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II. Kapitel.
Lady Winifred Montauban.

Fahrplanmäßig hatte die »Montana« in Southampton angelegt und ihre Passagiere an Bord genommen. Eine Stunde später befand sie sich bereits auf dem Weg nach Boulogne-sur-Mer, wo gleichfalls ein kurzer Postaufenthalt vorgesehen war. Das erste Diner mit der kompletten Passagierzahl sollte sofort nach dem Verlassen des französischen Hafens serviert werden. Weder von Lersdorff, noch die Geschwister, hatten es der Mühe für wert befunden, das Anbordkommen der englischen Passagiere zu beobachten. Erst als die »Montana« sich mit dreimaligem Sirenenruf vom letzten französischen Hafen verabschiedet hatte und Quessant zusteuerte, wurde zum Mahl gerufen.

Die hors d'oeuvres wurden bereits herumgereicht, als endlich die so viel besprochene und besonders von Hans-Lothar von Weiße sehnsüchtig erwartete Lady Montauban am Eingang zum Saal auftauchte. Kurz darauf wurde sie vom Obersteward an ihren Platz am Tisch der drei geführt.

Als erster stellte sich von Lersdorff vor; ihm folgte Hans-Lothar, während Liddy wartete, bis der neue Gast Platz genommen hatte. Dann nannte auch sie ihren Namen, der von der anderen mit leichtem Kopfnicken quittiert und durch Nennung des eigenen erwidert wurde.

Auch die übrigen Passagiere mochten erfahren haben, welcher berühmt-berüchtigter Zuwachs zu erwarten war, denn verstohlen richteten sich die Blicke sämtlicher Anwesenden auf die neue Passagierin. Diese aber schien von der durch sie erregten Aufmerksamkeit nicht sehr entzückt. Sie durchschritt den Salon, ohne nach rechts oder links zu blicken.

Als sie den ihr zugewiesenen Tisch erreicht hatte, war Hans-Lothar der erste, der sich von ihrem Liebreiz in Bann schlagen ließ. Auch auf Baron von Lersdorff, der sich ihrer dunkel erinnerte, verfehlte ihre Schönheit nicht, Eindruck zu machen. Allerdings war er in seiner sorgfältig im Herzen verschlossenen Liebe zu Liddy von Weiße gegen alle neuen Eindrücke gewappneter als sein junger Schützling.

Lady Winifred Montauban mochte dreiundzwanzig Jahre alt sein. Sie bot ein Bild typischer englischer Frauenschönheit. Aus dem blendend-kremigen Teint des feingeschnittenen Gesichts starrten zwei dunkelgraue Augen wie verwundert in die Welt. Ueber dem mollig geformten Kinn, das in der Mitte durch ein entzückendes Grübchen in zwei Teile gespalten wurde, schimmerten hinter naturroten Lippen zwei gleichmäßige Zahnreihen, die in ihrem matten Glanz ausgewählten Perlen glichen. Die Nase war klein und zierlich und von edelstem Schnitt. Die Nüstern bebten ein wenig, das einzige Zeichen von Nervosität, das verriet, wie wenig gleichgültig die junge Dame im Grund gegen die Neugier der übrigen Passagiere geblieben war. Die Stirn war hoch und verriet Intelligenz; die kleinen Ohren waren hinter dem aschblonden, im Licht der elektrischen Birnen wie gesponnenes Gold glänzenden Haare kaum sichtbar. Gekleidet war Winifred in zartrosafarbenen Crêpe Georgette, der den rassigen Körper mehr enthüllte als verbarg.

Hans-Lothar starrte sein Gegenüber beinahe ungezogen an. Ihre Erscheinung erinnerte ihn an ein Gemälde Gainsboroughs, das er vor Monaten in einer Gemäldegallerie hatte bewundern dürfen.

Auch der Eindruck, den der Neuankömmling auf die übrigen Passagiere gemacht hatte, ließ nichts zu wünschen übrig.

