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III. Kapitel.
Die Verhaftung.

Die »Montana« hatte Vigo angelaufen und befand sich nun auf schneller Fahrt zum nächsten Hafen, Lissabon, wo sie mehrere Stunden liegen bleiben sollte. Liddy und Lady Winifred hatten mit dem Baron und Hans-Lothar einen Landausflug vereinbart, der sofort nach dem Anlegen des Dampfers angetreten werden sollte. Die »Montana« traf gegen sieben Uhr morgens vor der »Praça do Commercio« ein und warf Anker. Eben wollte von Lersdorff eines der zahlreichen Boote heranrufen, um mit seiner Gesellschaft die kurze Fahrt zur Landungstreppe zurückzulegen, als er herannahende Schritte hörte. Er wandte sich um und sah eine Männergruppe auf sich zukommen, deren Aeußeres schon von weitem ihre Zugehörigkeit zur Polizei verriet. Der Führer der Gruppe wandte sich höflich an den Diplomaten:

»Ich bin Kommissar Molhino, Senhor. Darf ich Sie um einen Augenblick Gehör bitten?«

Verwundert trat von Lersdorff mit ihm zur Seite, neugierig von den Blicken der Begleiter des Kommissars verfolgt. Die kleine Gruppe begann nun auch die Aufmerksamkeit der zahlreichen Passagiere zu erregen, die sich eben zum Landausflug fertig machten und auf Deck erschienen waren.

»Es handelt sich um eine recht delikate Mission, Senhor«, begann der Beamte leise. »Mir ist heute morgen von der Londoner Polizei ein Haftbefehl gegen Lady Winifred Montauban, Passagierin dieses Schiffes, zugegangen. Um jedes Aufsehen zu vermeiden, riet mir der Kapitän, mich an Sie zu wenden und die Dame durch Sie zu veranlassen, mit Ihnen an Land zu gehen. Meine Leute und ich würden Ihnen folgen und dann die Verhaftung erst in der Stadt vornehmen.«

»Sie haben einen Haftbefehl gegen Lady Montauban?« wiederholte der Baron ungläubig. »Sicherlich handelt es sich um einen Irrtum. Was soll sie verbrochen haben?«

»Die Begründung des Befehls lautet: Beihilfe, beziehungsweise Mitwisserschaft zu einem Mord.«

Als hätte vor seinen Füßen ein Blitz eingeschlagen, fuhr von Lersdorff zurück.

»M-o-r-d??! Lady Montauban wird beschuldigt, Beihilfe zu einem so abscheulichen Verbrechen geleistet zu haben? Wer wagt es, diesen Verdacht auszusprechen? Sind denn die Menschen wahnsinnig geworden?«

Der portugiesische Kriminalbeamte lächelte.

»Ich kann nur das wiederholen, Senhor, was uns von England berichtet worden ist«, sagte er. »Mir sind in meiner langen Laufbahn bei der Kriminalpolizei schon ganz andere Dinge unter die Hände gekommen. Verbrechen aus Leidenschaft begangen, sind nicht nur Prärogative der unteren Bevölkerungsschichten. Man hört nur seltener von jenen, die von Aristokraten und Hochgestellten verübt worden sind, weil man das Bekanntwerden meist zu unterdrücken pflegt. Im übrigen bemerkten Sie vorhin ganz richtig, Senhor: Es handelt sich vorläufig nur um einen Verdacht. Der Kapitän dieses Schiffes bat mich, vor der Verhaftung der Dame mich mit Ihnen ins Einvernehmen zu setzen, da sie, wie man mir berichtete, Ihre Tischgenossin ist. Darf ich Sie nun bitten, mich zu Lady Montauban zu begleiten?«

Immer noch von der Tragweite der ihm gewordenen Neuigkeiten verwirrt, beschränkte der Baron sich darauf, stumm nickend sein Einverständnis kundzugeben. Er schritt vorauf, eng auf den Fersen vom Kommissar gefolgt, der wohl befürchten mochte, von Lersdorff würde die Verdächtige zu warnen versuchen. Die Herren trafen Winifred, als sie eben ihre Kabine verlassen wollte. Mit einer Verbeugung trat von Lersdorff auf sie zu:

»Darf ich Sie um ein Wort unter vier Augen bitten, Lady Winifred?« Seine Stimme klang so ernst, daß sie ihn verwundert anstarrte.

