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3

Als Georg die Hochschule bezog, war auch mit seiner Mutter eine Änderung vor sich gegangen. Nicht in ihrer Arbeit. Sie war vielmehr noch eifriger auf den Erwerb aus und machte dadurch die Frauen der kleinen Stadt oft recht ärgerlich. Denn aus Furcht, eine Kundin und einen Verdienst zu verlieren, gab sie auf jede Bestellung eine Zusage, und dies hatte zur Folge, daß sie nicht selten ein früher gegebnes Wort brechen mußte, um ihr letztes Versprechen zu halten. Wenn dann die Frau Oberamtsrichter klagte, daß sie sie gestern im Stiche gelassen hätte, und sie hätte doch sicher auf sie gerechnet, dann gab die Büglerin der Frau Kommerzienrat die Schuld, die in aller Frühe nach ihr geschickt hätte; der Frau Oberamtsrichter aber schenkte sie zum Trost den folgenden Tag, den sie allerdings schon seit langer Zeit der Frau Dekan versprochen hatte. Da sie aber die beste Büglerin im Städtchen war und alle Damen gleichmäßig behandelte, im schlimmen wie im guten, so fügten sich diese darein und waren froh, wenn sie die fleißige, pünktliche Frau doch endlich in der Hausflur vor dem Bügeltische sahen.

Die Veränderung, die in dem Leben der braven Frau vor sich ging, fand an einer andern Stelle statt. Sie wird eitel! sagten die erwachsenen Töchter, sie wird verrückt! meinten die Hausväter. Das Glück ihres Sohnes ist ihr in den Kopf gestiegen! entschuldigten die gutherzigen Frauen. Und die hatten Recht.

Der Kunstschlosser hatte nämlich ein Exemplar des Bezirksblattes, worin der Bericht über das landwirtschaftliche Fest stand, Georgs Mutter zugeschickt und die Stelle, die von dem Kunstwerke ihres Sohnes handelte, blau angestrichen. Wenige Tage darauf schrieb ihr Georg, daß er Kunstschüler der Akademie sei, und daß ihm der Minister in freundlichster Weise ein Stipendium verschafft habe. Die glückliche Mutter brachte Zeitungsblatt und Brief Georgs altem Lehrer und dem Pfarrer, der Georg konfirmiert hatte; dann nahm sie beides mit zu ihren Kunden, bis sie es alle gelesen hatten, und bis die beiden Dokumente aussahen wie die bekannten Papiere der fechtenden Brüder. Sie selbst aber bemühte sich hochdeutsch zu reden, damit sich ihr Kind seiner ungebildeten Mutter nicht schämen müsse, wenn es einmal heimkäme. Auch kaufte sie sich zwei neue Hauben und einen Sonnenschirm und machte sich Vorhängchen an die Fenster der Wohnstube. Bisher hatte sie im zweiten Zimmer geschlafen; Georgs Bett stand in dem anstoßenden Kämmerchen. Jetzt richtete sie sich im Kämmerchen ein, daß Georg in der Stube schlafe. Freilich that ihrer schweratmigen Brust der enge Raum weh. Aber sie wollte sich frühzeitig und bei guter Witterung daran gewöhnen, damit, wenn der Sohn einmal unversehens komme, sein Bett gerüstet sei, und er durch ihren Husten nicht gestört werde. Das Wohnzimmer, das getüncht war, wurde tapeziert, und zu seiner Ausschmückung kaufte die Büglerin in einem Buchladen zwei Öldruckbilder. Nach langem Besinnen und Schwanken wählte sie »das lauschende Zöfchen« und »der Kuß auf der Treppe.« Sie entfernte den altväterlichen Haussegen und Georgs eingerahmten Konfirmationsschein und hängte die neuen Bilder an ihre Stelle. Von ihrem Nachbarn dem Sattler ließ sie sich ein Sofa machen. Es gelang vortrefflich. Wer sich darauf setzte, schwebte eine Weile auf und nieder, so kräftig und nachhaltig arbeiteten die Federn. Sie kaufte einen schönen Tischteppich mit eingewirkten goldnen Drachen, die auf Rosenknospen losfuhren, und mit grünen Fransen. Auf den Tisch stellte sie einen von Draht, Zeug und Goldfäden verfertigten Blumenstock. Jetzt war alles fertig, und sie wartete von einem Monat auf den andern, daß ihr Sohn komme und von all diesen Herrlichkeiten Gebrauch mache, Ihren Kunden aber teilte sie mit, daß sie, wenn ihr Sohn komme, nur noch des Nachmittags außerhalb des Hauses werde bügeln können, denn des Morgens müsse sie für ihren Sohn kochen.

