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30. April.

Mein Gott! Mein Gott! Das Glück ist zu groß! Ich kann's nicht tragen, es zerschmettert mich!« Das war mein Aufschrei in der ersten Stunde, und gleich darauf hatte ich vergessen, daß ich je geweint habe, und die Freude war so in mein innerstes Herz getreten, daß ich nicht mehr wußte, daß sie noch gar nicht drinnen gewesen war.

Gestern abend, es mag zehn Uhr gewesen sein, saß ich, allein wie immer in Herrn von Civreuses Zimmer, ich nenne es noch immer so; die Hände auf den Knieen saß ich da und hing meinen Gedanken nach.

Benedikta war längst zur Ruhe gegangen; nicht ein Hauch rührte sich weit und breit, und so still war's, daß mich das Knistern meines Kleides bei irgend einer zufälligen Bewegung zusammenfahren machte.

Plötzlich entstand draußen auf dem Wege vom Dorfe herauf Geräusch, Steine kamen ins Rollen, und ich unterschied deutlich den Tritt eines Mannes.

Mein Herz pochte so heftig, daß ich seinen Schlag schmerzhaft empfand.

»Irgend ein Bauer, der sich verspätet hat, oder ein Hausierer,« sagte ich mir und suchte mir einzureden, daß es sich um Gleichgültiges handle. Aber unter meinem Fenster hörten die Tritte auf, er mußte stehen geblieben sein. Meine Aufregung steigerte sich entsetzlich, ich umklammerte die Armlehnen meines Stuhles so krampfhaft, daß ich mir das geschnitzte Holz in die Hand preßte.

Zeichnung: E. Bayard

»Er! Er ist es!« erklang es in mir.

Er? Wer? Herr von Civreuse, der vorgestern an Krücken Abgereiste? Es war ja ein Ding der Unmöglichkeit. Und doch, eine Sekunde später, und eine bebende, gepreßt klingende und, ach, mir so wohlbekannte Stimme drang an mein Ohr und ich vernahm ganz deutlich die Worte: »Seien Sie ohne Furcht!«

Wenn mein Leben auf dem Spiele gestanden hätte, ich hätte nicht sprechen, mich nicht vom Fleck rühren können. In atemloser Spannung blieb ich sitzen; ein kurzer Augenblick, und dann flog, mit außerordentlicher Geschicklichkeit geworfen, ein etwa nußgroßer Stein durch eine der kleinen viereckigen Scheiben ins Zimmer und rollte mir vor die Füße. Rings um das Wurfgeschoß war ein Papier gefaltet, und nachdem ich mich von der ersten Ueberraschung erholt hatte, griff ich nach demselben.

Das Blatt zeigte auf seinen beiden Seiten Herrn von Civreuses Handschrift, und darauf stand: »Colette, verzeihen Sie mir die Thorheit dieser Zeilen, verzeihen Sie mir vor allem die Thorheit, Ihnen dieselben auf diese Weise zukommen zu lassen, aber können wir beide denn irgend etwas auf andrer Leute Art und Weise thun?

»Wie das verwunschene Schloß liegt Erlan heute abend da; alles verschlossen und verriegelt, nirgends ein Pförtchen, an das man anpochen könnte.

»Benedikta schläft wahrscheinlich schon und kein Licht ist zu entdecken außer dem einer Lampe, die ich so wohl kenne, die meinem Herzen leuchtet wie ein Stern und auf die ich seit zwei Stunden zusteuere.

»Aber wäre der Weg auch viel höher und der Berg viel steiler, ich hätte doch den Morgen nicht abwarten können, hätte doch heute nacht kommen müssen, denn das Wort, das ich aussprechen muß, heute noch um jeden Preis, trage ich schon lange im Herzen und auf den Lippen; seit sechs Wochen wiederhole ich es leise, ganz leise, vom Morgen bis zum Abend, und nachdem ich es Ihnen so oft zugeflüstert habe, daß ich Sie liebe, und Sie es nimmer haben verstehen und hören wollen, ist es hohe Zeit, daß ich es Ihnen laut sage, so laut, daß meiner Stimme Klang nicht nur an Ihr Ohr, nein, bis in Ihr innerstes Herz dringt.

»Ich liebe Sie – aber wie ich Sie liebe, das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen, ich will dazu in Ihre Augen blicken, will Sie lächeln sehen, will mir keinen Atemzug Ihrer Anmut mehr entgehen lassen. Ich weiß jetzt, was es heißt, Sie zwei Tage lang zu entbehren!

