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Niemand hatte nach dem Säulenkopfe groß gefragt all die Weile hindurch. Der Meister hatte die steinerne Walze an einen Platz gerollt, wo sie nicht im Wege war, und dachte nicht weiter daran. Die Bewohner des Städtchens hatten sich an den Anblick des verstümmelten Marktbrunnens gewöhnt. Des Adlerwirts Büblein hatte den Zwerg vergessen. Nur Luise sehnte sich nach der Vollendung des Werkes, aber nicht aus ästhetischem Bedürfnis, sondern aus Verlangen nach dem Geliebten. Wenn sie aber ihren Vater fragte, wie es damit stünde, sagte er ihr: Schweige still, Kind, ich habe den Kopf voll von wichtigern Dingen.

Der Bürgermeister hatte allerdings den Kopf voll. Das landwirtschaftliche Bezirksfest sollte im Städtlein gefeiert werden. Man erwartete den Minister und viele andre Gäste von nah und fern, und in der Brust jedes Bürgers lebte die Überzeugung, daß das Fest gelingen und den Ruhm der Stadt über das Land verbreiten müsse. Aber nach alter unguter Sitte hatte man die Vorbereitungen bis auf die letzten Tage aufgeschoben. Jetzt mußte alles Hals über Kopf gehen. Die Festausschüsse waren in fieberhafter Thätigkeit. Mit den Einzelsitzungen, die in den verschiednen Wirtsstuben stattfanden, wechselten Gesamtsitzungen der vereinigten Ausschüsse. Da war der große Rathaussaal voll Wirrwarr und Durcheinanderredens bis in die tiefe Nacht hinein.

Aber aus dem Chaos stieg eine schöne Welt empor. Die Festhalle tauchte aus dem Wiesenplan und umkleidete sich mit Tannengrün. Wagen voller Laub und Fichtenzweige fuhren ins Städtlein. In den Schulsälen, im Rathaushofe, in der alten Zehntscheuer wurden Kränze gewunden. Aus den benachbarten Dörfern und Städtchen führte man Flaggen und Wimpel herbei. Der Wohnungsausschuß zog zu zwei und zwei mit Bleistift und Liste von Haus zu Haus; der Wirtschaftsausschuß brütete über dem Festessen und hielt Weinprobe um Weinprobe; der Empfangsausschuß stritt sich, ob man im Frack oder im schlichten, schwarzen Rock die Ehrengäste empfangen sollte. Derweilen wuchsen die Pforten in die Höhe, und über ihrem Tannengrün flatterten die Banner des Heimatlandes und des deutschen Reichs. Die Festwagen, auf denen die einzelnen Zweige der Landwirtschaft dargestellt werden füllten, waren fertig bis auf die Insassen und die Gäule. Die bekümmerten Gesichter der Festbereiter hellten sich auf. Die Sachverständigen stellten sich ein und untersuchten die ausgestellten Erzeugnisse. In das Gewirr der Maschinen kam Ordnung. Die Obsthalle, die Blumenhalle, die Getreidehalle, die Halle der Wurzelfrüchte, sie alle waren voll aufschüttender, anordnender, ausschmückender Hände. Aus den gastfreien Ställen der Stadt brüllte das fremde Vieh. Die Näherinnen arbeiteten in fliegender Hast, und die Mütter und Tochter halfen mit. Das ging wie Hexenwerk. Aus jedem Spiegel schaute eine anprobierende Mädchengestalt. Wenn der Abend kam, hatte jede Gasse ihre eigne Musik: hier dröhnte eine Posaune, dort gellte eine Klarinette, da schmetterte eine Trompete. Das waren die Schuhmacher, Schneider und Maurersgesellen, die die Stadtkapelle bildeten, und von denen jeder in seiner Behausung sechs neue Märsche zu üben hatte. Die Gesamtproben fanden außerhalb des Städtchens statt auf einem freien Platze, wo die Stadtkapelle sich zugleich im Marschieren üben konnte.

