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28. April.

Gestern ist Herr von Civreuse fort – damit ist alles gesagt. Ich kann mich hier nicht mehr zurechtfinden.

Vorher ist Erlan wohl auch leer und stumm gewesen, ich weiß es ja, meine Schritte hallten gerade so in den langen Gängen wider und meine Stimme vom Getäfel, und doch ist jetzt alles anders.

Zeichnung: E. Bayard

Damals hauste hier die Langeweile, jetzt die Traurigkeit und die drückt ganz anders aufs Herz.

Von Zeit zu Zeit mache ich mir selbst etwas weis, spiele mir eine Komödie vor, stelle mich tapfer, räume auf, gehe hin und her, trällere ein lustiges Liedchen, und dann setze ich mich wieder zu meinem Hunde, lege seinen Kopf auf meine Kniee und plaudere mit ihm wie früher. Das Traurige ist nur, daß ich mich selbst dabei auf ganz abscheulichen Lügen ertappe.

»Sechs Wochen für einen Beinbruch,« habe ich vorhin zu ihm gesagt, »siehst du, ›Einer‹, das ist ja riesig lange. Gelt, wir beide haben nie geglaubt, daß es so lange dauern würde.«

Ach, wie ist das so ganz und gar nicht wahr, so erlogen. Ich habe ja immer geglaubt, es werde jetzt noch einmal so lange dauern und dann – für immer –

Benedikta sieht mir oft und sehr besorgt nach. Offenbar ahnt oder fürchtet sie eine kleine Betrübnis und sie möchte mich am liebsten den ganzen Tag in ihrer Nähe festhalten, was mir aber ganz und gar nicht paßt; so behaupte ich denn, daß ich meine Sachen wieder herüberräumen müsse, und entschlüpfe ihr.

In Wahrheit thue ich gar nichts und lasse alles, wie es ist, denn ich habe nicht den Mut, mich wieder in meiner alten Stube einzuquartieren. Da stecken in jedem Winkel so viele Erinnerungen, und sobald ich hineintrete, fliegt der ganze Schwarm auf mich zu, ich könnte dort nicht schlafen. Ich hätte Angst vor all den kleinen Geistern, die mein Geheimnis erraten und Graf Peter zutragen könnten, der vielleicht darüber lachen würde, und ich will nur zum Träumen hierherkommen. In der Bibliothek, da kann ich weinen, zornig werden, bereuen, mich ärgern, kurz alles thun, was mir einfällt. Kommt dann eine Stunde, in der ich leidlich vernünftig bin, eine Erholungszeit, so gehe ich den wohlbekannten Weg, setze mich an meinen gewohnten Platz, sehe mir das leere Bett, den unbesetzten Lehnstuhl am Fenster an und lasse alles an mir vorbeiziehen, was ich hier erlebt habe.

Häufig genug packt mich auch der Zorn. Schließlich, wozu ist dieser Mann denn hierhergekommen? Weshalb hat er mir Kopf und Herz erfüllt, wenn er doch nichts von mir wissen will, und was ist das für eine Macht, die einem ein Endchen Glück zukommen läßt, gerade das, was man brauchen würde, um recht, recht glücklich zu werden, die einen das recht ansehen, recht kennen lernen läßt und es dann wegzieht in dem Augenblicke, wo man die Hand schließen will, um es festzuhalten?

Nennt man das etwa die Vorsehung?

Man muß immerhin gerecht sein. Herr von Civreuse hat nicht das mindeste gethan, um mich zu fesseln, und ich glaube, es war eben seine steife Sprödigkeit, was mich angezogen hat.

So finster er in der Regel war, hie und da hat er doch gelächelt, und wenn so kühle, ernsthafte Leute lächeln, hat dies seinen besondern Reiz. Es ist wie ein Sonnenstrahl im Winter oder wie die Aloe, von der er mir erzählt hat, die in hundert Jahren nur einmal blüht; je seltener die Dinge sind, desto höher sind sie im Preise. Ach, warum mußte mein Herz nach einer so seltenen Blume verlangen?

Der letzte Tag seines Hierseins ist besser verlaufen als irgend einer, und ich möchte nicht darauf schwören, daß ihm nicht auch ein ganz klein wenig besonders zu Mute gewesen ist.

