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4. März.

Mein guter Jean Nicolas, es schneit immer noch und mein Thermometer ist wieder heruntergegangen. Ob das zwar wirklich von der Kälte kommt, oder ob nicht vielmehr davon, daß er heute früh, als ich ihn nach dem Frühstück ans Fenster nahm, meiner Tante Schulter gestreift hat, weiß ich nicht, jedenfalls aber habe ich im Sinne, meine sämtlichen Stühle in den Kamin zu stecken, damit ich doch ein bißchen warm kriege.

Um das Unglück voll zu machen, scheinen die Erinnerungen der letzten Monate, die ich in mir wachgerufen habe, wie ein Fledermausschwarm oder ein Flug unheilverkündender Krähen aus meinen vier Wänden hinausgeflattert zu sein, denn anders kann ich mir die Verschlechterung von Tantes Laune nicht erklären – so liebenswürdig und vielversprechend haben ihre Zukunftsprophezeiungen doch noch nie geklungen.

Verlassenheit und Armut – es scheint, ich bin arm – sind die Schlagwörter, Vergessenheit hinter kahlen Steinwänden die erquicklichste Aussicht, und mit schlecht verhehlter Befriedigung zählt sie alles her, was mich von der übrigen Menschheit abschneidet; sie wird förmlich heiter, wenn sie mir diese Dinge eröffnet, und wenn dann ein »sonniges« Lächeln die gelblichen Schaufelzähne enthüllt, läuft mir's eiskalt über den Rücken und ich kann mir sehr genau vorstellen, wie es Hänsel und Gretel bei der Menschenfresserin zu Mute gewesen ist.

Freilich, nicht alle ihre Zukunftsbilder sind so düsterer Art, und sie findet liebliche Farben, wenn sie mir schildern will, wie unser beider Dasein sich ungestört und ungetrennt ins Unendliche dahin zieht, was sie so glühend auszumalen versteht, daß ich bei solchen Gelegenheiten die Thränen verschlucken und nach den Fenstern sehen muß, um mich zu vergewissern, daß sie noch nicht vergittert sind und daß ein armer Vogel, wenn Kraft und Mut ihn verlassen, wenigstens noch davonflattern kann, um auf der Landstraße Hungers zu sterben.

Sie hat aus dem bittern Quell der Enttäuschung getrunken, und da soll ich nun, mir nichts dir nichts, auch daraus getränkt werden. Im Fall das Schicksal selbst dies Urteil nicht an mir vollzieht, behält sie sich vor, mir eigenhändig den Becher aus Bitterholz, in dem jeder Trank zu Galle wird, an die Lippen zu halten. Ohne Zweifel findet sie, daß allzu freundliche Sterne über meiner Geburt gewaltet haben, und sie hat im Sinne, aus meinem Lebensfaden jeden goldenen Flimmer auszumerzen, damit er ganz und gar dem ihrigen gleich werde.

Mein Gott! Schließlich ist das nichts andres, als was die guten Leute in der Revolution auch verlangt haben. Weil sie im Elend waren, sollten alle im Elend sein, und um ja sicher zu sein, daß keiner sich satt esse, wenn sie hungern, hielten sie es für das Geratenste, den Braten an sich zu nehmen. Wer damals gedacht hätte, daß auch ein Fräulein von Dorn die phrygische Mütze aufstülpen könnte!

Einstweilen beschäftige ich mich damit, meine Stube zu möblieren. Was ich lange vermutet hatte, ist mir durch einen Zufall zur Gewißheit geworden, daß nämlich meine weichsten, behaglichsten Lehnstühle und meine wenigst beschädigten Kommoden und Kasten die Gemächer meiner Tante zieren. So wohlverschlossen dies Heiligtum auch zu sein pflegt, so war doch neulich der eine Thürflügel nur angelehnt, und einer jener Windstöße, die gegenwärtig die Aeste unsrer Bäume zerknicken wie Strohhalme, riß sie in dem Augenblick, als ich vorüberging, auf.