Da war es also kein Wunder, daß der Bürgermeister den Kopf voll hatte, und daß die Brunnensäule vergessen war.

In der letzten Sitzung der vereinigten Ausschüsse kam sie unverhofft zu Ehren. Der Adlerwirt nahm den Bürgermeister beiseite und verlangte Straßenlicht für den Eingang zu seiner Wirtschaft. Des Löwenwirtes scharfes Auge hatte die beiden im Winkel erspäht und deutlich gesehen, wie der eine eine Gebärde des Forderns machte, und der andre beschwichtigend die Achsel zuckte. Da bahnte sich der Menschenkenner einen Weg durch die Menge, trat zu den zweien und sagte: Was der Adlerwirt verlangt, verlang ich auch. Der Bürgermeister ließ sich in die anstoßende Aktenstube leuchten, rief die beiden Wirte hinein, und nach einigem Suchen fand man eine Laterne, die unter einem Stoße Gemeinderechnungen vergraben lag.

Das ist die alte Marktplatzlaterne, sagte er. Wer die von euch vor sein Haus bekomme, ist dem Gemeinderat einerlei. Macht es selber mit einander aus!

Er wollte wieder in den Saal zurückgehen. Aber die beiden Männer vertraten ihm den Weg. So geht das nicht! Wir verlangen zwei Laternen! sagten sie.

Da kam dem Bürgermeister der rettende Gedanke.

Wir stellen die Brunnensäule wieder auf! rief er vergnügt. Es ist ein Gemeinderatsbeschluß. Im Protokollbuch muß es stehen. Der Schlosser legt ein Eisen herum mit zwei Öhren; hinten stecken wir die Stadtfahne hinein, und vornen wird die Laterne eingehenkt.

Und so geschah es denn auch.

Am folgenden Frühnachmittag – es war der letzte vor dem Fest – polterte ein Pritschenwagen die Brückenstraße hinab und wendete unter viel Peitschengeknall und unter spornenden und beschwichtigenden Zurufen vor Meister Petermanns Hause um. In der Werkstatt hatte derweil ein Schlossergeselle einen eisernen Reif um das obere Ende der Säule gelegt, mit einer Niete hinten für die Stadtfahne und einem Haken vornen für die Marktplatzlaterne. Jetzt kam der Fuhrmann herein mit fünf städtischen Arbeitern. Sie wälzten die Säule über den Hof und hoben sie auf den ächzenden Wagen. Die Pferde zogen an, der Boden zitterte, die Fenster klirrten, und unter der Zeugenschaft einer großen Schar von Schulkindern wurde die ehemalige Brunnensäule in das Doppelamt eines Fahnenträgers und eines Laternenhalters eingeführt.

Meister Petermann sah dem Wagen nach, bis er um die Ecke gebogen war, dann ging er in den Garten, setzte sich auf ein Bänkchen und verzehrte einen Rettich.

Georg aber lag in der verschlossenen Werkstatt auf den Knieen vor seinem vollendeten Werke. Er hatte die Arme brünstig darum geschlungen und drückte einen Kuß auf die steinernen Lippen.

Zum letzten male mein, mein allein, flüsterte er.

Dann stand er auf. Er hatte sich gefaßt. Es that ihm weh ums Herz, und doch wars ihm feierlich und still und groß zu Mute. Er rückte den Kopf in die rechte Beleuchtung und sah ihn noch einmal mit einem langen, innigen Blicke an, als ob er von der Geliebten Abschied nehme.

Es muß ja sein, sagte er. Dann hüllte er den

Kopf mit der Decke zu, riegelte die Thür auf und eilte in den Garten, seinen Meister zu holen.

Ehe der Alte nach einem zweiten Rettich greifen konnte, der sauber geputzt neben ihm auf dem Bänkchen lag, fühlte er sich an der Hand angefaßt und sah seinem Gesellen ins tiefbewegte Antlitz. Georg zog den Verwunderten in die Werkstatt hinein, hob die Decke weg und wandte sich verschämt zur Seite.

