Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7

Zur gewohnten Stunde stand Georg in der Werkstatt. Gottlob, daß alles dahinten liegt! dachte er, und mit Eifer ging er an die Arbeit. Aber nachdem er einige Stunden gemeißelt hatte, ließ er müde und verdrossen den Hammer sinken. So lästig war ihm die Arbeit noch nie gewesen, so langsam war der Morgen noch nie dahingeschlichen. Wie war es doch so anders, noch vor ein Paar Tagen! Da ging ihm die Arbeit von der Hand wie Hexenwerk, und er fühlte sich auch nicht ein einziges mal müde oder ungeduldig. Was war die Ursache?

Er legte die Werkzeuge aus der Hand, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und besann sich.

Damals sputete er sich, fertig zu werden, denn hinter dem gewöhnlichen Werke stand sein künstlerisches Schaffen. Den Tag über wars in den Schleier gehüllt, aber er träumte von seiner berauschenden Schönheit, während er sein Gesellengeschäft that, und wie beseelt hüpfte der Meißel vorwärts und vorwärts, damit er endlich an den geliebten Stein gelange!

An den geliebten Stein! Er dachte an das Frauenbild auf der Brunnensäule.

O wenn du doch nicht dort droben stündest! seufzte er. Wie wars eine schöne Zeit, als du noch im Werkstattwinkel lagst und niemand von dir wußte, als ich allein, – als du noch ein Klotz warst, und deine Schönheit nirgend anders lebte als hier!

Er preßte die Hand aufs Herz.

Es war ihm, als sei er aus erhabner Höhe heruntergefallen in den Staub der Werkstatt, als sei ihm ein Kleinod herausgesprungen aus dem Innersten seines Wesens, und als müsse er selbst nun wertlos und schlecht weiter leben mit dem Gefühle der tätlichen Leere in seiner Brust. Das Heimweh nach dem qualvoll seligen Zustande, wo er in Dämmerstunden mit schaffender Seele in sein Geheimnis versenkt gewesen war, ergriff ihn mit Obergewalt.

Mit wildem Blick sah er in der Werkstatt umher. Du Tropf! schrie er plötzlich auf und gab einem lächelnden Engel einen Faustschlag ins Gesicht.

Erschrocken sah der Meister von seiner Arbeit in die Höhe.

Wer ist ein Tropf?

Der Kerl da!

Petermann trat zu Georg und sah ihm kopfschüttelnd ins erregte Antlitz. Dann hielt er die Hand über die Augen und betrachtete Georgs Arbeit.

Das ist kein Tropf und auch kein Kerl, sagte er, sondern der Engel des Trostes, wie er im Buch steht. Es ist dir noch keiner so gut gelungen wie der da.

Georg schwieg. Da sah ihn sein Meister an und sagte traurig: Unser Herrgott hat dich gestern gegrüßt. Du hättest ihm danken sollen.

So sieht unser Herrgott nicht aus! erwiderte Georg bitter.

Meister Petermann fuhr fort: Sie habens alle gut gemeint. Und Recht haben sie doch. Dein Weg geht da hinaus. Er wies auf die Thür der Werkstatt.

Wollt Ihr mich los sein?

Ja! sagte der alte Mann mit einem großen Blick, und die Thränen traten ihm in die Augen. Georg, du weißt warum.

Es wird vorübergehen, seufzte Georg, und alles wird werden, wie es früher war.

Die beiden Männer wandten sich wieder ihrer Arbeit zu. Meister Petermann ließ oft den Meißel sinken und sah nachdenklich zum Fenster hinaus. Da mußte ihm ein glücklicher Gedanke gekommen sein. Ein fröhliches Lächeln spielte auf seinen Lippen, und er begann ein Liedchen zu pfeifen.

Auch über Tisch war er still und fröhlich, und wieder und wieder schlich das geheime Lächeln über sein Antlitz.

Als die drei vom Tische aufgestanden waren, sagte der Alte: Heute Nachmittag wird nicht gearbeitet. Wir halten Nachfeier auf dem Birnbaum.

Dann winkte er seiner Haushälterin zur Thür hinaus und gab ihr einen geheimen Auftrag.

Wenige Tage zuvor war das Allmendobst auf dem Stiele versteigert worden. Meister Petermann hatte mit großer Geduld ausgeharrt und es sich ein gutes Stück Geld kosten lassen. Er hatte es auf einen Birnbaum abgesehen gehabt, dessen kleine längliche Früchte wegen ihrer gewürzigen Süßigkeit in der Gegend berühmt waren und darum bei der Versteigerung das Geriß hatten. Diesmal war Meister Petermann Sieger geblieben.

