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24. Kapitel

Andreas Hofer hatte in einem bescheidenen Gasthause Innbrucks sein Hauptquartier aufgeschlagen. Da saßen sie um ihn: der rotbärtige Haspinger, der auf seiner Kapuzinerkutte die silberne Tapferkeitsmedaille trug, Joseph Speckbacher, der frühere Wilderer vom Rinn mit den großen, rollenden Augen und der Adlernase über dem Schnauzbart, der Bauernliebling Patsch aus Wiltau, Kemenater und Oppacher – alles markige Gestalten von unbeugsamer Energie und von heißer, oft in wilden Flammen auflodernder Vaterlandsliebe durchglüht, Männer, knorrig und zäh wie die Eichen und stämmig gleich den Wettertannen, dabei klug und verschlagen, verwegenen Humors und tollkühn im Kampfe.

Ein Bote der Freunde in Südtirol stand vor ihnen, und seine Kleider trugen die Spuren des Weges. Baraguay d'Hilliers war von Verona her in das Land eingerückt und stand in Trient. Seine Heeresmacht sei zu groß, als daß sie sich ihrer würden erwehren können, berichtete der Bote. Gleich in Sagonzano habe er zwei Bauern, die mit der Waffe in der Hand ergriffen worden seien, standrechtlich erschießen lassen. Zwei Opfer des Wahnsinns hätte er sie genannt und jedem »Aufrührer« das gleiche angedroht. Hofer möge kommen und helfen.

Die Mitteilung von der Erschießung der Landleute verursachte unter den Versammelten heftige Erregung.

»Der Kurzsichtige!« rief Haspinger. »Weiß er denn nit, daß sich Tausende von seinem Landsleuten in unsrer Gewalt befinden?«

Andere verlangten Vergeltung. Speckbacher rollte seine großen Feueraugen und rief: »Die beiden Toten zahln wir ihm mit je hundert Franzosen heim!«

»Vor die Stutzen mit ihnen!« schrien andere.

»Ruhe, Ruhe, liebe Freunde!« rief jetzt der bärtige Andrä und hob die Rechte ein wenig. »Mir tut's im Herzen weh, daß die zwei armem Menschen haben sterben müssen. Aber solln wir darum unsre reine Sach mit Blut beflecken und zu Mördern werden an Unschuldigen? Bedenkt's doch, Leut! Die Franzosen sind im ehrlichen Kampf gefangen worden. Sie haben ihre Pflicht gegen ihren Kaiser getan, als sie gegen uns fochten, wie wir die unsrige. Und jetzt solln wir die Wehrlosen hinschlachten!« Er ließ seine milden schwarzen Augen im Kreise herumwandern, und die Leidenschaften begannen sich zu beruhigen. »Ich will's dem Hilliers schreiben, daß ich kein Rebeller bin, sondern der rechtmäßige, vom Haus Österreich erwählte Kommandant von Tirol.«

Damit war die Sache entschieden, und der Bote konnte, nachdem er und sein Roß sich verschnauft und gestärkt hatten, mit der frohen Meldung zurückreiten: der Hofer komme.

Und er kam mit seinen Passeiern, an die sich unterwegs Herr von Tschöll mit viertausend Bauern und Gasser mit seinen Bozener Scharfschützen anschlossen. Die Österreicher brachen erst zwei Tage später vom Innsbruck auf, und als sie nach Trient kamen, hatte Baraguay d'Hilliers bereits vierundzwanzig Stunden vorher die Stadt geräumt. Das siegreiche Vordringen des Erzherzogs Johann in Italien nötigte ihn zum Rückzug aus Tirol. General Chasteler eilte ihm nach, und, verzehrt von dem Ehrgeiz, die Lorbeeren der Bauern zu verdunkeln, griff er ihn, ohne die Landwehren heranzuziehen, in einer für reguläre Truppen fast uneinnehmbaren Stellung an. Ja er verbot den Tirolern sogar, auf das linke Etschufer überzusetzen und den zurückweichenden Feind zu vernichten. Wie alle Zopf- und Gamaschengeister, die Österreich ins Land geschickt hatte, hegte er eine grenzenlose Verachtung gegen die Tapferkeit ohne Uniform, und er fluchte öffentlich darüber, daß er mit dem Hofer, einem Bauern, an einem Tisch habe essen müssen. Jetzt wollte er diesem Bauern beweisen, wie man militärisch schlage und siege, und Tausende von tapferen österreichischen Kriegern mußten diesen Dünkel mit ihrem Leben bezahlen. Chasteler hörte auf keine Vorstellungen, und nicht nur er selbst wurde blutig abgewiesen, sondern seine fehlerhaften Dispositionen brachten auch einen großem Teil seines Heeres unter dem Oberstleutnant Graf Leiningen, dem fähigsten Kopf in der österreichischen Armee und dem am wärmsten für die Sache Tirols schlagenden Herzen, in die höchste Gefahr, abgeschnitten und aufgerieben zu werden. Die Bauern retteten ihn auf eigene Faust. Hei, wie ihre Stutzen da den Franzosen den Totentanz pfiffen!

»Schau! Schau! wie der draufgeht«, rief Hofer während des Kampfes seinem Adjutanten Eisenstecken zu und wies nach dem Kirchlein im Tal, das abseits vom Dorfe etwas erhöht lag und dem Feind als Stützpunkt diente. »Den langen Bub mein ich dort rechts! Es sind Etschtaler.« Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte er das Gefecht bei der Kirche und strich sich dabei wiederholt den langen Bart. »Der hat Schneid!« murmelte er beifällig. Plötzlich lachte er kurz und laut auf. »Ich hab halt immer gemeint, daß ich den Bub kennen müßt. Jetzt weiß ich, wer's ist« Nach einer Weile fuhr er fort: »Jetzt hat er den Franzos ordentlich gepackt. Schau, schau, Eisenstecken!« Abermals wies er nach dem Kirchlein, wo die Etschtaler unter ihrem Führer in diesem Augenblick mit geschwungenen Kolben die Höhe nahmen und die Franzosen hinunterwarfen Bald darauf ging der Feind an allen Punkten zurück, und das Hurra der Sieger erschütterte die Luft.

Hofer verließ seinen Beobachtungsstand und schritt auf die Kirche zu. Oberstleutnant von Leiningen kam herangeritten und schüttelte ihm herzlich die Hand. »Das war Hilfe in der Not!« sagte er, und darauf Hofer: »Wie mag's denn anders sein, als daß wir waffenbrüderlich zusammenstehn in Not und Gefahr für Österreich? Gott sei gelobt, daß ich helfen konnt!«

Er ging weiter, überall mit frohen Zurufen begrüßt und von diesem und jenem zutraulich angesprochen. Eisenstecken und sein Ordonnanzoffizier, Peter Siegmayr aus Mittel-Ollang im Pustertal, begleiteten ihn. Auf dem schwer eroberten Kirchenbühl fanden sie bereits den Ortspfarrer und den Bader damit beschäftigt, die Schwerverwundeten zwischen den Gräbern aufzuheben und von den Siegern in das Gotteshaus tragen zu lassen, dessen Dach und Mauern die Spuren unzähliger Kugeln trugen.

Der Vorkämpfer der kleinem tapferen Schar hatte sich lässig auf ein Kreuz gestützt und sah zu, wie einem Manne, der daneben auf dem Grabhügel saß, von einer Frau ein Tuch um die blutende Stirn gewunden wurde. Der Filz seines keck aufs Ohr gesetzten Hutes war von einer Kugel zerrissen und sein Gesicht, aus dem zwei schwarze Augen blitzten, vom Pulver verschmiert, Beim Anblick Hofers richtete er sich mit allen Zeichen der Überraschung auf.

Der bärtige Andrä reichte ihm lächelnd die Hand und sagte: »Nu grüß dich Gott im Vaterland, Fra Rabbioso! Hast deine Sach gut gemacht! Gelt, sich mit den Franzosen schlagen ist ein ander und besser Stücklein, als verbotne Waren über die Berge schleppen und sich mit den Zollwächtern prügeln?«

Ambros, der in Hofer den Fremdem aus Pergine wiedererkannt hatte wurde feuerrot vor Freude über das ihm erteilte Lob.

