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6

Auf einem erhöhten Dielenboden schwangen sich die Paare in lustigem Tanz, Erst als Georg nahe gekommen war, hörte er die verschleierte, lockende Musik der Holzbläser. Die Grenadierkapelle war in die Garnison zurückgekehrt, das Stadtorchester war durch seine Leistungen erschöpft und that sich in einem Bierzelte auf Kosten des Gemeindesäckels gütlich. Darum spielte die Musik aus einem nahegelegnen Wäldlerdorfe zum Tanze auf.

Georg blieb im Schatten einer Bude stehen und übersah das fröhliche Treiben.

Luise stand an der Rampe und ließ ihre Blicke suchend über den Wiesenplan schweifen.

Georg wußte, wen sie suchte, und er kam sich in diesem Augenblick so schlecht vor wie noch nie in seinem Leben; er wußte ja, daß es nicht sie war, nach der er verlangt hatte. Er hörte wieder das leise Schluchzen aus dein Gartenhaus und schämte sich der Glut, die noch eben in seinen Adern gebrannt hatte, und das Mitleid mit dem rührenden Schmerze des lieben Mädchens überwältigte ihn.

Er trat aus dem Schatten und eilte über die Wiese dem Tanzplatze zu; er sah, wie Luisens Augen ihn fanden, und wußte, daß ihr jetzt das Herz im Busen stürmte. Aber da sah er die Andre aus dem dichtesten Gewühle hervorwirbeln. Ihr Tänzer hielt atmend inne. Gertraud sah sich nach einem andern um und flog in den Armen eines dritten und eines vierten dahin.

Ohne sich Rechenschaft zu geben, was ihm das Blut in die Wangen trieb und die Brust beengte, eilte Georg auf Luise zu, und bald schwang sich das schöne Paar im Reigen.

Sie redeten kaum ein paar Worte miteinander, Luise lag ihm hingebend im Arme. Zuweilen hob sie die Augen und sah in stiller Seligkeit zu ihm hinauf. Dann drückten sie sich leise die Hand.

Georg ward es stille und wohl zu Mute. Aber dennoch lag auf seinem Gemüte eine Beklommenheit, eine Art von Angst, und er wagte nicht um sich zu sehen. Sein Auge ruhte unbeweglich auf dem schönen Mädchen, das er umschlungen hielt, und in den Pausen ging er mit ihr auf den Wiesenplan hinaus bis auf die Landstraße, und sie wanderten der Abendsonne entgegen, bis der lockende Ruf der Pfeifen sie zu dem Vergnügen des Tanzes zurückzog.

Als sie einmal wieder der Tenne zuschritten, wurde Luise von einer Freundin gerufen, und der Stadtpfarrer, der mit seiner Frau auf der Wiese lustwandelte und sich des fröhlichen Treibens freute, redete Georg an und zog ihn in ein Gespräch über seine Absichten und über die Zusage des Ministers. Als Georg sich mit Anstand losgemacht hatte, eilte er auf die Diele hinauf, wo der Tanz wieder begonnen hatte, und suchte Luise. Da wirbelte ein wildes Paar vor ihm hin. Ich kann nimmer! sagte der Bursche und ließ seine Tänzerin los. Georg erschrak, aber in demselben Augenblick wurde er von zwei kraftvollen Armen umfaßt und in den Wirbel des Tanzes dahingerissen.

Zuerst widerstrebte er, dann ließ er sich ziehen, dann erfaßte ihn die Lust. So hatte er noch nie getanzt! Und doch wurde er nicht müde. Kannst du noch? flüsterte ihm zuweilen seine Tänzerin zu. Als Antwort umfaßte er sie fester und flog noch toller mit ihr dahin. Er sah Gertraud nicht ins Gesicht, sondern über ihre Schulter weg in die um ihn wirbelnde Menge, als ginge sein Blick ins Leere, Aber als sie ihm wieder zuflüsterte: Kannst du noch? da wandte er seine Augen ihr zu und begegnete wieder dem seltsamen starren Blick, in dessen grundloses Geheimnis zu tauchen soviel wonnevolle Lust verhieß. Es war ihm, als würde sein Wesen aufgesogen von dem unendlichen Durste dieser unheimlichen Augen, und angstvoll riß er seinen Blick los und suchte Luise. Dort stand sie und sah herüber mit großen thränenvollen Augen.

