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2

Die helle Nachmittagssonne schien in die Werkstatt. Georg war allein. Er saß vor dem breiten Tische und blätterte die geliehenen Bücher durch, einen Band nach dem andern. Zuerst that ers in dem Gedanken an seine Aufgabe, dann gedankenlos, wie man in einem Wartezimmer Bilder beschaut, endlich im Zwang der Pflicht, um mit allen fünfen fertig zu werden. Aber ehe er den letzten Band bis zur Hälfte durchgeblättert hatte, stand er auf, es war ihm beklommen zu Mut, und das Herz klopfte ihm bis zum Halse hinauf. Der helle Sonnenschein lag auf den vollendeten und begonnenen Grabsteinen und beleuchtete die süß-traurigen und traurig-süßen Gesichter der beiden Engel, hier von vornen, dort von hinten, da von der Seite. Georg sah darüber hin. Da kam es machtvoll über sein Gemüt. Etwas andres, etwas eignes sollte – durfte er schaffen! Er erschrak, daß ihm das Herz erbebte. Aber im erschütternden Ansturme des Schreckens kam eine Freude in sein Herz, wie er sie noch nie erlebt hatte, eine hohe, angstvolle Freude, die jauchzend und zitternd über dem Abgrunde hing. Mit leisem Schritt, wie wenn er sich scheuen müßte, jemanden zu verscheuchen, ging er in den hintern Raum der Werkstatt, der im Schatten lag, und setzte sich auf die Brunnensäule nieder. Da saß er, die heiße Stirne in die Hand geschmiegt, bis sein Meister vor ihm stand und ihn mit erstauntem Blicke maß. Georg stand auf und ging still an die gewohnte Arbeit.

Der alte Steinmetz besichtigte den Schaden im Laubwerk der Säule. Das soll der Teufel reparieren! brummte er in sich hinein. Es wird das gescheiteste sein, all das unnütze Epheuzeug samt dem Getier hinwegzumeißeln. Die letzten Worte sprach er zu Georg. Der gab keine Antwort. Das nahm der Alte für Zustimmung, und bis zum Abend hatte er eine schöne Walze zurechtgemeißelt.

Georg arbeitete wortlos an einem Grabsteine, bis die Feierstunde schlug. Wie alltäglich spaltete er dann Küchenholz für die Haushälterin seines Meisters, und maschinenmäßig setzte er sich an den Tisch und aß sein Abendbrot. Meister Petermann war aufgeräumt, da er sich seiner Aufgabe so rasch und so glücklich entledigt hatte und mit der nächsten Woche wieder zu seinen Engeln zurückkehren durfte. Er ahnte nichts von der tiefen Bewegung seines Gesellen und war erstaunt, daß ihn dieser heute nicht zum Samstagsschoppen begleiten wollte.

Georg hastete in sein Zimmer und in sein Bett, obgleich der Abend erst herandämmerte. Er stützte beide Ellbogen auf das Kopfkissen und sah zum geöffneten Fenster hinaus zu dem dunstigen, mattblauen Himmel empor, der von der glühenden Sonne, die ihn durchwandert hatte, zu dampfen schien. So lag er noch, als die ersten Sternenblicke durch den Nebel irrten, und noch, als des Mondes silberner Kahn mit dem bleichen Segel durch das Himmelswasser schwamm, bis Sternenlicht und Mondenschein verdeckt wurden von der schwarzen Nacht. Erst als der erste matte Hauch des Morgenlichts, die Finsternis erweichend, über die Wipfel des Gartens quoll, fielen dem Burschen die Augen zu. Nach kurzem Schlummer schreckte er wieder auf und wurde wach. Er preßte die brennenden Augen zusammen und suchte den Schlaf. Aber der kam erst wieder an sein Lager geschlichen, als er ihn zu suchen aufgegeben hatte, und sein Geist wieder hineingestürzt war in die Wogen seiner Empfindungen.