»Und da sind ja noch mehr alte Bekannte!« rief der Sandwirt und wandte sich zu dem Verwundeten und der Frau, die Planatscher und Martha waren. Teilnehmend erkundigte er sich nach der Verletzung des ehemaligen Schmugglers. Die Wunde war unbedeutend, und Hofer scherzte: »Willst deine Frau wohl für künftige Fälle zum Bader an lernen? – Sie ist doch deine Frau!«

Martha sah verlegen vor sich nieder.

Da machte er ein sehr ernstes Gesicht und sagte: »Das duld ich nit. Auf der Stell im die Kirch mit euch!«

»Du meine himmlische Güte! Wir haben ja den Pfarrer nimmer zahln können ...«, stotterte Planatscher zu seiner Entschuldigung.

»Will's glauben«, versetzte Hofer.

Er rief den Pfarrer herbei und sagte zu ihm: »Hochwürden, hier sind zwei Leut, die müßt Ihr gleich ehelich zusammengeben.«

Der Pfarrer, ein alter Mann, lächelte, während er einem Blick auf das Brautpaar warf, und erklärte sich gern bereit.

Sie begaben sich alle in die Kirche, und die Etschtaler, die Ambros geführt hatte, schlossen sich ihnen an. Eine ergreifende Feierlichkeit lag über dieser Trauung, bei der alle, mit Ausnahme der Braut, bewaffnet waren und die Zeichen des eben beendetem Kampfes an sich trugen, während ringsum die Verwundeten auf der Strohschütte oder dem nackten Fußboden ächzten. Dem Dank des Paares entzog sich der bärtige Andrä schnell. Was er an Geld bei sich hatte, gab er heimlich dem Pfarrer zur Pflege der Blessierten.

Unterdessen hatten sich die Passeier Scharfschützen unterhalb der Kirche gesammelt. Hofer schwang sich in den Sattel und gab das Zeichen zum Aufbruch. Ambros mußte an seiner Seite bleiben.

»Wir haben noch ein Wörtlein miteinander zu reden«, sagte er, und nachdem er eine ganze Weile still dahingeritten war, fragte er plötzlich: »Jetzt, Bruder Rabbioso, wie heißt du eigentlich?«

Ambros nannte, ohne sich zu bedenken, seinem wirklichen Namen. Hofer lachte, denn er erinnerte sich aus Huebers Erzählung des kecken Streiches, dem Ambros den Bayern in St. Vigil gespielt hatte. Dieser wollte sich auch von einem Andreas Hofer nicht auslachen lassen und zog die Stirn kraus. Der Sandwirt klärte ihn über die Ursache seiner Heiterkeit auf und knüpfte daran die Frage, ob er wegen dieser Angelegenheit hätte aus dem Lande weichen müssen. Ambros schlug stumm die Augen nieder, und Hofer fragte nicht weiter.

»Der heutige Tag kann wohl manches wiedergutmachen«, meinte der Sandwirt nach einigen Sekunden. »Mit dem Fechten ist's jetzt wohl für eine Weil aus; aber zu tun gibt's noch genug. Da könnt ich dich schon brauchen.«

Er schlug ihm vor, mit ihm nach Innsbruck zu kommen, und Ambros ging mit Freuden auf diesen Vorschlag ein. Hofer verabschiedete ihn mit dem Bemerken, daß er sich in Bozen wieder bei ihm melden solle.

Ambros blieb zurück und hielt sich allein, während die Schützen und Milizen fröhlich miteinander plauderten, scherzten und sangen. Sie kehrten an den häuslichen Herd zurück – er hatte kein Heim. Die Begegnung mit Hofer in Pergine hatte ihn aus dem Taumel aufgescheucht, in dem er Erinnerungen und Reue unter den Paschern zu ersticken gesucht; und es war nach langer, langer Zeit wieder die erste reine Empfindung, die erste reine Freude gewesen, als er nach dem Siege vor dem Sandwirt gestanden hatte. Aber mochte, wie Hofer gesagt, der heutige Tag auch manches wiedergutmachen – das Blut Jergs würde dadurch nicht von seinen Händen gewaschen.

Eine wohlklingende Stimme weckte ihn aus seinem Brüten. Es war ein junger Mann seines Alters, der ihn fragte, warum er so abseits und traurig seine Straße ziehe. Es sei ihm wohl im Gefecht ein lieber Freund gefallen! Ambros schüttelte nur verneinend den Kopf; er konnte das Auge nicht von dem Unbekannten abwenden. Nie hatte er in ein schöneres und edler gebildetes Männerantlitz geschaut, und dieser Bildung entsprach die ganze Gestalt. Sanft und rein wie das Mondlicht, jedoch nicht kalt wie dieses, war das Auge; es sprach aus ihm ein so warmes, freundliches Gemüt, daß sich Ambros sofort von ihm gewonnen fühlte. Es war Peter Mayr, der Wirt von der Mahr, der sich durch sein organisatorisches Talent unter den Bauernführern ebenso auszeichnete wie Joseph Speckbacher durch seine militärische Begabung. Er hatte bisher für die Befreiung Südtirols gewirkt; nun ging auch er mit Hofer nach Innsbruck.

Alles, was er sagte, zeugte von einem hellen Verstande, mit dem sich ein tiefes, durchaus männliches Gefühl verband. Er war verheiratet, und als er davon sprach, daß er auf dem Wege nach Innsbruck seine kleinen Kinder und sein junges Weib wiederzusehen hoffe, leuchtete sein Gesicht von innerem Glück.

»Und du hast dich von ihnen losreißen können, um gegen die Franzosen zu ziehn!« murmelte Ambros, indem er sich mit seinem Leibgurt zu schaffen machte.

»Freilich wurd's mir schwer«, entgegnete Peter Mayr. »Aber ich hab ja auch für sie gestritten, indem ich fürs Vaterland in den Kampf zog. Mein Bub wird's besser haben als wir in diesen letzten Jahrn. Er wird keinem fremden Herrn zu gehorchen haben. Und just das hat mir die rechte Freudigkeit in dem Kampf fürs Vaterland gegeben.«

Mayrs Worte fielen Ambros schwer aufs Herz. Wenn es ihn danach verlangt hatte, sich mit den Bayern und Franzosen herumzuschlagen, so hatte dem hauptsächlich der Wunsch zugrunde gelegen, aus Verhältnissen, die ihm durch eigene Schuld unerträglich geworden waren, herauszukommen. Die eigenen Fesseln hatte er sprengen wollen, als er zu den Waffen gegriffen. Und heute – was hatte er in dem Gefecht anders gesucht als eine Betätigung seiner gärenden Kraft, als einen neuen, größeren betäubenden Rausch! Nicht daß er sich dessen klargeworden wäre! Aber es wühlte und riß in ihm.

»Wann die Kugel, die mir durch den Hut gegangen ist, ein paar Zoll tiefer eingeschlagen hätt, wär's mit allem zu End gewesen!« stieß er dumpf heraus.

Peter Mayr sah ihn befremdet an und sagte dann schlicht, aus dem. Herzen heraus: »Wann's mir bestimmt sein sollt, für mein liebes Vaterland zu sterben – einen schönern Tod könnt ich mir nimmer wünschen!«

Siegmayr, der ein heiteres Temperament besaß, gesellte sich zu ihnen, und die drei wurden gute Freunde. Auch er hatte zu Hause ein junges Weib, das er liebte, und einen Vater zurückgelassen, von dem er mit einer Achtung sprach, wie sie Ambros für den seinem nie empfunden hatte. Wie innerlich arm kam sich Ambros gegen seine neuen Freunde vor!

Da stand ein Wirtshaus an der Straße; im Wein gab es noch Vergessenheit, und er forderte seine beiden Freunde auf, mit ihm einen Trunk zu tun. Sie willfahrten ihm, aber seinen Zweck erreichte er nicht; denn Mayr von der Mahr drängte nach ein paar rasch geleertem Gläsern zum Aufbruch, und Ambros mußte ihnen folgen.