Georg rief halt! und hemmte jäh den Fuß. Sie waren an der Rampe, Gertraud bog sich im Ansturm rücklings hinüber und zog ihren Tänzer nach, an sich hin. Aber Georg riß sich los, und ohne ihr ein Wort zu sagen oder ihr noch einen Blick zu gönnen, eilte er zu Luise hinüber, die ihm gramvoll entgegenschaute.

Georg rang nach einem gleichmütigen Tone, Die tanzt gut, sagte er.

Besser als ich, erwiderte Luise hastig.

Bist du mir böse?

Ich bin dir nicht böse, ich bin nur traurig.

Du hast keinen Grund, traurig zu sein.

Da sah ihn Luise mit einem langen Blicke an, Georg schlug die Augen nieder.

Wollen wir tanzen? fragte er sie.

Wir wollen die Eltern suchen, und dann will ich heim.

Sie gingen längs der Zechtische und Trinkbuden hin, ohne die Eltern zu finden, und durchstreiften vergeblich die Wiese in die Länge und in die Quere.

Als sie wieder an dem Tanzplatze vorübergingen, fing gerade die Musik wieder an mit ihren lockenden, sehnsüchtigen Tönen. Wollen wir noch einmal? fragte er sie.

Sie schüttelte den Kopf.

Ich will heim.

Darf ich dich begleiten?

Ja.

Willst du nicht mehr deine Hand in meinen Arm legen?

Sie that es.

Es war rasch dämmrig geworden. Als sie die Wiese verließen und auf die Landstraße einbogen, rief es hinter ihnen: Michel! Michel!

Georg blieb stehen und wandte sich um.

Michel! rief es wieder, und aus einem Busche an der Straße klang ein Mädchenkichern.

Georg trat mit geballten Fäusten auf einen dunkeln Schatten zu. Aber der Bursche sprang über den Graben und verschwand im Busche, dann hörte man eilende Schritte, und zwei Gestalten eilten dem Tanzplatze zu.

Georg kehrte zu Luise zurück.

Hast du gesehen, wer es war? fragte ihn Luise.

Georg verneinte.

Es war der neue Mahlbursche aus der Thalmühle.

Und sie? fragte Georg.

Luise gab keine Antwort.

Schweigend gingen sie neben einander hin, jedes in seine Gedanken versunken.

Als sie vor dem Hause des Bürgermeisters angelangt waren, blieben sie eine Weile stehen. Ihre Hände hatten sich gefaßt.

Gute Nacht! sagte Georg endlich.

Gute Nacht! flüsterte sie innig.

Da zog Georg die süße Gestalt an sich heran und drückte einen Kuß auf das würzige Haar.

Luise entzog sich ihm mit sanfter Gewalt und eilte durch die Thüre ins Haus. –

Georg hatte in dieser Nacht einen wirren Traum. Als er am Morgen aufwachte, fragte er sich, was es doch für Augen gewesen seien, in deren Glanz er fort und fort in seinem Traume geschaut hatte?

Das war nicht Luisens thränenvoller Blick, auch nicht Gertrauds heilloses Auge. Das war nicht der verschleierte Blick des steinernen Frauenbildes. Aber was war es denn? Wo hatte er in so lichtvolle, tiefe, herzliche Augen geschaut?

Da fiel es ihm ein, und er staunte. Es war der Blick jener fremden Frau, die ihm auf der Brücke begegnet war und sein Kunstwerk und ihn mit glückverheißenden Augen gegrüßt hatte.

Was ging ihn diese Frau an?

Nur einmal wieder solche Augen sehen! sagte er laut, und als er seine Worte hörte, schüttelte er verwundert den Kopf über sich selbst.


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