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XVII. Kapitel.
Die Stunden vor dem Urteil.

Der Stimmungsumschwung, den die heutige Vormittagsverhandlung im großen Publikum hervorgebracht hatte, wurde Lady Montauban deutlich vor Augen gebracht, als sie sich mit den Geschwistern von Weiße und dem Baron im Speisesaal des Hotels niederließ. Während die Kellner bisher getrachtet hatten, ihr jeden Wunsch aus den Augen abzulesen, bedurfte es der ganzen Autorität ihrer männlichen Begleiter, um überhaupt einen dienstbaren Geist an den Tisch heranzubringen. Erst als Gerhard den Geschäftsführer herbeigerufen und ihm die Leviten gelesen hatte, gaben sich die Kellner etwas mehr Mühe, ihre Gefühle nicht so offen zur Schau zu tragen.

Daß Lady Winifred selbst genau wußte, wie sehr ihr die Aussagen ihres Stiefsohnes geschadet hatten, verriet sie durch ihr nachdenkliches Wesen, das sie während des ganzen Mahles aufrecht erhielt. Hans-Lothar versuchte krampfhaft, sie auf andere Gedanken zu bringen, ohne sich selbst darüber klar zu werden, daß auch er durch die schädlichen Aussagen beeinflußt worden war. Vergebens hatte er sich vor Augen gehalten, daß es mit seiner Liebe zu Lady Winifred nicht zu vereinbaren sei, an ihrer Schuldlosigkeit zu zweifeln. Die klipp und klaren Aussagen des zweiten Sohnes Lord Montaubans hatten auch auf ihn ihren Eindruck nicht verfehlt. Um wieviel stärker mußten sie auf die gleichgültigen Geschworenen gewirkt haben. Er hatte jede Hoffnung auf einen Freispruch verloren. Und wenn man Lady Winifred wohl auch kaum wegen Beihilfe zum Mord verurteilen konnte, so genügte schon eine mehrjährige Gefängnisstrafe wegen Mitwisserschaft oder Duldung eines Mordes, um das Band zwischen ihm und ihr für immer zu zerreißen. Niemals hätte Hans-Lothar es gewagt, seinen Eltern eine Schwiegertochter ins Haus zu bringen, die eines derartigen Verbrechens für schuldig befunden worden war.

Liddy hingegen glaubte nicht einen Augenblick an Winifreds Schuld. Alles würde sich aufklären. Nichts würde übrig bleiben, was auch nur einen Schatten von Verdacht auf der künftigen Schwägerin ruhen lassen würde. Was sie, Liddy, glaubte, war auch Gerhard von Lersdorffs Glaubensbekenntnis. Er hielt Winifred für schuldlos, ganz gleich, wieviel und welche Aussagen irgendein Belastungszeuge noch machen würde. Was er jedoch nicht verstand, war die merkwürdige Zurückhaltung, die Sir Malcolm, sonst als schärfster Verteidiger Londons bekannt, dem Zeugen Grosvenor gegenüber bewiesen hatte. Statt ihn in die Zange des Kreuzverhörs zu nehmen, verzichtete er auf jeden Versuch, den Zeugen in seinen bisherigen Aussagen schwankend zu machen. Dadurch schien er zu bestätigen, daß er dem, was Grosvenor vorgebracht hatte, Glauben schenkte, ohne zu trachten, den schlechten Eindruck, der für die Angeklagte entstanden war, zu zerstreuen.

Diesen Zweifeln gab von Lersdorff Ausdruck, als eben der Kaffee gereicht wurde. Sonst war jedes Gespräch, das sich mit dem Prozeß befaßte, an diesem Tisch verpönt. Heute aber und angesichts der noch für diesen Tag zu erwartenden Entscheidung, brach Gerhard als erster den von ihm selbst auf diesen Gesprächsstoff gelegten Bann.

»Machen Sie sich über den Ausgang dieses Prozesses keine Sorgen, Lady Winifred. Bei derartigen Dingen gibt es immer ein Auf und Nieder. Man muß eben die Lage der Staatsanwaltschaft berücksichtigen. Mit dem Material, das sie bis heute morgen gegen Sie ins Gefecht gebracht hat, würde sie nie und nimmer eine Anklageerhebung erreicht haben. Der Zeuge Grosvenor war scheinbar ihr größtes Geschütz.«

»Ich kann nicht verstehen, was Sir Malcolm mit seiner Zurückhaltung bezweckte«, warf Hans-Lothar ein. »Sicherlich hätte er durch ein geschickt geführtes Kreuzverhör den Zeugen und den Eindruck, den dessen Aussagen zweifellos hervorbrachten, erschüttern können. Er hat es jedoch von vornherein unterlassen, irgendwelche Zweifel an den Aussagen Grosvenors zu erregen und dadurch, meines Erachtens, Lady Winifred dem großen Publikum gegenüber in eine schiefe Lage gebracht. Die heutigen Mittagszeitungen sind ja der beste Beweis dafür. Keine einzige von ihnen hat noch ein Wort der Sympathie für Winifred übrig.«