Weiter ging der Zug durch Dörfer, Städte und Flecken. Mit Trommelschlag und Pfeifenklang durchzogen die Sieger ihr heimatliches Land; es waren den Bayern und Franzosen abgenommene Trommeln, Pfeifen und Römer, mit denen sie den zurückgebliebenen Einwohnern ihre Ankunft verkündeten, und überall wurden sie mit Jubel begrüßt. Da sah Ambros, wie die Verteidiger des Vaterlandes von Schwestern, Bräuten, Gattinnen, Müttern und Vätern unter Lachen und Weinen willkommen geheißen, umarmt und geküßt wurden, und es schnitt ihm in die Seele. Würden Lisei und Stasi ihn nicht ebenso empfangen, wenn er nach St. Vigil zurückkehren könnte? Zum erstenmal seit seiner Flucht von Hause dachte er daran, wie schlecht er seiner Frau ihre Liebe gelohnt hatte. O daß der Marsch, auf dem er sich befand, doch zur Schlacht ginge! – Aber selbst ganz Unbekannte schüttelten den Siegern die Hand und beglückwünschten sie. Auch Ambros geschah es, und das goß einen Tropfen Balsam in die Brandwunden seines Gemüts.

In Bozen nahmen Planatscher und seine Frau vom Ambros Abschied. Sie wollten auf dem kürzesten Wege über das Grödner Joch nach Prags zurückkehren – hatten sie doch keinen bayrischem Vogt mehr zu fürchten und hofften mit ihren Ersparnissen vom Schleichhandel ihr Häuslein wieder aufbauen zu können.

Hofer suchte Anton Nessing in seiner Kaffeeschenke auf. Stumm, mit schimmernden Augen hielten sie einander bei beiden Händen. Im nächsten Augenblick lagen sie einander in den Armen und küßten sich. Das große Ziel, an dem sie im Verein mit Peter Hueber so lange mit der größten Beharrlichkeit, Umsicht, Uneigennützigkeit und Begeisterung gearbeitet hatten, war erreicht: Das Vaterland war von der Fremdherrschaft befreit! Hofer wußte zudem von dem siegreichen Vordringen des Erzherzogs Johann in Oberitalien zu berichten, und die Bulletins von der Donauarmee meldeten eine Reihe siegreicher Gefechte der Österreicher bei Regensburg.

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf daher Hofer, nachdem er gerade in Innsbruck eingetroffen war, und mit ihm das ganze Land die Nachricht, daß Erzherzog Karl bei Eckmühl Eckmühl – Eggmühl; niederbayrisches Dorf, wo am 22. April 1809 die berühmte Schlacht zwischen Franzosen und Österreichern stattfand. Durch das plötzliche Eintreffen Napoleons mit einem starken Korps wurden die Österreicher unter Erzherzog Karl (s. Anm. 61) trotz erbittertem Widerstand geschlagen und zum Rückzug gezwungen. Napoleon ernannte seinen Marschall Davout (1770-1832) für diesen Sieg zum Fürsten von Eggmühl. aufs Haupt geschlagen, Regensburg erobert und das österreichische Heer auf der Flucht nach Böhmen begriffen sei.

Die »Bauernkönige«, wie die Führer des Tiroler Landvolkes von den österreichischen Generälen spöttisch genannt wurden, verloren jedoch nicht den Kopfgleich dem Oberkommandanten Chasteler, der seine Truppen gegen die Nordgrenze, von wo kein Feind zu erwarten war, vorschob und dann ruhig der Dinge harrte, die da kommen würden. Haspinger und Speckbacher hatten, während Hofer nach dem Süden gezogen war, bereits Vorkehrungen getroffen, um das Land in verteidigungsfähigen Zustand zu setzen. Nun wurden diese Arbeiten mit verdoppeltem Eifer fortgesetzt: die Pässe im Osten durch Verhaue geschützt, Salpeter gegraben, Pulvermühlen errichtet, Pulverlieferungen aus der Schweiz verschrieben, das Blei aus den Bergwerken zum Kugelgießen herbeigeschafft, die Waffensammlungen auf den Schlössern mit Beschlag belegt und Arkebusen, Pistolen, Schwerter, Spieße, Hellebarden und Morgensterne am die Landmilizen verteilt. Männer, Frauen und Kinder legten überall begeistert Hand an.

Ambros hatte in Innsbruck anstrengenden Dienst und kam nicht zur Besinnung auf sich selbst. Speckbacher hatte Gefallen an ihm gefunden und ihn zu seinem Ordonnanzoffizier gemacht. Diesen kriegstüchtigen Bauernführer erfüllte die Untätigkeit des kommandierenden Generals mit einem um so größeren Unmut, als das Material, über das dieser verfügte, vortrefflich war und namentlich die ihm unterstellten jüngeren Offiziere, Oberstleutnant von Leiningen voran, vom besten Geist erfüllt waren. Schon Chastelers Aktion in Südtirol hatte Speckbacher und Haspinger mißtrauisch gegen dessen Feldherrntalent gemacht. Was sollten sie nun davon denken, daß er gegen alle Vorstellungen und Bitten, die bedrohte Ostgrenze, wo der Bauernführer Oppacher den Strub-Paß auf eigene Faust besetzt hatte, zu schützen, taub blieb!

Die Mißstimmung über Chastelers Untätigkeit angesichts der drohenden Gefahr ergriff ganz Innsbruck, und am Himmelfahrtstage sammelten sich fortwährend Haufen aufgeregter Menschen vor dem Hause des Feldmarschalleutnants, der tags zuvor den Honoratioren der Stadt und seinen Offizieren ein glänzendes Diner gegeben hatte. Der Unmut machte sich in lauten Äußerungen Luft. Man solle ihn zwingen, zu marschieren oder doch wenigstens die Landesmilizen einzuberufen. Man wollte wissen, daß es an der Grenze bereits zu Kämpfen gekommen sei. Rufe erhoben sich, die Chasteler des Verrats beschuldigten. Man schlage sich, und er schwelge. »Marschieren! Marschieren!« schrie man.

Da drängte sich Graf Leiningen durch die aufgeregte Menge. Hofer, Haspinger und Speckbacher waren bei ihm gewesen, um durch ihn, den Oberstleutnant, einen letzten Versuch zu machen, den General zur Aktion zu bewegen. Der junge Offizier verschwand im Hause, und über die Menge breitete sich eine erwartungsvolle Stille. Einmal sah man ihn und den General an einem der Fenster erscheinen. Dann endlich trat der Oberstleutnant wieder aus dem Hause; sein Gesicht war hoch gerötet. Auf der Schwelle blieb er einen Augenblick stehen und rief, so laut er vermochte: »Wir marschieren!«

Hurrarufe und Jauchzer erschütterten die Luft

Am nächsten Morgen setzte sich die bei Hall stehende Vorhut in Bewegung. General Chasteler folgte mit seinem Stabe. Unterwegs traf er auf einen Boten Oppachers. Die Ahnungen der Innsbrucker hatten nicht getrogen. Generalleutnant Wrede Wrede – Karl Philipp Fürst v. Wrede (1767-1838), bayrischer Feldmarschall; erhielt 1805 als Generalleutnant das Oberkommando über eine Division des für Frankreich gegen die Österreicher kämpfenden bayrischen Heeres und hatte 1809 Anteil an den französischen Siegen bei Abensberg (20. 4.) und Landshut (21. 4). Im gleichen Jahre besetzte er Innsbruck und unterwarf dann ganz Tirol. war am Himmelfahrtstage durch das Salzkammergut gegen den Strub-Paß vorgedrungen. Neun Stunden hatte Oppacher den Bayern Widerstand geleistet und sich dann mit seiner stark gelichteten Schar auf die Straße nach dem Inn zurückgezogen. Jetzt stand er bereits wieder im Kampfe.

Kaum hatte der Bote seinen Bericht beendet, als ein anderer die Meldung brachte, daß der bayrische General Deroy Deroy – Bernhard Erasmus Graf Deroy (1743-1812), bayrischer General; reorganisierte 1804 das bayrische Heer, erhielt 1805 den Oberbefehl in Tirol. 1809 befehligte er eine Division unter Lefebvre (s. Anm. 122) und nahm an der Einnahme von Innsbruck teil. bereits den Windbühl stürme.

