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Am andern Morgen machte Georg Besuche. Als er zurückkam und in der Küche bei der Mutter saß und aß, was sie ihm gesotten und gebraten hatte, mußte er haarklein alles erzählen, Besuch um Besuch, vom ersten Klingeln bis zum letzten Gekläff des hinter der Hausthür liegenden Hundes. Aufs genaueste ließ sie sich vor allem über die Gebärden und Worte der Besuchten Bericht erstatten, um nach dem Grade der Freundlichkeit ihr Urteil über sie zu fällen.

Hat die Frau Baronin dir die Hand gegeben?

Nein, sie hat nur mit dem Kopfe genickt.

Der Hochmutsfratz! – Haben dich Apothekers in das rote Zimmer geführt?

Ich vermute. Es war ein Zimmer mit roten Vorhängen.

Die Alte nickte befriedigt mit dem Kopf.

Wer war da?

Ich glaube alle. Den Apotheker holten sie aus dem Laboratorium herauf, und die Fräulein Paula kam aus dem Garten herbei.

Ich habe es doch immer gesagt. Apothekers sind die bravsten Leute in der Stadt; bei denen merkt man doch auch etwas von ihrem Christentum.

Nach dem Essen machte sich die Büglerin zu ihrem Kundengange fertig. Ehe sie fortging, sagte sie zu Georg:

Du wirst etwas aufbekommen haben über die Ferien. Es ist am besten, wenn du dich gleich am ersten Tage dahinter machst. In der vordern Stube ist es still; da kannst du lernen. So wollen wir es während der Ferien halten: des Morgens sind wir bei einander; ich flicke und koche, und du bist um mich herum und bästelst, was ich nicht machen kann. Des Nachmittags schaffe ich meine Sache und du die deine. Und des Abends gehen wir früh zu Bett.

So geschah es denn auch, Georgs Wangen wurden voll und rot, sein Schlaf wuchs an Länge und Tiefe. Sein Auge wurde klar und frisch. Das that die Mutterhand, die ihn fütterte und ihm das Lager bereitete.

Wochen vergingen, und es war ihm so wohl bei diesem Leben, daß er nichts andres begehrte. In den Nachmittagsstunden las er seinen Goethe, wieder und wieder, und zwischen hinein leichte Lektüre, wie er sie am Wege fand. Allmählich stellte sich der Trieb zur Arbeit wieder ein, oder wenigstens der Trieb, sich anzustrengen. Er war im Griechischen soweit gekommen, daß er den Herodot ohne sonderliche Mühe lesen konnte. Er vertiefte sich mit Wonne in die herrlichen Erzählungen des Vaters der Geschichte, und es ward ihm groß und frei zu Mut unter den klaren, schönen Menschen, die vor seinen Augen ruderten und kämpften, Städte bauten und Reiche zerstörten, Gewaltiges vollbrachten und ruhmvoll untergingen. Wenn er einen Abschnitt vollendet hatte, steckte er das Buch in die Tasche und ging zum Städtchen hinaus auf die Höhe, die dem Gebirge vorgelagert war. Stundenlang lag er auf einer Weinbergsmauer und sah ins Thal hinab. Wenn ihn ein Gewitter überraschte, flüchtete er sich in das Weinbergshäuschen und sah in die regenerfüllte, blitzdurchzuckte Luft hinaus. In solchen Stunden überlas er wieder und wieder das Durchgenommne, und so durchlebte er die große Geschichte von dem Kampfe der Hellenen um ihre Freiheit. Die Gestalten wurden ihm immer lebendiger, er sah sie vor Augen, diese großen und schönen Frauen und diese Männer voll Welterfahrung und Herzensgröße, mit den Leidenschaft sprühenden Augen und den fein beredten Lippen. Wenn das Gewitter verrauscht war, dann stieg er wohl auf die Höhe des Gebirges und sah nach den glänzenden Gipfeln der Alpen hinüber, und sein Herz schwoll von Sehnsucht, dort droben zu stehen und hinunter zu schauen und hinunter zu steigen in das sonnige Land, dessen Boden geheiligt ist durch die erhabnen Trümmer der untergegangnen herrlichen Welt. Wenn er dann durch den schweigenden Wald und die dämmernde Halde zurück wanderte nach dem Hause seiner Mutter, dann tauchten wieder die zwei Frauengestalten aus dem Nebel, das meerfrische Strandkind Nausikaa und die dämonische Korinthierin, die aus dem Grab aufsteigt und ihr geraubtes Recht fordert, das Glück der Brautnacht. Immer ausdrucksvoller und bedeutender sahen sie ihn an, und unwillkürlich griff er mit der rechten Hand an seine Seite, wo er sonst den Thonbeutel zu tragen pflegte. Wenn er in solche Bilder versunken die Straße hinschritt, legte sich ihm zuweilen wieder das Wort auf die Lippen: Wen du nicht verlässest, Genius! und mehr als einmal sagte er vor sich hin: Du sollst mir kein Modell mehr zerschlagen, du herber Meister! Und du mit den strahlenden Augen, du sollst Recht behalten, ich werde es besser machen!