Im Augenblick ihres Erscheinens flogen ihr die Herzen und Sympathien junger, älterer und ältester Herren wie zahme Vögel zu, bereit, ihr Los aus der zarten Hand der schönen Engländerin zu empfangen. Andererseits glaubten die Damen ihre Vermutungen bestätigt zu sehen, daß man es bei diesem neuen Passagier mit einer raffinierten Kokotte zu tun hätte. Alle anwesenden Angehörigen des weiblichen Geschlechts aber mußten neidlos zugeben, daß vor Winifreds Liebreiz ihre Schönheit wie Sterne vor der aufgehenden Sonne verblassen würde.

In Hans-Lothars Herzen ging zuerst die große Wandlung vor. Vor allen Dingen schwelgte er in dem Gedanken, daß ihm beschieden war, sich an dieser herrlichen Frauenschönheit zu weiden und das während der ganzen Reise. Er hatte aus den Schilderungen des Steward und des Barons zu schließen geglaubt, daß Lady Winifred Montauban eine Art Sirene war, die ihre Opfer durch ihren Liebreiz fesselte, um sie dann zu vernichten. Nun aber war er fest davon überzeugt, daß im Scheidungsprozeß Montauban allein der greise Gatte die Schuld tragen mußte. Er hatte es eben nicht verstanden, sich dieses Kleinod zu bewahren. Er durfte sich auch nicht wundern, daß der Glanz seines Hauses getrübt worden war. Auch von Lersdorff konnte sich dem Einfluß der Schönheit Winifreds nicht ganz entziehen, wenn er auch nicht in dem Maß wie Hans-Lothar davon betroffen worden war.

Liddy jedoch behielt als Einzige ihre Urteilskraft. Verstohlen musterte sie unter gesenkten Lidern hervor die neue Tischgenossin. Das Resultat war für die Lady nicht ungünstig. Schneller als man vermutet hätte, kam das Gespräch in Gang.

Hans-Lothar brach als erster das etwas verlegene Schweigen, das beim Erscheinen Lady Winifreds am Tisch eingetreten war:

»Es sind wohl ziemlich viele Passagiere hier in Southampton an Bord gegangen, wie?« fragte er sein reizendes Gegenüber.

Lady Winifred nickte.

»Meist wohl junge Kaufleute, die von Uebersee nach England kamen, um sich Frauen mitzunehmen«, erwiderte sie. Der Wohllaut ihrer Stimme entsprach ihrem Liebreiz. Sie sprach langsam, jede Silbe betonend, als wolle sie sich ihre Sätze, ehe sie sie aussprach, genauestens überlegen. Dann wandte sie sich an Baron von Lersdorff, der eifrig beschäftigt war, den eben servierten Fisch zu zerlegen. »Sie fahren nach Rio de Janeiro, Herr Baron?«

»Noch etwas weiter, Mylady. Bis Montevideo.«

»Ich freue mich, daß ich, da wohl die jungen Herrschaften hier ebenfalls bis Montevideo fahren werden, so angenehme Gesellschaft in Aussicht habe. Mein Ziel ist Buenos Aires.«

»Mylady reisen sicherlich nur, um Land und Leute kennen zu lernen«, mischte sich Hans-Lothar ins Gespräch.

Sie warf ihm einen kurzen Blick zu.

»England hinterläßt bei mir keine sehr angenehmen Erinnerungen. Ich entschloß mich aber, Südamerika aufzusuchen, um ausfindig zu machen, ob auch dort die Menschen einer des anderen Teufel zu sein versuchen.«

Die Bitterkeit drückte sich so deutlich in ihrer Stimme aus, daß Hans-Lothar beinahe gerührt war.

»Der neue Kontinent darf sich glücklich schätzen, Sie empfangen zu dürfen, Mylady«, drechselte er sein schönstes Kompliment.