»Lassen Sie sich ja nicht einfallen, mir zu sagen, daß Sie sich um diese Liebe nicht kümmern, daß Sie dies Leben und diese Hingebung und Glut, die ich Ihnen zu Füßen lege, von sich stoßen. Haben Sie denn nie bedacht, mein armes Kind, daß es für einen kühnen, entschlossenen Mann ein Leichtes wäre, in einer Nacht wie diese in Ihre Einsamkeit zu dringen, Sie in seine Arme zu nehmen und mit sich fort zu tragen, weit, weit, daß keiner je Ihre Spur fände?

»Und dann glaube ich auch fest, daß es Dinge gibt, die im Himmel geschrieben stehen von aller Ewigkeit her. Es sind ihrer nicht viele, aber sie sind vollkommen gut, denn der liebe Gott selbst hat seinen Namen darunter gesetzt, und zu diesen zählt, daß wir zu einander gehören.

»Colette, auf der Straße, auf der Sie mich eines Tages, ohne es zu wollen, auf die Kniee stürzen gemacht haben, erwarte ich Ihre Antwort – auf der Stelle selbst, an der Sie mich an jenem Wintermorgen gefunden haben.

»Seien Sie mir nicht böse, daß ich Ihre Fensterscheibe zertrümmere; ich glaube, es ist die schon einmal zum Opfer erkorene, und ich wähle sie mit Absicht, weil ich abergläubisch genug bin, dem Wege, auf dem mir das Glück gekommen ist, Besondres zuzutrauen.

»Wenn wir miteinander von hier weggehen, wenn ich seliger Mann Sie mit mir nehmen darf, dann trage ich außer Ihnen noch einen Schatz mit mir fort, jene kleine Statue, die Sie kennen, und für die mein Herz voll heißen, inbrünstigen Dankes ist – ohne den Heiligen, Colette, wäre ich vorübergegangen!«

Je mehr ich las, desto wonniger erfüllte mich eine unsägliche, unfaßbare Freude, und doch konnte ich wieder nicht an die Wirklichkeit meines Glückes glauben. War es denn möglich? War er das? War ich's? Er liebte mich – er liebte mich lange schon; der Traum erfüllte sich und all die bösen, bangen Stunden waren wie weggewischt.

Nun aber kam auch Staunen über dies lange Schweigen und Zögern. Weshalb sprach er so spät erst? Weshalb hatte er mich so lange weinen lassen?

Mit dem Glücke lebte meine innerste Natur wieder auf: Uebermut und Thorheit, die seit ein paar Tagen die thränenfeuchten Flügel hatten hängen lassen, rüttelten sich und schüttelten sich und flatterten lustig umher.

Sie hatten Mitleid mit mir gehabt und hatten sich bescheiden auf die Seite gesetzt, aber diese Freudenstunde gehörte ihnen, die nahmen sie als ihr gutes Recht in Anspruch, und jede gab ihre tollsten Einfälle preis, daß sie nur so umeinander schwirrten.

»Sage sofort ja!« bat mein kläglich schwaches Herz. »Nimmermehr!« riefen die andern, »vergiß nicht, was wir uns gelobt haben, Colette; er muß Strafe leiden; du darfst ihn nicht so rasch erhören.«

Da wußte ich natürlich gar nicht mehr, auf wen ich hören sollte, und lachte unter Thränen, wie's die Sonne manchmal macht, wenn sie durch die Wolken scheint und kein Mensch weiß, ob es schönes oder schlimmes Wetter werden will!

Schließlich ging ich doch ans Fenster und öffnete dasselbe. Beim Klirren des Riegels machte ein Schatten eine hastige Bewegung. Sehen konnte ich die Gestalt nicht gut, denn sie war im Dunkeln, ich im hellsten Mondlichte, doch begriff ich, daß sie mir etwas sagen wollte; ich beugte mich hinaus und die Seltsamkeit der Situation überkam mich plötzlich so lebhaft, daß mein alter Humor sich regte.

Zeichnung: E. Bayard

»Liegen Sie auf den Knieen, Herr von Civreuse?« rief ich hinunter.