Hofer und seine Freunde warteten mit verzehrender Ungeduld, daß der Feldmarschall die Landwehren aufrufe. Es geschah nicht. Statt dessen erhielten sie Nachricht, daß der Feind auch den Luftensteiner Paß im oberen Pinzgau, zu dessen Verteidigung die Schützen des Pustertals über den noch mit Schnee bedeckten Krümmler-Tauern herbeigeeilt waren, zu erzwingen suche. Hofer schrieb sofort dem General Chasteler, daß er auf der rechten Flanke umgangen und von Innsbruck abgeschnitten würde, wenn er nicht Tirol zu den Waffen riefe. Ambros, der vor Begierde brannte, an dem Feind zu kommen, wurde auf seine Bitte mit dem Überbringen der Depesche beauftragt. Froh jagte er auf einem guten Pferde davon. In Hall wurde ihm der Weg durch aufgeregte Bergarbeiter, Bauern und Weiber versperrt, die zwei österreichische Offiziere umringt hatten. Die Leute waren dem Pferden der Österreicher in die Zügel gefallen, überhäuften sie mit Schmähungen und drohten sie niederzuschießen. Zu seinem grenzenlosem Erstaunen erkannte Ambros in den Bedrohten den Feldmarschall Chasteler und dessen Flügeladjutanten. Nur mit Mühe gelang es ihm, sich durchzudrängen, wobei er den Leuten zurief, sie sollten Ruhe halten, der Offizier sei General Chasteler. Ebendarum hätten sie ihn aufgehalten, schrien die Aufgeregten. Er sollte nicht weiter retirieren, oder sie würden ihm vom Pferde schießen.

»Retiriern?« fragte Ambros erstaunt »Aber was ist denn geschehn?«

»Allerdings sind wir geschlagen«, ergriff jetzt der General das Wort, während der Adjutant sein Pferd mehrere Bewegungen machen ließ, um die Nächststehenden zurückzudrängen. »Aber ich denke an keine Flucht. Ich schwöre es euch bei meiner Ehre und meinem Leben, daß ihr den Bayern nicht schutzlos preisgegeben werden sollt. Schon morgen wird General Schmidt mit seinen Truppen bei euch eintreffen!«

Neues Geschrei erhob sich. Alle seine Versprechungen taugten den Teufel.

Da zog Ambros seine Depesche hervor und rief, sie durch die Luft schwingend: »Im Namen des Hofer, laßt ihn frei. Der Hofer schickt diesen Brief an ihn!«

Das wirkte. Wenn auch zögernd, mit den geballten Fäusten drohend und ihre Stutzen schwingend, gaben sie dem General, der den Brief ungeöffnet in die Tasche steckte, Raum, und er sprengte mit seinem Adjutanten nach Innsbruck davon.

In demselben Augenblick kam der Kronenwirt Straub mit seinen Schützen von der Brücke bei Volders her, und von ihm erfuhr Ambros, daß die österreichischen Truppen bei Wörgl im Inntal eine vollständige Niederlage erlitten hätten. Taub gegen seine und Oppachers Vorstellungen und ohne Rücksicht auf die zahlreiche Reiterei und Artillerie der Bayern, hatte sich General Chasteler dort in der Ebene aufgestellt und war schon beim erstem Ansturm des Feindes gänzlich auseinandergesprengt worden; sämtliche Geschütze und das gesamte Gepäck waren verlorengegangen. »Der Oppacher und ich, die wir mit unsern Schützen auf dem Höhn standen«, schloß der Kronenwirt seinen Bericht, »wollten unsern Augen kaum traun. Wie ein toller Wirbelwind war's. Darauf sind wir denn sacht abgezogen.«

Als Ambros mit dieser niederschmetternden Nachricht zu Hofer kam, war General Chasteler über den Brenner nach Steinach geflüchtet. Was ihn forttrieb, war die eben von den Zeitungen veröffentlichte Achtserklärung, die Napoleon gegen ihn erlassen hatte. Denn Napoleon tat ihm die Ehre an, ihn für den »Urheber des Aufstandes« zu halten, und proklamierte, daß er vierundzwanzig Stunden nach seiner Verhaftung als Chef einer Räuber- und Mörderbande erschossen werden solle. Die Ächtung brachte den General Chasteler fast von Sinnen; er trachtete nur noch, aus dem »verfluchten Lande«, wie er Tirol nannte, herauszukommen, und traf demgemäß seine Anstalten. Der Kurier jedoch, der den noch im Inntal stehenden Truppen den Befehl zum Abmarsch bringen sollte, wurde von Haspinger und Hofer, die dem General nach Steinach folgten, abgefangen, und jene Truppen blieben mit dem Oberstleutnant von Leiningen im Lande.

General Chasteler war anfangs wie betäubt, als er den Sandwirt plötzlich vor sich stehen sah. Was wollte dieser Bauer noch, dieser Empörer, für dessen Hochverrat er von Napoleon geächtet war? Hofer und Haspinger zählten ihm alle Mittel auf, die zur Fortsetzung des Krieges in einem Lande wie Tirol noch reichlich vorhanden wären. Er aber wollte nichts hören. Hofer zog die Proklamationen hervor, die Chasteler erlassen und in denen er wiederholt das Versprechen gegeben hatte, daß er mit den Tirolern, deren Anführung sein Stolz sei, leben, fechten oder sterben werde. Haspinger mahnte ihn an seine Pflichten gegen das gemeinsame Vaterland und erinnerte an die Schandtaten, mit denen der Feind seine Bahn bezeichnete. Da wurde Chasteler weich und versprach zu bleiben. Er forderte Hofer auf, die Tiroler zu den Waffen zu rufen und mit ihnen bei Sterzing zu ihm zu stoßen.

Froh atmete Hofer auf und eilte ans Werk. Der Waffenruf hallte durch das Land; in den Dörfern ertönten die Sturmglocken, und auf den Bergen flammten die Kreitfeuer.

Als sich Hofer aber mit seinen Passeiern bei Sterzing einfand, vernahm er, daß General Chasteler mit der ganzen österreichischen Armee aus dem Lande gewichen sei. War diese Nachricht für den Patrioten schon schmerzlich, so erfüllte der Treubruch Chastelers das vertrauensvolle Herz des bärtigen Andrä mit noch tieferem Weh. Er erholte sich nur schwer von diesem Schlag, aber den Kopf verlor er auch jetzt nicht. Er erließ sofort ein Schreiben an die Gemeinden des Tiroler Landes, worin er den Abzug des österreichischen Heeres kundtat, und schloß: »Der gemeine Mann bleibt felsenfest und vertraut auf seine gerechte Sache, entweder glücklich zu, siegen oder mit Ruhm zu sterben.«

Unterdessen hausten die Bayern fürchterlich in Nordtirol. Schon bei dem Gefecht am Strub-Paß hatten sie, aus Wut über ihre schweren Verluste, mach dem Worte Napoleons gehandelt: man solle alle mit Waffen gefangenen Tiroler über die Klinge springen lassen. Was sie hier in der blinden Wut des Kampfes taten, geschah anderswo mit kaltem Blute. Wohin sie kamen, wurde geplündert, gebrannt, gemordet; es wurden Schandtaten verübt, wie sie die wüsteste Zeit des Dreißigjährigen Krieges gräßlicher nicht aufzuweisen hat. Die Demoralisation der Rheinbundtruppen durch Napoleon brach wie ein Schlammvulkan hervor; völlig erstickt war in ihnen das Gefühl der Landsmannschaft und der Vaterlandsliebe. Der gemeine Soldat war nur noch der Gestalt nach ein Mensch; sein Tun glich dem einer losgelassenen wilden Bestie, und Generalleutnant Wrede vermochte seine Mannschaften nicht zu zügeln.

Wer irgend konnte, floh vor den entmenschten Horden in die Gebirge oder nach Innsbruck, und die Schilderungen der Flüchtlinge von den Greueln, die sie erlebt, entflammte die Hörer zu höchster Wut Racheglühend strömten die Tiroler Schützen und Landwehren in Sterzing zusammen. Speckbacher und Straub führten ihre vor den Bayern zurückgegangenem Unterinntaler herbei, Haspinger die Schützen von Latzfons, Villanders und Veldthurns, Thalguter seine Algunder, von Tschöll seine Bauern, Gasser die Scharfschützen von Bozen, Kemenater die Pustertaler und unter ihm der Bäcker von St. Vigil die Enneberger. Aber auch viele Adlige stießen jetzt mit den von ihnen gebildeten Schützenkompanien zu Hofer. Dazu kamen die noch im Lande verbliebenen Österreicher mit sechs Geschützen unter Oberstleutnant von Leiningen. Alle ordneten sich dem Befehl des Sandwirts bereitwillig unter. An Schießbedarf war kein Mangel, denn Speckbacher hatte den guten Einfall gehabt, die Munitionskarren des Generals Chasteler mit Beschlag zu belegen.

