Maximilian Schmidt
Die Künischen Freibauern
Maximilian Schmidt

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XIII.

Frühjahr und Sommer waren unter beständigen Plänkeleien vergangen und der Herbst neigte sich ebenfalls schon dem Ende zu, ohne daß sich bei dieser schleppenden Kriegsführung etwas Entscheidendes ergeben hätte. Die Gegend war ringsumher ausgebrannt und verheert, die Verpflegung der Truppen für beide Teile gleich schwierig und im kaiserlichen Heere nahmen auch noch Krankheits- und Todesfälle in bedenklicher Weise überhand. Die Armee war dezimiert und Maximilians Hofstaat schon dreimal ausgestorben. Kein Wunder also, daß der Herzog vor Begierde brannte, eine Entscheidung herbeizuführen, umsomehr, als Pater Dominikus, welcher der bayerischen Armee das Kreuz vorantrug, ihn siegverheißend zum Angriff entflammte.

Aber wie er sich auch mühen mochte, die Böhmen hielten ihm nicht stand. So waren sie, sich langsam zurückziehend, bis gegen Prag gekommen. Der König selbst rückte mit dem Regimente des Grafen Thurn in seiner Hauptstadt ein, während sich Fürst Anhalt am weißen Berge, fünf Kilometer von Prag, festsetzte, wo er mit dem zum Tode erschöpften Heere eine Stunde nach Mitternacht angekommen war. Der König sowohl, wie Graf Thurn hatten versprochen, Schanzwerkzeuge und Proviant 197 herauszuschicken, aber niemand war aus Prag erschienen. Die Soldaten hungerten und für die Befestigung des Berges konnte vorerst keine Schaufel gerührt werden.

Der weiße Berg, der nur nach Südosten in das Thal von Motol steil abfällt, ist eine hügelige Hochebene, welche mit Ausnahme jener Seite, auf welcher das Sternschlößchen, ein königliches Jagdschloß liegt, nirgends erhebliche Schwierigkeiten für den Aufstieg bietet.

Da, wo der zu Füßen des Berges hinfließende Scharkabach seine Laufrichtung um den Berg ändert und gegen Nordosten umbiegt, führt ein Brückchen über das Wasser und zur Deckung dieses Passes hatte Fürst Anhalt am Abend des siebenten November 500 Musketiere vorausgesendet. Während der Nacht vollendete dann die gesamte böhmische Armee ihren Aufmarsch auf dem weißen Berge. Weite Sumpfstrecken zogen sich an den beiden Ufern des Baches nach den Dörfern Rep und Rusin und ließen zwischen letzterem und dem Berge einen nicht allzu breiten Streifen festen Bodens frei. Zur Schlachtaufstellung war der weiße Berg wohl sehr geeignet, und Hohenlohe, einer der böhmischen Heerführer, behauptete, ein besserer Punkt hätte für die böhmische Armee nicht vom Himmel fallen können.

Es war eine prachtvolle Mondnacht. Das Silberlicht des voll gerundeten Gestirns gleißte über den zum Tode ermatteten, in tiefen, vielleicht in ihren letzten Schlaf versunkenen Kriegern. Keiner ahnte, wie einem düstern Schicksale gleich der Feind den Böhmen auf dem Fuße gefolgt war.

Kaum hatte nämlich Tilly trotz der fingierten Wachtfeuer den abermaligen Rückzug der Böhmen wahrgenommen 198 und dem Herzoge gemeldet, als dieser einem kurzen Kriegsrat zufolge mit dem ligistisch-kaiserlichen Heere dem Feinde noch in der Nacht eiligst nachzog. Die beim Dorfe Rusin am Fuße des weißen Berges lagernden, noch schlummernden ungarischen Reiter wurden in der Morgendämmerung des 8. November von 500 Reitern und 1000 Wallonen unter Oberst Gauchier überfallen und schrecklich aufgeweckt. Ein großer Teil von ihnen ward niedergemetzelt, an 1000 Pferde und viele Schätze, darunter eine eiserne, mit Dukaten gefüllte Kiste erbeutet. Beim Scheine des von den Kaiserlichen in Brand gesteckten Dorfes sah man die nur um ihre Beute besorgten Ungarn den Berg hinauf flüchten.

Das war ein schlimmer Morgengruß für die Böhmen. Aber obwohl sie einsehen mußten, daß ihnen der Feind auf den Fersen sei, glaubten sie doch an keinen ernstlichen Angriff, sondern legten nur Schanzen an und trieben die Sorglosigkeit so weit, daß noch an diesem Morgen Offiziere und Gemeine nach Prag gingen, um ihre Freunde und Familien zu besuchen und sich Proviant zu holen. Die Kaiserlichen aber wußten, wie es im feindlichen Lager bestellt sei.

