Levin Schücking
Der Kampf im Spessart
Levin Schücking

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Zwölftes Kapitel.

Wir sahen, wie die Befehle des Generals sofort ausgeführt worden waren. Der Kapitän Lesaillier hatte zuerst den Schultheißen Vollrath abführen lassen, dann hatte er sich der Person Wilderichs bemächtigt. Dieser folgte jetzt den Soldaten; der Kapitän schritt hinter ihm drein. In seiner furchtbaren Erregung, in seiner Erschütterung war es Wilderich schwer, die Besinnung zu bewahren, und doch hatte er alle seine Fassung nötig, um den Gedanken, der wie ein Licht in seine Seele gefallen, festzuhalten; den Gedanken, der ihm in all dieser unsäglichen Aufregung nicht früher gekommen, der jetzt wie ein Blitzstrahl ihn bei Benedictens letzter Antwort durchzuckt hatte und an dessen Ende die Rettung, sichere Rettung lag!

»Kapitän,« sagte er deshalb, sich beim Hinabschreiten der Treppe zu Lesaillier umwendend, »Kapitän, wenn Sie Ihrem General einen großen Dienst leisten wollen, so gestatten Sie mir, daß ich ein paar Worte mit Ihnen unter vier Augen rede!«

»Sie werden vor dem Kriegsgericht reden können, morgen!« antwortete der Kapitän.

»Nein,« versetzte Wilderich, »des Generals Privatangelegenheiten und die der Dame dieses Hauses gehören nicht vor das Kriegsgericht.«

»Pst!« rief Lesaillier aus. »Und davon wollen Sie mit mir reden?«

Er maß ihn mit einem verächtlichen Blick von oben bis unten.

»So ist es. Ich bitte Sie dringend darum; wenn Sie mich anhören, werden Sie Ihrem Vorgesetzten den größten Dienst leisten, den ihm ein Sterblicher in diesem Augenblicke leisten kann!«

»Merkwürdig! Und was liegt Ihnen daran, ob ihm ein Dienst geleistet wird oder nicht? Ihnen – in Ihrer Lage?«

»An Ihrem General liegt mir nichts, aber an einer andern Person, für die ich nicht handeln kann, ohne auch Ihrem General zu nützen.«

»Nun, so treten Sie,« sagte Lesaillier zögernd, doch betroffen von dem Ernst, womit Wilderich sprach, »treten Sie dort ein.«

Sie waren unten auf dem Flur angekommen, und Lesaillier deutete auf die Tür, die links von der Haustür in einen Raum führte. Wilderich trat ein, Lesaillier folgte ihm, während auf seinen Wink die Soldaten vor der Tür blieben.

»Also was wollen Sie?« fragte der Kapitän, nachdem sich die Tür hinter ihnen geschlossen, herrisch und wie über seine eigene Nachgiebigkeit verdrossen. »Reden Sie!«

Es standen im Hintergrunde des Zimmers ein paar Offiziere und einige Leute in Zivil zusammen; Wilderich trat also in die erste Fensternische, wo er ungehört sprechen konnte.

»Was ich will,« sagte er, »ist die Freiheit auf dreißig bis sechsunddreißig Stunden, gegen mein Ehrenwort, daß ich nach Verlauf dieser Zeit mich wieder zur Haft stellen werde.«

»Ah!« rief der Kapitän, halb verwundert, halb spöttisch aus.

»Und Sie werden mir die Freiheit geben,« fuhr Wilderich fort, »wenn –«

»Wenn ich gesehen habe, daß Sie ein Narr sind, der unzurechnungsfähig ist und den man deshalb laufen läßt, wollen Sie sagen!«

»Nicht doch, Sie werden mir die Freiheit für so kurze Zeit geben, wenn ich Ihnen einen Preis dafür biete, den Sie nicht ausschlagen werden.«

»Und dieser Preis wäre?« sagte achselzuckend der Kapitän.