Am Morgen des 25. Mai standen die Tiroler abermals im Angesicht Innsbrucks auf den Höhen des Berges Isel. Links von der in die Ebene sich hinunterziehenden Landstraße, an einer Stelle, die einen freien Überblick gestattete, befanden sich Hofer, Speckbacher und Haspinger mit ihren Adjutanten und Ordonnanzen, unter ihnen Ambros. Mit seinen Landsleuten aus St. Vigil war Ambros noch nicht zusammengetroffen. Speckbacher und Straub hatten mit ihren Mannschaften den Marsch über den Brenner angetreten, ehe jene bei Sterzing angelangt waren.

Von der Stadt her begannen die Bayern ihre Gefechtsstellung einzunehmen. Den Befehl in Innsbruck hatte General Deroy. Kavallerieschwadronen bewegten sich nach Wiltau zu und links im Richtung auf Schloß Ambras, das als Lazarett diente und noch voll verwundeter Bayern und Franzosen lag. Schützenzüge entwickelten sich in der Linie; Infanterie marschierte in geschlossenen Kolonnen mit fliegenden Fahnen geradewegs aus der Stadt heraus über die Wiesen und grünen Saaten. Artillerie rückte rasch vor und protzte ab, hier und da durch einen Graben aufgehalten, der rasch zugeworfen wurde. Überall flimmerte und blitzte es in der Sonne von Waffen. Trommelschlag und Trompetensignale ertönten nah und fern. Schon fiel aus der Deckung suchenden Schützenkette ein voreiliger Schuß.

Die Tiroler hielten sich still und ernst in ihren geschützten Stellungen auf den Höhen. Sie fühlten, es würde ein sehr heißer Tag werden, heißer als jener 12. April, an dem sie ohne Kommando gleich geschwollenen Wildbächen auf den Feind herabgestürzt waren. Noch nie hatten sie einem so zahlreichen Feind gegenübergestanden wie heute. Er war ungleich stärker als sie und gebot vor allen Dingen über eine sehr ansehnliche Reiterei sowie über zwanzig Feuerschlünde. Aber dafür lagen heute die Zügel in erfahrener Hand, und vertrauensvoll schauten die Tiroler auf ihren Andrä, der droben so ruhig und sicher neben Haspinger und Speckbacher stand. Mit intensiven Blicken beobachteten alle drei die Evolution der feindlichen Macht, wobei sie nur dann und wann eine kurze Bemerkung austauschten. Plötzlich richtete sich Speckbacher straff auf, und über sein hageres, wie aus Buchsbaum geschnittenes Gesicht mit der Adlernase und den Adleraugen glitt der Schein eines grimmigen Lachens. Zugleich tat Hofer einen tiefen Atemzug und sagte: »Es ist Zeit!« Ein Händedruck, und sie trennten sich. Haspinger, dessen roter Bart in der Sonne wie eine Feuerflamme loderte, begab sich auf dem rechten Flügel, Speckbacher auf den linkem, der Sandwirt blieb im Zentrum, wo die Passeier und Österreicher standen.

»Das gibt einem rechtschaffnen Tanz«, meinte Speckbacher im Gehen zu Ambros. »Heut machen wir aber die spröden Madln, und es soll den Bayern wohl blutigen Schweiß genug kosten, eh wir uns von ihnen aufziehn lassen!«

»Wir greifen nit an?« fragte Ambros enttäuscht.

»Das könnt den Bayern halt gefalln, wann wir uns von ihrer großen Kavallerie dort unten in die Pfanne haun ließen!« entgegnete Speckbacher, und als jetzt in dem Gehölz vor ihnen mehrere Schüsse in das Tal losgingen, scherzte er: »Das sind dem Straub seine Flöten. Halt dein Blut kalt!«

Dies war leichter gesagt als getan, und Ambros kaute ungeduldig an seinem Schnurrbart, während seine Landsleute mit dem immer näher rückenden Feinde Kugeln wechselten; und dann ergriff er den Stutzen eines gefallenen Tirolers samt dessen Munitionstasche und feuerte eifrig mit. Das Büchsenfeuer knatterte jetzt längs der ganzen Schützenkette hüben und drüben; Rottenfeuer begann sich hineinzumischen, die Kanonen dröhnten und krachten. Die Bayern gingen mit Hurra zum Sturm auf die Höhen vor. Sie wurden blutig empfangen und abgewiesen. Kaum aber hatten sie sich wieder gesammelt, so drangen sie von neuem vor, unterstützt von einem mörderischen Granatfeuer. Kugeln, Eisenstücke, Felssplitter und Baumäste sausten dem Tirolern um die Köpfe; aber sie standen fest. Das Ringen wurde heißer und blutiger.

General Deroy tat genau das, was Speckbacher im Kriegsrat vorausgesetzt hatte. Gelänge es ihm, den linkem Flügel der Tiroler, der oberhalb Wiltau stand, zurückzuwerfen, so würde deren ganze Schlachtlinie aufgerollt werden. Deshalb richtete er dorthin seinem Hauptangriff. Da aber standen die Ober- und Unterinntaler, an die sich die Eisack- und Etschtaler anschlossen. Sturm auf Sturm brauste gegen ihre Stellungen heran. Der Boden wurde von Kanonenkugeln aufgepflügt, die Bäume von den Kartätschen zersplittert und gefällt, und auf dem kurzen, vom Blute schlüpfrigem Rasen häuften sich die Leichen. Das Gesicht Speckbachers wurde immer grimmiger, und seine großen Augen sprühten ein wildes Feuer.

»Die sakrischen Bayern sind nit abzuschütteln!« murrte er, als er den dritten Sturm abgeschlagen hatte und die Kugeln der Seinen jenen nachsausten. »Sie haben sich in uns verbissen wie die Saupacker in einem Keiler. Jetzt lauf ums Leben, Falkner! Der Haspinger soll mir von seinem Flügel Verstärkung schicken. Die Angriffe auf ihn haben nix zu bedeuten; die Bayern wolln ihn bloß festnageln. – Du blutiger Heiland, wie sie unter uns hier aufgeräumt haben!«

Ambros eilte davon. Dem Sandwirt aber war die Not seines linkem Flügels nicht entgangen, und er hatte Haspinger bereits Order zukommen lassen. Die Hilfe war schon im Anmarsch, und Ambros traf sie auf halbem Wege.

»Hurra, der Ambros!« scholl es ihm entgegen. Es waren die Vigiler und eine Kompanie Österreicher, die Haspinger abgesandt hatte, und viele Hände streckten sich Ambros zum Willkommen entgegen. Mutschleitner, das Gamsmanndl, der Jöchlbauer, der Löffel-Franz und andere schüttelten ihm die Hand. Aber es war jetzt keine Zeit zum Schwatzen.

»Vorwärts! Vorwärts!« Im Laufschritt ging es über die Berge. Es war die höchste Zeit, daß sie ankamen, denn schon hatten sich die Bayern wieder geordnet und ebenfalls Verstärkung herangezogen; schon prasselten ihre Kugeln wieder durch Äste und Gezweig. Die feindlichen Kolonnen rückten vor; hinter ihnen schlugen die Trommeln. Jetzt schwiegen sie, die Kolonnen hielten und senkten die Gewehre, Salven krachten. Und wieder dröhnten die Trommeln, schneller, immer schneller. Vorwärts mit Hurra! Da sprühte ihnen das Verderben hundertfältig aus den Stutzen und Gewehren der Tiroler entgegen. Wie wenn ein Hagelwetter in ein Kornfeld niedergeht, daß die Halme knicken, brechen, sinken – so schmetterten die Kugeln in die Reihen der Bayern und übersäten die Abhänge mit Verwundeten, Sterbenden und Toten. Aber weiter vorwärts stürmten die Lebenden.

