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2

Es war kurz vor dem Ende des zweiten Akademiejahres, daß Georg das Modell zu einer Nausikaa vollendet hatte. Es hatte etwa die Größe der griechischen Terrakotten. Des Alkinoos schöne Tochter war dargestellt, wie sie am Strande der See steht und dem davonsegelnden Odysseus nachblickt.

Georg hatte die Gestalt in tiefer Bewegung geschaffen. Er kam sich dabei vor, als sei er selbst dieser Odysseus, nur nicht schuldlos wie dieser, sondern er trüge schuldbeladen den Blick der thränenschweren Augen auf dem fliehenden Rücken. Und als er fertig war, da war es ihm, als müßten sich die kleinen braunen Hände in seine Hände legen und darinnen wachsen und warm werden, und als müsse er eine weiche Wange an der seinen spüren und einen leisen Atemzug, als müsse es finstre Nacht werden um sie beide und er seiner Luise zuflüstern: wir haben uns wieder; nun ist alles wieder gut!

Klopfenden Herzens brachte er die kleine Statue seinem Lehrer in das Atelier, Der Professor trat damit ans Fenster, hielt sie in der linken Hand und betrachtete sie lange. Er sagte kein Wort, aber er hob die Augen zu Georg, und ein warmer Strahl traf diesen. Dann sah er wieder schweigend das Bildwerk an.

Georg wurde schließlich verlegen. Er räusperte sich. Da stellte der Professor die Statuette auf den Tisch und sagte: Wollen Sie mir das Modell bis morgen lassen? Bis morgen um diese Zeit? Dann holen Sie es drüben in meiner Wohnung.

In so freudiger Stimmung war Georg noch nie von seinem Lehrer geschieden.

Am andern Tage stand er zur bestimmten Zeit vor der Wohnung des Professors. Er hatte sie noch nie betreten, denn der Professor hielt absichtlich alle seine Schüler von seinem Hause fern. Man wußte, daß er mit einer Tochter ein stilles, einsames Leben führte, und keiner unter den Kunstschülern war so glücklich gewesen, diese Tochter kennen zu lernen.

Das Dienstmädchen wies Georg eine Zimmerthür. Er vernahm drinnen außer der Stimme seines Lehrers noch eine andre Stimme, eine Frauenstimme.

Hat der Herr Professor Besuch? fragte er das Mädchen.

Nein, erwiderte dieses und öffnete die Thür.

Georg trat ein. Es war ein schlichtes Studierzimmer, Vor dem Schreibtisch saß der Professor in einem Armstuhl, und ihm zu Füßen saß ein dunkelgekleidetes Mädchen auf einem Schemel. Sie hielt Georgs Statuette im Schoße, und diese mußte es wohl sein, worüber sie gerade zu ihrem Vater hinauf sprach. Denn daß sie des Professors Tochter sei, erkannte Georg auf den ersten Blick. Sie hatte dieselbe herrliche Stirn, nur weiblich geformt, schmaler und weich, und den gleichen Mund, nur voller, mit einem Zug ins Üppige, mit kirschroten, blühenden Lippen. Ihr Antlitz war blaß und schmal mit runder Wange und zartem Kinn. Die Nase hatte nicht den starken Schwung, war aber edel und kühn wie die ihres Vaters. Vor allem aber hatte sie des Vaters Auge, ebenso groß und klar und aus der Tiefe herausleuchtend, nur war es nicht blau, wie das des Vaters, sondern lichtbraun.

Als Georg eintrat, wandte sie ihm die strahlenden Augen zu mit einem Blick, worin sich Neugier und Teilnahme mischten. Dann stand sie auf, erwiderte Georgs Verbeugung mit einem leisen Nicken des Kopfes, stellte die Statuette auf den Tisch und ging einer Thür am andern Ende des Zimmers zu.

Der Professor trat auf Georg zu, streckte ihm beide Hände entgegen und rief ihm zu: Willkommen! Dann trat er an den Tisch, hob die Hand in die Höhe und ließ sie, indem er Georg fest in die Augen blickte, mit den Worten: Das werden Sie besser machen! so schwer auf das Modell niederfallen, daß es unter ihr zerknirschte.

