Die größte Zahl bestand aus den Schulbüchern, mit deren Hilfe sich Hannes zu seiner Würde emporgeschwungen hatte. Das handlichste Fach enthielt das unentbehrliche geistliche Rüstzeug. Daneben fanden sich zwei in deutscher Sprache abgefaßte botanische Lehrbücher, von denen das eine das Linnésche System, Linnésches System – das künstliche Pflanzensystem des schwedischen Naturforschers Karl v. Linné (1707-1778), der die noch heute gebräuchliche wissenschaftliche Benennungsweise der Tiere und Pflanzen mit lateinischen Gattungs- und Artnamen schuf., das andere das natürliche System Jussieus System Jussieus – das von dem französischen Botaniker Bernard de Jussieu (1699-1777) begründete, auf einem Fragment Linnés aufbauende und von Antoine Laurent de Jussieu (1748-1836) weiterentwickelte natürliche Pflanzensystem. vertrat. An sie reihte sich, die Bibliothek erschöpfend, ein Teil von Buffons Buffon – George-Louis Leclero Graf von Buffon (1707-1788), französischer Naturwissenschaftler; seine illustrierte, in fast alle Sprachen übersetzte »Allgemeine und spezielle Naturgeschichte« war eines der verbreitetsten Bücher seiner Zeit. Naturgeschichte in sehr abgenutztem Zustand: die »Geschichte der Vierfüßler« in deutscher Übersetzung und die »Epochen der Natur«, ins Italienische übertragen. Beide hatte Hannes für wenige Kreuzer bei einem Trödler in Innsbruck erstanden. Auf dem obersten Brett lagen verschiedene Petrefakte, Petrefakte – Versteinerungen. wie man sie im oberen Gader- und Grödnertal häufig findet. Ein Kalkstein mit scharfen Muschelabdrücken diente zum Beschweren von Papieren auf dem Schreibtisch, und über diesem an der Wand hing ein schwarzes Holzkruzifix mit einem schlecht gearbeiteten Christus, der einem gebleichten Gerippe glich.

In dem Ofen prasselte ein mächtiges Feuer – an Holz litt Hannes bei dem damaligen Waldreichtum keinen Mangel –, und in der Stube herrschte eine hochgradige Wärme, während draußen der Nordsturm durch das Tal fegte. Hannes saß mit der Feder in der Hand vor seinem Arbeitstisch, und neben dem groben Papier, das er mit großen Schriftzügen bedeckte, lagen mehrere getrocknete Pflanzen. Hannes war mit ihrer Beschreibung beschäftigt.

Die Arbeit erwies sich als das einzige Mittel, um das Opfer, das ihm Pflicht und Notwendigkeit auferlegten, mit freier Seele zu vollbringen. Mit einem Feuereifer, der keinerlei Rücksicht gegen sich selbst kannte, hatte er sich, sobald er die Pfarre von St. Martin übernommen, den Obliegenheiten seines Amtes unterzogen. Er war in alle Hütten gegangen, um sich mit seinen Pfarrkindern und ihren Lebensverhältnissen bekannt zu machen. Unermüdlich hatte er die Gesunden und Kranken mit seinem Rat und Trost unterstützt. Jedem Anliegen stand sein Ohr offen, jedem Bedürfnis war sein Geist zugänglich, aufnahme- und hilfsbereit.

Zu seinen botanischen Ausflügen war ihm dabei nur wenig Muße geblieben, und er hatte absichtlich nur äußerst selten die Pflanzenkapsel umgehängt; denn er scheute die Gedanken und Erinnerungen an Stasi, die auf solchen Streifzügen nicht abzuwehren waren. Um so eifriger las und studierte er, oft bis tief in die Nacht hinein – nicht in seinem Brevier, sondern im Linné, Jussieu und Buffon. Er war darüber noch magerer geworden, was seiner Bona Uschina viel Kummer bereitete. Erstens verklagte seine Magerkeit sie unschuldigerweise bei der Gemeinde, daß sie ihre pfarrköchliche Pflicht gegen ihn nicht erfülle, und zweitens hegte sie für ihn mehr ein mütterliches Gefühl, als daß sie ihn als ihren Brotherrn betrachtet hätte. Sie selbst hatte einen Sohn, der als Schneidergeselle in die Welt gezogen und verschollen war. Wenn er noch lebte – und sie hoffe es –, dann war er jetzt in dem Alter ihres Kuraten. Sie hätte viel darum gegeben, diesem zu mehr Fleisch zu verhelfen. Übrigens hätte sie es selbst gebrauchen können; aber sie meinte, ihre eigene Hagerkeit habe nichts zu bedeuten. Auch war sie von kleiner Gestalt und dabei flink wie ein Wiesel.

Die Liebe des armen Hannes teilte das Schicksal der Pflanzen. Sobald der Herbst kommt und die Erde sich zum Winterschlaf rüstet, welken ihre Blüten und Blätter und sterben ab; die Wurzel aber behält ihre Lebenskraft, und der warme Schneemantel, den der Winter über die Erde breitet, schützt sie vor dem Erfrieren. – Das Hoffen, Wünschen und Begehren von Hannes' Liebe war abgestorben, nicht aber das Gefühl selbst. Das ruhte tief und still in seinem Herzen. Als er an einem düsteren, regnerischen Herbsttag eines der Herbarien geöffnet, hatte er sich des Gedankens nicht erwehren können, daß seine Liebe nun auch solch eine getrocknete und entfärbte Blume sei wie die, die da mit Bezeichnung ihres Namens, Fundortes und Datums zwischen den grauen Blättern lagen.

Aber während er mit dem Auge des Botanikers die getrockneten Pflanzen betrachtet, hatte er sie wieder in blühendem Zustand auf den Fluren gesehen, und er hatte den Entschluß gefaßt, sie zu beschreiben. Das war kein müßiger Gedanke gewesen; es konnte eine Bereicherung der Wissenschaft bedeuten, wenn er eine Monographie der Alpenflora des Vigil- und Gadertales lieferte, und er hatte das Gefühl gehabt, als wäre er bisher im Nebel gewandelt und stünde jetzt plötzlich in sonniger Klarheit.

Sofort war er an die Arbeit gegangen. Er hatte mit der Flora des Vigiltales begonnen, und diese Beschäftigung gewährte ihm glückliche Stunden. Freilich mußte er noch oft die Feder aus der Hand legen, weil diese und jene Pflanze Erinnerungen in ihm weckte, die mit dem wissenschaftlichen Zweck der Arbeit nichts zu schaffen hatten.

So auch in diesem Augenblick. Er erinnerte sich, daß er die Pflanze, zu deren Beschreibung er schon die Feder eingetaucht, an jenem Sonntag, da er in St. Vigil gepredigt, nachmittags auf einem einsamen Spaziergang gepflückt hatte. Es war eine Brunelle, und sie hatte noch etwas von ihrem starken Duft bewahrt. Wie hell hob sich dieser Sonntag von dem grauen Hintergrund seines vorhergehenden Lebens ab! Doch nur einen Moment, und er versank in der schwärzesten Nacht.

Auf dem Flur ließ sich das Stampfen von Füßen vernehmen, die sich von Schnee zu befreien suchten. Die Prophezeiung des Bauern aus Pleiken am Allerseelentag war eingetroffen: Während der Nacht hatte starker Schneefall eingesetzt, der den folgenden Tag über anhielt. Eine weiße Decke breitete sich glitzernd über das ganze Tal.