Da war es auch mit dem kalten Blut der Tiroler vorüber. Ambros sprang als erster mit geschwungenem Kolben vor, die Vigiler ihm nach, und sie rissen Straubs Mannschaft mit sich fort. Das war ein Schreien, ein Knirschen der niederschmetternden Kolben! Die Bayern mußten zurück, und die Tiroler hängten sich an sie. Ein wüster Knäuel wälzte sich abwärts nach Wiltau. Vergebens schrien Speckbacher und Straub dem Ihren energisch »Halt!« zu; sie hörten nicht. Plötzlich erbebte der Boden von Hufschlag. Ambros bemerkte die heransprengende Kavallerie glücklicherweise noch im letzten Augenblick, und es gelang ihm, wenigstens dem größten Teil der Mannschaft wieder zu sammeln. Die anderen wurden niedergeritten oder zu Gefangenen gemacht. Langsam wichen die Tiroler gegen die Höhe zurück. Infanterie fiel ihnen in die Flanken und suchte sie zu umzingeln. In wütendem Ringen und unter schweren Opfern schlugen sie sich durch. Dann nahmen Speckbachers Schützen sie auf, und sie waren gerettet, unter ihnen Ambros, der sich wie ein Rasender geschlagen hatte. Speckbacher drohte seinem Ordonnanzoffizier zornig mit der Faust. Aber Ambros' schwarze Augen lachten, und jener wandte sich brummend ab, um sein Wohlgefallen an dem tollkühnen Burschen zu verbergen.

Der Sturm auf die Stellung der Tiroler wurde nicht erneuert. Das Gewehrfeuer verstummte, und auch die Kanonen hörten auf zu brummen und zu krachen. Die Hörner und Trommeln in der Ebene riefen zum Sammeln. Als die Tiroler sicher waren, daß der Feind keinen Angriff mehr beabsichtigte, überließen sie sich auf dem schwer behaupteten Boden der wohlverdienten Ruhe. Feuer zum Abkochen wurden angezündet; aber außer dem Militär hatten wohl nur wenige etwas zum Kochen bei sich, und die meisten mußten sich mit einem Stück Brot oder Käse begnügen, das mit einem Schluck aus der Feldflasche angefeuchtet wurde. An den Ufern der Sill lagen sie zu Hunderten und löschten ihrem Durst, wobei es denn an derben Neckereien und Späßen nicht fehlte.

Für Ambros gab es noch mancherlei zu tun, und die Sonne, neigte sich bereits zum Untergehen, als es ihm endlich möglich war, seine Talgenossen aufzusuchen. Er fand die Vigiler unweit der Stelle, wo sie gefochten hatten. Sie hatten Wachtfeuer angezündet, und als er herantrat, wurde er mit Freuden begrüßt. Die einen schüttelten ihm die Hand, die anderem klopften ihm vertraulich und lachend auf die Schulter. Mutschleitner trank ihm aus seiner Feldflasche zu, und das Gamsmanndl rückte schweigend auf seinem Baumstamm beiseite, damit Ambros sich zu ihm setze. Der Kampf hatte ihre Zahl bedenklich gelichtet. Mancher hatte das Leben lassen müssen, unter ihnen der Löffel-Franz; andere waren in Gefangenschaft geraten oder lagen verwundet im Schloß Ambras, und zu diesen gehörte auch ihr Führer, der Bäcker.

In das lebhafte Durcheinanderreden, aus dem Ambros all die Neuigkeiten erfuhr, rief der Jöchlbauer, er müsse jetzt ihre Führung übernehmen. Der Vorschlag wurde mit allgemeinem Beifall aufgenommen, und die Feldflaschen kamen wieder zum Vorschein, um auf das Wohl des neuen Hauptmanns zum Munde geführt zu werden.

Ambros wehrte sich erregt gegen die Wahl; er begriff nicht, daß die Leute ganz und gar die Schuld vergaßen, die auf ihm lastete. Sollte er sie daran erinnern?

Da sagte Mutschleitner: »Wir lassen dich nit mehr aus. Wegen dem Jerg kannst ruhig sein; der lebt. Wär er nit gar so feig, würd er hiersein. Aber wie der Aufruf kam, da hat er just in Geschäften verreisen müssen.«

Das Gamsmanndl spuckte verächtlich im das Feuer; andere belegten Jerg mit wenig schmeichelhaften Titeln.

Ambros starrte Mutschleitner mit stockendem Pulsschlag an; dann war es ihm, als riesele ein Nebel in ihm nieder. Das Herz setzte mit starken Schlägen ein, und er lachte laut auf, brach ab und lachte wieder. Darauf setzte er sich neben Sampogna auf den Baumstamm und bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen. In der nächsten Minute sprang er jedoch wieder auf und schüttelte Mutschleitner, dem Jöchlbauern und jedem, der ihm nahe war, die Hand. Sprechen konnte er nicht; zu mächtig durchbrauste ihn die Freude, daß die Blutschuld von ihm genommen war.

»Ja, er ist gesund wie ein Fisch«, nahm Mutschleitner wieder das Wort »Das Gamsmanndl hat allerwärts in den Bergen nach dir gesucht, um es dir zu sagen.«

Ambros wandte sich zu dem kleinen, graubärtigen Gerber, der bisher stumm seine ewig brennende Pfeife geschmaucht hatte, und legte ihm mit einem festen Druck die Hand auf die Schulter.

Jetzt nahm der Alte die Pfeife aus dem Munde und sagte: »Deiner Schwester zulieb hab ich's getan.«

»Ah, meine Schwester!« atmete Ambros tief auf. »Und sonst …? So red doch!«

»Ja, wo hast denn die ganze Zeit über gesteckt?« fragte der Färber dazwischen.

Ein Getöse, das in diesem Augenblick bei den Vorposten entstand, schnitt die Antworten ab, und alle griffen zu den Waffen.

Von den Vorposten waren Überläufer angehalten worden: Tiroler, die die bayrische Uniform hatten anziehen müssen und jetzt, da sie ihren Landsleuten so nahe gegenüberstanden, desertiert waren. Sie wurden von den Ihren mit Jubel zu den Lagerplätzen geführt

Ambros blieb zurück. Sampogna war an seiner Seite.

»Ich kann's mir vorstelln, wie vergnügt sie sind, wieder zu ihren Leuten zu kommen!« äußerte Ambros, während er den desertierten Soldaten nachblickte. In dem Ton seiner Worte drückte sich deutlich die Erleichterung seines Gewissens aus.

»Glaub's wohl«, erwiderte das Gamsmanndl. »Aber laß uns irgendwo unter Wind gehn! Hier streicht's kalt von den Bergen.« Er begann unter den Tannen aufwärtszusteigen, wobei er das Feuer, an dem sie vorher gesessen, geflissentlich vermied. »Wer weiß aber, ob sie's zu Haus so finden, wie sie's verlassen haben!« setzte er hinzu.

»Soll das auch mir gelten?« fragte Ambros betroffen und blieb stehen.

Das Gamsmanndl antwortete nicht sogleich; es suchte sich erst eine bequeme Stelle zum Niedersitzen aus. »Du wirst daheim auch manches anders finden, als es gewesen ist«, sagte er, nachdem er sich hingesetzt hatte, und begann Feuer für seine Pfeife zu schlagen.

Ambros stützte sich mit beiden Händen auf das Gefäß seines Säbels und sah zu, wie die Funken von dem Stein in der Dunkelheit aufsprühten. Es überkam ihn eine Ahnung, daß er Unangenehmes hören werde, und vielleicht war es diese Ahnung, die ihn am Fragen hinderte. – Später erinnerte er sich ganz genau, wie die Funken aufsprühten, wie ihm der Bart seines alten Jagdgefährten dabei merkwürdig grau erschien und er dadurch lebhaft an die Gnomen gemahnt wurde.