Lersdorff verzog angesichts dieser greifbaren Schmeichelei seinen Mund zu einer schmerzhaften Grimasse. Liddy lächelte, während das Ziel des Kompliments die Stirn runzelte. Ohne weiter auf die Worte Hans-Lothars einzugehen, wandte sie sich an Liddy:

»Ich hoffe, dort drüben einen weiteren Horizont bei den Menschen zu finden.« Sie sprach nun so laut, daß ihre Worte sicherlich auch an den Nachbartischen gehört worden waren. »Mein Mann ist nach Schottland gereist, um allen Redereien zu entgehen.«

Glaubte die Frau, daß ihre Zuhörer von ihrer Geschichte nichts wußten? Unmöglich. Sie mußte wissen, daß sämtliche englische Zeitungen mit Berichten aus dem Prozeß angefüllt gewesen waren. Gleich darauf verwischte Lady Montauban selbst den Eindruck, den sie durch ihre Worte hervorgerufen hatte: »Seit meinem Scheidungsprozeß liefen mir meine sogenannten Freunde mit ihren Ratschlägen das Haus ein. Ich bekam es satt, das Ziel kritischer oder gieriger Blicke zu sein und reiste kurz entschlossen ab.«

Baron von Lersdorff fand es an der Zeit, der Lady zu erkennen zu geben, daß auch die an diesem Tisch Sitzenden unterrichtet waren. Mit seinen Worten wollte er eine klarere Atmosphäre schaffen.

»Ich erinnerte mich erst Ihres Namens, Mylady, als uns unser Obersteward die Mitteilung machte, daß wir die Ehre haben würden, Sie an unserem Tisch zu sehen. Außerdem war ich, als Sie vor einigen Jahren heirateten, Attaché bei der Deutschen Botschaft in London.«

Es dauerte einige Augenblicke, ehe Lady Montauban die Worte Lersdorffs in ihrer Bedeutung verdaut hatte. Dann aber, als anerkenne sie seinen Takt, nickte sie ihm dankbar lächelnd zu. Hans-Lothar sah sich beiseitegeschoben und beschloß, sich wieder einmal zu rühren:

»Wir stehen in dem Fall völlig auf Ihrer Seite, Mylady«, erklärte er, wenn auch nicht gerade taktvoll, so doch aufrichtig genug. Dann, als habe er erst jetzt seinen »faux pas« bemerkt, errötete er, um gleich darauf noch größere Verwirrung anzustiften: »Als unser Freund, Herr Baron von Lersdorff, hier uns gestern Ihre Geschichte erzählte, Mylady, wunderte ich mich, was eine so liebreizende junge Dame einem alten Mann in die Arme treiben konnte.«

»Hans-Lothar!!« erklang es vorwurfsvoll von Liddys Lippen.

Lersdorff begnügte sich mit einem strafenden Blick auf den Sünder.

Aber die Lady lachte. Sie reichte Hans-Lothar über den Tisch hinweg ihre Rechte, die er herzhaft drückte und länger in seiner Hand behielt, als der gute Ton und die Kürze der Bekanntschaft es gestatteten.

»Es wirkt erfrischend,« meinte Lady Montauban, »endlich einmal offen ausgesprochen zu hören, was die Leute denken. Bisher mußte ich mich nur gegen Getuschel und höhnische Mienen verteidigen. Sie wunderten sich also, Herr von Weiße, was mich dazu veranlaßt haben konnte, den Antrag Lord Montaubans anzunehmen?«

Errötend senkte Hans-Lothar die Lider. Liddy war die Offenheit des Bruders unangenehm. Nun aber, da der Sünder einmal den Fehler begangen hatte, brannte auch sie darauf, authentisch zu erfahren, was diese entzückende Frau veranlaßt haben konnte, Lord Montauban zu heiraten. Gleich darauf wurde ihre Neugierde befriedigt.