Georg stieß einen Schrei aus und stürzte an den Tisch. Er sah die Trümmer der Figur auf dem grünen Tuche liegen rings um die Faust, die sie zermalmt hatte. Dann traf sein flammender Blick das Auge des Professors, und mit gespannten Armen und geballten Fäusten trat er auf ihn zu. Sein Lehrer sah ihm mit seinem ruhigen und klaren Blick in die Augen. Aber Georg, außer sich vor Schmerz, fühlte diesmal die Macht dieses Blickes nicht. Aber ein andrer Blick entwaffnete ihn. Die Tochter war zwischen die beiden geflogen und hatte den Arm um den Vater geschlungen, als müsse sie ihn schützen. Sie sah Georg an mit dem Blick ihres Vaters, voller Größe und mit der Sicherheit einer Königin.

Georg senkte den Blick, seine Arme wurden schlaff, seine Hände thaten sich auf. Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust, und vorwurfsvoll rief er: Sie wissen nicht, was Sie mir verdorben haben!

Geh, Maria! sagte der Professor zu seiner Tochter. Sie verließ das Zimmer, ohne sich nach Georg umzusehen. Dieser sammelte die Brocken seines Werks, und als er den geschundnen Kopf am Hals hielt, fielen ihm Thränen aus den Augen.

Der Professor stand am Fenster und sah Georg zu. Keine Miene zuckte in seinem Gesicht.

Es war von Grund aus verfehlt, und es mußte vor Ihren Augen verschwinden. Nausikaa gleicht einem taufeuchten Apfelblütenzweig, der sich in der frischen Seeluft wiegt. Die Gestalt, die Sie schufen, glich auch einem Zweig voller Blütenknospen. Aber der Baum, an dem er wuchs, hat nie den Meereswind verspürt, und kein König hat je seine Früchte gebrochen. Er ist in einem Landgärtchen gewachsen, hinter einem stattlichen Bauernhause, und hat nicht weiter gesehen als bis zum Bienenstand und bis zum Storchennest. Ich weiß, daß Sie mich verstehen.

Georg sah bestürzt den Kopf an, den er in seiner Hand hielt, und warf dann einen schmerzvollen Blick auf seinen Lehrer. Der Mann sah in sein Herz bis zum innersten Geheimnis und hatte doch nur Hohn für ihn! Das that ihm bitter weh, sodaß sein Herz sich bäumte gegen diese Behandlung.

In kalter Ruhe fuhr der Professor fort, indem er auf die Trümmer wies:

Die da wäre nicht dem nackten Schiffbrüchigen so entgegengetreten wie Nausikaa. Die da hätte einen Schrei ausgestoßen, hätte dem Hunde gerufen; dann wäre sie nach Hause gelaufen und hätte ihrem Vater gesagt, daß draußen so einer sei.

Während der Professor so sprach, sah Georg in das Antlitz seiner Nausikaa, und es fiel von seinen Augen wie Schuppen. Sie ist von Grund aus verfehlt! schrie es in ihm, und eine Niedergeschlagenheit überzog sein Herz, daß er schier zusammengebrochen wäre.

Sie haben Recht, Herr Professor, stammelte er, ergriff seinen Hut und wandte sich zur Thür.

Da rief ihm der Professor zu: Georg! Es war zum erstenmale, daß er ihn beim Vornamen nannte.

Aber Georg hörte es nicht und ging hinaus.

Als er nun draußen stand vor der Glasthür, durch die der helle Sonnenschein hereinfiel, dachte er daran, mit welch froher Hoffnung er gekommen war, und die Traurigkeit überwältigte ihn so, daß seine Kniee wankten. Er blieb stehen, und mit zitternder Hand tastete er nach der Glasthür.

Ist Ihnen nicht wohl? fragte ihn eine weiche Stimme.

Er sah auf. Es war des Professors Tochter. Sie stand im Dunkeln, aber ihre Augen leuchteten, wie das gute Glück leuchtet.

