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Zum Eingang.

Das war die Zeit der allerschwersten Not:
Hohläugig schlich von Tür zu Tür der Jammer,
Genetzt mit Tränen ward das karge Brot,
Ohnmächt'ge Faust geballt in leerer Kammer.
Der Glaube siech, der Mut, das Glück in Särgen,
Die Hoffnung längst ins öde Nichts verbannt, –
Nicht Wehr, nicht Waffen wider Druck und Schergen,
Der Fuß gebunden und gelähmt die Hand.

Das war die Zeit der allertiefsten Schmach,
Der blinden Augen und der tauben Ohren,
Da deutscher Sinn an welscher Kette lag.
Da deutsches Wort den reinen Klang verloren.
Zur falschen Katze ward der Leu, zum Schranzen
Der edle Mann, und ob er aufrecht ging:
Nach welscher Pfeife lernt' er schwänzelnd tanzen.
Leichtfertig gaukeln, wie der Schmetterling.

Das war die Zeit, da Gottes Hand gepocht
An Herzen, die im kalten Busen schliefen.
Da sie zum Brand entflammt den toten Docht
Und aufgewühlt der Trägheit dumpfe Tiefen –
Da sie mit glutgefärbten Nordlichtslettern
Am Himmel schrieb: »Ihr Deutschen, auf! – Erwacht!«
Da sie mit Rußlands grimmen Winterwettern
Furchtbar gedroht: »Du deutsches Volk, hab' acht!

»Dich, Volk im Joch der Schande, rott' ich aus.
Kriechst hündisch du in deiner Frone weiter!
Noch brennt mein Licht: – erleuchte deinen Graus,
In deinem Abgrund suche Stab und Leiter!
Emporgeklommen! Sind auch schwank die Stufen,
Zum Tage führen sie hinauf, zum Recht;
Und an des Abgrunds Rande sollst du rufen:
Genug der Tyrannei! – Ihr Ketten, brecht!

Zu lange schlepptest du dein Sklavenleid!
Der dich hineingepeitscht, war Gottes Geißel
Für dich und deine frevle Lässigkeit –
Der dich zerschmetternd traf, war Gottes Meißel:
Dich, Block von Stein, mit harten Funkenschlägen
Hat er behau'n, bis aus dem Blocke ward
Ein mächtig Bild, ein Bild zu Trutz und Segen:
Der deutsche Löwe von der alten Art!

Schon reckt er lebend sich und brüllt voll Wut,
Die Krallen wirft er vor und schwingt die Pranke,
Die Zunge lechzt ihm nach des Feindes Blut – –
Spring an, du Leu, und fall ihm in die Flanke!
Dann treib' ihn aus in fluchtgejagten Horden,
Die Walstatt deines Siegs behaupte kühn –
Ist auch dein Königreich zur Wüste worden:
Bald naht der Lenz und macht die Wüste blühen!«


Das war die Zeit! – Wir stehen ernst davor,
In ihrem Schmerzensbronnen uns zu spiegeln;
Wir sollen nicht mit leichter Hand ihr Tor,
Das große, eisenstarrende, entriegeln,
Still sollen wir den dunklen Raum betreten,
Der Schmach gedenkend, die uns einst entehrt, –
Und sollen niederknie'n, und brünstig beten:
»Hilf, gnädiger Gott, daß sie nicht wiederkehrt!«


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