Levin Schücking
Der Kampf im Spessart
Levin Schücking

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Siebentes Kapitel

Die Tür war aufgeflogen, österreichische Offiziere mit gezogenen Degen drängten herein, hinter ihnen grüne Kaiserjäger mit ihren Stutzen und grünen Federbüschen an den aufgeklappten Filzhüten; man sah über ihren Köpfen weg und durch die geöffnete Tür den ganzen Gang draußen voll dieser Hüte und Federbüsche. Die Offiziere stürmten heran in der offenbarsten Aufregung.

»Königliche Hoheit,« rief ein großer, stark gebauter Mann, »da sind Sie, Gott sei gelobt!«

»Sagen Sie lieber: Da sind wir!« antwortete lächelnd die Königliche Hoheit, der junge General. »Sie kommen just recht; man überlegt hier eben, ob es gegen die Bauern helfen werde, wenn man uns totschieße. Bubna und Muga haben Sie wohl herbeigebracht!«

»In der Tat, Hoheit; wir hatten uns eben erst in Marsch gesetzt, wie Leutnant Graf Bubna den Befehl überbracht, als der Husar von der Stabswache mit Ew. Hoheit Pferden herangesprengt kam und –«

»Wo ist Kinsky?« fiel die Hoheit ein.

»Er muß mit der Tete seiner Bataillone in diesem Augenblick unten im Tale, diesem Edelhof gegenüber, angelangt sein; uns führte der Husar auf einem kurzem Fußsteig zur Hinterseite dieses Hauses.«

Während rasch diese Worte gewechselt wurden, stand der Kapitän Lesaillier wie vom Schlage getroffen da; der Wachtmeister und die andern Chasseurs hatten sich, ihre Säbel in der Faust, in eine Gruppe zusammengedrängt.

» Sacré mille donnerres, wir sind in einen saubern Leimtopf gefallen, Kapitän!« rief der Wachtmeister aus.

Madame Marcelline aber war aufgesprungen, das blasse Entsetzen in allen Zügen.

»Hoheit? – Der Erzherzog!« stammelte sie.

»Der Reichsfeldmarschall Erzherzog von Österreich und Herzog von Teschen,« sagte der junge Mann, indem er sich lächelnd vor ihr verbeugte; »wie Sie sehen, heute nicht im Bett, Madame, und deshalb so glücklich, sich Ihnen jetzt ohne Inkognito vorstellen zu können.«

Er wurde unterbrochen durch Karabinerschüsse und lautes Geschrei der Chasseurs draußen, die den vom Garten her eingedrungenen Feind jetzt bemerkt hatten und heranstürmten, ihren Offizier herauszuhauen; die Kaiserjäger warfen sich ihnen entgegen, man hörte in der Vorhalle ein wüstes Getümmel beginnen.

»Mein Kapitän,« rief der Erzherzog dem Franzosen zu, »Sie haben gesehen, gehört, daß Sie von stärkern Streitkräften auf allen Seiten umringt sind. Bringen Sie Ihre Leute zur Ruhe, lassen Sie kein unnützes Blut vergießen; lassen Sie Ihre Mannschaft sich ruhig im Hofe aufstellen und alsdann kehren Sie zurück, ich habe mit Ihnen zu reden!«

»Hoheit,« entgegnete der Kapitän, »eine französische Schwadron gibt sich nicht gefangen, und wenn auch zehn Erzherzoge oder Reichsfeldmarschälle es ihr gebieten; wir sind umzingelt – zum Teufel, was schadet's, wir werden uns Luft machen! Lassen Sie mich mit diesen meinen Leuten zu meiner Mannschaft auf den Hof hinaus; ich habe Ihnen vorhin aus Großmut Ihren Degen gelassen und verlange jetzt von Ihrer Großmut, daß Sie mich zu meiner Mannschaft hinauslassen.«

»Ich habe Ihnen gesagt, daß Sie sich hinausbegeben sollen.«

»Mit diesen meinen Leuten?«

»Mit Ihren Leuten da, wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben, daß Sie draußen Waffenruhe herstellen – Bubna gehen Sie mit und halten Sie unsere Leute zurück – und daß Sie wiederkommen, damit ich weiter mit Ihnen rede. Ich habe Ihnen nicht gesagt, daß ich von Ihnen Ergebung auf Gnade und Ungnade verlange.«

Der Kapitän eilte mit seinen Leuten hinaus; der eine der Adjutanten des Erzherzogs folgte ihm; man hörte draußen ihre Stimmen fluchend und wetternd durch den Lärm schreien und das Getümmel legte sich.

