Levin Schücking
Der Kampf im Spessart
Levin Schücking

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Sechstes Kapitel.

Etwa eine Stunde vor der Ankunft der Frau Marcelline und ihrer Schutzwache auf Goschenwald hatte Benedicte in wachsender Aufregung das Haus verlassen. Der Lärm des Kampfes, der deutlich in das Tal herüberklang, nicht allein Kanonenschläge, sondern von Zeit zu Zeit auch das Rollen von Kleingewehrfeuer, dessen Schall die Windströmung gedämpft herübertrug, hatten sie nicht ruhen lassen. Und wie dieser Lärm sie entsetzte, so peinigte sie die Erinnerung an die Szene mit Wilderich, welche sie aufs tiefste erschüttert hatte; jedes seiner wilden, leidenschaftlichen Worte klang in ihrer Seele wider. Sie hatten da einen vollständigen Aufruhr hervorgerufen, vermehrt und ins Unerträgliche gesteigert durch die Angst um ihn, die seitdem hinzugekommen. Jeder Schuß, den sie aus der Ferne herüberhallen hörte, ging ihr ins Herz, es war ihr, als müsse die Kugel, die da geschleudert wurde, die sein, welche sein warmes männliches Herz treffe. In diese Angst um ihn hatte sich ihr ganzer Stolz, und das Gefühl des Verletzenden, das seine rasche und verwegene Werbung um ihre Liebe sonst hätte erwecken können, verloren; sie dachte nur an alles das, was sein Wesen Gewinnendes, sein Wort, seine Wärme, seine Kühnheit Bezwingendes für sie gehabt, und an das Schreckliche, das sein Tod für sie haben würde; und für sie ja nicht allein, auch für das Kind, von dem ihr der Schösser gesprochen, das Kind, an das sie so viel denken müssen, mit der Spannung, die ein Geheimnis in uns erweckt, mit Unruhe und einer gewissen Beklemmung und doch auch einer vollen innern Zuversicht auf die Wahrheit dessen, was er zu ihr gesprochen. Lag es in ihrem Herzen, oder lag es in seinem offenen Antlitze, seinem hellen Blick, die Offenbarung, daß dieser Mann nicht täuschen könne?

Sie dachte an das Kind, als ob es etwas ihr Nahestehendes sei, etwas, für das ihr die Sorge bleibe, wenn sein Beschützer in diesem verwegenen Kampfe falle, dessen Widerhall an ihr Ohr schlug.

So hatte sie Haus Goschenwald verlassen. Eine Magd hatte ihr unten in der Halle des Hauses zugerufen, ob sie dieselbe begleiten wolle, hinaus auf eine Höhe, von welcher man durch einen Bergeinschnitt weit hinab in das Tal blicken könne, durch welches die Straße ziehe und der Rückzug der Feinde gehe; zwei andere Mägde waren schon vorauf dahin. Benedicte hatte sich eifrig angeschlossen, und durch eine Hintertür, durch den Garten des Edelhofs, der an der hintern Seite sich an die Bergwand lehnte, dann über einen sandigen Fußweg war sie eine Viertelstunde weit der Magd gefolgt bis zu einem alten Steinkreuz, an dem mehrere Wege auseinanderliefen. Der eine führte als wenig begangener steiler Fußsteig rechts zu der Höhe hinan, auf der die verheißene Aussicht sich bieten sollte, der andere lief mehr links in die nordöstliche Talecke hinein, wo ein an dieser Stelle sichtbar werdender Einschnitt in die Bergwände, die das kleine Tal umgaben, einen Ausgang in die dahinterliegenden Waldtäler zu öffnen schien. In der Tat führte dieser letztere Weg, wenn man seinen Windungen durch mehrere kleine Waldtäler folgte, auf die von uns erwähnte zweite, über Lohr auf Aschaffenburg laufende Spessartstraße.

Ein dritter Weg, eine Fortsetzung des letztern nach Westen, senkte vom Steinkreuz ab sich abwärts, um unter Goschenwald her durch den Grund des Tales zu laufen, in der Richtung nach Westen, in welcher wir den General Duvignot sich auf diesem selben Wege einen Ausweg aus dem Tale suchen sahen.

Benedicte nahm, als sie an dem alten Steinkreuz angekommen war, einen Trupp bewaffneter Männer wahr, welcher aus dem erwähnten Bergeinschnitt von Nordosten her auf sie zugetrabt kam und dessen vorderster sie, als sie sich rasch entfernen wollte, anrief.

Der Reiter waren sechs, zwei ritten vorauf, die vier andern in einer Gruppe zusammen. Zwei von diesen letztern trugen leichte weiße Staubmäntel über hechtgrauen Uniformen und roten Beinkleidern, die andern waren in weißen Röcken, nur die voransprengenden trugen die dunkelblauen Uniformen ungarischer Husaren.

So wenig sich Benedicte darauf verstand, erkannte sie doch sofort, daß sie österreichische Offiziere vor sich hatte, wie es schien Stabsoffiziere.

Sie blieb an dem Steinkreuz stehen und war bald von ihnen umgeben.

»Demoiselle,« sagte, sich von seinem schnaubenden schweißbedeckten Pferde zu ihr niederbeugend, einer der Männer in der hechtgrauen Uniform mit einem sehr wohllautenden Organ und einer freundlichen Betonung, die mit dem langen, ernsten Gesicht des noch jungen Mannes im Kontrast stand, »Sie werden die Güte haben, uns einige Auskunft zu geben. Zuerst, ist das dort Haus Goschenwald?«

»Es heißt so!« antwortete das junge Mädchen unter heftigem Herzklopfen und in einer Verwirrung, welche es ihr unmöglich machte, sich zu besinnen, woher ihr das Gesicht mit der ungewöhnlich hohen Stirn, den gedehnten Zügen, der stark ausgebildeten Unterlippe und dem langen Kinn bekannt sei, wo sie es gesehen haben könnte.