»Wollen Sie mir einen Antrag machen?« scherzte sie. Aber der Baron ging auf den Scherz nicht ein. Als sie sah, daß er ernst blieb, trat sie in ihre Kabine zurück und winkte ihm, ihr zu folgen. Die Tür ließ von Lersdorff offen, so daß der Portugiese den Raum im Auge behalten konnte.

»Aus unserem gemeinschaftlichen Landausflug dürfte kaum etwas werden, Mylady«, begann er. »Das heißt, soweit wir auf die Begleitung der jungen Leute rechneten. Sie, Mylady, und ich werden allerdings unseren Plan weiterverfolgen müssen, an Land zu gehen.«

Er sprach in einem so merkwürdigen Ton, daß sie ihn befremdet anstarrte.

»Was soll das heißen, Herr Baron? Sie sprechen, als hätten Sie mir ein Todesurteil zu verkünden. Ist etwas geschehen?«

Lersdorff wies auf den Kommissar, der vor der Tür der Kabine auf- und abpromenierte.

»Jener Herr gehört der portugiesischen Kriminalpolizei an, Mylady, und ersuchte mich, ihm eine Unterredung mit Ihnen zu verschaffen. Darf ich Sie bitten, ihn zu empfangen?«

Sie lachte.

»Wenn es weiter nichts war, dann brauchten Sie sich kein so geheimnisvolles Aussehen zu geben, Herr Baron. Lassen Sie den Mann ruhig hereinkommen, obwohl ich keine Ahnung habe, was er von mir wissen will.«

Ein Wink brachte den Kommissar in die Kabine.

»Bitte teilen Sie Lady Montauban mit, was Sie ihr zu sagen haben«, wandte der Baron sich an ihn.

Ein fragender Blick des Beamten – ein kurzes verneinendes Kopfschütteln von Lersdorffs – dann:

»Ich bin Kommissar Molhino von der Staatspolizei Lissabon, Mylady. Wir erhielten heute morgen von Scotland Yard, London, das telegrafische Ersuchen, Sie, Mylady, aufzufordern, nach London zurückzukehren.«

»Ich – soll – nach London zurückkehren? Was fällt Ihnen ein? Ich bin im Besitz einer gültigen Fahrkarte nach Südamerika und denke nicht im Traum daran, meine Reise zu unterbrechen. Was will man von mir?«

»Ich bedaure außerordentlich, Mylady, daß Sie vorläufig nicht mehr frei verfügen dürfen. Scotland Yard ersuchte uns, Sie in Haft zu nehmen: das Auslieferungsersuchen würde in kurzer Frist hier eingehen.«

»Ein sehr geschmackloser Scherz, Senhor, den Sie sich mit mir erlauben«, rief Winifred aus. »Darf ich vielleicht Sie, Herr Baron, bitten, mir nähere Erklärungen darüber zu geben, wie es kommt, daß Sie sich zu diesem verspäteten Fastnachtsulk zur Verfügung stellten?«

Lersdorff berichtete in kurzen Worten, was ihm Kommissar Molhino mitgeteilt hatte. Sie nahm die Nachricht nunmehr gefaßter auf und wandte sich an Molhino:

»Ich stehe Ihnen zur Verfügung, Herr Kommissar. Darf ich Sie nun auch bitten, mir zu sagen, wie man auf den Gedanken kommt, ich hätte Beihilfe zur Ermordung meines Gatten geleistet oder, zum mindesten, von seiner geplanten Ermordung gewußt?«

»Alle diese Fragen vermag ich Ihnen nicht zu beantworten, da sich die englische Behörde in ihrem Ersuchen darauf beschränkte, den Haftbefehl zu übermitteln. Ich zweifle jedoch nicht, daß die Akten in kürzester Frist hier eintreffen werden. Ehe Sie, Mylady, ausgeliefert werden können, muß sich ja erst ein portugiesisches Gericht über die vorliegenden Verdachtsmomente klar geworden sein.«

Ohne ein weiteres Wort begann Winifred ihre Habseligkeiten zu packen. Dann, als sie fertig war, wies sie auf die zahlreichen Koffer:

»Ich muß leider Ihre Dienste als mein Spediteur in Anspruch nehmen, Herr Baron. Würden Sie wohl die Liebenswürdigkeit haben, dafür zu sorgen, daß mein Eigentum an Land kommt und mir zugestellt wird. Ich weiß ja nicht,« setzte sie, sich lächelnd an den Kommissar wendend, hinzu, »ob das Hotel, in das Sie mich jetzt führen werden, die Bequemlichkeiten aufweist, wie diese Kabine sie hatte.«

Wider Willen mußte Molhino lachen. Ihm imponierte die Ruhe, mit der diese junge Dame ihren Schicksalswechsel aufnahm. Entweder war sie, so sagte er sich, wirklich schuldlos, oder aber, sie war so raffiniert, daß sie einen Orden verdient hätte.

»Wir werden trachten, Mylady, Ihnen Ihren Lissaboner Zwangsaufenthalt so bequem wie möglich zu machen«, versprach er. »Wir haben für politische, höhergestellte Gefangene einige sehr nette Zimmerchen, von denen Ihnen eines eingeräumt werden soll.«

»Ich danke Ihnen. Werden Sie mich begleiten, Herr Baron?«

»Wenn Sie gestatten, ja.«

»Und die jungen Herrschaften von Weiße? Ahnen sie etwas von dem, was mir widerfahren ist?«

»Nein, Mylady. Herr Kommissar Molhino war so liebenswürdig, diese Angelegenheit so diskret wie möglich zu behandeln.«

»Dafür bin ich Ihnen dankbar, Herr Kommissar. Ich bin bereit. Lassen Sie uns gehen.«

Als sie, begleitet von dem Kommissar und von Lersdorff und gefolgt von den Gehilfen Molhinos, den Gang zur Treppe hinunterschritt, begegnete Hans-Lothar der kleinen Karawane. Erstaunt blieb er vor der Prozession stehen.

»Nanu? Werden hier Tonfilmaufnahmen gemacht? Wo wollen Sie hin, Lersdorff? Und Sie, Mylady?« Plötzlich erblickte er den Portugiesen. Er wandte sich an den Baron: »Wer ist dieser Herr?« fragte er.

»Lady Montauban ist plötzlich veranlaßt worden, die Fahrt zu unterbrechen, Hans-Lothar. Sie wird den Dampfer hier verlassen und einige Zeit in Lissabon bleiben.«

Hans-Lothar starrte die Gefangene an, als traue er seinen Ohren nicht.

»Sie wollen uns verlassen, Mylady? Warum? Haben Sie schlimme Nachrichten erhalten? Darf ich Ihnen irgendwie behilflich sein? Ein Wort von Ihnen, und ich bleibe hier, um Ihnen beizustehen.«

Gerührt reichte ihm Winifred ihre Hand.

»Man hat mich verhaftet. Der Not, nicht dem eigenen Trieb gehorchend, vertausche ich meine bequeme Kabine mit einer Lissaboner Gefängniszelle. Ich soll meinen früheren Gatten ermordet, oder wenigstens, was ja auf dasselbe herauskommt, Beihilfe zu seiner Beseitigung geleistet haben.«

Ungläubig starrte Hans-Lothar von einem zum andern. Dann, als ginge ihm erst jetzt die Bedeutung der Nachricht auf, rannte er wie von Sinnen seiner Kabine zu. Gleich darauf erscholl aus ihr heftiges Klingeln. Während die Karawane ihren Weg zum Fallreep fortsetzte, war Hans-Lothar im Verein mit seinem Steward beschäftigt, in aller Hast seine Koffer zu packen. Nach zehn Minuten standen sie landungsbereit. Jetzt erst fiel ihm die Schwester ein. Er eilte in ihre Kabine und berichtete in kurzen Worten das Geschehene, sowie seine Absicht, in Lissabon zu bleiben und Lady Montauban beizustehen. Nach kurzem Widerstand versprach Liddy, ebenfalls die Reise zu unterbrechen und sich dem Bruder in seinen Bemühungen um Lady Montauban anschließen zu wollen.