Nachdem das ganze Bayernheer, ohne von den feindlichen Kartaunen viel behelligt zu werden, die Scharkabrücke überschritten hatte, nahm es zunächst dem Dorfe Rusin Aufstellung. Die später eintreffende kaiserliche Armee durchschritt den Sumpf und schloß sich dem rechten Flügel der Bayern an.

Nach langer Beratung entschloß man sich, wenigstens ein Scharmützel zu wagen. Aber aus dem Scharmützel war bald eine Schlacht geworden.

Auf die mondhelle Nacht folgte ein nebeliger 199 Morgen. Sobald es Tag war, stellten Fürst Anhalt und Hohenlohe auch ihrerseits die Truppen in Schlachtordnung auf, jedoch nicht am Ende des Plateaus, sondern mehr gegen Prag hin, so daß ihre Stellung von unten nur schwer zu erkennen war. Den rechten Flügel bildeten mansfeldische Reiter unter Graf Styrnau, daran reihte sich mährisches Kriegsvolk unter dem Obersten Heinrich Schlick und seinem Neffen Humprecht von Hracin, welch letzterer mit vier Fähnlein soeben erst aus Prag angekommen war.

So standen sich die Heere gegenüber. Ihre Anführer waren auf Seite der Katholiken: Herzog Maximilian, Bouquoi, Tilly, Gottfried von Pappenheim, Albrecht von Waldstein, Don Marados, Friedrich von Teuffenbach und Fürst Liechtenstein. Die Gegenpartei führten Christian von Anhalt, Graf Hohenlohe, Anhalt der junge, der junge Thurn, Graf Heinrich Schlick, Humprecht von Hracin, die Grafen Bubna und Styrnau. Das kaiserliche Heer mochte etwa 28 000, die Böhmen 20 000 Mann zählen.

Fürst Anhalt fertigte, nachdem er die Aufstellung des Feindes in Schlachtordnung wahrgenommen, sofort einen reitenden Boten nach Prag ab, um sämtliche dort liegende Truppen an sich zu ziehen. Auch ließ er König Friedrich bitten, die Soldaten durch seine Gegenwart anzueifern und den noch Hungernden Proviant zu senden. Aber der junge König hatte noch nicht gefrühstückt und außerdem für den heutigen Tag ein großes Gastmahl angesagt und so ließ er seinem Feldherrn melden, er würde nach der Tafel hinausreiten.

Aber dazu sollte es nicht kommen, denn bis dahin hatte er schon Krone und Land verloren.

200 Zwischen 12 und 1 Uhr mittags griffen die Kaiserlichen, sämtlich mit weißen Arm- und Hutbinden versehen, unter klingendem Spiel und wildem Geschrei das böhmische Heer auf zwei Seiten an. Sie wurden mit einer Kanonade empfangen. Die Schlacht begann. Schon zu Anfang wechselte das Glück. Als aber das Regiment des Grafen Thurn, zum Angriff vorrückend, etwa 400 Schritte vor dem Feinde plötzlich Halt machte, dann sich kehrte und entfloh, da folgten auch die andern Truppen diesem schlechten Beispiel und rissen regimenterweise aus. In einem Augenblick war der ganze linke Flügel nur eine aufgelöste Masse und das Feld weithin mit Flüchtenden bedeckt.

Der Fürst von Anhalt mußte zu seinem Schmerze sehen, daß auch vier Kompagnien seines eigenen Regimentes sich zur Flucht wandten. Er sprengte auf sie zu und zwang sie mit dem Degen in der Faust zur Umkehr und neuem Vorgehen. Die Offiziere hielten sich tapfer, aber die Mannschaft hielt nicht stand. Die Bubnaschen Reiter, die Königskompagnien und jene der böhmischen Stände wurden in die allgemeine Flucht verwickelt. Versprengt und aufgelöst eilte der linke Flügel des ersten Treffens durch die Intervallen des zweiten, dieses gleichfalls mit sich fortreißend. Jede Oberleitung hatte aufgehört. Die ungarischen Reiter, welche schon beim Morgengrauen den ersten Anprall zu erdulden gehabt, suchten fliehend die Moldau zu erreichen, warfen sich in panischem Schrecken in den Fluß, der sie zu Hunderten verschlang.Noch wochenlang nach der Schlacht zogen die Prager Fischer ertrunkene Ungarn mit ihren Netzen aus der Moldau. Zweiundfünfzig Feldzeichen und das große Königsbanner Friedrich V. fielen den Feinden in die Hände.