Nach dem Mittagessen ging der Alte zu seinem Nachbarn hinüber und entlieh von ihm für den Nachmittag eine lange Leiter, denn der Baum war gewaltig in die Höhe gewachsen. Dann stand er mit seinem Gesellen wartend an der Straße, bis ein mit Gäulen bespannter Leiterwagen daher rasselte. Sie riefen dem Knechte, der die Pferde lenkend auf dem Wagen stand, er solle halten, und als sie von ihm erkundet hatten, daß er an dem Birnbaume vorüberfahre, baten sie ihn um Erlaubnis, ihre Leiter dem Wagen anhängen zu dürfen. Der Knecht versprach, die Leiter vor dem Birnbaume in den Straßengraben zu legen, und der Wagen rasselte davon.

Wohlgemut schlenderten der Meister und sein Geselle hinterdrein.

Derweilen ging die Base Margarethe zu Bürgermeisters hinüber. Sie richtete einen schönen Empfehl aus vom alten Petermann und lud Fräulein Luischen zur Birnenernte ein. Die Birnen seien am besten vom Baume herunter. Sie selber wollte so gegen vier Uhr Fräulein Luischen abholen und hinausgeleiten. Denn der Baum stehe an der Landstraße. Da sei es für Fräulein Luischen nicht geraten, allein zu gehen; ein Handwerksbursche könnte sie sonst vergelstern.

Es war ein sonniger, klarer Septembertag. Der Alte, der vergnüglich sein Pfeifchen schmauchte, hatte sich seine silberne Brille aufgesetzt und holte mit dem Obstbrecher die äußersten Früchte herunter. Georg aber saß mit dem Sack um die Schulter in der Krone des Baumes, und wenn er fünfzig Birnen gebrochen hatte, verzehrte er die einundfünfzigste zur Belohnung. Der frische Wind wehte ihm um das Haupt, er wiegte sich auf seinem Ast, daß die Krone des Baumes schwankte, er sah in den Himmel hinauf und den eilfertigen Wölklein nach, und dann schweiften seine Augen wieder über die Wälder und Hügel hin, das schöne Thal hinauf und hinab. Es war ihm wohl und frei wie einem Vogel im Baum. Er hängte den Sack an einen Baumknorren, streckte sich, daß der Wipfel sich schüttelte, und rief ins Land hinaus: Holdrio!

Holdrio! klang die Antwort fern vom Wiesenthal herüber. Er sah dort Mädchen, jenseits des Bachs, auf einer breiten Wiese. Sie schwangen den Rechen, daß die Röcke flogen, und in den raschen Bewegungen leuchteten die roten Mieder.

Wem gehört die Wiese dort drüben – dort, wo sie Heu machen? fragte Georg zu seinem Meister hinunter. Der führte in weitem Bogen den Obstbrecher, auf den Boden, ließ die gebrochnen Früchte ins Gras gleiten und sah dann ins Wiesenthal hinab. Die gehört dem Thalmüller. Und seine Leute sinds.

Der Alte ging um den Baum herum, und der Obstbrecher hob sich wieder in weitem Bogen dem Wipfel zu. Georg aber spähte nach der Wiese hinüber. Eine der Mähderinnen lehnte den Rechen an die Brust, hielt die gekrümmten Hände vor dem Munde zusammen und rief herüber: Holdrio!

Georg antwortete nicht. Aber seine Blicke kehrten immer wieder zu dem anmutigen Bilde zurück. Seine Seele trank die wechselnden Stellungen der arbeitenden Frauen; alle Bewegungen wurden durch die weite Entfernung gesänftigt und gleichsam vom Winde reizvoll herübergetragen. Seine Hände griffen in das Laub und zerdrückten Blätter und Zweige, wie wenn sie etwas fassen und gestalten müßten. Das Herz schlug ihm hoch vor Verlangen nach Weibesnähe, und er seufzte: Ein Nest im Baum! Ein Liebchen im Baum! O du glückseliges Vogelleben!

Ein Freudenschauer ging durch seine Seele, als er die Straße hinblickte und zwei wohlbekannte Frauen daherkommen sah. Neben seiner mütterlichen Freundin ging die Geliebte. Wie war sie schlank und zierlich! Hell war ihr Kleid, ein breiter Strohhut überschattete ihr Gesicht, und lustig flatterte das Band im Winde.

Leicht wie ein Reh sprang Luise über den Graben und half dann der alten Margarethe, nachdem sie ihr den riesigen Henkelkorb abgenommen hatte, den weiten Schritt zu thun über die gefährliche Tiefe hinüber.

Als Georg ihr einen fröhlichen Willkommengruß zugerufen hatte, spähte sie hinauf und suchte ihn im Baume. Jetzt fand sie ihn, ihr Antlitz leuchtete auf von rosiger Freude, und sie grüßte ihn mit Mund und Hand.