So kam es, daß, als Baron von Lersdorff nach etwa zwei Stunden, kurz vor der Abfahrt an Bord zurückkehrte, er einige kurze Zeilen von Hans-Lothar vorfand, die ihn über die Absichten der Geschwister unterrichteten. Es war zu spät für den Baron, sich ihnen anzuschließen. Ehe jedoch die »Montana« wieder in See stach, funkten ihre Antennen eine Anzahl Telegramme des Barons in den Aether hinaus.

Hans-Lothar wurde sich erst seines Schrittes bewußt, als er mit Liddy auf der Praça do Commercio stand und sich der Anerbietungen zahlreicher Hoteldiener und Gepäckträger zu erwehren hatte. Keiner der beiden Geschwister sprach auch nur eine Silbe der Landessprache, obwohl Hans-Lothar einigermaßen das Spanisch radebrechte. Mit Hilfe dieser Brockensammlung gelang es ihm endlich, im ersten Hotel der Stadt Unterkunft zu finden. Der Direktor des Hotels und auch der Portier sprachen geläufig deutsch. Der erstere gab Hans-Lothar auf seinen Wunsch die Adresse eines der besten Anwälte Lissabons. Während Liddy in ihrem Hotel vergeblich nach Worten suchte, um den Eltern den plötzlichen Wechsel in ihren Reiseplänen plausibel zu machen, fuhr Hans-Lothar zum Büro des ihm genannten Rechtsanwalts. Er traf Dr. Cervaes an und wurde sofort vorgelassen. In fliegenden Worten schilderte Hans-Lothar, was sich ereignet hatte. Er wußte wenig genug; was er aber mitteilen konnte, genügte, um ein Kopfschütteln des Anwalts auszulösen:

»Da wird wenig zu machen sein, Herr von Weiße«, meinte er in ziemlich gutem Deutsch. »Etwas anderes wäre es, wenn die hiesige Behörde den Haftbefehl erlassen hätte. Da könnten wir Haftentlassung gegen Sicherheitsleistung beantragen. Da es sich aber um ein Auslieferungsersuchen handelt, wird man sich nicht mit Unrecht darauf beziehen, daß eine Entscheidung des Londoner Gerichts herbeigezogen werden müßte.«

»Ich habe etwa viertausend Pfund Sterling in bar und in Kreditbriefen bei mir, Herr Doktor«, stieß Hans-Lothar hervor. »Weitere Summen stehen mir jederzeit zur Verfügung. Setzen Sie Ihr Honorar so hoch wie Sie wollen an, aber versuchen Sie alles, um die Dame herauszuholen. Ich übernehme die Bürgschaft, daß Sie, gestattet man ihr, in einem Hotel die Entscheidung über das Auslieferungsverfahren abzuwarten, sich nicht aus Lissabon entfernen wird.«

Immer noch am Erfolg seiner Bemühungen zweifelnd, versprach Dr. Cervaes sein möglichstes zu tun. Hans-Lothar war zu nervös, um in Ruhe das Resultat der Anstrengungen des Anwalts abzuwarten. Er bat diesen, ihn zum Gericht mitzunehmen. Lächelnd versprach es ihm der andere. Er wollte seinen neuen Mandanten in etwa einer Stunde vom Hotel abholen.

Hans-Lothar eilte zu Liddy zurück.

Das junge Mädchen hatte in der Zwischenzeit Muße gefunden, sich zu überlegen, was denn die Eltern zu dieser übereilten Reiseunterbrechung sagen würden. Daß man eine Auslandsreise nur deshalb aufgab, um eine geschiedene Frau, deren Ruf, ob berechtigt oder nicht, nicht der beste war, von der Anklage eines abscheulichen Verbrechens zu reinigen, ging allerdings schon über das Maß des Gewohnten hinaus. Hans-Lothar kannte Lady Winifred genau vier Tage, und diese kurze Bekanntschaft genügte ihm, sich Hals über Kopf zum Ritter der Bedrohten aufzuwerfen und Pläne umzustürzen, die seit Wochen gediehen waren. Sie, Liddy, hatte es nur für recht gefunden, den Bruder nicht allein zu lassen. Vater Geheimrat hatte seine beiden Kinder dem Baron anvertraut. Nun hatten diese netten Sprößlinge auch dem zeitweiligen Vormund den Stuhl vor die Tür gesetzt. Wahrscheinlich würde von Lersdorff inzwischen schon telegrafischen Bericht erstattet haben, und es war zu erwarten, daß der Vater innerhalb weniger Tage, und wenn er, wie zu erwarten war, das Flugzeug benützte, innerhalb weniger Stunden die Ausreißer aus Lissabon herausholen werde. Als Resultat der Eskapade würden also nur das Verlieren der »Montana« und ein heilloser Krach herauskommen. Diese Befürchtungen sprach Liddy dem Bruder gegenüber aus, als dieser von seinem Besuch bei Dr. Cervaes zurückkehrte.