»Ja, deine Schwester hat derweiln geheiratet«, begann Sampogna und fuhr mit dem Schwamm, der Feuer gefangen hatte, in der Luft hin und her, um ihn stärker anzufachen. »Den Jerg.«

Diese Nachricht machte Ambros im erstem Augenblick sprachlos. Dann brach der Zorn bei ihm durch, und er rief: »So hat der Lump doch sein Stück durchgesetzt? Himmel, Herrgott, da wollt ich doch …! Ich hätt's freilich denken können, daß der Vater sie zuletzt doch zwingen würd, ihn zu nehmen. Das ist ja zum Verrücktwerden! Aber nein, ich hätt's von der Lisei nimmer gedacht, daß sie sich zwingen lassen würd! Er muß sie über alle Maßen gequält haben.«

»Bleich genug hat sie an ihrem Hochzeitstag auch ausgeschaut«, sagte der kleine Gerber, der unterdessen eifrig an seiner hölzernen Pfeife gesogen hatte und nun mit einem letzten kräftigen Zug den Deckel des Pfeifenkopfes schloß. »Was der Klosterbauer angestellt hat, um sie sich zu Willen zu machen, weiß ich nit. Wer sich aber dabei verspekuliert hat, das ist der Jerg. Er hat sich arg in die Nesseln gesetzt. Das hat ihm jeder gegönnt Um deine Schwester tut's mir freilich leid. Da kommt jetzt Reichtum zu Reichtum, hat's geheißen, und nachher ist's nix damit gewesen. Der Jerg hat sich von wegen dem Klosterhof den Mund wischen müssen. Der Hof ist in die Gant geraten und verkauft. Der junge Eckschlager sitzt jetzt drauf!«

»Treibst du deinen Spaß mit mir?« murmelte Ambros mit weitgeöffneten Augen.

»Die Geschicht ist freilich verwunderlich schnell gekommen«, versetzte Sampogna, »so plötzlich wie ein Blitz aus dem Stutzen. Paff! Da hat die Kugel auch schon eingeschlagen.« Er erzählte, was er über die Ursache des jähen Glückswechsels in dem Verhältnissen des Klosterbauern gehört hatte.

Ambros brach in ein schallendes Gelächter aus, so daß Sampogna ihn anfangs verwundert, dann mit einem unheimlichen Gefühl betrachtete.

»Wann du von wegen dem Jerg lachst …«, begann er wieder.

Ambros aber, der seine Worte gar nicht gehört hatte, stammelte tonlos vor sich hin: »Der Klosterhof verlorn! Und mich hat er aus dem Haus gestoßen, weil ihm die Stasi als Klosterbäuerin nit anstand! Der Klosterhof verlorn! Und deswegen hat er die Lisei gezwungen, den Jerg zu heiraten! Um den Klosterhof hat er meine Mutter unglücklich gemacht und den Larseit!« Und die Stimme plötzlich erhebend, rief er:

»Das ist lustig! Zum Teixel, so lach doch!«

Das Gamsmanndl sah von der Seite zu ihm auf; er aber bemerkte es nicht. Mit heftig arbeitender Brust suchte sein Auge zwischen den Ästen die Sterne.

Sampogna rauchte einige Minuten schweigend fort, dann sagte er: »Ich hab deinen Vater nit mehr zu sehn gekriegt, seitdem ihn das Unglück betroffen hat. Er soll nit gern unter die Menschen gehn, und sie sagen, daß er sich jetzt noch viel herber und hochmütiger gibt als früher. Ja, ja, es ist daheim vieles anders geworden, und ein rechtes Unglück war's, daß du damals, nach der Geschicht mit dem Jerg, geflohn bist. Du hast ihn tüchtig gezeichnet. Vielleicht hättst du's verhindern können, daß er deine Schwester kriegt; aber das ist nit das schlimmste. Das Schlimmste hat dich selbst getroffen.«

Er erzählte, wie Stasi durch den Schreck über seinen vermeintlichen Totschlag zu früh von einem toten Knaben entbunden worden sei und dem Verstand verloren habe.

Ein dumpfer, gurgelnder Laut rang sich aus Ambros' Kehle, und er sank gegen den Baumstamm, an dem er stand. Im nächsten Augenblick schnellte er empor, um der eng zusammengeschnürten Brust durch einen Schrei Luft zu machen, aber er brachte keinen Laut hervor. Er sank wieder gegen die Tanne und stöhnte tief auf.

»Sei ein Mann!« sagte das Gamsmanndl und ging zu ihm hin. Ambros machte eine matte, abwehrende Bewegung, und Sampogna, der einsah, daß es am besten wäre, ihn vorläufig sich selbst zu überlassen, entfernte sich nach einigem Zögern. Das Kind tot, Stasi irrsinnig – das drückte wie Blei auf Ambros' Hirn und Herz und ließ zunächst kein eigentliches Denken und Empfinden zu. Unter ihm glühten, an den Hängen verstreut, die roten Wachtfeuer; die feierlichen Töne eines geistlichem Liedes drangen gedämpft an sein Ohr, und in dem Unterholz nicht weit von ihm begann eine Nachtigall zu schlagen. Da war es, als ob ein Riß durch sein Herz ginge, und aus dem dumpfen Chaos in ihm tauchte Stasis Bild in voller Lieblichkeit auf. Sie war irrsinnig! Er warf sich zur Erde, drückte das Gesicht ins Moos und – weinte.

Er weinte und schluchzte, daß die Nachtigall darüber verstummte.

Es war schrecklich anzuhören. Aber dann schämte er sich, knirschte mit den Zähnen und ballte die Fäuste. Er sprang auf. War nicht die Hartherzigkeit des Vaters und die Hinterlist Jergs schuld an allem?

Aber da flammte es plötzlich vor ihm auf, daß es nicht die Erbitterung wegen des Klosterhofes gewesen war – wenn sie auch daran teilgehabt –, weshalb er die Hand gegen Jerg erhoben hatte. Es stand jener Auftritt vor ihm, da er, noch glühend von den Küssen Afras, Stasi das Kreuz vom Halse gerissen hatte. Er sah wieder den ahnungsvollen Blick seines jungen Weibes auf sich ruhen und schlug die Hände vor das Gesicht. Was half es? Das Bild war nicht vor ihm, sondern in ihm! Er floh tiefer im die Nacht des Waldes hinein. Vergebens! Vergebens! Seine Untreue hatte vollendet, was seine Lieblosigkeit begonnen: sie hatte sein Kind getötet und den Verstand seines Weibes zerstört! Dagegen kam keine Selbsttäuschung auf; das bohrte wie eine Schraube ohne Ende in seinem Herzen. Berghoch häufte sich seine Schuld über ihm. Das schrecklichste war, daß er jetzt, da er es durch seine Selbstsucht unwiederbringlich verloren, immer wieder des Glücks. das ihm Stasis Liebe geschenkt hatte, gedenken mußte! Was waren die Qualen jener Nacht, in der er als vermeintlicher Mörder von Hause geflohen war, gegen die, die ihm das Selbstbekenntnis seiner Schlechtigkeit und Schuld verursachte! Zum erstenmal sah er sich in seiner sittlichen Nacktheit

Er irrte im Walde umher, bis es tagte. Es war ein köstlicher Maimorgen; aber er empfand nichts von dessen bräutlichen Zauber. Sein Blut fieberte, sein Gesicht war bleich, seine Augen glühten. Und mit brennenden Augen schaute er in die Ebene hinunter, wo gestern der Kampf gewütet hatte und wo er sich heute erneuern mußte. Auf den Lagerplätzen wurde es lebendig.

Der Tag verging jedoch ziemlich ruhig, und die Innsbrucker, die den weiteren Ereignissen mit beklommener Brust entgegensahen, vernahmen nur dann und wann ein kurzes, schwaches Schießen.

Am nächsten Morgen aber begann draußen wieder jenes unheimliche Dröhnen und Schüttern, das die Fenster in der Stadt wie bei einem Erdbeben erklirren ließ. Die Leute liefen auf die Straßen und Plätze; da hörte man das Donnern der Kanonen deutlicher und fühlte das Pflaster unter den Füßen zittern. Die Kaufgewölbe blieben geschlossen; Handel und Wandel und alle Arbeit ruhten, und die Marktleute fanden keine Käufer. Nur die Weinschenken taten sich auf und waren im Nu gefüllt. Die Mutigen wagten sich vor die nach Wiltau zu gelegene Triumphpforte oder in die Gärten der Vorstadt hinaus, die einem Blick auf die Vorberge des Brenners gestatteten; aber Geschützkugeln, die sich von dort gelegentlich bis hierher verirrten, machten ihnen den Aufenthalt bald unheimlich. Andere stiegen auf die Kirchentürme, und alle Hausdächer waren mit Menschen besetzt. Zu sehen war nicht viel. In kurzer Zeit war alles in Pulverrauch gehüllt, der wie eine dicke Wolke im Tal stand. Wenn der leise Luftzug, der den Qualm gegen die Stadt trieb, die Wolke einmal zerriß oder ein wenig lichtete, sah man schwarze Massen sich über das Feld bewegen oder wie Ameisen an den Höhen hinaufkrabbeln, wo sie hinter Steinen und unter Bäumen kleine weiße Wölkchen hervorstießen, die dann, zu einem breiten Streifen vereinigt, von der Sonne beglänzt aufstiegen. Im nächsten Augenblick jedoch war alles wieder ein grauer, dicker Nebel, in dem es unaufhörlich donnerte und blitzte und knatterte und rollte, untermischt mit dumpfem Getrommel und halbersticktem Trompetengeschmetter.

