Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

*

24. März.

Der Arzt ist wieder dagewesen und hat nun einen festen Verband um das Knie angelegt, aber das Bewußtsein ist noch gar nicht zurückgekehrt, und das scheint ein sehr schlimmes Zeichen zu sein.

Er muß immer Eisumschläge auf der Stirn haben, was zum Glück hier leicht zu beschaffen ist. Als der Doktor eben hinausging, hat er mir auf die Schulter geklopft und gesagt: »An der Pflegerin liegt's jedenfalls nicht, wenn er nicht davon kommt: Kopf hoch, guten Mut haben, kleine barmherzige Schwester!«

Guten Mut haben, wenn ich diese Binden ansehe und das Irrereden mit anhöre. Und doch bin ich von Herzen froh, daß er, soweit es an mir liegt, gut versorgt ist, und all' meine Gedanken sind nur darauf gerichtet, es ihm möglichst bequem und erträglich zu machen.

Aber die Geschichte mit der Tante! Das Geschrei und dieser Auftritt im Anfang. In dem Augenblick, als Benedikta und ich mit Aufbietung all unsrer Kräfte den schweren Körper von der Straße bis in die Küche geschleppt hatten, trat sie zur andern Thür herein.

»Was ist das?« herrschte sie mich mit drohend erhobenem Arme an.

»Ein Verwundeter, Tante!«

Indem ich das sagte, streckten wir ihn fürs erste auf einer rasch vor den Herd geworfenen Decke nieder.

»Ein Verwundeter? … Was soll ich denn mit einem Verwundeten anfangen? … Wo habt ihr ihn aufgelesen?«

Zeichnung: E. Bayard

Und da sie nicht aufhörte zu fragen, antwortete Benedikta, ohne sich in ihrem Thun stören zu lassen: »Das Fräulein hat ihn mit etwas Hartem, das sie zum Fenster hinauswarf, an den Kopf getroffen.«

»Aber wer ist es denn? Was hat er denn gesagt? … Was verlangt denn der Mensch?«

»Ruhe und Frieden,« konnte ich mich nicht enthalten, ihr zuzuherrschen, mich vor Widerwillen schüttelnd, »und etwas, womit man sein Blut stillt.«

»Ich will ihn aber nicht im Hause haben, ich will ihn nicht!« rief sie zurückweichend, »ich nehme keinen Mann bei mir auf.«

»Er ist Ihnen auch noch gar nicht angeboten worden,« erklärte ich nachdrücklich. »Das ist meine Sache!«

»Und was wirst du mit ihm beginnen?«

»Ihn pflegen, natürlich.«

»Und wo und mit wem, wenn ich fragen darf? Etwa allein bei Tag und Nacht?«

»Benedikta wird mir helfen, und ich trete ihm mein Zimmer ab.«

»Du bist verrückt,« sagte sie, mir heftig den Rücken kehrend. »Ich werde diese Tollheit zu verhindern wissen.«

»Haben Sie etwa im Sinne, ihm die Thür zu weisen und ihn an der Landstraße sterben zu lassen?«

»Pah!« machte sie, die Lippen verächtlich aufwerfend. »Du wirfst mit großen Worten um dich! Glaubst du, daß man an so etwas gleich stirbt? In einer halben Stunde wird der Herr von selber fort wollen und wird nicht wissen, was er aus deiner tragischen Miene machen soll.«

»Sie können überzeugt sein, daß ich ihn in diesem Falle nicht mit Gewalt zurückhalte.«

»Und wenn er dir liegen bleibt, wie jetzt, was gedenkst du zu thun?«

»Das habe ich Ihnen schon gesagt!« versetzte ich ganz außer mir, indem ich mein Tuch von der Wunde wegzog, auf die ich es gepreßt hatte. »Ich werde die Wunde, die Sie da sehen, zu schließen suchen, und wenn das gethan sein wird und der Herr fortgehen will, wie Sie sagten, werde ich ihn auf meinen Knieen anflehen, mir zu verzeihen, daß ich ihm die Stirn zerschmettert habe. Haben Sie mich jetzt verstanden, Tante?«

Und ohne sie länger anzuhören oder zu beachten, ohne ein weiteres Wort hinzuzufügen – ach, wie hatte ich bei ihren Reden gezittert, daß der arme Verwundete sie verstehen könnte – gab ich Benedikta den Befehl, in meinem Zimmer alles für ihn bereit zu machen. Sie ging und ich blieb neben ihm knieen, seine Stirn mit reinem Wasser abspülend und bang und verzweiflungsvoll auf ein Lebenszeichen wartend.

Allein diese Lippen blieben fest geschlossen und kreideweiß, und der dunkle, schmale Blutstreifen ließ sich nicht abwischen; sachte, aber unaufhaltsam rieselten die roten Tropfen und immer weiter verbreitete sich ihre Spur auf dem weißen Betttuche.

Wie ein Tiger im Käfig stolperte meine Tante im Hintergrunde auf und ab, immer dieselben Worte vor sich hinmurmelnd; mich aber ergriff nach und nach eine namenlose Angst, die festgeschlossenen Lider, über die ich mich beugte, möchten sich nie wieder öffnen und meine Hand könnte dieser Stirn das unauslöschliche Mal des Todes aufgedrückt haben.

