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V. Kapitel.
Central Criminal Court.

Ein hochgewachsner, vornehm aussehender Herr erhob sich, als Hans-Lothar eintrat, vom Schreibtisch, an dem er gesessen hatte. Der Anwalt mochte ebenso alt wie Gerhard von Lersdorff sein, mit dem gemeinsam er ja, wie der Baron berichtete, studiert hatte. Sein Haar jedoch war schon grau, wenn auch die hell blickenden Augen den sonst müden Gesichtsausdruck Lügen straften. Sir Malcolm streckte seinem Besucher die Rechte entgegen:

»Ich habe von Ihnen so viel gehört, daß ich Sie schon kannte, als Sie noch auf dem Weg von Lissabon hierher waren. Gerhard von Lersdorff, mit dem ich in Bonn einige Semester zusammen war, bombardierte mich täglich mit Radiogrammen, um mir aufs strengste das Wohlbefinden Lady Montaubans und Ihrer Schwester ans Herz zu legen. Sie können ruhig deutsch mit mir sprechen. Ich beherrsche Ihre Muttersprache ziemlich geläufig.«

Der freundliche Empfang übertraf Hans-Lothars Erwartungen. Herzhaft erwiderte er den Händedruck. Dann bot ihm Sir Malcolm einen Stuhl und nahm selbst wieder an seinem Schreibtisch Platz.

»Ich bin über den Fall ziemlich genau unterrichtet«, begann er. »Selbstverständlich übernehme ich die Verteidigung Lady Montaubans. Das Honorar? Mein Gott, da werden wir uns wohl einigen. Sie waren mit ihr längere Zeit zusammen«, er schmunzelte, als er die Feststellung traf. »Macht Sie Ihnen den Eindruck, als könnte an der Beschuldigung gegen sie etwas Wahres sein?«

Vor der losbrechenden Wortflut hob er entsetzt die Hände.

»Gut, gut, mein lieber Herr von Weiße. Ich glaube Ihnen ja, daß der Verdacht absurd ist. Aber«, hier wurde seine Miene ernster, »damit jagen wir keinen Hund aus dem Stall. Wir brauchen schlüssige Beweise, daß meine Mandantin mit dem Mord nichts zu tun hat.«

»Beweise? Wie konnte sie an dem Verbrechen beteiligt sein, wenn sie sich bereits an Bord der ›Montana‹ befand?«

»Man beschuldigt sie ja auch nicht der Tat selbst, sondern nur der Mitwisserschaft bezw. Beihilfe vor dem Mord.«

»Diese Beschuldigung ist ebenso absurd wie die andere.«

»Mag sein. Nichtsdestoweniger steht auf Mitwisserschaft und Beihilfe in England die Todesstrafe, genau so wie auf die Ausführung der Tat selbst. Die Sache ist also ernst genug.«

»Und dieser Macdonald? Hat man ihn gefunden?«

Trübe schüttelte Sir Malcolm den altersgrauen Kopf.

»Leider ist er spurlos verschwunden. Es ist, als habe ihn die Erde verschluckt.«

»Und die Polizei? Hat sie keinen Steckbrief gegen ihn erlassen?«

»Ganz England befindet sich auf der Jagd nach Harry Macdonald.«

»Ohne Erfolg?«

Der andere nickte stumm. Dann, als er sah, daß sein Besucher entmutigt den Kopf hängen ließ, fügte er hinzu:

»Ich sehe einen einzigen kleinen Lichtblick in diesem Dunkel. Noch gestern studierte ich die Akten der Polizei. Der Hauptbelastungszeuge ist, wie sie vielleicht schon gehört haben, ein gewisser Tim Haley, langjähriger Kammerdiener des Ermordeten. Er war es, der auf Harry Macdonald zuerst den Verdacht lenkte, die Tat ausgeführt zu haben. Damit steht und fällt ja auch die Beschuldigung gegen Lady Winifred. Nun, dieser famose Tim Haley ist kein so unbeschriebenes Blatt, wie die Polizei vorgibt. Jedenfalls ist er keinesfalls glaubwürdiger als Lady Montauban. Wenn sie behauptet, nichts mit der Ermordung ihres Gatten zu tun gehabt zu haben, dann muß man ihr genau denselben Glauben schenken, wie den Beteuerungen Haleys, der behauptet, Lord Montauban habe ihm von den Drohungen Macdonalds und Lady Montauban Mitteilung gemacht.«

»Wie meinen Sie das, Sir Malcolm?« fragte Hans-Lothar.

»Dieser Haley, der sich seit etwa fünfzehn Jahren in Lord Montaubans Diensten befunden hat, ist der Polizei nicht so unbekannt, wie er es darstellt. Im Jahre 1911 kam er das erstemal mit ihr in Konflikt. Neun Monate wegen Erpressung. 1913 belief sich sein Konto auf zwölf Monate, gleiches Vergehen. Von 1914 bis 1917 machte er den Krieg mit, wurde verletzt und entlassen. Gleich darauf machte er sich von neuem straffällig. Resultat achtzehn Monate, Erpressung.«

»Und diesem Mann glaubt man so absurde Aussagen?«

»Als Köder ist der Polizei jeder Wurm recht«, erwiderte philosophisch der andere.

