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21. Kapitel

Jerg rauchte auf der Vorlaube des Klosterhofes seine Morgenpfeife, wobei er sich mit beiden Unterarmen auf das Geländer lehnte. Es war am Tage nach der Hochzeit und für eine Morgenpfeife eigentlich schon etwas spät. Lisei war längst in dem großen Haushalt tätig. Von der Hochzeit würde man im Tale noch lange reden. Wie wenig die Partie auch dem heimlichen Ehrgeiz des Klosterbauern entsprach, so hatte er doch bei der Ausrichtung nicht gespart. St. Vigil sollte daran erinnert werden, daß er der reichste Großbauer der Talschaft war. Für Vefa, die die Rolle der Hausfrau übernommen hatte – Lisei konnte ja nicht Braut und Wirtin zugleich sein –, war es der stolzeste Tag des Lebens gewesen. Er hatte nicht nur ihre Bemühungen, die beiden reichsten Familien zu verbinden, gekrönt, sondern ihr auch Gelegenheit geboten, ihr auf der Pfarre ausgereiftes Kochkünstlergenie allseitig im höchsten Glanze zu entfalten. Schon acht Tage zuvor hatte sie sich des Küchendepartements auf dem Klosterhofe bemächtigt, und nun ruhte sie in Liseis bisheriger Schlafkammer noch auf den Lorbeeren, die sie von den zahlreichen Gästen geerntet hatte. Auf keinem unter ihnen aber hatte ihr hausfrauliches Auge fürsorglicher geruht als auf dem alten Arigaya, und wenn der Müller, der freilich ein starker Esser war, heute nicht krank lag, so war es nicht ihre Schuld.

Er war allein dagewesen, denn Afra hatte sich entschieden geweigert, der Hochzeit ihres bittergehaßten Stiefsohnes beizuwohnen. Um Liseis willen war er hingegangen und hatte deshalb auch nicht auf das kühle Verhalten des Klosterbauern geachtet, der es ihm noch immer nachtrug, daß er es abgelehnt hatte, für Jerg zu werben. Er war wohl unter den Gästen der einzige gewesen, der die Beweggründe ahnte, aus denen Lisei die Frau seines Sohnes geworden, und der sich ihre auffallende Blässe zu erklären vermochte. Schwerlich aber hatte in St. Vigil schon eine Trauung stattgefunden, bei der unter den unbeteiligten Zuschauern das Gefühl drohenden Unheils so allgemein gewesen war …

Die Kirche von St. Vigil war fast ebenso voll wie bei dem Begräbnis des Pfarrers Moltenbecher, und Angelo Lacedelli vollzog die Trauung. Der Klosterbauer hatte gewollt, daß die Ehe in Enneberg von dem Dechanten eingesegnet wurde, und zwischen den Brautleuten war es darüber zu einem ersten harten Streit gekommen; denn Lisei hatte sich auf die Seite des Vaters gestellt, und auch Vefa hatte ihre ganze Beredsamkeit gegen eine Trauung durch den Judas Ischariot aufgeboten, wie sie Lacedelli zu nennen fortfuhr. Jerg jedoch hatte in Scherz und Ernst, mit Spott und vernünftigen Gründen auf dem

neuen Pfarrer bestanden. Sein Triumph über Ambros wäre nicht vollständig gewesen, wenn er Lisei nicht just in St. Vigil zum Altar geführt hätte! Diesem Grund konnte er freilich nicht offen bekennen; aber mit einem anderen hatte er bei dem Klosterbauern durchgeschlagen, und Lisei hatte sich fügen müssen. Er sei gewiß ein ebenso guter Tiroler, wenn nicht ein besserer als all jene, die da hinter der vorgehaltenen Hand auf die Bayern schimpften, hatte er versichert, aber es wäre doch geradezu Verrücktheit, der Regierung offen Trotz zu bieten, indem man Lacedelli überginge und sich an den römisch gesinnten Dechanten wendete. Man habe es ja in St. Vigil schwer genug erfahren, wie die bayrische Regierung dareinführe, wenn ihr etwas gegen den Strich ginge. An anderem Orten, wo sich die Leute gegen die von ihr eingesetzten Geistlichen gesträubt hätten, habe sie eine Kompanie Soldaten ins Quartier gelegt, die auf Kosten der Gemeinde schwelgten und praßten und jedem Übermut trieben, bis die Bauern sich fügten. Auf St. Vigil hätte der Kreishauptmann von Hofstetten noch einen altem Span, und der Klosterbauer könne sich darauf verlassen, daß es ihn jener gelegentlich entgelten lassen würde, daß er nicht nur der Vater des Ambros sei, sondern auch der des Kuraten Hannes, der durch seine heimlichen Predigten die Leute in ihrem Widerstand gegen den Pfarrer von St. Vigil unterstütze. Es sei doch nicht anzunehmen, daß die Regierung um die Bergpredigten des Hannes nicht wisse. Wie lange es der Klosterbauer wohl aushielte, wenn man ihm eine halbe Kompanie Soldaten auf den Hof legte!

Aber welche Wirkung konnte der Ehesegen eines abtrünnigen Priesters haben? Das war es, was sich die Zuschauer bei der Trauung fragten. Ein solcher Segen konnte keine Kraft haben und galt nichts vor Gott! Lisei dachte ebenso, und es durchrieselte sie eisig, als sie den blonden Kopf unter die Hand Lacedellis beugte. Was half die schöne Traurede, die er hielt und in der er darauf hinwies, daß der wahre Segen aus dem Herzen der jungen Eheleute erblühen müsse, wenn der Segen Gottes nicht ausbleiben sollte? Die Mehrzahl der Anwesendem hörte daraus nur das Geständnis des meineidigem Priesters, daß er seinem Segen selbst nicht die Kraft beimaß, die Gott doch jedem seiner echten, geweihten Diener verlieh; und so prophezeiten sie Jerg und Lisei alles mögliche Unglück. Wenn Lacedelli den Zuhörern hätte ins Herz blicken können, so wäre er erschrocken gewesen, wie weit sie davon entfernt waren, die Religion innerlich zu fassen, und wie groß der Groll gegen ihn war, den er damit in ihrer Brust schürte. Andere wieder verargten es dem Klosterbauern, daß er seine Tochter durch den abtrünnigen Pfarrer trauen ließ. Wenn sich ein so angesehener und unabhängiger Mann wie er dem Despotismus der Fremdherrschaft in Glaubenssachen fügte, wo sollte dann der Arme und Schwache den Mut zum Widerstande hernehmen?

Das war auch die Meinung des Löffel-Franz, der sich in der Hoffnung, ein Geschäft zu machen, mit seinem Kram eingefunden und auf der Bank an der Kirchhofsmauer etabliert hatte. Das Gamsmanndl stimmte ihm bei, und als der Hochzeitszug von der Kirche unter fortwährendem Schießen heimbegleitet wurde und vom Klosterhof her der Böller krachte, da ärgerte er sich über die Pulververschwendung. Als ob es keine Bayern und Franzosen im Lande gäbe! Der Löffel-Franz aber sagte ausspuckend, er traue dem Jerg nicht über den Weg. Es könne von dessen Seite kein rechtschaffenes Raufen mit Ambros gewesen sein, sonst würde er sich nicht das Haar so tief über die Stirn herunterkämmen, um die Narbe zu verbergen.

Das Mißtrauen, das die ehrlichen Leute in ihn setzten, und die schlimmem Prophezeiungen, zu denen die Trauung durch Lacedelli Veranlassung gab, hätten bei Jerg nicht das Gewicht eines Strohhalms gehabt, auch wenn er darum gewußt hätte. Er hatte sein Ziel erreicht! Und als es der Zufall wollte, daß der Böller auf dem Klosterhof beim drittem Schuß zersprang – glücklicherweise ohne Schaden anzurichten –, da nahm er es in innerem Widerspruch zu den Gästen als ein gutes Vorzeichen: Das Regiment der Falkner auf dem Klosterhofe war zu Ende, und das seine begann.

Mit diesem Gefühl blickte er am Morgen nach seiner Hochzeit von der Galerie des Klosterhofes auf das Tal. Die Bergwälder funkelten im Sonnenschein, und die Dolomiten warfen blaue Schatten. Jetzt hieß er der Kloster-Jerg, und wie lange noch, so würde er der Klosterbauer sein! Er hätte viel, sehr viel darum gegeben, wenn Ambros ihn in diesem Augenblick hier oben hätte stehen sehen können. Nun, auch dieser Triumph würde ihm ja wohl eines Tages noch zuteil werden! War er ein Affe, so verstand er auch wie ein solcher zu klettern – über die Schultern der hochmütigen Dummköpfe in die Höhe!

