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11

Georg hatte Gertraud nicht vergessen. Als er zum erstenmale wieder sein Atelier besuchte, trat er leise auf, wie wenn es ein Sterbezimmer wäre; und wenn er am Modelliertische stand, in seine stille Arbeit versunken, dann schwebte immer wieder ihr Schatten vor seinem Blick, oder er hörte das stille Weinen dort aus dem Winkel, wo die Matratze lag. Besonders aber rief immer wieder das Wasser die Erinnerung an Gertraud in ihm wach. Er konnte den stillen Spiegel des Sees im Parke nicht sehen, das Rauschen des Bachs, der sich in den See ergoß, nicht hören und an den schilfbewachsenen kleinen Weihern, die weiter unterhalb im Walde den Bach bei seinem Gang zum nahen Strom geleiteten, nicht vorübergehen, ohne daß die alten Bilder wieder vor seiner Seele auftauchten und ihn mit Schwermut erfüllten.

Georg verkehrte jetzt als ein täglicher Gast in dem Hause des Professors, und es war, als gehörte er ganz zu der kleinen Familie. Dem Alten war es eine Erfrischung, mit dem jungen Freunde umzugehen, den er lieb gewonnen hatte wie einen Sohn, und er beobachtete mit stiller Freude, wie sich Georg und Maria im unbefangnen Verkehr immer mehr an einander anschlossen. Sie machten zu dritt regelmäßig am Abend Spaziergänge ins Freie hinaus. Da suchte dann Maria, die es wußte, was Georgs Herz bewegte, die Männer vom Wasser abzulenken, wenn sie in dessen Nähe kamen. Es wurde ihr nicht immer leicht, da ihr Vater gerade für diese Wege eine besondre Vorliebe hatte. Einmal gelang es ihr nicht; ihr Vater kehrte immer wieder zum See zurück, so oft sie auch einen Vorwand gefunden hatte, von ihm abzubiegen.

Ich glaube, du bist wasserscheu, sagte ihr Vater ärgerlich und ging mit großen Schritten geradewegs auf den See zu.

Jetzt war nichts mehr zu ändern. Aber Maria wollte nun Georg wenigstens davor bewahren, ein Gespräch führen zu müssen; sie sah, wie sich sein Kopf gesenkt hatte und seine Gedanken dem alten Banne verfielen. Darum nahm sie ihren Vater in Beschlag und war so voller Laune und Einfälle, daß der Alte sich von ihr fortziehen ließ, und Georg sich selbst überlassen blieb. Aber Georg dachte wohl an Gertraud, doch wurde sein Herz nicht mehr von der gewohnten Bangnis befallen. Das Gedenken an Gertraud zog durch sein Herz wie die entschwebenden Akkorde eines wehmütigen Liedes, das uns traurig stimmt, aber keinen Schmerz bereitet. Und wie er so hinter den beiden am Seegestade hinging, und sein Blick voll Sehnsucht auf der edeln Gestalt des jungen Mädchens ruhte, und er sich bewußt wurde, wie teuer sie ihm war, da hatten Schilf und Wellenschlag ihren unheimlichen Zauber verloren. Der Mond war aufgegangen am Abendhimmel, und sein silberner Schein zitterte wie ein aufgerollter Fächer auf der sanftbewegten Fläche. Wo du bist, Maria, verschwindet alles Grauen, du Lichthelle, du Reine! dachte er.

Sie ging dicht an den Vater geschmiegt am Ufer hin und sah auf den See hinaus. Und wie sie ihm so ihr schönes, vom zarten Licht des Mondes verklärtes Gesicht halb zuwandte, da gedachte Georg an den König Alkinoos und sein Kind Nausikaa, und sein Herz erzitterte und lauschte auf: von fern her klang ein froher, goldner Ton, ein vorauseilendes Locken aus dem daherrauschenden Liede der Schöpfung. Freue dich, Herz, bald bist du wieder erfüllt von seinem hehren Flügelschlag und trunken in der Wonne des Schaffens!

Als Georg in seine Wohnung zurückgekehrt war, blätterte er in seinem Skizzenbuche. Bald hatte er das Blatt gefunden, das er suchte. In den stillen Tagen, die er während der Krankheit der Mutter zugebracht hatte, hatte er eines seiner Traumgesichte aufs Papier geworfen. Drei Frauen schauten aus drei Fenstern heraus, rechts Luise, links Gertraud. Als er damals das Gesicht der mittleren zeichnen wollte, hatte er an Maria gedacht, aber seine Hand hatte gezittert, sein Gemüt war noch voll Wellenschlags. Es muß die stille Stunde einer großen, heiligen Freude sein, hatte er sich damals gesagt. Und diese Stunde war jetzt da. Die Frau in der Mitte bekam ein Antlitz, eine Seele, einen Namen.