Frau Carlotta Tyfona steckte ihr schmales Gesicht mit den blanken schwarzen Augen in die Studierstube und rief: »Hochwürden, da sind welche, die Sie sprechen wolln.«

»Ich bin's, der Ambros!« erscholl eine helle Stimme, und im gleichen Augenblick wurde die kleine Frau beiseite geschoben.

Ambros kam nicht allein. Hinter ihm trat Stasi in die Stube, und den Schluß bildete der Ohm David.

Hannes, der sich rasch von seinem Strohstuhl erhoben hatte, wurde ganz rot vor Überraschung, und wie im Traum nur fühlte er, daß ihm der Bruder die Hand schüttelte, und hörte er, wie dieser mit einem gezwungenen Lachen rief: »Gelt, das hätt sich der Herr Bruder nit vorgestellt, daß uns der Wind daherwehn würd! Stark genug ist er schon.«

Hannes' Augen ruhten auf Stasi, die verlegen lächelte, und verlegen stand auch David an der Tür. Der Kurat fuhr sich' mit der Hand über die Stirnbuckel und sagte dann hastig: »Ja, ja, seid willkommen! Setzt euch doch hin.« Er selbst ging mit seinem Beispiel voran und begann den Deckel seiner Horndose, die er vom Schreibtisch genommen, mit dem Ärmel zu polieren, während sich seine Gäste nach Sitzgelegenheiten umsahen.

Ambros ergriff von dem zweiten Strohsessel Besitz, und Stasi und David setzten sich nach einigem Zögern auf das entfernteste Ende der Ofenbank, ohne jedoch ihre Mäntel abzulegen.

»Was schafft ihr denn?« fragte Hannes, zum Bruder gewandt, wartete aber dessen Antwort nicht ab, sondern stand wieder auf und verließ mit großen Schritten die Stube.

»Ach, Ambros, mir ist so bang!« flüsterte Stasi.

Ambros aber rief ihr zu: »Sei doch nit zag!« Er änderte seine Stellung, indem er sich rittlings auf den Stuhl setzte, und blickte, die Lehne mit den Händen fassend, neugierig in dem Stübchen umher. So dürftig hatte er sich das Heim seines geistlichen Bruders nicht vorgestellt, und er schüttelte den Kopf.

Unterdessen kam Hannes zurück. Er bemerkte Ambros' Verwunderung und sagte: »Die Jünger unsres Herrn hatten's wohl kaum so gut. Aber trinkt ein Gläschen; das wird euch wärmen.«

Frau Carlotta folgte ihm mit einer Flasche und Gläschen, und ihre blanken Augen glänzten noch mehr als gewöhnlich. Sie hatte gehört, daß der stattliche Bursche der Bruder ihres geistlichen Herrn sei, und schloß daraus, daß die hübsche Gitsche, die ihn begleitete, seine Braut sein müsse. Sie bedachte Stasi daher auch mit besonders freundlichen Blicken, und als sie gewahrte, daß das Mädchen noch immer in ihrem dicken Mantel an dem glühenden Ofen saß, rief sie: »Ach, Herr Pfarrer, wie können Sie das nur dulden!« Sie stellte Flasche und Gläser schnell auf den Tisch in der Ecke und half dem Mädchen, sich aus den Hüllen herauszuschälen. »O welch süßes Herzchen!« fuhr sie bewundernd fort. »Schaun's doch nur, Hochwürden!«

Hannes wagte nur einen scheuen Blick auf Stasi zu werfen, die in ihrem Erröten über die Schmeichelei einer Mairose glich. Angelegentlich erkundigte er sich bei David nach dessen Schwester, und dieser schüttelte mit einem trübseligen Blick auf Stasi den Kopf. Hannes bemerkte erst jetzt, daß sie ganz schwarz gekleidet war, und versuchte, seine Unzufriedenheit über sich selbst hinter einem Räuspern zu verbergen. Still ging er zu seinem Stuhl.

Ambros, der inzwischen ein Schnäpschen getrunken hatte, legte seinen Arm mit einem stolzen »Gelt!« um Stasis Taille. Frau Carlotta nickte ihm mit einem strahlenden Gesicht zu und trippelte dann zur Tür hinaus, um in ihrem Stübchen zu überlegen, wie sie das Brautpaar würdig bewirten könnte. Es war keine leicht zu lösende Frage. Aber hieß sie nicht La Bona Uschina? Die Nachbarn würden ihr sicher gern aushelfen.

Es sollte jedoch anders kommen.

Ambros zog Stasi vor den Sitz seines Bruders und sagte: »Was nutzt's, daß die Stasi bildsauber ist? Wir sind zwei gar arme Leut, und der Herr Bruder muß uns aus der Not helfen; deshalb sind wir zu ihm gekommen.« Als ihn Hannes darauf fragend ansah, fuhr er fort:

»Die Sach ist, daß ich mit dem Vater Streit gehabt hab.« Stasi machte sich sacht von ihm frei und schlich sich, um ihre Verlegenheit zu verbergen, zu dem Ohm auf die Ofenbank, während Ambros berichtete, wie es um ihretwillen zwischen dem Vater und ihm zum Bruch gekommen war.

Hannes war äußerst betroffen. Daß der Vater die arme Stasi nicht mit offenen Armen als Schwiegertochter willkommen heißen, sondern sich mächtig sträuben würde – das hatte er selbst voraussetzen müssen. Aber er hatte nicht erwartet, ja nicht für möglich gehalten, daß der Klosterbauer lieber sein rechtes Auge ausreißen als seine Einwilligung geben würde. Er fand dafür keine andere Erklärung als den Hitzkopf seines Bruders, und so sagte er denn nach kurzem Nachdenken mit einem Anflug von Unwillen: »Du bist da wieder in deiner gewohnten raschen Weis verfahrn. War's denn die Stasi nit wert, daß du dich gegen den Vater mäßigtest? Wie ist da nur wieder einzulenken?«

»Einzulenken ist da gar nit!« rief Ambros erregt. »Weil die Stasi arm ist und er mich zwingen möcht, die reiche Eckschlagerin aus St. Georgen zu heiraten. Aber das ist noch nit alles, ich hab davon zu Ihnen nit reden mögen, aber was hilft's!« Er teilte dem Bruder mit einer gewissen Hast mit, was ihm die Ahne auf dem Kirchhof über den Vater, die Mutter und deren Verlobungsverhältnis zu Kaspar Larseit erzählt hatte. »Und jetzt wissen Sie, weshalb der Alte so störrisch ist!« schloß er.