Die Chasseurs kehrten, wie man durch die Fenster sah, zu ihren Pferden zurück, der Wachtmeister trieb die letzten und kampflustigsten vor sich her und hatte bald die ganze Schar im Sattel. Der Kapitän aber, der sich, sobald er die Ruhe hergestellt, von allen zuerst auf sein Pferd geworfen hatte, sprengte dicht an das offene Fenster der Halle hinan und schrie hinein: »Nun, meine Königliche Hoheit, bitte ich um das, was Sie mir sagen wollten! Ich werde hier draußen an der Spitze meiner Leute ein besseres Verständnis dafür haben, als da drinnen in Ihrer Gewalt – ne vous en déplaise!«

»Mein lieber Kapitän,« antwortete der Erzherzog lächelnd, »Sie verkennen meine Absichten. Sie hätten ruhig zurückkehren können.«

»Ich habe mein Ehrenwort zurückzukehren nicht gegeben!«

»Nein, aber Sie geben das, solange wir unterhandeln, Waffenruhe halten lassen zu wollen?«

»Ich gebe es!«

»Wohl denn, so hören Sie. Sie sind mit Ihrer Schwadron abkommandiert zur Beschützung dieser Dame hier?«

»Das bin ich!«

»Und wenn ich Sie zwänge, die Waffen zu strecken, so würde die Dame nicht allein weiter ziehen können; ich hätte mich selber der Aufgabe zu unterziehen, sie zu beschützen und zu beschirmen?«

»Ich müßte Sie Ihrem Schutz, Ihrer Ritterlichkeit anempfehlen, Hoheit!«

»Und sie scheint in dieser Beziehung ein wenig verwöhnt, mein Kapitän?«

»Es wäre Mangel an Erziehung, wenn ich Ew. Königlichen Hoheit widerspräche.«

»Wer ist die Dame?«

»Sie ist die Gattin des Schöffen und zeitigen Schultheißen Vollrath zu Frankfurt am Main.«

»Des Schultheißen, eines dem Hause Österreich so verbundenen und, soviel ich weiß, auch treu ergebenen Mannes?« rief der Erzherzog aus. »Madame,« wandte er sich an Frau Marcelline, »ich hätte nicht geglaubt, in Ihnen eine so erbitterte Feindin zu finden.«

»Hoheit,« stammelte Frau Marcelline, weiß wie ein Tuch und nur höchst mühsam so viel Atem gewinnend, um reden zu können, »ich kann nichts als meine Verzweiflung ausdrücken, daß ich so unbesonnen –«

»Daß Sie so unbesonnen sich in eine Lage brachten, wo Sie nun meinem Schutze übergeben werden sollen! Beruhigen Sie sich, Sie sollen der Demütigung entgehen, einem Manne, den Sie so hassen wie mich, etwas zu verdanken zu haben. – In der Tat, Kapitän,« wandte der Erzherzog Karl sich durchs Fenster an den französischen Offizier zurück, »ich habe nicht die geringste Lust, mich länger der gefährlichen Nähe einer solchen Feindin, wie Madame uns ist, auszusetzen. Ich überlasse sie sehr gern Ihrem weitern Schutz, und damit Sie diesen ausüben können, ziehen Sie unbelästigt mit Ihren Leuten davon. Wie Sie mir meinen Degen gelassen, lasse ich Ihnen die Waffen. Aber ziehen Sie sofort ab.«

Der Kapitän Lesaillier senkte vor dem Erzherzog die Spitze seines Säbels.