Auf dem Hof wurde das Brett angeschlagen, das als Glocke diente. Das Gehämmer rief zum Mittagessen. Jerg aber blieb ruhig auf der Vorlaube und wartete, daß seine Frau ihn rufen käme. So wollte er es fortan halten. Statt Liseis erschien nach einiger Zeit der Gänsejunge und rief durch die offene Tür hinaus: »Du sollst zum Essen kommen, laßt dir der Bauer sagen.«

Jerg bequemte sich, hinunterzugehen. Alle saßen schon um den Tisch herum und aßen, obenan der Klosterbauer, Lisei ihm zur Linken; zur Rechten stand ein leerer Stuhl für Jerg.

»Hast wohl noch geschlafen, daß du die Glock mit gehört hast?« fragte der Klosterbauer, den vollen Löffel zum Munde führend. »Ich mag's nit leiden, daß einer zur rechten Zeit nit da ist. Merk dir's.«

»Oho, was blast Ihr da für ein Lied?« versetzte Jerg ärgerlich. »Bin ich Euer Knecht?«

»Ob Knecht, ob nit – die gleiche Ordnung gilt für alle«, bemerkte der Klosterbauer. »Mußt das Liedlein schon nachsingen, das ich vorblas.«

»Das wird mitunter halt schlecht zusammengehn«, warf Jerg ein. »Der Mutschleitner hat bei unserm Singen immer gemeint, daß mein Ohr nit gut ist.«

Er hätte die Lacher auf seiner Seite gehabt, wenn nicht der Klosterbauer, der immer bedächtig weiteraß, die trockene Bemerkung gemacht hätte: »Wirst auf dem Klosterhof schon das richtige Ohr kriegen. Ich red immer gar deutlich.«

»Man könnt's fast einem Zaumpfahl nennen«, meinte Jerg und tauchte seinen Löffel in die für die Familie bestimmte gemeinschaftliche Schüssel. Er verschluckte seinen Verdruß. Eine zweite gemeinsame Schüssel stand vor dem Gesinde, das sich verstohlene Blicke zuwarf.

Der Klosterbauer ließ es auch später nie an Deutlichkeit gegen Jerg fehlen. Hatte Ambros tun und lassen können, was ihm beliebte, so war der Alte jedoch weit davon entfernt, Jerg die gleiche Freiheit einzuräumen. Er gestattete keine Eingriffe in seine Rechte, und als ob er seines verschlagenem Eidams heimliche Herrschergelüste durchschaut hätte, wachte er eifersüchtig über seine Souveränität. Der Nachdruck, den er auf sie legte, mochte um so schärfer ausfallen, weil er sich dem Vorwurf machte, gegen seine Tochter schwach gewesen zu sein. Denn als Schwäche erschien ihm, daß er ihr an dem Hochzeitsmorgen nicht jede Hoffnung auf eine Aussöhnung mit Ambros genommen hatte. Daß sich Ambros vor ihm demütigen würde, daran glaubte er nicht einen Augenblick.

Lisei aber war nicht zu entmutigen. Die offene Aussprache mit dem Vater und die wenn auch noch so schwache Hoffnung, die sie aus dieser Unterredung mit vor den Altar genommen hatte, waren ihr an dem schwersten Tage ihres Lebens eine Stütze gewesen und blieben es. Zermürbt nicht das Feuer schließlich auch den härtestem Stein? Warum sollte nicht ihre stete Liebe zuletzt doch noch das Herz des Vaters erweichen, das gebundene Metall darin flüssig machen und die Schlacken des Mißtrauens verbrennen? Zudem gewährte ihr ihre Verheiratung, wenn sie auch auf dem Klosterhof blieb, eine freiere Stellung gegen den Vater, als sie als Mädchen eingenommen hatte.

Die Zuversicht, den Preis für das Opfer, das sie mit ihrer Heirat gebracht hatte, schließlich dennoch zu erringen, erhielt sie auch gegen Jerg aufrecht. Leicht wurde es ihr wahrlich nicht. Nun sollte sie es entgelten, daß sie sich so lange und energisch gesträubt hatte, die Seine zu werden; und auch dafür, daß es ihm nicht glücken wollte, dem Klosterbauern die Zügel des Regiments zu entreißen, suchte er sich an ihr zu rächen. Er ließ keine Gelegenheit ungenutzt, sie zu kränken und zu verletzen, sei es, daß er Wolf schlechtmachte oder sie selbst verhöhnte, sei es, daß er ihren Vater vor ihr verspottete oder sie vor den Leuten zu demütigen versuchte. Seine gemeine Natur streifte die Hülle ab; aber es gelang ihm nicht, Lisei aus ihrer Selbstbeherrschung herauszutreiben und ihre ruhig-kühle Zurückhaltung gegen ihn zu durchbrechen. Ihre Wahrhaftigkeit und Pflichttreue in Verbindung mit der Stärke ihres Willens und der Hoffnung, das Ziel ihres Strebens doch noch zu erreichen, verliehen ihr eine Überlegenheit über ihn, gegen die er sich vergebens aufbäumte. Die Ehe brachte ihr keine Enttäuschung; sie war darauf gefaßt gewesen, daß sie schwer zu leiden haben würde, und das Bewußtsein, für diejenigen zu dulden, die sie liebte, erhob sie. Es kam keine Klage über ihre Lippen.

Aber sie legte nicht die Hände in den Schoß. Schon auf ihrer Hochzeit hatte sie mit Herrn Zengerl, dem Landrichter, über Ambros gesprochen und zu erfahren versucht, welche Strafe ihren Bruder treffen würde, wenn er zurückkehrte. Herr Zengerl hatte sie beruhigt. Da Jerg glücklich davongekommen sei und eine Absicht auf Tötung nicht angenommen werden könne, hätte Ambros nur eine kurze Gefängnisstrafe zu verbüßen, ja er würde vielleicht ganz frei ausgehen, wenn Jerg nicht etwa gegen ihn klagte.

Die Hauptsache war nun, Ambros zu finden und zur Rückkehr zu bewegen. Dazu dünkte Lisei das Gamsmanndl die geeignetste Persönlichkeit, und eines Tages begab sie sich zu ihm. Die Zeit der Gemsenjagd war angebrochen, und Sampogna versprach bereitwillig, auf seinem Ausflügen mach Ambros zu forschen. Er hätte es auch ohne Liseis Bitten getan.

Auch die unglückliche Stasi verlor sie nicht aus den Augen; dann und wann besuchte sie den Ohm David, um sich nach ihr zu erkundigen. David, dem auf Liseis Rat hin die kleine Mona zu wirtschaften fortfuhr, ging zuweilen sonntags mach St. Martin, um Stasi wenigstens zu sehen, und von diesem traurigen Anblick und den Erinnerungen an sie zehrte er in seiner Vereinsamung.

Stasi genoß in dem bescheidenem Pfarrhause von St. Martin die sorgsamste Pflege. Ihr trauriges Schicksal gab ihr die vollste Anwartschaft auf das gute Herz der Frau Carlotta, und wenn diese schon um ihres geistlichen Herrn willen alles tat, was sie vermochte, um die Arme zu hegen und zu pflegen, so wurde selbst deren fixe Idee für sie zu einem sympathischen Bande. Blieb doch auch sie der festen Überzeugung, daß ihr verschollener Sohn nicht tot sei.

Stasi blühte unter ihrer mütterlichen Pflege wieder auf. Sie war freundlich, still und folgsam; doch die Gegenwart blieb für sie tot. Nur mit ihrer Mutter und ihrem Kinde beschäftigte sich ihr Geist. Die Vorstellung, daß man das kleine Wesen, das sie geboren, vor ihr versteckt halte, weil sie ungehorsam gegen die Mutter gewesen sei, wich nicht von ihr, und mehr als einmal entfloh sie im unbewachten Augenblicken aus der Pfarre, um es zu suchen. Willig ließ sie sich dann jedoch von Hannes oder Frau Carlotta wieder zurückführen oder auch von den Bewohnern des Tals, unter denen die schöne Irrsinnige bald bekannt geworden war. Sie in ihrer Stube einzuschließen war unmöglich, da die Gefangenschaft ihre Aufregung bis zum höchstem Grad steigerte. Dagegen pflegte nach solchen Wanderungen eine Ruhepause bei ihr einzutreten, in der sie dann, vor sich hinredend, stundenlang still dasitzen konnte.

Wenn Hannes zu seiner Schwester geäußert hatte, man müsse Stasi eher glücklich preisen als beklagen, denn sie leide nicht mehr – war ihr Leben dann noch ein Leben zu nennen? Nicht leiden heißt nicht leben. Hannes hatte einst gewünscht, daß Stasi seine Schwester wäre, um sie in seine Pfarre nehmen und gegen die Welt schützen zu können. Jetzt war sie seine Hausgenossin – ein zerstörtes Ebenbild Gottes!