»Ich stamme aus ganz kleinen Verhältnissen«, berichtete Mylady. »Mein Vater war Dockarbeiter, die Mutter besorgte Zeitungen und betätigte sich auch als Reinemachefrau. Außer mir waren noch neun Geschwister vorhanden, einige älter, einige jünger. Aus meiner frühen Kindheit erinnere ich mich, daß Vater stets solide und arbeitsam war. Seit dem Krieg jedoch, den er als Artillerist mitmachte, schien er sich das Arbeiten ab- und das Trinken angewöhnt zu haben.« Sie schwieg nachdenklich, als habe sie Zeit und Ort ihrer beabsichtigten Beichte vergessen. Baron von Lersdorff vermied es, ihren Blicken zu begegnen. Er wollte, obwohl auch ihn die Geschichte zu interessieren begann, doch nicht durch stumme Aufforderung zu Ergüssen beitragen, die Lady Montauban später vielleicht bereute. Kurz darauf fuhr diese fort: »Vater trank. Da er selbst arbeitslos war und nur eine kleine Rente als Kriegsteilnehmer empfing, mußte Mutter nicht nur für den Unterhalt der Familie sorgen, sondern auch noch die Mittel für den Vater schaffen, sich einen täglichen Rausch anzutrinken. Ich will es kurz machen. Als ich eben sechzehn Jahre alt war, starb Mutter. Mit ihr ging das Glück aus unserem Hause. Meine älteren Geschwister, die eben zu verdienen angefangen hatten, waren es nachgerade müde geworden, Vater in seinen alkoholischen Orgien durch Hergabe der Mittel zu unterstützen. Wenige Wochen nach Mutters Beerdigung verließ auch ich das Haus und quartierte mich in einem Heim für junge Mädchen ein. Ich hatte auf Mutters Wunsch Handelsschulkurse besucht und fand auch bald eine Stellung. Anträge, wie sie wohl keinem jungen Mädchen in meiner Lage erspart bleiben, vertrieben mich von meinem ersten Posten im Büro eines Baumeisters. Ich suchte und fand in einem Kaufhaus eine neue Stellung, erst als Stenotypistin, später, vor etwa zwei und einem halben Jahr, als Sekretärin des Direktors. Von meinem Gehalt trug ich einen Teil zum Unterhalt des väterlichen Haushalts bei. Die wenigen Schillinge, die ich beisteuerte, genügten, um mit dem, was meine anderen auch verdienenden Geschwister gaben, meine jüngeren Brüder und Schwestern vor Hunger und Obdachlosigkeit zu bewahren. Vater hingegen setzte mit den gelegentlichen Schillingen, die er verdiente, sein Leben wie bisher fort. Nur selten kamen wir Aelteren noch mit ihm zusammen.«

Wieder machte Mylady eine Pause, während der sie sich durch einen Schluck Wein stärkte. Sie hatte wie ein Automat gesprochen, leise, gleichmäßig, ohne jedes Anzeichen, daß dieses Schwelgen in Erinnerungen sie irgendwie erregte. Jetzt aber, da sie sich dem Zeitpunkt ihrer Bekanntschaft mit Lord Montauban näherte, färbte sich ihr ebenmäßig elfenbeinerner Teint mit einer leichten Röte.

»In meiner Stellung als Sekretärin mußte ich hin und wieder bei Aufsichtsratssitzungen anwesend sein, um das Protokoll zu führen. Im Jahre 1929 lernte ich bei einer solchen Zusammenkunft Lord Montauban kennen. Ich sehe davon ab, die Anträge zu erwähnen, die er mir im Anfang seiner neuentdeckten Leidenschaft für mich machte. Sie waren samt und sonders derartig, daß sie mir die Schamröte ins Gesicht trieben. Endlich wurde ihm wohl bewußt, daß er mir gegenüber den Bogen überspannt hatte. Er lenkte ein. Nun folgte sein erster Heiratsantrag, den ich lachend ablehnte. Aber ich kannte seine Energie nicht, obwohl ich mir angesichts seines selbst erworbenen Reichtums hätte sagen müssen, daß ein schwächlicher Charakter es niemals zu solchen Erfolgen wie er gebracht haben könnte. Diese Unterschätzung seiner Tatkraft und Zielbewußtheit war mein Verderben. Nach einigen Monaten, in denen ›Nadelstiche‹ und ›Auf den Händen tragen‹ abwechselten, war ich kirre geworden.«

»An Ihrer Stelle hätte ich ihn geohrfeigt«, warf Liddy empört ein. Zum erstenmal in ihrem sorgsam von den Eltern behüteten Dasein bekam sie einen Einblick in die Tragödien, die sich in armen Volkskreisen tagtäglich abspielten.

