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26. März.

Nachdem der Doktor weggegangen war, wollte ich Herrn von Civreuse erst nach Herzenslust schreiben lassen und habe so lange gezögert, sein Zimmer zu betreten, daß ich zuguterletzt nicht mehr wußte, wie ich's überhaupt anfangen sollte, hineinzugehen. Anklopfen, eintreten und mich an meinen alten Platz setzen, das hieß, ihn zu einem Gespräche mit mir zwingen, und andrerseits konnte es ihm auf die Dauer, falls er irgend einen Wunsch hatte, sehr unangenehm sein, so im Stiche gelassen zu werden.

Am liebsten hätte ich Benedikta geschickt, aber die Tante, welche sich anstellt, als ob sie von der Anwesenheit des Verwundeten keine Ahnung hätte, bürdet ihr seit ein paar Tagen ein ganz ungebührliches Maß von Arbeit auf und hatte sie unter dem Vorwande, daß die Vorhänge ausgebürstet werden müssen, in ihr Zimmer eingesperrt.

Endlich hatte ich einen glücklichen Einfall. Ich rief meinen Hund, machte ihm sanft und eindringlich klar, was ich von ihm haben wollte und wohin er das Blatt Papier, das ich an seinem Halsbande befestigte, tragen müsse; dann klopfte ich leise an die Thür, versteckte mich hinter derselben und ließ ihn hinein.

Auf den Zettel hatte ich geschrieben: »Herr von Civreuse wird gebeten, zu sagen, ob er allein sein will, oder irgend etwas nötig hat. Der Hund wird auf Antwort warten und sie zurückbringen. Man braucht nur: Geh! zu ihm zu sagen.«

Nach ein paar Sekunden schon hörte ich, wie »Einer« an der Thür scharrte, und fand an seinem Halsbande mein eignes Billet, auf dessen Rückseite die Antwort stand: »Herr von Civreuse wagt nur mit Beschämung einzugestehen, daß er vor Hunger und Durst fast vergeht. Der treue Bote hat, als er sich aufgerichtet, um seinen Hals herzustrecken, leider das Tischchen mitsamt dem Tintenzeuge umgeworfen, und Herr von Civreuse bedauert sehr, nicht im stande zu sein, den Schaden selbst wieder gut zu machen.«

Daraufhin bin ich natürlich eilends hineingegangen, habe im Handumdrehen das Möbel wieder auf die Berne gebracht und die Tinte abgewischt, so gut es gehen wollte. Herr von Civreuse sagte dabei in fragendem Tone: »Fräulein von Dorn? … Fräulein von Erlan?«

»Fräulein von Erlan,« erwiderte ich hastig, denn ich war äußerst wenig erbaut von dieser Verwechslung.

»Ich bitte um Entschuldigung,« hat er gesagt. »Es gibt Tanten jeden Alters.«

Als ich dann das Tuch auf den Boden warf und mit der Fußspitze die Flecken wegrieb, brachte er eine lange Entschuldigung über dieses Mißgeschick vor, ich versicherte ihm aber, daß mir Flecken, solange sie sich nicht an meiner Person befänden, im höchsten Grade gleichgültig seien, was auch ganz wahr ist.

Dann habe ich ihn gefragt, ob er in Bezug auf seine Mahlzeit irgend einen besondern Wunsch habe, wobei ich jedoch einfließen ließ, daß die Speisekammer in Erlan ländlich bestellt sei, und er hat mir erwidert, daß er, nachdem er sich auf eine Reise vorbereitet, während welcher er durchaus nicht alle Tage etwas zu essen gekriegt haben würde, sich glücklich schätze, wenn er überhaupt ein Mittagbrot bekomme, und sich um den Speisezettel wenig kümmere.

Für eine Viertelstunde gelang es mir, Benedikta den Klauen der Tante zu entreißen, und nachdem sie wieder fort war, habe ich alles vollends fertig gemacht, Wein eingegossen, Brot aufgeschnitten und so weiter. Während Herr von Civreuse mit einem wirklich erfreulichen Appetit aß, richtete er wieder mehrere Fragen an mich, alles in dem kühlen, gleichgültigen Tone, der mich nicht nur frösteln macht, sondern auch die Wirkung zu haben scheint, daß ich ganz verkehrte Antworten gebe; denn von Zeit zu Zeit warf er mir einen Blick zu, als ob ich eine unerhörte Dummheit gesagt hätte. So bald als möglich ging ich daran, ihm Kaffee zu machen.