Der junge Mann nickte mit dem Kopfe und sagte: »Ich danke Ihnen. Ist der Hof besetzt?«

»Nein, er ist ohne Verteidiger.«

»Ich meine, ob Franzosen da sind, oder ob sie dort waren?«

»Franzosen? Nein!« wiederholte Benedicte, die ja nicht wußte, was seit ihrem Fortgehen von Goschenwald dort geschehen.

»Wie weit sind wir hier von der Heerstraße, über welche der Rückzug der Franzosen sich bewegt?«

»Etwa dreiviertel Stunde.«

»Führt von dem Hofe Goschenwald eine so breite Straße

hinab nach dieser Heerstraße, daß eine geschlossene Kolonne – Sie verstehen mich – ein Bataillon, ein Regiment darauf marschieren könnte? Würde man Artillerie dahin bringen können?«

»Es führt ein Weg, der befahren werden kann, von Haus Goschenwald nach der Heerstraße; er führt von Goschenwald links über eine Einsattelung, dann durch eine Schlucht an einer Mühle vorüber.«

»Und er kann befahren werden?«

»In der Tat, aber wohl nur mühsam; er ist sehr schlecht zu gehen; ich kann nicht darüber urteilen, ob Geschütze – «

»Ich danke Ihnen,« sagte der junge Stabsoffizier noch einmal, und dann sich zu dem andern Offizier in der hechtgrauen Uniform wendend, fuhr er leise redend fort: »Wir wollen Strassoldo mit seiner Batterie bis auf weiteren Befehl stehenbleiben lassen, aber die zwei Bataillone Abpfaltern und eine Kompagnie Kaiserjäger sollen vorgehen, die Kaiserjäger als Tete natürlich; ich will auf dem Hofe da vor uns die Meldungen erwarten. Wenn sie an der Heerstraße angekommen sind und da in die Verfolgung eingreifen, soll es mir sofort gemeldet werden, wir wollen dann sehen, wie viel Mannschaft wir nachrücken lassen können.«

»So sprengen Sie zurück, Muga,«» wandte sich der zweite Hechtgraue, ein schon älterer Herr mit ergrauendem Haar, an einen der beiden andern: Offiziere. »Sie haben die Befehle gehört?«

»Zu Befehl, Exzellenz,«« sagte dieser, mit der Hand am Schirm der Feldmütze; dann warf er sein Pferd herum, spornte es und sprengte auf dem Wege, den er gekommen, zurück.

»Sie, Bubna, bleiben hier zurück,« wandte sich der junge Mann mit dem langen Gesicht jetzt an den dritten seiner Begleitung, »um den Marsch zu dirigieren, wenn die Truppen kommen. Da links hinein, nicht wahr?« richtete er seine Frage an Benedicte. »Die Truppen müssen diesem Fahrwege ins Tal hinein folgen; dann, wo drüben eine Allee von Eichen, die auf das Haus Goschenwald zuläuft, endet, wirft sich der Weg linkshin über die Einsattelung und steigt an der anderen Seite wieder durch die Mühlenschlucht bis zu der Heerstraße hinab, auf der jetzt gekämpft wird.«

»Haben Sie es gehört, Bubna? Behalten Sie eine der Ordonnanzen hier bei sich, damit Sie mir die Meldung machen lassen können, wenn die Leute da sind; lassen Sie sie ihren Marsch beeilen, wie es nur immer möglich ist; untersuchen Sie dann, ob sich Geschütze daherführen lassen, und sorgen Sie dafür, daß ich sofort Nachricht erhalte, falls es möglich ist, Artillerie fortzubringen.«

Der junge Mann nickte dem zurückbleibenden Offizier einen Gruß zu und wandte sich dann wieder an Benedicte.

»Jetzt, Demoiselle,« sagte er, »haben Sie die Güte, uns zu führen, wir wollen die Gastfreundschaft des Edelhofs da vor uns unterdessen in Anspruch nehmen. Können wir auf diesem Fußpfade hingelangen, und,« setzte er lächelnd hinzu, »werden sie da einen Trunk Steinweins oder nur frischer Milch für ein paar müde, durstige Soldaten haben?«

»O gewiß, gewiß!« rief Benedicte lebhaft aus. »Ich bin sicher, daß Soldaten, welche diese Uniform tragen, mit Freuden da empfangen werden; folgen Sie nur, dieser Fußpfad führt in der geradesten Richtung dahin.«

»So kommen Sie, Sztarrai,« rief der junge Mann seinem ältern Kameraden zu.

Benedicte schritt voraus, die beiden Offiziere folgten ihr auf dem Fußsteige, nur von einem der zwei Husaren begleitet, die ihnen vorher vorangeritten waren; der andere war auf einen Wink des Bubna genannten Offiziers bei diesem an dem Steinkreuz zurückgeblieben.

Während die beiden Männer, welche sie führte, dicht nebeneinander auf dem schmalen Pfade ritten, sprachen sie lebhaft, aber so miteinander, daß Benedicte ihre Worte nicht verstand. Als sie vor dem offen stehenden eisernen Gittertor angelangt waren, das von dieser Seite durch eine niedrige Mauer in den Garten von Goschenwald führte – man hatte nur noch zwischen einigen mit hohen, altem Buchsbaum eingefaßten Beeten bis zum Hause zu gehen – wandte sich Benedicte zurück.

»Wenn die Herren hier absteigen wollen,« sagte sie, »so kann ich Sie unmittelbar ins Haus führen, durch diesen Garten, und Sie brauchen nicht den Umweg um das ganze Gehöft herum zu machen. Die Pferde jedoch muß Ihr Begleiter hinab an dieser Mauer und das Gebäude entlang führen und an der Vorderseite durch die Toreinfahrt in den Hof, er wird dort gleich die Stallung sehen.«

»Sehr wohl!« antwortete der junge General und stieg rasch aus dem Sattel, um dem herankommenden Husaren die Zügel zuzuwerfen.