Sein Bruder preßte die schmalen Lippen fester und fester zusammen und drehte nervös seine Dose zwischen den Fingern. Ja, jetzt wußte er den Grund; aber die Gedankenkette, die sich daran hängte, führte ihn von Ambros und Stasi ab. Er gedachte seines liebeleeren Daheims, zu dem ihn ja die – gleichviel, durch welche Mittel – erzwungene Ehe seiner Mutter verurteilt hatte. Das war der Fluch, der auf ihrer aller Leben lastete! Er ließ den Kopf auf die Brust sinken, und die Bitterkeit, die ihn erfüllte, spiegelte sich deutlich in seinem Gesicht wider. Da fühlte er sich am rechten Arm berührt. Es war Stasi, die zu ihm getreten war und seine Aufmerksamkeit erregen wollte. »Ach, Herr Hannes«, sagte sie kaum hörbar; doch nicht auf ihn, sondern auf Ambros waren die Augen gerichtet. »Ich hab's ihm ja vorgestellt und ihn gebeten, daß er von mir ablassen möcht. Unsre Lieb bringt uns keinen Segen.«

Aus der Ecke am Ofen, wo David saß, ließ sich ein schwerer Seufzer vernehmen. Ambros, der sich wieder rittlings auf den Stuhl gesetzt hatte und wild in seinen Haaren wühlte, rief mit blitzenden Augen:

»Oho, den Segen erzwingen wir uns schon noch!«

In Hannes dagegen riefen Stasis Worte einen Gedanken wach, der sein bleiches Gesicht rötete: In dem Herzensbunde der beiden war der Fluch gesühnt, den er selbst eben erst wieder so herb empfunden hatte! In diesem Gedanken, den er jedoch nicht aussprach, ging auch die Erinnerung an die Einwände unter, die er früher selbst gegen die Verbindung gemacht hatte. Er legte einen Moment die Hand über die Augen; dann sagte er: »Ich werd euretwegen mit dem Vater reden.«

Diese Worte verbreiteten jedoch nur über Stasis liebliches Gesicht einen Schimmer der Freude. Ambros sagte dagegen: »Nein, Herr Hannes, damit erreichen Sie vom Vater nix! Das ist vergebens. Alles, was Sie ihm vorstelln könnten, hab ich ihm schon selbst gesagt. Schaun Sie, Herr Bruder, der Vater glaubt immer noch, daß ich zu Kreuz kriechen werd. Wann ihm aber da ein Riegel vorgeschoben wird und er sieht, daß er dagegen nix machen kann, nachher wird er sich schon geben. Was kann er denn auch anders tun, wann die Stasi erst wirklich meine Frau ist? Ich bin ja doch sein Erbe. Oder meinen Sie, daß er dem Wolf Lechner, dem Bayer, den Klosterhof verschreiben wird? Ja, da kennen Sie ihn schlecht! Und darum, lieber Herr Hannes«, schloß er tief aufatmend, indem er Stasis Hand ergriff, »darum sind wir zu Ihnen gekommen, daß Sie uns den kirchlichen Segen geben.«

»Ach, ach!« seufzte David in seiner Ecke und schüttelte seinen dicken Kopf. Hannes aber schnellte von seinem Stuhl auf und starrte bald Ambros, bald die in Purpur erglühte Stasi an.

»Jetzt, was kann denn anders geschehn, als daß Sie uns vor dem Altar zusammengeben?« setzte Ambros zuversichtlich hinzu. »Hier, der David Fenchler, was der Vormund von der Stasi ist, ist damit einverstanden. Und Sie müssen doch einsehn, daß ich mit dem, was ich vorhin aufgestellt hab, recht hab!«

Hannes hatte sich wieder hingesetzt und rieb sich die Stirn. Die Gründe des Bruders konnte er nicht widerlegen. Auch in seiner Vorstellung war der Klosterhof von dem Namen Falkner nicht zu trennen. Mochte der Vater noch so hartherzig sein – sein Bauernstolz würde es sicher nie dulden, daß sein Grundbesitz nach seinem Tode in fremde Hände überginge und sein Name in dem Vigiltal erlösche. Bestimmt, er würde klein beigeben, sobald Ambros erst verheiratet wäre. Aber das war es nicht, was jetzt in der Brust des Kuraten wühlte. Er, er sollte über Stasis Ehe den Segen sprechen? Sollte ihm auch nicht der letzte, bitterste Tropfen aus dem bitteren Kelch. den ihm die Liebe reichte, erspart bleiben?

»Solln wir denn wieder fortgehn, wie wir gekommen sind?« fragte Ambros ungeduldig. »Sie sind doch unsre letzte Hoffnung. ›Mein Bruder hilft uns gewiß!‹ hab ich der Stasi gesagt. Und Sie haben ja auch ihrer Mutter versprochen, daß Sie ihr ein Beistand sein wolln.«

»Aber ich kann euch nit helfen!« rief Hannes nun. »Es ist ganz unmöglich. Du vergißt, Ambros, daß du nit mündig bist! Ohne Zustimmung des Vaters darf nit einmal das Aufgebot, geschweige denn die Trauung erfolgen. Das ist gesetzliche Vorschrift.«

Stasi löste bestürzt ihre Hand aus der des jungen Burschen, und David ergriff jetzt zum erstenmal das Wort. »Ja, ich weiß nit, das hab ich auch gemeint«, sagte er.

Ambros ließ sich jedoch dadurch nicht abschrecken.

»Schon recht«, rief er, »aber ich hab halt gemeint, daß der Herr Hannes mein Bruder ist und ein übriges tun wird. Wer wird denn in diesen unruhigen Zeiten groß nachfragen, ob ich heut schon großjährig bin oder nit und ob Sie uns mit oder ohne Einwilligung des Vaters getraut haben?«

»Es geht nit, wann ich auch wollt!« ächzte der Kurat und streckte abwehrend beide Handflächen gegen die Brautleute aus. »Das Gesetz und meine Amtspflicht verbieten's mir.«

Stasi warf sich an die Brust des Ohms und begann zu weinen.

»Es geht alles, wann man einen Willen dazu hat!« entgegnete Ambros mit finsteren Brauen.

Hannes zog sein blaugetüpfeltes Taschentuch aus der hinteren Rocktasche und trocknete sich die Stirn. Stasis Tränen schnitten ihm in die Seele.

»Ich kann's ja nimmer verantworten!« seufzte er.

»Aber das kann der hochwürdige Herr Bruder verantworten«, wandte Ambros vorwurfsvoll ein, »daß ich mit der Stasi nit zusammenkommen kann, bloß weil unser Vater einen Haß auf den ihrigen hat?«

Hannes protestierte entschieden dagegen. Zuviel Unheil sei aus dieser Feindschaft bereits entstanden. »Was kann's dir verschlagen«, fuhr er fort, »wann du noch die wenigen Monate wartst, bis du großjährig bist? Auch mußt du dir doch erst eine Stellung suchen, bevor du heiratst. Du hast ja gegenwärtig nix, wohin du dein Haupt legen kannst.«

»Je nun, so schlimm ist's halt nit«, erwiderte Ambros mit einem Seitenblick auf Stasi, die sich wieder zu dem Ohm gesetzt hatte und die eine seiner großen, harten Hände zwischen den ihren hielt, »Die Stasi Larseit dort hat mich als Großknecht gedungen, weil ihr Ohm mit der Wirtschaft nit recht zu Rand kommt, seitdem seine Schwester tot ist.«

»Das geht nit, das darf nit sein! Solang ihr nit verheiratet seid, dürft ihr nit Hausgenossen sein!« rief der Kurat mit großer Lebhaftigkeit und wurde ebenso rot wie Stasi.

»Ja, was ist da zu tun?« fragte Ambros gedehnt. »Soll ich mir die gute Stell verschlagen, bloß weil der Herr Hannes ein ebenso hartes Herz hat wie unser Vater? Auf den Klosterhof zurück geh ich nit!«

Hannes seufzte. Jeder Ausgang war ihm verstellt. Er war ratlos.

Ambros schielte aus den Augenwinkeln nach ihm, während er, die rechte Hand am Ellenbogengelenk des andern Armes, mit den Fingern der Linken seinen Schnurrbart strich.