Der Alte sah eine Weile starr auf das Werk. Dann wandte er sich an Georg.

Teufelsjunge, das hast du gemacht? rief er, und plötzlich schloß er seinen Gesellen in die Arme und küßte ihn auf den Mund. Dabei rollten dem alten Manne Thränen in den Bart.

Er faßte Georg an beiden Schultern, hielt ihn mit ausgestreckten Armen von sich und sah ihm ins errötende Gesicht. Junge, du kannst nimmer bei mir bleiben! Mit dir wills höher hinaus, das seh ich. Du bist zum Künstler geboren!

Dann eilte er aus der Werkstatt und rief: Margarethe! Margarethe!

Er rief so laut, wie er noch nie gethan hatte. Seine Base, die gerade beim Eierholen war und auf dem Hühnerleiterchen stand, erschrak so, daß sie sich am Stallthürchen halten mußte. Sie stellte den Eierkorb unter die Hühnerstängchen, kletterte herab und eilte, so schnell sie ihre Füße tragen konnten, zur Hilfe herbei.

Margarethe, schrie der Meister ihr entgegen, und seine Stimme brach vor Bewegung. Wir haben im Hause einen Michel .... Bei dem Worte »Michel« schlug seine Stimme in die Fistel über.

Der Alte hielt inne. Der zweite Name des Buonarroti fiel ihm nicht gleich ein.

Ja, gewiß, einen Michel-Angelo, ja, keuchte er dann und schob die entsetzte Frau in die Werkstatt hinein.

Als Margarethe hereintrat, wurde Georg von neuem rot bis unter die Haarwurzeln.

Ach Gott, wie schön, wie schön! rief die Alte und schlug die Hände in einander. Und das hat der Georg gemacht? Und ganz alleinig? Und Ihr habt ihm kein bischen geholfen?

Ganz allein aus sich selber heraus! bestätigte der Meister.

Unter geschickter Verwertung künstlerischer Anregungen! fügte der Kunstschlosser hinzu, der unbemerkt in die Werkstatt getreten war. Beim ersten Blick hatte er die fünf Bande seines Kunstblattes auf einem Stuhle liegen sehen. Er trat zuerst hin und überzeugte sich, daß die Einbände unversehrt seien, dann besichtigte er Georgs Werk.

Er setzte sein Hütchen auf und wiegte den Kopf hin und her, dann faßte er das Kinn in die linke Hand und sagte: Respekt davor! Er lüftete sein Hütchen, Es ist eine vielversprechende Arbeit. Der Georg – und der Kritiker bohrte mit dem Zeigefinger in die Luft –, der Georg hats hinter den Ohren!

Unterdessen trippelten die beiden alten Leute unter immer neuen Ausrufen der Bewunderung um Georgs Werk herum.

Margarethe zupfte vorsichtig an einem der steinernen Schilfblätter und fuhr mit der Hand zurück, wie wenn sie sich verbrannt hätte.

Gerade so ist in meinem Ort hinter dem Hochaltar ein Bild, so stecken die armen Seelen in den Flammen. Aber sie halten die Hände in die Höhe und flehen um Fürbitte, – so! Und sie streckte die flach auf einander gelegten Hände gen Himmel und sah ihnen inbrünstig nach zu den Spinnweben an der Decke empor.

Unsinn! brummte Petermann, das ist Schilf. Sie ist aus dem Wasser emporgetaucht.

Dann trat er in den Schatten, hielt die Hand über die Augen und meinte: Von der Lichtseite betrachtet ists der Engel des Trostes, aber von hier aus gleicht er mehr dem Engel des Schmerzes.

Ach Gott, was für ein schöner Wasserengel! rief Margarethe, deren Entzückung jetzt einen neuen Anlauf nahm. Nein, so was Schönes!

Sie stellte sich vor den Kopf und fuhr mit den gefalteten Händen in der Luft auf und nieder.