Als er erwachte, fühlte er sich matt und elend. Ein unfruchtbarer Sturm war durch ihn hindurch gebraust. Es hatte gesungen und geklungen, gewogt und gewallt in seinem Gemüte, aber nichts war aus der Tiefe gestiegen, keine Gestalt, die ihn gegrüßt hätte: da bin ich, dein eigen! Die Wogen hatten sich selber getrunken, das Wallen war in sich verbraust, der Klang war wortlos, gedankenlos verklungen. Georg fühlte sich zerarbeitet – für nichts – ärmer als arm.

Er zog sich an und machte seinen gewohnten Kirchgang. Während er sonst bei den Burschen auf der Straße zu stehen pflegte, bis der Bürgermeister und seine Familie zur Kirche gingen, und er mit Luise einen Morgengruß getauscht hatte, eilte er heute alsbald auf seinen Platz, und nicht ein einziges mal sah er nach dem bekümmerten Mädchen hinunter, dessen Blick den seinen mit steigendem Verlangen suchte. Das einzige, was in seinen Geist Eingang fand, war, daß seine Augen bemerkten, daß der steinerne Kanzelfuß aus einem Strauße von Palmblättern herauswachse, und das einzige, was er mit Bewußtsein that, war die scheue Flucht vor Luise und ihren Eltern nach dem Gottesdienste. Um alles wollte er heute nicht zu dem üblichen Biergartengang eingeladen werden, nur heute nicht.

Nach dem Mittagessen ging er über die Wiese den Wingert hinauf und dem Walde zu. Glut hauchte die ausgedörrte Berghalde, und träger Dunst deckte den Himmel zu. Die Sonne hing in bleierner Schwere in den gespannten Nebeln. Es war, wie wenn des Himmels Schoß gebannt wäre, sodaß er kein Wetter empfangen könne, und der Dunst und die Glut, anstatt sich zu einem Gebilde zu gestalten, fort und fort, hin und wieder, auf und nieder weben müßten.

Aus dem Weinberg ging der Pfad in ein Föhrengehölz, das sich bis zum Gipfel des Berges hinaufzog. Ehe Georg in die Waldesnacht trat, pflückte er einen Strauß Weinbergsnelken, die zwischen den letzten Rebstücken dicht bei einander wuchsen. Dann eilte er über die hohlliegenden Wurzelstränge durch die brütende, lautlose Dämmerung dem Kamme des Hügels zu. Oben wehte ein Lufthauch, und junger Buchenwald empfing den Wandrer. Der verwachsene Pfad wurde so eng wie ein Rehschlupf und fiel rasch nach dem Grunde des Thales hin ab. Jetzt hatte sich der letzte Busch hinter Georg geschlossen, und er stand auf einem grünen, kühlen Waldwege. Binsenbüschel und vereinzelter Schilf zwischen dem hohen Waldgras verrieten die Nähe des Wassers, und zuweilen hörte man im Geräusche der Buchen einen hellen Klang wie Quellengeriesel.

Georg spähte suchend das üppig wuchernde Buschwerk entlang, das sich auf der andern Seite des Weges vor den hohen Buchenstämmen hinzog. Jetzt hatte er gefunden, was er suchte. Er schlüpfte durch eine schmale Lücke, die zwischen zwei Brombeerhecken offenstand, ließ sich einen kurzen, steilen Abhang hinuntergleiten und stand auf einer moosigen, von einem großen Haselnußstrauche überwölbten Felsplatte. Hinter ihm stieg der Buchenwald in die Höhe, rechts und links sprang das steile, buschige Ufer vor, ihm gegenüber ragte die dunkle, flüsternde Wand eines undurchdringlichen Erlengehölzes, und ihm zu Füßen glitt lautlos ein schwarzer Bach vorüber.

Georg legte sich auf das weiche Lager und sah dem Wasser entgegen, das wie eine geheimnisvolle Schlange durch das Gebüsch geschlüpft kam; dichter Schilf bewuchs die beiden Ufer, und seine hellgrünen Fahnen wehten bis zu den dunkeln niederhängenden Blättern empor.