»Und was soll nun werden?« fragte Hans-Lothar.

»Ich kann Lady Montauban nur raten, bei der morgigen Polizeigerichtsverhandlung sich ihre Verteidigung vorzubehalten. Sie wird in Untersuchungshaft genommen werden. Vielleicht haben wir mit unserem Haftentlassungsantrag Glück, obwohl ich daran angesichts der Schwere der Beschuldigung zweifle. Gelingt es uns nicht, sie frei zu bekommen, so würde ich dafür Sorge tragen, daß die Verhandlung gegen Lady Montauban vom Hauptverfahren gegen Macdonald abgetrennt wird.«

»Und wenn die Polizei diesen Macdonald nicht findet?«

Sir Malcolm zuckte die Achseln.

»Dann weiß ich mir keinen Rat. Verhandelt muß gegen Lady Montauban eines Tages doch werden, ob nun Macdonald gefunden wird oder nicht.«

»Diese Ungewißheit ist entsetzlich«, stöhnte Hans-Lothar.

»Ich hätte noch einen Rat für Sie, weiß aber nicht, ob Ihnen die Kosten nicht zu hoch sein werden«, meinte der Anwalt.

»Und wenn es mich mein Erbteil kostet, Sir Malcolm. Lady Montauban muß von diesem Verdacht gereinigt werden. Sprechen Sie!«

»Nehmen Sie sich einen tüchtigen Detektiv, der die Suche nach Macdonald, und, wenn ein anderer die Tat begangen hat, nach dem Mörder aufnimmt.«

Hans-Lothars Augen leuchteten auf.

»Wissen Sie jemand, der dafür in Frage käme?«

»Hm. Ich habe einen ehemaligen Kriminalinspektor an Hand. Er ist seinerzeit in irgendeine politische Eselei verwickelt gewesen und dadurch seines Postens verlustig gegangen. Trotzdem ist er bei seinen früheren Kollegen gut angeschrieben und außerordentlich tüchtig. Hier haben Sie seine Adresse. Suchen Sie ihn unter Hinweis auf meine Empfehlung auf. Wenn irgendein Mensch Ihnen helfen kann, ist er es.«

Er reichte seinem Besucher den Zettel mit der Adresse des Detektivs.

»Henry Boscombe, Privat-Detektei, London, Bishopsgate 145.«

Sir Malcolm erhob sich, zum Zeichen, daß er die Unterredung als beendet betrachtete. Hans-Lothar, dem sowieso die Sohlen unter den Füßen brannten, diesen Boscombe aufzusuchen und sich von ihm bestätigen zu lassen, daß der Fall Montauban nicht hoffnungslos sei, folgte dem Beispiel Sir Malcolms.

»Morgen früh um neun Uhr findet die erste Verhandlung vor dem Polizeigericht Malborough-Street statt. Sehe ich Sie dort?«

»Ich werde anwesend sein, Sir Malcolm.«

Bishopsgate 145 war ein altes Haus, das hauptsächlich von kleineren Firmen bewohnt wurde. Das Schild »Boscombe, Privatdetektei« wies darauf hin, daß sich diese Firma ein Büro im ersten Stock leistete und täglich von neun bis achtzehn Uhr für Kunden zur Verfügung stand. Hans-Lothar stieg die knarrenden Stufen zum ersten Stock hinauf. Oben wies auf einer Glastür schwarze Schrift darauf hin, daß sich hier der moderne Sherlock Holmes niedergelassen habe.

»Herein, ohne anzuklopfen.«

Hans-Lothar trat ein. Vor einem amerikanischen Pult saß eine junge Dame und putzte sich die Fingernägel. Sie warf dem Eintretenden einen gleichgültigen Blick zu.

»Ist Mr. Boscombe zu sprechen?«

»In welcher Angelegenheit?«

»In privater.«

Der Ton, in der ihr diese Auskunft wurde, brachte in die junge Dame etwas mehr Leben. Sie erhob sich müde, legte ihr Manikürbesteck beiseite und trat an die Barriere heran.

»Mr. Boscombe empfängt nur angemeldete Besucher«, teilte sie dem Besucher streng mit.

»Ich komme von Sir Malcolm Davis.«

Diese Mitteilung wirkte wie ein belebendes Fluidum.

»Einen Augenblick, Sir. Wen darf ich melden?«

»von Weiße.«

»Mr. won Weithe«, wiederholte sie und verschwand in einem Nebenraum. Gleich darauf hörte Hans-Lothar eine brummige Stimme herausdringen, die ihn zum Eintreten aufforderte.

Als Hans-Lothar den Detektiv vor sich aufragen sah – er glaubte, der Mann nähme gar kein Ende, so lang war er – fragte er sich, ob Boscombe auch wirklich der richtige Mann für ihn sein würde.