Als er einmal von einer solchen Wanderung heimkehrte, begrüßte ihn die Mutter mit den Worten: Der Peitschenfabrikant war da. Er wollte dich um die Gefälligkeit bitten, seiner verstorbnen Frau einen Grabstein zu machen. Er stammt aus der Gegend, wo du Geselle gewesen bist. Auf dem Grabsteine sollen zwei Engel angebracht sein, unten der Engel des Schmerzes und oben der Engel des Trostes.

Dem Manne kann geholfen werden, sagte Georg vergnügt.

Er kannte in der Nähe einen Steinbruch, der ein vorzügliches Material lieferte. Am andern Tag ging er dorthin und fand bald einen geeigneten Block. Er erwarb ihn und ließ ihn in den Hof der Mutter schaffen.

Bald war er mitten in der Arbeit, und unter seinen Händen wuchsen die beiden Gestalten heraus, frei und groß. Wohl waren sie verwandt mit den beiden Engeln in Meister Petermanns Werkstatt, aber wie königliche Sprossen verwandt sind mit dem bäuerlichen Ahnherrn, aus dessen Lenden der Königsstamm entsprungen ist. Die beiden Engel sagten nicht mehr zwei Gesangbuchsverse her, sondern es war der Sieg des Glaubens über das irdische Weh, der Sieg des Lebens über den Tod.

Der Besteller war über die Maßen zufrieden, und ein hübsches Stück Geld kam in das Haus der Witwe, die im Einverständnis mit Georg das Geld alsbald dazu verwendete, den Gartenzaun und den Holzstall ausbessern zu lassen.

Einige Wochen, nachdem der Grabstein aufgestellt war, liefen drei weitere Bestellungen ein.

Die Mutter zeigte sie dem heimkehrenden Sohne voller Stolz und Freude.

Du hast genug gelernt, sagte sie. Bleibe hier und mache Grabsteine! Du wirst sehen, dein Geschäft blüht, und wir leben miteinander wie die Vögel im Hanfsamen.

Georg ging erregt in der Küche auf und nieder.

Die Aufträge hatten für ihn vielen Reiz, nicht um des lockenden Gewinnes halber, sondern weil sein Meißel die Arbeit verschmeckt hatte und wie vor Ungeduld zitterte, wieder an den Stein zu kommen.

Aber er sah den Weg hinaus, auf dem er den ersten Schritt gemacht hatte: er führte in die Niederung behaglichen Lebens, in die Enge der Werkstatt und in den Zwang des Geldverdienens. Niemals! sagte er sich und hob das Auge empor und sah den kühnen Pfad hinan, der über Klippen stieg und sich in die Wolken verlor, und er sah in zwei strahlende Augen hinein, die ihn grüßten und ihm winkten mit der prophetischen Verkündigung: Du wirst es besser machen.

Nein, Mutter, sagte er. Ich schreibe den drei Herren ab. Ich habe noch lange nicht genug gelernt.

So willst du wieder auf die Akademie gehen?

Nein, Mutter, ich will in die Welt hinaus, ich muß nach Italien.

Die Alte erbleichte. Sie setzte sich auf den Küchenschemel, denn die Füße wankten ihr.

Georg, bleibe im Land und nähre dich redlich! Denk an deine alte Mutter! Werde Steinmetz und bleibe bei mir!

Georg stemmte die Hände auf den Tisch, daß er sich ächzend verrückte, und sah seine Mutter an.

