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XI. Kapitel.
Eine Ueberraschung für Liddy.

Auf dem Weg zur Wohnung Hans-Lothars tauschten die Wiedervereinten nur wenige Worte aus, die sich auf den Prozeß bezogen. Der überraschende Freilassungsbeschluß des Vorsitzenden prophezeite Gutes. Wenn keine unangenehmen Zwischenfälle eintraten, konnte Lady Montauban mit einem glatten Freispruch rechnen. So zerbrachen sich die beiden Glücklichen diesmal auch wenig die Köpfe, was wohl die weiteren Verhandlungstage bringen würden. Sie hatten mit ihrer Liebe und ihrem künftigen Glück genug zu tun.

Als Hans-Lothar die Halle des Hotels betrat, blieb er wie vom Blitz getroffen stehen. Seine Blicke hafteten unverwandt auf einem Herrn, der in einem der zahlreich vorhandenen Klubsessel Zeitung las. Hans-Lothar wischte sich über die Augen, als traue er ihnen nicht.

Nun blickte der Beobachtete auf. Er erhob sich und schritt, die Rechte zum Gruß ausstreckend, auf das überraschte Paar zu.

»Ja, ja, meine lieben Freunde, die Tage der Wunder sind noch nicht vorüber«, sagte Baron von Lersdorff, denn er war es, der da so unvermittelt aufgetaucht war. »Ich bin's, in hocheigener Person.«

»Sie? Baron von Lersdorff?« stotterte Lady Montauban.

»Gerhard??«

»Ich muß dir danken, lieber Schwager,« versetzte der Baron lächelnd, »– – ich darf dich doch du und Schwager nennen, nicht wahr? Dein Brief jedenfalls verriet mir, daß du mir dazu die Berechtigung erteilst – – – du hast mir endlich die Augen geöffnet. Ich alter, schüchterner Esel wäre vielleicht noch Monate, ja jahrelang an meinem Glück vorbeigewandert. Wie geht es Ihnen, Mylady? Ich habe bereits von Ihrer Freilassung gehört. Hier die Abendzeitung berichtet schon davon.«

»Wo kommst du her, Gerhard, mein lieber Junge?« fragte Hans-Lothar noch immer zweifelnd.

»Ich erhielt deinen für mich so aufschlußreichen Brief, mein Junge,« fuhr der andere fort, »als ich mich gerade auf einer Dienstreise durch die argentinische Provinz Misiones befand. Ich kabelte um Urlaub an das Auswärtige Amt, erhielt ihn, ließ Misiones und Dienst links liegen und raste, so schnell mich der vorsintflutliche Ford tragen wollte, nach Montevideo. Auch hier hatte ich wieder Glück. Ein Studienfreund befand sich gerade mit seiner Yacht im Hafen und nahm mich auf meine Bitte nach Brest mit. Gestern kamen wir an; um nicht im letzten Augenblick alles auf's Spiel zu setzen, sah ich davon ab, hierher zu fliegen. Vor einer knappen Stunde landete ich in London. Nun stehe ich vor dir, um dich zu fragen, ob du dich bestimmt nicht getäuscht hast, als du mir – – nun, du weißt, was ich meine, Hans-Lothar!«

»Das nennt man Liebe«, lachte Lady Montauban. »Nimm dir ein Beispiel an deinem künftigen Schwager. Zehntausende Meilen hat er zurückgelegt, um in die Arme seiner Angebeteten zu eilen.«

Die beiden Herren stimmten in die Heiterkeit Winifreds ein. Plötzlich wurde der Baron wieder ernst:

»Nun ich hier bin,« jammerte er, »fehlt mir der Mut. Ich wage mich garnicht zu Liddy hinauf. Ich habe übrigens deinen Eltern halb und halb reinen Wein eingeschenkt, denn auf die Dauer konnte ich ihnen Eure Eskapade doch nicht verheimlichen. Allerdings gab ich vor, daß Ihr Euch nach England begeben hättet, weil ich auf das bestimmteste erwartete, Euch dort baldigst Gesellschaft leisten zu können. Was ja auch wahr geworden ist,« setzte er schmunzelnd hinzu.

»Sobald das Urteil in diesem Prozeß gefällt ist, fahren wir alle nach Hause«, tröstete ihn Hans-Lothar.

