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5

Am andern Morgen eilte Georg mit verstörtem Gesicht von Wirtshaus zu Wirtshaus, um nach dem verlornen Schatze zu fragen. Im wilden Manne hörte er, daß die Kellnerin den Kopf in der Hausflur unter der Treppe gefunden und der Hausknecht ihn auf das Rathaus getragen habe. Ein Gast fügte diesem Berichte hinzu, daß das Bildwerk schon auf der Brunnensäule befestigt und schon von der Stadtfahne umflattert sei. Georg eilte auf den Marktplatz und kam gerade noch zur rechten Zeit, mit einer Kinderschar zuschauen zu können, wie ein Arbeiter in den vordern Haken des Eisenrings an der Brunnensäule die Laterne einhängte. Als der Wärter die Leiter wegthat, sah man vorn unter dem Frauenkopfe die klotzige Laterne herunterhängen wie ein unschieriges Medaillon.

Georg hätte aufschreien mögen über die Verunstaltung seines Werks, wenn es ihm nicht für einen rechtschaffnen Grimm zu jämmerlich gewesen wäre. Er war noch wie betäubt von der gestrigen Nacht. Mit umflorten Augen und schmerzendem Kopfe sah er in das fröhliche Treiben rings umher. Er empfing den Eindruck von einem ungeheuern Jubel, der aus weiter Ferne gedämpft zu ihm herüberschallte. Die Leute, die ihn mit ihren Ellbogen stießen, kamen ihm wie Marionetten vor, was sie redeten, wie Holzgeklapper. Und dann wars ihm wieder zu Mut, als wäre das Getümmel um ihn die Fortsetzung der gestrigen Huldigungen, und der Kopf, der über die Stadtlaterne herunterschaute, die eigentliche Ursache des Festes; als wäre er verpflichtet, nach allen Seiten hin dankend den Hut zu ziehen, während er dies doch nicht zustande gebracht hätte. Denn er kam sich vor wie ein versteinerter Mensch.

Er schlich nach Hause zurück und suchte von neuem sein Lager auf.

Die Versorgung der Marktplatzlaterne war das letzte Stück Arbeit des Festausschusses gewesen. Jetzt konnte der Herr Minister kommen. Es war alles fertig.

Ein wundervoller Himmel strahlte hernieder. Das Thal herunter und das Thal herauf rollten Jagdwagen und Droschken, rasselten Leiterwagen und Bernerwägelchen, und rechts und links von der aufwirbelnden Staubwolke strebten die festlich gekleideten Landleute der Umgegend in endlosem Zuge dem Städtchen zu. Durch die Straßen wandelte eine gaffende, plaudernde, lachende Menge; an den Tischen, die vor den Wirtshäusern standen, thaten sich ermüdete Fußgänger gütlich bei Wein und Brot. Dann und wann rannte ein kleiner Trupp von Buben die Straße hinab, als ob es dort unten brenne. Mit Kränzchen geschmückte Mägdlein zogen eilfertig dahin und schauten mit strahlenden Augen in die Welt hinaus. Verspätete Mitglieder des Empfangsausschusses stürmten durch das Gedränge, den Cylinderhut in der einen Hand, in der andern das Taschentuch.

Jetzt schob sich allmählich die Menge zum Festplatze hinaus. Schwarz häufte es sich vor dem verschlossenen Eingange an, als hätte sich ein schwärmendes Bienenvolk dorthin gehängt. Jeder suchte sich einen festen Platz am Rande der Hauptstraße, und allgemach erstarrte die flutende Menge zu zwei langen Mauern, die unbeweglich standen vom Festplatte bis tief ins Städtchen hinein.

