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7

Die Mutter hatte ihr Haus verlassen müssen. Die Darlehnskasse, die ihre Hauptgläubigerin war, hatte es bei der Versteigerung zum Anschlag übernommen. Die Büglerin hatte sich zwei Stuben hier in der Vorstadt gemietet. Der Raum war zu eng für ihre Habseligkeiten gewesen. So hatte sie das Sofa an den Sattler verkauft, der es ihr gemacht hatte. Der Mann zahlte nicht einmal den halben Preis. Als der Meister ihr das Geld auf den Tisch zählte, legte sie die beiden Öldruckbilder dazu, die sie damals für ihren Sohn gekauft hatte, um auch ihrerseits der Kunst zu huldigen: das »lauschende Zöfchen« und »den Kuß auf der Treppe.« Die kriegen Sie drein! sagte sie.

Der Meister hatte die Kunstwerke am Fenster betrachtet, und sein Geselle, ein himmellanger Bengel, schaute ihm dabei über die Schulter. In das Herz des Sattlers kam ein Gefühl der Erhabenheit, Wie fürstlich mußte er bezahlt haben, da die Frau sich gedrungen fühlte, noch etwas dazu zu geben! In dem Gefühl, ein hochherziger Mensch zu sein, griff er in die Hosentasche, und nachdem er eine Zeit lang zwei Münzen, eine größere und eine kleinere, zwischen den Fingern hin und her geschoben hatte, zog er die Hand aus der Tasche und legte noch ein halbes Markstück auf den Tisch; es war die kleinere der beiden Münzen.

Noch andern Hausrat hatte die Büglerin verkauft. Aber sie hatte es nicht vermocht, sich von allen Prachtstücken zu trennen, mit denen sie damals die künstlerische Laufbahn ihres Sohnes geschmückt hatte. Der grüne Teppich mit den goldnen Drachen, die nach Rosenknospen schnappten, lag noch auf dem Tische, und auf der Kommode stand hinter der Hausbibel der künstliche Blumenstock. Die Blätter der Alpenveilchen waren freilich etwas kümmerlich geworden und durch alten Staub getrübt, und dadurch, daß mehr als einmal Thränen auf die Blüten gefallen waren, war das Schmuckstück nicht schöner geworden.

Die Büglerin hatte oft geweint in diesen Tagen. Daher kam es wohl, daß ihre Augen so rot waren. Aber nicht allein die Augenränder waren rot, auch auf den Wangen glühten rote Flecken.

Die leuchteten ordentlich, als die Mutter das Haupt ihres Sohnes in den Schoß und an ihren Leib drückte, und keuchend flog der Atem aus ihrer Brust.

Jetzt bist du wieder da, Georg, und alles ist gut.

Ein krampfiger Husten brach in ihre Worte hinein. Georg hielt sie in seinen Armen, bis der Anfall vorüber war. Dann sah er sich im Zimmer um. Die Dielen waren feucht und kalt, und an den getünchten Wänden stand das Wasser.

Hier kannst du nicht wohnen, Mutter, das ist dein Tod!

Kannst dus ändern, Georg?

Heute nicht, und morgen noch nicht, Mutter. Aber ich wills ändern und kanns ändern. Nur mußt du mir versprechen, Mutter –

Was, Georg?

Daß du –

Georg barg sein Gesicht in die Hände und schluchzte.

Daß ich noch so lang lebe, Georg? Das steht bei Gott! Und nun sage, Kind, was bringst du mir mit?

Nichts.

Hast du ein Amt? Hast du Brot?

Georg schüttelte den Kopf.

Da wurde die Alte von einem furchtbaren Husten befallen. Endlos war die Qual der armen Brust. Dann wurde der Husten leiser und kürzer, und jetzt erstickte er in einem gurgelnden, quellenden Laut. Ein Blutstrom brach aus dem Munde der Büglerin.

Als das Schreckliche vorüber war, trug Georg seine Mutter auf ihr Lager und stürzte dann zum Hause hinaus, den Arzt zu holen. Dieser hatte noch die Wohnung inne, die Georg von früher her kannte, und folgte Georg auf dem Fuße nach. Er untersuchte die Kranke und schüttelte bedenklich den Kopf. Die Lunge sei angegriffen, sagte er, und die Mutter bedürfe, um wieder gesund zu werden, einer fortwährenden, aufmerksamen Pflege, diese könne ihr am besten zu teil werden, wenn sie in das Spital gebracht würde. In der Wohnung, worin sie liege, sei eine Genesung ganz ausgeschlossen. Georg erwiderte, daß er am nächsten Tage für eine andre Wohnung sorgen werde: er werde seine Mutter selbst verpflegen.