»Schön. Hoffentlich wird alles noch gut. Vielleicht dürfen wir sogar eine Doppelhochzeit feiern«, meinte Lersdorff.

Während Hans-Lothar seinem künftigen Schwager in der Halle Bericht erstattete, saß Liddy oben in ihrem Schlafzimmer. Sie konnte sich einer ihr unverständlichen, inneren Unruhe nicht erwehren. Nun war es bereits sieben Uhr, und von Hans-Lothar und Winifred noch nichts zu hören. Ungeduldig hob Liddy den Hörer ihres Telefons ab und ließ sich mit dem Pförtner verbinden.

»Herr von Weiße sitzt mit einer Dame und einem anderen Herrn hier in der Halle, Miß von Weiße«, gab ihr der Portier Auskunft. »Die Herrschaften sind schon eine ganze Weile hier.«

»Bitte rufen Sie meinen Bruder an den Apparat.«

»Nun, Liddy, wo brennt's denn?« erklang bald darauf die Frage des Bruders.

»Schämst du dich nicht. Ich sitze hier wie auf heißen Kohlen, da ich wußte, daß du mit Winifred hierher unterwegs warst. Und du bummelst da unten ganz gemütlich in der Halle herum und unterhältst dich mit irgendeinem zufälligen Bekannten. Komm sofort herauf.«

»Uuuh! Friß mich nicht, geliebtes Schwesterchen. Ich komme! Ohne anzuklopfen. Bist du in Gala. Ja? Gut, später gehen wir dann essen. In fünf Minuten bin ich bei dir.«

Hans-Lothar kehrte zu den anderen zurück. Dann beugte er sich zu Gerhards Ohr nieder und begann mit ihm zu flüstern. Hin und wieder nickte der andere. Dann erhob er sich und ließ sich zu Liddy hinauffahren.

Das junge Mädchen saß am Fenster und starrte zur Themse hinunter, die im Herbstnebel träge und kaum sichtbar dahinfloß. Wie die Stimmung in der Natur, so war auch Liddys Laune. Sie sehnte sich mit allen Fasern ihres Herzens nach dem Mann, der tausende von Meilen entfernt, die Interessen der gemeinschaftlichen Heimat zu vertreten hatte. Sie kannte sein Pflichtbewußtsein, wußte, daß er sich vor Sehnsucht nach ihr verzehren und, um zu vergessen, in seinem Beruf aufreiben würde. Wie gern hätte sie jetzt jene Stimme gehört, die ihr sanft, aber nichtsdestoweniger energisch Vorhaltungen gemacht hatte, wenn sie als Kind und junges Mädchen irgendeinen gesellschaftlichen »Faux pas« begangen hatte. Damals hätte sie ihm dafür am liebsten die Augen ausgekratzt. Heute aber würde sie sie lieber geküßt haben. Bisher hatte sie sich mit Hans-Lothar, dem Bruder, beschieden. Nun war auch dessen Herz in Flammen geraten. War nicht zu erwarten, daß sein Interesse für die Schwester vor seiner Liebe zur Frau seines Herzens würde zurücktreten müssen? Für Geschwisterliebe ist in der ersten Zeit der Herzensliebe kein Raum. Alles zerrann, was bisher Bedeutung gehabt haben mochte; Bande, die jahrelang an das Elternhaus gefesselt hatten, zerrissen wie morsches Stroh. Eltern und Geschwister versanken vor der alles umfassenden Gattenliebe und zählten nicht mehr mit; Schutz und Hilfe ließ der Mann nur der Frau angedeihen, die bereit war, Zukunft und alles, was sie vom Leben erwartete, dem Mann ihrer Liebe anzuvertrauen. Künftig würde sie, Liddy, einsamer denn je werden. Die Eltern waren zu altmodisch, um die Wünsche eines modernen jungen Mädchens zu verstehen. Man würde die Köpfe schütteln, ihr diese und jene lachhafte Partie vorschlagen und dann, wenn sie ihrer Liebe zu dem auf immer verlorenen Gerhard treu blieb, den Fall als hoffnungslos aufgeben. Altjungferntum blühte ihr, Einsamkeit und ... Reue darüber, jenen von sich gestoßen zu haben, den sie allein liebte, seit ihr Herz dieses Gefühls fähig geworden war.