Um das Weh, das ihr Zustand ihm verursachte, niederzuringen, gab er sich in seiner amtsfreien Zeit mit verdoppeltem Eifer der Arbeit an dem großen Werke hin, das die Aufgabe seines Lebens geworden war: die Befreiung seines Vaterlandes vom der Fremdherrschaft. Er trat mit den Pfarrern des oberen Gadertals im Verbindung, um auch sie dafür zu gewinnen, was nicht schwerhielt. Keine Alp lag ihm zu fern und zu hoch, als daß er sie nicht erstiegen und den Sennen das Evangelium der Freiheit und der Vaterlandsliebe gepredigt hätte.

Er war nicht der einzige Wanderprediger dieser Art in Tirol. Joachim Haspinger hatte seine Internierung in Bayern, wohin er nach der Aufhebung des Kapuzinerklosters zu Klausen im Eisacktal geschleppt worden war, durchbrochen und zog nun im Pustertal und dessen nördlichen Nebentälern vom Alp zu Alp und blies den Leuten mit seinem Feueratem glühenden Haß gegen Bayern und Franzosen in die Seelen. Mit dem Kruzifix in der Hand predigte er den Vernichtungskampf. Die Sennhütten waren dem Flüchtling Asyl und Tempel zugleich.

Die Bedrängnis des Vaterlandes bildete wie gewöhnlich auch den Gegenstand der Unterhaltung zwischen dem Oberförster Planta und Herrn Zengerl, als sie eines Spätnachmittags im dem Garten des Landrichters beisammensaßen. Frau Zengerl leistete ihnen Gesellschaft und hörte ihnen, mit einer Handarbeit beschäftigt, aufmerksam zu, während ihr Söhnchen auf einem Stock in den Gängen des sauber gehaltenem Gartens umherritt, mit einem hölzernen Säbel in die Luft hieb und dazu rief: »Nieder mit den Bayern! Tod den Franzosen!« Nach einer Weile kam er zu den Männern herangesprengt, stieg vom Rosse und sagte: »So, Papa, jetzt hab ich sie alle umgebracht«

»Das ist brav, mein Jung«, lächelte der Vater und streichelte ihm die glühenden Wangen.

Herr Planta aber meinte, nachdem der Kleine wieder fortgelaufen war, es hätte doch seine Bedenken, die Kinder dergleichen zu lehren, und der Landrichter könnte deshalb leicht in Verdrießlichkeiten mit seinen Vorgesetzten geraten. Frau Zengerl pflichtete ihm mit einem Seufzer bei.

Ihr Mann aber sagte: »Die Jugend muß im Haß gegen unsre Unterdrücker erzogen werden; denn wer soll uns von ihnen befrein, wann nit sie? Die Generation, der wir angehörn, ist durch die lange Mißregierung korrumpiert; aus ihr erstehn uns keine Befreier. Mut und Tatkraft sind lahmgelegt, und das heutige Geschlecht ist keines Opfers für das Allgemeine fähig.«

»Das glauben Sie ja selbst nit, alter Freund!« entgegnete der Oberförster. »Oder würden Sie nit ebenso freudig wie ich zur Büchs greifen, wann's zu einer allgemeinen Erhebung käm? Wir beide sind doch schwerlich Ausnahmen von unsern Zeitgenossen. Der Druck ist zu hart, als daß ihn das Volk noch lang schweigend tragen sollt. Ich erinnre mich, wie beredt Sie selbst darüber eines Abends zum Kuratem Falkner warn. Wir sind zwar keine Spanier, aber daß der Geist im Volk gut ist, davon könnten Sie sich leicht selbst überzeugen.« Sich vorsichtig umschauend und seine Stimme dämpfend, fuhr er fort: »Es ist eben der Kurat von St. Martin, der diesen guten Geist nährt. Ich weiß es von meinen Forstarbeitern, die mir vertraun. Sie haben den heimlichen Predigten beigewohnt, die er einigemal dort drüben im Wald gehalten hat, und aus ihren Mitteilungen zu schließen, predigt er den offnen Aufstand. Heut nun hat mir ein Waldwärter vertraut, ein Mann mit graun Haarn, daß Falkner nach drei Tagen abermals einen Gottesdienst abhalten will, und zwar diesmal bei den Sennhütten von Tamers bei Anbruch der Nacht Was hindert uns, dabeizusein? Ich bin entschlossen hinzugehn. Begleiten Sie mich!«

Der Landrichter schüttelte den Kopf. »Ich mag von dieser Verquickung vom Politik und Religion nix wissen«, antwortete er. »Der Kurat Falkner ist gewiß ein ehrlicher Mann und meint's ehrlich mit der Befreiung Tirols, ich zweifle mit daran. Aber das Kreuz ist zu allen Zeiten ein bedenkliches Banner gewesen. Mag das Kriegsgeschrei lauten, wie's will, gleichviel, welche Losung die Geistlichkeit ausgibt – der Sieg unter dem Banner des Kreuzes führt immer zur Knechtung der Geister. Bayern hat sich mit dem Geist der Neuzeit durchtränkt; aber man kann sich nit zu den Prinzipien der Freiheit bekennen und zugleich andern Völkern das Joch auferlegen. Das ist ein Zwiespalt, an dem Bayern zerscheitern muß. Das traurigste für uns aber ist, daß aus diesem Zusammenbruch die Kirche, das heißt die Priesterschaft, als Herrscherin hervorgehn muß.«

»Aus Ihnen spricht heut wieder der Voltairianer oder Josephiner!« versetzte der Oberförster und strich sich unmutig den schwarzen Bart. »Sie wolln die Unabhängigkeit Tirols und stoßen doch den mächtigen Bundesgenossen zurück.«

»Im Ernst, Bester, ich bin nie ein Voltairianer gewesen«, antwortete der Landrichter in seiner langsamen Art, während über seine derben Zuge ein Lächeln glitt. »Ich würd längst aufgehört haben, es zu sein, wann ich's je gewesen wär. Das Verhängnis, das über Europa hereingebrochen ist, ist zu furchtbar, als daß vor ihm die geistreich-frivole Negation hätt bestehn können. Dergleichen irrlichternde Flämmchen leuchten auf, wann die Gesellschaft zu einem Sumpf geworden ist, und sie erlöschen, wann sie sich zu regeneriern beginnt. Die Bundesgenossenschaft des Priesters weis ich darum doch zurück. Der Humanitätsgedanke des Christentums, der der moralisch verkommnen alten Welt gegenüber Wunder gewirkt hat, ist in der Kirch erloschen. Aber ihn zu töten, das hat die Priesterschaft nit vermocht. Die großen Geister haben dem aus der Kirch gewiesenen Gedanken aufgenommen und mit ihrem Herzblut genährt und erzogen, und heut leuchtet er in erhöhtem Glanz aus den Werken eines Lessing, Schiller und Goethe. An diese der Menschheit zur Freiheit voranleuchtenden Sterne glaub ich. Das ist mein Ketzertum, wann Sie wolln.« Er griff in sein locker umgeschlungenes Halstuch und weitete es noch mehr, als ob es ihm zu eng wäre.

»Daß ich just kein Pfaffenfreund bin, das wißt Ihr, Landrichter«, sagte Herr Planta nach einer Weile und stand auf. »Aber ich mein, daß zuerst die Fremdherrschaft abgeschüttelt werden muß; nachher kommt das übrige. Dann mögen wir zuschaun, daß uns der Pfaff nit über den Kopf wächst, aber unbeschadet des Glaubens, versteht sich. Ich für meinen Teil werd nach Tamers gehn.« Er verabschiedete sich.

Herr Zengerl gab ihm bis an die Gartenpforte das Geleit und kam dann langsam zu seiner Frau zurück. Er warf den Hut neben sich auf die Bank und begann im seinem Stirnhaar zu wühlen und zu zupfen. Seine Frau betrachtete ihn mit bekümmerter Miene.

»Der Planta ist ein glücklicher Mann«, begann er schließlich. »Er ist mit seinem ganzem Wesen auf die Tat gestellt. Auch ich möcht die Tat, ich erkenn ihre Notwendigkeit; aber das Unheil, das ihr folgen wird, lähmt mich. Ich wollt, ich wär bei der Theologie geblieben oder nimmer aus der bäuerlichem Sphäre herausgetreten. Es ist ein Unglück, wann man nit wie alle Welt in seiner Umgebung zu denken vermag.«

Seine Frau pflichtete ihm im stillen bei. Auch sie fühlte sich ja mit ihrer Bildung und ihrem Talent in ihrer Umgebung vereinsamt.

Er fuhr fort: »Und welch ein Elend ist's, das Brot einer Regierung zu essen, die man stürzen möcht! All meine Wünsch und Gedanken sind gegen sie gerichtet, und dennoch dien ich ihr. Du glaubst nit, wie ich mich dadurch vor mir selbst entwürdigt fühl, und ich ertrag's nit länger!«

»Ich glaub's«, erwiderte seine Frau leise und legte ihrem Arm um den Knaben, der eben wieder herangekommen war. »Aber du kannst dir das Zeugnis ausstellen, daß du deine Pflichten gewissenhaft erfüllt hast. Komm ins Haus! Ich will dir vorlesen oder vorspielen, um den melancholischen Dänenprinzen zu verscheuchen!«

»Ja, ja, man muß zu schlafen versuchen«, versetzte er.