»Geohrfeigt?« wiederholte Mylady. »Das hätte mich meine Stellung gekostet und mich zum Ruin getrieben. Gerade damals begann die Arbeitslosigkeit auch in meinem Beruf überhandzunehmen. Eine fristlose Entlassung hätte das Ende meiner Karriere bedeutet. Ich aber wollte es zu etwas bringen. Nur zu deutlich stand das Martyrium vor mir, das einer armen Frau im Leben blühte. Hatte ich denn nicht das Beispiel meiner Mutter vor Augen? Lord Montauban hatte es verstanden, sich die Unterstützung, ja die Beihilfe meines direkten Chefs zu sichern. Auf diese Weise bekamen sie mich mürbe. Ich gab Lord Montauban mein Jawort.«

Mit Mühe beherrschte sie sich. Dann fuhr sie in ruhigem und gleichmäßigem Ton wie bisher fort:

»Mein künftiger Gatte wünschte eine kurze Verlobungszeit. Infolgedessen fand die Hochzeit schon nach sieben Wochen statt. Ausstattung trug ich auf meinem Leib. Meine Mittel hatten zu keinem Luxus und Neuanschaffungen gereicht. Mit Geld versorgte mich mein Bräutigam zur Genüge. Ich benützte einen Teil, um meinen unmündigen Geschwistern ein leichteres Dasein zu sichern. Sie wenigstens«, setzte sie verhalten lächelnd hinzu, »haben aus meinem Martyrium einigen Vorteil gezogen. Nach der Trauung zeigte sich mein Mann zum erstenmal von der Seite, die mich meinen Entschluß, ihm anzugehören, immer hat bereuen lassen. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, daß meine Hochzeitsreise nicht nur eine Komödie, sondern eine wirkliche Tragödie wurde. Die Zumutungen meines Mannes überstiegen das Maß dessen, was ich in dieser Beziehung für möglich gehalten hätte. Vor der Abreise lernte ich einen jungen Schauspieler kennen, Harry Lewis Macdonald vom Covent Garden Theater. Ich schloß mich ihm später, da ich an der Seite meines Mannes immer mehr vereinsamte, an. Das war Wasser auf die Mühle Lord Montaubans. Er sparte nicht mit Andeutungen und Anzüglichkeiten, die, ich schwöre es Ihnen, nicht die geringste Berechtigung hatten. Mein Umgang mit Harry Macdonald war harmlos. Nicht ein Wort fiel dabei, das als für eine jungvermählte Frau unpassend bezeichnet werden konnte.«

»Ich beneide Sie um Ihre Ehe nicht, Mylady«, sprach Liddy, herzlicher, als sie der anderen gegenüber bisher gesprochen hatte.

»Beneiden? Ich durchlebte eine Hölle. Am Neujahrstag empfingen wir. Sie wissen vielleicht, daß mich die Londoner Gesellschaft so gut wie links liegen ließ. Man schrieb mir Materialismus zu. Gott, wie konnte man auch auf andere Gedanken kommen. Eine junge Frau heiratet einen Mann, der Millionen besitzt, aber an der Schwelle des Grabes steht. Die Kinder meines Mannes bezeichneten mich offen als Erbschleicherin, obwohl ich nie auch nur mit einem Gedanken an derartiges gedacht hatte. Gewiß, ich wollte, falls mein Mann eher als ich sterben sollte, genügend haben, um bescheiden leben zu können. Meinen Stiefkindern aber ihr Erbteil zu entziehen, kam mir nicht einmal in den Sinn. Die von ihrer Seite gegen mich in der Gesellschaft und bei ihrem Vater betriebene Hetze zeitigte die gewünschten Erfolge. Ich war eine Paria geworden. Nur Harry Macdonald und einige seiner Freunde verkehrten bei mir. Am Neujahrstag also, bei dem erwähnten Empfang, schlug Macdonald die Aufführung eines kleinen Theaterstückes vor.«

»Wenn Ihre Schilderung Sie zu sehr erregt, Mylady,« warf von Lersdorff ein, »dann brechen Sie sie bitte ab. Das, was Sie uns bisher mitteilten, genügt, um uns zu einer anderen Auffassung dieses Falles zu bringen.«