Jetzt zitterte ein klirrendes Dröhnen von fern her durch die Luft. Sie kommen! sie kommen! rief es von allen Seiten. Rasch rauschte es heran, immer gewaltiger, das dröhnende Blech des Festmarsches. Leider klang gerade zur Unzeit der dumpfe Paukenschlag wie ein unhöflicher Kanonenschuß. Der Marsch brach ab, nur die Trommeln rasselten, und die Pfeifen gellten dazwischen. Jetzt zog sie vorüber, die prächtige Grenadiermusik mit ihrem Tambourmajor und dem phantastischen Schellenbaum. Und dann schwankten, von vier, sechs, acht Rossen, gezogen, die Festwagen heran, voll singender und jauchzender Burschen und Mädchen. Auf dem geschmückten Erntewagen lagen sie und reichten sich den Mostkrug von Hand zu Hand, dort dengelten sie Sensen, dort hechelten sie Flachs, hier saßen sie um den erzählenden Großväter her in der Spinnstube, dort rasteten sie von der heißen Heumahd auf grünem Rasen unter zart schattigem Birkengebüsch. Jedesmal, wenn die feurigen Rosse einen neuen Wagen heranführten, brach neuer Jubel aus, und so stieg in immer neuem Anschwall ein Singen und Klingen und Jauchzen gen Himmel, als sei alles Leid der Welt für immer und ewig in der Lust dieses Augenblicks verzehrt. Wo der letzte Wagen vorüber war, brachen die beiden Menschenmauern wie Wogenberge von rechts und links zusammen und fluteten in breitem und von Schritt zu Schritt wachsendem Strome hinterdrein. Die Pforten zum Festplatze öffneten sich, und der Strom ergoß sich wie in das weite Becken eines Weltmeeres; der Platz wurde gefüllt bis in den entlegensten Winkel.

All die Menschheit, von der vorhin das Städtchen angefüllt war, war draußen; nur die Kranken und die Wöchnerinnen waren zu Hause geblieben und etwelche Säuglinge – andre dagegen zogen auf den Armen ihrer Pflegerinnen mit in das Festgewühl.

Zu den Kranken, die zurückgeblieben waren, gehörten leider auch Georg, sein Meister und der Kunstschlosser, und Margarethe hatte viel zu viel Mitleid mit den beiden alten Herren, als daß sie sie in ihrem Jammer hätte verlassen mögen, der die Folge des Begeisterungsrausches der verwichnen Nacht war.

Die beiden Kunstfreunde saßen wehmütig bei einander vor einem Krüglein alten Weines, woraus ihnen die Wirtschafterin bedachtsam einschenkte.

Georg lag auf seinem Bett und hatte jede Herzstärkung abgelehnt.

So bringen Sie ihm wenigstens das! sagte der Kunstschlosser in kläglichem Ton. Da, den Artikel da, den da unten, den soll er lesen. Dann wird ihm vielleicht besser.

Die angegriffnen Herren versanken wieder in ihr Schweigen, und jeder nahm ein Schlücklein. Die Base Margarethe aber schlürfte zu Georg hinauf, klopfte an seine Kammerthür, und als es stille blieb, öffnete sie leise die Thüre.

Herr Georg, wachen Sie, oder schlafen Sie?

Ein Laut, der vom Bette her klang, überzeugte die Alte, daß Georg nicht schlafe.

Da, die Herren schicken Ihnen zum Trost das Festblatt. Sie sollen den Artikel da lesen, den da unten, wo ich die Stecknadel hineingesteckt habe. Dann wird Ihnen vielleicht besser.

Margarethe öffnete noch das Fenster, wünschte gute Besserung und verließ das Gemach.

Georg ergriff das Blatt, drehte sich gegen die Wand und suchte und las. Der bezeichnete Artikel handelte von ihm und von seinem Kunstwerke und redete von beiden mit überschwänglichen Lobeserhebungen. Wie man hört, so lauteten die letzten Worte, werden einflußreiche Kreise sich für den eminent begabten jungen Mann verwenden, damit die Regierung ihm zur Vollendung seiner künstlerischen Studien die Mittel gewähre.

Als Georg dies gelesen hatte, ließ er das Zeitungsblatt fallen, schloß die Augen und fragte sich: Bin ichs, oder bin ichs nicht? Wäre er in andrer Verfassung gewesen, so hätten ihm in diesem Augenblick die Ohren klingen müssen.