Benedikta hatte mir kochendes Wasser auf die Glut gesetzt, den Kaffee hergestellt und mir genaue Anweisungen hinterlassen, aber die Sache war mir so neu und unbekannt, daß in dem Augenblick, wo ich anfangen wollte, nach ihrer Vorschrift zu handeln, die Gewißheit über mich kam, daß ich auch nicht ein Sterbenswort mehr davon wußte, und in der fürchterlichsten Verwirrung kniete ich, den Wasserkessel in der einen, den Kaffee in der andern Hand, vor dem Kamin.

Daß diese beiden Dinge zusammenkommen mußten, war mir klar, aber ob den Kaffee ins Wasser, oder das Wasser an den Kaffee, war mir höchst zweifelhaft, und das Wie dieser Vereinigung war eine schwierige Frage.

Das Wasser in den kleinen Holzkasten zu gießen, kam mir jedoch etwas wunderlich vor, und die Wahrscheinlichkeit sprach dafür, es umgekehrt zu machen. Mir bei Benedikta Rat erholen, hieß, mich einer leidenschaftlichen Scene mit der Tante aussetzen, und auf der andern Seite folgte Herr von Civreuse jeder meiner Bewegungen mit einer gespannten Neugier, die mich vollends außer Fassung brachte. Es galt einen raschen Entschluß; ich warf den ganzen Inhalt des Holzkästchens ins Wasser, setzte alles wieder ans Feuer und ließ es ein paar Minuten brodeln.

»Darf ich den Kaffee bringen, Herr von Civreuse?« fragte ich dann aufstehend.

»Ich bitte darum,« sagte er ganz ernsthaft, indem er mir seine Tasse hinhielt.

O Himmel! Aus der Kanne rieselte langsam und schwerfällig ein schmieriger, schwärzlicher Brei, der sich in nicht sehr appetiterregender Weise in der Tasse zu einem kleinen Sumpfe gestalten zu wollen schien.

Fassungslos hielt ich mit Eingießen inne und rief: »Das ist ja kein Kaffee! Ich muß es falsch gemacht haben, ach ich kann ja keinen Kaffee kochen.«

»Ich ebensowenig,« erwiderte Graf Peter, immer noch die Tasse hinhaltend, »nur glaube ich zu wissen, daß man sich in der Regel dieses Dinges da bedient.«

Dabei wies er mit dem Finger auf die Kaffeemaschine, welche Benedikta auf einem Tische zurechtgestellt hatte, deren Vorhandensein ich aber ganz vergessen gehabt, und als ich ihn aufgeregt fragte, weshalb er mir das nicht früher gesagt, versetzte er: »Weil ich annahm, Sie wollen den Kaffee auf türkische Art zubereiten.«

Schließlich habe ich das Kaffeegebräu durch ein kleines Batisttuch gegossen und er hat es ausgetrunken, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Sie haben also nun Ihre wahre Gestalt wieder angenommen?« fragte er dann, als ich eben meinen gewohnten Platz in dem alten Lehnstuhle wieder eingenommen hatte.

»Meine wahre Gestalt? Aber so bin ich doch immer?«

»Heute nacht nicht.«

»Ach, weil ich das alte Kleid angehabt. Da muß ich freilich wunderlich genug ausgesehen haben und ich möchte wohl wissen, was Sie dachten, als Sie mich zuerst sahen.«

»Nun, mein erster Eindruck war, daß ich endlich das Glück gehabt habe, einen Ort zu finden, wo die Zeit stillgestanden und die Uhr seit zweihundert Jahren nicht wieder aufgezogen worden ist.«

»Und das würden Sie ein Glück nennen, weshalb?«

»Weil es etwas Thörichteres und Unsinnigeres als unsre gegenwärtige Epoche nicht geben kann.«

»Es gibt noch etwas Unsinnigeres,« versetzte ich rasch, »und das ist, in der Epoche leben und sie doch nicht kennen. In dem Falle bin ich.«

»Seien Sie darüber unbesorgt. Sie haben mit derselben dennoch mehr gemein, als Sie denken.«