Er blieb einen Augenblick stehen, um seinem älteren und weniger behenden Kameraden, den er Sztarrai genannt hatte, Zeit zu lassen, auf den Boden zu gelangen; dann folgten die beiden Männer dem jungen Mädchen.

Benedicte führte sie durch eine Glastür ins Haus, dann durch einen niedrigen Gang, der in ein hohes Stiegenhaus leitete; aber bevor sie noch dieses letztere erreicht, warf sie rechts in dem Gange eine Tür auf und bat die Herren einzutreten.

Ein großer, durch drei auf den vordern Hof hinausgehende Fenster erleuchteter hallenartiger Raum umfing sie. Rings an den Wänden lief ein hohes Täfelwerk von dunklem Eichenholz herum, über dem mancherlei groteske Jagdbeute des Spessartwaldes an der Wand befestigt war, seltsam ausgewachsenes Gehörn und Geweih. In der Mitte der den Fenstern gegenüberliegenden Wand prangte auch eine Trophäe, aber sie bestand nur aus harmlosen Weidtaschen, Hifthörnern und altertümlichen Pulverhörnern. Die Waffen, die dazwischen die leer gewordenen Stellen gefüllt, waren fortgenommen worden. Hatten sie sich vor dem französischen Machtgebot unsichtbar gemacht, oder dienten sie eben bei dem blutigen Handgemenge drüben im nächsten Tal, Rache an diesem französischen Machtgebot zu nehmen?

Der gestrenge Herr Schösser hätte es müssen wissen, aber seine Knechte wußten es besser!

Der gestrenge Herr saß eben oben in diesem Saal, auf der Bank neben dem riesigen Kachelofen, mit dem Rücken sich an die kalten Platten desselben lehnend, die Arme über der Brust verschränkt und von der Höhe seines langen Oberkörpers herab auf zwei Gruppen von Leuten blickend, die sich in dem Saale an zwei verschiedenen Tischen, welche unter den Fenstern des Raumes hinliefen, befanden.

An dem obern Tische saßen zwei weibliche Wesen, Frau Marcelline und ihre Zofe. Frau Marcelline hatte ihren Hut auf einen Stuhl neben sich geworfen und darüber ihr Fichu und ihre langen bis zum Ellbogen reichenden Handschuhe; das Sacktuch und ein silbernes Riechbüchschen lagen neben ihr auf dem Tisch, während ihre beringte Hand einen kleinen Spiegel hielt, in dem sie sich beschaute, um den in Verwirrung geratenen Scheitel wieder zu glätten. Hinter ihr stand die Zofe und steckte ihr mit Haarnadeln den losgegangenen Chignon wieder fest, denn der Chignon gehörte zur Tracht der Damen des achtzehnten Jahrhunderts, wie er es heute tut. Von ihren Schläfen hingen lange Locken nieder, dunkeln, fast blauschwarzen Haares, wie es ganz paßte zu dem schönen und zugleich pikanten Gesicht, den feingeschnittenen, ein wenig scharfen Zügen, und den schmalgeschlitzten Augen, die unter schwarzen beweglichen Brauen durch die langen Wimpern der Lider feurige, zuweilen ein wenig stechende Blicke schossen. Ihr Mund war rot, voll, geschnitten wie nach dem Muster vom Bogen Amors, nur die Winkel waren stark genug nach unten gezogen, um diesem reizenden Munde einen gewissen Ausdruck von Hochmut oder Härte oder Verachtung zu geben, der Frau Marcellinens Gesicht nicht anziehender machte. Ihr Teint war ein wenig abgebleicht, unfrisch, fatiguiert, vielleicht nur vom Staub des Weges, von den Mühen der Reise und nicht von den Jahren – sie konnte kaum sechs- ober siebenundzwanzig Jahre zählen.

An dem zweiten Tisch weiter unten in dem Raum saß der Kapitän Lesaillier mit seinem alten Grognard von Wachtmeister. Sie hatten ihre Säbel in den sehr glanzlos gewordenen Messingscheiden und die Tschakos mit den grünen Federbüschen aus den Tisch geworfen und die roten Revers ihrer grünen Uniform aufgeknöpft; so waren sie eifrig damit beschäftigt, den Erfrischungen zuzusprechen, welche die Beschließerin ihnen auftrug, wobei der Wachtmeister seinen Vorgesetzten durch die Späße unterhielt, die er nicht müde wurde über die seltsame und, wie er es nannte, austrogotische Figur des am Ofen lehnenden Leutnants außer Dienst und gestrengen Herrn Schössers zu machen.

»Welch ein Biedermann!« hatte er eben lachend gerufen. »Er sieht aus wie aus Pappdeckel geschnitten, um im Marionettentheater den grausamen Feldherrn Ahitophel vorzustellen!«

»Und das hält sich für einen Soldaten!« sagte der Kapitän lächelnd.

»Sagen Sie mir, mein Kapitän,« fragte der Wachtmeister, »ist je eine ganze Armee solcher mörderischer Kerle ins Feld gerückt?«

»Eine Armee? Nun sicherlich, die Reichsarmee! Diese kleinen deutschen Tyrannen brachten immerhin einige Regimenter zusammen. Der eine von ihnen lieferte dies, der andere das; der eine gab für die Kompagnie einige arme Hungerleider her, der zweite den Hauptmann und der dritte die Trommel, den Tambour und die Kochtöpfe. Eine freie Reichsstadt musterte ein halbes Dutzend Reiter, eine Äbtissin besorgte den Kornett und ein dritter Souverän lieferte, das Sattelwerk und Riemenzeug – fragen Sie die rote Vogelscheuche dort, und er wird Ihnen sagen, daß ihm zu seiner Ausrüstung ein armes Gräflein den roten Rock und ein Nonnenkloster die schwarze Hose mit den Gamaschen geliefert hat.«