Unwillkürlich war er etwas heruntergestiegen, sie aber ging suchend um den Baum, mit gesenktem Blick. Er warf ihr Früchte zu. Der Hut hing ihr im Nacken, und das braungoldne Haar leuchtete im Sonnenschein. Aufgepaßt! rief er hinunter. Sie hielt die Hände in die Höhe und fing die heruntersausende Gabe unter anmutiger Beugung des Körpers auf. Oder sie sprang auf die Seite, um dem Geschosse zu entgehen, oder schrie leise auf, wenn ein kleiner Unhold sie auf die Achsel oder in den Nacken getroffen hatte. Dann stand sie da, vom Sonnenlicht umflossen, und sah in den Baum hinauf, nicht gerade dahin, wo Georg saß, aber nicht weit davon, in die grünen Blätter hinein.

Nicht wahr, du möchtest gern hinauf! fragte der alte Steinmetz treuherzig, als sie so dastand und sehnsüchtig in die Höhe blickte.

O nein! erwiderte Luise und errötete bis zu den ersten Haarwellen hinauf.

O doch! sagte ihr guter Freund lächelnd. Aber wie fangen wir das an?

Es war freilich ein schweres Ding. Die Leiter war viel zu hoch. Sie stand von der Straße her in die Kronzweige gedrückt und berührte keinen Ast. Wohl beugte sich ein Ast so weit herunter, daß Luise ihn bequem mit den Händen fassen konnte. Sie hätte sich wohl hinaufschwingen können, aber dies ging doch nicht an. Da rief Petermann die Base Margarethe herbei. Die mußte sich unter den Ast stellen. Dann wurde sie angewiesen, die Hände auf die gebeugten Kniee zu legen. Wie sie so dastand, die kurze, dicke Frau, da bot sie das Bild einer braven Masse von ansehnlicher Dichtigkeit und vertrauenerweckendem Bestande. Meister Petermann faßte die zierliche Gestalt unter den Armen und schwang die leichte Last auf den gekrümmten Sitz. Vorher hatte Luise einen verlegnen Blick hinauf geworfen in den Baum. Georg verstand ihn, wandte sich ab und schaute zu den Wolken empor. Das Mädchen hielt sich mit der Hand an dem Aste zu ihren Häupten und suchte das Gleichgewicht mit den schwankenden Beinen. Jetzt saß sie fest und wohlgemut wie Europa auf dem Stier. Und jetzt hatte sie sich hinaufgeschwungen auf den breiten Ast und saß nun da, eben so gefällig und bequem wie jene Schöne, deren verfängliche Geschichte den verliebten Leuten Hüon und Rezia zu erzählen der alte Scherasmin unpädagogisch genug war. Georg hatte sich weiter herunter und zu ihr hin gemacht und lag nun quer über derbes schwankendes Zweigwerk waghalsig im grünen Versteck. Mit der Linken hielt er sich an ein paar starken Gerten fest, und mit der Rechten reichte er Luisen die gelbsten Birnen oder bog ihr die Ruten entgegen, sodaß sie die Früchte selber brechen konnte. Mit einemmale hielten sich ihre Hände gefangen im grünen Laub. Er sah, wie sie das gesenkte Haupt hob und ihm zuwandte. Es war bleich, und die großen Äugen füllten sich mit Thränen. Da ließ er die Zweige oben los und schlang die Arme um ihren Nacken. Sie schrie erschrocken auf, denn er kam ins Gleiten, und sie umfaßte seine Brust, um ihn zu halten und zu sich her zu ziehen. Er aber küßte sie auf den Mund, unbekümmert, was aus ihm werde. Einen Augenblick gerieten sie ins Schwanken. Aber sie saß sicher und hielt ihn mit starken Armen. Und der Baum war ihm hold, er legte ihn nieder in ihren Schoß. Errötend bog sie sich zurück, und jetzt saß er neben ihr auf dem freundwilligen Aste. Lächelnd sahen sie auf die gute Margarethe nieder, die ihnen den breiten Rücken zukehrend auf dem Boden saß und Birnen sortierte. Fünft, siebene, neune! zählte sie. Hundert, tausend! fuhr Georg fort, und sie küßten sich. Sie schauten nach Meister Petermann aus. Wo mochte er nur hingeraten sein? Sie spähten vorwärts und rückwärts. Er war nirgends zu sehen. Nach diesem tröstlichen Befunde neigten sich die Köpfe einander zu, und sie küßten sich wieder. Die Lippen des Mädchens waren willig und still, und die des Knaben unersättlich.