Er muß eingesehen haben, daß diese Bemerkung nicht gerade liebenswürdig war, und ehe ich etwas erwidern konnte, setzte er hinzu: »Wo haben Sie denn Ihren Hund gelassen, gnädiges Fräulein? Er ist doch meinetwegen nicht in Bann gethan?«

»Ich dachte, er könnte Sie stören.«

Er machte ein verneinendes Zeichen und ich lief nach der Thür, die ich kaum geöffnet hatte, als der Tollkopf von »Einer« mit einem mächtigen Satze hereinsprang, sich auf meinen Füßen wälzte, seine Schnauze gegen mein Knie drückte und mich im Feuer seiner Leidenschaft um ein Haar zu Boden geworfen hätte.

Herr von Civreuse sah sich die Sache schweigend mit an, als ich mich aber zu »Einer« hinkauerte, damit er mir seine Pfoten um den Hals legen konnte, hat er gefragt: »Sie haben das Tier wohl sehr lieb?«

»Ach und wie!« rief ich aus Herzensgrund. »Meine gute alte Benedikta und mein Hund sind die beiden liebsten Wesen, die ich besitze.«

»Die Tante scheint erst in dritter Linie zu kommen!« sagte er halblaut, mehr zu sich selbst als zu mir.

»Nicht einmal,« murmelte ich ebenso leise vor mich hin.

Ich glaube nicht, daß er es gehört hat, und ich stand nun auf, um den Tisch abzuräumen.

Gleich darauf fragte er mich, was die Uhr sei, und als ich es ihm gesagt, konnte ich nicht umhin, zu bemerken: »Die Tage werden Ihnen hier wohl endlos lang vorkommen, und ich fürchte sehr, daß Sie sich bald entsetzlich langweilen werden.«

»Ach! Von mir ist nicht die Rede,« erwiderte er sofort, »aber für Sie ist mir die Sache sehr bedenklich. Es ist ja eine fürchterliche Plage, einen landfremden Menschen hilflos hier liegen zu haben, und das muß Ihr ganzes Leben stören und beeinträchtigen.«

Damit wollte er auf das Kapitel der Dankbarkeit einlenken, ich unterbrach ihn aber rasch und fügte hastig: »Ach, glauben Sie das ja nicht! Ganz im Gegenteil! Ich bin so vergnügt! Es ist so unterhaltend!«

Ich dachte natürlich an meine bisherige Einsamkeit und an die Freude, nun wenigstens zwei Monate lang eine lebende Menschenseele in meiner Nähe zu haben; er muß meine Aeußerung aber anders aufgefaßt haben, denn mit fest zusammengepreßten Lippen machte er mir eine feierliche Verbeugung und sagte: »Um so besser, mein gnädigstes Fräulein, so ist mein Unglück doch zu etwas gut, und ich höre mit außerordentlichem Vergnügen, daß diese Geschichte wenigstens einem Beteiligten zur Freude gereicht.«

In dem Augenblick trat Benedikta herein, und ich ergriff die Gelegenheit, mich hinauszuschleichen, weil ich um eine Antwort verlegen war.

Alles zusammengenommen, gefällt mir dieser Herr Graf ganz und gar nicht, und wenn nicht mein ganzes Streben danach ginge, seine Verzeihung zu erlangen und ihn meine zornige, folgenschwere That allmählich vergessen zu machen, so würde ich ihn einfach unausstehlich finden und ihm gegenüber gar kein Blatt vor den Mund nehmen.

Diese unerschütterliche Gelassenheit und Kühle macht mir den Eindruck, als ob er vermittelst ihrer meiner Lebhaftigkeit den Zaum anlegen wollte, was wahrhaftig nicht seine Sache ist, und dieser spöttische Blick, der mich auf Schritt und Tritt verfolgt, reizt mich fortwährend, irgend welche Ungezogenheit zu sagen. Wenn die Binde einmal weg ist und zwei solcher Augen auf mir ruhen, wird es überhaupt nicht mehr zum Aushalten sein, und schon jetzt ist mir's, als ob sie mich durch Thür und Wand peinigten und verfolgten.

 ,

Graf Peter an Jacques.