Am folgenden Morgen begann Georg den Entwurf zu einer Nausikaa. Der stürmische Drang der Leidenschaft blieb diesmal seinem Schaffen fern, aber es war getragen von einer stillen, gesammelten Kraft, durchleuchtet von einer immer lichter werdenden Freude. Er sagte den Freunden nichts von seinem Werk. Aber Vater und Tochter spürten es, daß seine Seele schuf, und beide wußten, woran.

Als Georg mit dem Modell fertig geworden war, ging er zu dem Lieferanten, der ihn jetzt voller Respekt behandelte, um sich einen Stein auszuwählen. Als er dies Geschäft besorgt hatte, fiel sein Blick auf einen dunkeln Wildblock von kraftvollen Formen. Es war ein Findling. An den darf kein Meißel, sagte er zu sich. Wilde Rosen müssen ihn überspinnen. Das ist der rechte Stein auf Gertrauds Grab. Er kaufte ihn zu dem ausgewählten Marmorblock und ließ beide in sein Atelier schaffen. Auf dem Heimwege fiel ihm ein, daß noch ein andres Grab sei, das einen teuern Toten berge. Meister Petermann! Ob wohl deine beiden Engel auf deinem Grabe sitzen? Ob wohl deine Erben den letzten Grabstein, den dein Meißel schuf, mit dem übrigen Inventar zu Geld gemacht, oder ob sie ihn auf dein Grab gestellt haben? Georg beschloß, an den Kunstschlosser um Auskunft zu schreiben. Und nach acht Tagen bekam er auch folgende Antwort:

Hochgeschätztester Herr und Kunstfreund!

Zunächst habe die Ehre, mich dero Wohlergehen sowie förderlicher Gesundheit gütigst zu versichern. Es hat mich sehr gefreut, aus meinem Kunstgewerbeblatt, sowie aus den gewöhnlichen Blättern zu entnehmen daß Sie die in Sie gehegten Erwartungen wird enttäuscht, sondern geradezu erfüllt haben. Ich habe es immer gesagt zu meinem Freund Petermann selig sowie auch zu andern Leuten: in dem Georg steckt etwas!

Was nun anbelangt die Grabsteinverhältnisse auf dem Grabe des seligen Petermann, so sind dieselben nicht vorhanden. Der Verblichne hat nämlich die politische Gemeinde und den Spitalfonds zu Erben eingesetzt. Die Erben befinden sich im Prozeß, und der gute Petermann selig hat es keinem von beiden recht gemacht, sondern sie sagen, daß er ganz allem an dem teuern Prozesse, wo die Advokaten so viel verdienen, die alleinige Schuld trage. Darum wurden die Grabsteine alle verkauft, und Meister Petermann selig hat keinen bekommen. Wenn Sie, hochgeschätztester Herr und Kunstfreund, das Grab des verdienten Mannes mit einem Monumente zieren wollen, so wird es mir eine Freude sein, die Sache schönstens zu besorgen und Ihnen die Rechnung für gehabte Auslagen zu präsentieren. Ich selbst bin anfangen alt, der Atem geht ein wenig schwer, aber ich halte mich wacker auf den Beinen. Es wäre jetzt die rechte Zeit, die eiserne Kirchenthür, die ich seit frühester Jugend in meinem Kopfe herumtrage, zu Ehren meiner lieben Vaterstadt auf Kosten eines edeln Stifters aufzustellen, ehe die alte Kirchenthür repariert wird, weil sonst das Geld hinausgeworfen wäre. Da Sie, hochgeschätztester Herr und Kunstfreund, in dero Edelmut beschlossen haben, das Grab unsers seligen Meisters mit einem Grabsteinschmucke zu versehen, so ergebe ich mich der süßen Hoffnung, daß dero Edelmut auch an unsre arme Stadtkirche und an Ihren väterlichen Kunstfreund stiftenderweise gedenken werde. Ich habe mir aus meinem Kunstblatte eine schöne Zahl bemerkenswertester Motive zusammengestellt. In der Hoffnung, daß Sie in dankbarer Erinnerung empfangner Anregungen meiner anklopfenden Bitte geneigtes Gehör schenken, zeichne mit vielen tausend Grüßen

Ihr gehorsamster
Philipp Lattich, Kunstschlosser

Nachdem Georg diesen Brief empfangen hatte, ging er in vergnügtester Laune noch einmal zu seinem Lieferanten hinaus und kaufte den schönsten Marmorblock. Und dann machte er sich in behaglicher Stimmung an die Arbeit. Das Ideal seines Meisters hatte er ja treu im Busen bewahrt. Unten meißelte er den Engel des Schmerzes. Seine Mundwinkel hingen nicht weiter hinunter, als recht und billig war, denn dieser Engel hatte ja keinen Geldbeutel verloren. Und oben dem Engel des Trostes öffnete er den Mund nur soweit, daß ein Gesangbuchverslein hindurchschlüpfen konnte; die Leichenpredigt hielt ja nicht dieser Engel, sondern der Herr Pfarrer hatte sie schon gehalten, recht und schlecht.