Der Riese streckte ihm die Hand entgegen. Auf zwei Säulenbeinen ruhte ein massiver Körper. Das hochrot gefärbte Gesicht beherbergte zwei schläfrige Augen, die in gemachter Gleichgültigkeit auf dem Besucher ruhten. Zwei Hände, die Kuchenplatten glichen, stützten sich, nachdem eine von ihnen die Hand Hans-Lothars schmerzhaft gedrückt hatte, auf die Platte eines Rollpultes. Dann senkte sich der Koloß wieder auf den kräftigen Bürostuhl nieder, der ihn, ehe Boscombe gestört worden war, beherbergt haben mochte.

»Guten Tag, Mr. von Weiße«, klang merkwürdig klar und sonor der Gruß an des Besuchers Ohr. »Sir Malcolm hat Sie mir bereits telefonisch avisiert. Es handelt sich, wie er mir sagte, um den Fall Montauban.«

»Ich freue mich, daß Sie bereits unterrichtet sind, Sir. Ich frage Sie, ob Sie die Aufklärung des Falles für mich übernehmen wollen. Die Kosten spielen keine Rolle.«

»Davon wollen wir im Augenblick nicht sprechen, Sir. Sind Sie mit Lady Montauban, die sich ja wohl seit gestern hier in Haft befindet, verwandt?«

»Nein. Sie ist meine Braut.«

»Besteht dieses Verhältnis zwischen Ihnen schon lange?« Lauernd klang die Frage.

Hans-Lothar verstand den Sinn der Frage gut genug.

»Wir haben uns erst in Lissabon ausgesprochen«, erklärte er einfach.

»Nachdem Ihnen der Verdacht, der sich gegen die Dame richtete, bekannt geworden war?«

»Ja.«

»Sie müssen großes Vertrauen zu der Dame haben«, konstatierte der andere. »Darf ich Sie nun bitten, mir die Umstände zu schildern, die Sie an ihre Schuldlosigkeit glauben lassen?«

Hans-Lothar gab einen ausführlichen Bericht. Hin und wieder machte sich Boscombe Notizen, ließ aber seinen Besucher, ohne ihn zu unterbrechen, ungehindert sprechen. Als Hans-Lothar schwieg, sagte er:

»Sie glauben also nicht an eine Schuld Lady Winifreds? Ja, ja, ich weiß«, flocht er ein, als ihn Hans-Lothar unterbrechen wollte. »Sonst würden Sie die Dame ja wohl nicht als Ihre Braut bezeichnen. Meine Frage bezog sich auf etwas anderes: Wenn sie schuldlos verdächtigt wird, dann müssen wir auf den Urheber des Verdachtes zurückkommen, und das ist, wie Sie wohl auch wissen werden, Haley, der Diener Montaubans. Glauben Sie, daß Macdonald, den man ja seit Wochen vergeblich sucht, in diesem Brei seine Finger hatte?«

»Wie ihn mir Lady Montauban schilderte, glaube ich ebensowenig an seine, wie an der Dame Schuld.«

»Auch meine Meinung. Was mir bisher bekannt geworden ist, läßt mich vermuten, daß man Macdonald zu Unrecht beschuldigt. Da er aber verschwunden ist, gilt er ohne weiteres als schuldig. Sein Verschwinden aber kann auch andere Gründe haben.«

»Und die wären?«

»Er kann tot sein.«

Hans-Lothar starrte Boscombe an.

»Tot?« Ihm kam der Gedanke, daß Macdonald, der angebliche Mörder Lord Montaubans nicht mehr unter den Lebenden weilen könne, zum erstenmal. »Mein Gott! Wenn es so wäre? Wie können wir dann jemals die Schuldlosigkeit meiner Braut nachweisen?«

Boscombe schien nicht so pessimistischer Auffassung der Lage zu sein wie sein Besucher.

»Ist Macdonald tatsächlich tot«, meinte er, »dann würde das Verfahren gegen Lady Montauban eo ipso eingestellt werden. Aus unserer Unterredung, Mr. von Weiße, ist mir jedenfalls eines klar geworden: Die Gründe, warum sich der Verdacht der Polizei so unentwegt auf Lady Montaubans Person geheftet hat, scheinen Ihnen in ihrer ausschlaggebenden Bedeutung noch gar nicht klar geworden zu sein.«

»??«

Boscombe beantwortete die stumme Frage Hans-Lothars.

»Ehe ich Ihnen diese Gründe nenne, Sir, muß ich Ihnen einiges aus dem Leben Lord Montaubans zum besten geben. Ich habe mich für den Fall bereits vor Ihrem heutigen Besuch und noch ehe ich ahnte, daß ich von Ihnen betraut würde, interessiert. Da lag es auf der Hand, daß ich mich ein wenig um die Persönlichkeiten der in diesem Drama handelnden Personen kümmerte. Wissen Sie, wer Lord Montauban eigentlich war?«