»Mein Freund, ich habe die gewünschte Klarheit! Ein zufälliges Alleinsein mit Benedikta, dem alten Tugendwächter des Fräuleins von Erlan, habe ich so geschickt zu benutzen gewußt, daß ich alles erfahren habe, was der Arzt mir zu verschweigen für gut gehalten.

»Fangen wir mit dem Anfang an: Ich glaube, ich bin da stehen geblieben, wo ich Dir riet, Dich hinter meinen Vorhang zu stecken, um die blonde Fee der vergangenen Nacht bei Tageslicht in Augenschein zu nehmen.

»Nun denn, Du magst es glauben oder nicht, die Hexerei war noch nicht zu Ende, und sie erschien mir diesmal in der vertrauten und ansprechenden Gestalt eines großen, kraushaarigen Neufundländers.

»Das kluge Tier kam kerzengerade, ohne sich zu besinnen, auf mein Bett zustolziert, richtete sich mit der Grazie eines dressierten Elefanten auf den Hinterbeinen auf und neigte den Kopf, um mich auf ein Blatt weißen Papieres aufmerksam zu machen, das an seinem Halsbande befestigt war.

»›Und die schöne Prinzessin sandte ihm einen Boten in Gestalt eines rabenschwarzen dreiköpfigen Flügelpferds, welches ihm ihren hohen Willen in allen Einzelheiten kundthun sollte‹, heißt es irgendwo im Märchen.

»Der hohe Wille war in diesem Falle in einfachster Form kundgethan, und die Mitteilung enthielt eigentlich nur die Frage, ›ob Herr von Civreuse irgend etwas nötig habe‹.

»Die Schrift sah ungefähr aus wie ein vom Sturme zerzaustes Weidengebüsch, die Linien purzelten nach Belieben auf dem kleinen Papierquadrate herum, und die letzten Worte, für die der Raum nicht mehr hatte ausreichen wollen, standen buchstäblich übereinander.

»Der erste Blick darauf flößte mir ein Vorurteil gegen die Verfasserin ein. Eine Frau ist vollständig berechtigt, das Schreiben bleiben zu lassen; befaßt sie sich aber damit, so muß es hübsch sein, und die Züge ihrer Feder dürfen nicht wie ein phantasievoller Spaziergang eines verrückt gewordenen Maikäfers aussehen! So etwas ist für mich unüberwindlich und macht mir ungefähr den nämlichen Eindruck, wie wenn eine niedliche Marquise ein großes baumwollenes Taschentuch hervorzöge oder nach Patschuli duftete.

»Es war aber jetzt gerade nicht die richtige Stunde, sich allgemeiner Lebensphilosophie hinzugeben, und der ausgestreckte Hals des Hundes forderte die erbetene Antwort. So entschloß ich mich, auf der Rückseite des Schriftstückes das plebejische Geständnis abzulegen, daß ich rasenden Hunger habe und daß etwas zu nagen und zu beißen für den Augenblick der Gegenstand meiner Sehnsucht sei. Ein Madrigal war das gerade nicht! Aber mein Gott, einer Dame gegenüber, die so schlecht schreibt! Als ich mich dann bückte, um das Blatt wieder am Halsbande zu befestigen, machte der schwarze Gesandte eine rasche Bewegung und warf mit einem Schlage den Tisch samt Tintenzeug zur Erde. Ziemlich kleinlaut fügte ich eine Nachschrift bei, in der ich von dem Unheil Meldung machte, und kurz darauf trat meine jugendliche Pflegerin von heute nacht in Person herein.

Zeichnung: E. Bayard

»Sie trug diesesmal ein Allerweltskleid und sah mit den zu einer Achte verschlungenen Haaren so trostlos alltäglich aus, daß mir's war, als ob man auf ein altes Porträt von Velasquez, unter dem Vorwande, es zu restaurieren, ein beliebiges Kindermädchen an Stelle einer vornehmen Dame gesetzt hätte. Ist es nicht unerlaubt, so viel Lokalton zur Verfügung zu haben und sich das nicht zu nutze zu machen?

Zeichnung: E. Bayard

»Augenscheinlich sehr unbekümmert, welchen Eindruck sie auf mich mache, brachte sie die schmierige Geschichte mit der Tinte in Ordnung, hob den Tisch auf, schöpfte die Tinte wieder ein und rieb den Boden trocken, indem sie das Tuch mit der Fußspitze hin und her schob – alles, ohne ein Wort zu sprechen.