Als der Arzt gegangen war, lief Georg in die Apotheke, und während die verordnete Arznei angefertigt wurde, eilte er in den obern Stock zu der Frau des Apothekers und erzählte der erstaunten und erschrocknen Frau, was sich zugetragen habe, und bat sie, dafür besorgt zu sein, daß seiner Mutter während der Morgenstunden des folgenden Tages, an dem er abwesend sein müsse, die nötige Pflege zu teil werde. Die herzensgute Frau versprach, ihrer treuen Büglerin diesen Dienst zu thun, und dankte Georg, daß er sich mit seiner Bitte an sie gewandt habe. Die warme Teilnahme und herzliche Hilfbereitschaft that Georg innig wohl, er drückte der alten Dame die Hand und eilte zu seiner Mutter zurück.

Er fand sie eingeschlummert. Und nun saß er an ihrem Bett. Er lauschte auf ihre Atemzüge und betrachtete wehmütig das bleiche Antlitz mit den eingefallnen Wangen und den schmalen, blaßroten Lippen. Wenn sie wachte, schüttelte er ihr die Kissen auf, reichte ihr die Erfrischungen, die zur Hand waren, und nötigte ihr mit sanfter Gewalt die Arznei auf. Dann setzte er sich wieder an ihr Bett.

Er war todmüde, und seine Pulse jagten im Fieber. Der Schlaf kam über ihn wie ein Gewappneter. Um ihn zu verscheuchen, stand er auf und ging leise auf und ab. Aber der Schlaf war dicht hinter ihm geblieben, und jetzt hielt er ihn wieder fest in der Gewalt seiner zwingenden Arme. Georg taumelte ans Fenster. Es stand offen, denn die Nacht war lind. Georg wollte sich hinausbeugen, aber er sank auf einen Stuhl, unter der schweren Hand des Schlummers, die sein Haupt niederdrückte. Da war es ihm, als ob er sinke und sinke, immer tiefer hinab, einem rauschenden Gewoge entgegen. Gespenstische Schatten flogen an ihm vorüber, lautlos, feindselig. Er suchte sich zu halten, hier an einem Baume, dort an einem Strauch, aber der Stamm ward in seiner Hand zu Nebel, und die Zweige des Gesträuchs zerflossen zwischen seinen Fingern wie Wasser. Immer lauter und lauter rauschte es in der Tiefe, jetzt spritzten die Wogen ihm entgegen, und er ward umschlungen von weichen umstrickenden Armen. Ein Todesschreck fuhr durch sein Herz. Du bist es, Gertraud! schrie er in der höchsten Angst. Da wachte er auf.

Er bebte am ganzen Leibe, und der Kopf schmerzte ihn. Durch die geöffnete Thür fiel der bleiche Schein der Lampe. Er richtete sich schlaftrunken auf und ging hinüber zu der Mutter Bett. Schütze du mich! flüsterte er und nahm die bleiche Hand, die auf der Decke lag, zwischen seine Hände.

Aber kaum hatte er sich auf den Stuhl am Bett gesetzt, so nickte er wieder ein, und wieder sah er Gertraud. Sie hatte die Kleider an, in denen er sie zuletzt gesehen hatte. Sie stand vor ihm auf dem hellen Dielenfleck, der mitten im schwarzen Zimmer lag. Hier kannst du mir nichts thun, ich bin bei meiner Mutter, sagte er zu ihr. Da sah er in ihrer Hand die Locke, die sie ihm ausgerissen hatte. Gieb mir die Locke wieder! flehte er. Sie schüttelte den Kopf und sah ihn vorwurfsvoll an. So geh doch fort, bat er, ich muß dorthin, wo du stehst, der Mutter Milch warm zu machen! Aber sie blieb und sah ihn unverwandt an mit ihren großen, traurigen Augen. Er suchte nach dem Wort, das kräftig sei, sie zu verscheuchen, aber er fand es nicht. Da hob er die Hand und schlug nach der Gestalt. Sie warf ihm einen langen Blick zu und verschwand. Er aber hatte die Hand am Rande des Bettes aufgeschlagen und erwachte. Da war der Lichtstreif auf dem dunkeln Boden. Er hörte eine Maus in der finstern Stubenecke nagen, und schwarze Käfer krochen über die erleuchtete Diele hin. Die Kranke schlummerte ruhig. Georg griff nach der Uhr und wunderte sich, daß sie ihm fehlte. Es dauerte eine Weile, bis er sich besonnen hatte, wo sie geblieben sei. Auch das ist also wahr! sagte er schmerzlich und ging leise in das Nebenzimmer, wo die Wanduhr tickte. Es ging auf vier Uhr.

Georg! rief es in der Krankenstube.

Der Sohn eilte an der Mutter Bett.

Wie geht es dir?

Besser! Ich habe gut geschlafen und so schön geträumt!

Was hat dir denn geträumt, Mutter?