Es war in der That so, wie der Artikelschreiber geweissagt hatte: einflußreiche Personen bauten ihm in schönem Wettstreit die Brücke zum Künstlerberuf. Die Landtagswahlen standen vor der Thür, und der Minister entledigte sich der Aufgabe, liebenswürdig zu sein, zum allgemeinen Entzücken. Der Redakteur des Bezirksblattes verschlang jede Miene und jede Äußerung der Exzellenz, so viel er ihrer nur von seinem Platze ganz unten an der Tafel habhaft werden konnte. Besonders war er entzückt von der Art und Weise, wie der Minister seine Freundlichkeit nach allen Seiten hin ausstrahlen ließ, scheinbar gleichmäßig und doch nach wohl bemessener Abstufung, deren politische Bedeutsamkeit dem Redakteur durchaus verständlich war und seinen innigsten Beifall hatte.

Das Festessen neigte sich seinem Ende zu. Der Festzug der offiziellen Tischreden war vorüber gebraust. Alles war gefeiert worden, was auf diese Ehre Anspruch erheben mußte: der Kaiser und der Landesherr, die Regierung im allgemeinen und der Minister im besondern, der Bezirk und die Feststadt, der Bauersmann und die Bauersfrau. Da stand der Stadtpfarrer auf, denn er hielt es für sein gutes Recht, bei jedem Festmahle eine Rede zu halten. Er ging von den Präparaten der chemischen Fabriken aus und wandte deren Bedeutung für die Landwirtschaft in launigen Allegorien auf die allgemeinen Verhältnisse des Lebens an. Artig und mit Anstand führte er seine wohlstudierten Gedanken durch. Die Gäste stießen lachend miteinander an. Dieser rief jenem zu: Thomasmehl! und erhielt als Erwiderung den Gruß: Kainit! Ein andrer trank seinem Nachbar zu: Sulphurat! und wurde von dem dankenden Partner als Chilisalpeter gefeiert. Der Minister trat auf den Stadtpfarrer zu, stieß mit ihm an und sagte mit seinem Lächeln: Attisches Salz! Der Redner verneigte sich geschmeichelt. Der Minister aber ging zu dem katholischen Stadtpfarrer hinüber, dessen von Gesundheit strotzendes Antlitz leuchtete wie eine rote Aster in einer schwarzbehandschuhten Faust, und mit innigem Wohlgefallen bemerkte der Redakteur, daß die Verbindlichkeit genau den gleichen Grad inne hielt. Schauen Sie doch, wie unser Minister auch in kleinen Dingen so groß ist, flüsterte er seinem Nachbar zu; wie jetzt wieder die Parität zu wahren weiß!

Die Exzellenz kam in die Nähe. Der Redakteur erhob sich und stand erwartungsvoll da, die Hand am Champagnerglase. Der Minister aber ging vorüber und trat zu einer Gruppe plaudernder Herren. Er fragte nach etwaigen Originalgestalten des kleinstädtischen Lebens und erwähnte einen Artikel in der Festnummer der Bezirkszeitung, worin von dem Kunstwerke eines Steinmetzgesellen die Rede sei. Er erkundigte sich, ob die Arbeit wirklich so gelungen und ob der Bursche wirklich so begabt sei. Der Stadtpfarrer sprach das beste von Georg. Der Oberamtsrichter pries die Schönheit des Kunstwerkes. Jetzt trat der Abgeordnete herzu. Als er des Gegenstandes der Unterhaltung kundig wurde, warf er den beiden andern einen mißbilligenden Blick zu, denn es war sein gutes Recht, den entdeckten Künstler dem Vaterlande zu präsentieren. Er schöpfte Atem und hub an von der eminenten Begabung des bescheidnen jungen Mannes und schloß mit der unmaßgeblichen Überzeugung, daß es Sache des Staates sei, einem solchen Genie die Wege zu bahnen. Der Redakteur, der leise herzugetreten war, erspähte eine Lücke, und während der Abgeordnete Atem schöpfte, warf er bescheiden die Bemerkung ein, daß der Steinmetzgeselle alle Aussicht habe, des Bürgermeisters Schwiegersohn zu werden.

Der Bürgermeister war der einflußreichste Mann im Bezirke!

Die Exzellenz zog die Augenbrauen in die Höhe. Sie verzog keine Miene, aber ihre Ohren geruhten von der Bemerkung Notiz zu nehmen.

Jetzt kamen auch die andern wieder zum Worte, und die drei Herren übertrumpften sich in Lobeserhebungen. Es war ein erbaulicher Wettstreit.