Das Knarren eines Wagens schreckte sie auseinander. Luise beugte sich zurück, sodaß ihr Antlitz von dem Stamme des Baumes verdeckt wurde, Georg sprang kurz entschlossen auf den Boden. Petermanns Hausehre stieß einen Schrei aus und sah sich entsetzt um.

In diesem Augenblick fuhr ein mäßig beladner Heuwagen vorüber. Der Thalmüller führte das Handpferd. Hinter dem Wagen schritten die Mägde, den Rechen auf der Schulter. Eine Strecke hinter dem Wagen kam ein hochgewachsenes Paar. Es waren Gertraud und der Mahlbursch. Sie zögerte sichtlich, und der Gefährte machte ein mürrisches Gesicht. Als sie vor dem Baume waren, reichte sie mit einem kurzen »da!« ihrem Begleiter den Rechen und blieb stehen. Der Bursche machte Miene, das gleiche zu thun. Da sagte sie ihm ein kurzes Wort, worauf er mit blutrotem Gesichte vorwärts sprang dem Wagen nach, und als er ihn erreicht hatte, so wütend an der Mütze drehte, daß die Pferde stutzten und der Müller scheltend zurücklief.

Gertraud aber sprang über den Graben, und ohne einen Blick auf Georg zu werfen trat sie hinter den Baum und schaute zu Luisen hinauf.

Ich glaube gar, du versteckst dich vor mir, sagte sie.

Du bist es? erwiderte Luise unfreundlich.

Ja, ich bins. Darf ich Ihnen helfen, Fräulein Margarethe?

Ich bin schon fertig, erwiderte die Haushälterin unwirsch und warf die auseinandergelegten Birnen in den Korb zusammen.

Da hörte man von der Straße weiter unten ein heftiges Peitschengeknall. Gertraud horchte auf und sah hin. Im Nu hatte sie begriffen.

Unser Wagen hält dort, und mein Vater winkt, und Meister Petermann kommt gelaufen. Mein Vater will die Birnen und die Leiter mitnehmen. Nun flugs in den Sack hinein!

Der Sack stand unter dem Baume, zur Hälfte mit Fallobst gefüllt. Mit flinken Händen las Gertraud die im Grase liegenden Birnen in den Korb. Als Margarethe wehren wollte, sagte sie: Mein Vater kann nicht warten. Das Auslesen besorgt man zu Hause in der Ruhe.

Der Korb war gefüllt, Gertraud schüttete seinen Inhalt in den Sack, stellte ihn auf den Boden und umkreiste suchend den Baum.

Du könntest eigentlich auch auslesen; da droben giebts nichts mehr zu thun, sagte sie, ohne vom Boden aufzuschauen. Soll ich dir herunterhelfen?

Ich danke, ich brauche keine Hilfe, erwiderte Luise. Sie wollte sich vom Aste niedergleiten lassen, aber da befiel sie Angst, und sie sah sich verlegen nach einem Helfer um.

Georg trat herzu, breitete seine Arme aus und sagte: Springe herunter!

Luise zögerte.

Traust du mir nicht? Ich lasse dich nicht fallen!

Da glitt sie herab und wurde von Georg aufgefangen. Er hielt sie in seinen Armen, und sie lag an seinem Herzen, Aber es war etwas zwischen ihnen wie eine scheidende Wand. Luise strich sich Blätter und Staub vom Kleid.

Da steckt noch etwas, sagte Georg und zog ein Rindenstückchen aus einer Falte ihres Kleides.

Luise sah es an und sagte: Das denkt auch, wo man mich nicht haben mag, da bleib ich!

Sie winkte mit dem Kopfe nach Gertraud hinüber und sah Georg bedeutsam an. Der erwartete Blick des Einverständnisses blieb aus. Da wandte sich Luise verdrießlich von Georg ab. Sie ging den Rain entlang einer Schlehdornhecke zu. Die Schlehen sind reif, sagte sie; ich will eine Hand voll mitnehmen.

Georg wollte ihr folgen. Aber erneutes Peitschengeknall tönte vom Wagen her und mahnte zur Eile. Er sah sich um, was es für ihn zu thun gäbe, und wandte sich der Leiter zu, die noch am Baume stand.

Des Steinmetzen Base und die Müllerstochter hatten unterdessen fleißig aufgelesen.

Der Graben kommt zuletzt, sagte Gertraud zu Jungfer Margarethe. Die aber las die Birnen auf der Straße zusammen, und als sie sah, daß Gertraud wieder einen gefüllten Korb in den Sack ausgeschüttet hatte, nickte sie wohlgefällig mit dem Kopfe und sagte vor sich hin: Helfen kann sie. Und sie sah verwundert zu Luise hinüber, die teilnahmlos an der Dornhecke stand und halbreife Beeren pflückte.