»Du darfst das nit tun, hörst?« sagte Hannes nach einer Weile mit eindringlichem Ernst, und als der Bruder darauf die Schultern in die Höhe zog, wandte er sich zu Stasi. Ihr und David wollte er als Freund und Geistlicher ins Gewissen reden. Es gab in den Tiroler Bergen nur zu viele Ehen, die des kirchlichen Segens entrieten, entweder weil die Leute zu arm waren, um die Trauungskosten bezahlen zu können, oder weil der Verbindung von seiten der Gemeinde oder Geistlichkeit Hindernisse in den Weg gelegt wurden. Hannes führte jedoch seinen Vorsatz nicht aus; denn Stasi schaute ihn, indem sie die gefalteten Hände erhob, aus ihren sanften braunen Augen so traurig und bittend an, daß er den schon geöffneten Mund wieder schloß. Wie lieblich war sie doch! Er fuhr sich mit der Hand über sein kurzes, gelbliches Haar, über Stirn und Augen. Es lag in seiner Macht, Stasi glücklich zu machen und ihre Ehre zu wahren! Wo war nun der größere Opfermut, dessen er sich einst in seinem Innern gegen den Bruder gerühmt hatte? Schon bei ihrem ersten Anruf seiner Freundschaft wich er zurück! Er wandte sich zu seinem Schreibtisch, unter dessen Papieren er den Schlüssel zur Sakristei zu suchen begann. Endlich fand er ihn. »So kommt denn in Gottes Namen!« seufzte er.

Die Freude, die bei diesen Worten in den Gesichtern der Liebesleute aufleuchtete, sah er nicht, aber er vernahm sie in dem kleinen Aufschrei Stasis, und ein schmerzliches Lächeln zuckte um seine blutleeren Lippen.

Er stülpte seinen Hut auf und sprach draußen mit Frau Carlotta, während Ambros das geliebte Mädchen in den Mantel hüllte und es dabei fest in seine Arme drückte. Frau Carlotta sollte neben David als Trauzeugin dienen, und gleich nach den anderen erschien auch sie in der Kirche, erhitzt von der Eile, mit der sie sich ein wenig sauber gemacht hatte, und von der Aufregung über das bevorstehende Ereignis. Etwas neugierig war sie wohl auch, weshalb der Sohn des reichen Klosterbauern hier so plötzlich und in aller Stille getraut wurde; aber sie stellte keine Frage danach. Sie würde es ja gelegentlich erfahren, und nach ihrer Überzeugung hätte ein Heiliger eher ein Unrecht begehen können als ihr geistlicher Herr. Und was für ein schönes Paar war es, über das ihr Herr Hannes den Segen sprechen sollte!

Die kleine Kirche war leer, und es herrschte darin eine eisige Luft. Doch die Kälte war nicht die Ursache, weshalb Stasi sich zitternd an Ambros schmiegte. Von der Mittagsseite fielen einige bleiche Sonnenstrahlen in die Kirche; aber sie trafen nicht den Hauptaltar. Auf der andern Seite rüttelte der Nordwind ungestüm an den Fenstern. Dann und wann knarrte die Kirchentür; denn man hatte von den nächsten Häusern aus den Kuraten mit seinen Gästen nach der Kirche gehen sehen. Der Küster und Frau Tyfona waren ihm gefolgt, und die Neugierde lockte die Leute aus den warmen Stuben.

Hannes erschien in seinem weißen Meßgewand noch blasser als gewöhnlich. Eine Rede hielt er dem Brautpaar nicht, sondern beschränkte sich auf die vorgeschriebenen Formeln. Seine etwas hohle Stimme klang mit dumpfem Murmeln durch den öden, kalten Raum. Auch Hannes spürte die Kälte nicht; dennoch zitterten seine Hände, als er sie dem Bruder und Stasi, die vor ihm knieten, segnend auf die Köpfe legte. Nur sie und die beiden Zeugen, die hinter ihnen standen, vernahmen sein Amen. David wiederholte es laut. Er war weniger zerfahren als sonst, und während die kleine Frau Carlotta bei der Zeremonie in Rührung und Tränen zerfloß, bildete sich in ihm die Vorstellung, daß seine Schwester nun auch zufrieden sein würde, da es Hannes war – auf den sie immer so große Stücke gehalten –, der die Ehe einsegnete. Mit einem Lächeln in den verschwommenen Augen blickte er auf das Paar und wartete, bis Stasi für ihn Zeit haben würde.

»Jetzt wird deine Mutter des ewigen Lebens froh werden«, flüsterte er seiner Nichte zu.

Er küßte sie zärtlich auf beide Wangen.

Das war für Stasi das köstlichste Hochzeitsgeschenk, das ihr überhaupt hätte gemacht werden können, und unter glücklichen Tränen stammelte sie: »Ach, Ohm! Lieber, guter Ohm!«

Auch Frau Carlotta küßte Stasi mit großer Zärtlichkeit, und zu Ambros sagte sie: »Die Mannsleut taugen zwar all nit viel – Gott sei's geklagt –, und wann die Madln gescheit wärn, täten sie nimmer heiraten, und Sie werden auch nit besser sein als die andern; aber das sag ich Ihnen, Herr Falkner, wann Sie das Kind nit glücklich machen, dann gibt's keinen schlechtem Menschen, den die liebe Sonn bescheint

– Und jetzt wolln wir machen, daß wir wieder in die warme Stuben kommen! Der Herr Kurat kommt schon nach.«

Hannes war in der Sakristei verschwunden; den Küster hatte er mit einem Wink fortgeschickt

Stolz und triumphierend wie ein Sieger führte Ambros seine junge Frau, deren blühende Farben von der inneren Erregung gedämpft waren, aus der Kirche. Stasi ging wie im Traum an seiner Seite. Das Häuflein Neugieriger, das am Ende des Mittelganges harrte, ließ den kleinen Hochzeitszug stumm an sich vorüber. In den Blicken, die sich die Leute zuwarfen, stand deutlich ein Wohlgefallen an dem jungen Paare zu lesen.

Als sich Hannes später in der Pfarrstube einfand, lag auf seiner stark ausgeprägten Stirn ein Schimmer, hervorgerufen durch den kalten Schweiß, der sie in der Einsamkeit der Sakristei bedeckt hatte. Stasi küßte ihm die Hand – nicht verwirrt wie damals, als sie Ambros die Rose geschenkt, sondern mit einem tief dankbaren Blick. Hatte sie doch aus dieser Hand erhalten, was sie für ihr höchstes Glück hielt Ambros schüttelte dem Bruder fast den Arm aus dem Gelenk. Hannes blieb still und nachdenklich; dann setzte er sich an seinen Arbeitstisch und begann zu schreiben.

Unterdessen hatte Frau Carlotta ein Essen bereitet. Auch eine Flasche Wein, die sie noch flink aus der Schenke geholt hatte, stellte sie auf den Tisch. Hannes trank gewöhnlich nur Wasser.