»Puh, welche Schmach für ein großes Land, ein großes Volk,« antwortete lachend der Wachtmeister. »Aber wenn dem so ist, weshalb haben denn nicht diese armen Deutschen gegen solche Wirtschaft die Revolution gemacht? Was haben wir, die wir doch lange nicht so schlecht daran waren, die Mühe zu übernehmen brauchen mit dem Revolutionieren anzufangen?«

»Ja, sehen Sie, Lepelletier, das ist just so zugegangen wie bei einem Hauseinsturz mit einem Haufen armer Teufel von Arbeitern, die unter Schutt, Trümmer und Gerümpel verschüttet liegen. Da machen sich die am ersten frei, die noch am wenigsten tief darunterliegen und noch einen Arm oder ein Bein regen können. Die andern vermögen es nicht. Das Gerümpel und der Schutt, begreifen Sie, ist die alte Ordnung der Dinge du bon vieux temps. Wenn wir zuerst uns daraus gerettet haben – aber was zum Teufel ist das, wer führt uns diese Österreicher hierher?«

Bei diesem Ausruf, bei dem Kapitän Lesaillier betroffen in die Höhe fuhr, wandte der Wachtmeister seinen Kopf und ließ aus Überraschung das Glas feurigen Kalmuths, den Frau Afra in einer Bocksbeutelflasche aufgetischt, und welches er eben zum Munde führen wollte, beinahe fallen.

Eben waren Benedicte und die zwei österreichischen Stabsoffiziere in den Raum eingetreten.

Ein Blick auf die Franzosen, ein zweiter durch die Fenster der Halle, vor denen man den ganzen Schwarm der Chasseurs sich auf dem Hofe herumtreiben sah, hatte aber auch den Österreichern im selben Moment klar gemacht, daß sie in den Händen des Feindes waren, mitten unter eine französische Abteilung geführt.

»Gott steh' uns bei!« rief zurückfahrend der ältere der beiden aus. »Wohin hat dies Geschöpf uns gebracht?«

Seine Hand fuhr an den Säbelkorb und entblößte halb die Klinge.

»Ruhig, Sztarrai, bleiben wir ruhig,« mahnte der Jüngere flüsternd.

»Soll ich die Dirne erstechen – eine Deutsche, die –«

»Die Lügnerin wird ihren Lohn finden,« fuhr, die Hand auf seinen Arm legend, der junge Mann fort; »denken wir daran, wie wir uns selbst aus der Schlinge ziehen!«

Während diese Worte in Hast von den beiden Offizieren gewechselt wurden, hatte Benedicte ein paar rasche Schritte in den Raum hinein gemacht, hatte erblassend die Franzosen angestarrt, dann ihre Augen auf die Frauen am obern Tisch geworfen und, plötzlich zusammenfahrend, einen leisen Schrei, wie des heftigsten Erschreckens, ausgestoßen.

Sie stand da wie versteinert, beide Hände wie zur Abwehr eines ganz Entsetzlichen, das plötzlich vor ihr aufgetaucht, erhebend.

Frau Marcelline, die bei dem Anblick der österreichischen Uniformen ebenfalls aufgefahren, ließ jetzt ihre Augen auf das Mädchen fallen, und zusammenzuckend, erschrocken, wie jemand, der auf eine Schlange getreten, rief sie aus: »Benedicte, Benedicte, du bist's?«

Benedicte regte sich nicht. Sie starrte noch immer wie von Sinnen die Erscheinung vor ihr an. Diese dunkeln, jetzt so stechend flammenden Augen, dieser Kopf mit den langen Wimpern und den langen hängenden Locken vor ihr mußten für sie die Wirkung des Medusenkopfes haben.

Frau Marcelline war durch den Anblick des jungen Mädchens offenbar so außer sich gekommen, daß sie den Eintritt der österreichischen Offiziere schon gar nicht mehr beachtete; sie trat, flog, das ganze Gesicht plötzlich von Flammenrot übergossen, auf sie zu.

»Unglückliche! Elende!« rief sie aus. »Du – du – du hier! Welch Verhältnis führt dich, dich mir in den Weg, in meine Hände, Abscheuliche?« In Benedicte schien bei diesen Worten wie mit einem Male das Bewußtsein, die Besinnung über ihre Lage zurückgekehrt. Sie warf sich heftig zurück, sie wandte sich, sie wollte davonfliehen.

Dabei aber stieß sie auf den Kapitän Lesaillier, der eilig herangetreten war, und in seiner Spannung, Aufklärung über das Erscheinen der feindlichen Offiziere zu erhalten und die Hand auf sie zu legen, diesem plötzlich ausbrechenden Wutanfall der Frau Marcelline, der ihn nicht zu Worte kommen ließ, mit einem lauten Diantre, Madame, taisez-vous donc, s'il vous plait – beantwortete, jetzt aber auch sehr derb und zornig den Arm nach Benedicte ausstreckte. Er umspannte ihren Oberarm und hielt sie fest wie eine eiserne Klammer.

»Halten Sie sie, binden Sie sie, wenn sie entfliehen will,« schrie Frau Marcelline auf; »sie darf nicht entkommen, sie ist eine Verbrecherin, eine Mörderin!«

»Sie soll nicht entkommen, aber geben Sie endlich Ruhe, Madame,« versetzte der Kapitän, indem er Benedicte nach dem obern Teil des Raumes führte. »Setzen Sie sich da, Mademoiselle, und warten Sie das Weitere ab,« sagte er mit einem derben Fluche dabei.

Benedicte ließ sich mehr tot als lebendig in den alten Armsessel fallen, der am obersten Fenster stand und zu dem der Kapitän sie geführt hatte.

»Und nun,« fuhr dieser, sich zu den Österreichern wendend, fort, »nun zu Ihnen, meine Herren! Wer sind Sie?«

»Sie sehen, wir sind österreichische Stabsoffiziere, auf einer Rekognoszierung begriffen,« antwortete der ältere Offizier.