Dann kam der erste Transport Verwundeter in die Stadt, ein zweiter und dritter. Welche Jammergestalten! Welche Leidensbilder! Kriegsgefangene wurden eingebracht; aber man konnte sie nicht ausfragen, wie es draußen stehe, denn die Eskorte wies die Neugierigen zurück. Das Karmeliterkloster und die Pfarrkirche des heiligen Jakob wurden in Lazarette verwandelt, und die Hofkirche mußte als Gefängnis dienen.

Zuweilen schien das Schießen aufhören zu wollen; es wurde matter, und die Kanonen verstummten. Aber gleich darauf fing es um so heftiger wieder zu dröhnen an; es war gleichsam nur ein Atemschöpfen zu neuem Wutausbruch gewesen. Das Getöse glich einer Weltuntergangsmusik.

Flüchtige Soldaten, denen ihre Offiziere vergebens Halt geboten, kamen in die Stadt gelaufen. Nur mit größter Mühe gelang es den Vorgesetzten, ihre Leute zum Stehen zu bringen, sie zu sammeln und wieder zurückzuführen.

Plötzlich sahen die, die auf die Dächer geklettert waren, eine Feuergarbe, die sich nach allen Seiten ausbreitete, in die Rauchwolken aufsteigen. Ein entsetzliches Krachen folgte, die Erde schwankte. Vermutlich war ein Munitionskarrem oder auch mehrere in die Luft geflogen. Die Leute auf den Straßen blickten einander mit schreckens-bleichen Gesichtern an. Viele schlugen ein Kreuz. Das unaufhörliche Rollen und Knattern näherte sich der Stadt. Von den Dächern wirbelte schwarzer Rauch auf. Das war kein Pulverdampf! Gelbrote Zungen bleckten in den Qualm hinein, in dem unzählige Funken herumwirbelten.

Angstgeschrei und rasender Hufschlag erschollen von der Vorstadt her. Dragoner, vor denen die Menschen auf den Gassen zu beiden Seiten auseinanderstoben und in die Häuser flüchteten, galoppierten durch die breite Neustadt, die Maria-Theresien-Straße entlang, an der St. Annensäule vorbei, und weiter über die Innbrücke. Wer ihnen nicht aus dem Wege wich, wurde niedergeritten. Kaum waren die Menschen hinter den Reitern wieder zusammengeflossen, da jagte mit Rasseln und Dröhnen eine Batterie heran. Die Kanoniere saßen auf den Handpferden Handpferd – bei einem Doppelgespann das zur rechten Seite (Handseite) der Deichsel gehende Pferd. und Protzkasten, und die Fahrer hieben mit ihren Kantschus Kantschu – kurze, aus Riemen geflochtene Peitsche. wie toll auf die schäumenden Pferde ein. Auch die Batterie rasselte über die Brücke, aber sie protzte auf dem linken Innufer ab und richtete die Geschütze auf die innere Stadt. Ein Bataillon Infanterie folgte im Laufschritt und ging bei der Batterie im Stellung. Die Bürger flohen in die Häuser, deren Türen sie hinter sich fest verschlossen, und auch von den Fenstern verschwanden die Neugierigen. Die Schlacht mußte für die Bayern schlecht stehen; aber die Freude der Städter wurde von der Furcht niedergedrückt. Denn sie dachten daran, wie sich am 12. April der Kampf in den Straßen fortgesetzt hatte.

Gegen den Berg Isel zu dauerte das Schießen unterdessen fort; doch es war schwächer geworden, und die Kanonen sprachen seltener ihr unheimliches Wort hinein. Infanterie-, Kavallerie-. und Jägerabteilungen hasteten in kurzen Pausen durch die Straßen. Die Abstände wurden immer kürzer, und die Ordnung hörte auf. Alle Waffengattungen drängten in buntem Gemisch vorwärts, dazwischen Munitionskarren, Bagagewagen und Geschütze. Es war eine heillose Verwirrung, in der jeder einzelne sich seinem Weg mit Gewalt und unter Schreien, Schimpfen und Fluchen zu bahnen suchte. Kameraden stießen einander mit dem Gewehrkolben fort, Offiziere hieben mit dem Säbel drein, Kavalleristen spornten ihre wild gewordenen Pferde an. Achsen krachten und brachen, Pferde und Menschen fielen durcheinander. Und dann stauten sieh die Massen, standen eingekeilt in den engen Gassen und schrien. Wutgeheul erfüllte die Luft; dazwischen vernahm man das Knallen von Gewehren, die sich von selbst entluden. Endlich begann sich der Wirrwarr zu lösen; aber schon wälzten sich neue Scharen heran, stürmten über die Zertretenem vorwärts, und immer schwieriger wurde die Passage durch die umgestürzten Fuhrwerke und Kanonen. Viele Fahrer ließen ihre Geschütze und Wagen stehen und suchten sich mit ihren Pferden zu retten. Durch alle Gassen wälzten, drängten und schoben sich die Flüchtigen der Brücke zu. Wer fiel, war verloren. Manche suchten sich vor dem Erdrücktwerden in die Häuser zu retten; aber die Türen waren verschlossen, und das Donnern der Kolben gegen das Holz und das Zusammenkrachen der Tore mischte sich in das Ächzen, Fluchen und Heulen.

Dann trat eine Stille ein. Und unmittelbar darauf kam es wie ein Brausen aus der Vorstadt heran; es wurde stärker und immer stärker, alle Fenster flogen auf, Kopf an Kopf drängte sich in ihnen, Tücher wehten, Hände winkten. Hurra! Hurra! Hurra! Wie Wogendonner an Felsenufern stieg der Ruf ununterbrochen zum Himmel auf. Er galt den Tiroler Schützen, die jetzt, die Büchse schußbereit im Arm, als Spitze der Vorhut die Straße heraufkamen. Das Soutien Soutien – die hinter einer ausgeschwärmten Schützenlinie geschlossen zurückbleibende Truppenabteilung, die nach Erfordernis in das Schützengefecht einzugreifen hat. folgte. Es bestand aus den Vigilern, verstärkt durch Leute aus dem Pustertal sowie dem unteren Inntal, und ihr Führer war Ambros. Er hatte im Kampfe seinen Hut verloren; wirr hing ihm das schwarze Haar um das von Schweiß, Staub und Pulverdampf beschmutzte Gesicht, aus dem die Augen mit einem übernatürlichen Glanz leuchteten, nicht siegesfreudig, sondern dämonisch. Die Klinge seines Säbels war wie mit Rostflecken überzogen, und seine Joppe hing ihm in Fetzen um die Schultern. Bei der St. Annensäule ließ er haltmachen. Da flogen alle Haustüren auf, und die Bewohner stürzten auf die Straße, um die Sieger zu begrüßen und mit Speise und Trank zu erquicken. Das Hurra aber brauste fort und fort; denn immer neue Scharen der Sieger zogen in die Stadt ein.

Der nächste Morgen sah keinen bayrischen Soldaten mehr auf Tiroler Boden. Der Feind war in der Nacht entwichen, still, gleich einem Dieb. Und in den Siegesjubel der Tiroler klang die doppelte Freudenbotschaft, daß auch Vorarlberg die Fremdherrschaft abgeschüttelt hatte und daß Kaiser Napoleon bei Aspern von Erzherzog Karl geschlagen und damit der Nimbus seiner Unbesiegbarkeit zerstört worden war.


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