»Nein, mein lieber Freund!« rief sie lächelnd. »Du sollst nit schlafen. Wenn uns die Zustände, in denen wir leben, keinen Halt gewähren, wenn die Welt wie vom einem wüstem Taumel ergriffen scheint, was vermag uns dann zu stärken, zu erheben und mit neuen Hoffnungen zu erfüllen, wenn nit die Kunst?«

»Du hast recht«, entgegnete er und gab ihr einen herzhaften Kuß. Den Knaben, der hüpfend und plaudernd den Kopf bald zum Vater, bald zur Mutter wendete, an der Hand zwischen sich führend, verschwanden sie im Hause.

Zur selben Zeit – die Sonne war bereits von den Bergen verhüllt – schritt Hartwanger, der bei Montham über den Bach gegangen war, an der Mühle Arigayas vorüber nach dem »Stern«. Die Last des Traggestells mit den Glasscheiben schien seine kräftige Gestalt nur wenig zu drücken.

Aus der Schenkstube des »Sterns«, deren Tür offenstand, vernahm er Zitherklänge. Mutschleitner spielte, und ihm gegenüber saß, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, das Gamsmanndl, die kurze Pfeife zwischen den Zähnen. Er war der einzige Gast, und neben ihm auf der Bank lagen Rucksack, Alpstock und Stutzen. Vor ihm stand ein halbgeleertes Branntweinglas.

»Musikantenblut verleugnet sich nimmer!« scherzte Hartwanger, nachdem er seinen Glaserkasten in Sicherheit gebracht hatte, und setzte sich zu den beiden an den Tisch. »Gute Zeiten, schlechte Zeiten – er kann das Klimpern nit lassen.«

»Nun«, versetzte Mutschleitner und drückte das linke Auge halb zu, »ich spiel wie David vor dem König Saul, um sein Herz fröhlich zu machen.«

»Was gibt's denn?« fragte Hartwanger, zu Sampogna hinüberschielend.

Der verzog keine Miene.

»Zweierlei verdrießt ihn«, antwortete der Wirt an seiner Stelle. »Erstens kommt er von der Jagd heim und hat nix geschossen, und zweitens hat er noch immer keine Spur von dem Ambros aufgefunden.«

»Und das soll mich wohl nit verdrießen?« murrte der kleine Gerber. »Ist's doch, als ob die Erd den Buben verschluckt hätt! Auf keiner Alm weit und breit ist er gesehn worden, weder von den Sennen noch von den Wildheuern. Heut hab ich die Gamsen Gamsen sein lassen und bin über den Col de Rü das Boitetal hinabgegangen bis Peutelstein. Nix! Keine menschliche Seel weiß was von ihm.«

»Das ist freilich eine schlimme Nachricht«, sagte der Glaser ernst. »Ich hatt gehofft, daß er noch zur rechten Zeit wieder zum Vorschein kommen würd. Und derweilen hat der junge Arigaya die Lisei heimgeführt und sitzt auf dem Klosterhof, wie ich in Zwischenwasser gehört hab.«

»Der Teixl hol den Fuchs!« rief das Gamsmanndl, trank sein Glas aus und stellte es kräftig wieder auf den Tisch.

»Ja, der Ambros wird uns fehln«, meinte Mutschleitner und setzte mit gedämpfter Stimme gegen den Glaser hinzu: »Wir können ganz offen reden, der Sampogna gehört zu uns. Doch zunächst, Meister, was schafft Ihr?«

Hartwanger bestellte sich eine Halbe Roten. Mutschleitner holte sie und machte dabei die Stubentür zu.

»Ich wüßt keinem, der besser dazu taugen tät, unsre Schützen zu führn, wann das Zeichen kommt, als ihn«, sagte er. »Keinem würden sie so bereitwillig folgen wie dem Ambros.«

»Er steht auch als Führer des Vigiltals auf der List«, bemerkte Hartwanger. »Auf alle Fäll müßt Ihr aber bei Zeiten darauf denken, wer statt seiner die Talschaft führn soll, wann er nit wieder zum Vorschein kommt. Es könnt leichtlich geschehn, daß das Zeichen nit mehr lang auf sich warten läßt.«

Mutschleitner beugte sich gespannt zu ihm über den Tisch, während Sampogna die Pfeife aus dem Munde tat, den Kopf zurücklehnte und einem blauen Ring zur Decke aufsteigen ließ.

Der Glaser nahm einem Schluck aus seinem Glase, wischte sich den Mund mit seinem blau und weiß gewürfelten Tuch, das er aus der Brusttasche zog und dann wieder zusammenfaltete, und sagte, es wegsteckend: »Im Spanien brennt's allerorten auf. Wie Flugfeuer geht der Aufstand durchs Land. Wird er an einer Stell niedergeschlagen, bricht er an einer andern aus. Die Rheinbundtruppen und was von Franzosen dort ist, ist festgenagelt. Der Kampf ist ein ganz grausamer, mörderischer, und es müssen immer frische Soldaten nachgeschickt werden. Da ist die Gelegenheit für uns gar günstig, und in Österreich fangen sie endlich in aller Still an zu rüsten.«

»Ist das gewiß?« fragte Mutschleitner eindringlich, und der Glaser versicherte, daß es die Wahrheit sei.

»Geheim kann's freilich nit lang bleiben«, setzte er hinzu, »denn der Franzos hat seine Spion ja überall. Aber sie werden's ja im der Hofburg wohl verstehn, ihn am der Nas herumzuführn, bis sie nit mehr hinterm Berg zu halten brauchen.«

»Bah, der Franzos?« sagte das Gamsmanndl verächtlich. »Jetzt bin ich ganz dem Ambros seiner Meinung, der nit warten wollt, bis die Österreicher fertig sind, um loszuschlagen. Ich glaub halt auch, daß wir schon allein mit dem Franzos fertig werden.«

»Meint Ihr?« fragte ihn Hartwanger mit einem eigentümlichen Lächeln. »Je dennoch, Ihr könntet Euch täuschen. Es sind tapfre Leut, das muß ihnen der Neid lassen, und es ist nit mit allen so leicht fertig zu werden wie mit dem Offizier in Salen. – Ja, wißt Ihr von der Geschieht nix?« wandte er sich an dem Wirt, der gespannt aufhorchte. »Mir ist sie heut mittag im Salener Wirtshaus erzählt worden. Aber der Sampogna wird Euch besser berichten können als ich. Ist ja selber dabeigewesen.«

Unter dem dicken, eisgrauen Bart des Gamsmanndls tauchte ein nebelhaftes Lachen auf. Wenn der dabeigewesen wäre, äußerte Mutschleitner, dann wundere er sich nicht, daß er nichts davon gehört habe; bei dem falle alles wie in einen Brunnen.

»Als ob einer auf der Welt nix weiter zu tun hätt, als zu schwätzen!« versetzte Sampogna und schlürfte die letzten Tröpfchen aus seinem Glase. »Laßt's Euch nachher vom dem Hartwanger erzähln.«

»Ist der aber maulfaul!« rief der Glaser. »Schon gut, jetzt soll er zur Straf seine eigne Geschicht zu hörn kriegen.«

Das Gamsmanndl schüttelte nur ein wenig dem Kopf; Hartwanger warf ihm einem neckisch drohendem Blick zu und begann folgendes zu erzählen:

Sampogna war von dem großen Brunecker Markt, der noch schlechter als im Vorjahr gewesen, heimgekehrt. Selbst sein gutes Gamsleder hatte er unter dem Wert abgeben müssen. Für den Ertrag hatte er Pulver und Blei gekauft. Andere hatten gar keine Geschäfte gemacht. Als Sampogna zu Salen das Wirtshaus betrat, saßen da drei junge Offiziere, ein Franzose und zwei Bayern, die einen Spazierritt von Bruneck herauf gemacht hatten, denn es war ein schöner Tag. Das Gamsmanndl freute der Anblick nicht; er gedachte seinen Wein schnell zu trinken und sich fortzumachen. Die jungen Herren aber waren sehr lustig, und die Erscheinung des Gamsmanndls – sein geringer Wuchs, seine Hagerkeit, der starke, graue Schnurr- und Knebelbart in dem schwarzbraunen, mageren Gesicht, aus dem die Nase sich mächtig vorkrümmte – war ganz dazu geschaffen, ihre Aufmerksamkeit zu erwecken und ihrem Übermut als Zielscheibe zu dienen. Was sie über ihn redeten, konnte der wetterharte Alte freilich nicht verstehen, denn sie welschten miteinander; ihre Blicke und ihr Lachen jedoch verstand er um so besser. Das verdroß ihn, und er gedachte es nicht zu dulden. Er zog seine Pfeife hervor, setzte den Tabak in Brand und fragte, nachdem er ein paar kräftige Züge getan, die Herren wären wohl zur Froschjagd ausgeritten. Er tat die Frage auf deutsch, denn Ladinisch hätten sie wohl ebensowenig verstanden wie er ihr Französisch. Wieso er das meine, fragte der eine Bayer. Je nun, weil sie ihre Froschspieße umgebunden hätten, gab das Gamsmanndl zur Antwort und wies mit seiner Pfeifenspitze auf ihre Degen. Da wurde der Franzose, der wohl auf seinen Kriegszügen durch Deutschland etliche Brocken von der Landessprache aufgelesen hatte, fuchswild, schlug an seinen Degen und schrie, er solle sich hüten, daß er ihn nicht aufspieße. Das Gamsmanndl erwiderte kaltblütig, mit der Nadel könne er ja beim bestem Willen keinen Menschen umbringen. Hier sei ein Guldenzettel, den wolle er darauf verwetten, daß es der Franzose nicht könne. Er solle es an ihm selbst einmal versuchen; nur mit seinem Hütlein wolle er sich wehren. Somit zog er einen Bankozettel aus seiner Brieftasche, legte ihn vor dem Offizier auf den Tisch und stellte sich, mit dem Hut in der Hand, breitbeinig vor ihn hin. Drei Stöße sollte der Franzose mit seinem Degen auf ihn führen dürfen.

Hier schaltete das Gamsmanndl, das bisher, ohne eine Miene zu verziehen, seine Pfeife geschmaucht hatte, ein bestätigendes Kopfnicken ein, und Mutschleitner rief: »Alle Wetter, plagt dich denn der Böse?«

Der Glaser tat einen Schluck aus seinem Glase und nahm dem Faden seiner Erzählung wieder auf.

»Ihr mögt Euch vorstelln, wie die Offiziere ihn darauf groß angeschaut haben, erzählt mir der Wirt. Dann sind sie in ein schallendes Gelächter ausgebrochen. Es sollt gelten, riefen sie, eins gegen drei, und jeder warf seinen Guldenzettel zu dem des Gamsmandls auf den Tisch. Der Franzos stellt sich in Positur, zierlich, wie er's auf dem Fechtboden gelernt haben mocht, und ihm gegenüber stand das Gamsmanndl mit dem Hütlein in der Rechten, den sichern Jägerblick auf die Spitz des Degens gerichtet. Ein paar Gäst, die noch anwesend warm, der Wirt und seine Frau hatten sich in die Ecken hinter die Tische geflüchtet. Jetzt fiel der Franzos aus; da hatt der Hut auch schon die Kling gefangen, und der Franzos zappelte an ihr wie ein Fisch an der Angel.«

Sampogna legte seine Pfeife vor sich auf den Tisch, und wieder zitterte unter seinen grauen Bartspitzen ein stilles Lachen.

»War's vorher Scherz gewesen, so sollt's jetzt Ernst werden«, fuhr der Glaser fort. »Der Franzos tänzelte um das Gamsmanndl herum und suchte es durch mancherlei Finten irrezuführn. Aber das Aug des Alten hier ließ sich nit täuschen, und wieder traf der Degen nur den Filz. ›Alle Wetter!‹ brummten die Bayern und suchten den Franzos zu bereden, daß er's genug sein lassen möcht. Der aber war jetzt wild geworden und wollt nit hörn. Es ist ganz grauslich anzuschaun gewesen, sagt die Wirtin, wie der Franzos mit mordlustigen Blicken immer im Kreis um das Gamsmanndl herumgegangen ist. Dann ist er auf einmal zugesprungen wie die Katz auf die Maus ...«

»Aber's war gefehlt«, fiel Sampogna ein. »Beinah hätt mir der Stoß den Hut aus der Hand gerissen, so kräftig war er. Aber just weil er zu kräftig war, bog sich die Kling in meinem alten Filz und verfing sich. Heidi, weg flog sie! Da schaut's die drei Stich; zugeheilt sind sie derweilen nit«

Er warf seinen Hut auf den Tisch, und während ihn Mutschleitner betrachtete, sagte der Glaser: »Ein Kreuzsternhagel langt nit, was die Bayern zusammengeflucht haben, und der Franzos hat dazu mit Händen und Füßen gewelscht. Aber das Gamsmanndl hat seinen Gewinn eingesackt und ist seine Straßen weitergezogen.«

Mutschleitner rieb sich lachend die Hände.

»Geärgert hat's mich nur, daß mir der verdammte Bratspieß, wie er gegen die Wand flog, die Halbe Wein vom Tisch geschmissen hat«, murrte der kleine. Gerber. »Hatt erst ein Schlücklein davon getrunken!«

»Dabei sollst du mit zu kurz gekommen sein«, tröstete ihn der Wirt, ging und zapfte eine Flasche von seinem besten Faß.

Der Glaser aber moralisierte: »Ja, ja, so sind sie, diese Soldaten, ein übermütig Volk, dem ein Menschenleben für nix gilt. Es hätt kein Hahn danach gekräht, wann Euch der Franzos über dem Haufen gestochen hätt, Gamsmanndl.«

»Wär mir recht geschehn, wann er's hätt fertigbringen können«, versetzte dieser, seine Pfeife wieder anzündend.

»Sobald werden die drei wohl keinen Tiroler wieder hänseln«, bemerkte Mutschleitner. »Und wo soll in diesen wüstem Zeitläuften die Achtung vor dem Menschenleben herkommen? Weiß doch keiner im bunten Rock, der heut den Bauer prügelt und die Madln küßt, ob ihn morgen noch die liebe Sonn bescheinen wird. Der Napoleon treibt ja die Menschen in die Schlachten wie der Metzger die Schafherden zur Schlachtbank. Die Deutschen immer voran.«

»Freilich«, begann Hartwanger, schwieg aber, da in diesem Augenblick Moideli in die Stube kam, in der es mittlerweile dunkel geworden war. Der Wirt hieß sie ein Licht bringen.

Sampogna sagte: »Wann man die Kugeln mit dem Hut auffangen könnt wie die Degenstöß, wär's ein gut Ding.«

»Du bist ja kugelfest oder weißt doch ein Sprüchlein, das fest macht«, neckte Mutschleitner.

Darauf schwieg er, und als Moideli das Licht gebracht und sich wieder entfernt hatte, ergriff Hartwanger vom neuem das Wort.

»Der Krieg in Spanien muß unsinnig viel Menschen kosten. Sie sagen, daß dem Spanier jedes Mittel gleich gut ist, um sich der Feinde zu entledigen. Wer nit im offnen Kampf fallt, der wird heimlich erschlagen, oder Dolch und Gift raffen ihn weg.«

»Du blutiger Heiland!« murmelte Mutschleitner schaudernd.

»Geschieht ihnen recht«, meinte Sampogna. »Sind sie dem Spanier mit wie Räuber ins Land gefalln!«

»Aber eins hat das Gamsmanndl nit bedacht«, bemerkte der Glaser, »nämlich, daß auch wir Tiroler herhalten müssen, um die Löcher wieder zuzustopfen, die die Kugeln unter den Bayern machen. Es ist halt so, wie der Mutschleitner gesagt hat: Seine eignen Völker schont der Napoleon. Die Deutschen müssen sich für ihn die Finger verbrennen. Wo die Fürsten vom Rheinbund und der König von Bayern die Soldaten herkriegen, das gilt ihm gleich. Und also: eine neue Rekrutierung ist ausgeschrieben durch ganz Bayern und Tirol. In wenigen Tagen werdet ihr die Verordnung allerwegen an den Kirchentürn angeschlagen finden.«

Wohl eine Minute lang blickten Mutschleitner und Sampogna den Sprecher in stummer Betroffenheit an.

»Das ist eine böse Nachricht«, sagte der Wirt endlich.

»Und es wird diesmal in Tirol hoch hinaufgegriffen werden, bis ins fünfundzwanzigste oder dreißigste Jahr, wann nit noch höher«, ergänzte Hartwanger seine Nachricht und fügte voll Bitterkeit hinzu:

»Warum soll's auch der Bayernkönig mit uns Tirolern mit wie der Napoleon mit dem Deutschem machen? Zum Kanonenfutter sind wir Tiroler gut. Das schafft zugleich Still im Land.«

»Heiligs Kreuz, jetzt hätt ich beinah geflucht!« rief das Gamsmanndl und preßte seine knorrige Faust nachdrücklich auf den Tisch. »Das würd ja unsre kräftigsten jungen Leut treffen. Wann sie den bunten Rock anziehn müssen, wer soll dann die Bayern und Franzosen aus unsern Tälern hinausschlagen? Wir Alten? Das darf nit sein!«

»Nein, das darf nit sein!« pflichtete ihm der Wirt bei.