»Ich hatte eine de- und wehmütige Entschuldigungsrede begonnen, allein sie fiel mir gleich zu Anfang ins Wort, indem sie hastig erklärte: ›Ach, quälen Sie sich doch deshalb nicht; mir sind Flecken ganz gleichgültig,‹ wonach es mir natürlich auch gleichgültig war, sie die Arbeit verrichten zu sehen. Sobald dies geschehen war, ging sie, um für meine Ernährung Sorge zu tragen, und ich war mit meinen Gedanken allein.

»Mein Lieber, das junge Mädchen mißfiel mir jetzt schon gründlich. Ihr Wesen entsprach ganz ihrer Handschrift, und diese Bemerkung setzte allem die Krone auf. Zum Henker, ich kümmere mich auch nicht um Flecken und habe mit heiterem Auge schon Ströme von Tinte fließen sehen, aber von ihr hat mich's verletzt.

»Wenn es etwas gibt, was mir widerwärtig ist, so ist's, meine eignen Fehler bei andern, namentlich aber bei Frauen anzutreffen! Zum Teufel! Wenn ich meine holde Physiognomie ansehen will, brauche ich nur einen Spiegel in die Hand zu nehmen und habe nicht nötig, meine Fratze beim nächsten besten wahrzunehmen. Selbst in der Häßlichkeit will ich Abwechslung und meine Vogelnase hat sich immer besser mit Mopsnäschen vertragen, als mit ihresgleichen.

»Sie kehrte zurück und fing an, mich bei der Mahlzeit, welche die alte Magd hereingebracht hatte, zu bedienen, wobei sie mit großer Lebhaftigkeit und mit ungemein viel gutem Willen hantierte, aber von einer Ungeschicklichkeit war, daß ich es sofort aufgab, sie um ein Stückchen Brot zu bitten. Es fehlte nur eine halbe Linie, so wäre ihr Daumen mit dem Stück Fleisch durchschnitten gewesen, das Geschirr klirrte und klapperte unter ihren Händen, und etwas Unweiblicheres, als dieses junge Mädchen, ist mir im ganzen Leben nicht vorgekommen.

»›Schüchternheit‹, sagst Du natürlich jetzt, ›und deine verteufelten grünen Augen haben sie um ihre Fassung gebracht.‹ Meinst Du? Dann machst Du mich vielleicht auch für den Kaffee verantwortlich, der aus ihren Händen hervorging und den ich bis zur Nagelprobe ausgetrunken habe?

»Ach, mein Freund, daß jeder Mensch in diesem Leben einen Kelch zu trinken hat, durch den er sich auf den ihm im Fegefeuer verheißenen vorbereiten kann, weiß ich und ergebe mich drein; aber der meinige hat heute wirklich jeden erlaubten Grad der Bitterkeit überschritten.

»Von weitem hatte ich Fräulein von Erlan vor dem Feuer knieen und mit dem sicheren Selbstvertrauen des Talentes ihre Mischung zubereiten sehen; die Art und Weise wollte mir etwas absonderlich erscheinen; bei meinem Mangel an eignen Kenntnissen auf diesem Gebiete verwies ich mir jedoch voreiliges Urteilen, mindestens, ehe ich gekostet hatte. Aber dann!

»Weist Deine Vergangenheit auch dunkle Erinnerungen auf an sauer gewordene und zerlaufene Crêmes, die dem Kinde Thränen der Enttäuschung entlocken, und kannst Du Dir noch solch dickliche Massen denken, in welchen dann unerklärliche kleine Knollen umherschwammen, die sich zu unsrem Kummer vermehrten? Mein armer Jacques, ein solches Gebräu wurde mir heute gereicht! Ich gestehe, daß ich ärgerlich wurde und daß der Duft dieses Mokka mich die Stirn kraus ziehen ließ.

»Ich höre schon, wie Du das arme Ding bemitleidest und mich wegen schlechter Laune zur Rede stellst. Beunruhige Dich nicht! Ihre Verzweiflung war jedenfalls von kurzer Dauer und ich glaube sogar, daß sie im stillen nur auf ein Zeichen von mir gewartet hat, um hell aufzulachen.

