Levin Schücking
Der Kampf im Spessart
Levin Schücking

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebzehntes Kapitel.

Es war spät, sehr spät, als er endlich erwachte und sich erhob. Er sah, wie hoch bereits die Sonne stand, und kleidete sich hastig an.

Als er fertig war, als er das längst kalt gewordene Frühstück, das der Hausknecht schon vor einer Stunde gebracht und auf den Tisch gestellt, schnell zu sich genommen, hielt ihn nichts mehr ab zu gehen, zu Benedicte zu gehen, zu dem Hause, welches alles einschloß, was ihm teuer war.

Und doch ging er nicht. Er setzte sich auf den Rand seines Bettes und versank in Gedanken, in Sinnen und Träumen mehr als in Gedanken.

Was hielt ihn zurück? Hatte er nicht in die Arme der Mutter ihr Kind zurückgeführt? Hatte er nicht Benedicte gerechtfertigt? Hatte er nicht sein Leben dahingeben wollen, im Versuche, das Leben des Hausherrn zu retten?

Das aber war es eben – eine unüberwindliche Scheu der Bescheidenheit und der Demut ließ ihn zurückschrecken vor dem Augenblick, wo sein Gesicht vor jenen drei Menschen auftauchte und sie in seinen Mienen lesen würden: Da bin ich, und nun dankt mir, und gebt mir zum Lohne das Beste, was ihr habt, euer Kind, eure Tochter, diesen Engel, dessen niemand, niemand auf Erden würdig ist, gebt sie mir, dem armen Revierförster aus dem Spessart!

Mußte es denn so sein? Konnte er nicht heimkehren und an Benedicte schreiben? Dann behielt ja auch diese Zeit, sich die Zukunft, welche ihrer an seiner Seite harrte, klarzumachen und –

Wilderich spann sich eben in diesen Gedanken ein, als er auf der Treppe vor seinem Zimmer einen schweren Männerschritt vernahm und dazu einen leichtern, beflügeltem; dann wurde die Tür zu seinem Zimmer, ohne daß man anklopfte, geöffnet – der Sachsenhäuser war es, der hereinschaute und sich dann zurückwandte.

»Aus den Federn ist er – Sie können hereintreten, Demoiselle,« sagte er. Im nächsten Augenblicke stand Benedicte vor Wilderich – sie legte ihre Hände auf seine Schultern, um ihn am Aufstehen zu hindern, sie sank auf die Knie vor ihm, faßte seine Hände und drückte sie an ihre glühenden Wangen.

»Endlich gefunden – o mein Gott, Wilderich, wo warst du?« rief sie aus. »Welche Angst ich um dich hatte! Du kamst gestern nicht zurück, du kamst heute nicht – da machte ich mich auf, dich zu suchen. Ich hatte Leopold mit dir aus diesem Hause geholt – so sucht' ich dich hier zunächst – mein Gott, wie konntest du mich allein, in solcher Sorge um dich lassen?«

»Du hast recht, Benedicte!« antwortete er. »Ich – ich war wohl ein Tor – ich war ängstlich, ich dachte, ich verdiente dich nicht – und wie konnte ich gehen, dich von den Deinen zu fordern – dich, Benedicte –«

»O wohl, wohl warst du ein Tor! Verdienen! Welch ein häßliches Wort das ist!«

»Ja, ja, ich fühl's – es ist häßlich; nun ich in deine Augen sehe, fühl' ich's – ich gehöre dir, du gehörst mir, wir sind ein Leben – ein einziges untrennbares Leben – ist es so?«

»So ist es, Wilderich!«

»Wer fragt nach dem Verdienste! Verdient die Brust das Herz, das in ihr schlägt?«

Sie sprang auf, erfaßte seinen Kopf mit beiden Händen, drückte einen Kuß auf seine Stirn und schaute ihm lange tief in die Augen.

»Das halte fest,« sagte sie dann, » das Wort! Und nun kein anderes mehr darüber. Komm, komm zu den Meinen!«

Wilderich folgte ihr.

Wenn er gewähnt hatte, daß in dem Hause des Schultheißen Vollrath ihn eine Szene erwarte, die ihn beschämen und niederdrücken werde, so hatte er geirrt.

Schon beim Eintritt in das Haus wurden er wie Benedikte überrascht durch eine gewisse Aufregung, welche da zu herrschen schien – es standen österreichische Offiziere unten im Hausflur in einer Gruppe zusammen, auf der Treppe standen flüsternd die Diener des Hauses – einer von ihnen kam eilig Benedicte entgegen.

»Der Erzherzog ist droben,« sagte er, »bei dem Herrn Schultheiß – ich soll Sie gleich zu ihm führen, wenn Sie zurückkämen.« »Der Erzherzog – bei meinem Vater?« rief Benedicte aus. »Welche Freude! Auch er wird jetzt nicht länger an mir zweifeln dürfen!«

Benedicte und Wilderich wurden von dem Diener in dasselbe Zimmer, aus dem Duvignot so plötzlich abziehen mußte, den Empfangssalon des Hauses, geführt – sie erblickten den Erzherzog, neben Frau Marcelline vertraulich plaudernd auf dem Sofa sitzend. Marcellinens Antlitz war mit Schamröte übergossen, während der Erzherzog so harmlos sprach, als seien alle bittern Worte, welche diese Frau ihm einst entgegengeschleudert, völlig von ihm vergessen. Der Schultheiß saß zur Seite; er erhob sich, als die jungen Leute eintraten, um sie dem Erzherzoge vorzustellen.