Unterdessen hatte Georg die Leiter von dem geleerten Baume weggehoben und auf den Boden niedergelassen. Meister Petermann ergriff sie an dem einen Ende, der Mahlbursch am andern, und so trugen sie sie an den wartenden Wagen. Sie legten sie der Länge nach darüber und kehrten zum Baume zurück, die beiden Säcke zu holen, den mit dem gebrochnen Obst und den mit dem Fallobste.

Während Margarethe auf der Straße und auf dem Raine die letzten versprengten Birnen suchte, hatten Georg und Gertraud den Graben in Angriff genommen. Sie suchten sich entgegen, und vor dem Stamme trafen sie aufeinander. Ihre tastenden Hände berührten sich unter den Brennesseln. Georgs Hand zuckte zurück.

Brennt es? fragte Gertraud, ohne aufzublicken, und sie zog einen handgroßen Stein aus dem Unkraut hervor.

O sieh, wie schön! rief sie halblaut aus. Sie hielt ein prächtiges Ammonshorn in der Hand.

Georg und Gertraud betrachteten es, und während ihre Wangen sich näherten, glühten sie beiden.

Die hat eine Glückshand! murmelte die Alte.

Derweilen stand Luise immer noch vor der Hecke. Sie warf die gepflückten Beeren, eine nach der andern, in den Busch hinein. Das Weinen stand ihr nahe. Als sie die letzte Beere weggeworfen hatte, schaute sie zu Georg hinüber. Sie sah ihn neben Gertraud stehen, Wange an Wange. Da wandte sie sich rasch um und eilte der Straße zu. Fort! heim! schrie es in ihrem gequälten Heizen. Sie ging an dem Mahlburschen vorbei, der auf einem Steinhaufen stand und mit der Fußspitze Steine in die Wiese hinausschleuderte. So kam sie in die Nähe des wartenden Wagens. Dort stand der Meister Steinmetz, der sich mit dem Müller in ein Gespräch eingelassen hatte. Was konnte sie dem guten Manne sagen, wenn sie an ihm vorbeistürmte und er sie fragte: wohinaus?

Luise hielt ein, sie drehte sich um und ging langsam nach dem Baume zurück.

Georg bemühte sich gerade, den ersten der beiden Sacke zuzubinden, aber er verstand sich nicht auf den Kunstgriff; es gelang ihm nicht, mit dem kurzen Sackbande zurechtzukommen.

Gertraud sah ihm zu. So macht man das nicht! sagte sie. Ich verstehe es von den Mehlsäcken her. Sie trat hinzu, zog den Zipfel des Sackes kräftig in die Höhe und dann mit einem Ruck auf die Seite, drehte ihn im Kreise, bis keine Windung mehr möglich war, und im Nu hatte sie ihn zugebunden. Dann trat sie an den andern Sack heran; der war weiter hinauf gefüllt und hatte keinen festen Stand auf dem Boden. Als Gertraud ihn anfaßte, drohte er umzufallen. Georg sprang herzu und fing ihn auf, dann hielt er ihn fest, während Gertraud ihn ebenso kunstgerecht zuband. Sie beeilte sich nicht und sah Georg an, während sie zog und drehte und band. Der Ärmel war ihr zurückgefallen, und das schimmernde Weiß ihres schöngeformten Armes berührte zuweilen beinahe die Lippen Georgs. In ihrem Blick lag eine ruhige, fröhliche Sicherheit.

Was machen wir jetzt mit dem da! fragte sie und wies Georg das Ammonshorn. Soll ich es in die Wiese hinauswerfen?

Das wäre schad! erwiderte Georg.

So nimm dus! sagte Gertraud und gab ihm den Stein. Er betrachtete ihn von neuem.

Weißt du auch, was er für eine Kraft hat? fragte Gertraud. Wer ihn bei sich trägt, den haben die Mädchen gern.

Ich wills einmal probieren! sagte Georg und ließ den Stein in seine Tasche gleiten.

Da ertönte hinter ihm ein Seufzer.

Georg hörte ihn nicht, aber Gertraud sandte einen halben Blick voll boshafter Freude über die Schulter. Jetzt hatten der Müller und der Mahlbursche jeder einen Sack auf die Achsel genommen, die Base Margarethe ging hinter ihnen her, den Henkelkorb am Arm, und Gertraud stand reisefertig auf der Straße.

Wir gehen jetzt, sagte Georg zu Luise. Wo bist du denn gewesen?

Sie wandte trotzig ihr Antlitz zur Seite und gab keine Antwort.

Willst du nicht mit mir gehen?

Der Stein thut mir weh, der Stein in deiner Tasche.

Willst du ihn haben?

Ja.

Georg reichte ihr das Steingebilde hin.