Zeichnung: E. Bayard

Ein kleines Schatzkästlein von Einrichtung!

Meine Tante muß die zwei Jahre meiner Abwesenheit ausschließlich dazu benutzt haben, ihr Nest so warm und wohlig zu machen, wie es heute ist, nur hat sie dazu nach Raubvogelart die Wolle andrer verwendet, und ich brauche mir nicht mehr den Kopf zu zerbrechen, wo die Stickereien aus dem Speisesaale und die seltsamen, kostbaren Kissen aus dem Salon hingekommen sein mögen: meine Tante hat ihnen ein würdiges Schicksal bereitet.

Unter diesen Umständen schien mir Zartheit und Schüchternheit schlecht am Platze, und ich habe mich sofort daran gemacht, alles, was für Benediktas und meine Arme nicht zu schwer war – und unsre vier Arme können für sechs gelten – in meine Behausung zu schleppen, deren Kahlheit sich allmählich verliert.

Die übrigen Räume leeren sich dadurch allerdings in gleichem Maße, und zwischen dem rechten und dem linken Flügel entsteht mehr und mehr eine Wüste, die man beim schwachen Scheine der Wachtfeuer von unsern entgegengesetzten Feldlagern durchwandert. Der Speisesaal allein bleibt gemeinsames Gebiet, und ich habe mich auch wohl gehütet, an seine Stühle oder sein Silbergeschirr zu rühren. Die Stühle lockten mich auch gar nicht, denn an Sitzgelegenheiten leide ich keinen Mangel mehr, wenn dieselben auch nicht durch Mannigfaltigkeit glänzen.

Meine drei Sofas zum Beispiel sind alle ganz gleich. Eichenholz, vollständig bedeckt mit so zierlicher kleiner Schnitzarbeit, daß man aus einer gewissen Entfernung versucht ist, dieselbe für das Kunstprodukt von Mäusezähnchen zu halten, und als Decken habe ich große grüne Teppiche darauf liegen, auf denen schöne Damen und bis an die Zähne in Stahl gewappnete Ritter in Gärten, deren Alleen senkrecht in die Höhe gehen, süße Fadheiten austauschen.

Die spitzen Hauben der Edelfrauen reichen oft bis an den höchsten Gipfel der Bäume, und alle Gesichter sind im Profil dargestellt, weil sie von vorn offenbar den Stickerinnen zu viele Mühe gekostet haben würden, was jedoch den Gesamteindruck nichtsdestoweniger sehr fröhlich macht.

Jedes dieser steiflehnigen Gestelle steht in einer Fensternische, und mein Zimmer ist so lang, daß ich die Stickerei des ersten Sofas gerade vergessen habe, bis ich ans zweite komme. Vom ersten aus sollte ich die Sonne aufgehen sehen, das zweite steht gegen Abend und das dritte wäre ein sehr netter Platz, um den Mondschein zu genießen, wenn der Mond noch zu sehen wäre; jetzt sieht man von allen dreien aus natürlich nichts als Schnee und abermals Schnee, und ich wollte, ich hätte ein viertes, an dem ich mich ausweinen könnte.

Zeichnung: E. Bayard

Meine Tische sind nicht mehr zu zählen; da meine Tante auf solche den geringsten Wert legt, war die Auswahl zu verlockend groß. Runde, quadratische, viereckige, von allen Farben und allen Gestalten wimmelten sie umher, und »Einer«, dem ich leider etwas von meiner rastlosen Begehrlichkeit abgegeben zu haben scheine, wird nicht müde, sich der Reihe nach unter jeglichem versuchsweise eine Lagerstätte einzurichten. Zwischen den Beinen der kleinsten bleibt er dann mit seinem breiten Rücken stecken, und da ihn dies Gefangensein sehr peinlich berührt, springt er samt dem Tische zornig umher, stößt ein wahnsinniges Geheul aus und schleudert die kleinen Schubladen in alle Weite. Aber er wird bald wieder zu mir zurückkehren, das weiß ich, und ich werde den Teppich, den ich jetzt mehr als je für meine armen Füße brauche, nicht entbehren müssen, sonst würde ja mein treuer alter Kamerad den Namen, den ich ihm seit meiner Heimkehr beigelegt habe und der in seiner Kürze so unendlich vielsagend ist, gar nicht verdienen.