»Wartet nit auf mich«, murmelte der Kurat weiterschreibend, und Frau Carlotta winkte den Gästen, sich an den Tisch zu setzen und zuzulangen. Nur David aber ließ es sich bedächtig schmecken. Ambros war voller Ungeduld, den Heimweg anzutreten, nachdem er seinen Zweck erreicht hatte, und Stasi vermochte nichts anzurühren. Es war ihr seltsam beklommen zumute; sie hielt die Hand ihres Mannes fest und hatte nur ein mattes Lächeln für die freundlichen Worte, mit denen die gute Nachbarin sie zu ermutigen versuchte. Um Hannes beim Schreiben nicht zu stören, sprach Frau Carlotta nur mit gedämpfter Stimme, und so hörte man deutlich die ungemütliche Musik, die der Nordwind zu dem wunderlichen Hochzeitsmahl aufspielte. Die kleine Frau konnte sich einer schlimmen Vorahnung für das Glück des jungen Paares nicht erwehren. Sie griff rasch nach der Flasche, schenkte die Gläser voll und rief, mit Ambros und Stasi anstoßend:

»Glück und Segen! Glück und Segen!«

Da erhob sich auch Hannes; die Gänsefeder hinter das Ohr steckend, ergriff er sein Glas und stieß auf das Wohl der Neuvermählten an. »Ich hab den Vater von dem Geschehnen in Kenntnis gesetzt und ihn für uns beide um Verzeihung gebeten«, wandte er sich darauf an den Bruder. »Ich hoff, daß meine Gründe und Vorstellungen sein Herz wenden werden. Ihr beide aber mögt eingedenk sein, daß Gott eure Herzen zusammengeführt hat, um durch eure Lieb der Eltern Irren, Fehlen und Leiden zu sühnen.«

Er kehrte zum Schreibtisch zurück, schrieb noch einige Zeilen, worauf er den Brief faltete und siegelte und Ambros übergab, der ihn auf den Klosterhof schicken sollte.

Ambros, der mit den Augen bereits Hut und Mantel suchte, versprach es leichthin, als handele es sich um eine Gefälligkeit, die nur den Bruder, nicht ihn selbst beträfe. Als er und Stasi dann reisefertig waren, rief er jedoch, Hannes die Hand schüttelnd, mit Herzlichkeit: »Gott vergelt's Ihnen, daß Sie uns geholfen haben, und wann Sie mal in der Klemm stecken, dann denken Sie an mich! Gott soll mich strafen, wann ich Sie nit herausbeißen tu!«

»Am besten wirst mir dadurch danken, daß du Stasi glücklich machst«, entgegnete Hannes mit einiger Anstrengung. »Und wann du das Fluchen laßt!« fügte er fester hinzu.

Er trat ans Fenster und sah ihnen nach; dann neigte er den Kopf und murmelte: »Consummatum est!« Consummatum est! – (lat.) Es ist vollbracht! – Letztes Wort Christi am Kreuz (nach Johannes 19, 30).

Frau Carlotta, die ihnen bis vor die Haustür das Geleit gegeben und Stasi wieder und wieder geküßt hatte, als ob sie ihre Tochter wäre, seufzte, indem sie in ihre Stube zurückkehrte: »Arme Taub! Arme Taub!« Sie wußte nun aus den Äußerungen ihres Kuraten, warum die Trauung so ohne alle Umstände vor sich gegangen war.

Ambros deckte Stasi mit seinem Körper vor dem Sturm, gegen den er die rechte Schulter vorstemmte. David, der sich seinen Hut mit dem Taschentuch festgebunden hatte, schlurfte gekrümmt hinter ihnen her. Hätte es das Brausen des Sturmes nicht unmöglich gemacht, so hätte Hannes den fröhlichen Jauchzer gehört, den Ambros jenseits des Flüßchens als letzten Gruß zurücksandte. Das Jöchl war bereits zu tief eingeschneit, als daß es einen Übergang gestattet hätte; die Wanderer mußten daher den weiteren Weg talabwärts bis zur Einmündung des Vigilbaches bei Zwischenwasser verfolgen. Wie eisig ihnen auch der Nord entgegenwehte – Ambros und Stasi fühlten ihn nicht. Ambros brach des Sturmes Gewalt für Stasi, und zuweilen ging er rückwärts, um sich an seiner kleinen Frau zu weiden, deren braune Augen ihn aus dem vor Kälte glühenden Gesicht still und glückselig anleuchteten. Jenseits der Gader erhob sich über steil abfallenden Wänden der Peitlerkofl, dem der Schnee eine weiße Halskrause umgelegt hatte. Ambros neckte Stasi damit, daß sie auf dem Heimweg von St. Lorenzen von dem Jagerbub und seinem Schatz gesprochen; jetzt seien sie beide dennoch ein Paar. Stasi blickte ihn mit einem verschämten Lächeln an. Plötzlich lief sie mit ausgestreckten Armen auf ihn zu und warf sich an seine Brust.

»Juch, juch, mein kleines Fraule!« scholl es übermütig in den Sturm, und im Wirtshaus zu Zwischenwasser hielten sie fröhliche Rast

Zwei Tage später stand der Klosterbauer morgens auf der Schwelle seines Kuhstalls und überschaute mit Wohlgefallen seine Rinder, die nun wieder ihr Winterquartier bezogen hatten und in langer Reihe an den Krippen standen. Da kam ein kleiner Bursche auf den Hof, der einen Brief in der Hand trug. Seine roten Backen waren schwarz von Ruß, und die Hand, die den Brief hielt, war nicht sauberer. Es war der Lehrjunge Wolf Lechners, dem Klosterbauern nicht unbekannt

Von wem der Brief sei, fragte dieser gedehnt

Der Junge zeigte grinsend seine blendendweißen Zähne. Daß ein so großmächtiger Mann wie der Klosterbauer das nicht wußte! »Ja, mein Meister schickt ihn«, rief er und galoppierte davon.

Eile mit Weile – so schickte es sich für den Großbauern. Der Klosterbauer steckte den Brief in die Tasche, sah noch eine Weile dem Fressen der Rinder zu, ging dann zu den Dreschern auf die Tenne und warf erst noch einen Blick in den Pferdestall – alles mit Gemessenheit –, ehe er sich in seine Stube begab.

Breit pflanzte er sich in seinen Lehnstuhl und erbrach den Brief. Zuerst sah er nach der Unterschrift auf der zweiten Seite. »Ja, was hat mir der denn zu schreiben,« murmelte er, als er den Namen seines jüngeren Sohnes las. Statt sich jedoch aus dem Brief darüber zu unterrichten, schloß er die Augen bis auf ein Spältchen, was seinem Gesicht einen lauernden Ausdruck gab. Dann züngelte es wie Triumph um seinen Mund. Nach seiner Ansicht konnte das Schreiben nichts anderes enthalten als eine Fürbitte, Ambros wieder in Gnaden aufzunehmen, und hierin bestärkte ihn der Umstand, daß der Brief durch Wolf Lechners Hände gegangen war. Er hatte nicht ein einziges Mal nach Ambros gefragt, seit dieser den Klosterhof verlassen, denn er war überzeugt, daß sich der ungehorsame Sohn schon wieder einfinden würde. Mochte Ambros alle Zügel zerreißen – der goldene Zügel, den er, der Klosterbauer, in der Hand hielt, bändigte ihn, und nun hatte er ja auch um die Vermittlung seines Bruders in St. Martin nachgesucht! Oh, sie steckten alle unter einer Decke: die Brüder, der Schmied und Lisei! Aber sie kannten den Klosterbauern schlecht, wenn sie sich einbildeten, daß er Ambros nun auch gleich die Hand entgegenstrecken würde! Erst sollte Ambros noch eine gute Weile zappeln. Er setzte sich behaglich zurecht.