Georg hatte seine Ankunft durch ein Telegramm angekündigt. Das Telegramm wurde der Büglerin in die Wohnung des Apothekers, wo sie gerade arbeitete, nachgetragen. Als es ihr eingehändigt war, sammelte sich die ganze Familie um die entsetzte Frau. Der Apotheker selbst erbrach es und las es der Zitternden vor. Nun half alles zusammen, die Hausfrau, die Töchter und das Dienstmädchen, mit der Bügelei fertig zu werden, sodaß die gute Mutter, die vor Freuden ganz bestürzt war, schon nach einer Stunde heimwärts eilen konnte. Vor der Hausthür kehrte sie erst noch einmal um und holte im ersten Wirtshause sechs Flaschen feinen Weins. Dann wischte sie in den Stuben ab, blies den Staub von dem künstlichen Blumenstock und ging klopfenden Herzens im Zimmer auf und ab. Endlich war die Stunde nahe. Die Büglerin wagte nicht, ihren Sohn am Bahnhof abzuholen. Sie dachte, es möchte ihm mißfallen. Darum gab sie einem Nachbarbüblein eine Hand voll gedörrter Zwetschgen, damit es Georg auf dem Bahnsteig erwarte und ihm sein Gepäck trage.

Sie hörte den ankommenden Zug pfeifen und dann wieder abfahren. Sie mußte sich auf den Stuhl am Fenster setzen, so bebten ihr die Glieder. Jetzt mußte er die Bahn überschreiten, jetzt begrüßte ihn der Bahnhofsvorstand, jetzt ging er durch den Wartesaal in die vordere Halle und auf die Straße hinaus, jetzt schritt er an der katholischen Kirche vorbei, jetzt über den Platz, und jetzt, jetzt kam er die Gasse herunter.

Als die Mutter ihren Sohn erblickte, übermannte sie der Schreck. Sie eilte in die Kammer, einen Sonntagsschurz anzuziehen.

Gleich, Georg, gleich! rief sie in die Stube hinaus, strich ihr Haar vor dem Spiegel zurecht und zupfte an der Haube. Dann kam sie zum Vorschein.

Mutter! rief Georg. Das Herz wallte ihm über, als er sie vor sich sah, die gebückte Frau mit den grauen Haaren, dem glanzlosen Auge und dem trocknen Munde, der von dem Bügeldunst wie ausgedörrt schien.

Liebe Mutter! sagte er noch einmal und schlang die Arme um sie. Die Alte wagte es nicht, auch ihre Arme um den Sohn zu legen. Sie ergriff seine Hand und sah ihm mit nassen Augen ins Gesicht.

Guten Tag. Georg! Wie geht es dir?

Sie wollte hinzufügen: Du siehst bleich aus! aber sie verschluckte das Wort und sagte:

Setz dich auf das Sofa.

Dann rückte sie den Tisch vor, damit der Sohn sich bequem setzen könne, schob ihm ein Kissen hinter den Rücken und eilte in die Küche hinaus, um zu kochen und zu braten.

Da saß nun Georg wie ein Götze auf dem Sofa, auf dem vor ihm noch niemand gesessen hatte als der Herr Stadtpfarrer und der Herr Steuerkommissär. Vor ihm stand der künstliche Blumenstock in all seiner Pracht. Und Georg wurde das Herz weich vor Wehmut und vor Glück.