Der Schlosser saß vor dem Tische und suchte in seinen Büchern nach dem Urbilde von Georgs Werk. Der Steinmetz aber zog sein Schurzfell aus, wickelte die Hausmütze hinein und warf den Pack in den Winkel.

Jetzt auf und zum Bürgermeister! Der wird Augen machen! rief er. Und er schlug selber die Hülle um den Kopf, rannte ins Haus und brachte auch die Mütze Georgs mit. Dann holte er aus einem Verschlage hinter der Werkstatt ein starkes Tragbrett mit Handhaben und aufgerichteten Rändern und stellte das Kunstwerk darauf. Als Georg ihm wehren wollte, sagte er: Nichts da! Du bist der Meister, und ich bin der Geselle. Faß an, Philipp!

Aber der Kunstschlosser mußte zuerst seine Bücher versorgen. Er hatte sie auf seine linke Schulter geladen, sodaß ihm sein Strohhütchen fast über das rechte Ohr hinunter gedrückt wurde. Auf dem Rathause treff ich euch wieder, sagte er und keuchte zur Thüre hinaus.

So gehts denn nicht anders, Georg! Und sie schritten mit der werten Last vorsichtig zur Thür hinaus und über den Hof und auf die Straße und ins Städtlein hinein.

Margarethe stand vor der Hausthür und sah den beiden geliebten Menschen nach.

Nein, so was Schönes! dachte sie gerührt. Was bringt der Herr nicht fertig, so geschickt er ist. So einen schönen Wasserengel kann wohl nur ein Michel machen! Dann gedachte sie des stehen gebliebnen Eierkorbes und eilte zum Hühnerstalle zurück. Während Margarethe die Eier versorgte, tauchten Petermann und sein Geselle in das aufgeregte Gewoge des Städtleins. Sie schwiegen beide. Georg war es sonderbar zu Mute. Wie hatte er sich auf den Augenblick gefreut, wo er sein fertiges Werk hinstellen dürfte vor die Augen Luisens und all der guten Menschen, die im Städtchen hausten. Und jetzt kam eine stille Traurigkeit über seine Seele. Ein wehmütiges Verlangen ergriff ihn nach dem qualvoll seligen Zustande, da er dies Bild noch in seiner schwellenden Seele getragen hatte. Und jetzt trug er es mit seinem Meister in die Welt hinaus, und aus seinem Wesen war etwas herausgebrochen, ein Edelstein, der es durchfunkelt hatte!

Meister Petermann dagegen hätte am liebsten in die Trompete geblasen. Er spähte nach Mienen, die auf ein freies Gemüt und auf freundliche Bereitwilligkeit deuteten. Aber so vielen Menschen sie auch begegneten, niemand sah aus, als ob er sich um Georgs Kunstwerk kümmern wollte. Es glich einem Kometen, der am hellen Tage am Himmel erscheint. Das Städtchen war bei einem Geschäfte begriffen, das wie kein andres die Aufmerksamkeit verschlingt: es putzte sich. Von den Kreuzwegen her erscholl lustiges Gehämmer. Aus allen Scheunen vernahm man den Gesang kränzeflechtender Mädchen. Auf dem Turnplatze wurden mit der männlichen Schuljugend künstliche Volksspiele eingeübt. Hinter dem Gänsegarten stand die Stadtkapelle und probte den Empfangsmarsch. Weiter gegen das Stadtthor hin schlugen Seiltänzer, Kunstreiter, Reitschulbesitzer ihre Stangen in den Boden und zogen ihre Seile. An der engsten Stelle der Hauptstraße brauste eine wütende Kavalkade an den beiden vorüber; es waren die Festreiter, die zur Probe nach der benachbarten Eisenbahnstation galoppierten.

Es schien, als ob in diesem Wirrwarr Georgs Kunstwerk verschwinden müsse, wie ein Schwan, der sich in das Getrieb einer Regatta verirrt hat.