»Ich habe keine Ahnung.«

»Der verstorbene Lord Montauban stammt aus einer mittelenglischen Kaufmannsfamilie. Er wurde 1859 in Lincoln geboren, war also zur Zeit seiner Verheiratung mit der späteren Lady Montauban einundsiebzig Jahre alt, neunundvierzig Jahre älter als die erwählte Gattin. Man wunderte sich damals allgemein über diese Ehe, aber die Erklärung dafür liegt für einen, der den Charakter des Bräutigams kannte, gar nicht so fern. Sie wissen, daß Lord Montauban bereits verheiratet gewesen war. Seine erste Gattin entstammte ebendenselben Kreisen wie die zweite Lady Montauban. Im Jahre 1890 verheiratete sich der damalige Grosvenor, so hieß Lord Montauban, ehe ihm eine reiche Geldspende an die regierende Partei die Pairswürde einbrachte, Isabel Graves, Tochter eines Buchhalters in Grosvenors Seidenfabrik. Sie wissen ja, daß das heutige enorme Vermögen der Montaubans einer besonderen Seidenmarke zu verdanken war, die, genügend propagiert, zum Haushaltswort Englands wurde. Aus dieser ersten Ehe mit Isabel Graves entsprossen seine heute erwachsenen Kinder. Niemand aber weiß, daß Montauban einen Schwager hatte, einen der Brüder Isabel Graves', der mehrfach mit den Gesetzen in Konflikt gekommen und im Jahre 1909 zu fünfzehn Jahren Zuchthaus wegen Totschlags verurteilt worden war. Nur seinem guten Verteidiger hatte Edward Graves es zu verdanken, daß ihm nicht die Hanfbinde um den Hals gelegt wurde. Im Jahre 1921 wurde Edward Graves aus Dartmoor mit Bewährungsfrist entlassen und wandte sich an seinen Schwager um Unterstützung. Montauban half ihm. Mit der Zeit aber wiederholten sich die Forderungen des Zuchthäuslers. Lord Montauban scheint für seine erste Gattin große Liebe empfunden zu haben. Aus diesem Grunde half er seinem Schwager immer und immer wieder, bis ihm der dauernde Aderlaß endlich zu viel wurde. Er machte Edward Graves das Angebot, ihn nach den Kolonien zu senden und ihm die Mittel zu geben, sich irgendwo, ich glaube, es handelte sich um Neu-Südwales, anzusiedeln.«

Hans-Lothar war den Ausführungen des Detektivs mit Interesse gefolgt. Als dieser jetzt eine Pause machte, um sich erneut seine zum so und so vielten Male ausgegangene Zigarre anzubrennen, fragte der junge Deutsche:

»Und wo befindet sich dieser Edward Graves jetzt?«

»Ich werde gleich darauf zu sprechen kommen«, versetzte Boscombe, dessen mißhandelte und einem Fächer gleichende Zigarre endlich brannte. »Es muß Lord Montauban eine Stange Gold gekostet haben, seinen Schwager unschädlich zu machen. Vielleicht brachte er das Opfer gern, denn er war ja der Meinung, nun ein für alle Male mit diesem netten Verwandten Schluß gemacht zu haben. Aber er mußte bald genug erfahren, daß er sich getäuscht hatte.«

»Edward Graves tauchte wieder in England auf?«

Boscombe nickte.

»Er war kaum zwei Jahre in Australien verblieben. Das Geld, das ihm sein Schwager zur Ansiedlung gegeben hatte, war ihm in alkoholisierter Form wie gewöhnlich durch die Gurgel geronnen. Nicht genug damit, kam er bald mit den australischen Polizeibehörden in Konflikt. Es mochte ihm eben noch so gelungen sein, mit dem Rest seines Geldes nach England durchzubrennen. Als er 1923 in Southampton landete, hatte sein Schwager keine Ahnung, welche freudige Ueberraschung ihm bevorstand. Was bei dem damaligen Besuch Graves' bei Montauban vorging, erfuhr niemand. Mein Gewährsmann berichtet mir jedoch, daß es zu einer solennen Prügelei zwischen den beiden gekommen sei, bei der der ältere, Montauban, wohl den kürzeren gezogen haben mag. Was der Schwager anfänglich energisch ablehnte, übernahmen nun die Neffen und Nichten Edwards. Sie lieferten ihm die Mittel, es nochmals mit Canada zu versuchen. 1925 kehrte er auch von dort wieder nach England zurück, minus natürlich allen Geldes, das ihm die Kinder Montaubans um der verstorbenen Mutter willen gegeben hatten.«

»Ein feiner Herr muß dieser Graves sein«, flocht der Besucher ein.

»Ist er auch. Kurz nach seiner Rückkehr von Amerika ging ihm die finanzielle Puste aus. Ein kleiner Raubüberfall, in einer nächtlichen Straße Londons verübt, brachte ihm fünf Jahre Zuchthaus ein. Seit seiner Entlassung im Jahre 1929, wiederum mit Bewährungsfrist, ist er verschwunden. Er hatte keinen Grund, seinem Schwager sehr zugetan zu sein.«

Ueberrascht blickte Hans-Lothar auf.

»Sie meinen – – –?« fragte er.

»Ja. Ich möchte wissen, ob Graves vielleicht erneut versuchte, seinem Schwager die Daumenschrauben anzulegen.«

»Mein Gott! Wenn es so wäre!«

Boscombe glaubte, den Hoffnungen Hans-Lothars eine Schranke setzen zu müssen.