Der Minister hörte lächelnd zu und sagte schließlich: Das muß ja ein wahrer Ausbund sein! Sorgen Sie doch, lieber Herr Bürgermeister, daß mir der Steinmetzgeselle, der den Kopf auf der Brunnensäule verfertigt hat, vorgestellt werde!

Die Tafel war aufgehoben. In angenehmer Champagnerlaune machten die Ehrengäste einen Gang durch die geschmückte Stadt.

Der Minister bewunderte alles. Als er einer Gruppe künstlicher Appenzellerinnen begegnete – es waren Ökonomentöchter aus der Nachbarschaft –, klatschte er mit den drei mittleren Fingern der rechten Hand in die flache Linke, und die Mädchen mußten ihm das Schweizer Liedchen singen, das ihn beim Vorüberfahren des Milchereiwagens so sehr entzückt hatte. Als man an der Kirche angelangt war, wies einer der Stadtväter dem Minister die Sonnenuhr am Kirchturm und erklärte ihm deren Einrichtung. Der Mann war der Meinung, daß dies die einzige Sonnenuhr in der Welt sei, und wurde in solcher Ansicht durch das gespannte Aufhorchen der Exzellenz bestärkt.

Dann gelangten die Herren auf den Marktplatz. Man zeigte dem Minister die alte Stadtfahne, erklärte ihm die Straßenbeleuchtung und setzte ihm den Plan zu einer neuen Wasserversorgung auseinander. Schließlich zeigte ihm der Abgeordnete Georgs Kunstwerk. Der Minister hob das Lorgnon vor die Augen und sah prüfend hinauf. Er lächelte über den sonderbaren Schmuck der Dame auf der Brunnensäule, dann betrachtete er aufmerksam den Kopf. Als er das Augenglas zusammengelegt und in die Tasche geschoben hatte, erkundigte er sich, wie alt der Verfertiger sei, und fragte, ob er ihn nicht kennen lernen könne.

Georg stand zum Vortreten bereit.

Als die Herren von der Tafel aufgebrochen waren, hatte der Abgeordnete einen Feuerwehrmann in Meister Petermanns Haus geschickt mit der Meldung, daß Seine Exzellenz den Gesellen Georg zu sprechen wünsche. Georg war auf seinem Lager eingeschlafen. Ein heftiges Pochen schreckte ihn auf. Als er wach geworden war, sah er seinen Meister zitternd vor Aufregung vor seinem Lager stehen. Hinter ihm zeigte sich Margarethe nach Luft schnappend, und der Kunstschlosser stand am Fußende des Bettes und wichste kunstgerecht Georgs Stiefel. Der Minister – Georg, steh auf! Mache dich flugs fertig!. Der Minister will dich sprechen.

Georg starrte seinen Meister an und stammelte: Mich?

Margarethe, ein Glas Wein! befahl Petermann und schob die alte Frau zur Thür hinaus. Dann half er seinem Gesellen auf die Beine. Während dieser die Unterkleider anzog, suchte der Meister im Schrank nach dem schwarzen Rocke, der Kunstschlosser aber setzte sich auf einen Schemel und fing an, den andern Stiefel zu wichsen. Margarethe hatte ein Glas Wein gebracht und tränkte Georg von Zeit zu Zeit, während er sich in fliegender Hast anzog. Der Steinmetz stand ihm geschäftig zur Seite und reichte ihm in die Hand, was er begehrte: die Hemdknöpfe, die Weste, die Halsbinde, den Kamm. Margarethe, die das Weinglas in der Rechten hielt, glättete und zupfte mit der Linken bald hier und bald dort.

Was will der Minister von mir? fragte Georg, während er die Uhr aufzog.

Auf die Akademie sollst du, ein Künstler sollst du werden! antwortete sein Meister.

Der Kunstschlosser aber hielt im Wichsen inne und sagte: Ich habs kommen sehen! Ich hab immer gesagt: der Georg hats hinter den Ohren.

Georg war bleich geworden. Er legte die Haarbürste aus der Hand.

Ich will kein Künstler werden. Ich will bei euch bleiben. Nie will ich was andres sein als Steinmetz.

Der Alte zwang ihm die Bürste wieder in die Hand.

Du willst bei mir bleiben? Wir zwei geschirren nimmer zusammen. Du wirst sehen!