»Freilich darf's nit sein«, nickte Hartwanger, »oder Tirol bleibt im bayrischem Joch für alle Ewigkeit. Das ist auch die Meinung der andern, und darum hat mir der Peter Hueber in Bruneck gedruckte Zettel mitgegeben, die sollt ich unterwegs verteiln. Das hab ich denn auch redlich getan und hab davon den Wirten in Salen, Palfrad und Zwischenwasser gegeben, daß sie's herumschicken, jeder in seinem Kreis. Ihr hier werdet's ebenso machen und die Schrift denen ausdeuten, die nit lesen können oder nit Deutsch verstehn. Von Zwischenwasser hab ich den Löffel-Franz in Pleiken beschickt; war aber auf der Wanderschaft mit seinem Kram, und statt seiner kam die Frau. Da ich ihr traun könnt, wie der Wirt sagt, so ist die Sach dort oben auch besorgt.«

Er vergewisserte sich, daß die beiden Türen der Schenkstube geschlossen waren, und brachte dann aus dem Rückenpolster seines Glaserkastens einige gedruckte Zettel zum Vorschein. Die drei Männer steckten die Köpfe dicht zusammen, und Hartwanger las mit flüsternder Stimme vor, was auf dem groben, grauen Papier stand. Es war ein Aufruf, der sich im feuriger Sprache an die Vaterlands- und Freiheitsliebe der Tiroler wandte, und es hieß wörtlich darin:

»Der ist ein Feiger und Verräter, der sich als Rekrut unter die bayrischen Fahnen wegschleppen läßt. Flüchtet eure Jünglinge in Feld und Wald und ins hohe Gebirg!«

Hartwanger gab jedem seiner Zuhörer zwei Zettel. Das würde für St. Vigil genügen, meinte er und bat sie, vorsichtig zu sein.

»Und der Aufruf kommt von dem bärtigen Andrä?« fragte Mutschleitner, nachdem beide ihre Zettel sorgfältig weggesteckt hatten.

Der Glaser schüttelte den Kopf. »Von Wien kommt er«, flüsterte er. »Ihr seht daraus, daß unsre Sach wirklich vorwärtsgeht Der Hofer, wird freilich wohl dazu geraten haben. Wir dürfen uns selber halt nit ohnmächtig machen.«

»Jetzt, den möcht ich sehn, der nit lieber in die Berg schlüpft als in die bayrische Montur!« äußerte das Gamsmanndl.

»Es ist halt auch keine leichte Sach, von Haus und Hof und von den Seinigen ins Elend zu wandern«, sagte der Glaser ernst.

Mutschleitner griff einige Akkorde auf seiner Zither. Sein scharfes Ohr hatte den Kies vor dem Hause knirschen hören. Es kamen noch einige Gäste, junge Burschen, die nach Wein und Karten riefen. Das Gamsmanndl reckte seine steifen Glieder und machte sich auf den Heimweg. Sein letztes Wort war: den Ambros finde er doch noch. Hartwanger ließ sich ein Nachtessen geben und zog sich dann auf die ihm angewiesene Schlafkammer zurück, wo er die aufgetrennte Naht an dem Kissen seines Glaserkastens mit einem geschwärzten Faden wieder zunähte. Nadel und Zwirn führte er stets bei sich.

Am folgenden Tage nach dem Frühstück ging er auf den Klosterhof, jedoch ohne sein Glasergerät; denn er wollte später übers Jöchl in das obere Gadertal. Auf dem breiten Scheitel des Kreuzkofls lag der erste Schnee, und es war bitterkalt. Der Vigilbach hüpfte eilig über die Steine und stürzte sich mächtig auf die Räder der Mühlen, als ob er sich warm machen wolle. Die Stampfen der Lohmühle in Monthan gingen dröhnend auf und nieder, und vom Klosterhof scholl dem Glaser der Schlag der Dreschflegel in munterem Takt entgegen. Der Klosterbauer stand auf dem Weg zwischen dem Wohnhaus und den Wirtschaftsgebäuden und schaute nach den gepuderten Häuptern der Kalkberge, die in der Sonne funkelten. In einigen Tagen mußten die Herden von den Hochalpen zu Tal steigen. Breitbeinig, den Leib vorgestreckt und die Hände auf dem Rücken ineinandergelegt, erwartete er den herankommenden Glaser.

»Grüß Gott, Klosterbauer!«

Dieser hob seine rechte Hand lässig bis in die Region seiner Pelzmütze, wandte sich um und schritt dem Glaser voran bedächtig ins Haus. Erst in der Wohnstube brach er das Schweigen: »Ihr habt lang auf Euch warten lassen. Aber setzt Euch.«

Hartwanger folgte der Einladung mit einem leichten Achselzucken. Der Klosterbauer blieb vor ihm stehen, legte die Hände wieder auf den Rücken und sagte in offenbar gereiztem Ton: »Warum red't Ihr nit? Was habt Ihr ausgerichtet in der Sach?«

»Nix, Klosterbauer«, entgegnete Hartwanger, und die Worte schienen ihm schwer über die Lippen zu gehen.

Im Gesicht des Klosterbauern zuckte es seltsam. »Ihr – Ihr wollt doch mit sagen, daß Ihr das Geld ...« Er vollendete nicht.

Der Glaser aber antwortete: »Ja, Klosterbauer, ich komm mit leern Händen.«

Der Alte ging mit unsicheren Schritten zu seinem Armstuhl und ließ sich schwerfällig nieder.

»Laßt Euch nit umwerfen, Mann!« suchte Hartwanger ihn zu ermutigen. »Ihr mußtet drauf gefaßt sein, daß es so kommen könnt. Ich hab's Euch vorausgesagt, als ich das letztemal hier war. Ich bin von Pontius zu Pilatus gegangen; aber die Zeiten sind gar zu schlecht, und das Geld will nit heraus. Es gibt nix Feigeres als das Geld.«

Der Klosterbauer hatte den Kopf auf die Brust sinken lassen und atmete schwer. Es blieb ungewiß, ob er den Glaser gehört hatte oder nicht, und dieser verhielt sich still. Der Mann tat ihm leid.

»Aber das ist doch nit möglich!« raffte sich der Klosterbauer endlich auf. »Eine größre Sicherheit wie ich kann kein König und kein Kaiser bieten. Ihr müßt's den Leuten nit ordentlich vorgestellt haben. Ein solcher Hof! Und zur ersten Stell! Keine Gülten sonst auf dem Hof!«

Hartwanger ließ dem Vorwurf umgerügt. Die Botschaft, die er brachte, war zu bitter, obgleich der Klosterbauer einigermaßen auf sie hätte vorbereitet sein müssen. Dem Klosterbauern war das Kapital gekündigt worden, das noch von seinem Vater her auf dem Hofe stand. Das war der Inhalt des Briefes gewesen, der ihm an jenem Morgen ausgehändigt worden war, als er im Begriff gestanden, mit Lisei zu dem Begräbnis des Pfarrers Moltenbecher zu gehen. Als sein Vater den Hof von dem Kloster Sonnenburg erworben hatte, war, wie man sich erinnern wird, etwa die Hälfte der Kaufsumme hypothekarisch eingetragen und diese Hypothek von den Klosterfrauen unterderhand dem Kaufmann Wagenbühler im Brixen zediert worden. Der alte Wagenbühler hatte das Zeitliche gesegnet, und der Sohn, der das Geschäft fortführt, war durch das Stocken von Handel und Wandel in der unruhigen, vertrauenslosen Zeit in die Krida Krida – Konkurs geraten. Die Schuldforderung an den Klosterhof war in die Konkursmasse geworfen und von den Kuratoren gekündigt worden. Als Hartwanger zum letztenmal auf dem Hof gewesen, hatte ihm der Klosterbauer den Auftrag gegeben, das nötige Geld in aller Stille heranzuschaffen, und dessen Bedenken, daß es schwerlich glücken werde, hochmütig abgewiesen. Ja, er war fast geneigt gewesen, dessen Bemerkungen über die Geldarmut und Kreditlosigkeit der Zeit als eine persönliche Beleidigung aufzufassen. Bückten sich nicht, wenn er in Geschäften nach Bruneck kam, die Kaufleute und Händler vor ihm, als ob er ein Graf wäre, und suchten sie ihm nicht ihrem Kredit mit aller Gewalt aufzudrängen? War sein Name nicht so gut wie bares Geld, drehten nicht die Leute selbst auf dem großen Viehmarkt die Köpfe nach ihm um, wenn es hieß: Da kommt der Klosterbauer? Und jetzt, da der Klosterhof unter Brüdern gut ein Drittel mehr wert war als zu der Zeit, da ihm sein Vater erworben, jetzt sollte kein ehrlicher Mensch auf ein so sicheres Unterpfand lumpige zwölftausend Gulden leihen wollen? So viel etwa betrug die Hypothek. Nun war dennoch der undenkbare Fall eingetreten!