Dann und wann lief die Mutter in die Stube herein, um ihn mit dem oder jenem zu bedienen. Sie brachte ihm Wein und Cigarren, schob ihm einen Schemel unter die Füße und legte ihm die neueste Zeitung hin. Oder sie blieb an der Thür stehen und fragte, ob er den Salat lieber mit oder ohne Zwiebeln habe, ob es ihm recht sei, wenn sie eine Selleriewurzel in die Suppe lege, ob sie ihm die Leberklöße kochen oder braten solle. Georg gab auf alle diese Fragen bestimmte Antworten. Es war ihm ja einerlei; aber er empfand es so süß, auf all diese Fragen der Liebe zu antworten; es war wie Kuß auf Kuß.

Ißt du nicht mit, Mutter? fragte er, als die Büglerin zum Nachtessen nur einen Teller niedersetzte.

Ich kann nicht vom Herde weg, sagte sie. Ich esse nachher.

So will ich bei dir in der Küche essen, erwiderte Georg und trug Teller und Besteck, Glas und Weinflasche in die Küche. Dann schloß er den Küchenschrank auf, holte ein zweites Glas heraus und stellte es zu dem andern auf den Küchentisch.

Da ging es heiß durch das Herz der alten Frau. Es war, wie wenn ein weißglühender Stahl in ein Bügeleisen schlüpfe. Thränen quollen aus ihren Augen.

Georg setzte sich auf den Küchenschemel und aß auf dem Schoß, was die Mutter ihm vom Herde brachte. Er schenkte beide Glaser voll, und sie stießen mit einander an. Das flackernde Feuer beleuchtete sein blasses Gesicht. Plötzlich umfaßte er seine Mutter und barg sein Gesicht in den Falten ihres Rockes. Mutter! sagte er leise, und er brach in Thränen aus. Die alte Frau seufzte tief und streichelte dem Sohne die Locken. Sie schwiegen beide. Das Herdfeuer brannte nieder und verknisterte. Es wurde finster in der Küche. Noch immer hielt der Sohn die Mutter umschlungen, und unaufhörlich liebkoste ihre Hand des Sohnes Haupt.

Dann machte sich die Frau von ihm los, zündete eine Lampe an und sagte:

Deine Schulkameraden warten auf dich im Pflug, und hinten drin im Nebenzimmer sitzen der Herr Apotheker und andre Kasinoherren, Die wollen dich begrüßen.

Ich will nicht hin, Mutter!

Gehe hin! Es wird dir leichter werden!

Laß mich bei dir bleiben, Mutter!

Thus mir zu lieb!

Also denn; dir zu lieb!

Als der Sohn an der Hausthür stand, eilte ihm die Mutter nach und drückte ihm verschämt ein Markstück in die Hand.

Georg kam früh wieder aus dem Wirtshause zurück. Die Mutter sah ihn erwartungsvoll an.

Du hättest mehr trinken sollen, Georg! sagte sie.

Ich habe genug getrunken.

Du bist nicht lustiger geworden.

Es ist mir wohl, daß ich bei dir bin.

Dann fragte ihn die Büglerin aus, was die einzelnen Herren des Kasinos zu ihm gesagt hätten.

Setze dich zu mir aufs Sofa! sagte auf einmal der Sohn.

Ich bin mein Lebtag auf keinem Sofa gesessen!

Dann setze ich mich auch nicht mehr drauf, sagte Georg, holte sich einen Stuhl und schmiegte sich dicht an die Mutter.

Wieder schoß es ihr heiß durch das alte Herz. Sie griff nach des Sohnes Hand und hielt sie fest vor sich auf dem Tisch.

Schreibst du fleißig an deinen alten Meister?

Ich hab ihm noch nie geschrieben.

Ist das recht, Georg?

Ich weiß es nicht.

Wie geht es dem Bürgermeister? forschte die Mutter weiter.

Georg schüttelte den Kopf.

Ist Bürgermeisters Luise gesund? fragte sie leise.

Was weiß ich?

Ist es aus?

O Mutter, frag nicht immer, du quälst mich so!

Da fiel eine Thräne auf Georgs Hand. Die Hand zuckte wie unter einem siedenden Tropfen, aber die Mutter hielt die Hand fest.

Bist du gern auf der hohen Kunstschule?