»Stabsoffiziere – auf einer Rekognoszierung – ohne alle und jede Bedeckung? Das ist seltsam!«

»Und doch ist es so. Daß es unvorsichtig war, auf das Wort jenes jungen Geschöpfes hin, dieser Hof sei unbesetzt, so weit vorzugehen, sehen wir selbst, Sie brauchen es uns nicht vorzuhalten.« »Nun wohl, Sie sehen es selbst,« rief der Kapitän aus, »Sie sehen, daß Sie in meiner Gewalt sind« – er deutete auf den mit seiner Mannschaft erfüllten Hof – »also darf ich wohl um Ihre Degen bitten!«

»Wir sind allerdings in Ihrer Gewalt, so gewiß und sicher,« versetzte hier der jüngere der beiden Österreicher, »daß es eine leere Förmlichkeit wäre, wenn wir unsere Degen ablegten; es kann uns nicht einfallen, dieselben gegen Sie und eine solche Übermacht ziehen zu wollen.«

»Sie sind meine Gefangenen und haben die Degen abzulegen, wenn Sie nicht wollen, daß ich Leute hereinrufe, die sie Ihnen abnehmen, meine Herren!« antworte der Franzose gebieterisch.

»Gewiß, gewiß, Sie können das,« entgegnete der Österreicher ruhig, »aber Sie werden unsere Uniformen hinreichend kennen, um zu sehen, daß wir Generalsrang haben, und Sie werden uns die Demütigung ersparen, die Sie verlangen, da sie unnütz ist. Als Franzose werden Sie zu großmütig sein, einem in Ihre Hände gefallenen Feinde Rücksichten zu verweigern, um die er Sie, mein Herr Kapitän, bittet!«

Der junge Mann legte auf das Wort »bittet« einen besonderen Ausdruck von vornehmem Selbstgefühl, und der Kapitän antwortete mit einem ironischen Lächeln: »Es demütigt Sie, einem einfachen Kapitän Ihre Degen übergeben zu sollen? Nun, ma foi, wenn dies Ihnen solchen Kummer macht, so sollen Sie sich nicht umsonst an meine Großmut gewendet haben, aber ich bitte um Ihre Namen!«

»Generalmajor Karl Teschen!« sagte der junge Mann.

»Sie haben es sehr jung zum General gebracht!« bemerkte der Franzose.

»Ich habe Glück gehabt,« antwortete der General Teschen bescheiden.

»Und Sie, mein Herr?« fuhr Lesaillier zu dem andern gewendet fort. ›General Sztarrai!‹«

Der Franzose machte eine leichte Verbeugung und sagte: »Die Herren werden dort am Tische Platz nehmen.« Dann sich zu Frau Marcelline wendend, fuhr er fort: »Madame, ich bedauere unter diesen Umständen nicht ganz meiner Consigne folgen zu können. Sobald meine Truppe sich ein wenig erholt hat und es Ihnen möglich ist, die Reise fortzusetzen, müssen wir ausbrechen und auf demselben Wege, den der General Duvignot eingeschlagen hat, unsern Marsch fortsetzen. Ich darf die Verantwortlichkeit nicht auf mich nehmen, ein paar Gefangene von dieser Bedeutung so lange hier zu halten; ich muß sie so bald wie möglich in Sicherheit bringen. Sie haben jedoch zu bestimmen, ob Sie die Nacht hindurch hierbleiben und sich ausruhen wollen. Ich könnte Ihnen alsdann einen Teil von meinen Leuten zum Schutze lassen.«

»Nein, nein, nein,« rief Frau Maicelline aufgeregt aus, »ich bin vollständig mit Ihnen einverstanden; auch mich drängt es, meine Gefangene hier« – sie warf dabei einen Blick verzehrenden Hasses auf die wie in sich zusammengebrochen dasitzende Benedicte, die diesen Blick freilich nicht wahrnahm, da sie ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckt hatte – »meine Gefangene hier in Sicherheit zu bringen!«

»Sie sind also bereit –«

»Bereit, in jedem Augenblick weiterzureisen!« rief Frau Marcelline heftig aus.

»So gehen Sie, Lepelletier,« befahl der Kapitän dem Wachtmeister, »und kündigen das den Leuten an; ich sehe, daß sie Lebensmittel gefunden haben – sie sollen sich sputen.«

Daß sie Lebensmittel gefunden, hatte auch längst der Schösser zu seinem Verdruß bemerkt, er beobachtete still grimmig, wie sie draußen Brot, Speck, Würste, Wein und all seinen selbstgemachten Ziegenkäse zusammenschleppten.

»Ich gehe, mein Kapitän,« sagte der Wachtmeister.

»Und hören Sie, stellen Sie zwei Leute als Posten draußen vor die Tür dieses Saales. Vergessen Sie auch nicht, sich nach den Pferden dieser Herren umzuschauen und Hand darauf zu legen!«

»Zu Befehl, Kapitän,« entgegnete der Wachtmeister und schritt davon.

Die österreichischen Offiziere hatten sich unterdessen still an den Tisch Marcellinens gesetzt und Sztarrai sagte jetzt: »Ich hoffe, Sie erlauben uns, einige Erfrischungen zu bestellen, und gönnen uns die Zeit, sie zu genießen?«

»Ich lasse Ihnen gern die Zeit dazu,« entgegnete der Kapitän, »um so mehr, da ich Madame wenigstens noch eine Pause vergönnen muß, sich auszuruhen. Der Herr dort oben« – Kapitän Lesaillier deutete, während er dies sagte, auf den gestrengen Schösser – »der Herr am Ofen dort scheint der Befehlshaber, Kommandant oder Gouverneur dieses Platzes – haben Sie die Güte, sich an ihn in Angelegenheiten der Verpflegung zu wenden. Der Wein, den er in seinen Kasematten führt, ist nicht übel, und da Sie seine Landsleute sind, wird er Sie sicherlich nicht schlechter bewirten als uns!«

»Landsleute oder nicht Landsleute,« sagte hier der Schösser sich erhebend mit einem äußerst verdrießlichen Gesicht, »es ist ziemlich eins, an wen ich den Wein abgebe, wenn er nicht bezahlt wird!«

»Wir werden ihn bezahlen, mein Lieber!« fiel der General, der sich Teschen genannt, ein.