Eine kurze Strecke unterhalb des Verstecks stiegen die Schilfgeschlechter von beiden Seiten so tief in das Wasser, daß sie sich in der Mitte vermischten, und der stille Bach erhob hier seine Stimme und hielt in leisem Klingen Zwiesprache mit dem flüsternden Volk. Einen Büchsenschuß abwärts leuchtete das sonnenbeschienene Dach der Mühle über die Windungen des Baches herüber. Auf dem andern Ufer knarrten Räder, man hörte Peitschengeknall und nahe Stimmen. Die Landstraße zog sich dort das Thal hinauf. Aber das Erlengebüsch längs des Baches war so dicht, daß lein Blick herüber und hinüber dringen konnte.

Georg lag da, Kinn und Wangen in die beiden Hände gestützt, und hub die Arbeit der Nacht von neuem an. Aber wie er sich auch den Kopf zerbrach, gleich Nebelbildern zog es an einem Geiste vorüber, sie zerflossen in nichts, wenn er sie anschaute, und dann schwirrte es ihm wieder vor den Augen von einer Fülle von Bildern, aber wenn er hineingreifen und eins festhalten wollte, so war die Schar zerstoben.

Das unnütze Spiel ermüdete Georgs Gedanken, sie trieben es immer matter und stellten es schließlich ein. Und durstig geworden von dem fruchtlosen Ringen, schlürfte seine Seele durch Auge und Ohr das geheimnisvolle Leben der Waldeinsamkeit, Er sah den Libellen zu, wie sie über dem Wasser tanzten. Er horchte erschrocken und entzückt auf, wenn hinter ihm des Waldes heimlich-unheimliche Geräusche laut wurden, ein kurzes Rascheln im dürren Laub, das anschwellende Rauschen im Buchenwipfel, das mißtönige Knarren irgendwoher aus der Höhe, das dumpfe Aufschlagen einer fallenden Eichel im Moos, der schwere Flügelschlag eines Raubvogels durch die erschrocknen Blätter einer Baumkrone, das knitternde Zusammenschlagen der Zweige im Gebüsch, wenn irgend etwas, vielleicht ein Wild, lautlos hindurchgedrungen war, und dann wieder das lüsterne Geraune vom Schilfe her, Vogelstimmen waren kaum zu hören. Aber wenn Georg nach dem Walde hinauf lauschte, kams ihm vor, als ob auch in den Blättern der Bäume das unruhige Vogelleben webe, das in den Spätsommertagen die gefiederten Völker kurz vor ihrem Aufbruch so leidenschaftlich umhertreibt. Es überfiel ihn mächtig die Wehmut der Herbstnähe, und ohne zu wissen, was er that, warf er eine der Blutnelken nach der andern in das vorüberfließende Wasser. Er sah den schwimmenden Blumen zu, wie sie dem Schilfe entgegen eilten und zwischen den Blättern hangen blieben.

Ihr armen Blumen, dachte er, so müßt ihr hier im Schatten verderben. Ob wohl eine den Weg hindurch findet, hinaus aus diesem Düster ins Sonnenlicht? Und er beugte sich weiter vor und warf die Blume weiter hinein in den Bach und sah mit Freuden, wie sie der Länge nach mit dem rascher fließenden Wasser dahinglitt und zwischen zwei hochragenden Stengeln verschwand.

Glück zu! dachte Georg und wartete eine Weile, als ob die entschwundne Blume zurückkehren könnte. Dann warf er eine andre, es war seine letzte, derselben Stelle zu, von der die vorige ihre glückhafte Fahrt gethan hatte, und sah der lustig dahingleitenden gespannten Blickes nach.

Schon näherte sich des Stengels Ende dem grünen Gehege, da rauschte es im Schilf, ein weißer Arm griff heraus und schob die Blätter zur Seite, der heranschwimmenden Blume entgegen tauchte eine Hand aus der Flut und ergriff sie. Dann verschwanden Arm und Hand, und hinter dem holden Geheimnis schlug der Schilf zusammen.