»Du selbst, Hans-Lothar, zweifelst nunmehr auch, nicht wahr?« mischte sich Winifred ins Gespräch und musterte ihren Bräutigam mit einem langen Blick. Als er sie unterbrechen wollte, um zu protestieren, winkte sie ab: »Nein, Hans-Lothar, du brauchst dir keinen Zwang anzutun. Ich nehme dir deine Zweifel nicht übel. Vielleicht würde auch ich, befändest du dich in meiner Lage, mich der Zweifel nicht erwehren können, obwohl wir Frauen zu den Männern, denen wir unser Herz schenkten, in allen Lebenslagen halten. Nicht darum handelt es sich, sondern um deine Zukunft. Nach der heutigen Vormittagsverhandlung ist, treten nicht ganz besondere Umstände ein, die das trübe Bild verbessern, das sich das Gericht unzweifelhaft von mir machte, mit einer Verurteilung bestimmt zu rechnen. Eine Frau, die sich, wie es dem Publikum erscheint, erst an einen alten Mann verkauft und dann, drei Monate nach der Hochzeit, sich von einem Schauspieler eine Liebeserklärung machen läßt, ohne den Frechen aus dem Haus zu werfen, wird schon von vornherein jedes Verbrechens für fähig gehalten. Kommen noch, wie in diesem Fall, die Drohungen, die Macdonald gegen meinen Gatten ausstieß, dazu, so wird wohl kein Mensch zwischen Worten und Taten den notwendigen Unterschied machen wollen. Ich gebe dir dein Wort zurück, Hans-Lothar. Werde ich verurteilt, dann muß ich meine Strafe auf mich nehmen. Nicht, weil ich mich irgendwie schuldig fühle, sondern weil ich Vermessene es auf mich nahm, mein Schicksal ohne Rücksicht auf Herkommen selbst zu formen. Eine Zwanzigjährige soll keinen Greis heiraten, und ganz besonders nicht nur um irdischer Schätze willen.«

Sie erhob sich und schritt langsam und gemessen wie eine Königin dem Ausgang zu.

Am Tisch herrschte nach ihrem Aufbruch tiefes Schweigen. Hans-Lothar konnte sich, obwohl er es bedauerte, daß ihm Winifred keine Gelegenheit zur Beteuerung seines festen Glaubens an ihre Schuldlosigkeit gegeben hatte, eines leisen Gefühls der Erleichterung nicht erwehren. Sie hatte ihm ihr Wort zurückgegeben? Gut, wurde sie schuldig gesprochen, dann konnte er darauf verweisen, daß ihn keinerlei Bande mit der Schuldiggesprochenen mehr verknüpften. Wurde sie freigesprochen, dann war es immer noch nicht zu spät, sich ihr wieder zu nähern und ihr zu versichern, daß er niemals auch nur mit einer Faser an ihre Schuld geglaubt hätte.

Liddy bedauerte den Bruch. Ihr war Winifred sympathisch geworden. Auch angesichts aller Indizien glaubte sie nicht an eine Schuld der Ex-Schwägerin, obwohl auch sie sich nicht verhehlte, daß die Lage nicht allzu rosig aussah.

Nur Gerhard von Lersdorff sah in den Worten Winifreds den klarsten Beweis dafür, daß man ihr mit dem Verdacht unrecht getan hatte. Aber auch er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Lady Winifred zum mindesten leichtsinnig gehandelt hatte, als sie sich mit Macdonald im Park ein Rendezvous gab. Nicht etwa, daß Gerhard glaubte, zwischen ihr und dem Schauspieler hätten irgendwelche zweideutige Beziehungen bestanden. Nein! Aber gerade in der Lage, in der sich Lady Winifred durch ihre unüberlegte Heirat mit dem Greis Montauban befand, mußte sie ganz besonders vorsichtig handeln, um jeder Verleumdung von vornherein die Spitze abzubrechen.

Als bald darauf Sir Malcolm im Speisesaal erschien, um seine Mandantin zum letzten Akt dieses Dramas nach dem Kriminal-Gericht zu begleiten, fand er eine ziemlich einsilbige Gesellschaft vor, die auch auf seine wiederholten Fragen nach den Gründen der üblen Stimmung keine einleuchtende Auskunft gab. Hans-Lothar antwortete gar nicht, denn er hatte es dem Verteidiger übel genommen, daß er dem Zeugen Grosvenor gegenüber so schnell die Waffen gestreckt hatte. Liddy verstand von den Gepflogenheiten der englischen Gesetze zu wenig, um sich der Tragweite des Verzichts Sir Malcolms klar geworden zu sein. Der rasche Aufbruch Winifreds beschäftigte sie noch zu sehr, um dem Anwalt mehr als einen kurzen Gruß zu widmen. Nur Baron von Lersdorff erkundigte sich nach den Gründen, die den Verteidiger veranlaßt hatten, den Zeugen ungeschoren die Zeugenbank verlassen zu sehen.

»Ich sah keinerlei Resultat voraus, wenn ich den Zeugen ins Kreuzverhör genommen hätte. Heute nachmittag aber werde ich mir den Mann nochmals vornehmen und London die größte Ueberraschung bieten, die diesem Klatschnest jemals zuteil werden konnte« war alles, was Sir Malcolm auf die vielen Fragen des Barons zu erwidern hatte. Ihm schien es gleichgültig zu sein, welche Schlüsse man aus seinem heutigen Vorgehen zu ziehen geneigt war. In seiner Tasche ruhte wohlverwahrt der Brief, der ihn von seiner Absicht, dem Zeugen Grosvenor heute vormittag fester aufs Korn zu nehmen, abgebracht hatte.

Eine halbe Stunde später betrat Lady Winifred in Begleitung von Hans-Lothar, ihrem Anwalt und dem jungen Paar wieder den Verhandlungssaal. Der Vorhang zur letzten Szene konnte aufgehen.


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