201 Auch auf dem rechten Flügel hatte sich das Gefecht zu Ungunsten der Böhmen gestaltet. Die etwas auseinandergekommene Schwadron des jungen Anhalt wurde von fünf kaiserlichen Schwadronen zurückgeworfen, der junge, schon durch einen Streifschuß verwundete Anhalt wurde von einem Musketier in die Achsel geschossen, so daß ihm alle Kraft entschwand und er an der Spitze seiner Truppen ohnmächtig vom Pferde sank. Damit hörte auch hier aller Widerstand gegen den Feind auf.

Von böhmischen Truppen befanden sich in diesen letzten Momenten des Kampfes nur noch das mährische Regiment, die Soldaten des Grafen Heinrich von Schlick und seines Neffen Humprecht und etwa neun andere Fähnlein unter Bernhard von Thurn auf dem Schlachtfelde. Auch der Herzog Wilhelm von Weimar befand sich in der kleinen Schar, welche die Ehre der böhmischen Waffen bis zuletzt aufrecht erhielt. Auch sie mußte weichen. Nur die Mähren unter Schlick und Hracin hielten noch aus.

Da machte die kaiserliche Armee eine Schwenkung, so daß dieser kleine Rest der Kämpfenden, von drei Seiten eingeschlossen, im Süden und Westen den Feind, im Norden die Parkmauer des Stern, nur noch den Weg nach Osten frei hatte, hin gegen Prag. Aber auch dieser war von den Wallonen bereits bedroht. Trotzdem verließen die Mähren diese gefährdete Stellung nicht; sie fochten mit dem Mute der Verzweiflung. Die Toten lagen an der Parkmauer zu zehn und zwölfen übereinander, die meisten wurden von den über diesen hartnäckigen Widerstand erbitterten Feinden niedergehauen, zuletzt ihr Anführer, Graf Schlick, gefangen.

Seinem Neffen ward das Pferd unter dem Leibe totgeschossen. Humprecht wehrte sich hierauf stehend gegen 202 die Andringenden, bis ihm der Helm vom Kopfe geschlagen und ein Streich die Stirne getroffen. Jetzt erst, nachdem ihm das rinnende Blut das Augenlicht trübte und er einsah, daß ein weiterer Kampf unnütz sei, warf er sich auf ein herrenloses Pferd und jagte davon. Eine ihm nachgeschickte Kugel erreichte ihn jedoch und verwundete ihn an der linken Schulter, so daß er zusammenknickte. Das Pferd aber raste den andern Reitern nach und brachte ihn gleich den andern Flüchtlingen gen Prag.

Die Schlacht war zu Ende; sie hatte nicht viel über eine Stunde gedauert. Der Erfolg aber war ein großer. Auf Jahrhunderte hinaus hörten nun die Bestrebungen der böhmischen Nation für eine staatliche und kirchliche Selbständigkeit auf. Die Bucht nahe der südöstlichen Mauer des Sternparks war das Grab der nationalen Unabhängigkeit Böhmens geworden.

Die Kaiserlichen hatten das ganze böhmische Lager erobert. Zehn Kanonen, welche die ganze Artillerie Friedrichs ausmachten, fielen in Feindeshand. Sechstausend Mann, der junge Graf Schlick und einige andere Führer lagen tot auf der Walstatt. Der junge Anhalt, drei Grafen Schlick, Styrnau und ein Herzog von Sachsen-Weimar waren gefangen. Über 100 Fähnlein und das große Königsbanner aus gelbem Samt mit grünem Kreuz wurden die Beute der Sieger. Der alte Fürst von Anhalt war nach Prag geflohen.

Auf kaiserlicher Seite fielen die Grafen Meggau und Rechberg nebst zwölf andern Offizieren. Den Grafen Pappenheim, den später so berühmt gewordenen Reitergeneral, fand man verwundet unter einem Haufen Erschlagener.

203 Ein stolzes Gefühl ließ die Herzen der Sieger höher schlagen, doch war es nicht Mangel an Tapferkeit, was den Böhmen diese Niederlage bereitete. Im Gegenteil wankte das Zünglein an der Wagschale zum Siege an mehr als einer Stelle oft lange und hartnäckig, ehe es sich den Kaiserlichen zuneigte. Die Feigheit der Thurnschen Truppen und der ungarischen Reiter brachten die böhmische Armee in Unordnung und schließlich entschied nicht mehr die Tapferkeit, sondern nur die Übermacht.

König Friedrich verlor über diesem unerwarteten Schlage alle Besinnung. Durch diese Niederlage waren alle Absichten der Ständischen vereitelt und das Recht der Nation, sich ihre Könige selbst zu wählen, für immer verloren.

Aber nicht für Böhmen allein, für ganz Deutschland war die Schlacht am weißen Berge ein nationales Unglück, denn sie öffnete einer schrankenlosen kriegerischen und politischen Reaktion Thür und Thor und schuf jene strenge, militärische Diktatur, welche den nationalen Wohlstand auf Jahrhunderte hinaus vernichtete. 204


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