Der Steinmetz wurde verdrießlich und spürte die Last. Auch Georg war müde geworden. Und so stellten sie das Brett mit seiner Last auf die steinerne Brückenrampe. Die Träger standen daneben, beide in gedrücktem Schweigen.

Da kam ihnen ein junges Ehepaar entgegen. Mann und Frau hatten sich daheim von ihrer Arbeit losgelöst, einen kurzen Gang durch die Straßen zu machen, den werdenden Schmuck des Städtleins und die Fröhlichkeit der Schmückenden anzuschauen. Während sie Arm in Arm die Brücke hinauf schritten, kam es in aller Heimlichkeit jäh und übermächtig über sie, die volle Empfindung des Glückes, sich zu eigen zu haben, und sie waren in der Laune, Welten zu verschenken. Georgs und Petermanns Blicke fielen zu gleicher Zeit in das glückstrahlende Doupelantlitz des herankommenden Paares, und wie auf Verabredung zogen sie mit einander die Hülle von dem Bildwerk. Dann trat der Steinmetz vor, lüftete die Mütze und sagte: Das ist der Kopf, der auf die Brunnensäule hinauf kommt. Mein Geselle Georg hat ihn gemacht, ganz allein aus sich selber heraus.

Das Bildwerk verflimmerte dem glücklichen Paare in dem strahlenden Lichte, das sie umfing. Aber sie sahen in zwei bewegte Gesichter hinein. Es lag etwas rührend Schönes in der Begeisterung des Alten und in der verschämten Glückseligkeit des Jungen.

Der jungen Frau wurden die Augen feucht. Dann schaute sie mit ihrem Mann das Bildwerk an, und beide empfanden die Liebe und die Begeisterung, die es geschaffen hatten. Freundliche Worte drängten sich ihnen auf die Lippen, und der Dank und der Glückwunsch der Frau war für den Meister und für seinen Gesellen wonnig wie Sonnenschein. Als das Paar geschieden war, dehnte sich Georgs Brust wie eine Vogelbrust nach einem Maienregen, und der Steinmetz konnte nicht schnell genug eilen, die Büste auf das Rathaus zu tragen.

Der Schreiner Wenzel schloß sich ihnen an. Während heute alles arbeitete, lungerte er an der Straßenecke und wartete auf etwas Außerordentliches. Als das verhüllte Bildwerk vorübergetragen wurde, machte er sich hierzu und ging mit, als ob sich dies so von selber verstünde.

Vor dem Rathause stand wartend der Kunstschlosser. Er hatte derweilen seine Bücher im Schranke verschlossen. Die Männer eilten die Treppe hinauf. Aus dem Rathaussaale erscholl Stimmengewirr. Das wiederholte Anklopfen wurde nicht gehört. So öffnete der Schlosser die Thür, und Meister und Geselle traten mit ihrem Kunstwerke in den Saal hinein, gefolgt von ihrem Ehrengeleite.

Die Ratsstube war voll von vergnügten und angeregten Herren. Da war ein graubärtiger Professor der Chemie von der landwirtschaftlichen Hochschule und ein halbes Dutzend Assistenten und Studenten. Sie hatten den Nachmittag über Kartoffelsorten analysiert. Da waren Sportsleute, Gutsbesitzer, Fabrikherren, Maschinenmeister, Elektrotechniker, Gärtner, Bienenzüchter; da waren Bezirksräte und Vereinsvorstände und viele Einheimische, Mitglieder der verschiednen Festausschüsse, kurz eine Menge Leute, die, um Auskunft zu begehren oder Auskunft zu erteilen, andre geleitend oder von solchen geleitet, alte Bekannte zu treffen oder neue Bekanntschaften zu schließen, hierhergekommen waren und sich nun fragend und antwortend, plaudernd und scherzend vermischten und aus dem Stegreif eine Gesellschaft bildeten.