Als ich morgens zur gewohnten Stunde in sein Zimmer getreten bin, habe ich neben seinem Lehnstuhle einen Tisch mit Papieren, Farben, Pinseln und Stiften stehend gefunden. Benedikta reichte ihm ein Glas, und sobald sie das Zimmer verlassen hatte, sagte er ein bißchen hastig: »Wollen Sie mir erlauben, Ihr Bild mit ein paar Strichen in mein Skizzenbuch zu zeichnen? Ich habe soeben diese Seite des Schlosses aufgenommen, aber meine Erinnerungen an Erlan würden sehr unvollständig sein, wenn meine Pflegerin nicht das erste Blatt einnähme!«

Natürlich sagte ich »ja« und fragte, indem ich näher trat, um seine Skizze anzusehen: »Wie wollen Sie mich haben? Stehend? Sitzend? Von vorn oder im Profil?«

Dabei nahm ich alle möglichen Stellungen an, damit er wählen könnte. Er lachte, besann sich einen Augenblick und sagte dann: »Wenn Sie die Güte haben wollten, den großen Lehnstuhl zum Kamin zu rücken und sich gerade wieder so hineinzusetzen, wie ich Sie am Abend meines ersten Erwachens gesehen habe.«

»Nur ohne jenes Kleid!«

»Leider ohne dasselbe!«

»Leider? – Soll ich es anziehen?«

»O, ich würde niemals wagen –«

»Ach, das ist ja in einer Sekunde geschehen!«

Und hinaus war ich, ehe er etwas darauf sagen konnte.

Wie ich gesagt, brauchte ich nicht eine Minute zum Umkleiden und trat gleich darauf wieder herein. Nun ist der Rock dieser mir nicht vorgestellten Urahne leider bedeutend zu lang für mich; so sehr ich denselben auch aufnahm, verfingen sich meine Füße doch immer wieder in dem Saume, und als ich schließlich das Kleid fallen ließ, um Herrn von Civreuse ein ganz richtiges Hofkompliment zu machen, blieb ich irgendwo am Kamin hängen und fiel plötzlich ziemlich unsanft auf meine Kniee.

Graf Peter ließ einen lauten Ausruf, fast einen Schrei, hören, was mir sehr wohl that, und machte eine Bewegung, als ob er spornstreichs auf mich zustürzen wollte.

»Und Ihr Knie!« rief ich. »Nicht vom Fleck, bitte!«

Damit schnellte ich in die Höhe und setzte mich in meinen Lehnstuhl. Er war aber noch lange nicht beruhigt.

»Sie haben sich nicht verletzt? Sind Sie dessen gewiß?« forschte er. »Mein Gott! Welch unglückseliger Einfall von mir, Sie das Kleid anziehen zu lassen. Haben Sie wirklich keine Schmerzen?«

Mit Herzklopfen erwiderte ich: Nein. Das Herzklopfen kam aber durchaus nicht von meinem Falle, sondern von dem angstvollen Klange der fragenden Stimme. Er behauptete, ich müsse mich eine Viertelstunde lang erholen, und erst nach Verlauf dieser Zeit ging er an sein Werk.

Pinsel und Stift flogen nur so hin, dabei hat er immer wieder den Kopf gehoben und mich so fest und anhaltend angesehen, daß es mir höchst peinlich war. Nach jeder Viertelstunde ließ er mich ausruhen, das heißt, mich bewegen. Das Frühstück machte dann eine kleine Unterbrechung, allein um zwei Uhr war das Bild fertig. Er rief mich herbei, um mir's zu zeigen, und ich konnte, nachdem ich einen Blick darauf geworfen hatte, mich nicht enthalten, auszurufen: »Das bin ich! Ach, wie hübsch!«

Zeichnung: E. Bayard

Thatsache ist nämlich, daß diese kleine rosa Dame, die mir aus dem großen Lehnstuhle entgegenlächelte, der große, düstere Kamin, dessen Feuerböcke sich deutlich abhoben, die dunkeln Holzschnitzereien, kurz all das zusammen ein köstliches Bild gab und ich mich vor Bewunderung nicht fassen konnte.