»Ich hab an alle Türn geklopft, wo ich Geld vermuten kommt«, sagte der Glaser. »Aber vielleicht seid Ihr selbst glücklicher; versucht's! Noch habt Ihr Zeit dazu. Hier sind die Dokument, die Ihr mir damals anvertraut habt« Er zog ein in Papier geschlagenes Päckchen aus der Tasche und legte es auf den Tisch.

Der Klosterbauer aber grollte: »Und Ihr habt mich dazu bewogen, meine ausstehenden Forderungen nit weiter einzuklagen und die erhobenen Klagen nit weiter zu verfolgen!«

»Freilich tat ich das«, entgegnete Hartwanger ruhig. »Was wär auch dabei herausgekommen? Mit gut der Hälft Eurer Schuld- und Hypothekenschein könnt Ihr Euch die Pfeif anstecken; das hab ich Euch schon damals gesagt. Das Prozessiern und Subhastiern Subhastieren – öffentlich versteigern hätt Euch nur Euer gutes Geld gekostet, ohne Euch einen Heller einzubringen. Wo nix ist, da hat auch der Klosterbauer sein Recht verlor. Und was die übrigen betrifft, so geht's ihnen just wie Euch. Laßt Ihr ihnen Zeit, so werden sie zahln, es sind ehrliche Leut; drängt Ihr sie zur Gant, so habt Ihr die Güter auf dem Hals und doch keinen Pfennig in der Taschen! Wer mag heut Bauernhöf kaufen? Die Steuern, die auf ihnen lasten, sind schon jetzt fast unerschwinglich, und der Krieg in Spanien schraubt sie noch immer höher. Wer noch Geld hat, der vergräbt's lieber. Das bringt zwar nix ein, kostet aber auch nix. Und endlich, Klosterbauer, erinnert Euch: wann einer Kredit verlangt, darf er den Leuten nit zeigen, daß ihm das Messer an der Kehl sitzt. Das hab ich Euch damals vorgestellt. Es hat schon Gered genug gemacht allerwärts, wie Ihr auf einmal angefangen habt, das Eurige mit Gewalt einzutreiben. Wo ich dazumaln hingekommen bin, hat's geheißen, daß es schlecht mit Euch stehn müßt«

Der Klosterbauer griff sich mehr wütend als verzagt ins Haar und schrie: »Und das muß mir, mir geschehn, dem Klosterbauer!«

»Es ergeht manchem ebenso wie Euch«, gab ihm der Glaser einen leidigen Trost. »Ihr braucht bloß an den Wagenbühler zu denken. War das ein Haus! Dem galten tausend Gulden noch nit einmal soviel wie Euch hundert, und jetzt liegt's doch am Boden. Die Zeit schüttert wie ein Erdbeben. Aber einen Ausweg gibt's vielleicht für Euch doch noch. Der Jerg ist ja inzwischen Euer Tochtermann geworden. Warum wendet Ihr Euch nit an den alten Müller? Er gilt doch für einen wohlhabenden Mann.«

Der Klosterbauer schnellte von seinem Sitz auf. »An den Arigaya soll ich mich wenden?« rief er, in seinem alten Hochmut zurückfallend. »Dem meine Tochter als Söhnerin zu schlecht war?«

»Jetzt, wann ich das glaub!« entgegnete Hartwanger, wobei er seine klugen, braunen Augen weit öffnete.

»Aber ich sag Euch, es ist so!« rief der Klosterbauer heftig. »Hat er sich nit geweigert, für den Jerg um sie zu werben? Und seine Frau – ja wer ist denn die, daß sie nit einmal zur Hochzeit gekommen ist? Oho, so weit ist der Klosterbauer denn doch noch nit, daß er denen ein gut Wort geben sollt!«

»Ja, wann Ihr Euch nit dazu verstehn könnt, dann bleiben Euch nur noch die Wucherer«, sagte Hartwanger.

»Um was streitet Ihr Euch denn!« fragte da Jerg, der bei den letzten Worten in die Stube getreten war. »Und was solln die Wucherer?«

Hartwanger schwieg; der Klosterbauer kehrte sich dem nächsten Fenster zu und begann an die Scheiben zu trommeln.

Jerg beobachtete beide eine Sekunde lang und sagte dann: »Die Wucherer sind kluge Leut. Die haben heutzutag den Schaumlöffel in der Hand, und mit dem Schaum schöpfen sie zugleich das Fett von der Supp. Wollt Ihr ein Geschäft mit ihnen machen, Klosterbauer?«

»Was geht's dich an!« murrte dieser, ohne sich umzusehen.

»Nix geht's mich an«, versetzte dieser gleichmütig und dennoch mit einem lauernden Blick. »Ich hab's immer gern mal versuchen wolln, ob sie denn wirklich so pfiffig sind, wie sie verschrien werden. Wann Ihr also ein Geschäft mit ihnen habt, so will ich's besorgen; ich nehm's mit ihnen wohl auf. Dem Jerg hat noch keiner über den Löffel balbiert.«

»Was stehst du da und schwätzt?« rief der Klosterbauer und wandte sich zu ihm. »Du hast hier nix zu schaffen; geh an deine Arbeit.«

Anstatt ihm zu gehorchen, setzte sich Jerg mit einem Schenkel auf die Tischkante und meinte: »Die Arbeit wird nit kalt. – Nu, Klosterbauer, Ihr solltet mich doch zu Rat ziehn; denn vergeßt nit, daß wir, das heißt meine Frau und ich, die Supp mit ausessen müssen, die Ihr etwa einbrockt. Bloß um ihrer Schönheit willen hab ich die Lisei nit genommen.«

Mit einem spöttischem Lachen ergriff er das Päckchen, das auf dem Tisch lag, schlug die Hülle auseinander und begann die Papiere, die es enthielt, zu lesen.

Dem Klosterbauern schwebte eine zornige Erwiderung auf den Lippen. Hartwanger winkte ihm jedoch, still zu sein, und wagte: »Wann Ihr selbst mit nit dem Müller reden wollt, so mag's am besten der Jerg tun. Erfahrn muß er's ja doch einmal; ob heut oder morgen, das macht keinen Unterschied.«

Der Hochmut des Klosterbauern sträubte sich jedoch mächtig gegen diesen Vorschlag. Hartwanger fuhr fort, ihm zuzureden. Jerg nahm ein Dokument nach dem andern zur Hand; doch dabei entging ihm kein Wort von dem, was jene beiden sprachen.

»Scheint ja ein schönes Sümmchen in den Papieren zu stecken«, sagte er schließlich, entschlossen, sich Licht zu verschaffen. »Und darauf soll Euch jetzt der Jud oder mein Alter Geld borgen! Ist's nit so?«

»Nein, so ist's nit«, erwiderte Hartwanger

»So redet in Gotts Namen!« rief der Klosterbauer resigniert. Er warf sich in seinem Lehnstuhl und stützte den Kopf in die Hand, die Augen mit ihr verdeckend.

Klar und ohne Umschweife setzte der Glaser dem jungen Arigaya die Sachlage auseinander. Jerg ließ ihn ohne Unterbrechung reden; das einzige Zeichen seiner innerem Spannung war ein kaum merkliches Zittern seiner Rechten, mit der er sich dann und wann an das spitze Kinn faßte. Als Hartwanger schwieg, lachte er wie ein Verrückter; dann wurde er kreidebleich und begann, zischend vor Wut, den Klosterbauern mit Vorwürfen zu überhäufen. Eine Falle habe er ihm gestellt, um ihm seine Tochter aufzuhalsen. Der Klosterbauer sei ein Schwindler, ein alter Gauner und Betrüger.

Bei diesen Beschimpfungen wich auch dem Klosterbauern das Blut aus dem Gesicht. Langsam stand er auf; unheimlich drohend glitzerten seine Augen, seine Rechte ballte sich zur Faust. Hartwanger trat rasch zwischen beide; er packte Jerg an der Schulter, riß ihn zurück und schüttelte ihn derb. Statt dergleichen alberne Beschuldigungen auszustoßen, sollte er seinen Verstand zusammennehmen wenn er welchen hätte. Wenn er sich seiner Verschlagenheit vorhin gerühmt habe, so solle er sie jetzt anwenden, damit der Klosterhof nicht zur Gant komme; er solle schauen, ob er das Geld von seinem Vater bekäme.

Jerg riß sich los. »Gelt, jetzt bin ich sein lieber Jerg? Was kümmert er mich und sein Hof! Mag er zur Höll fahrn!« schrie er und rannte aus der Stube, deren Tür er hinter sich zuschmetterte.

Der Klosterbauer stand noch immer mit krampfhaft geballter Faust da. Die Pelzmütze war ihm vom Kopfe gefallen, und das mit Grau gemischte gelbe Haar hing ihm über die Stirn. Hätten seine Mundwinkel nicht gezittert und gezuckt – man hätte ihn für eine Statue halten können.