Er dachte daran, wie er den Grabstein schon einmal wieder gemeißelt hatte im Hause seiner Mutter, und wie die glücklich gewesen war, als sie gesehen hatte, daß er etwas könne. Und es erhöhte sein Behagen, wenn er sich vorstellte, wie sie nun warm und wohlig daheim in ihrem Häuschen sitze, behaglich im Sonnenschein an ihrem Fenster; nicht mehr geplagt von der Sorge um ihre Bügelkundinnen, und von der Angst um ihren großen Jungen, für den sie jetzt ungezählte Strümpfe strickte, und zu dem sie jetzt mit liebendem Herzen herüberdenken mochte.

Als der Grabstein fertig war, schickte ihn Georg mit dem Findlingsblock an den Kunstschlosser und erhielt bald darauf die Nachricht, daß alles schönstens besorgt sei, nebst einer umfangreichen Rechnung über Auslagen, Spesen, Zeitversäumnis und eigne Arbeit. Was das bescheiden berührte Anliegen meiner Wenigkeit betrifft, so schloß der zweite Brief des Kunstschlossers, so hat es damit kein so eiliges Bewandtnis, indem daß ich mich sehr wacker fühle und noch mehrere Jährlein zu leben gedenke.

Nach diesem Zwischenspiele nahm Georg den andern Marmorblock in ernsten Angriff. Die Arbeit ging ihm leicht von der Hand. Seine Seele war hochgemut und frei, und doch ganz versenkt in sein Schaffen.

Und als er dann eines Abends zur gewohnten Stunde in des Professors Wohnzimmer eintrat, lag eine stille Fröhlichkeit in seinem Wesen. Sein Blick flog immer wieder zu Maria hinüber, und ein eignes Lächeln spielte um seine Lippen.

Sie sind fertig? fragte der Professor.

Georg nickte.

Darf ich morgen kommen?

Ja.

Aber als Georg dann am andern Morgen dem Besuche die Thür öffnete, machte er ein bestürztes Gesicht: er sah Maria in die Augen.

Sie begrüßte ihn mit unbefangner Freundlichkeit, ohne lange um Entschuldigung zu bitten, daß sie mitgekommen sei. Es war dem Vater selbstverständlich erschienen, die Tochter mitzubringen.

Wo ist sie denn? fragte der Professor. Ah, hier, hinter dem Vorhang. Er trat auf ihn zu, als wollte er ihn hinwegziehen, aber Georg wehrte in tiefster Verwirrung. Dabei warf er einen flehenden Blick auf Maria.

Was ist denn das? rief der Professor betroffen. Es steckt doch nichts Unrechtes hinter dem Vorhange?

Maria sah erstaunt bald den einen, bald den andern an. Mit einem kräftigen Ruck schob der Professor den Vorhang zur Seite.

Maria! rief er in tiefster Bewegung aus. Er stand da in Schauen versunken. Seine Lippen zitterten. Das ist ein Klang aus reingestimmter Seele! sagte er endlich und reichte Georg die Hand, der todesblaß zurückgetreten war und Maria nicht anzublicken wagte. Dann sah der Professor wieder auf das Bild. Ist denn mein Kind wirklich so schön? sagte er leise.

Bei dem Ausrufe ihres Vaters war Maria alles Blut zum Herzen gedrungen, dann strömte und wogte es vom stürmenden Herzen wie die Hochflut, die über das Ufer hereinbricht. Sie stand da, mit Glut übergossen, gleich einer Träumenden. Dann wandte sie sich plötzlich zu ihrem Vater. Sie schlang die Arme um seinen Hals und barg in überströmender Zärtlichkeit das weinende Angesicht an seiner Brust.

Maria, hat ers jetzt zu deiner Zufriedenheit gemacht? Wie lohnst du dem Künstler? fragte der Professor, indem er zärtlich ihren Kopf in die Höhe zu richten suchte. Den Lorbeer gabst du ihm schon. Was hast du noch für ihn?

Da hob Maria das bräutliche Antlitz. Sie sah Georg an mit einem Blick voll unendlicher Liebe und streckte ihm die Arme entgegen.


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