Früher, in seiner zarten Kindheit, nannte ich ihn »Plumpsack«, was anspruchslos und für seinen damaligen Grad von Anmut und seinen dicken Kopf ziemlich bezeichnend war, aber jetzt, da ich mehr Seelenkenntnis habe, genügt mir das nicht mehr, und nachdem ich im Verlaufe der ersten Tage, die ich wieder in der alten Heimat verlebte, eine große Rechnung angestellt habe, wieviel Freunde ich besitze, wie viele mir treu geblieben, noch an mich denken und mir das beweisen, und herausgefunden hatte, daß ich ihrer im ganzen einen einzigen mein nenne, nur ihn, nur den »Einen«, da war sein neuer Name gefunden.

Um zur Beschreibung meines Mobiliars zurückzukehren, so habe ich dasselbe durch sechs Betstühle vervollständigt, die ich in einem Winkel gefunden habe. Sie haben gewundene Säulen aus schwarz gebeiztem Eichenholz und scharlachrote Samtkissen mit goldnen Quasten. Die Kissen zeigen deutliche Eindrücke von Knieen, und ich vertiefe mich in den Anblick der zwei runden Löcher und suche mir vorzustellen, was die, welche diese Spuren zurückgelassen, gedacht und erlebt haben mögen, kriege aber nichts heraus, als eine dicke Staubwolke und eine Menge Motten, die erschrocken umherflattern und von dem langen Wohlleben ganz schwerfällig und duselig sind.

Zeichnung: E. Bayard

»Willst du nicht Krapfen backen, meine kleine Colette.«

Einer von diesen Stühlen dient seiner ursprünglichen Bestimmung und steht etwas abseits in einer stillen, heimeligen Ecke, aus den andern mußte ich mir alles herstellen, woran es mir gebrach: Schaukelstühle, Fußbänke, Kaminfauteuils, Hockerchen. Aeußerlich unterscheiden sich diese so verschieden bezeichneten Möbel allerdings wenig voneinander, aber ich habe durch die mannigfaltigen Namen, die ich ihnen gebe, doch einige Illusion und kann mir vorstellen, daß ich zwölf Personen bequem setzen könnte – wenn sie nämlich kommen wollten.

Meine arme Benedikta zerbricht sich immer den Kopf, womit sie mich unterhalten soll, und wenn sie mich besonders weltschmerzlich findet, so rückt sie mit einem Hauptzuge heraus, indem sie mir leise und immer vorsichtig nach der Thür schielend, den Vorschlag macht: »Willst du nicht Krapfen backen, meine kleine Colette?«

Allein ich habe es bald satt, den Teig ins Feuer zu gießen und meine Finger mit Butter zu beschmieren, und setze mich lieber auf den Herd und sehe Benedikta zu, wie sie es macht.

Mitunter versucht sie auch mir ihr Strickzeug, einen endlosen Strumpf, an dem ich die Maschen auf fünfzig Schritt Entfernung zählen kann, in die Hand zu geben, aber Stricken ist ebensowenig meine Leidenschaft wie Kochen, und die treue alte Seele holt dann ihre Ammenmärchen hervor, um mich lachen zu machen.

»Es war einmal ein König und eine Königin –« Ach mein Gott, wo stecken sie denn, dieser König und die Königin und weshalb nehmen sie denn nicht mich an Kindesstatt an, wenn sie sich doch so sehr nach Nachkommenschaft sehnen?


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