»Hübsch, wer?« fragte Herr von Civreuse spöttisch. »Sie, oder das Aquarell?«

»Das Bild, selbstverständlich!«

Einen Augenblick sah er mich lächelnd an, dann sprach er mit einer Stimme, wie ich sie nie von ihm gehört hatte: »Das Bild, das sind Sie, denn zum Glück ist es ähnlich. Nehmen Sie Ihren Ausruf nicht zurück!«

Ich schwieg. Zum zweitenmal hatte ich aus seinem Munde ein Wort der Anerkennung vernommen, und das bewegte mich mehr, als mir lieb war. Für mein Leben gern hätte ich mir auch ein Andenken an diese schöne Zeit, die im Verrinnen begriffen war, verschafft, und ich sann ganz verzweiflungsvoll hin und her, was ich sagen und wie ich es angreifen sollte.

»Und wenn nun ich – wenn ich Sie abzeichnen wollte?« fing ich endlich halb scherzend an.

»Sie zeichnen?« erwiderte er vollkommen ernsthaft. »Ja, das ist ja allerliebst, und ich werde Ihnen sitzen wie eine Statue.«

»Ja, das heißt, gut zeichnen – gut zeichnen kann ich gar nicht,« stotterte ich höchlich erschrocken, daß er mich so beim Worte genommen hatte. »Ich habe nie ein Porträt gezeichnet, nur das von ›Einer‹!«

»Wohl und gut! Da bin ich wenigstens nicht in schlechter Gesellschaft.«

Er reichte mir einen Karton, Zeichenpapier, Bleistift und Reißkohle, setzte sich in dreiviertel Profilstellung und fragte: »Paßt es Ihnen so?«

»Vortrefflich!« erwiderte ich, ganz außer Fassung. Wenn er sich auf den Kopf gestellt hätte, würde ich es auch »vortrefflich« gefunden haben.

Schließlich fing ich ganz mechanisch an, etwas hinzukritzeln, sah ihn an, wie er mich vorhin angesehen, und ich fand ihn schön, wie ich gewünscht hätte, daß er mich schön gefunden.

Nach einer Viertelstunde war ich müde, nervös, unfähig länger fortzumachen. Das Ding auf meinem Papiere sah aus wie eine Allongeperücke oder wie ein Negerkönig oder wie eine Vogelscheuche und erinnerte mich lebhaft an meine Versuche vom vorigen Winter, wo ich mich damit vergnügt hatte, meinen Hund zu zeichnen, wobei trotz Aufbietung aller meiner Kunst immer wieder ein Geschöpf mit einem Schafskopfe, einem Bärenfelle und vier spindeldürren Beinchen, die keinen King Charles getragen hätten, entstanden war.

Zu jeder andern Zeit würde ich gelacht haben, aber jetzt, da ich in Gedanken an den Abschied die Minuten zählte, war ich wenig dazu aufgelegt und fühlte, wie mir die Thränen in die Augen traten. Das aber durfte nicht geschehen, das hatte ich mir geschworen! Ich stand eilends auf, trat zum Kamin, um mein Blatt hineinzuschleudern, und sagte: »Es ist unmöglich! Ich bin zu ungeschickt.«

»Mein Bild!« rief er. »Zeigen Sie mir mein Bild! Ich habe ein Recht darauf.«

Keines Widerstandes fähig, brachte ich es ihm; er nahm's, sah es ganz ernsthaft an und fragte dann ebenso ernst: »Gestatten Sie mir eine kleine Korrektur?«

Ich nickte mit dem Kopfe, und er wischte mit seinem Taschentuche alles rein weg. Dann zeichnete er mit vier flotten Strichen ein Profil, das eine gute Karikatur des seinigen war und von einer so drolligen Aehnlichkeit, daß man es nicht ansehen konnte, ohne zu lachen. Darunter schrieb er dann in seiner großen Handschrift: »Ehrfurchtsvollst der Patient dem Burgfräulein.«

Im nämlichen Augenblick trat der Doktor herein. Mein Herz zog sich zusammen; ich wußte, daß wir miteinander zu Ende waren, und hörte, als ich das Zimmer verließ, den für Herrn von Civreuse bestellten Wagen in den Hof fahren. Meine Zeichnung in der Hand, flüchtete ich in meinen Schlupfwinkel, wo ich mich hinsetzte, um sie anzusehen. Mit der komischen Wirkung war es aber aus und vorbei, und ich bemerkte, wie meine heißen Thränen auf die unwahrscheinliche Nase und den struppigen Bart, mit welchen Herr von Civreuse sein Konterfei versehen hatte, fielen, und das war auch kein Wunder – war diese Karikatur, die dem Originale glich wie die Wirklichkeit meinen Träumen, nicht symbolisch?