Niemand bemerkte die Eintretenden. Georg und Petermann standen mit ihrem Gepäck verlegen an der Thür, wahrend der Kunstschlosser sich in die Menge drängte, um den Bürgermeister zu suchen. Schreiner Wenzel aber trat an das nächste Aktenschränkchen und schob kurzerhand die chemischen Präparate, die hier ausgebreitet lagen, zusammen, um für die Büste Platz zu schaffen.

Halt, Liebster, Bester! rief der Professor und eilte herbei, seine Glasplättchen und seine Lupen zu retten.

Danke, es reicht schon, sagte der Schreiner, warf die Hülle auf den Boden und stellte das Bildwerk auf den frei gewordnen Fleck.

Hier, meine Herrschaften! schrie er mit seiner lautesten Stimme, und trat ausgestreckten Armes zur Seite. Hier sehen Sie das große Kunstwerk!

Alle schauten verwundert her.

Ei sieh, sagte der Professor. Haben Sie den schönen Kopf gemacht? fragte er, sich zu Petermann wendend.

Jetzt drängten sich die Umstehenden herzu und betrachteten die Büste.

Ich nicht, Gott bewahre! erwiderte der Meister fast erschrocken. Aber dort mein Geselle, Georg Schuhmacher aus Mahlburg, der hats gemacht, ganz allein aus sich selber heraus. Zwei Jahre lang hat er bei mir gelernt.

Da wünsche ich Ihnen Glück zu einem solchen Schüler! sagte der Professor freundlich und reichte dem Alten die Hand. Dann stellte er sich mit gespreizten Beinen vor Georg hin und sah ihn wohlgefällig von oben bis unten an.

Bei wem haben Sie gelernt?

Bei diesem Meister, sagte Georg, und vorher bei einem andern. Er nannte ein unbekanntes Dorf im Oberlande.

Der Professor sah nochmals die Büste mit langem Blicke an und wandte sich an Georg.

Wissen Sie, daß Sie ein Künstler sind?

Georg erschrak und wurde blutrot. Ich bin Steinmetz, sagte er.

Ja, lachte der Professor, wie der Dichter ein Schreiber ist.

Dann sah er dem Burschen forschend in die aufstrahlenden Augen und sagte nachdrucksvoll: Sie sind ein Künstler. Sie werden auf die Akademie gehen. Sie werden reisen. Sie dürfen nicht hier bleiben. Ich hoffe, daß dies nicht das letzte ist, was ich von Ihnen sehen werde, und daß das folgende noch schöner geraten wird. Ich werde mich freuen, wenn Sie mir wieder begegnen.

Er drückte Georg herzlich die Hand und wandte sich rasch ab.

Jetzt drängten sich von allen Seiten die Herren herzu, bewunderten das Werk und drückten dem jungen Bildhauer die Hand. Georg schluckte leere Luft und lächelte verwirrt, wie geistesabwesend. Das Herz klopfte in seiner Brust zum Zerspringen. Er sah sich nach seinem Meister um, und als ihm jemand vertraulich auf die Schulter klopfte, wandte er sich rasch um, in dem Glauben, dem treuen Petermann in die Augen zu schauen. Aber er sah in die geschäftsfreundlichen Mienen eines kurzen dicken Mannes, Es war der Redakteur des Amtsblattes, der aus der nahen Bezirksstadt zu dem Feste herübergefahren war.

Ein kleines Artikelchen über Ihr Werk kann Ihnen doch nur angenehm sein. Unser Blatt liegt jeden Abend auf dem Tisch unsers Landesfürsten. Er hat es schätzen gelernt, als er in unsrer Stadt im Quartier lag. Ob es Ihnen wohl einerlei ist, wenn Seine Hoheit übermorgen in der Festnummer von Ihrem Kunstwerke liest?