Sie hörte, wie jemand hinter ihr die Tür öffnete und wieder schloß. Zu gleichgültig, sich umzudrehen, fragte sie halblaut:

»Bist du es, Hans-Lothar? Wo hast du Winifred?«

Als keine Antwort erfolgte, wandte sie sich ungeduldig um. Vom Halbdunkel des Raumes hob sich im letzten Abenddämmerschein die hohe Gestalt des Barons ab. Sie starrte ihn an.

»Ich bin es, Liddy«, klang die wohlbekannte Stimme des Geliebten an ihr Ohr.

Liddy schrie auf. War sie krank, daß sie derartige Visionen hatte, einen Mann vor sich zu sehen vermeinte, der tausende und abertausende Meilen fern von ihr weilte? War dem Geliebten etwas zugestoßen, daß ihr hier sein Geist erschien?

Hilflos streckte sie die Arme nach ihm aus. Von ihren Lippen rangen sich undeutliche Worte. Er trat einen Schritt auf sie zu. Weit offene Augen starrten ihm entgegen. Dann sank Liddy mit einem leisen Schrei zu Boden. Sie war ohnmächtig geworden.

Als sie die Lider nach wenigen Minuten wieder aufschlug, lag sie auf der Chaiselongue. Ihr Haupt ruhte in Gerhards Armen.

»Bist du es wirklich, Geliebter?« fragte sie leise, ihn immer noch ungläubig anstarrend.

»Ich bin ein ungeschickter Tölpel, Liddy; ich wollte dich überraschen und vereinbarte mit Hans-Lothar, an seiner Statt hier heraufzugehen. Verzeih, wenn ich dich zu sehr erschreckt habe.«

»Was schadet das alles, Gerhard, wenn du nur endlich bei mir bist.« Sie schloß glückselig lächelnd die Augen. Ehe sie noch etwas zu sagen vermochte, hatte er ihre Lippen mit feurigen Küssen geschlossen.

Hans-Lothar wartete über eine Stunde, ehe er, ungeduldig geworden, den Portier in das Zimmer der Schwester hinauftelefonieren hieß. Wenige Minuten später kamen Liddy und Gerhard von Lersdorff glückselig lächelnd die Treppen herunter.

»Gerhard beichtete mir, wem ich mein heutiges Glück zu verdanken habe, Hänschen«, wandte sich Liddy zärtlich an den Bruder. »Du hast hinter meinem Rücken Gerhard geschrieben, wie es in meinem Herzen aussah. Ich danke dir, Brüderchen, aber diesen Verrat werde ich dir mit gleicher Münze heimzahlen«, setzte sie glücklich lachend und mit dem Zeigefinger drohend hinzu.

»Winifred und ich waren uns vom ersten Tag an klar, daß wir ein Paar werden müßten. Da kannst du also deine Verräterinnenrolle nicht anbringen. Und alles andere fürchte ich nicht, Liddy«, ging Hans-Lothar auf den Scherz ein.

»Kinder, streitet Euch nicht«, mischte sich Gerhard ins Gespräch. »Nun wollen wir aber den Abend feiern. Macht Eure Vorschläge. Oder wollt Ihr das Programm lieber mir überlassen. Ich kenne London aus meiner diplomatischen Tätigkeit her.«

»Hoffentlich führst du uns nicht in die Lokale, die dir als Junggeselle amüsant erschienen, Gerhard«, mahnte lächelnd die glückliche Liddy.

Er wurde einigermaßen verlegen.

»Lady Winifred wird Vorschläge machen. Sie kennt ja London«, wand er sich aus der Verlegenheit. »Bitte, schlagen Sie vor.«

»Ich mache den Vorschlag, den Abend hier, in Hans-Lothars Zimmer zu verbringen. Wir speisen, und dann unterhalten wir uns, bis es Zeit ist, schlafen zu gehen. Ich habe morgen noch einen ziemlich schweren Tag vor mir und möchte ihm, durch Schlaf gewappnet, entgegengehen.«

»Verzeihen Sie, Winifred, daß ich in meinem neuen Glück Ihre Sorgen außer acht ließ«, versetzte Gerhard von Lersdorff. »Sie haben recht; wir wollen unsere Freude im engsten Kreis begießen. Wir brauchen in unserem Glück keine gleichgültigen oder neugierigen Zuschauer.«

Und so geschah es.


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