Sie griff hastig darnach, holte mit dem Arm aus, und ein heller Blitz fuhr an Georgs Gesicht vorbei. Unwillkürlich folgten seine Augen dem scheuen Blick der Geliebten.

Da sah er Gertraud mit blutüberströmtem Antlitz auf der Straße stehen.

Erschrocken eilte er auf sie zu. Aber Gertraud trat zurück und sagte gleichmütig: Es ist nicht mein erstes Loch im Kopf und wird nicht mein letztes sein. Ich wasche mir die Wunde am Bach aus, und dann ist die Sache gut.

Georg hatte entsetzt bald die Geliebte angesehen, die in der Angst des bösen Gewissens zitterte, bald das blutende Mädchen. Er faßte Gertraud am Arm.

Komm, setze dich auf den Rain. Ich hole Wasser in meinem Hut, und Luise verbindet dir die Wunde.

Sie entzog ihm den Arm und sagte: Bleib bei deinem Schatz, Michel! Ich brauch euch nicht, Geht jetzt still und fromm eures Wegs. Niemand hat es gesehen, und niemand solls erfahren. Sagt meinem Vater, ich sei den Wiesenweg gegangen.

Dann reichte sie Georg die Hand.

Adieu, armer Michel! sagte sie. Adieu, böse Luise!

Vergieb mir! flüsterte diese.

Gertraud streckte ihr die Hand hin und sagte: Ihr seid sonderbare Leute. Ist das der Dank für unsre Hilfe? Willst du mir einen Gefallen thun, Luise? Gieb mir dein Taschentuch! Danke! Sieh, das meine ist voller Blut! Aber deines wird nicht viel helfen. Es ist so klein. So, gieb du mir auch das deine! sagte sie zu Georg. So kommen sie zu einander, wie sichs gehört.

Sie wandte sich, um von der Straße in die Wiese hinein zu gehen, und Georg und Luise standen beklommen und schauten ihr nach. Aber sie blieb noch einmal stehen und wandte sich um. Sie hielt Georgs Taschentuch an die Stirne gedrückt, dann nahm sie es weg und entfaltete es. Ein großer Blutflecken, war in seiner Mitte. Gertraud trat auf Luise zu und hielt ihr das Tuch vor das Gesicht.

Mein Blut an seinem Tuche! Das ist Liebeszauber! flüsterte sie ihr zu.

Dann drückte sie das Tuch von neuem an die quellende Wunde, wandte sich um und ging langsam dem Bache zu.

Luise war zusammengeschaudert. Angstvoll griff sie nach Georgs Hand. Er überließ sie ihr, aber ohne den leisesten Druck. Stumm standen sie neben einander, und ihre Blicke ruhten auf der hohen Gestalt, die im Abendsonnenschein dahin schritt. Sie hielt den Arm an der Stirne, Da weckte der gebogne Arm in Georgs Seele machtvoll die Erinnerung an jene wundersame Stunde, wo er diesen Arm, diesen Nacken, diese Schultern im Schilfe gesehen hatte in all ihrer berückenden Schönheit, und das Herz zitterte ihm im Leibe wie damals.

Luise drückte ihm leise die Hand. Er fühlte den Druck, aber er erwiderte ihn nicht.

Jetzt war Gertraud am Bache angelangt, und jetzt war sie das tiefe Ufer hinunter gestiegen und dem Auge verschwunden. Angstvoll warteten die beiden. Qualvoll war jeder Augenblick. Schau nach ihr! flüsterte Luise dem Geliebten zu.

In diesem Augenblick stieg Gertraud wieder aus der Tiefe. Sie hatte ein weißes Tuch um die Stirn gebunden. Längs des Baches ging sie hin dem Städtchen zu. Georg und Luise gingen auf der Landstraße, durch die breite Wiese von Gertraud getrennt, demselben Ziele zu. Die Sonne sandte ihre letzten Strahlen über das Thal hin. Sie gingen in gedrücktem Schweigen neben einander her, und immer wieder wandten sich ihre Blicke dem dahinschreitenden Mädchen zu, deren beleuchtete Gestalt von dem dunkeln Schatten der jenseits des Baches stehenden Erlenbüsche gehalten und getragen schien. Luise und Georg hatten den langsam fahrenden Wagen beinahe eingeholt, als Gertraud an dem Ende des Wiesenplans angelangt war, wo der grüne Pfad in ein enges, sich zwischen Baum- und Krautgärten hinziehendes Gäßchen einlief.

Am Eingang des Gäßchens blieb Gertraud stehen, wandte sich dem Paare zu, und Holdrio! klang es über das Wiesenthal.

Im nächsten Augenblick war sie hinter den Bäumen verschwunden.