»Der Baron hat bestimmt Vater benachrichtigt«, schloß Liddy. »Wir dürfen also damit rechnen, Papachen in spätestens achtundvierzig Stunden, vielleicht auch schon morgen, hier zu haben. Was dann folgt, wirst du dir ausmalen können.«

»Wenn aber von Lersdorff nichts nach Hause berichtet hat. Was dann?«

»Glaubst du, daß dieser steife Beamte es sich hat verkneifen können, Vater reinen Wein einzuschenken?« fragte Liddy, die skeptischer dachte.

»Ich weiß nicht, was du gegen ihn hast, Liddy«, rügte der Bruder. »Ich halte ihn für einen Sportsmann, und, da er dich liebt, wird er sich wahrscheinlich eher auf deine Seite, als auf die der Eltern schlagen.«

Liddy errötete, tiefer, als es die an und für sich harmlose Feststellung Hans-Lothars gewährleistete.

Heftig wies sie ihn zurück.

»Ich verzichte auf die Liebe eines – hm – alten Mannes«, stieß sie hervor.

Hans-Lothar pfiff verhalten vor sich hin.

»Steht es so?« lachte er. »Schau, schau, mein Schwesterchen regt sich über einen ihr gleichgültigen Menschen auf. Na, rege dich wieder ab, Liddy; der Baron ist ja jetzt fern vom Schuß und du brauchst dir keinerlei Zwang anzutun. Uebrigens«, setzte er verschmitzt hinzu, »hast du nicht unrecht. Lersdorff ist tüchtig gealtert, wenn auch nicht an Jahren, so doch in seinem Aeußeren. Er sieht wie ein hoher Fünfziger aus. Der Mann muß wahnsinnig sein, zu hoffen, daß du jemals seine Frau würdest.«

»Rede doch keinen Unsinn. Lersdorff sieht man seine vierzig Jahre überhaupt nicht an. So etwas Forsches hat mancher junge Mensch nicht. Uebrigens dulde ich nicht, daß du ihn in seiner Abwesenheit vor meinen Augen herabzusetzen suchst. Er ist – – –.« Sie starrte Hans-Lothar verwundert an. Im ersten Augenblick vermochte sie sich sein Grinsen nicht zu erklären. Dann aber wurde sie sich bewußt, in welche Widersprüche sie sich eingelassen hatte. Feurige Lohe schoß ihr ins Gesicht. »Du bist ein Ekel, Hans-Lothar«, sagte sie, dem Weinen nahe. »Laß mich doch in Ruhe und kümmere dich um deine Winifred.«

Sofort wurde der Bruder ernst.

»Verzeih', Liddy, wenn ich dich ein wenig hänselte. Du hast recht, Winifred befindet sich in Gefahr, und wir müssen versuchen, ihr zu helfen. Vor allen Dingen müssen wir den Baron von einer Benachrichtigung der Eltern abhalten. Depeschiere du ihm, Liddy, er möchte Diskretion üben.«

»Und wenn er schon telegrafiert hat?«

»Daran glaube ich nicht«, erwiderte Hans-Lothar. »Er wird kaum wagen, dich auf diese Weise gegen ihn aufzubringen.«

Kurz darauf brachte ein Hotelpage das Telegramm Liddys an den Baron zum Postamt.

»Antwort könnten wir in wenigen Stunden haben«, meinte der Bruder. »Inzwischen wird Cervaes hier gewesen sein, um mich zum Gericht abzuholen. Bleibe du bitte zu Hause, Liddy, damit du die Antwort Gerhards von Lersdorff gleich erhältst.«

Und so wurde es gehalten.


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