»Königliche Hoheit, das sind Bedingungen, die ich annehmen kann. Ich danke Ihnen dafür, Sie werden einen Verkünder Ihres Ruhmes und Ihres Edelmutes mehr in der Welt haben.«

»Ich kämpfe nicht um den Ruhm, mein Kapitän, sondern um die Befreiung des Reiches von hochmütigen Feinden; das ist alles, was uns je die Waffe in die Hand drücken wird gegen die, welche nichts hinderte, unsere Freunde zu sein.«

Der Erzherzog entließ den Kapitän mit einer stolzen Verbeugung des Hauptes, und dann sagte er zu Frau Marcelline: »Und nun, Madame, brechen Sie auf.«

Madame hatte ihre Farbe, ihren Mut wiedergefunden.

»Aber ich gehe nicht ohne diese meine –,« sie stockte – »meine Gefangene,« rief sie dann entschlossen, »nicht ohne sie!«

»Was hat das Mädchen verbrochen?«

»Soll ich das hier Ew. Hoheit berichten, diese lange, erschütternde Geschichte, während alle diese Zeugen umherstehen und während Sie mich zu raschem Aufbruch mahnen?«

»Nein, nein, Madame, Sie haben recht, ich begehre Ihren Bericht nicht, ich verlange nicht, mich in Ihre Angelegenheiten zu mischen. Gehen Sie mit Gott, nehmen Sie das junge Mädchen mit sich, ich habe keine Veranlassung, es gegen Sie in Schutz zu nehmen; es hat entweder sehr verräterisch oder sehr unbesonnen und leichtsinnig gehandelt, als es mich hierher führte. Gehen Sie! Leutnant Muga, führen Sie die Dame fort und befehlen Sie dann den Bauern draußen, die Schwadron Chasseurs abziehen zu lassen, ohne sie anzugreifen! Bringen Sie mir sodann den Anführer der Bande her.«

Der zweite Adjutant des Erzherzogs verbeugte sich vor der Dame; Frau Marcelline wandte sich zu Benedicte mit einem barschen, scharfen »Komm!« und Benedicte erhob sich gefaßt. »In Gottes Namen,« sagte sie leise, »Sie werden mich zu niemand anders bringen können als zu meinem Vater, und er mag über mich richten!«

Die drei Frauen entfernten sich, von dem Leutnant geleitet, aus dem Raum.

Wenige Minuten nachher waren sie draußen auf den Rücken der Pferde gehoben; der Trupp der Chasseurs setzte sich in Bewegung und verschwand unter dem Torbogen von Haus Goschenwald.

»Sie waren sehr großmütig, Hoheit!« sagte jetzt der General Sztarrai.

»Ich denke, wir haben der Gefangenen genug, lieber Freund, und wo wären wir mit den Weibern geblieben? Es ist besser so. Lassen Sie jetzt die Bataillone von Kinsky nach meinen ursprünglichen Befehlen vorgehen und ihren Marsch beschleunigen, der Abend kommt heran. Die Kompagnie Kaiserjäger mag sich hier in diesem Hause und auf dem Hofe einrichten, ich will sie zu meiner Bedeckung bei mir behalten; auch die Stabswache soll hierher beordert werden, ich werde die Nacht über hier mein Hauptquartier aufschlagen. Veranlassen Sie das Nötige, Sztarrai!«

Der General wandte sich den Adjutanten und Offizieren, die vorhin in den Raum gedrungen, zu, um ihnen die Befehle des Erzherzogs zu übermitteln; mehrere von ihnen eilten davon, und das sonst so stille Goschenwald wurde im Laufe des Abends und der Nacht von all dem Getreibe, dem Hin- und Hereilen von Offizieren, Ordonnanzen und Fourieren, dem Aufstellen von Posten, dem Ankommen und Abreiten von Adjutanten erfüllt, das ein Hauptquartier charakterisiert. Der hochgebietende gestrenge Herr Schösser mußte erleben, wie er zu einem Nichts schwand, um das sich niemand auch nur so viel kümmerte, als wenn er, statt eines fossilen Reichstruppenleutnants, ein an der Decke aufgehängter ausgestopfter Seehund oder Haifisch gewesen. Frau Afra sah ihre Kammern erschlossen, ihre Schränke aufgerissen, ihre Vorräte weggenommen, ihre Betten und Leintücher umhergeschleppt, ihr Küchengerät durcheinandergeworfen, als ob der jüngste Tag angebrochen und der liebe Gott, der sonst einem rechtschaffenen und ordentlichen Weibe beisteht, schon zum letzten Gericht davongegangen.