»Lieber Vater«, begann er zu lesen, und bei sich brummte er: »Hat sich was!«

Plötzlich ging ein Laut durch das Haus, der so fremd, so unheimlich war, daß alle, die ihn hörten, namenloser Schrecken überkam. Es klang halb wie der Aufschrei eines wilden Tieres, halb wie das Lachen eines Wahnsinnigen. Die Mägde in der Küche unterbrachen jäh ihre Arbeiten. Lisei flog nach der Wohnstube. Der Anblick, der sich ihr hier darbot, hielt sie zitternd auf der Schwelle fest. Der Klosterbauer tobte wie ein Besessener in der Stube umher und schlug mit den Fäusten nach allem, was ihm in die Quere kam. Er hämmerte auf den Tisch, gegen den Ofen, gegen die Schränke. Ein Stuhl, der ihm im Wege gestanden haben mochte, lag zerbrochen auf der Erde. Den Brief des Kuraten hatte er kurz und klein gerissen, und seine Fetzen lagen über den Fußboden verstreut.

Bevor die erschrockene Lisei sich fassen und eine Frage stellen konnte, stürmte der Klosterbauer geradewegs auf die Tür zu, und wäre Lisei nicht schnell beiseite gesprungen, hätte er sie niedergerannt. Er fuhr zum Hause hinaus und vom Hofe. Die Knechte blickten ihm wie versteinert nach. Alle Würde, ohne die sie sich ihn bisher nicht hatten vorstellen können, war von ihm gewichen, weggewischt wie der Goldschaum von einem Weihnachtsapfel. Das gesamte Gesinde lief an der Ecke des Wohnhauses zusammen.

In seinen Werktagskleidern, ohne Mantel, die abgenutzte Iltispelzmütze auf dem wirren Haar, verfolgte der Klosterbauer hastig die Straße nach St. Vigil. Nur eines Gedankens war er sich in seiner unbeschreiblichen Wut bewußt. Er eilte nach der Pfarre. Vefa, die sich in ihrer Stube befand, hörte ihn die Magd nach dem Pfarrer fragen und eilte sofort neugierig herbei. Aber schon schloß sich hinter ihm die Tür der Studierstube, und es blieb Vefa nichts übrig, als von der oft erprobten Schärfe ihres Gehörs Aufschluß über das Geschäft ihres Bruders bei Herrn Moltenbecher zu erwarten. Der Klosterbauer sprach denn auch laut genug, um diese Erwartung seiner Schwester nicht zu täuschen.

Der Pfarrer betrachtete den Klosterbauern mit einigem Kopfschütteln, denn er bemerkte sofort dessen bis zur Verstörtheit aufgeregtes Wesen. Der Klosterbauer fing auch gleich, ohne die Aufforderung zum Reden abzuwarten, von seiner Angelegenheit an, und wenn er sonst darauf hielt, mit langsamer Bedächtigkeit zu sprechen, so wollte der noch immer in ihm kochende Zorn jetzt keinem Wort vor dem andern Raum gönnen. Er redete heftig und verworren und focht dazu mit den Händen in der Luft herum. Der alte Herr hielt es für das beste, die Redeflut des Klosterbauern fortsprudeln zu lassen, bis sie sich erschöpft hätte. Die Hände über dem Bäuchlein gefaltet, hörte er schweigend zu und schüttelte nur zuweilen den weißen Kopf oder schoß aus seinen kleinen Augen einen scharfen Blick auf den Erregten.

»Schau, schau, schau! Das hätt ich dem Hannes nit zugetraut!« war alles, was er äußerte, als der Klosterbauer fertig war.

»Oh, der Hannes!« sprudelte dieser wieder los und ballte die Faust. »Dem werd ich's schon noch weisen, daß er an mich denken soll zeitlebens! Aber jetzt, die Eh ist ungültig, weil ich nit meinen Konsens gegeben hab und der Ambros unmündig ist. Sie müssen auseinander, der Ambros und die Larseit! Und das verlang ich von Ihnen, denn Sie sind der Pfarrer in unsrer Gemeind.«

»Nur ruhig Blut, Mann«, versetzte Moltenbecher, wobei er die Rechte ein wenig hob. »Die Sach geht mich gar nix an, und ich hätt höchstens mit dem Hannes ein Hühnchen zu rupfen, weil er mir die Traugebührn weggeschnappt hat. Der Sohn des reichen Klosterbauern wird sich natürlich nit haben lumpen lassen, hei«

Wenn es seine Absicht war, mit diesem Scherz einen Tropfen sänftigendes Öl auf das Klosterbauern zornig wogendes Gemüt zu gießen, so war sie verfehlt. Der Klosterbauer fand den Scherz ebensowenig nach seinem Geschmack, wie er der lauschenden Vefa gefiel, und er grollte, daß er nicht zum Spaßen gekommen sei.

»Je nun«, entgegnete der Geistliche gelassen, »jedes Ding hat zwei Seiten, und Ihr seid alt genug, Klosterbauer, um das auch zu wissen. Ihr seid erbittert, daß der Ambros ohne Eure Einwilligung geheiratet hat, und wollt die Ehe für ungültig erklärn lassen, gut! Aber ich werd Euch die andre Seit der Angelegenheit zeigen. Ihr trotzt auf Euer Recht, aber Ihr vergeßt, daß der Ambros auch ein Recht hat. Seht, Klosterbauer, wann er mit seinem Anliegen zu mir gekommen wär, statt zu seinem unerfahrnen Bruder zu gehn, so würd ich ihn zwar nit getraut haben – denn ich mag in diesen bösen Zeiten nix mit den weltlichen Gerichten zu tun haben –, aber ich hätt ihm gesagt: Da der Vater dir ohne jeden vernünftigen Grund seine Einwilligung verweigert, so trag beim Gericht darauf an, daß er dazu gezwungen wird! Und ich sag Euch, Klosterbauer, das Gericht würd ihn ermächtigt haben, ohne Eure Zustimmung sich aufbieten und traun zu lassen.«

»Was?« schrie der Klosterbauer. »Ich hätt keinen Grund nit?«

»Oh, Gründe habt Ihr schon, das weiß ich«, erwiderte Herr Moltenbecher, »aber keinen einzigen, der stichhaltig wär. Darum rat ich Euch, daß Ihr gute Miene zum bösen Spiel macht. Ihr könnt von hier stehenden Fußes aufs Gericht gehn und auf Ungültigkeit der Ehe klagen. Vielleicht erreicht Ihr Eure Absicht, vielleicht auch nit. Eins aber ist ganz bestimmt, Klosterbauer: kein weltlicher Richterspruch zerreißt das Band, mit dem die Kirche Euern Sohn und die Stasi verbunden hat. Vor der Kirche bleiben sie Mann und Frau, bis der Tod die Ehe trennt. Kein Teil kann zu einer neuen Ehe schreiten, solang der andre Teil noch nit das Zeitliche gesegnet hat. Sie können getrennt leben, aber verheiratet bleiben sie. Versteht Ihr mich, Klosterbauer?«

Dieser verstand ihn nur zu wohl, und die Eröffnung traf ihn wie ein Keulenschlag. Dann aber rief er: »Gleichviel, auseinander müssen sie!«

»Und warum müssen sie?« fragte der Pfarrer gelassen. »Die Stasi ist ein sittsames, frommes und fleißiges Madl, und wann Euer Ambros noch auf einen guten Weg zu bringen ist, dann geschieht's durch sie. Ihr braucht mich deshalb nit so bös anzuschaun. Was ich von dem Madl sag, ist die lautere Wahrheit. Sie ist für den Ambros tausendmal zu gut. Aber das soll alles nit gelten, weil sie zu ihrem Kopfkissen keinen Geldsack hat wie Ihr. Jetzt aber seht Ihr, daß das Geld allein nit glücklich macht. Was, Mann, hätt Euch der Ambros sonst den ganzen Bettel vor die Füß geworfen?«

»Trotz ist's!« schnob der Klosterbauer. »Aber ich werd's ihm zeigen, daß er damit gegen meinen Willn nit aufkommt! Sie müssen auseinander!«

Herr Moltenbecher machte mit der Hand eine abwehrende Bewegung und sagte mit schärferer Betonung: »Trotz nennt Ihr's, weil er nit auf Eure, sondern auf seine Weise das Glück versteht. In Euch steckt der Trotz, Klosterbauer! Ich will Euch auch sagen, was Euch in Euerm Trotz steift: Ihr könnt den Span nit vergessen, den Ihr mit dem Kaspar Larseit gehabt habt!«

»Was hat der denn hier zu tun?« murrte der Klosterbauer.