»Ich fand nun leider die Sache gar nicht komisch und gab ihr diese Erlaubnis nicht. Endlich kam sie, von der Idee, den Schaden wieder gut zu machen, ganz erfüllt, auf einen Einfall, der ihr so prächtig schien, daß sie ihn mir mit einem kleinen Freudenschrei verkündete. Blitzschnell lief sie darauf nach einem Schrank, nahm ein Taschentuch heraus und filtrierte ihr entsetzliches Gebräu durch einen Zipfel desselben, den sie vorsichtig zusammenfaßte. Ich will zugeben, daß das Tuch weiß und rein war, aber ich gestehe, daß der Apparat mir doch einiges Mißtrauen einflößte und nicht dazu angethan war, meinen Appetit zu reizen.

Zeichnung: E. Bayard

»Ich habe getrunken! Was hättest wohl Du in meinem Falle gethan? Aber dieser herbe Geschmack mit der kleinen Beimischung von Lavendel, die aus dem Batist gekommen sein mußte – es war greulich …

»Mit dem frohen Bewußtsein, ihre Pflicht erfüllt zu haben, ließ sie sich in ihrem großen Armstuhle, dessen Rücklehne zweimal so hoch ist als ihre Gestalt, nieder und ich versuchte, sie zum Plaudern zu bringen.

»Willst Du wissen, wer ihr Herz ausfüllt und in welcher Rangordnung sie ihre Gefühle verteilt? Sie macht durchaus kein Hehl daraus: ihre alte Dienerin und ihr Hund, damit ist's zu Ende, denn die Tante kommt, wenn überhaupt, höchstens so als Ausfüllsel Nummer fünfundzwanzig.

»Was meinen Unfall betrifft, so hat sie mir ihre Herzensmeinung darüber aus freien Stücken anvertraut. Sie findet die Sache ›sehr unterhaltend‹ und amüsiert sich köstlich dabei. Etwas Possierlicheres als dieses Abenteuer ist ihr noch gar nicht vorgekommen. So bleibt mir nun doch die Befriedigung, daß die Geschichte für irgend jemand erheiternd ist, wenn auch nicht für mich.

»Nach dieser Einleitung war unsre junge Freundschaft, wie Du Dir denken kannst, etwas flügellahm geworden, und die Duenna erschien zu sehr geeigneter Stunde, um uns aus der Verlegenheit zu helfen. Fräulein von Erlan wutschte zur Thür hinaus, und da meine Mittel mir ein Gleiches zu thun leider nicht erlaubten, so legte ich mich in den Kissen zurecht, mit dem eisernen Entschlusse, diese Benedikta, denn sie heißt Benedikta, nicht fortzulassen, bis ich dem alten Kopfe alles entlockt, was er zu enthüllen hat.

»Leider fand es sich, daß wir beide über diesen Punkt entgegengesetzter Ansicht waren, und sie ebenso entschlossen, zu schweigen, wie ich, sie zum Reden zu bringen. Eine halbe Stunde lang spielten wir denn auch miteinander Versteckens, wobei sie mir immer aufs schlaueste entschlüpfte, ich sie stracks wieder festhielt, nur um sie mir von neuem durch die Finger gleiten zu sehen, bis ich schließlich mit einem flotten Kavallerieangriff die Stellung nahm.

»Mein Freund – hast Du vielleicht den Mut, die zarten Finger, die mit Porzellan so niedlich umzugehen und einen so wunderbaren Kaffee zu bereiten wissen, auch dann noch in Schutz zu nehmen, wenn ich Dir sage, daß meine Stirn von dieser Hand gezeichnet ist und daß meine Abneigung gegen Fräulein von Erlan dem Ahnungsvermögen meiner Seele alle Ehre macht?

»Schlimme Absicht will ich ja nicht voraussetzen, aber daß ihre Handlungsweise etwas wild und ungestüm ist, wirst Du doch zugeben müssen, zumal wenn ich Dir mitgeteilt habe, welcher Art das hierbei verwendete Wurfgeschoß gewesen ist. Dasselbe ist schwer, massiv und von edlem Metall. Willst Du raten? Lieber nicht, denn ich wette hundert gegen eins, daß Du nicht darauf kommst.