Der Erzherzog hatte sich in der Ecke hinter dem großen Tische niedergelassen und ließ ein Portefeuille, das einer der Offiziere gebracht, öffnen; er begann eben die Blätter und Papiere, die es enthielt, meist nur mit Bleistift beschriebene Zettel, vor sich auszubreiten, um danach Befehle zu diktieren, als plötzlich ein verwildert aussehender Mann in grüner Jägertracht, das Gesicht geschwärzt von Pulverdampf, die wirren blonden Haare zurückgestrichen, die Kleider bestäubt und alle Zeichen der Erregung in seinem Wesen, vor ihm auftauchte. Der Adjutant Bubna hatte ihn hergebracht und folgte ihm, um ihn mit den Worten vorzustellen: »Der Revierförster Wilderich Buchrodt, der Anführer der Bauern, den Königliche Hoheit zu sprechen verlangten.«

»Ah, der brave Mann, der uns so sehr im richtigen Augenblick zu Hilfe kam!« sagte der Erzherzog, ihn fixierend. »Ohne Sie und Ihre Leute wär' es uns schlimmer ergangen, mein lieber Herr Revierförster; man war just im Begriff, uns als Gefangene abzuführen, als ihre Kugeln in das Hoftor schlugen; ich wollte Ihnen das selbst sagen, wackrer Mann. Ich bin Ihnen dankbar, und kann ich etwas für Sie tun, so sagen Sie es mir!«

»Königliche Hoheit, ich verdiene diesen Dank, der mich sonst so glücklich machen würde, nicht ganz.»

»Sie konnten freilich nicht ahnen, daß ich den Versuch machen würde, von der Straße aus, die über Gemünden und Lohr führt, auf die Rückzugslinie des Feindes zu operieren, und daß ich dabei durch ein unvorsichtiges Rekognoszieren in eine solche Lage geraten sei?«

»In der Tat nicht,« entgegnete Wilderich. »Ich wollte Haus Goschenwald schon früher besetzen, aber meine Leute ließen sich aus dem Kampfe da unten nicht fortbringen. Erst als ich erfuhr, daß sich Franzosen in dieses Tal geworfen, folgten sie mir, um Haus Goschenwald zu sichern.«

»Und der bloße Zufall wollte, daß Sie Haus Goschenwald gerade in dem Augenblick zu Hilfe kamen, als sich der Reichsfeldmarschall darin in den Händen der Franzosen befand?«

»Der Zufall allerdings, Hoheit,« fiel Wilderich ein; »meine Absicht dabei war, jemand anders aus den Händen der Franzosen zu erretten.«

»Jemand anders? Und wer wäre das?«

»Ein junges Mädchen, von dem ich zu meiner Verzweiflung eben höre, daß Ew. Hoheit sie den Händen der Feinde überlassen und von einer wider sie aufgebrachten zornigen Frau haben fortführen lassen. Ihr Adjutant erzählte mir alles, und, Königliche Hoheit, das setzte mich in Verzweiflung, denn ich kenne dieses Mädchen; ich bin in tiefster Seele überzeugt, daß sie des Schutzes, den sie hier mit der besten Empfehlung einer hochstehenden Frau zu suchen kam, so würdig wie bedürftig ist.»