Doch, doch! stammelte Georg und raffte sich zusammen. Da trat sie auf ihn zu, und mit einem Blick voll überströmender Herzlichkeit hielt sie ihm die Hand entgegen.

Ich weiß es ganz gewiß, sagte sie leise. Sie werden es besser machen!

Er ergriff ihre Hand und erwiderte: Ich danke Ihnen. Ihre Blicke begegneten sich und hielten sich eine Weile. Dann ließ er ihre Hand los und schüttelte traurig den Kopf.

Er wußte nicht, wie er zur Thür hinaus und die Treppe hinunter gekommen war.

Vor dem Hause blieb er stehen und sah mit finsterm Spüren in die Mienen des abgebrochnen Kopfes.

Mit meinem ganzen Herzen war ich dabei, und doch ist nichts geworden, weil es nichts ist mit mir selbst!

Ein Schulmädchen kam des Wegs daher. Er vertrat ihm den Weg und sagte: Sieh, was ich da habe!

Das Kind erschrak zuerst, dann schaute es neugierig her und rief: O, ein Puppenkopf!

Willst du den haben?

Die Kleine errötete vor Vergnügen und nickte mit dem Kopfe. Dann sagte sie zutraulich: Ich habe von der Tante Sophie eine große Puppe zu Weihnachten bekommen, aber unser Willi hat ihr den Kopf zerschlagen.

Geh zum Puppendoktor und laß dir den da drauf machen!

Das Kind griff mit beiden Händen zu, rot vor Glück, und sagte knicksend: Ich danke vielmal!

Georg sah ihr nach, wie sie spornstreichs davon rannte. Die übrigen Stücke hatte er weggeworfen. Dann ging er seiner Wohnung zu. Er ging langsam, zögernd, wie ein Unschlüssiger. Die Leute blieben stehen und sahen ihm verwundert nach.

Als er zu seiner Stube hinaufstieg und den im Schlosse steckenden Schlüssel im Sonnenscheine blinken sah, kam das Gefühl über ihn, wie einsam und verlassen er sei. Er wäre am liebsten vor der kalten Thür wieder umgekehrt. Denn was fand er da drinnen? Ein Bett, um darin zu liegen, einen Stuhl, um darauf zu sitzen, einen Tisch, um die Arme darauf zu legen. Wenn die Thür hinter ihm zu war, so war er mutterseelenallein. Aber er ging hinein.

Er trat ans Fenster und sah über den rauschenden Kanal auf die alten hochgiebligen Häuser hinab.

Was war ihm diese Stadt? Er hatte Kameraden, aber keinen Freund. Er hatte einen Lehrer, den er wie einen Vater hatte lieben mögen, aber der war herb gegen ihn und grausam. Es gab hier schöne Frauen die Fülle. Aber keine war darunter, die ihm ihr Herz zuwandte, und die einzigen Mädchenaugen, deren Blick ihm in die Seele gegangen war, hatten in demütigendem Mitleid auf ihn geschaut, als auf einen armen Jungen, dem man zureden müsse, damit ers besser mache. Er dachte an die begonnenen Arbeiten in seinem Atelier draußen in dem stolzen Gebäude der Akademie. Wozu sie vollenden? Er bekam ja doch keinen andern Bescheid als den: es ist nichts! Und wenn er auch darüber aufgebracht war, dann kam, das wußte er ja, schließlich doch die Erkenntnis: Der Mann hat Recht! Und aus dem Groll wurde Herzeleid.

Mit meiner Sache ist es nichts! Ich Narr! Wär ich bei meinen Engeln geblieben!

Er war auf einen Stuhl niedergesunken und sah trostlos vor sich hin.

Ja, jetzt fühlte er, wie die Nausikaa hätte werden müssen, aber es war ihm sonnenklar, daß er sie niemals so, wie sie sein müßte, zustande bringen werde. Und wenn all seine Liebe und all seine Kunst dabei wäre, er brächte ja doch nichts fertig als einen Puppenkopf!

Hinweg von diesen Steinen, diesen Menschen, diesen Bildern! rief es in ihm.

