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7. März.

Würde mich Benedikta nicht mit solchem Argwohn bewachen, so ginge ich wieder in mein Schneeloch, denn alles, alles ist ja besser als das Leben, das ich hier führe.

Von meinem Abenteuer habe ich nicht einmal einen Schnupfen davongetragen, und die einzige Folge desselben ist, daß ich nicht mehr zur Thüre hinauskann, ohne daß »Einer« mich am Kleid packt und ein fürchterliches Geheul ausstößt, auf welches dann Benedikta herbeistürzt und mich mit obrigkeitlicher Gewalt gefangen setzt.

Vorhin habe ich das alte Märchenbuch zur Hand genommen, habe aber die Entdeckung gemacht, daß ich's auswendig kann, denn ich las ohne umzublättern Wort für Wort weiter, und da wird es nun schon ein paar Wochen dauern, bis ich's wieder vergessen habe. Der Kalender, den ich mir selbst angelegt, um jeden Abend einen Tag drin ausstreichen zu können, ist mir langweilig geworden, ich habe mir jetzt einen verfertigt, in dem jede Stunde des Tages verzeichnet ist, und obwohl ich nun das Vergnügen des Auslöschens zwölfmal öfter habe, mußte ich mich doch noch dabei ertappen, daß ich den Zeiger an der Wanduhr vorrückte, nur um ein paar Minuten früher so eine unerträglich lange Stunde zu Grabe geleiten zu können.

So kann es ja nicht immer bleiben! Die Straßen werden ja wohl nicht für alle Zeit zugeschneit sein, und sobald meine Gefangenschaft zu Ende ist, werde ich ja wohl Mittel und Wege finden, meine Zeit auszufüllen, und wenn ich als Hausiererin, mit dem Ballen auf dem Rücken, durchs Land ziehen müßte.

Zeichnung: E. Bayard

Daran habe ich überhaupt schon gedacht, habe mir auch schon überlegt, womit ich meinen Handel anfangen könnte. Hier ist ja alles ausgeplündert und leer! Kaum habe ich in den alten Kisten und Kasten ein Dutzend alter seidener Kleider und in einer Truhe ein paar Endchen Spitzen gefunden; das war die ganze Nachlese, und was sollten die armen Leute auf den Bergen damit anfangen?

Was ich mir sehr angenehm denke, wäre, Magd in der Dorfschenke zu werden. Immer Leute sehen, immer in Bewegung sein, immer schwatzen! Den Henkelkrug in der Hand und ein fröhliches Lachen auf den Lippen vom Morgen bis zum Abend. Da lohnt sich 's wenigstens der Mühe, zu leben! Ob man mich wohl drunten in Dienst nähme? Da steckt der Haken!

Indessen macht mich das Elend ganz windelweich. Ich entsage einer ganzen Menge von Ansprüchen, ich werde nachgiebig, ich gehe auf alles ein; ja, ich habe zu meinem Entsetzen bemerkt, daß ich selbst in Bezug auf mein Ideal, dessen Bild doch so felsenfest in meinem Herzen gestanden hat, mit mir handeln lasse, und es ist mir passiert, daß ich von einem blonden Jüngling mit großen blauen Augen, einem runden Kindergesicht, eben sprießendem Flaumbart und untersetzter, kurzer Gestalt geträumt habe und mich sogar von einem solchen entführen ließ, nur, um von hier fortzukommen!

Die Verlassenheit und Einsamkeit machen schwach, und ich fange an zu begreifen, daß die Menschen aus der Folter ihre festgegründetsten Ueberzeugungen verleugnen. Die Folterqualen, die mir auferlegt sind, mögen auf den ersten Blick nicht besonders grausam erscheinen, aber auf die Länge! Ja, auf die Länge sind sie derart, daß sie mich geschmeidig genug machen könnten, um durch einen Fingerring zu schlüpfen, wenn mir das zur Freiheit verhelfen könnte!


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