»Wir kennen uns, wir kennen uns!« unterbrach dieser ihn mit freundlichem Lächeln. »Nicht wahr, mein Kind!« Und dabei reichte er Benedicte die Hand. »Was diesen jungen Forstmann angeht, so hat ja er gerade mir den Brief abverlangt, der Sie in so großes Unheil gebracht hat. Ich bin eben hier, um Ihrem Vater meine Teilnahme auszudrücken und ihm Glück zu wünschen,« fuhr der Erzherzog, sich an Benedicte wendend, fort, »daß er diesem Unheile entgangen.«

»Dank Ew. Königlichen Hoheit,« fiel der Schultheiß ein.

»Nun, ich hatte Sie am Ende in diese schreckliche Lage auch ein wenig hineingebracht, oder vielmehr dieser Unglücksmensch, dieser Förster hier, der meinen Brief so unklug bestellte, wie Sie mir eben erzählt haben. Aber Gott hat ja allem eine gute Wendung gegeben, und so will ich auch diesen jungen Mann, den wir im Spessart wacker an der Arbeit gesehen haben und dem wir zu Danke verpflichtet wurden, Ihrer Nachsicht und Verzeihung empfehlen, mein lieber Schultheiß!«

Der Schultheiß nickte lächelnd mit dem Kopfe.

»Die Nachsicht und Verzeihung ist ihm bereits geworden,« antwortete er; »meine Tochter hat mir angekündigt, daß sie ihn mir zum Schwiegersohne erkoren – was bleibt da einem gutmütigen »deutschen Hausvater« übrig als –«

»Ah,« rief der Erzherzog aus, »Ihre Tochter ist die Braut unseres Forstmannes und will ihm in seinen den Spessart folgen? In diese stillen, armen Täler? Hören Sie, das gefällt mir nicht!«

»Aber mir, Königliche Hoheit!« erwiderte Benedicte jetzt mit verlegenem Lächeln und tiefem Erröten.

Der Erzherzog sah sie an und blickte dann auf die stattliche Gestalt Wilderichs. Er schwieg eine Weile, nachsinnend, dann sagte er zu Wilderich: »Gehen Sie mit uns. Wir haben noch ein tüchtig Stück Arbeit für mutige Männer. Noch ist der deutsche Boden nicht frei. Noch ist die Rheinarmee Moreaus durch die Schwarzwaldpässe und über die deutschen Grenzen zu werfen. Ich kann Leute, die sich wie Sie als Führer bewährt haben, gebrauchen. Als Diplomat freilich,« fügte er lächelnd hinzu, »wären Sie nur mit einiger Vorsicht zu verwenden. Aber wie wär's, wenn ich Ihnen eine Offizierstelle bei einem Jägerregimente gäbe, mit der Aussicht auf eine Kompagnie nach der ersten Aktion, und so weiter? Sie schauen besorgt drein, Demoiselle Benedicte? Seien Sie ruhig, er hat Glück, dieser junge Mann, das lese ich in seinen Zügen, und wenn er einst ein großer General ist, werden Sie mir's danken!«

»O gewiß, Königliche Hoheit,« fiel der Schultheiß erfreut ein.

»Was denken Sie?« wandte der Erzherzog sich wieder an Wilderich.

»Ich bitte Ew. Hoheit, mir gnädig zu bleiben, wenn ich diese Güte ablehne.«

»Sie wollen nicht?«

Wilderich schüttelte den Kopf und antwortete: »Wenn ich in meinem Spessart bleiben möchte, so ist es nicht allein der Wunsch, mich von dem Glücke nicht zu trennen, das ich eben gefunden habe. Ich habe die Waffen wider den Landesfeind nur ergriffen, wie es, mein' ich, jeder deutsche Mann zum Schutz und für die Freiheit des Vaterlandes muß. Man soll dazu deutschen Männern nur vertrauen, in der Stunde der Gefahr werden sie dasein! Aber zum Soldaten taugt solch ein ans freie Waldleben gewöhnter Mensch wie ich nicht – lassen Ew. Hoheit mich im Schatten meiner Buchen!«

»Nun,« versetzte der Erzherzog, ihm die Hand reichend, »wie Sie wollen! Vergessen Sie dann in der Einsamkeit Ihrer Buchenschatten nicht, daß Sie einen Freund an mir haben!«

Er erhob sich.

»Ich muß scheiden, mein lieber Schultheiß – meine Zeit ist gemessen,« sagte er. »Gott erhalte Sie und die Ihren, Gott erhalte Deutschland seine treuen und starken Männer, daß wir die Stürme, die noch kommen mögen, siegreich bestehen und einst so ruhig und glücklich darauf zurückblicken mögen, wie Ihr Haus es auf die Tage kann, die nun hinter Ihnen liegen!«

Während er vom Hausherrn und den andern geleitet ging, blieb Marcelline zurück. Sie stand, die Augen zu Boden geheftet, und flüsterte endlich mit bleicher Lippe vor sich hin: »Gott erhalte auch ihn! Während er die Vaterstadt und meinen Gatten befreite, wurde ja auch ich frei von dem grauenhaftesten Irrtum und der entsetzlichsten Verirrung, die je ein armes, schwaches, unglückliches Weib gefangenhielten!«

Ende.


 << zurück