»Colette,« klang es herauf, »antworten Sie mir, ich beschwöre Sie!«

Ach, auf den Ton war ich nicht gefaßt gewesen! Wie er es gewollt hatte, drang er mir geradeswegs ins innerste Herz, und zitternd, außer mir, nicht Worte findend, wiederholte ich ganz mechanisch den Satz, den ich mir vorhin zu sagen vorgenommen hatte.

»Ich habe mir nämlich geschworen, Sie eine gute Weile knieen zu lassen, weil …«

»Weil?« gab er mir angstvoll fragend zurück.

»Weil ich so viele, viele Tage habe warten müssen …«

Er verstand mich nicht, ich hatte zu leise gesprochen und meine Stimme war gar zu unsicher und zitternd.

Eine Sekunde geduldete er sich noch, dann rief er abermals meinen Namen, abermals in dem sehnsüchtigen Tone, der mich erbeben machte.

Unfähig zu antworten, rief ich kurz: »Warten Sie!«

In meinem Hefte waren noch zwei weiße Blätter, dieses und noch eins. Das riß ich aus und hastig, ohne zu denken, ohne mich zu besinnen, schrieb ich:

»Entführen Sie mich nicht gewaltsam, Herr von Civreuse; soviel ich weiß, zieht das häßliche Geschichten mit dem Gericht nach sich, und dann wäre es auch schwer, mich irgendwie festzuhalten, wo ich nicht bleiben wollte.

»Sie haben etwas, das mich in viel sichererem Gewahrsam hält, als Schloß und Riegel, und das ist, daß, wo Sie mich auch hinschleppen, mein Herz immer dabei sein wird!

»Daß ich meinen heiligen Joseph nicht vergesse, dessen können Sie sicher sein; er hat mehr für mich gethan, als Sie wissen und ahnen, und dann gibt es auch noch eine wackere alte Frau, gegen die Sie große Verpflichtungen haben, wenn Sie einmal ans Dankbarsein gehen wollen.

»Das ist eine ziemlich lange Geschichte, die ich Ihnen dereinst erzählen werde; vielleicht an einem Mondscheinabend wie heute, denn ich habe dies Licht gar zu lieb, und wenn das Glück zu Ihnen an einem Wintermorgen gekommen ist, so kam es zu mir in einer silberhellen Frühlingsnacht!«

 ,

Graf Peter an Jacques.

»Gib mir Deine Hand, Freund, und laß Dich leiten; wenn Du mit mir gehst, kommst Du ins Paradies – wir sind verlobt.

»Der Pfarrer von Fond de Vieux will heraufklettern, um uns hier zu trauen; in der Kapelle rühren die Arbeiter fleißig die Hände, sie muß in aller Eile wieder hergestellt werden; in drei Wochen soll sie fertig sein und die Junirosen versprechen, sie zu durchduften.

»Wie ich dem Fräulein von Dorn ihre Zustimmung abgerungen habe, weiß ich nicht mehr genau, und ganz gewiß bin ich nicht, ob ich nicht Gewalt brauchte. Ihre Rache ist jedenfalls grausam, denn die Tante folgt uns aus Schicklichkeitsrücksichten auf Schritt und Tritt wie unser Schatten.

»Als Fremde ließ man uns allein und ungestört, als Braut- und bald Eheleute werden wir ängstlich bewacht, und diese Person ist mir ein Greuel!

»Erst hatte ich im Sinne, mir das andre Bein zu zerschmettern, jetzt gebe ich Colette lateinische Stunden … Viele Wörter auswendig zu lernen braucht sie dabei nicht; wir reichen mit merkwürdig wenigen aus.

»Am Abend nach der Trauung werde ich sie, wenigstens einem meiner Pläne getreu, entführen, wenn auch nicht direkt nach Indien, so doch noch höher in die Berge als Erlan. Es geht hier manchmal ein Ziegenhirt vorbei, und in mein Eden soll kein sterbliches Auge blicken.

»Im Herbst, hoffe ich, wird alles fertig sein. Wir richten unsre Ruinen wieder auf, und Du mußt Dir so bald als möglich in Türmen oder Hallen eine Behausung aussuchen. Alles steht Dir zur Verfügung.

»Nur in einem Raume darf kein Titelchen geändert werden. Du weißt, in welchem, und Du wirst ihn in Deine Hut nehmen, wenn Du hier manchmal in meiner Abwesenheit der Schloßherr sein wirst: es ist die große, reich getäfelte Stube, in die Benedikta und der Doktor den Bewußtlosen gebracht haben.«

Zeichnung: E. Bayard


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