Aber von neuem rauschte es, und aus dem Schilfe tauchte ein Frauenleib. Die Nixe hielt die triefende Hand über die Augen und spähte den Bach hinauf. Die andre Hand legte sie auf den schimmernden Hals, wohl um die stechenden Spitzen der Blätter fern zu halten. Gleich hervorquellenden Blutstropfen leuchteten die roten Blüten über den weißen Fingern.

Georg erschrak bis ins Herz hinein. Sein Zusammenfahren verriet ihn. Es traf ihn ein erstaunter, fragender Blick des Mädchens. Dann verschwand das Bild. Die Fahnen des Schilfes schwankten noch eine Weile, dann stand alles still. Neckisch klangen die Wellen, und höhnisch flüsterten die Blätter, hinter denen die Erscheinung untergetaucht war.

Da stand der Bursche leise auf, kletterte ins Dickicht zurück und hastete den Waldhang hinauf. Oben auf dem Pfade hielt er still. Auf dem Herzen lastete es ihm zentnerschwer. Er wußte nicht, was ihn erfüllte; war es Angst? Es ging ein Schauer auf seine Seele nieder. Er mußte sich setzen, denn seine Füße trugen ihn nicht mehr. Er atmete mühsam und schloß die Augen. Da schwirrte es ihm feurig vor den Sinnen, daß ihm alles Denken verging. All sein Wesen löste sich auf in dies Flimmern, Zittern und Weben.

Mit einemmale durchzuckte es ihn wie ein Blitzstrahl. Er öffnete die Augen und sah die lichte Welt vor sich. Das Herz klopfte noch mächtig, aber das pressende Gewicht war weg, im Kopfe wirbelte es ihm, aber von lauter Gedanken.

Leichten Fußes eilte er den Weg dahin. Bald fing er an zu laufen, zu tanzen und zu springen. Er warf den Hut in die Höhe und fing ihn jauchzend wieder auf. Dann sprang er in den Wald hinein, schlang die Arme um einen Ahornstamm und preßte die Lippen auf die Rinde wie auf den Mund einer Geliebten. So that er gleich einem Unsinnigen, bis er in die Nähe des Städtchens kam. Da wurde er wieder gesetzt. Aber um eines Hauptes Länge schien er gewachsen zu sein. Seine Augen leuchteten. Es war etwas Hoheitsvolles in seinem Wesen, etwas Königliches in seinem Gruße, sodaß des Bürgermeisters Töchterlein, das ihm auf der Brücke begegnete, noch tiefer errötete als gewöhnlich und die Hand aufs zitternde Herz preßte.

Die Leute eilten ihren Wohnungen zu, denn ein Gewitter war im Anzuge. Es kam über den Wald her, aus dem Georg gekommen war. Er hatte nichts von ihm bemerkt, aber mit stillem Jubel begrüßte er die zuckenden Blitze, und als der erste Donnerschlag mächtig hinter dem Berge vorbrach, da that ihm der laute Schall innig wohl.

Auch in dieser Nacht schloß Georg kein Auge. In stiller Glückseligkeit schaute er aus seinem Lager zu dem flammenden Himmel empor.

Als hinter den ausgebrannten Wolkentrümmern die Sterne sichtbar wurden, waren sie schon vom aufdämmernden Tage gebleicht, und Georg stand, ehe ihr Licht im kühlen Morgenhauch erlosch, schon in der Werkstatt vor einem Thonklumpen, und mit zitternder Hand setzte er den Spatel daran.