»Natürlich handelt es sich nur um Vermutungen, Mr. von Weiße«, lenkte er ein, »für die ich, was meinen Verdacht gegen Graves anbetrifft, vorläufig auch nicht den Schatten eines Beweises beizubringen vermag. Gegenwärtig haben wir etwas sehr Wichtiges zu tun: Macdonald zu finden.«

»Und wenn er wirklich, wie Sie vorhin meinten, tot ist?«

»Auch dann kann er nicht spurlos vom Erdboden verschwunden sein. Irgendeine Spur muß zu entdecken sein.«

Hans-Lothar erhob sich. Er zog ein Paket Banknoten aus der Tasche und legte sie vor den Detektiv auf das Pult.

»Hier sind dreihundert Pfund, die, wie ich vermute, genügen dürften, einstweilen Ihre Spesen zu bestreiten. Wenn Ihnen der Erfolg blüht, die Schuldlosigkeit Lady Montaubans über alle Zweifel erhaben nachzuweisen, werde ich Ihnen eintausend Pfund Sterling zahlen, Mr. Boscombe.«

»Ich werde mein möglichstes zu tun versuchen, diesen Betrag zu verdienen«, versprach der andere, während er seinen Besucher zur Tür geleitete.

Hans-Lothar erstattete der Schwester ausführlichen Bericht. Liddy war, seit sie nach England gekommen war, nicht mehr dieselbe. Ein müder Zug hatte sich auf ihrem Gesicht ausgebreitet. Die Augen blickten matt, ihr Gang war lässig geworden. Die übersprühende Fröhlichkeit, die ihr früher zu eigen und ein Erbteil von ihrer Mutter gewesen war, hatte einer gleichgültigen Traurigkeit Platz gemacht. Die Veränderung war Hans-Lothar in seiner Sorge um das Wohl Lady Montaubans bisher nicht aufgefallen. Heute aber, wo nach der Unterredung mit Sir Malcolm und Boscombe ein erster leiser Hoffnungsschimmer in diesem Labyrinth aufgetaucht war, bemerkte endlich auch er die mit der Schwester vorgegangene Veränderung.

»Bist du krank, Liddy? Fühlst du dich nicht wohl?«

Sie blickte von der Näharbeit, die sie in Händen gehalten hatte, ohne die Finger zu rühren, auf.

»Ich? Krank? Wie kommst du zu dieser Frage? Ich fühle mich wohl. Nur ein bißchen müde. Mag sein, daß das Klima schuld daran ist.«

Er schüttelte den Kopf.

»Du kommst mir so verändert vor, Kind. Sag' mir's, wenn dir etwas fehlt. Ich habe zwar den Kopf voll genug, bin aber schließlich dein Bruder und verantwortlich für deine Gesundheit.«

»Mach dir keine Sorgen, Brüderchen«, versuchte sie zu scherzen.

Nach einer langen Pause:

»Ich finde, daß der Baron sich in unserer Angelegenheit sehr vornehm benommen hat.«

Die Bemerkung klang so unvermittelt an Hans-Lothars Ohren, daß ihm im selben Augenblick – wie man zu sagen pflegt – ein Seifensieder aufging. Er lächelte stillvergnügt in sich hinein. Nun wußte er, warum Liddy ihm so verändert vorkam. Sie war verliebt. Er beschloß, sie herauszufordern.

»Gott, was hat er schon getan?« erwiderte er. »Das wäre ja noch schöner, wenn er auch in diesem Fall seine etepetete Manieren hätte die Oberhand gewinnen lassen. Letzten Endes geht es ihn ja nichts an, was wir für richtig finden. Schließlich ist er ja nicht unser Vormund,«

Liddy reagierte sofort.

»Du bist ungerecht gegen ihn. Er hat nicht nur Diskretion walten lassen. Vater hat uns ihm anvertraut. Er übernimmt dadurch, daß er die Eltern im Glauben läßt, wir befänden uns noch in seiner Gesellschaft, eine ziemliche Verantwortung. Und ›etepetete‹, wie du dich so schön ausdrückst, war er nie. Nur korrekt hat er sich stets benommen. Den Begriff aber scheinst du nicht zu verstehen, sonst würdest du nicht, um einer augenblicklichen Passion willen, mich den ganzen Tag allein hier sitzen lassen. Baron von Lersdorff mag Fehler haben. Ein verknöcherter Aktenmensch, wie du vorhin andeutetest, ist er jedenfalls nie gewesen.«

Hans-Lothar lachte laut auf. Mit einem Schritt befand er sich neben der Schwester und nahm sie in seine Arme.

»Schau, schau, Liddychen«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Hast du endlich dein Herzchen entdeckt? Seit wann bist du Gerhards Verteidigerin geworden?«

Errötend barg sie ihren schönen Kopf an der Brust des Bruders.

»Ich habe ihn immer lieb gehabt, Hänschen«, beichtete sie. »Nur mein Trotzkopf wollte es nicht wahr haben. Schon als Backfisch war es mein Bestreben, Gerhard nicht merken zu lassen, wie sehr er mein Herz erobert hatte. In der Pension sehnte ich mich nach ihm, zauberte mir alltäglich sein ernstes Gesicht vor, sprach mit ihm im Traum und hatte von je die Hoffnung, daß er sich mir zuwenden würde.«

»Und warum hast du, mein kleines Schäfchen, ihn dann immer so schlecht behandelt?« fragte nicht unlogisch der Bruder.