Er hob die Augen auf und sah zu den blauen Bergen hinüber, die fern hinter der Stadt im Abendschimmer glänzten.

Was war ihm die Welt? Es schlugen Herzen dort draußen, die hatten ihn lieb gehabt. Aber er hatte sie verachtet, zurückgestoßen, verlassen. Das war vorbei.

Er senkte den Blick und schaute in das tosende Wasser hinein, das gerade unter seinem Fenster über ein Wehr stürzte. Um dieses Rauschens willen hatte er dies Zimmer gewählt. Jetzt schien es ihm feindlich und rauh, und es war ihm, als müsse er davor fliehen.

Er eilte an den Bücherschaft und suchte knieend ein Buch, nach dem er seit Jahr und Tag nicht gegriffen hatte. Es war das Gesangbuch. Er schlug es auf. Auf der Rückseite des Deckels standen ein paar Worte, in groben, unbeholfnen Zügen hingeschrieben. Die sah er an mit feuchten Augen. Lange kniete er so. Die Stirn hatte er an ein Brett des Bücherschaftes gelehnt, und in seinen Händen lag das aufgeschlagne Buch. Dann schlug er das Buch zu, that es an seinen Platz und stand auf. Ich will zur Mutter gehen! sagte er zu sich.

Er hatte seine Mutter nicht wieder gesehen all die zwei Jahre her, seit er die Akademie bezogen hatte. Die Reise war weit und teuer, und die Ferien waren für ihn bisher eine Zeit zusammenhängender Arbeit gewesen. Auch hatte die Mutter nie den Wunsch ausgesprochen, daß er kommen möchte, und auch bei ihm war bisher der Trieb zum Lernen und Schaffen größer gewesen als die Sehnsucht nach ihr. Auch die bevorstehenden Ferien hatte er in der Stadt zuzubringen beabsichtigt. Er wollte mit Muße an die Ausführung seiner Nausikaa gehen. Aber damit war es nun nichts mehr. Und es war wohl überhaupt nichts mehr mit der Kunst – er wollte nicht an die Zukunft denken.

Georg rief seine Wirtin und bezahlte die Miete und die Hausrechnung. Dann gab er ihr einiges Geld, daß sie etliche kleine Schulden bezahle. Auf ihre Frage, wann er wiederkomme, antwortete er, das wisse er nicht; darum möchte sie nur immerhin das Zimmer an einen andern vermieten. Hierauf schrieb er einige Zeilen an einen Studiengenossen, worin er ihm Auftrag gab wegen der Sachen, die in seinem Atelier waren, und an den Hausmeister der Akademie schrieb er, daß man, wenn er bis zum Beginn des nächsten Studienjahres nichts von sich hören lasse, nur über sein Atelier verfügen möge. Dann packte er seine Habseligkeiten zusammen. Hierbei kam ihm ein Schreiben in die Hand, das zum Absenden bereit auf dem Tische gelegen hatte. Es war eine Eingabe an das Ministerium, worin er um weitere Bewilligung des bisher genossenen Stipendiums nachsuchte. Er stand eine Weile unschlüssig, mit dem Papier in der Hand. Die Aufschrift lautete an den Professor, der ihm sein Modell zerbrochen hatte. Er entfaltete den an den Professor gerichteten eingelegten Brief. Darin bat er um gütige Vermittlung und Fürsprache. Wofür? fragte er bitter, es ist genug für mich verschwendet! Er zerriß die Eingabe und den Brief und steckte die Fetzen in den Ofen.

Schnell packte er zu Ende. Seinen Koffer übergab er der Wirtin und bat sie, ihn aufzuheben, bis er weiteres melden werde.

Über all dem war es Zeit geworden, auf den Bahnhof zu gehen.

Es war noch mehr als eine Woche bis zum Schlusse des Studienjahres. Aber Georg wollte dem Manne nicht mehr unter die Augen treten, der ihm so rauh ins Herz gegriffen hatte. Er wollte niemand mehr sehen, von niemand Abschied nehmen. Er wollte nur eines: heim zur Mutter.


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