Zur gewohnten Stunde schritt der Meister über den Hof der Werkstatt zu. Georg hörte den Tritt, warf ein Tuch über den Thonklumpen, und wie der Alte zur Thür hereinkam, stand der Geselle vor einem Engel des Trostes und rieb ihm die Wangenrundung zurecht. Der Meister merkte nichts von dem seligen Geheimnis, das aus den Augen des Burschen leuchtete und um seine lächelnden Lippen spielte. Wortlos arbeiteten die Zwei neben einander. Der eine hatte nichts zu sagen; dem andern war das Herz zu voll.

Als die Gänse heimgeflogen waren, stellte der Meister die Arbeit ein, zog Schurz und Kittel aus und ging in den Garten hinüber.

Da atmete Georg aus tiefer Brust auf, riegelte die Thür zu, hob das verhüllte Brett auf den Tisch, schob den Tisch ans Fenster und warf die Decke weg. Dann preßte er die Stirne an die Wand und schloß die Augen. So stand er eine Weile; dann eilte er bis zur Thür und wieder zurück. In einem finstern Winkel blieb er stehn und kauerte sich auf den Boden nieder. Mit einem freudigen Aufschrei sprang er dann wieder in die Höhe und eilte an den Tisch, um zögernd stehen zu bleiben. Erst ging er ein paar mal langsam im Gemache auf und nieder, dann faßte er sich ein Herz und griff in den Thon.

So trieb er es mit seiner Arbeit bis zum Wechsel von Dämmerung und Nacht. Dann verließ er die Werkstatt, aß einige Bissen von dem Abendbrot, das des Bildhauers Base, die diesem die Wirtschaft führte, ihm in sein Zimmerchen gestellt hatte, da der Alte bereits zum Wein gegangen war, und sah dann noch lange von seinem Lager zu den Sternen hinauf. Die frühste Morgendämmerung weckte ihn aus aufgeregtem Schlummer. Hastig zog er sich an, ging fröstelnd auf den Hof, trank einen Schluck Wasser am Brunnen und schlüpfte in die Werkstatt, wo er das wilde Spiel fortsetzte, bis der nahende Schritt des Meisters ihn wieder zu dem gesetzten Gesellen Georg machte.

So trieb ers Tag für Tag. Er wurde bleich, seine Wangen fielen ein. Aber aufrecht blieb seine Gestalt, frei und sicher der Gang. Aus seinen Augen leuchtete stolz die Freude, die der Widerschein ist der verborgnen Helligkeit, mit der die Schaffenskraft das Gemüt erfüllt. Aus seinen Gebärden und Worten wirkte der Zauber, den unbewußt die Menschen ausüben, die inmitten kleiner Dinge ganz von einem großen Gedanken erfüllt sind, und in deren Gemüt das Lied der Schöpfung wogt. Auch bedeutungslose Worte und Werke solcher Menschen gleichen den sprühenden Tropfen, die der verhaltene Springquell voraussendet, ehe er gen Himmel emporschießt.

Alle, die an Georg Anteil nahmen, empfanden die Veränderung seines Wesens. Meister Petermann wußte, daß er heimlich an dem Kopfe der Brunnensäule arbeite; er wollte sich überraschen lassen und forschte darum nicht nach. Die Base gab bei jeder Mahlzeit ihrer Bekümmerung über Georgs abnehmende Eßlust wortreichen Ausdruck und ließ sich dann jedes mal wieder von ihrem lächelnden Vetter und Herrn durch die Versicherung trösten, daß dies vom Wachsen herkäme. Auch der Bürgermeister hatte zu trösten. Seine Frauenzimmer waren betreten, daß Georg nicht mehr an dem üblichen Sonntagnachmittagswandel nach des Onkels Biergarten teil nahm. Er ließ zur Entschuldigung des Vermißten etwas von einem wichtigen Auftrag, den Georg vom Gemeinderat erhalten habe, verlauten, der ihm sein Glück bereiten könne; es sei nicht daran zu zweifeln, daß Georg etwas Tüchtiges leisten und sich für seine künftige Grabsteinfabrik das Vertrauen aller sterblustigen und erblustigen Gemüter erwerben werde. Luischen wurde von unbegrenzter Bewunderung vor dem Geliebten erfüllt, und sie verzehrte sich zugleich vor Sehnsucht nach dem fern bleibenden. Auch sie wurde bleich und hatte unruhige Träume. Wenn das holde Kind seinem Schatz begegnete, verfärbte es sich, und wenn er grüßend vorüberschritt, wankten ihr die Kniee. Einmal mußte sie inne halten vor starker Bewegung. In wirrer Verlegenheit beugte sie sich nieder, wie wenn sie etwas zu Boden gefallnes aufhebe. Da strich sie mit der Hand über den Boden hin, den sein Fuß berührt hatte. Sie wußte nicht, was sie that.