Zeichnung: E. Bayard

Einen Augenblick darauf rief der Doktor nach mir. Herr von Civreuse stand aufrecht mitten im Zimmer – er stand, aber auf zwei schräge Krücken gestützt, die mir einen jammervollen Eindruck machten. Daß ich ihn für sein übriges Leben zum Krüppel gemacht habe, war meine erste Empfindung; ich fühlte, wie mir alles Blut aus dem Gesichte wich, und unwillkürlich streckte ich die Hände nach dem Doktor aus.

»Nur für die ersten Tage,« sagte er, meine Angst richtig deutend.

Am Boden lagen die Schienen, welche seit vierzehn Tagen den Kleisterverband ersetzt hatten.

»Halten wir ein Autodafé,« sagte Herr von Civreuse, mit dem Finger auf dieselben weisend.

Ich nahm sie auf und trat mit ihm zum Kamin.

Er wußte seine Krücken merkwürdig geschickt zu handhaben, aber ihr dumpfes Geräusch auf dem Boden erschütterte mich dermaßen, daß ich nicht mehr wußte, was ich that. Der Doktor ging hinaus, um Benedikta zu holen, und ich schleuderte die erste und darauf die zweite Schiene in die Glut. Bei der dritten bekam ich wieder ein klein wenig Mut, und, die Augen zu Graf Peter aufschlagend, gelang es mir, herauszupressen: »Verzeihen Sie mir?«

»Ach, mein Fräulein!« rief er. »Ich hatte gehofft, daß von derartigem nicht mehr die Rede zwischen uns sein würde.«

Zeichnung: E. Bayard

Ich dankte ihm durch ein Kopfnicken und fuhr, ohne ein weiteres Wort zu sagen, in meiner Beschäftigung fort. Ich kniete vor dem Feuer, fast zu seinen Füßen, während er, auf den Kaminsims gestützt, mich mit seiner ganzen Länge überragte … Es war so ganz anders, als ich mir's einst gedacht hatte!

Darüber trat Benedikta ein. Sie kam, um sich zu verabschieden, trat mit einem kleinen Knicks auf ihn zu und hielt eine kurze Rede, in der sie ihm in Zukunft mehr Glück und Gottes Segen wünschte.

Er ließ sie ganz ausreden, dann stellte er seine Krücke beiseite, und das kranke Bein gegen einen Stuhlsitz lehnend, sagte er fröhlich: »Mit Worten könnte ich Ihnen nicht für all Ihre Aufopferung und Güte danken; Sie müssen schon erlauben, daß ich Sie küsse.«

Damit faßte er meine gute Alte, die ganz verblüfft dastand, um die Schultern und küßte sie herzhaft auf beide Wangen. Plötzlich ließ sich des Doktors Stimme von unten vernehmen: »Vorwärts, vorwärts; wir kommen sonst nicht vor sinkender Nacht hin!« worauf sich Herr von Civreuse zu mir wendete: »Ihrer Fräulein Tante wird unser guter Doktor meine Abschiedsgrüße melden,« sagte er. »Ich wollte der Dame eine persönliche Begegnung ersparen.«

Er zögerte ein wenig und fuhr dann langsam, als ob er nach Worten suche, fort: »Gestatten Sie mir, mein gnädiges Fräulein, Ihnen meine tiefste Dankbarkeit auszusprechen nicht nur für Ihre unermüdliche Sorgfalt, sondern auch für all die Anmut und Laune, mit der Sie mein Krankenzimmer heiter und froh gemacht haben. Auf diese Weise gut sein, heißt es doppelt sein.«

Ich gab ihm die Hand, einen Laut konnte ich nicht hervorbringen, mir war's, als wenn eine unsichtbare Macht mir die Kehle zudrückte. Er nahm meine Fingerspitzen, zögerte wieder, als ob er noch etwas sagen wolle, verbeugte sich dann rasch und drückte einen leichten Kuß auf meine Hand. Nie hatte ich eine ähnliche Empfindung gekannt, wie diese Berührung sie in mir hervorrief; es war so seltsam, so unerwartet, und wie ein Schleier legte sich's vor meine Augen.