»Siehst Du in einer Ecke meines Zimmers vielleicht diese Statuette des heiligen Joseph, mit dem Gesicht in den Winkel gedrückt, als ob sie Lust hätte, sich durch die Wand Ausgang zu schaffen? Es ist ein hübsches Figürchen, in Silber getrieben, und ich schreibe es unbedenklich der italienischen Schule zu, ja es dürfte Benvenuto Cellini gezeichnet sein, so gut ist die Arbeit! Dies ist das Werkzeug meines Mißgeschickes.

»Um Dir diesen tollen Ausfall einigermaßen verständlich zu machen, muß ich Dir erzählen, was ich über die vorhergegangenen Tage aus der Alten herausgeklaubt habe, und da mußt Du Dir denn Fräulein von Erlan so durchdrungen von den Tugenden dieses nämlichen Heiligen, so gläubig, so erfüllt von leidenschaftlicher Verehrung für ihn vorstellen, daß sie den größten Teil der Tagesstunden auf den Knieen vor ihm zugebracht hat.

»Dann trat ohne sichtlichen Grund, sei es aus Ueberdruß, sei es aus Enttäuschung, Knall und Fall eine tiefe Spaltung zwischen ihnen ein, und die junge Beterin, plötzlich von einer Empfindung zu der gegenteiligen übergehend und ebenso glühend und feurig in ihrem Zorn, wie sie es zuvor in ihrer Selbsterniedrigung gewesen war, schleuderte in einem Anfall gottloser Wut die verehrte Gestalt tempelschänderisch zum Fenster hinaus.

»Nicht mehr zu ihm beten, das hätte ja nicht genügt! Die alten Sigambrer sind beileibe die einzigen nicht, denen es Freude gemacht hat, zu verbrennen, was sie angebetet, und wie die alte Benedikta mit einem tiefen Seufzer hinzusetzte: ›Sie thut nichts halb, das Kind!‹, was ja im allgemeinen gar nicht übel wäre. Was das rebellische junge Gemüt in solchen Aufruhr versetzt hat, weiß ich nicht, und jedenfalls ist das ausschließlich ihre Sache! Das Traurige daran ist nur, daß, wie es der Lauf der Welt zu sein pflegt, ein Unschuldiger das Gericht über sich ergehen lassen mußte.

»Daß in diesem Falle ich das Opferlamm gewesen bin, weißt Du! Die Stunde, in der eine unselige romantische Grille mich in diese Wildnis führen mußte, war genau dieselbe, zu der Fräulein von Erlan im verschwiegenen Kämmerlein jenen Auftritt mit ihrem Heiligen gehabt hat, infolgedessen sie den Wackeren im Fluge hinausschleuderte und so die Doppelschuld auf sich lud, das Leben ihres Nächsten zu gefährden und einem geweihten Gegenstande eine höchst unwürdige Behandlung angedeihen zu lassen.

»Der Heilige schlug mir die Stirn entzwei, und so kam ich, ohne irgend ein Vergehen begangen zu haben, das die Gesellschaft oder die Gottheit mir zur Last legen könnten, dem Tode auf Haarbreite nahe und habe die angenehme Aussicht, ein untaugliches oder mindestens sehr entwertetes Knie durchs Leben zu schleppen.

»In welchem Lichte erscheint Dir Fräulein von Erlan jetzt? Siehst Du nicht unter ihren rosigen Nägeln die Klauen hervorwachsen und kannst Du noch ruhig sein, wenn Du Deinen Freund auf Stunden ihrer alleinigen Obhut preisgegeben weißt? … Mit ganz unglaublicher Neugier erwarte ich die Auseinandersetzung, die über die Angelegenheit zwischen uns nicht ausbleiben kann. Wird die stolze Amazone zu Kreuze kriechen? Das scheint mir sehr zweifelhaft und ich sehe voraus, daß ich meine Kräfte brauche, um mich ehrenvoll aus der Sache zu ziehen.

»Zum Teufel auch, daß ich das Opfer, der Hingeschlachtete bin, darf sie nicht vergessen, und wenn sie die Sache gar zu leicht nimmt, so werde ich als Schlußeffekt die Binde von der Stirn reißen und ihr die klaffende Wunde enthüllen, wie das in Romanen mit großem Erfolge zu geschehen pflegt.«


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