»Afra, so gehen Sie zu holen, wenn die draußen da noch einen Trunk übriggelassen haben –« rief der Schösser der Beschließerin zu, die durch eine Hintertür eben eintrat. »Unterdessen,« fuhr er, sich mit rollenden Augenbrauen zu Frau Marcelline wendend, fort, »möchte ich doch um eine Aufklärung bitten, was diese junge Demoiselle verbrochen hat, die Sie so despektierlich behandeln und die von wohlansehnlichen Leuten meinem Schutze anempfohlen ist.«

»Und von wem,« fuhr Frau Marcelline auf, »wäre sie das?« »Von der hochehrwürdigen Mutter Äbtissin von Oberzell, der Frau Schwester meines Herrn und Patrons, des Reichshofrats Gronauer.«

»Von der Äbtissin von Gronauer!« rief Frau Marcelline mit dem Ton der Verachtung. »Nun meinetwegen, die Empfehlungen derselben und Ihr Schutz werden ihr wenig helfen; ich werde sie als Gefangene mit mir fortführen.«

»Das junge Mädchen,« fiel hier der General Teschen ein, »hat sich in einer Weise gegen uns unwahrhaftig gezeigt und uns in eine so mißliche Lage gebracht, daß wir nicht veranlaßt sein können, ihre Verteidigung zu übernehmen, Madame. Wenn Sie uns jedoch erklären wollten, wie es kommt, daß sie für den Dienst, den sie damit der französischen Sache geleistet, durch eine so üble Aufnahme von Ihrer Seite belohnt wird –«

»Ich habe Ihnen keine Erklärung zu geben, mein Herr!« antwortete Frau, Marcelline hochmütig.

»Sicherlich nicht! Ich habe Sie auch nicht gefordert, nur höflich darum bitten wollen, wie doch wohl jedermann tun darf, wenn er Zeuge eines auffallenden Vorgangs ist,« antwortete ruhig der gefangene Offizier.

»Wenn dieser Vorgang ihn ganz und gar nichts angeht, mein Herr, so tut jedermann wohl, sich nicht hineinzumischen,« fuhr die aufgeregte Frau fort.

Der junge General biß sich auf die Lippen.

»Verzeihen Sie, Madame, es war das durchaus nicht meine Absicht. Mich in Ihre Händel mit diesem jungen Mädchen zu mischen, konnte mir um so weniger einfallen, als ich Gefangener bin und ich Sie so wohl gehütet unter französischem Schutze sehe. Daß eine deutsche Dame auf der Seite unsrer Feinde ist und daß sie über eine so stattliche Eskorte von feindlichen Truppen gebietet, darf, denke ich, jedoch meine Verwunderung erregen.«

»Möglich, daß es das tut,« versetzte Frau Marcelline scharf, »obwohl Sie wissen könnten, daß sehr viele deutsche

Frauen auf der Seite Ihrer Feinde stehen, auf der Seite derer, die der Welt Aufklärung, Freiheit von den alten Vorurteilen und Wiedereinsetzung der Menschen in ihre ursprünglichen Rechte bringen!«

»Sie lassen mich fast bedauern, Madame,« entgegnete der Offizier ironisch, »daß der Sieg unsrer Waffen in den letzten Tagen unsere Feinde so ärgerlich in dem edlen Werke stört, welches sie mit so viel Selbstverleugnung und Uneigennützigkeit zum Besten der Aufklärung, der Freiheit und der Menschenrechte unternommen haben!«

»Der Sieg Ihrer Waffen? Ach, pochen Sie nicht darauf, mein Herr General! Die Franzosen haben noch so ungefähr immer Sie besiegt und werden, wenn sie auch in diesem Augenblick sich zurückziehen müssen, sehr bald ihre Revanche nehmen. Dieser Erzherzog Karl mit seiner Reichsarmee und dem aufgehetzten tückischen Bauerngesindel wird seinen Kriegsruhm sehr bald schwinden sehen und sehr, sehr klein werden; er wird sich in Wien sehr bald wieder die habsburgische Schlafmütze über die Ohren ziehen und zu Bette legen müssen – man kennt das ja! Sobald ihm ein tüchtiger General oder ein ihm gewachsenes Heer entgegentritt, wird der arme junge Mensch krank und legt sich zu Bett.«

Der General Teschen wechselte die Farbe bei diesen mit dem Ton unsäglicher Verachtung ausgesprochenen Worten der schönen Frau. Der General Sztarrai wollte entrüstet aufspringen, aber jener legte die Hand auf seinen Arm und hielt ihn auf seinem Platz.

»Sie haben recht, Madame,« sagte er dabei, »der Erzherzog Karl hat leider keine eiserne Natur, wie sie jemand, der sich dem Kriegshandwerk widmet, zu wünschen ist. Er hat in den letzten Jahren sich einigemal krank melden lassen müssen, wenn –«

Er wurde plötzlich durch ein Paar Karabinerschüsse unterbrochen, die rasch nacheinander auf dem Hofe abgefeuert wurden. Alle richteten auffahrend ihre Blicke durch die Fenster dahin. Man nahm einen Zusammenlauf wahr; mehrere der Chasseurs stürzten mit ihren Karabinern nach der niedrigen Zinnenmauer, welche den Hof nordwärts, den Fenstern der Halle gerade gegenüber, abschloß.