»Sie kennen das Mädchen?«

»Ich kenne sie; ich habe nur einigemal mit ihr zu sprechen das Glück gehabt, aber hinreichend, um die Hand dafür ins Feuer stecken zu wollen, daß –«

»Ihr Herz,« unterbrach ihn lächelnd der Erzherzog, »steht wenigstens schon im Feuer, wie ich sehe. Nun, ich will Ihnen glauben, obwohl –«

»Königliche Hoheit hegen den Verdacht wider sie, daß Sie geflissentlich von ihr getäuscht worden, aber das ist ja gar nicht möglich; hätte die Unglückliche geahnt, daß, während sie von diesem Hause entfernt war, Franzosen hier eingerückt seien und inmitten dieser Franzosen die Frau, welche ihre Todfeindin zu sein scheint, bei Gott, sie würde doch nicht so töricht gewesen sein, hierher zurückzukehren, hierher Ew. Königliche Hoheit zu geleiten!«

»Allerdings richtig bemerkt,« sagte der Erzherzog mit dem Kopfe nickend, »wie um die Anwesenheit ihrer Widersacherin wird das junge Mädchen auch um die Anwesenheit der Chasseurs nicht gewußt haben!«

»O gewiß, gewiß ist es so! Ich selbst war vor wenig Stunden hier und gab der Demoiselle Benedicte die Versicherung, daß ich über Goschenwald wachen, für ihre Sicherheit einstehen wolle. Und doch – o mein Gott, weshalb kam ich zu spät! Aber das Gefecht unten an der Verrammelung der Heerstraße war so scharf und hitzig, ich konnte meine Leute nicht aus dem Gefecht herausziehen, sie waren gar nicht fortzubringen; erst als wir uns vor den stärker nachdringenden Franzosen – das Gros der Division Lefebvre kam eben heran – zurückziehen mußten und wir erfuhren, daß sich eine Abteilung in die Mühlenschlucht gezogen, erst da brachte ich meine Leute hierher, früh genug, um noch zu verhindern, daß Ew. Königliche Hoheit entführt wurde, aber nicht früh genug –«

»Was soll ich nun aber bei der Sache tun, mein lieber Mann?« fiel ihm der Erzherzog ins Wort. »Was geschehen ist, ist geschehen: ich bedaure es um Ihretwillen, aber ich kann es nicht wieder gutmachen. Die Chasseurs sind fort, Ihre Demoiselle Benedicte mit ihnen, sie sind beritten und Ihre Bauern nicht.«

»Freilich, das ist eben meine Verzweiflung! sie haben einen Ausweg aus diesem Tal gesucht, der sie bald ins Freie fühlt; verfolge ich sie mit meinen Bauern, so kann ich höchstens ihnen noch einige Leute töten, sie aufhalten nicht! Aber wenn Ew. Königliche Hoheit Kavallerie –«

»Mein lieber Mann,« unterbrach ihn der Erzherzog lächelnd, »was denken Sie! Solch ein Verliebter wäre freilich imstande, zur Rettung seiner Demoiselle die gesamte kaiserliche Armada in Marsch zu setzen! Lassen Sie mir meine Kavallerie, wo ich sie gebrauche!«

»Aber unterdes –«

»Ich habe auch,« fuhr der Erzherzog, ohne auf Wilderichs Unterbrechung zu achten, fort, »ich habe auch diesen Chasseurs samt ihren Weibern einmal den ungehinderten Rückzug verstattet und zugesagt; das ist nicht mehr zu ändern.«

»Aber,« fiel Wilderich in größter Erhitzung wieder ein, »Ew. Hoheit Adjutant sagte mir, daß jene Frau das arme Mädchen als eine Verbrecherin mißhandelte, und Gott weiß, welches Schicksal dasselbe nun bedroht, wenn niemand auf der Welt da ist, sich seiner anzunehmen.«

»Hm,« versetzte der Erzherzog nachsinnend und wie für sich, »die Frau ist die Gattin des zeitigen Schultheißen in Frankfurt; man könnte am Ende bei diesem interzedieren.«

»Solch ein zorniges, rachsüchtiges Weib ist zu allem fähig!« rief Wilderich in seiner Verzweiflung aus.

Der Erzherzog warf einen Blick auf ihn; dann sagte er in gutmütig ironischem Tone: »Ich sehe schon, ich werde etwas tun müssen für diese Demoiselle, diese verfolgte Unschuld, um bei einem Mann, dem ich Dank schuldig bin, nicht gar zu sehr als herzlos und alles Gefühls bar in Verachtung zu geraten! Seien Sie ruhig, ich werde sehen, was ich ausrichte, wenn ich Ihre Dame bei ihrem Vater unter meine persönliche Protektion stelle.«

Er nahm eins der vor ihm liegenden weißen Blätter und begann rasch zu schreiben. Die Worte lauteten:

»Mein lieber Schultheiß!