Ich kann nicht, Mutter!

Wer giebt dir denn das Geld? fragte die Alte tonlos.

Mutter, hilf mir, gute, liebe Mutter! rief Georg. Er kauerte vor ihr nieder und umfaßte ihren Leib.

Ich habe keins, erwiderte die Büglerin dumpf. Dann sagte sie: Die sollen dir das Geld geben, die dich zum Künstler machen wollen.

Nein, Mutter, fordere das nicht von mir! Ich will keine Hilfe mehr von andern.

Der Herr Pfarrer soll eine Bittschrift machen. Er thuts dir gewiß! sagte die Mutter.

Dazu brauch ich den Pfarrer nicht. Das kann ich selbst. Und wenn ich an den Lehrer schriebe, von dem ich am meisten gelernt habe, so würde mir wohl auch ein Reisestipendium zu teil werden. Aber das kann ich nicht, ich wills nicht thun! Ich werde ihm zeigen, daß ich ihn nicht brauche, daß ich auch ohne ihn und ohne das Staatsgeld etwas Rechtes zu stande bringe.

Er ging wieder in der Küche auf und nieder. Die Mutter schien mit einem Entschlusse zu kämpfen. Sie sah ihn an und öffnete die Lippen, dann senkte sie wieder den Kopf. Endlich sagte sie: Ich will selber zu dem Professor gehen!

Georg drehte sich jäh um und rief in wilder Drohung: Mutter, wenn du das thust!

Dann kniete er vor ihr nieder und faßte ihre Hände und sah ihr in die Augen, aus denen langsam Thränen quollen.

Mutter, Mutter, das thust du mir nicht an. Wenn du es thust, dann siehst du mich niemals wieder!

Da brach die Alte in Schluchzen aus.

Sprich nicht so, du brichst mir das Herz!

Nein, Mutter, ich will dein Herz froh und stolz machen!

Da stand sie auf und ging in die Schlafstube. Nach einer Weile kam sie wieder und reichte Georg zwei Goldstücke.

Das ists, was ich habe.

Georg legte die beiden Münzen neben einander auf den Fenstersims und sah die Mutter groß an. Das ist alles?

Die Mutter öffnete die zitternden Lippen, als ob sie etwas sagen wollte, aber sie schwieg.

In der unbefangnen Selbstsucht des Kindes hatte sich Georg all die Wochen her an den Tisch gesetzt, ohne zu fragen, woher die Mittel zu all diesem Aufwande kämen. Er wußte nicht, daß die Alte zwei Jahre gespart hatte, um ihrem Sohne gütlich thun zu können, wenn er sie einmal besuchte, und daß sie sich vorgenommen hatte, nach seinem Weggange um so kärglicher zu leben. Es war ihm nicht eingefallen, daß seine Mutter all die Wochen her, um bei ihrem Kinde zu sein und um es zu pflegen, kaum den halben Verdienst gehabt hatte. Auch jetzt kamen ihm solche Gedanken nicht.

Nach einer langen Pause, die für beide qualvoll war, sagte er:

Ich habe von meinem Vater eine Wiese geerbt, und du hast zwei Äcker in der besten Lage. Sie sind dein freies Eigentum und unser Haus auch. Mutter, ich bin ja doch dein einziger Erbe!

Es war heraus. Die Alte war auf den Stuhl gesunken, und Georg kniete wieder vor ihr nieder und barg sein erglühendes Gesicht in der Mutter Schoß.

Es dauerte lange, bis sie ihm Antwort gab.

Dein Vater und ich, wir haben nie Schulden gehabt, und ich hatte gehofft, dir einmal Haus und Gütchen schuldenfrei zu überlassen.

Sie schwieg wieder, Georg rührte sich nicht. Der Regen schlug an die Scheiben, und der Wind rüttelte am Hause.

Da kam es der Mutter vor, als ob Georg in ihrem Schoße schluchze.

Weinst du, Kind?

Er gab keine Antwort.

Sei still, Georg. Leg dich zu Bett. Dein Wille soll geschehen. Du sollst morgen haben, so viel du brauchst, fünf, sechs, achthundert Mark.

Georg schlang seine Arme um die Mutter, und sie streichelte liebkosend seine Locken.

Ich habe ja nichts in der Welt als dich allein!


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