Georgs Blick hing an der Stelle, wo sich ihre Gestalt zuletzt gezeigt hatte. Er sah sie noch zwischen den dunkeln Hecken stehen, den Hut am Arm, die weiße Binde über der Stirn, Haar und Angesicht glänzend im letzten Strahlen der sinkenden Sonne. Erst als der Sonnenblick erloschen war, wandte er die Augen ab. Sie waren ihm wie geblendet, und er senkte den Blick zum Boden.

Da hörte er ein tiefes Aufatmen an seiner Seite.

Sie steht schon lange nimmer dort! sagte Luise traurig.

Georg erwachte aus seinem Sinnen. Er errötete wie ein ertapptes Kind und sagte mit unsicherer Stimme: Die Föhren im Schloßgarten leuchteten so wundervoll. Sieh, setzt brennen die Wipfel, und jetzt ist alles dort dunkel.

Dort und hier, erwiderte Luise, wie zu sich selbst.

Da ergriff er ihre Hand. Sie entzog sie ihm nicht, aber ihre Finger blieben wie tot.

Du hast sie mir nimmer drücken mögen seitdem, sagte sie leise.

Er that es auch jetzt nicht, aber zog die Hand zu sich her und betrachtete die blaßroten Finger.

Wer sieht es ihr an, daß sie so etwas thun konnte! sagte er.

Sie entzog ihm die Hand und erwiderte: Ich wußte nicht, was ich that. Aber – aber vorhin hätte ich es wieder gethan!

Er sah rasch zu ihr hinüber. In ihrem Gesicht zuckte ein wilder Schmerz.

Schweigend gingen sie neben einander her, und es war beiden eine Erlösung, als sie den Wagen eingeholt hatten.

Dies geschah am Anfange des Städtchens. Sie fanden hier Luisens Eltern, die ihrer Tochter entgegen gegangen waren und an einem Fußpfade, der am Städtchen vorbei zwischen Wiesen und Garten an den hintern Berg führte, mit Petermann und Margarethe auf sie gewartet hatten. Man trennte sich hier, Petermann geleitete den Wagen, die andern schlugen den Wiesenpfad ein. Luise war froh, sich zu der alten Margarethe gesellen zu können. Georg aber wurde von ihren Eltern in die Mitte genommen. Sie waren beide ausnehmend freundlich gegen ihn. Der Bürgermeister wies bald rechts bald links. Dort den Garten habe ich vor zwei Jahren gekauft. Ein guter Bauplatz! Er ist einstweilen verpachtet. Die Wiese da drüben hat meine Frau von einer Tante geerbt. Die muß in der Familie bleiben. Eine gute Wiese beim Ort ist mehr wert als drei Äcker in der besten Lage. So ging es weiter. Zwischenhinein erzählte die Frau Bürgermeister, wie sie sich miteinander geplagt hätten und gespart hätten und vorwärts gekommen seien, wie sie es aber jetzt besser haben wollten. Sie möchten ihr Leben genießen, noch ehe sie alt würden. Ihr Mann habe an den Geschäften der Bürgermeisterei und an seinen Ehrenämtern genug Arbeit; er sehne sich darnach, die Sorge um das Gut auf jüngere Schultern zu legen. Nicht als ob der künftige Schwiegersohn alles bewirtschaften müsse. Er könne ganz gut daneben ein Geschäft betreiben, ja eine Fabrik, wenn es sein müsse, der Pachtzins sei ja in den letzten Jahren hinaufgegangen. Was sie selbst beträfe, so habe sie nun seit bald fünfundzwanzig Jahren Seife und Lichter verkauft, und sie habe es nun auch satt, ein dutzendmal in jeder Stunde in das Lädlein zu springen und den ganzen Tag über angebunden zu sein. Den Handel aber wolle sie nicht aufgeben, denn der Laden sei einmal da, und das Geschäft rentiere sich. Bisher sei Luise nicht im Laden gewesen, aber jetzt sei es Zeit, daß sie in diese Arbeit eingeführt werde, denn sie müsse das Lädchen in ein paar Jahren doch übernehmen. Wenn dann bei Luise etwas eintreten sollte, dann wäre sie, die Mutter, ja immer noch da. Dann kam der Bürgermeister auf Petermann zu sprechen. Es sei schade, daß er so bequem geworden wäre. Er sollte sich nach einem tatkräftigen Teilhaber umthun, der das Geschäft ausdehne und in rechten Flor bringe. Wenn es dem Teilhaber an Kapital fehle, so könne geholfen werden. Der Teilhaber müsse nicht notwendig im Geschäft wohnen, da sei doch kein Platz für eine weitere Haushaltung. Er, der Bürgermeister, habe zwar auch wenig Platz im Hause. Aber er habe ja Bauplätze genug, und er wolle einmal sehen, wer seiner Tochter ein molligeres Heim schaffe, als er es seiner Luise thun werde.