Sie schob ihn von sich.

»Das versteht Ihr Männer nicht. Glaubst du, ich hätte je den Mut aufgebracht, ihn liebenswürdig zu behandeln? Er hätte dann ja nur die Arme ausstrecken brauchen, und ich wäre ihm wie eine reife Frucht hineingesunken. Nun habe ich ihm auf der ›Montana‹ noch den Hieb seines Alters wegen versetzt. Er wird es nun nie wagen, an mich heranzutreten.«

Sie schluchzte herzbrechend.

Sanft-zärtlich streichelte ihr Hans-Lothar das seidenweiche Haar.

»Laß, Kindchen, weine nicht. Es wird alles gut werden.«

Noch lange saßen die Geschwister beisammen und beichteten sich gegenseitig ihrer Liebe Lust und Weh.

Am selben Abend aber schrieb Hans-Lothar einen langen Brief an Gerhard, Baron von Lersdorff.

Um neun Uhr am nächsten Morgen wurde vor dem Polizeigericht Marlborough-Street der Fall Montauban aufgerufen.

Sowohl die Geschwister, als auch Sir Malcolm Davis und Mr. Boscombe waren anwesend, als der Gerichtsherold die Angeklagte in den Saal führte. Es waren nur wenige Zuhörer erschienen, und diese wenigen gehörten meist der bekannten und berüchtigten Kategorie der »Kriminalstudenten« an.

Der Polizeirichter machte sich den Fall leicht.

»Wessen wird die Angeklagte beschuldigt?« wandte er sich an den Anklagevertreter.

»Der Beihilfe, beziehungsweise Mitwisserschaft an der Ermordung Lord Montaubans, Sir Everard.«

»Was haben Sie gegen die Beschuldigung vorzubringen, Mylady?«

Sir Malcolm war aufgesprungen.

»Wir behalten uns sowohl Aussagen wie Verteidigung vor, Sir Everard.«

»Der Fall wird auf eine Woche vertagt«, lautete der Beschluß des Richters, nachdem der anwesende Vertreter Scotland Yards ebenfalls um Vertagung ersucht hatte. Er begründete sie mit dem Fehlen des Hauptbeschuldigten, des Schauspielers Harry Macdonald.

Zwanzig Minuten nach neun befand sich Lady Montauban bereits wieder in ihrer Zelle. Kurz darauf wurden ihr Hans-Lothar und Sir Malcolm gemeldet.

»Guten Morgen, Winifred«, begrüßte Hans-Lothar sie und drückte ihr einen Kuß auf die ihm willig gebotenen Lippen. Sir Malcolm, dem das Recht zustand, die Gefangene ohne Anwesenheit eines Aufsehers zu sprechen, hatte sich diskret während der Begrüßung abgewendet.

Mit einem innigen Blick voll Liebe musterte die Gefangene den jungen Deutschen.

»Eine schöne Brautzeit haben wir, Hans-Lothar«, seufzte sie. »Du mußt deine Braut im Gefängnis aufsuchen. Schrecklich!«

»Mach' dir keine Sorgen, Winifred. Es wird noch alles gut werden. Nun aber wollen wir Sir Malcolm nicht länger warten lassen. Er hat sich liebenswürdigerweise bereit erklärt, deine Verteidigung zu übernehmen, wenn es je zur Verhandlung kommen sollte. Baron von Lersdorff hat mich an ihn empfohlen.«

»Sir Malcolm hat mich bereits vor der heutigen Verhandlung aufgesucht. Ich bin ihm für seine Ratschläge, vorläufig keine Aussagen zu machen, so dankbar.«

Als der Verteidiger seinen Namen hörte, kam er in die Zelle und setzte sich ungeniert auf die harte Lagerstatt.

»Ich möchte zwar keine übertriebenen Hoffnungen in Ihnen erwecken, meine sehr verehrten jungen Herrschaften,« sagte er lächelnd, »aber Herr von Weiße hat mit der Wahl Boscombes einen sehr guten Griff gemacht. Boscombe ist in Londoner Justizkreisen als ›Bulldogge‹ bekannt, das heißt, er läßt niemals eine Spur, auf die er einmal gestoßen ist, locker.«

»Wie soll ich dir jemals deine Mühe und Sorge um mich danken, Geliebter?« flüsterte Winifred Hans-Lothar zu.

»Durch deine Liebe, Winifred«, gab er ebenso leise zurück.

»Haben Sie jemals von einem gewissen Edward Graves gehört, Mylady? Einem Schwager Ihres verstorbenen Gatten? Einem Bruder der ersten Lady Montauban?« fragte nun Sir Malcolm.

