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8

Es war neun Uhr vorüber, als Georg in der Stadt ankam. Sein Weg führte ihn an dem Ausstellungsgebäude vorüber. Dort stand wohl sein Bildwerk. Große, mit Abbildungen verzierte Plakate fielen ihm in die Augen, die die Eröffnung der Kunstausstellung anzeigten. Aber was lag ihm jetzt daran; Geld mußte er haben, Geld, um die Mutter aus ihrer traurigen Lage zu retten, das verlorne Haus wieder zu gewinnen und ihr den Trost mitzubringen, daß ihr Sohn kein Taugenichts sei.

Jetzt hatte er die Wohnung des Professors erreicht. Er war atemlos, darum wartete er eine Weile, bis er fühlte, daß er werde sprechen können. Dann eilte er die Treppe hinauf. Er besann sich diesmal nicht und wollte ohne Scheu vor seinen Lehrer treten: in dieser großen Not durfte er zu ihm kommen, das wußte er.

Als er oben vor der Glasthür stand und die Klingel gezogen hatte, kam ihm die lähmende Frage in den Sinn: Wenn er nicht zu Hause wäre?

Die Thür öffnete sich, und er stand einem Dienstmädchen gegenüber.

Der Herr Professor ist verreist! erwiderte es auf Georgs Frage. Es ist noch nicht bestimmt, wann er zurückkommt. Georg wandte sich langsam um.

Kann ich dem Herrn Professor etwas ausrichten? fragte das Mädchen. Georg gab keine Antwort.

Er stand wieder auf der Straße. Wo sollte er hin? Wohin er wollte! Es war einerlei, wohin er ging.

In einer Art von Betäubung ging er die Straße hin. Unwillkürlich bog er in die Gasse ein, wo seine Wohnung lag. Als er dessen inne wurde, beschleunigte er seinen langsamen Schritt. Es fiel ihm ein, wie er aussehen müsse in seinen verstaubten Kleidern, die Bäckermütze auf dem Kopfe! Und es hungerte ihn. Frische Wäsche, frische Kleider, einen Schluck warmen Kaffee! Es war jetzt das Notwendigste. Dann mußte er sehen, was sich weiter thun ließe.

Als er in seinem Hause angelangt war und die Treppe hinauf eilte, begegnete er seiner Wirtin, die gerade, den Henkelkorb am Arm, bedächtig herabkam, um die Markteinkäufe für den Sonntag zu besorgen.

Um Gottes willen, Herr Schumacher, rief die Frau, wo kommen Sie her, wie sehen Sie aus? Ihre Augen schauen ja heraus wie aus einem Brunnenloch!

Georg bat sie nur um frisches Wasser zum Waschen, und daß sie ihm eine Tasse Kaffee koche. Er sei jetzt eilig und nur einen Tag hier und brauche weiter nichts.

Die Frau öffnete ihm kopfschüttelnd die Wohnung und brachte ihm das Nötige, und während sie ihm ein Frühstück bereitete, kleidete sich Georg um. Der Kaffee erfrischte ihn. Aber das Gemüt wurde ihm nicht frei, und er grübelte, was nun werden sollte. Er hatte der Mutter versprochen, daß er ihr Hilfe bringen werde; und wenn er nun mit leeren Händen kam, wie konnte er ihr unter die Augen treten? Würde sie sich da nicht zur Wand hin drehen und an dem Gedanken erwürgen: Mein Sohn hat mir nichts gegeben als Worte und Lügen bis in meinen Tod! Es mußte ihr Tod sein.

Aber hatte er denn nicht sein Kunstwerk? Sollte sich unter den Geschäftsleuten, die von der Akademie ihr Brot hatten, keiner finden, der ihm seine Korinthierin abkaufte? Er war bereit, sie zu jedem Preise herzugeben, der ihm groß genug schien, der Mutter das Elternhaus wieder zu gewinnen. Sollte er sich an einen der Agenten wenden, die die Verkäufe der Kunstwerke vermittelten? Er kannte keinen von ihnen. Zwar hätte er von dem Hausmeister in der Akademie ihre Namen erfahren können, aber er wußte, wie zäh diese Herren waren, und daß sie Barvorschüsse niemals leisteten. Aber da war noch der Mann, der ihm den Marmorblock geliefert hatte: der konnte ihm vielleicht helfen. Zu ihm beschloß Georg zu gehen.