»Nein, Sie sollen alles hören«, widersprach die Lady. »Es wird mir eine Erleichterung sein, sympathischen Menschen das Martyrium zu schildern, das ich, statt des mir zugeschriebenen ›Glückes‹, auszukosten hatte. Vielleicht haben die Schauspieler bei der Aufführung zu viel Lärm gemacht, vielleicht auch begrüßte mein Mann die Gelegenheit, mit mir ins Reine zu kommen, kurz, als Harry Macdonald eben mir, der Heroine des Stückes, eine leidenschaftliche Liebeserklärung machte, öffnete sich unvermutet die Tür, und herein traten mein Mann mit zweien seiner Söhne. ›Ich hatte bisher an das, was man mir zugetragen, nicht geglaubt‹, sprach er beißend. ›Nun aber bin ich wohl oder übel gezwungen, meinen Berichterstattern Glauben zu schenken‹, meinte er höhnisch, während er auf den immer noch vor mir knieenden Macdonald wies. ›Hinaus!‹ rief er den Gästen zu. ›Mein Haus ist kein ...‹ Der Ausdruck, den er gebrauchte, war so entsetzlich, daß Macdonald aufsprang und ihm drohte, ihn zu ohrfeigen, wenn er die Beschuldigung nicht sofort zurücknähme. Nur den Bemühungen seiner Freunde verdanke ich es, daß es nicht sofort zu einer Schlägerei zwischen meinem Mann und meinen Stiefsöhnen einerseits, und Harry andererseits kam. Nach vierzehn Tagen, während denen ich meinen Mann nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekam, wurde mir eine Scheidungsklage zugestellt. Durch Verhandlungen der Anwälte wurde mir eine lebenslängliche Rente von dreitausend Pfund jährlich zugesichert, die ich, solange ich ledig blieb, in vierteljährlichen Raten, wo immer ich mich aufhielte, ausgezahlt bekommen sollte. Im Fall meiner Verheiratung würde die Zahlung eingestellt. Da ich drohte, im Gerichtssaal meine Erfahrungen an der Seite meines Mannes bekannt zu geben, gewährte man mir das Recht, den Namen meines Mannes weiterzuführen. Wäre es zu einem wirklichen, von mir widersprochenen Gerichtsverfahren gekommen, ich glaube kaum, daß mein Mann mit seiner Klage Erfolg gehabt hätte. So aber war ich, da ich mich unschuldig fühlte und meine Interessen gewahrt hatte, froh, als ich geschieden war. Meine Verwandtschaft von meines Mannes Seite konnte es sich nicht verkneifen, mir durch Veröffentlichung des Scheidungsurteils einen Partherpfeil nachzusenden, wohl damit rechnend, daß, wirft man einmal mit Schmutz, doch immer etwas davon an dem Beworfenen kleben bleiben würde. Man hat sich, wenn ich aus den Blicken, die mich bei meinem Eintritt hier begrüßten, schließen soll, in dieser Vermutung wohl auch kaum getäuscht. Am siebzehnten, also vor neun Tagen, wurde meine Ehe geschieden. Ich ließ mir an Bord des nächsten, nach Südamerika abfahrenden Dampfers, eben der ›Montana‹, eine Kabine reservieren, um zu reisen und hauptsächlich, um Gras über die Geschichte meiner Ehe wachsen zu lassen. – Ob es mir gelingen wird?«

Die andern Passagiere hatten den Speisesaal schon verlassen. Nun erhoben sich auch die an Lady Montaubans Tisch Sitzenden. Liddy streckte der Geschlechtsgenossin, die vom Leben so mißhandelt worden war, die Hand hin:

»Lassen Sie uns Freundinnen werden, Winifred.«

Die beiden Frauen küßten einander.

»Ich danke Ihnen, Liddy«, erwiderte Mylady gerührt.

»Auch auf mich dürfen Sie in jeder Beziehung rechnen«, erbot sich der Baron.

Nur Hans-Lothar schwieg. Aber der Blick, dem Lady Montauban aus seinen Augen begegnete, sprach Bände. In ihm lag es wie eine Verheißung auf eine frohe Zukunft, auf Glück und Frieden auch für diese mißhandelte Frau.


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