»Es ist eine ganz geheime Korrespondenz der Frau des Schultheißen mit Ihrem General.«

»Teufel, die hätten Sie?«

»Sie ist in meine Hände gefallen mit dem im Spessart aufgehobenen Fourgon des Generals.«

»So werde ich sie Ihnen einfach abnehmen lassen.«

»Das können Sie nicht, denn ich trage sie nicht bei mir.«

»Wo ist sie?«

»Sie werden da« erfahren nach meiner Freilassung.«

»Ich soll Sie freilassen auf Ihr bloßes Wort hin, daß Sie diese Briefe besitzen, an deren Wiedererlangung allerdings dem General gelegen sein mag!«

»Sie werden das,« fiel Wilderich ein; »diese Briefe werden sonst veröffentlich werden und die Welt wird erfahren, daß die Verfolgung des Schultheißen Vollrath durch den General eine Handlung der allerniedrigsten und verächtlichsten Privatleidenschaft war. Wenn sich der General daraus am Ende nichts machen sollte, so wird die Frau, um deren Ruf es sich handelt, desto mehr Wert darauf legen, nicht so bloßgestellt zu werden!«

Der Kapitän sah Wilderich eine Weile nachdenklich an.

»Aber was wollen Sie denn eigentlich, daß geschehe?« sagte er dann. »Sie können doch unmöglich begehren, daß man Sie so ohne weiteres und auf das gütige Versprechen hin, daß Sie jene Briefe ausliefern wollen, laufen lasse?«

Wilderich unterbrach ihn, indem er zu dem Tische im Hintergrunde des Raumes, auf welchem sich Schreibmaterialien befanden, schritt und ein Blatt nahm, um hastig einige Worte daraufzuschreiben.

»Was schreiben Sie da?«

Wilderich gab das Blatt an den Kapitän. Dieser las die Worte:

»Geben Sie die Briefe, welche ich Ihnen anvertraute, an den Überbringer dieser Zeilen. Wilderich Buchrodt.«

»Nun,« fragte der Kapitän, »an wen ist dieser Zettel gerichtet?«

»Geben Sie mir die Freiheit, dann gebe ich Ihnen die Adresse! Mein Ehrenwort darauf gegen Ihr Ehrenwort!«

»Gut denn,« versetzte Lesaillier, »ich will zum General gehen und ihn entscheiden lassen. Sind Sie damit einverstanden?«

»Völlig! Aber eilen Sie!«

Der Kapitän ging. Nach wenigen Minuten kam er zurück. Auf die Schwelle des Zimmers tretend, winkte er Wilderich zu sich. Dieser trat auf ihn zu.

»Kommen Sie,« sagte Lesaillier, »die Adresse, dann können Sie gehen, wohin Sie wollen!«

»Ihr Ehrenwort, daß mich niemand hindern wird?«

»Sie haben es. Stellt sich jedoch heraus, daß die Adresse, die Sie geben, eine falsche ist, daß sie uns hintergehen wollen, so wird man Ihrer schon wieder habhaft werden und Sie füsilieren.«

Nachdem Lesaillier diese Antwort gegeben, wandte er sich durch die offene Tür zum Flur zurück und sagte zu den zwei Soldaten, welche als Posten sich davor aufgestellt hatten: »Ihr könnt gehen, Leute, der Mann hier ist frei.«

»Also die Adresse!« wandte er sich dann an Wilderich zurück.

»Übergeben Sie den Zettel an Fräulein Benedicte Vollrath!« antwortete Wilderich.

»Die Briefe sind in ihren Händen?«

»So ist es, Herr Kapitän. Und nun auf Wiedersehen!«

Wilderich grüßte leicht und schritt davon. Der Kapitän eilte mit seinem Zettel zum General hinauf, den er umdrängt von Menschen und Geschäften oben in seinem Zimmer und wie einen zornigen Löwen dazwischen auf- und abrennend fand.


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