»Ich weiß nur, daß meine Vorgängerin eine geborene Graves war«, erwiderte die Gefragte. »Den Namen Edward habe ich in dieser Verbindung niemals vernommen.«

»Schade. Wir interessieren uns nämlich sehr stark für den gegenwärtigen Beruf und Aufenthalt dieses Ihres Schwipp-Schwagers.«

»Steht er irgendwie mit meinem Fall in Verbindung?«

»Wir vermuten es, Mylady.«

Lady Montauban dachte angestrengt nach. Dann sagte sie:

»Ich erinnere mich ganz dunkel an eine Unterredung, die ich mit meinem Gatten im ersten Monat unserer Ehe hatte. Sie bezog sich auf die Kinder aus erster Ehe; dabei erwähnte, glaube ich, mein Mann auch einen Schwager, Bruder seiner ersten Frau, der ein Tunichtgut sei und ihn schon viel Geld gekostet habe.«

»Das wird dieser Edward Graves sein«, warf Sir Malcolm ein. »Boscombe glaubt, daß mit der Auffindung dieses Graves der Fall Montauban geklärt würde. Haben Sie eine Ahnung, wo Harry Macdonald sich aufhalten mag?«

»Nicht die geringste. Ich weiß nur, daß er mir am Tag des Urteils, das meine Ehe schied, klagte, er sei nun in England unmöglich geworden. Du kennst ja meine Landsleute, Hans-Lothar, nicht wahr? Man darf in England alles tun und treiben, wonach einem der Sinn steht, nur – – an die Oeffentlichkeit darf davon nichts dringen. Macdonald ist, wie man hier sagt, der Korrespondent dieser Scheidungssache. Damit ist er für die englische Gesellschaft erledigt. Das wußte und beklagte er umsomehr, als er sich völlig schuldlos in dieses Verhängnis hineingezogen fühlte.«

»Sprach er davon, daß er England verlassen wolle?«

»Nicht daß ich wüßte. Er meinte nur, nun würde ihm wieder das Auftreten in einer ›Schmiere‹ blühen.«

»Aeußerte er Selbstmordabsichten?«

»Harry war nicht der Mann, sich über irgendeinen Fehlschlag graue Haare wachsen zu lassen. Mochte er heute die Lage noch so pessimistisch ansehen – – morgen war er wieder Hansdampf in allen Gassen. Er war nicht unterzukriegen.«

»Wir können also die Möglichkeit ausschalten, sein Verschwinden mit seinem Selbstmord zu erklären?« fragte der Anwalt.

»Unbedingt, Sir Malcolm. Obwohl ich mir nicht denken kann, was ihn zum Verlassen des Landes hätte treiben können – ich sagte ja schon, daß er unverbesserlicher Optimist war –, ist doch das einzige, was ich mir als Grund seines Verschwindens denken könnte: die Erkenntnis seiner gegenwärtigen Unpopularität.«

Sir Malcolm wandte sich einem anderen Thema zu.

»Sie wissen, daß Ihr Gatte durch einen Schuß getötet wurde, der von einem Baum vor seinem Arbeitszimmer aus abgefeuert wurde?«

»Ich las es in der Zeitung.«

Der Anwalt zog einen Bleistift heraus und begann eifrig zu zeichnen. Nach wenigen Minuten legte er Lady Montauban eine Skizze vor.

Mit dem Zeigefinger deutete Sir Malcolm auf die einzelnen Skizzenteile.

»Hier ist das Haus«, sagte er. »Der Flügel, in dem sich das Arbeitszimmer Ihres Gatten befand, läuft in nord-südlicher Richtung. Der Schreibtisch stand an der Westseite des Raumes. Hier und hier«, er wies mit dem Finger auf zwei eingezeichnete Kreuze, »sind Fenster eingelassen. Vor diesem nördlichen Fenster steht die Eiche, aus der der tödliche Schuß abgefeuert wurde. Sie sehen, daß Ihr Mann mit dem Rücken gegen dieses Fenster sitzen mußte. Der Mörder muß also mit den örtlichen Verhältnissen aufs beste vertraut gewesen sein, denn sonst hätte er sich wohl kaum diese bequeme Art, sein Verbrechen auszuführen, wählen können. Es ist nun die Frage, Mylady, wer hatte ein Interesse daran, Ihren Gatten zu töten, und zweitens, wer konnte die interessierte Person sein, die so gut über die Gepflogenheiten Ihres Gatten unterrichtet war, um ihn gerade zu jener Stunde im Arbeitszimmer zu vermuten. Gewiß, es brannte Licht, aber, um dieses Licht brennen zu sehen, mußte der Mörder wissen, wie in den Park zu gelangen und weiter, daß der Raum Ihrem Gatten, seinem beabsichtigten Opfer, als Arbeitszimmer diente. Die Polizei behauptet, Macdonald sei mit Ihrer Hilfe, Mylady, imstande gewesen, die Vorteile, die ihm eine derartige Wahl der Oertlichkeit brachte, zu erkennen. Sie geht davon aus, daß Sie ihn dazu angestiftet, beziehungsweise von seiner Absicht gewußt haben, und weiter, durch Ihre Hinweise auf die geeignetsten Ausführungsmöglichkeiten, tätige Beihilfe zum Verbrechen geleistet hätten.«

»Das ist Unsinn«, brach Hans-Lothar los, wurde aber von Sir Malcolm sofort unterbrochen.