Ich verfolge den Feind unablässig und werde, so Gott will, am Abend des 7. September vor den Toren von Frankfurt sein; ich rechne dabei auf Ihren Einfluß über Ihre Mitbürger, daß diese nicht zögern, mir trotz der etwa noch anwesenden feindlichen Truppen und mit oder gegen deren Willen die Tore zu öffnen. Sagen Sie ihnen, daß meine siegreiche Armee sich sonst die Tore von Frankfurt mit jenen Maßregeln der Gewalt öffnen wird, die für die Bürgerschaft selbst verhängnisvoll werden können.

Ich vertraue, mein lieber Schultheiß, darin auf Ihre bewährte Hingebung für das Haus Österreich und das deutsche Vaterland!

Außer diesem wende ich mich an Sie mit einem persönlichem Begehren. Ihre Gemahlin hat unter Umständen, welche dieselbe Ihnen berichtet haben wird, unter französischer Eskorte eine Demoiselle Benedicte mit sich fortgeführt, nachdem sie diese mit Beschuldigungen beladen, deren Bedeutung mir nicht bekannt geworden ist.

Ich habe teil an dem Schicksal dieses Mädchens zu nehmen gewichtige Veranlassung bekommen und würde es als eine besondere mir erwiesene Courtoisie und Rücksicht betrachten, wenn dieselbe mit Humanität behandelt und über sie nicht eher irgendein Entschluß gefaßt würde, als bis ich nach wenigen Tagen persönlich meine Vermittlung in der Angelegenheit derselben eintreten lassen könnte. Ich vertraue darin auf Ihre Gesinnungen, mein lieber Schultheiß, und bin Ihr wohlgewogener

Reichsfeldmarschall Karl, Erzherzog.«

Der Erzherzog faltete und siegelte den Brief; während er die Adresse schrieb, sagte er: »Ich hoffe, dies wird Sie beruhigen, lieber Mann. Die Frau, in deren Gewalt sich das Mädchen befindet, ist die Gattin des Schöffen und zeitigen Schultheißen Bollrath zu Frankfurt. Ohne Wissen dieses Mannes wird jener nichts geschehen können, und sie wird sicher sein von dem Augenblick an, wo dieser Brief in die Hände dieses Mannes gelangt. Sehen Sie also, wenn Sie so viel für Ihre Demoiselle tun wollen, daß Sie möglichst rasch und ungehindert nach Frankfurt und trotz der Franzosen hineinkommen und dem Herrn Vollrath diesen Brief übergeben. Haben Sie den Mut?«

»Den Mut, Hoheit?«

»Nun ja, die Reise wird nicht ohne Gefahr für Sie sein.«

»Ich weiß es. Wenn die Franzosen einen Brief Ew. Königlichen Hoheit bei mir fänden –«

»Würden sie Sie nicht viel besser als einen Spion behandeln.«

»Man wird ihn nicht finden – das sei meine Sache!«

»Wohl denn, so gehen Sie mit Gott; warten Sie noch, um sich einen Passierschein geben zulassen, damit Sie durch die Vorposten unserer Armee gelassen werden, wenn Sie zurückkehren wollen.« »Ich bitte darum!«

»Sztarrai, fertigen Sie ihn aus!« sagte der Erzherzog; dann wandte er sich wieder seinen Depeschen zu. Sztarrai füllte ein kleines Formular, das er aus einer der von dem Adjutanten vor ihn gelegten Mappen nahm, aus und reichte es Wilderich. Dieser steckte es nebst dem Briefe des Erzherzogs zu sich und sagte: »Ich danke Ew. Hoheit aus voller Seele.«

»Schon gut, mein lieber Mann; suchen Sie mich wieder auf, um mir zu berichten, wie es Ihnen ergangen und wie der Dame und Ihre Angelegenheiten stehen.«

Wilderich verbeugte sich und ging eilig davon.


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