Als ich sie wieder aufschlug, war er schon an der Thür, und Benedikta folgte mit seiner Reisetasche. Ganz aufrecht und gar nicht langsam ging er die Treppe hinunter und stieg in den Wagen, ohne ein Wort zu sprechen. Als das Pferd anzog, verbeugte er sich, nahm den Hut ab und sagte ganz feierlich: »Leben Sie wohl, gnädiges Fräulein!«

Mir war zu Mute, als ob man einen Stein auf mein Herz wälze und mich begrabe wie die Novizen, die ich im Kloster hatte einkleiden sehen, und plötzlich mußte ich an das Schneeloch denken, in dem ich diesen Winter so süß eingeschlummert war … Ach, warum haben sie mich nicht drin gelassen!

Solange der Wagen in Sicht war, blieb ich unter der Thür stehen. Als er nicht mehr zu erkennen war, fragte Benedikta, die mich angesehen hatte: »Willst du dich nicht am Feuer wärmen?«

»Jawohl,« erwiderte ich. »Ich komme gleich.«

Und damit flog ich davon durch den ganzen Park bis zu der Tanne, in die ich vor ein paar Tagen seinen Namen geschnitten hatte.

Der Saft, der wohl eben im Steigen gewesen, war zu jedem Einschnitte herausgequollen, und jeder einzelne Buchstabe weinte. Ich lehnte den Kopf an die kalte Rinde, ringsum schützte mich das zum Teil noch beschneite Dickicht – ich war allein! Den Baum, der meine Schmerzen mitzutragen schien, fest umschlungen haltend, weinte ich mich aus!

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Graf Peter an Jacques.

»Ich schreibe Dir also im Dorfwirtshause, wo ich seit zwei Tagen herberge.

»Wollte ich behaupten, daß mein Nest hier ebenso behaglich sei, wie das in Erlan, und daß ich auch ein Bett mit Säulen und einen Kamin im Stil des dreizehnten Ludwig mein eigen nenne, so wäre das nicht wahrheitsgetreu. Von Rauch geschwärzt sind die Balken der Decke zwar auch hier, die Wände dafür um so weißer mit Kalk getüncht, was leider an meinen Kleidern nicht spurlos vorübergeht und meinen Aermeln häufig das Ansehen verleiht, als ob ihr Inwohner dem ehrsamen Müllerstande angehöre und soeben des Tages Arbeit verrichtet habe.

»Einerlei! Ein Reisender muß auf alles gefaßt sein und man kann nicht allerorten einen feudalen Herrensitz als Herberge verlangen.

»Das Erfreulichste an der Sache ist, daß mein Knie vortrefflich Dienst thut. Ich kann mit den Krücken umgehen wie ein gewerbsmäßiger Invalide, und würde mit ihrer Hilfe weit mehr Spaziergänge unternehmen, wenn das zwar höchst schmeichelhafte, aber etwas lästige Gefolge der Dorfjugend nicht wäre.

Zeichnung: E. Bayard

»Glücklicher Erdenwinkel, in dem ein Hinkender ein Weltereignis ist und wo man sich zusammenschart, um ein Paar Krücken zu sehen. Das muß hier ein seltenes Gewächs sein.

»Um die Zeit totzuschlagen, kritzle ich nach meines Stiftes Belieben auf dem Papiere herum. Eine Kirchturmspitze, eine Wolke und vielleicht ein Schaf, das auf der Wolke weidet. Die Phantasie ist kühn, aber meine Entwürfe streben nicht nach dem »Salon«, und was dieser vielleicht recht gern haben würde, kriegt er nicht – Fräulein von Erlans Bild, das gar nicht schlecht ausgefallen ist. Habe ich Dir denn erzählt, daß ich sie gebeten habe, mir zu sitzen, und daß sie so liebenswürdig war, zu dem Zwecke wieder in das urgroßmütterliche Gewand unsrer ersten Begegnung zu schlüpfen? … Nein, Du kannst es nicht wissen. Du bist ja drei Tage vor meiner Abfahrt stehen geblieben. Nun denn, am Montag früh – für Nachmittag war der Wagen bestellt – fiel mir plötzlich wieder ein, daß ich im Sinne gehabt habe, dies phantastische Köpfchen festzuhalten, und es gelang mir weit über meine kühnsten Erwartungen. Flott gemacht, ist das Aquarell kaum mehr als eine Skizze, aber ich lasse sie, wie sie ist, denn sie könnte durch jedes Weiterbearbeiten nur an Reiz einbüßen. Man kann ein Lächeln andeuten, man kann es aber nicht durch A + B fixieren, besonders nicht ein Lächeln wie dieses, und in Bezug auf die Farbe und Aehnlichkeit ist das Ding ein kleines Meisterwerk, obwohl ich selbst es gemacht habe.