O Mutter! –

Es entstand eine Pause. Beide sahen vor sich nieder.

Dann hub die Mutter von neuem an: Siehst du auch den Fritz Weber, der bei den Leibgrenadieren steht?

Ja, zuweilen.

Sei nur freundlich zu ihm; ich bleiche auf ihrer Wiese. Sind deine Lehrer gut gegen dich?

So gut, als ichs verdiene.

Plötzlich wandte sich Georg um. Er sah die Mutter gramvoll und finster an.

Mutter, bist du dran schuld oder der Vater?

Die Alte erschrak bis ins Herz.

Woran, Georg?

Daß ich nichts kann! rief Georg schmerzlich aus.

Sag nicht so, Georg!

O du geschickte Mutterhand! sagte Georg und streichelte die magern Finger. Du kannst bügeln wie keine, und kannst kochen und liebkosen. Sieh meine Hand an, Mutter, die kann nichts.

O doch, sie kann! erwiderte die Mutter und drückte des Sohnes Hand an ihre welke Brust.

Georg entzog ihr seine Hand mit sanfter Gewalt, legte sie auf den Tisch und sah sie mit finstern Augen an, zuerst ihren Rücken und dann ihre Fläche.

Eine geraume Weile schwiegen beide.

Du hast recht, Mutter, sagte Georg. Nicht an der Hand fehlts. Da drinnen fehlts. Er legte die Hand aufs Herz.

Dein Herz ist gut! sagte die Büglerin.

Deins ist gut, Mutter! Laß mich es klopfen hören!

Und er legte den Kopf in der Mutter Schoß. Er war auf die Kniee niedergesunken, und die Mutter legte ihre Hände auf des Kindes Haupt. So blieben sie lange. Dann hob Georg langsam den Kopf, sah die Mutter an und sagte: Ich bin müde, Mutter!

Die Alte zündete ein Licht an und leuchtete in die hintere Stube. Georg schritt auf die Kammerthür zu.

Du schläfst hier! sagte die Mutter.

Und du?

In der Kammer.

Nichts da; ich schlafe, wo ich früher immer geschlafen habe.

Es ist aber schon alles so gerichtet.

Das ist gleich in der Reihe. Wir helfen zusammen.

Als die Betten gewechselt waren und Georg in seiner Kammer stand, öffnete die Mutter noch einmal die Thür und fragte schüchtern:

Georg, darf ich bei dir bleiben, wenn du ins Bett gehst?

Freilich, Mutter!

Und sie half ihm beim Entkleiden und deckte ihn zu.

Bist du warm, Georg?

Ja, Mutter!

Weißt du noch, Georg, wie du früher gebetet hast, wenn ich dich zu Bett legte?

Georg nickte.

Kannst dus noch?

Die Alte legte die gefalteten Hände auf Georgs Deckbett.

Da fing er an:

Abends wenn ich schlafen geh, vierzehn Engel bei mir stehn ...

Georg hielt inne und lächelte. Er sah sieben Engel des Schmerzes und sieben Engel des Trostes sich gegenüber stehn.

Es ist gut, Mutter!

Amen! sagte die Alte.

Sie legte Georgs beste Kleider und ein frisches Hemd auf den Stuhl vor Georgs Bett.

Du mußt morgen früh Besuche machen!

Warum nicht gar!

Es geht nicht anders; ich bins meinen Kundenhäusern schuldig.

Nun denn, in Gottes Namen! Gute Nacht, Mutter! Gieb mir noch einmal deine Hand. Gute Nacht, du gute, gute Mutter!

Gute Nacht, Georg! Verschlafe alles, was dich drückt!

Die Alte hob Georgs Stiefel vom Boden auf und ging mit ihnen zur Stube hinaus.

Ein paar Stunden der Nacht waren verronnen. Da kam die Büglerin mit dem Lichte in der Hand in die Wohnstube. Sie nahm die beiden Öldruckbilder von der Wand und legte sie in die unterste Schublade der Kommode. Dann zog sie aus derselben Schublade den alten Haussegen und Georgs Konfirmationsschein hervor und hängte sie wieder an ihre Nägel.


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