Er möge die Worte Jergs nicht auf die Waagschale legen, redete ihm der Glaser zu. Jerg würde zur Vernunft kommen und einsehen, daß es sein eigenes Interesse sei, die Gant vom Klosterhofe abzuwenden.

Der Alte stützte sich mit beiden Händen auf die Lehnen seines Armstuhles und ließ sich nieder. Er bewegte die Lippen, als ob er spreche, und er sprach mit sich; er wiederholte die Schimpfworte, die Jerg ihm zugerufen hatte. Sie nagten in diesem Augenblick schärfer an ihm als der drohende Bankrott

»Der alte Arigaya wird helfen«, tröstete ihn Hartwanger. »Tut er's nit, kann er's nit – ich hab für Euch getan, was ich konnt. Weiß Gott, ich hätt die schöne Provision wohl brauchen können! An zerbrochnen Fenstern fehlt's nach wie vor nit; aber die Leut lassen's dabei bewenden. Lumpen und Papier tun's auch, sagen sie. Ich hab halt kein Glück mit Euern Aufträgen, Klosterbauer, und so will ich denn gehn. Um Euch an die Wucherer zu wenden, dazu braucht Ihr mich nit. Würd auch die Hand nimmer dazu bieten. Es wär für Euch erst recht der Ruin, wann er auch vielleicht auf ein Jahr hinausgeschoben würd. Was ich für meine Gäng zu fordern hab, wolln wir berechnen, wann ich aus dem obern Gadertal zurückkomm. Also Gott befohln!«

Der Klosterbauer sagte kein Wort, und er hielt ihn nicht zurück.

Jerg kam bald zur Vernunft. Er saß ganz in sich zusammengekrümmt auf dem Futterkasten im Pferdestall und kaute an den Nägeln. Die Knechte waren alle beim Dreschen, und er war allein in dem Dunkel, durch das dann und wann ein sanftes Schnaufen der Pferde und ein Klirren ihrer Halfterketten tönte. Der Apfelschimmel, dessen Stand ihm am nächsten war, wandte zuweilen dem Kopf nach ihm und betrachtete ihn mit seinen klaren, ruhigen Augen.

Plötzlich schnellte Jerg in die Höhe wie eine zusammengeringelte Schlange, die durch den Anblick irgendeiner Beute aus ihrer scheinbaren Ruhe gebracht wird, und verließ den Stall. Er ging den Weg nach Monthan hinunter.

Zum Mittagessen war er noch nicht zurück, und es wurde ohne ihn eingenommen. Die Knechte wußten Lisei keine Auskunft über ihn zu geben, und der Klosterbauer schien nicht zu bemerken, daß er fehlte. Der Alte trug seine gewöhnliche Miene zur Schau. Nur aus der Deutlichkeit, mit der er jedes Wort aussprach, hätte man erraten können, daß seine Ruhe eine erzwungene war, und zwischen jedem Wort machte er eine kleine Pause. Lisei warf manchen besorgten Blick auf ihn. Sie kannte diese Anzeichen eines drohenden Gewitters.

Auch zum Vesperbrot stellte sich Jerg nicht ein. Der Klosterbauer hatte seit dem Mittagessen die Stube nicht verlassen. Brütend saß er im Lehnstuhl, und nur zuweilen erhob er sich und machte ein paar rasche Gänge durch die Stube. Lisei kam, nachdem sie die Abendmilch besorgt hatte, zu ihm. Er sollte sich aussprechen – mochte sich das drohende Unwetter auch über ihr entlade. Er saß wieder auf seinem alten Platz. Sie fing zunächst von gleichgültigen Dingen zu reden an. Er gab keine Antwort, denn er hörte nicht.

Da tat sich die Tür auf, und Jerg stolperte über die Schwelle herein. Er hatte den Hut tief in den Nacken geschoben; sein Gesicht war auffallend gerötet, und feuerrot glühte die Narbe auf seiner Stirn. Wenn nicht sein Aussehen Lisei über seinem Zustand belehrt hätte, so hätte es der unsichere Schritt getan, mit dem er näher kam. Er war berauscht.

Er hatte seinen Zweck beim Vater nicht erreicht. Der Müller hatte ihm erklärt, daß er eine so große Summe, wie er sie forderte, nicht besitze, und sich überhaupt geweigert, seine Ersparnisse herzugeben. Seine Frau sollte nicht auf Jergs Barmherzigkeit angewiesen sein, wenn er die Augen schlösse; das hieße, ihr den Bettelsack vermachen. Um seine innere Wut zu dämpfen, war Jerg in den »Stern« gegangen; doch wie in allen solchen Fällen hatte das Feuer des Weins die Glut im ihm nur verstärkt.

Lisei trat ihm rasch entgegen, um ihn aus der Stube zu führen, aber er stieß sie zurück und sagte, mit dem Zeigefinger auf dem Klosterbauern deutend, mit schwerer Zunge:

»Ich hab erst noch ein Wörtlein mit dem da zu reden, mit dem goldenen Schwiegervater, ha, ha, ha!«

»Bring ihn zu Bett!« herrschte der Klosterbauer seine Tochter an.

Jerg wies Lisei abermals zurück, ergriff sie jedoch dabei am Handgelenk und rief: »Schau dir den Mann da an! Das ist unser lieber Schwiegervater. Mein Alter hat gesagt, ich soll Achtung vor seinen grauen Haaren haben, und mehr solch dummes Zeug. Aber ich hab keine Achtung davor, und am wenigsten vor dem alten Gauner da!«

»Wirst du schweigen!« donnerte der Klosterbauer, sich drohend erhebend, während Lisei ihren Mann mit freundlichen Worten zu bewegen versuchte, mit ihr zu gehen.

»Nix da!« rief er und focht mit der Hand durch die Luft. »Mit deinem Regiment ist's zu End. Ganz aus ist's mit dir!« schrie er. Dann stützte er sich mit der Linken auf die Tischkante und höhnte: »Da wir alleweil so gemütlich beisammen sind, so will ich auch mal ein Wort reden. Betrunken bin ich? Oho! Lang noch nit! Aber der Wein war gut. Prosit, Schwiegervater! Und er hat mir die Augen klar gemacht, ganz klar, sag ich Euch. Donnerwetter! Ich hab mich immer für einen besonders feinen Kopf gehalten, aber der Klosterbauer ist mir doch über. Donnerwetter, hat der den Jerg an der Nas herumgeführt! Da bringt er's wirklich fertig, daß ich ihm die Lisei abnehm. Klosterhof hieß der Speck. Hat sich was mit dem Klosterhof! Herausreißen sollt ich den bankrotten, verlumptem Gauner aus der Patsch!«

Der Klosterbauer hatte ihn reden lassen; denn die Zunge eines Betrunkenen bringt man ebensowenig zum Schweigen, wie man die Quelle eines Flusses mit der Hand zuhalten kann. Jetzt aber übermannte den Alten der Zorn, und es wäre Jerg übel ergangen, wenn nicht Lisei, obwohl ihr das Herz stockte, den Vater mit ihren Armen umschlungen und unter Aufbietung ihrer ganzen Kraft zurückgehalten hätte, indem sie ihm beschwor, sich zu mäßigen, aus Achtung vor sich selbst.

Jerg lachte laut »Ist das ein Spaß!« rief er, und plötzlich in Wut geratend, fuhr er fort: »Oh, die verdammten Spitzbuben verstehn sich! Und ich Esel hab ihnen das Netz anstricken müssen, in dem sie mich gefangen haben! Warum lacht ihr nit über den Tölpel?« schrie er. »Gelt, das war ein Spaß für dich, du alter Sünder, wie der Schmied sein Bündel hat schnürn müssen!«

»Hör ihn nit, Vater!« bat Lisei angstvoll und schlang abermals den Arm um seinen Nacken.

Der Klosterbauer atmete röchelnd und wurde abwechselnd rot und blaß.

»Er soll aber hörn!« schrie Jerg und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Er soll hörn, und auch du … du … du …« Er konnte das häßliche Wort nicht finden, mit dem er Lisei bezeichnen wollte. Statt dessen lachte er und rief: »Ja, das war ein fein Stücklein vom dem Jerg! Das ganze Dorf hat er auf den Schmied gehetzt und hat den Wolf zum Tal hinausgehetzt, und keiner hat's gemerkt, und die Hunde haben obendrein noch die Prügel gekriegt!«

Lisei stieß einem wilden Schrei aus und wäre zu Boden gesunken, wenn sie jetzt der Klosterbauer nicht gehalten hätte.

»Juch!« lärmte Jerg mit voller Lunge. »Das ist ein Gaudium! Aber Geld gibt's nit. Juch!« wiederholte er und suchte im Zickzack die Tür.


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