»Du wirst es übrigens zu sehen bekommen, das Bildchen ist schon eine Reise wert und ich werde Dir's zuführen, um Dein Urteil zu hören.

»Halb im Scherze, halb ernsthaft hat Fräulein von Erlan meine Artigkeit mit gleicher Münze heimzahlen wollen und hat das entsetzlichste Geschmiere, das Deine Phantasie sich träumen lassen kann, zuwege gebracht; eine tiefe Neigung für eine Kunst verrät es gerade nicht, wenn man sie in dieser Weise übt.

»So sind uns die letzten Stunden des Beisammenseins heiter verflossen, und plaudernd und lachend thaten wir, als hörten wir das Fuhrwerk, das mich erwartete, nicht rasselnd über den gepflasterten Hof fahren.

»Ohne allen Zweifel war beim Abschiede die alte Benedikta die Gerührteste, und als ich die treue Seele auf die Wangen küßte, stand so etwas wie ein Thränenschauer in ihren Augen, der aber natürlich in der Schneeregion unsrer Stimmung nicht zum Ausbruche kam. Unsre Kaltblütigkeit wirkte abkühlend.

»Darauf habe ich mich mit einer sehr verbindlichen, sehr anmutigen Redewendung von Fräulein Colette verabschiedet, die mir, ohne meine Worte im geringsten zu erwidern, die Hand hinstreckte und – ›fahr zu, Schwager!‹

»Ist es Dir vielleicht auch jetzt noch leid, daß ich Deinem Rate nicht gefolgt bin und in der Abschiedsstunde eine Erklärung vom Stapel gelassen habe? Die Situation wäre entschieden die gewesen: ein Mann von Liebe redend, sich mehr und mehr steigernd, flehend, seine arme Seele unverhüllt und bloß hinstellend, um zum Scheidegruße ein Wort, einen Blick zu erhaschen, und ein Tollkopf mit einem öden Herzen sich halb tot darüber lachend. Denn daß sie gelacht hätte, darauf gehe ich jede Wette ein.

»Wahrhaftig, ich habe mich noch nie so ehrlich gefreut, das Alter und den Hang zu derlei Thorheiten hinter mir zu haben und mein Herz so friedlich und ruhig schlagen zu fühlen, wie das eines in ehrenvollen Ruhestand getretenen Kriegers. Dank diesem Herzen ist mein Schlaf ohne Traum, und es ist etwas Schönes um einen gesunden Schlaf, selbst auf einem Strohsack.

»Von Fräulein von Dorn werde ich mich durch einen Abgesandten verabschieden; der vortreffliche Doktor hat diese angenehme Aufgabe freundwillig übernommen. Ueber das Scheiden von ›Einer‹ laß mich schweigen, es ist eine alte Wahrheit: ›Das beste am Menschen ist der Hund!‹

»Damit genug. Es ist jetzt die Stunde, zu der das liebe Vieh im Dorfe spazieren wandelt, während seine Behausung rein gemacht wird. Es ist mir eine Zerstreuung, das mitanzusehen, und ich schnappe immer ein paar Naturstudien dabei auf.«

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Graf Peter an Jacques.

»Du glaubst doch den Unsinn nicht, Jacques, nicht wahr? Du hast ja gleich gesehen, wie es um mich steht, und Du weißt, daß ich seit vier Wochen Dich, mich selbst, die Welt, ja sogar diese Liebe belüge, die mich ganz erfüllt und die ich verberge, wie wenn die unvergleichliche Seligkeit, zu lieben, zu lieben bis zum Wahnsinn, eine Schande wäre.

»Ja, ich liebe sie! Ja, ich vergöttere sie! Und die kindische Trotzepistel von heute früh ist die letzte ihrer Art gewesen! Bist Du zufrieden?