Es ist mir ein Rätsel, wie ich das Bildwerk habe machen können, sagte Georg verzagt. Ich werde so etwas nie wieder fertig bringen.

Im Katzenjammer gewiß nicht, rief der Kunstschlosser. Aber warte nur, morgen früh wirst du anders denken!

Ist noch keine fünfundzwanzig Jahre alt, und schon ist von ihm im Blatte zu lesen! fügte Margarethe hinzu.

Georg lächelte matt. Er war nun fertig geworden und eilte mit seinen beiden Begleitern auf die Straße hinaus der Brücke zu. Sie hatten das steinerne Kreuz am Anfang der Brücke fast schon erreicht, als sie ein Schnaufen hinter sich hörten. Sie schauten um. Margarethe kam ihnen in vollem Laufe nachgeeilt. Es war ein Anblick zum Entsetzen und zum Erbarmen. Da! keuchte sie und hielt Georg ein frisches Taschentuch hin.

Um Gottes willen, es trifft sie der Schlag! rief Meister Petermann und umfaßte die nach Atem ringende mit seinem festen Arme.

Ihr müßt schon alleine gehen! rief er den beiden andern zurück. Hier hab ich nähere Pflicht.

Da ward es der alten Dame wohl und warm ums Herz, sie stützte sich auf den ritterlichen Arm, und friedevoll und glücklich gingen die zwei Leute nach ihrem Hause zurück.

Unterdessen eilten Georg und der Kunstschlosser auf den Marktplatz zu, wo nach der Aussage der Leute der Minister gerade angekommen war. Der Kunstschlosser bohrte sich den Weg durch das Gedränge bis zum Marktbrunnen; dort pflanzte er sich mit Georg hin und sorgte für gehörigen Abstand von der schiebenden Menge, damit sie sichtbar blieben.

Jetzt erblickte der Abgeordnete den jungen Künstler.

Dort steht er, Exzellenz! sagte er und rief Georg herzu. Die Menge wich aus einander. Der Kunstschlosser schritt voran. Vor dem Minister machten sie Halt und verbeugten sich tief.

Der Minister grüßte freundlich und fragte den Kunstschlosser, ob er der Meister des jungen Künstlers sei.

Der Gefragte verbeugte sich abermals tief und erwiderte: Das gerade nicht, aber sein väterlicher Kunstfreund.

Der Minister lächelte unmerklich. Dann wandte er sich an Georg. Er sah ihn wohlgefällig vom Kopf bis zu den Füßen an, reichte ihm die Hand und sagte:

Sie haben den Marktplatz Ihrer Vaterstadt – es ist doch Ihre Vaterstadt? –

Georg verneinte.

– aufs anmutigste ausgeschmückt. Man hat mir gesagt, daß Ihr Verlangen darnach stehe, sich auf der Akademie weiter zu bilden.

Der Minister wartete auf Antwort.

Georg bewegte lautlos die Lippen.

Sie möchten gerne Künstler werden? fragte die Exzellenz.

Georg schüttelte mit dem Kopfe und sagte leise aber vernehmlich: Nein!

Doch, Eure Exzellenz, rief der Kunstschlosser und machte eine tiefe Verbeugung. Er möchte schon, aber er ist heute –

Ich möchte lieber Steinmetz bleiben, unterbrach ihn Georg.

Der Abgeordnete riß die Augen auf. Die Umstehenden machten verblüffte Gesichter.

Sie besinnen sich vielleicht noch eines andern, sagte der Minister freundlich. Dann wandte er sich an den Bürgermeister.

Behalten Sie ein Auge auf ihn, lieber Herr Bürgermeister, und wenn er sich der Kunst zuwenden will, dann schreiben Sie an mich, kurzer Hand, an mich persönlich.

Wenn Sie sich so begabt erweisen, wie Ihr Erstlingswert vermuten läßt, dann soll es Ihnen an kräftiger Hilfe nicht fehlen.

Die Exzellenz reichte Georg und dem Kunstschlosser die Hand und schied mit freundlichem Kopfnicken.