»Ich stimme Ihnen bei, aber das gibt uns noch lange keine Möglichkeiten, der Polizei das Absurde ihrer Vermutungen zu beweisen. Wir müssen schon faßbare Unterlagen herbeischaffen, um diesen Fall erfolgreich zu Ende zu führen.«

»Wie aber kommt die Polizei dazu, mich zu beschuldigen, wenn sie den angeblichen Täter noch gar nicht hat?« fragte nicht unberechtigt die Gefangene.

»Der Abwesende hat immer Unrecht. Wäre Macdonald auffindbar, ich zweifle nicht, der Verdacht würde wie Spreu vor dem Wind verfliegen. Gerade aber die Tatsache des gleichzeitigen Verschwindens, des Ihren und Macdonalds, zeitlich zusammenfallend mit einem abscheulichen Mord an einem Mann, der eben Hauptbelastungszeuge in einem Scheidungsprozeß gewesen war, lassen die Verdachtsgründe der Polizei gar nicht als so weit hergeholt erscheinen.«

»Aber die Persönlichkeit Lady Montaubans sollte doch das Absurde dieses Verdachtes der Behörde klar haben werden lassen«, warf Hans-Lothar ein.

»Für die englische Polizei gibt es in solchen Fällen keine ›Persönlichkeiten‹«, erwiderte lächelnd der Anwalt.

»Als am Tage nach der Scheidung Harry Macdonald bei mir vorsprach«, berichtete Lady Winifred, die während dieses kurzen Intermezzos geschwiegen hatte, »erzählte er mir von einer Unterredung, die er mit Lord Montauban herbeiführen wolle, um ihn zu überzeugen, daß in seinen Beziehungen zu mir nicht das geringste zu beanstanden gewesen sei. Ich riet ihm ab, denn ich kannte die Hartnäckigkeit meines Mannes. Harry aber bestand darauf. Er war oftmals das reinste Kind, ein Künstler, der weder in seinen Sympathien noch in seinem Haß irgendwelche Hemmungen anerkannte.«

»Das lassen Sie die Polizei lieber nicht hören, Mylady,« riet Sir Malcolm, »sonst glaubt sie noch fester an Macdonalds Schuld.«

»Ich bin fest überzeugt, daß Harry seine Absicht, Lord Montauban aufzusuchen, durchgesetzt hat.«

»Ja, Haley, Ihres Gatten Kammerdiener, sagt ja auch dementsprechend aus.«

»Boscombe hält Haley für ein recht undurchsichtiges Subjekt«, berichtete Hans-Lothar.

»Ich habe Ihnen aber noch weitere Mitteilungen zu machen, Mylady, die die Polizei vorläufig zwar geheim zu halten suchte, die mir aber gleichwohl bekannt geworden sind. Sie bekamen von Ihrem Gatten eine Rente zugestanden, nicht wahr, die solange gezahlt werden sollte, bis Sie sich wiederverheirateten?«

»Ja, Sir Malcolm.« Lady Montauban nannte den Betrag. »Mein Mann glaubte mich dadurch wohl von einer Wiederverheiratung abhalten zu können. Aber er hätte diese Klausel gar nicht nötig gehabt, denn ich war ein für alle Male kuriert. In der englischen Gesellschaft will ich keinen Fuß mehr fassen.«

»Als Sie seiner Zeit mit Lord Montauban die Ehe schlossen, warf Ihnen Ihr Gatte in einem neuverfaßten Testament einen Betrag aus, der so ziemlich das gesamte Barvermögen Lord Montaubans umfaßte. Er tat dies, um Sie nach seinem Tod von Ihren, Ihnen wenig gesonnenen Stiefkindern unabhängig zu machen. Er bedachte auch nicht, daß er mit der Einsetzung Ihrer Person als beinahe Universalerbin seine Kinder aus erster Ehe so gut wie enterbte. Ausnahme davon machte nur der älteste Sohn, der das Fideikomißvermögen bekommen würde. Als die Scheidung ausgesprochen war, bestellte Ihr Gatte seinen Familienanwalt, Mr. Rowe, um dieses Sie begünstigende Testament als nichtig zu erklären und Sie zu enterben. Ehe dies ausgeführt werden konnte, wurde Ihr Gatte ermordet. Die Polizei gibt dies als Ursache der Ermordung an. Sie hätten von der Enterbung gewußt und sie zu verhindern getrachtet.«

Schreckensstarr blickte Lady Winifred auf den Künder der Unglücksbotschaft.

»Aber«, hielt sie ihm entgegen, »ich hielt doch dieses Testament schon lange für nicht mehr bestehend.«

»Das glaubt Ihnen die Polizei nicht. Wir müssen eben sehen, wie wir mit diesen Tatsachen fertig werden.«

Nach Ablauf der vom Polizeirichter verfügten achttägigen Vertagung wurde Lady Winifred Montauban nochmals verhört. Der Richter ordnete die Ueberführung des Falles an das Schwurgericht an. Am selben Tag wurde die Angeklagte in das Untersuchungsgefängnis überführt, wo sie den Termin der Hauptverhandlung, den 17. September, erwarten sollte.

Vorsitzender des Schwurgerichts aber würde Sir Algernon Flaherty, Lordrichter und Geheimer Rat des Königs, sein.


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