Georg hörte alledem mit halbem Ohre zu. Es war ihm zu Mut, als säße er auf dem Sofa und man lege ihm ein schönes Mädchen in den Arm. Warum sollte er sich das nicht gefallen lassen?

Er sah Luise vor sich hergehen in all ihrer Lieblichkeit. Er ward nicht müde, die zarte Form ihres Nackens anzuschauen und sich über die Löckchen zu freuen, die ihn begrenzten. Er dachte daran, wie sie so hingebend an seiner Brust gelegen war, und wie sie sich geküßt hatten. Und wenn er vorhin über ihre tückische Wildheit erschrocken war – mußte er sich nicht freuen, daß sie ein leidenschaftliches Herz hatte, und daß sie in der Glut ihrer Liebe zu thun vermochte, was ihr sonst unmöglich gewesen wäre?

Als sie vor Bürgermeisters Haus angelangt waren und die Base Margarethe Abschied nahm, wurde Georg von der Frau Bürgermeister aufgefordert, zum Abendessen zu bleiben. Er folgte gern. Es war ihm darum zu thun, den Schatten des Ammonshorns zu verscheuchen. Er saß Luise gegenüber. Ihre Augen kehrten immer wieder zu einander zurück. Es war ihm friedevoll ums Herz, und doch fühlte er wieder eine Beklommenheit, die keine heitere Freude aufkommen ließ.

Die Eltern waren vergnügt und gesprächig. Der Bürgermeister lobte Georgs Entschluß, beim Handwerk zu bleiben. In ein paar Jahren, sagte er, hat jedes Nest sein Kriegerdenkmal. Dann sitzen die Herren Bildhauer da mit ihrer Kunst. Das Sterben dagegen kommt nie aus der Mode. Luisens Mutter aber erzählte von den Bauplänen ihres Mannes. Er gedenke oben im Grasgarten eine Villa zu bauen. Sie erläuterte gerade, wie die Waschküche angelegt werden sollte, auf halber Höhe, zwischen den beiden Wohnhäusern, als es an der Ladenthür klingelte. Die Hausfrau stand auf, den späten Kunden zu bedienen. Georg sah ihr nach, und es war ihm, als ob es Luise wäre. Er sah in das kleine Lädchen hinein. Trüb brannte die Erdöllampe. Und hinter dem Ladentisch stand Luise und wog die Seife ab. Die ausgeschlüpfte Mutter! dachte Georg. Du, Luise, wie kommst du zu dem profitlichen Gesicht? Stellt sich das ein, wenn man Seife abwiegt?

Er blickte auf und sah in Luisens ahnungslose Augen hinein, und der Spuk war verschwunden. Aber es war ihm unbehaglich zu Mute, und er mußte sich erst wieder daran erinnern, wie diese frischen Lippen küssen konnten, und wie dieses Herz so heiß für ihn schlug.

Nach einer Weile brach er auf. Der Bürgermeister schlug ihm vor, durch den obern Garten zu gehen. Es war der kürzere Weg. Luise sagte, sie wolle Georg bis zum Pförtchen bringen, damit sie es hinter ihm verriegle. Die Eltern sahen sich unschlüssig an, der Bürgermeister gab keine Antwort. Luisens Mutter sagte: Ja, aber komm sogleich wieder.

Die Nacht war mondlos, aber sternenhell und ganz windstill. Schweigend gingen die beiden neben einander den schmalen Pfad hinauf, Georg legte den Arm um Luisens Schulter, und sie schmiegte sich an ihn. Er spürte das süße lebendige Leben sich an sein Herz drängen, und es überkam ihn die wunderbare Wonne, in finstrer, schweigender Nacht die schweigende Geliebte zu halten.

Sie waren vor der Laube angelangt. Wie eine schwarze, deckende Wolke hing das Laubdach des Holunderbaumes herunter.

Georg führte sein Mädchen in die doppelte Nacht durch die knisternden Zweige, und sie ruhten auf der Steinbank, Herz an Herz.

Hast du etwas gesagt? flüsterte Luise.

Nein! du?

Nein! Gute Nacht!

Gute Nacht!

Und sie hielten sich still, unbeweglich umfangen.

Die Mutter kommt! sagte Luise nach einer Weile. Ich höre ihren Schritt, und dort blitzt das Licht der Lampe.

Sie wand sich sanft aus seinen Armen los und trat aus der Laube. Er folgte ihr. Sie riegelte das Pförtlein auf, legte die Arme um seinen Hals und küßte ihn auf den Mund.

Wortlos schieden sie von einander.


 << zurück weiter >>