Die beiden blieben fast allein am Marktbrunnen zurück, denn der Minister begab sich zum Amthause, um von dort nach der Eisenbahnstation zu fahren; die Bevölkerung aber, die in dem Rundgange der Exzellenz das letzte öffentliche Schauspiel dieses Festes genossen hatte, strömte auf die Wiese hinaus, um den künstlichen Volksbelustigungen zuzuschauen oder sich auf dem Tanzplatze und an den Zechtischen selbst zu belustigen.

Du Tolpatsch, du hirnverbrannter! schimpfte der Kunstschlosser. Da steht er wie ein Pudel, der Angst hat, ins Wasser zu gehn, und winselt, weil er doch so gern hinein möchte!

In der That, mit ähnlichen Empfindungen sah Georg dem dahingehenden Minister nach. Es war ihm nur halb wohl dabei, den Sturm abgeschlagen zu haben.

Seien Sie mir nicht böse! beschwichtigte er seinen väterlichen Kunstfreund. Es müßte mir anders zu Mute sein, als heute, wenn ich ins Wasser springen wollte, und wenn alle Leute hetzen, dann wird der Pudel verzagt. Gehen Sie heim und sagen Sies meinem Meister, Er wird sich doch ein bischen freuen, daß ich bei ihm bleibe, trotz aller Enttäuschung, und Jungfer Margarethe auch.

Dann ging er ein einsames Gäßchen hinauf, um dem Kunstschlosser aus den Augen zu kommen. Von dem Gäßchen bog er in einen Winkel ein, ging eine Weile zwischen Hinterhäusern und Scheunen und kam schließlich auf den Marktplatz zurück.

Er hatte rechtschaffen Hunger. Darum setzte er sich an einem der Tische nieder, die vor dem goldnen Löwen aufgeschlagen waren, und bestellte bei der Kellnerin, was gerade die Küche bot.

Es war menschenleer auf dem Marktplatz geworden. Nur ein Bäuerlein in Wäldlertracht war zu erblicken. Das kam schweißtriefend von der obern Brücke her und fragte Georg, ob er noch recht komme, den Festzug zu sehen. Georg mußte sich besinnen, ehe er antworten konnte. Er sagte dem Atemlosen, daß er um ein paar Stunden zu spät komme; aber wenn er sich beeile, könne er den Minister vor dem Amthause einsteigen und fortfahren sehen.

Das Bäuerlein dankte und stürmte die Straße dahin. Es drängte sich durch die Menge bis vor die feurigen Pferde des Bürgermeisters und sah zu, wie der Minister den gräflichen Landauer andern überließ und den demokratischen Jagdwagen des Bürgermeisters bestieg, wo er so menschenfreundlich und allen sichtbar dasitzen und so herzerfreuend die letzten Händedrücke spenden konnte.

Es war ein herrliches Fest! rief die Exzellenz den entblößten Häuptern zu, und die Pferde zogen an; der Bürgermeister selbst führte die Zügel.

Unterdessen hatte Georg seinen Hunger gestillt, und Gesundheit und Wohlbehagen strömten in seine Glieder zurück.

Er schaute zu dem Kopf auf der Brunnensäule hinauf. Wie stand der so kalt dort oben! Hatte das Frauenbild nicht recht, über seinen Schöpfer hinwegzublicken, als kennte es ihn nicht?

Georg dachte an die Ereignisse der letzten Nacht, und er schämte sich.

Vergieb mir! flüsterte er hinauf.

Wie that es ihm leid, daß er und das Weib dort oben so würdelos auseinander gegangen waren, daß er es aus seinen Armen verloren hatte ohne Gruß und ohne Kuß. Er sah hinauf mit einer Sehnsucht, wie wenn das steinerne Frauenbild beseelt sei. Und jetzt war es ihm, als ob es zu ihm herniederblicke, als ob auf den stolzen Lippen derselbe Schmerz zucke, den er empfand, und in den verschleierten Augen das heiße Verlangen brenne, das ihn zu durchglühen begann. O, wenn ich dich noch einmal hätte, dachte er und küßte in seinen Gedanken das Steinbild auf den Mund und auf die Augen und sagte ihm die tausend Schmeichelworte kosender Liebe. Das Herz schlug ihm hoch, und die Seele stand ihm in Flammen.

Georg rief der Kellnerin, zahlte seine Zeche, stand auf und ging der Festwiese zu.


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