»Mein Brief war noch nicht lange fort, als ich den Knaben, der ihn zur Post tragen sollte, zurückrief; ich hätte ihn wieder haben, vernichten mögen; mein Stolz war gebrochen, dergestalt in nichts aufgelöst, daß ich keine Spur mehr von ihm vorfand und mich fragen mußte, was für ein armselig thörichtes Gefühl es gewesen ist, das mich leugnen ließ, daß ich seit Wochen liebe! Leugnen und mein Glück verheimlichen, nur weil sich mein Stolz dagegen aufbäumte, daß ein Kind dies Herz, das dem Menschengeschlechte Haß geschworen und das ich auf ewig mit dem darüber gesetzten: De profundis! versiegelt zu haben wähnte, zu neuem, seligem Leben erweckt!

»So ist's denn immer wie im Märchen – am Blütenzweige zerbricht die stählerne, Eisen spaltende Klinge. Ein achtzehnjähriges Lächeln hat allen Weltschmerz, alle Bitterkeit und düstere Lebensweisheit überwunden.

»Und statt darüber zu frohlocken, wollte ich Thor zu kritteln und zu mäkeln fortfahren, nur weil dies Piedestal voll Weltverachtung und Pessimismus meiner Eitelkeit wohl that und mich in meinen Augen höher stellte. Solche Narrheit empört Dich? – Ja, Jacques, aber Du siehst ja, ich bin zu Reue und Buße bereit, und wenn mein Herz sich in den Himmel erhebt, so beugt sich die Stirn um so demütiger zur Erde – was willst Du mehr?

»Ja, ich glaube an die Wiederkehr der Jugend, denn ich bin jung heute abend und die Illusionen sind auferstanden. Ich glaube an alles, sogar an das Gute, aber ich glaube vornehmlich an die Liebe, und damit kannst Du Dich zufrieden geben, denn sie umschließt alle Weisheit und alle Thorheit dieser Welt!

»Hand aufs Herz, Freund, hast Du Dir vielleicht weis machen lassen, daß ich seit zwei Tagen auf Wolken grasende Lämmlein und Bäuerinnen im bunten Rocke zu Papier bringe? Zwanzig Briefe habe ich seit vorgestern an sie geschrieben und zwanzig zerrissen, und wenn ich's nicht zu stande bringe, ihr mit der Feder all den seligen Unsinn zu sagen, von dem mein Herz überströmt, so steige ich heute abend nach Erlan hinauf, kniee in der großen Stube, in der ich sie zuerst gesehen habe, vor ihr nieder und sage ihr, daß sie meine Welt ist.

»Von Krücken sprichst Du, alter Brummbär? Meine Krücken, Jacques, mit denen hab' ich ein helles Freudenfeuer in Brand gesetzt, ein Feuer, in das ich alle bösen Erinnerungen und Zweifel und häßlichen Dinge hineingeworfen habe, so daß es nun nichts mehr für mich gibt, als ein Heute und ein Morgen, und was das Bergsteigen betrifft, verstehst Du denn nicht, daß mich da hinauf Flügel tragen?

Zeichnung: E. Bayard

»Wie möchte ich sie Dir zeigen können! Habe ich sie Dir denn in meiner erkünstelten Verdrießlichkeit richtig geschildert? Hast Du denn durchfühlen können, daß die Kindereien und Ungeschicktheiten, über die ich mich so bitter beklagte, mich mehr als alles an ihr entzückten? Kein Geringeres als diese Taufrische und eigenartige Natürlichkeit konnten die Jugend in mir wieder erwecken, das erstarrte Leben aufrütteln. Sie ist eine wilde, zauberisch schöne Blume, die hier zwischen Himmel und Erde erblühen mußte für mich, für mich allein! Sie hat noch nichts geliebt als Sterne und Träume; kein Hauch hat sie berührt, als der reine Atem der Berge, alle Anmut, aller Zauber des Weibes ist hier in einer Kinderseele vereint.

»Ihre Hand in der meinen, und Dich zur Seite, so ist mir Welt und Leben erfüllt, und ich kann meinem Glücke nichts vergleichen als die Unendlichkeit.

*

»Denke an mich heute abend, Jacques; ich steige hinauf; ich kann nicht mehr leben ohne einen Atemzug Luft von Schloß Erlan. Wenn ich sie nicht sprechen kann, wenn ich schreiben muß? Nun, dazu werde ich in dem alten Gemäuer wohl ein Fleckchen finden, und dieser herrliche Mondschein ist die richtige Fackel für einen, der Liebesworte schreibt.

»Ich schicke Dir ihr Bild, Du mußt sie sehen! Morgen ist das Original mein eigen, oder Du kannst das Porträt für immer behalten als mein letztes Vermächtnis.«


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