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19. März.

Mein Schicksalstag! Der Tag meines neuen Lebens! Jeder Nerv bebt in mir und mein Blut strömt doppelt so schnell vom Kopfe bis in die Zehenspitzen, so schnell und so heftig, daß man's durch die Haut sieht.

Nicht einmal im Gebet finde ich mehr Ruhe … ich kniee jetzt immer am Fenster, meine Stimme dringt dennoch bis zum Altar hinüber und ich kann so den Hof im Auge behalten.

Jedes Geräusch macht mich auffahren, jede Unruhe, jeder Tritt macht mich erbeben. Man kommt: »Ist er es?« Man klopft: »Will man mich holen?« So geht's fort und fort.

Dabei glaube ich nicht, daß er vor Mittag kommt. Die Mittagsstunde ist bedeutungsvoll! Sie ist der Höhepunkt des Tages, und wenn auch gegenwärtig von der Sonne nicht viel zu sehen ist, so weiß man doch, daß sie um diese Zeit über uns steht.

Auch in Bezug auf mich meine ich, daß es der richtige Moment wäre: mein Morgen ist vorüber, es ist Zeit, daß es Mittag läutet!

Alles ist bereit! Ich habe das Kleid angezogen, das mir am besten steht, und habe mir ins Haar und an den Gürtel kleine grüne Zweigchen gesteckt, ein Hoffnungsgrün, das der Frost weder draußen im Park noch in meinem Herzen ganz ertötet hat. Ohne mich zu verraten, habe ich Benedikta einen Wink in Bezug auf unser Frühstück gegeben, und der Tisch wird so bestellt sein, daß wir uns vor einem unerwarteten Gaste nicht zu schämen haben würden.

*

»Zwölf Uhr hat's geschlagen, ein Uhr hat's geschlagen,« wie wir's im Spielreim im Kloster gesungen haben, und es ist immer noch nichts da!

Ich stehe am Fenster und warte und lauere und horche. Mancher Stundenschlag ist seit Mittag ertönt …

Es dämmert schon, und das macht mich traurig.

Aber ich kann immer noch weit sehen durch den leichten Nebel, der sich über die weiße Fläche legt, und ich werde nicht müde, hinauszuspähen. Wie lange mir die Mahlzeiten heute vorgekommen sind! Ich konnte die Augen nicht vom Fenster losreißen, und doch, wozu die Hast und Eile, da ich nun wieder und immer noch allein bin?

Bis Mitternacht habe ich die Pflicht, zu warten und zu harren, und ich bereite alles für die Nachtwache vor. Große Holzklötze für den Kamin, meinen Lehnstuhl ans Fenster gerückt, und vor meinem Altar eine brennende Kerze, die letzte, die ich habe, und eine ganz kleine dazu hin. Aber bis da hinauf würde auch ein schwächerer Lichtschein dringen, dächte ich, und was meinen Wanderer anbelangt, so wird das kleine Kerzchen doch immerhin als roter Punkt sichtbar werden, und es liegt nur an dem Führer, der ihn zu mir geleitet, es sternenhell durch die Nacht schimmern zu lassen.


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