Herr Moltenbecher aber fuhr, näher an ihn herantretend, fort:

»Könnt Ihr's leugnen? Ihr habt dem Kaspar Larseit schweres Unrecht angetan, und darum haßt Ihr ihn – das ist so der Lauf der Welt. Ihr habt auf seine Kosten glücklich werden wolln, und das ist fehlgeschlagen; folglich muß er's entgelten. Und Euer Haß auf ihn ist um so giftiger, weil Ihr das Bewußtsein nit los werdet, daß er von Euch beiden der bessere Mann war.«

Dem Pfarrer hierin recht zu geben war denn doch von dem Dünkel des Klosterbauern zuviel verlangt, Die Berührung dieses wunden Flecks veranlaßte ihn, sich nur um so protziger zu gebaren. Er stellte sich breit hin, zuckte verächtlich die Schultern und sagte: »Der? – Aber dazu bin ich nit hergekommen, Hochwürden!«

»Wirklich nit?« fragte dieser mit einem spöttischen Blick und faßte den Klosterbauern bei einem Knopf seiner Joppe. »Aber man muß den Teufel zwicken, wann er in der Klemm sitzt. Da ich Euch einmal in der Wäsch hab, sollt Ihr mir auch fein gesäubert daraus hervorgehn. Ja, ja, Klosterbauer, wann Ihr auch all Euer Geld, Haus, Hof und Vieh in Eure Schal nehmt – es drückt sie nit gegen die des Larseit herunter. Aber Behauptungen allein tun's nit. Ich will Euch also was erzähln! Setzt Euch und hört mir zu!«

Der Klosterbauer blieb jedoch stehen und verschanzte sich hinter seiner hochmütigsten Miene. Der Pfarrer ließ sich nieder, und nachdem er sich das Käppchen auf dem silberweißen Haar zurechtgerückt hatte, begann er:

»Ihr erinnert Euch doch noch des Tags, an dem wir Euer unglückliches Weib zur ewigen Ruh bestatteten? Gut. Das Trauermahl wurde im ›Stern‹ gehalten, und Ihr ließt was draufgehn. Es war ja die Klosterbäuerin, die begraben worden war! Ja, ja, es ging hoch her bei dem Gedächtnismahl! Der Toten gedacht freilich keiner dabei. Ich hab mir sagen lassen, daß schon die Sterne am Sommerhimmel standen, als die Leidtragenden, des süßen Weins voll, nach Haus taumelten. Wärn ein schöner Brauch, diese Trauermahlzeiten, wann man dabei der lieben Verstorbenen gedächt! Bei Euch aber dienen sie nur dazu, um der Völlerei zu frönen. Nun, ich hatt mich früh davongemacht, und wie ich heimkomm, wer wartet hier auf mich? Der Kaspar Larseit! Was er wollt, Klosterbauer? – Seht, er hatte die Kathi nimmer vergessen. Er hat gemeint, es gäb keine größere Sünd auf der Welt als die Untreu, und es war ihm schrecklich, daß Euer Weib mit dieser Sünd auf dem Herzen, zu der Ihr sie verlockt hattet, Klosterbauer, vor ihren ewigen Richter treten sollt. Im ›Stern‹ merkte man auch, daß wohl kein Jahr vergehn und eine neue Klosterbäuerin auf Euerm Hof wirtschaften würd. Man trank wohl gar auf das Wohl der künftigen Klosterbäuerin. Und der Kaspar Larseit legte mir Geld auf den Tisch, damit ich für Euer verstorbenes Weib Messen lesen sollt und Fürbitte tät. Ihr aber habt nit daran gedacht. Ich denk, Klosterbauer, er war der bessere Mann! Er hat der Toten ihre Schuld gegen ihn vergeben. Ihr aber wollt Euer Unrecht, das Ihr an dem Mann begangen habt, noch heut nit einsehn, verfolgt den Unschuldigen mit Euerm Haß noch übers Grab hinaus und wollt ihm sogar noch sein Kind opfern!«

Er selbst war gerührt von dem schönen Herzenszug Larseits, von dem er berichtet, und in seinen Augen glänzte ein feuchter Schimmer. Der Klosterbauer jedoch blickte störrisch und finster zu Boden. Ehe er sich durch den Toten für überwunden erklärt hätte, hätte er den Kopf lieber auf den Richtblock gelegt. Es schärfte seinen Haß nur, daß der Pfarrer den Verstorbenen über ihn stellte, und zugleich fraß der Zorn an seinem Herzen, daß er sich wie ein Schulbube herunterputzen lassen mußte, ohne dreinfahren zu können. Er schnitt es Ambros aufs Kerbholz.

»Nehmt Euch also ein Beispiel!« fuhr der geistliche Herr fort, nachdem er eine Weile vergebens auf eine Äußerung des Klosterbauern gewartet hatte. »Laßt Euern Groll fahrn und gebt den Leutchen Euern Segen.«

»Auseinander müssen sie!« stieß der Klosterbauer jetzt wild heraus und stampfte mit dem Fuß.

»Ihr schwätzt wie ein Starmatz immer dasselbe Wort!« wallte nun auch der Pfarrer auf und erhob sich. Gemäßigter setzte er hinzu: »Ich hab von Eurer Schwester gehört, daß Ihr dem Ambros die Tochter vom reichen Eckschlager in St. Georgen zum Weib geben wolltet. Weder aus dieser Partie noch aus einer andern kann nun was werden. Denn ich wiederhol Euch: alles, was Ihr von den Gerichten erwirken könntet – ich glaub aber nit, daß Ihr was erreichen werdet, und Ihr hättet dann noch den Spott obendrein –, wär eine Trennung von Tisch und Bett; eine Ehescheidung gibt's zwischen katholischen Christen nit.«

Er redete jedoch in den Wind; der Klosterbauer war zu keiner Versöhnung zu stimmen, und das Vergebliche seiner Bemühungen erkennend, entließ ihn der Pfarrer schließlich mit einem Seufzer.

Vor der Stubentür empfing Vefa, den Finger auf den Mund gelegt, ihren Bruder und wollte ihn in ihr Stübchen ziehen. Er aber schüttelte sie rücksichtslos von sich ab und stieß in seinem Zorn Worte gegen Ambros und Hannes aus, daß der alte Herr, der sie deutlich vernahm, erschrocken ein Kreuz schlug.

Als der Klosterbauer nach seinem Hof zurückging, trat er auf, als wollte er das Geröll unter seinen Schuhsohlen zermalmen.