»Was gibt's, Lepelletier?« rief der Kapitän dem eintretenden Wachtmeister entgegen. »Haben wir diese deutschen Chouans auf dem Halse?«

»Nein, mein Kapitän, nur ein österreichischer Husar wurde am Fuße der Mauer da drüben entdeckt. Er führte zwei lose Sattelpferde mit Generalsschabracken.«

»Ah, die Pferde unserer Gefangenen!«

»Richtig, Kapitän, und zwei tüchtige Gäule; beim Schnurrbart des ci-devant heiligen Georg, wir hätten sie gebrauchen können!«

»Nun?«

»Der Bursch, der offenbar Unrat gemerkt hatte, hielt sich vor uns in einem Buschwerk versteckt. Das Wiehern eines der Pferde verriet ihn. Jetzt ist er davongesprengt, rechtsab in die Talgründe hinein.«

»Und die Schüsse?«

»Haben ihm nicht wehe getan, er ist zum ci-devant Teufel gegangen!«

» Sacré mille tonneres!« fluchte der Kapitän, »das ist verdrießlich. Vielleicht haben diese Leute hier eine Reserve näher als wir glauben, und der Schurke holt sie jetzt heran. Unsere Gefangenen,« fuhr er flüsternd und mit einem forschenden Seitenblick auf diese fort – »sind dazu von einem so verdächtigen Gleichmut...«

»Ah bah – Österreicher!« fiel der Wachtmeister ein.

»Nein, nein, es ist das beste, Lepelletier, Sie lassen zum Aufsitzen blasen!«

»Mir auch recht, Kapitän; man kann freilich nicht zu vorsichtig sein!«

»So gehen Sie! – Madame,« wandte der Kapitän sich an Frau Marcelline, »werden Sie sich imstande fühlen, die Reise wieder anzutreten?«

»Schon jetzt?«

»Ich bedauere, daß ich Ihnen nicht längere Zeit zum Rasten geben kann. Wenn Sie also nicht vorziehen, die Nacht hier zurückzubleiben –«

»Nein, nein, nein,« rief Frau Marcelline ans, »ich bin ja bereit!«

»Und Ihre Gefangene da wollen Sie mitnehmen?«

»Ohne Zweifel!«

»Aber sie wird nicht zu Fuß neben Ihnen herlaufen können, die aime Demoiselle.«

»Sie verdient es in der Tat nicht besser, als so transportiert zu werden!« versetzte Frau Marcelline mit einem Zucken der Mundwinkel voll der tiefsten Verachtung.

»Ein Pferd habe ich nicht für sie,« fuhr der Kapitän fort, »ich habe ohnehin zwei Pferde für meine Gefangenen nötig, und wenn es hier keine zu requirieren gibt – Lepelletier,« rief er diesem, der eben, während draußen ein Signal geblasen wurde, wieder eintrat, zu, »Sie haben draußen in den Ställen keine Pferde vorgefunden?«

»Nein, mein Kapitän, von Remonte nichts als einen großen Ziegenbock, der dem Herrn Kommandanten dort zu seinen Evolutionen vor der Fronte zu dienen scheint.«

»Gut denn, so müssen Sie zwei Leute ihre Pferde für die Gefangenen abgeben lassen und Sie selbst die Demoiselle da hinter sich auf die Croupe nehmen.«

»Mit dem äußersten Vergnügen,« versetzte der Wachtmeister mit einem gutmütigen Kopfnicken. »Mademoiselle wird hoffentlich einverstanden sein, sich an die Mutter der Schwadron, den Wachtmeister, anzuschließen. Fürchten Sie nichts, Mademoiselle, die vier Haimonskinder haben unbequemer gesessen.«

»Aber sie kann doch nicht so, wie sie dasitzt, aufs Pferd steigen und dann mit fort durch die kalte Nacht; das könnte ja einen Stein erbarmen!« rief jetzt Frau Afra empört dazwischen.

»Geh' Sie lieber und hole ihr einen Mantel!« sagte der Schösser, während Benedicte das mit Tränen überströmte Gesicht erhob und mit einem dankbaren Blick zu Afra aufsah.

Frau Afra eilte davon, selbst in Tränen und Schluchzen ausbrechend bei dem Jammerblick, der eine Sekunde lang auf ihr geruht hatte.

Die gefangenen Offiziere waren unterdes schweigende und ruhige Beobachter von dem allen geblieben. Jetzt flüsterte der ältere seinem Schicksalsgenossen zu: »Wir müssen alles anwenden, diesen Aufbruch zu verzögern!«

»Werden wir es können so lange, bis unsere Leute Zeit haben heranzukommen?« sagte der jüngere General im selben Tone.

»Wenn auch das nicht, so hindern wir durch irgendeine Verzögerung doch die Franzosen, einen so weiten Vorsprung vor unsern Leuten zu gewinnen, daß sie sie und uns nicht wieder einholen können.«

»Was sollen wir beginnen? Ich sehe kein Mittel, sie hier aufzuhalten!«

»Verdammt, sie führen schon draußen die Pferde aus den Ställen!«

»Es läßt sich eben nichts dawider machen!«

»Sie werden mir eingestehen, daß wir in eine verzweifelte Lage geraten sind; man wird mich in Wien vor ein Kriegsgericht stellen, weil ich zugegeben habe –«

»Man wird nichts dergleichen tun,« fiel ernst der jüngere Mann ein; »es fällt kein Schatten von Tadel oder Vorwurf auf Sie, Sie haben nur getan, was Ihnen befohlen wurde.«

»Ich hätte die kühne Verwegenheit, den Eifer zügeln müssen, der Sie so nahe an die Rückzugslinie des Feindes – aber was ist das?« »Das sind die Unsern!« rief der General Teschen aufhorchend aus.

»Nicht, doch, nicht doch, hören Sie nur!«

»Nein, Sie haben recht, Sztarrai, dies Feuer wird nicht aus unsern Musketen abgegeben!«

Diese Ausrufe wurden den gefangenen Offizieren durch ein plötzliches lebhaftes Kleingewehrfeuer entlockt, das von draußen her sich vernehmen ließ.

»Alle Teufel!« hatte unterdessen der Kapitän Lesaillier, an eins der Fenster stürzend und es aufreißend, ausgerufen: »Heda, Leute, wer kommt uns da auf den Leib? Was gibt's?«

Mehrere von der Mannschaft liefen heran.