An den Sonntagen schweifte Georg nicht mehr wie früher im Walde umher, und er ließ die Blumen im Schlage unbeachtet. Auf dem nächsten Wege eilte er dem Versteck am Mühlenbache zu. Dort lag er den Nachmittag und schaute hinüber in den Schilf des andern Ufers. Zuweilen holte er den Modellierthon aus dem Beutel und hub zu bilden an. öfters aber lag er mit müßigen Händen da. Dann schloß er wohl die Augen. Da hörte ers wieder drüben rauschen und sah den schönen Leib emporgetaucht aus dem Schilf. Der weiße Arm, von dem die Perlen tropften, überdachte die Stirn, und mit dem andern Arm wehrte die Nixe den zudringlichen Blättern. Und er sah den schimmernden Hals und die geöffneten Lippen, und wie das rote Blut aus den Wangen leuchtete und in erneutem Wogenschlag zur weißen Stirne emporbrandete. Und da, jetzt, in diesem Augenblicke sah er auch wieder das seltsame Flimmern in den dunkeln Sternen, aber nur sekundenlang, dann tauchte der Kopf nieder, und das Schilfrohr schlug darüber zusammen, und die bläulich schimmernde Wasserjungfer tanzte um die Fähnchen des Schilfes.

Beim Heimgehen vermied es Georg, an der Mühle vorüber zu gehen. Die Erscheinung hatte für ihn bei all ihrem süßen Reize soviel schauerlich fremdartiges, daß er nicht daran denken mochte. daß Gertraud, die Müllerstochter, die Nixe gewesen sei. Er hatte das Mädchen zuweilen bei Luise gesehen, mit der es verwandt war, und er war gegen sie eingenommen gewesen, denn er hatte mehr als einmal gehört, daß Luisens Eltern den unvermeidlichen Verkehr ihrer Tochter mit Gertraud nur ungern sahen. Das Mädchen aus der Thalmühle galt für eine Leichtsinnige, um deren willen ihr Vater schon mehr als einen Mahlburschen habe entlassen müssen. Auch jetzt zog ihn nichts zur Mühle hin, im Gegenteile, er fürchtete sich vor ihr. Nur einmal hatten ihn ohne sein Wissen und Wollen die Füße den bequemen Weg geführt. Als er da aber den Steg und das Mühlenrad vor sich sah, erschrak er und wandte sich wieder um. Nicht um alles hätte er die schöne Gertraud jetzt in ihrem Sonntagsputze sehen mögen, nein, nicht um alles!

Von seinen Sonntagsgängen kehrte er immer niedergeschlagen zurück. Bevor er sich schlafen legte, betrachtete er noch einmal sinnend und vergleichend sein werdendes Werk beim Scheine der Ampel. In der Nacht quälten ihn angstvolle Traume. Später als sonst ging er des Montags ans Wert, und es dauerte immer eine Weile, bis ihm die Zuversicht zurückgekehrt war.

So verging der Sommer. Die Blätter des Haselnußbaumes färbten sich rot und gelb, und als Georg einmal wieder zu seinem Versteck kam, fand er den Strauch kahl und den Ruheplatz mit feuchten Blättern bedeckt. Er kehrte um, aber nicht traurig, wie er sonst wohl gewesen wäre: sein Werk war der Vollendung nahe.


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