Auf einmal sah ich Benedikta vorbeifliegen und von der Thür an laut und hastig rufen, wie wenn man jemand festhalten will – eine Sekunde später kam sie mit dem Doktor zurück! Eine glückliche Fügung hatte ihn auf diesem abgelegenen Wege von einem Krankenbesuche heimkehren lassen, Benedikta hatte ihn vom Fenster aus erblickt und Zeit gehabt, ihn anzurufen. Eine Stunde darauf hatte er mit ihrer Hilfe den Kranken ins Bett gebracht, seine Stirn verbunden und wenigstens die Atmung, die nun leicht und regelmäßig war, wiederhergestellt; zur Besinnung war der Kranke nicht gekommen.

Mit einer Bestimmtheit, wie nur ein Fremder und ein Arzt sie meiner Tante gegenüber entwickeln konnte, hatte er sie, empört über ihre Aufführung, einfach sofort hinausgeschickt. Als er das Krankenzimmer verließ, stellte sie sich ihm neben mir im Flur in den Weg, that sehr beleidigt, versicherte wieder und wieder, daß sie sich weigere, den Verwundeten zu behalten, und schrie ihm von weitem entgegen: »Das will ich Ihnen gesagt haben, Doktor, ich thue gar nichts; mich geht die Geschichte nichts an; ich rühre keinen Finger.«

»Um so angenehmer, meine Gnädige,« erwiderte er barsch, »junge Hände gehen zarter mit einer Wunde um, und für jeden Kranken ist es eine Wohlthat, in ein hübsches Gesicht zu blicken.«

Seither sind drei Tage vorüber, das Fieber läßt etwas nach, aber er redet immer noch irre.

Am häufigsten nennt er den Namen eines gewissen Jacques, an den er ganz fabelhafte Reden hält, in welchen oft so drollige Ausdrücke vorkommen, daß ich trotz aller Betrübnis lachen muß – lachen und weinen in einem Atem! Dann kehrt das einzige Wort, das er vor dem Zusammenbrechen ausgestoßen hatte, des öfteren wieder. Als Benedikta und ich hinausstürzten, lag er schon an der Erde, hatte aber das Bewußtsein noch nicht verloren, und als ich mit dem verzweiflungsvollen Rufe: »O Gott! O Gott! Mein Herr, was fehlt Ihnen?« bei ihm anlangte, hatte er sich auf dem einen Knie ein wenig aufgerichtet, und mit einem Ausdruck, der einem Lächeln so ähnlich sah, als es in dieser Lage denkbar ist, gesagt: »Das wäre also der Brahmine.«

Dann stürzte er hin und wir trugen ihn weg. Seitdem kehrt sein Brahmine häufig wieder, und ich kann mir gar nicht denken, was er damit meint.

Was der Mann eigentlich ist, dafür haben wir keinerlei Anhaltspunkte. Unser Doktor hat in den Wirtshäusern im Dorfe Umfrage gehalten, nirgends war ein Reisender, welcher seiner Beschreibung entsprochen hätte, eingekehrt oder gesehen worden, und wir sind versucht, zu glauben, daß er auf diesem unseligen Wege aus dem Boden gewachsen ist.

Seine Kleidung ist durchaus elegant; sein kurzer Pelzrock mit wundervollem Rauchwerk gefüttert und sehr schön gearbeitet, die Hände sind weiß, und was der Verband vom Gesichte freiläßt, hat etwas Vornehmes.

In seinen Taschen fand sich nur ein kleines Notizbuch ohne Karten und sein Reisegepäck besteht aus einem eigentümlichen, juchtenledernen Sacke, den er auf dem Rücken trug und der verschlossen ist. Der Gedanke, das kleine Schloß aufzubrechen, ist mir sehr peinlich, und so hat der Arzt darein gewilligt, noch ein paar Tage zuzusehen, vielleicht, daß er uns bis dahin selbst den nötigen Aufschluß geben kann.

Benedikta stellt unaufhörlich ihre Vermutungen an.

»Vielleicht ist's ein Kolporteur,« sagte sie vorhin, die wunderliche Gestalt seines Gepäckes betrachtend, »oder am Ende ein Photograph; es gibt solche, die nicht mehr bei sich tragen, als da hineingeht.«

Ich für mein Teil glaube das nicht; Händen, Augenbrauen und Bart nach halte ich ihn für einen Herzog oder mindestens einen Grafen, einen Edelmann auf alle Fälle, und gebe mir die größte Mühe, sein Alter und seinen Namen zu erraten.

Ob er hübsch ist? Ich glaube kaum und es liegt mir jetzt auch gar nichts daran. Meine Gewissensbisse, Sorgen und Aengste lassen keinen andern Gedanken in mir aufkommen, auch Schlaf und Nahrung brauche ich nicht mehr, und der Doktor hat heute einen ganz roten Kopf gekriegt vor Aerger, daß er mich noch auf den Beinen fand.

Er hat dann seine ganze Macht aufgeboten und ich mußte zwangsweise ein wenig in den Hof gehen, um Luft zu schöpfen, die mir aber nichts weniger als gut bekam. Sobald ich im Freien war, wurde mir schwindlig, es flimmerte mir blau und grün vor den Augen, und ich bin eilends wieder an mein Krankenbett gegangen, von dem ich mich keinen Schritt mehr entfernen lasse, bis das Bewußtsein zurückgekehrt sein wird.

Ein Wort, das mir beweist, daß sein Verstand nicht gestört ist, und alle überstandene Qual wird nichts mehr zu bedeuten haben!


 << zurück weiter >>