Er machte sich auf den Weg und ging durch die weite Stadt bis zu ihrem entgegengesetzten Ende. Die Sonne brannte heiß, der Schweiß troff ihm von der Stirn. Jetzt spürte er doch die Aufregungen und die Anstrengungen der letzten Tage wieder in den Gliedern; er war matt und todmüde und schleppte sich nur mühsam hin durch den Staub der Vorstadt, an den geteerten Bretterwänden entlang, über die Eisenbahnschienen, immer weiter hinaus. Jetzt hatte er das Haus erreicht. Er fand den Mann beim Frühmahle. Verwundert sah der den Fremden an, und als Georg seinen Namen genannt hatte, sagte er: Sie wollen mir die zweite Rate bringen für den Marmorblock?

Nein, erwiderte Georg, ich möchte Sie bitten, mir noch fünfzehnhundert Mark zu geben, dann ist das Kunstwerk Ihr Eigentum.

Der Mann sah Georg vom Kopf bis zu den Füßen an. Das sind faule Fische, sagte er.

Wie viel wollen Sie mir geben? Begleiten Sie mich, wir wollen die Arbeit ansehen! Wenn Sie mir bieten, was ich aufs genauste brauche, so gehört das Werk Ihnen.

Ich habe jetzt keine Zeit, sagte der Mann unwirsch, und ich lasse mich überhaupt auf solchen Handel nicht ein. Bei sich aber dachte er: Wenn der Termin für die zweite Zahlung verstrichen ist, lege ich Beschlag auf sein Werk!

Georg ging wieder nach der Stadt zurück. Die Füße wollten ihn nicht mehr tragen. Er sah sich nach einer Bank um, nach einem Balken, einem Steinhaufen, um sich niederzusetzen. Aber nichts dergleichen war in der Nähe. Da sah er vor sich ein Wirtshaus. Er trat ein und setzte sich an eines der kleinen Tischchen. Die Kellnerin kam und fragte ihn etwas; er nickte mit dem Kopfe. Die Kellnerin blieb wartend stehen, dann ging sie und brachte ihm eine Flasche Bier.

Georg erschrak und wurde rot vor Scham. Hatte er wohl noch so viel Geld, daß er die Flasche bezahlen konnte? Er fragte, was sie koste, und griff in die Tasche. Es reichte gerade noch. Er bezahlte, gab der Kellnerin seine letzte Münze zum Geschenk und goß sich das Glas voll. Aber er vergaß das Trinken, und nach einer Weile nahm er seinen Hut und ging wieder auf die Straße hinaus. Wie im Traume ging er in der Richtung fort, in der er aus der Thür getreten war, und hatte bald die Stadt im Rücken. Er war noch müder als vorher, aber eine innere Unruhe trieb ihn vorwärts. Rechts und links standen die kahlen Bäume einer Akazienallee, die zu einem Wäldchen führte. Als er am Ende der Allee angelangt war, sah er einen Wasserspiegel durch die Bäume blinken. Da ging es ihm ahndungsvoll auf in seinen fiebernden Sinnen, und in die trostlose Wüste seines Gemüts traten wieder Bilder und Gedanken.

Gertraud! Du hast deinen Vater umgebracht, und ich bringe meine Mutter um. Vatermörderin und Muttermörder, die gehören zu einander!

Er ging dem lockenden See entgegen.

Du hast nimmer leben können, Gertraud. Und du hast recht gehabt. Einen andern Frieden gabs für dich nicht mehr in der Welt. Für dein Herz, das wild in der Liebe war und wild im Leid, gabs keinen Balsam als das Wasser im Bach.

