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5. März.

Heute früh hat sich endlich einmal etwas ereignet und ich muß jetzt noch mutterseelenallein darüber lachen. Der Vorrat an eingesalzenem Fleisch muß zu Ende gewesen sein, und meine Tante, die keine Kostverächterin ist, hat nach neuer Zufuhr ins Dorf geschickt, und da erschien heute früh gegen neun Uhr ein Wagen im Hofe, die darüber gespannte Leinwand dicht mit Schnee bedeckt, sämtliche Glocken am Pferdegeschirr fröhlich bimmelnd. Es war Bidouillet mit seinen Waren.

Ein andres Gesicht, eine neue Stimme, Lärm vor der Thür, das war herrlich; mir war es, als ob man einen Vorhang vor mir aufzöge, und ganz toll vor Freude raste ich hinunter.

»Ach, Herr Bidouillet, Sie sind es! Bringen Sie uns Würste?«

»Aufzuwarten, Fräulein, jawohl.«

Und der Biedermann, dem die Mütze ins Gesicht gerutscht war, daß sie ihn an den Augenbrauen kitzelte, wandte sich nach mir um und blieb, seine Nahrungsmittel im Arme, ganz verblüfft stehen und sperrte Mund und Nase auf, während sein Sohn, der dem Pferde mit einem Strohbüschel die Beine gerieben hatte, mitten in der Arbeit stecken blieb, wie ein Uhrwerk, an dem die Feder entzwei ist.

Offenbar kam ich dem einen wie dem andern der wackeren Leute sehr verändert vor. Die Herzlichkeit meines Empfanges setzte sie in Erstaunen und ich bin überzeugt, daß sie dieselbe aus einer Leidenschaft für Schinken ableiteten, die mir völlig fremd ist. Aber wenn man drei Monate auf jemand gewartet hat, mit dem man sprechen kann, so ist man natürlich nicht besonders zurückhaltend, und während Vater Bidouillet, der eben kein großes Unterhaltungstalent besitzt, Benedikta ins Haus folgte, machte ich mich an den Jungen, den ich mit mir nahm, um ihn am Feuer aufzutauen.

Zeichnung: E. Bayard

Was ging denn im Dorfe vor sich? Wie vertrieb man sich dort die Zeit? Glaubten die Leute dort drunten, daß der Schnee noch lange anhalten werde?

Allein, je mehr ich fragte, desto mehr hüllte sich der Junge in Schweigen und begnügte sich, behaglich zu grinsen, wobei sich sein Mund anmutig von einem Ohre zum andern zog. Offenbar kam ich ihm unsäglich komisch vor und seine Heiterkeit wirkte so ansteckend auf mich, daß wir beide lachten wie die kleinen Kinder.

Dies schien ihm Vertrauen einzuflößen und unser gegenseitiges Verständnis zu befördern; er gab mir Rede und Antwort und ich weiß jetzt, daß man da unten tagsüber Sämereien ausliest, Pflug, Karren und allerhand Werkzeuge in stand setzt und am Abend Besuche in der Nachbarschaft macht, wobei man Nüsse aufknackt und Aepfel verlesen hilft. Zu guter Letzt holt man dann die Kastanien vom Feuer, trinkt einen Krug Wein und legt sich seelenvergnügt ins Bett. Mir ist's, als ob ein bißchen Fröhlichkeit bis zu mir dränge, und abends werde ich mein Fenster aufmachen und versuchen, ob ich nicht in weiter Ferne lachen hören kann, wie jener arme Schlucker, der sein Brot wenigstens im Dunstkreise des Bratens, nach dem er lüstern war, verzehrte.

Was den Schnee anbetrifft, ja zum Kuckuck! Der kann's halten, wie er will. Entweder schneit's fort, oder hört es auf, und ganz gewiß ist, daß ein Sonnenstrahl der Geschichte ein Ende machen könnte. So viel Weisheit und Scharfblick besaß ich ungefähr auch, um mir das zu sagen; ich hatte mir eben eingebildet, unter den alten Bauern seien Schlauköpfe, die wirklich das Gras wachsen hörten.

»Und wenn ihr abends allein seid, was treibst du dann?« fragte ich schließlich.

»Man betet den Rosenkranz.«

»Und wenn er zu Ende?«

»Ach, Fräulein Colette! Da bin ich schon lange eingeschlafen.«

Darüber haben wir von neuem zu lachen angefangen, und nun kam die Rede auf das liebe Vieh. Wie viel Stück die Bidouillets haben, erkundigte ich mich, und von welcher Art und wer sie versieht.

Darauf hat er mir ihre Herden Kopf für Kopf genau beschrieben und zwar mit großer Sachkenntnis, denn er selber ist Hirte, und da er dann hinzufügte, daß die Mühe diesen Sommer groß sein werde, weil der Viehstand sich stark vermehre, rief ich: »Könntet ihr da nicht noch jemand zum Hüten brauchen? Ich wüßte ein Mädchen, das sich gern verdingte und dazu mit wenig Lohn zufrieden wäre.«

Sofort kam der schlaue Ausdruck des Bauern, der einen vorteilhaften Handel wittert, und gleichgültig und gelassen bemerkte er: »Man könnte ja sehen. Ist sie hier aus dem Hause, Fräulein Colette?«

»Natürlich ist sie hier aus dem Hause,« versetzte ich. »Ich selber bin es.«

Das war unser letztes Wort! Staunen und Verblüffung gewannen wieder die Oberhand und ich habe kein Kopfnicken mehr erringen können, bis sein Vater von unten heraufrief: »He, Junge! Bist du da?«

Ob er da war und ob er etwas zu erzählen hatte!

»Denkt an mich, wenn ihr eine Hirtin braucht,« sagte ich noch, als der Karren zum Thore hinausrumpelte. »Es ist mein vollster Ernst.«

Dann bin ich in einem Satze hierher gelaufen und bin ganz vergnügt, so einen reizenden Morgen verlebt zu haben.

Vorhin bin ich Benedikta im Flure begegnet, und trotzdem sie eine Beuge Teller trug, bin ich ihr um den Hals gefallen und habe ihr verkündet: »Freue dich, alte Bena! Heute abend knacken wir Nüsse.«

»Nüsse!« wiederholte sie. »Ja, wozu denn? Willst du welche essen?«

»Nein, nein, Benedikta, nur zur Unterhaltung. Es scheint das ein Geschäft zu sein, bei dem man lachen muß.«

Kopfschüttelnd ging sie ihres Weges, hat mir aber doch versprochen, einen Sack Nüsse vom Speicher zu holen und zwei Hämmerchen zu suchen, womit wir sie am Kamine aufschlagen können.


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