Der kleine Herr drückte die Augen zusammen, und seine Lider zwinkerten bedeutungsvoll. Wer weiß, wer weiß! Die Presse hat schon manchem jungen Künstler den Weg zum Glück und Ruhm gebahnt! Dann holte er Notizbuch und Bleistift aus der Tasche, faßte den Schlossermeister am Arm, zog ihn auf die Seite und führte ein halblautes Gespräch mit ihm.

Mit gesenktem Haupte und halbgeschlossenen Augen hörte er die Antworten auf seine Fragen, und während er weiter fragte, schrieb er sich Notizen in sein Buch. Bei einer der Bemerkungen des Schlossers nickte er tief mit dem Kopf und warf Georg einen achtungsvollen Blick zu.

Als er wußte, was er wissen wollte, steckte er sein Buch in die Tasche. Des Bürgermeisters zukünftiger Schwiegersohn! sagte er zu sich selbst und wiegte bedachtsam das Haupt. Dann ließ er seine grauen Augen durch die Menge schweifen, bis sie auf der vierschrötigen Gestalt eines pausbäckigen Herrn haften blieben. Vorhin schon, während der Professor mit Georg redete, hatte das rote Gesicht dieses Mannes dem alten Herrn über die Schulter geleuchtet. Es war der Landtagsabgeordnete des Bezirks.

Der Redakteur eilte auf ihn zu, faßte ihn vertraulich am Arm, was sich der andre herablassend gefallen ließ, und redete eifrig auf ihn ein. Der Abgeordnete machte eine nachlässig bedeutende Miene und hörte schweigend zu. Bei einer der Bemerkungen, die er bisher mehr verdrossen angehört hatte, ging das Aufleuchten des Verständnisses über das rote Gesicht hin, und ein achtungsvoller Blick huschte zu dem Steinmetzgesellen hinüber. Als der Redakteur fertig war, nickte sein Begleiter fast unmerklich, machte seinen Arm los und wandte sich wie unwirsch zur Seite. Nach einigen Augenblicken stand er vor Georgs Werk.

Ists erlaubt? fragte er und drehte die Büste nach vornen. Dann brach er in Bewunderung aus. Auf welcher Akademie haben Sie studiert? fragte er Georg.

Dieser errötete und sagte: Ich bin Steinmetzgeselle.

Da rief der andre aus: Sie müssen auf die Akademie! Sie müssen reisen! Unter keinen Umständen dürfen Sie hier bleiben!

Georg sagte etwas von seiner armen Mutter.

Da leuchtete das Antlitz des Abgeordneten von Menschenfreundlichkeit und Wohlwollen. Es giebt Stipendien! rief er. Mit Freuden werde ich Ihnen behilflich sein. Sie haben viel Begabung, junger Mann. Es ist die Pflicht des Landes – die klangvolle Baßstimme dröhnte durch den Saal; es wurde mäuschenstille –

.... Pflicht des Staates, sage ich, so strebsame Künstler, wie Sie einer sind, zu fördern, – unbeschadet der wichtigern Ansprüche der Landwirtschaft.

Die letzten Worte wurden mit einem schönen Gestus an die Versammlung gerichtet.

Die Stille hielt an. Der Redner fühlte, daß die Situation ein Schlußwort erfordere. Er legte Georg die Hand auf die Schulter und sagte nachdrucksvoll: Gehen Sie mit Gott!

Georg wußte nicht, wie er zur Thüre hinausgekommen war. Er sah in die geröteten Gesichter seiner Geleiter hinein. Petermann griff seinem Gesellen unter den Arm und zog ihn die Treppe hinunter. Der Kunstschlosser wollte ihn unter den andern Arm fassen. Aber da rief ihn Schreiner Wenzel zurück. Der hatte bemerkt, daß die Davoneilenden die Büste vergessen hatten. Er kehrte mit dem Schlosser in den Saal zurück, und sie stellten dann beide den steinernen Frauenkopf auf das Tragbrett, huben dies auf, verließen den Saal und marschierten mit ihrer Last über den dämmernden Marktplatz. Die Hülle hatten sie im Rathaussaale auf dem Boden liegen lassen.


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