Vefas Herz war von dem Erlauschten zu voll, als daß Sie nicht nach einer teilnehmenden Seele verlangt hätte, und sobald Herr Moltenbecher sich zum Mittagsschläfchen hingelegt hatte, eilte sie nach der Sägemühle.

Sie fand Arigaya und seine Frau in der Wohnstube, und statt eines Grußes warf sie sich mit dem Jammerruf »Ach, das Unglück!« auf den nächsten Stuhl.

Der Müller, der mit seinen Holzrechnungen beschäftigt war, schaute etwas verwundert auf. Afra aber, die ihm gegenüber am Tisch saß und nähte, fragte mit spöttischer Teilnahme, ob ihr eine Partie, die sie schon am Bändel zu haben geglaubt, plötzlich ins Wasser gefallen sei. Vefa warf der schönen Müllerin, deren Wangen nicht mehr so rosig wie sonst blühten, einen bösen Blick zu und sagte spitz: »Ihr habt freilich Euern Spaß dran, wann andern Leuten das Herz bricht!«

»Wem bricht's denn?« fragte der Alte trocken, und seine Frau meinte:

»Aber Mann, merkst denn nit, daß es der Jungfer ihrs ist? Mich wundert's, daß du noch ein Stücklein davon ganz gelassen hast.«

Der Scherz kam mit einer auffallenden Herbheit über ihre Lippen. Zwar wußte sie, daß ihr Mann nie daran gedacht hatte, Vefa zu seiner Frau zu machen, aber seit ihrer letzten Begegnung mit Ambros auf der Fahrt nach Zwischenwasser war wiederholt der Wunsch in ihr aufgetaucht, daß irgendeine andere an ihrer Stelle wäre. Vergeblicher Stolz, mit dem sie sich gegen ihr Herz wehrte! Es hätte ihn stärken sollen, daß Ambros sein damaliges Versprechen nicht gehalten und sich auf der Mühle nicht hatte blicken lassen; allein, es hatte ihn unterwühlt, und sie wußte bereits, daß er am Allerseelentage mit Stasi auf dem Kirchhof gewesen war. Wenn sie frei gewesen wäre, als sie ihn kennengelernt hatte, wäre es nie zum Bruch zwischen ihnen gekommen. Wie anders dann alles!

Die Kette klirrte an ihren Händen.

Ihr Mann lachte gutmütig über ihre Stichelei, die Vefa vor Zorn feuerrot machte. Schon fältelte sie süßlich den Mund zu einer giftigen Entgegnung, als Jerg aus dem Werkraum in die Stube kam, und statt die Bosheit herauszuschleudern, flötete sie: »Da ist der Jerg! Der kann's Euch ebensogut sagen wie ich: Er ist gewiß dabeigewesen – ist er doch dem Ambros sein bester Freund.«

Afra fühlte einen Stich im Herzen; hastig nahm sie die Arbeit, die sie bei Vefas Eintritt hatte auf den Schoß sinken lassen, wieder auf und beugte den Kopf darüber.

Jerg schaute die Anwesenden fragend an und erkundigte sich, wovon die Rede sei, wobei er zugegen gewesen sein sollte.

Nein, wie diese Mannsleut sich verstelln können!« rief Vefa. »Gesteht's doch nur! Denn zu ändern ist es doch nit mehr, obgleich Ihr Euch schon vorstelln könnt, was es für meinen armen Bruder und für mich für ein Donnerschlag gewesen ist. Aber wahr muß's sein, Ihr erweist Euch als ein echter Freund von dem Ambros! Ihr seid stumm wie's Grab, und lustig genug wird's auf der Hochzeit in St. Martin schon zugegangen sein.«

»Schwatz du dem Teixel ein Ohr ab!« rief Jerg grob. »Da soll einer draus klug werden!«

»Also auch vor Euch hat er's geheimgehalten?« fragte Vefa. »Und Ihr wißt nit, daß der Ambros sich in St. Martin von seinem Bruder mit der Stasi Larseit hat traun lassen?«

Die Wirkung dieser Mitteilung auf die Hörer zeigte sich zunächst in deren Schweigen, und ein paar Sekunden lang vernahm man nichts als das Zischen der großen Säge in dem Werkraum und das Brausen, mit dem das Wasser auf das Triebrad fiel. Afra hatte den Kopf tief auf ihre Näharbeit gesenkt, um ihr Erblassen zu verbergen, während Jerg seine kleinen dunklen Augen durchdringend, fast durchbohrend auf Vefa gerichtet hielt. Der alte Arigaya strich kopfschüttelnd über ein vor ihm ausgebreitetes Papier, dessen Zahlen er geprüft hatte.

»Und das soll kein Unglück sein!« seufzte Vefa.

»Je nun, für den Klosterbauer mag's wohl eins sein«, nahm der Alte jetzt das Wort. »Hat mit dem Ambros immer gar hoch hinaus wolln. Aber ob auch für den Ambros? Der hätt schlechter fahrn können. Die Larseit ist eine brave Gitsche – das weiß ganz Vigil.«

»Freilich, freilich, selbiges hab ich meinem Bruder auch gesagt«, log Vefa und blickte Jerg dabei bedeutungsvoll an. »Aber Ihr wißt, die Stasi ist dem Klosterbauer viel zu gering, und er ist darüber ganz aus dem Häuschen, auch gegen den armen Hannes, der sie heimlich getraut hat. Fuchswild ist der Klosterbauer auf ihn. Verwünscht und verflucht hat er ihn vor meinen hörenden Ohren, daß mir die Knie vor Schreck gezittert haben – ihn und den Ambros auch. Ja, auch den Ambros, obgleich er sein Herzblättchen ist.«

Afra schrie laut auf und ließ ihre Arbeit fallen.

»Na, na, es wird nix so heiß gegessen, wie's gekocht wird!« beschwichtigte ihr Mann.

Jerg, der mit nachdenklichem Gesicht dagestanden und dabei sein spitzes Kinn mit der einen Hand umfaßt gehalten hatte, ging, ohne ein Wort zu verlieren, in den Mühlenraum zurück.

»Gott geb's!« seufzte Vefa. »Aber mein Bruder ist wie der Ambros: was sich ihm nit biegen will, zerbricht er. So wütend hab ich ihn in meinem ganzen Leben noch nit gesehn. Er hätt keine Söhne mehr, und ich sollt ihm stillschweigen, schrie er. Und verübeln kann ich's ihm nit. Wann ich bedenk, was der Ambros ihm für eine angesehne Söhnerin hätt ins Haus führn können! Und wirft sich so weg!«

»Oho, Jungfer Vefa!« versetzte der Müller unwillig. »Ihr vergeßt, daß es der Klosterbauer seinerzeit nit besser gemacht hat! Und was das Wegwerfen betrifft, da wolln wir halt nit untersuchen, wer sich weggeworfen hat! Nix für ungut, Jungfer Vefa!«

Diese bewegte sich kampflustig auf ihrem Sitz hin und her. Afra hatte den Kopf in die Hand gestützt und regte sich nicht. Ein Blick auf sie, die ja auch ein armes Mädchen gewesen war, machte Vefa klar, daß sie besser daran täte, zu schweigen. »Ja, ja, ja«, seufzte sie und stand auf, um fortzugehen.

Nur der Müller erwiderte ihren Gruß. Die junge Frau achtete ihrer nicht noch regte sie sich.


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