Du hast mich nicht umsonst besucht dort in der Gewitternacht und heute an der Mutter Bett. Du hast meine Locke mitgenommen zum Pfande, daß ich komme, und sie zieht mich dir nach, Gertraud. Ich komme! Nicht bei der frommen Mutter suche ich meinen Platz. Die stößt mich von sich. Geh weg, du hast mir alles genommen und nichts gegeben als Worte und Lügen, geh weg, du Prahler, du Dieb, du doppelter Mörder! Aber dir bin ich nicht zu schlecht. Gertraud, ich komme zu dir!

Er war durch das dürre Laub geschritten unter den kahlen Bäumen hin, und jetzt hatte er das Ufer erreicht.

Der Wasserspiegel glitzerte im Mittagssonnenschein. Leichte Wellen plätscherten am Strande, denn ein sanfter Wind strich über den See.

Georg schaute das Ufer entlang. Am obern Ende des Sees lag das Wasser schwarz da im Schatten hoher Fichten, und das Ufer war mit Schilf bewachsen bis tief in den See hinein.

Hier ist es zu sonnig für dich, Gertraud, du liebst die schwarze Flut und den überhängenden Schatten und den Schilf. Dort will ich dich suchen.

Er schritt am Ufer hin. Der weiche Rasen verschluckte seine Tritte. Aber je näher er dem dunkeln Schatten kam, desto lebendiger ward es ihm in der starren Seele, und als er unter den Fichten stand, überwältigte es ihn, er legte die Hände auf sein Gesicht und schluchzte: Ich elender Mensch!

Da schreckte ihn ein Rauschen auf, und als er sich umsah, stand vor ihm eine Frauengestalt, die aus dem Büschicht hervorgetreten war und mit erstauntem Blick zu ihm herübersah.

Georg sah sie an, fuhr zurück und rief: Maria!

Eine Blutwelle schlug zu ihren Wangen empor. Er aber starrte sie an, als wäre sie eine Erscheinung aus einer andern Welt. Ich träume nicht, Sie sind es!

Warum sollten Sie träumen? erwiderte Maria. Sie sah Georg an und erschrak. Erst jetzt bemerkte sie, wie verstört er aussah.

Ich dachte Sie anders zu sehen, fügte sie hinzu.

Ihr Vater hatte Recht, mir das Modell zu zerschlagen! rief er schmerzlich. O hätt ich keinen Meißel mehr angerührt! Oder wär ich zum Handwerk zurückgekehrt!

Ja wissen Sie denn nicht? rief sie voller Erstaunen aus. Waren Sie noch nicht in der Ausstellung? Ihr Werk erregt die Bewunderung von allen. Wer es gesehen hat, ist tief bewegt und möchte Ihnen danken.

Sie streckte ihm die Hand entgegen. Georg ergriff sie nicht.

Ja, ich weiß es, erwiderte er mit trübem Lächeln, die Korinthierin lebt. Aber Sie wissen nicht, wie teuer ihr Leben zu stehen kommt.

Maria sah ihn angstvoll an. Die Ruhe Ihrer Seele kommt wieder, sagte sie leise. Ganz gewiß, sie wird wieder kommen, wenn die Erregung vorbei ist, in die ein solches Schaffen des Künstlers Seele versetzen muß.

Das ist es nicht! erwiderte Georg. Mein Werk hat ein Haus zerstört und einem Wesen, das mir teuer war, das Leben gekostet.

Maria erbleichte.

Wir wollen uns dorthin setzen, sagte sie und ging rasch auf eine Bank zu.

Er folgte ihr langsam und setzte sich neben sie.

Sie haben mich vorhin bei meinem Namen gerufen, fuhr sie mit bebender Stimme fort. Ich will Sie jetzt nicht fragen, warum Sie dies thaten. Aber Sie haben es gethan. Was Ihnen das Recht giebt, mich vertraulich genannt zu haben, sei das Vertrauen. So will ichs gelten lassen. Sie haben vielleicht niemand sonst. Wollen Sie mir vertrauen?