»Es sind diese verdammten Bauern, dieses Gesindel – sie schießen in den Hof herein!« schallte es ihm entgegen.

»Pest! Etienne und ihr beiden andern kommt herein und übernehmt die Bewachung unserer Gefangenen. Ihr steht mir mit euren Köpfen für sie, merkt euch das!«

Damit stürzten der Kapitän und der Wachtmeister davon, um, während drei Chasseurs zur Hut der Gefangenen eintraten, die Verteidigung des Platzes zu leiten.

Die Angreifer hatten mit wohlgezielten Schüssen zwei in der Allee vor Goschenwald aufgestellte Posten von ihren Pferden heruntergeschossen. Dann waren sie auf das Torgebäude zugestürmt, hatten aber beim Anblick der großen Zahl Reiter, welche sich auf dem Hofe befand, kehrt gemacht; sie hatten an dem Bergabhang über der Allee verdeckte Stellungen hinter den Baumstämmen genommen und schossen von daher in den Toreingang hinein. Kapitän Lesaillier eilte, einen Teil seiner Leute auf den Torvorbau zu senden; er stieg selbst mit ihnen in des Schössers Zimmer da oben, das die Allee beherrschte, hinauf; er ließ auf die versteckten Feinde aus den Reiterkarabinern seiner Leute Feuer geben, aber er sah bald, daß es ein unnützes Pulververbrennen war. Er kam nach kurzer Zeit in die Halle zurück.

»Diese vermaledeiten Banditen!« rief er aus. »Wer mir nur sagen könnte, wieviel von ihnen in dem Gehölz stecken, von diesen heimtückischen Strauchdieben! Madame, haben Sie den Mut, trotz ihrer Kugeln den Ausmarsch zu wagen? Nein, Sie wagen es nicht! Verfluchte Lage! Ich muß aufbrechen, ich muß. Lepelletier, wo ist Lepelletier?«

Lepelletier war auf dem Hofe, wo er seine Reiter aufsitzen ließ.

»Lepelletier,« schrie ihm der Kapitän durch das offene Fenster zu, »nehmen Sie fünfzig Mann als Tete, rücken Sie damit aus, in scharfem Trabe – das Gesindel wird Sie angreifen, es wird Sie auf Ihrem Vormarsch rechts und links hinter den Gebüschen begleiten, Sie werden so seine ganze Aufmerksamkeit absorbieren – später folge ich mit den Frauen und Gefangenen!«

»Während wir die Kugeln in den Leib bekommen, wie das Strohbündel im Maul des Fuchses die Flöhe. Ich denke, mit Verlaub, mein Kapitän, wir täten besser, uns hier im Hofe zu verschanzen und abzuwarten, ob die Canaille den Mut hat, uns hier offen anzugreifen!«

»Oder bis sie Verstärkung erhält, uns in dieser Bicoque abwürgen zu können!«

»Es ist mein Rat, mein Kapitän, nichts für ungut. Niemand hat Lust, sich zum Kugelfang herzugeben, und ich auch nicht!«

Der Kapitän stampfte mit dem Fuße.

»Und Sergeant Etienne, Sie?« rief er den einen der drei Chasseurs an, die er vorher hereingerufen und die sich an den runden Tisch gesetzt hatten – »was meinen Sie?«

»Wenn Sie meine Meinung wollen, mein Kapitän, ich denke wie der Wachtmeister!« sagte der Sergeant Etienne, leicht die Finger an den Tschako legend. »Entweder wir brechen alle miteinander auf oder bleiben miteinander; wenn diese Damen unsern Schutz nicht aufgeben wollen, so müssen sie auch unsere Gefahren teilen!«

Der Kapitän sah nach der Uhr.

»Fast sieben Uhr!« rief er aus. »Dann vorwärts, Lepelletier, zum Aufbruch! Wir wollen abreiten, lassen Sie aufsitzen, wir wollen uns durchschlagen!«

»Mein Gott,« rief hier Frau Marcelline, »fällt Ihnen denn gar nicht ein, Lesaillier, daß wir die Gefangenen dort haben?«

»Und die Gefangenen, was ist mit ihnen, Madame?«

»Benutzen Sie sie als Geißeln! Wenn wir den Hof verlassen und es fällt ein Schuß auf uns, so senden Sie einen Parlamentär an das Bauernvolk draußen und lassen es bedeuten, sobald ein zweiter Schuß falle, würden Sie die Gefangenen niederschießen lassen!«

Kapitän Lesaillier blickte die Dame ein wenig überrascht an.

»Ich weiß nicht,« antwortete er dann, »ob der General –«

»Für die Gutheißung des Generals bürge ich!« versetzte Frau Marcelline stolz. »Haben Sie ein weißes Sacktuch, es an Ihren Säbel als Parlamentärflagge zu binden?«

» Mille diables, der Einfall ist gut, mein Kapitän,« sagte der Wachtmeister, »ich fürchte nur, die Bauern werden sich verdammt wenig daraus machen – es ist besoffenes Gesindel!«

»Aber wir können uns von besoffenem Gesindel nicht länger hier festhalten lassen wie Mäuse in der Falle!« rief der Kapitän. »Also vorwärts – aber was ist da, welcher Lärm ist dies?«

Der Kapitän wandte sich bei diesem Ausruf der hintern Tür des Raumes zu, durch welche vorher so ahnungslos die zwei österreichischen Offiziere eingetreten waren. Es wurde vor derselben ein plötzlicher lauter Lärm vernehmbar, Waffengeklirr und Aufstoßen von Gewehrkolben.

»Die Rettung!« sagte der jüngere General befreit aufatmend.

»Ah, im rechten Augenblick!« rief Sztarrai aus. »Ich denk', es ist Muga oder Bubna!«

»Unsere Kaiserjäger!« versetzte der General Teschen aufspringend.


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