Ich saß in unserm alten Hause mit deinem seligen Vater auf dem Sofa. Die Sonne schien freundlich zum Fenster herein. Da ging die Thür auf, und du kamst herein, Georg, aber du warst noch ganz klein. Dein Vater nahm dich auf die Kniee, aber du stiegst zu mir herüber in meinen Schoß. Da sagte ich zu deinem Vater: Jetzt weiß ich nicht, ist es unser Georg, oder ists sein Bub? Dein seliger Vater legte den Finger an die Stirn und sagte ganz nachdenklich: Du, ich weiß es auch nicht.

Die Alte lachte leise vor sich hin.

Gott sei Dank, daß du wieder lachen kannst!

Es ist aber doch schändlich!

Was, Mutter?

Nicht einmal den halben Preis hat er bezahlt!

Wer denn!

Der Sattler für das schöne Sofa. Und es war doch noch ganz neu. Außer dir hat nur noch der Herr Stadtpfarrer darauf gesessen.

Sei ruhig, Mutter, wir kaufen es wieder! Die Alte schwieg. Georg machte ihr Milch warm. Als er die Mutter getränkt hatte, legte sie sich behaglich in die Kissen zurück und sagte:

Der Herr Steuerkommissar auch.

Was ist mit dem?

Der hat auch darauf gesessen.

Georg lächelte. O du gute, gewissenhafte Mutter!

Er hatte sich wieder an ihr Bett gesetzt und ihre Hand ergriffen.

Mutter, jetzt muß ich dich gleich verlassen. Aber heute Abend bin ich wieder da. Die gute Frau Apotheker wird dir eine Pflegerin schicken.

Wo gehst du hin Georg?

Zu meinem Professor.

Muß das sein?

Ja, Mutter, ich will Hilfe holen.

Die Büglerin seufzte tief. Sie sah Georg mit flehenden Augen an und sagte mit matter Stimme:

Georg, es mag sein, ich liege auf dem Sterbebett. Versprich mir eines: Kehre zum Handwerk zurück! Thus heute noch, damit ich ruhig sterben kann.

Georg wandte sich ab. Red nicht von deinem Sterben, Mutter!

Versprich mirs, Georg!

Ich verspreche dir, Mutter, daß du an mir noch Freude erleben sollst. Heute noch bring ich dir Hilfe!

Die Mutter schloß halb die Augen. Ein harter Zug lag um ihren Mund. Als Georg ihr die Tasse mit Milch reichte und sie bat: Mutter, trink! schüttelte sie den Kopf.

Nach einer Pause begann er wieder: Mutter, willst du mir sagen, wo du dein Geld hast? Du weißt, ich muß in die Stadt, und ich habe keinen Pfennig.

Die Alte that, als ob sie nichts gehört hatte. Ein Zug harter Verschlossenheit lag auf ihrem Gesicht. Sie drehte sich gegen die Wand, schwieg auf alle Fragen und wies alles, was ihr Georg darreichen wollte, von sich.

Der Morgen graute, und die Stunde war nahe, zu der Georg auf den Bahnhof eilen mußte. Jeden Augenblick konnte die bestellte Pflegerin eintreten.

Georg schlich in das vordere Zimmer, um die Mutter, die eingeschlafen schien, nicht zu wecken. Wo mochte die Mutter ihr Geld haben? Er zog die unterste Schublade der Kommode heraus und griff hinein. Richtig, hier in der Ecke in einem Schächtelein lag Geld. Das oberste Stück war der Größe nach ein Thaler. Diese Summe reichte gerade für die Fahrt. Daneben lag ein in Papier eingewickeltes Paket. Georg riß einen Fetzen von dem Papiere, schrieb mit Bleistift seinen Namen darauf und den Betrag, den er entnommen hatte, und legte den Zettel in das Schächtelchen. Dann schob er leise die Lade zurück und erhob sich, um wieder zur Mutter zurückzukehren.

Aber wie er sich zur Thüre wandte, schrie er auf vor Entsetzen. Wie ein Gespenst stand seine Mutter auf der Schwelle. Sie hatte den Arm drohend erhoben.

Er wollte sie in die Arme schließen, aber sie wehrte sich wider seine Berührung.

Mutter! rief er jammernd, es ist ein Thaler, und drinnen liegt die Quittung. Da schwankte sie und drohte umzufallen.

Er trug sie zum Bett zurück und legte sie sachte darauf nieder.

Als er kaum damit fertig war, kam die erwartete Frau zur Thür herein. Georg setzte sie mit fliegenden Worten in Kenntnis über den Zustand der Mutter. Die Pflegerin fühlte den Puls und gab beruhigende Versicherung. Es war die höchste Zeit, auf den Bahnhof zu eilen. Er warf noch einen Blick in das blasse Antlitz der Kranken.

Adieu, Mutter! flüsterte er.

Dann lief er auf die Straße und dem Bahnhofe zu. Er erreichte den Zug gerade, als er im Abfahren war, sprang hinein und gab dem Schaffner den Auftrag, ihn zur rechten Zeit zu wecken. Dann drückte er sich in die Ecke, und im Nu war er in Schlaf gesunken.


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