Da sah er sie dankbar an und reichte ihr stumm die Hand.

Und dann erzählte er ihr von Gertraud. Er that es mit zarter Scheu und mit der Schonung, die der Toten gebührte, aber in aller Wahrhaftigkeit seines Herzens. Er erzählte ihr, wie Gertraud ihn zum Künstler gemacht hätte, wie sie ihn zuerst hatte schauen und empfinden lassen, was Leidenschaft sei, wie ihre Leidenschaft, groß und tief und urgewaltig, sich seiner eignen Seele mitgeteilt und sie hinausgetragen hatte über die kleine Welt des gewöhnlichen Lebens. Er erzählte, wie der Gedanke an Gertraud sich mit dem Eindruck des Goethischen Gedichtes vermählt, wie er sie bei all seinem Schaffen vor Augen gehabt hatte. Und dann erzählte er von jener Nacht im Atelier, wo er sein Werk vollendete, und von der Gewitternacht und ihrem grausigen Gesicht auf der Brandstätte und von der Enthüllung, die der Morgen gebracht hatte.

Als er geendet hatte, war es still zwischen den beiden. Die Vögel sangen in den Zweigen, und fröhliche Kinderstimmen klangen aus dem Gebüsch. Maria aber verhüllte ihr Gesicht mit dem Tuche und weinte.

Georg hatte sich das Herz leicht und wieder schwer geredet. Es that ihm so wohl, von all der Qual seiner Seele sprechen zu können, aber indem er von ihr sprach, legte sie sich ihm wieder von neuem aufs Herz.

Und dann sprach er von seiner kranken Mutter, in welcher Not sie sei, und wie er heute mit der Hoffnung gekommen wäre, bei Marias Vater Hilfe zu finden, und wie er dann, dem Wahnsinn nahe vor Verzweiflung, hierher gekommen sei und geglaubt habe, es sei nun alles aus.

Maria nahm das Tuch vom Gesicht weg und sah Georg mit einem Blick voll tiefsten Mitleids an. In ihren Augen blinkten Thränen.

Ihren Vater habe ich bitten wollen, fuhr Georg fort, daß er das Bildwerk verkaufe, und daß er das Geld dann so verwende, wie es für die Mutter am besten ist.

Warum sollte denn mein Vater das Geld für Ihre Mutter verwenden? Warum nicht Sie?

Vor Marias klaren Augen mußte Georg den Blick senken.

Wären Sie nicht krank, so würde ich Sie schelten! sagte sie fast heftig. Aber wie wenn das Wort ihr leid thäte, fügte sie rasch hinzu: Sie tragen keine Schuld an Gertrauds Tod, und auch Ihre Kunst ist rein von Schuld. Darum haben Sie auch nicht das Recht, am Leben zu verzweifeln. Sie dürfen an Gertraud denken ohne Grauen. Und wenns auch anders wäre, Sie haben eine große Pflicht: Sie müssen heim zu Ihrer Mutter. Kommen Sie! Geschwind, daß Sie Ihren Kleinmut bereuen.

Sie eilte quer durch das Gebüsch auf den breiten Parkweg zu. Georg folgte ihr fast willenlos. Rasch hatten sie die Straße erreicht. Eine leere Droschke fuhr daher. Maria hob den Arm. Der Kutscher hielt die Pferde an und sprang vom Bock.

Nach der Kunstausstellung! befahl Maria.

Kommen Sie, rasch! rief sie Georg zu.

Es war ihm traumhaft, wie in einem Märchen, zu Mute, als er neben ihr saß und mit ihr durch die Straßen fuhr.

Maria aber sah nach der andern Seite zum Fenster hinaus. Es lag ein wundersam freundliches Lächeln auf ihren Zügen, und doch perlten Thränen in ihren Augen.

Während sie beide schwiegen, ging ihr durch den Sinn, was sich wenige Tage vorher zugetragen hatte.


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