Maximilian Schmidt
Die Künischen Freibauern
Maximilian Schmidt

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VIII.

Andern Tages zu früher Morgenstunde strömte alles Volk hinan zur Bergkapelle, in welcher Pater Lamormain die Messe las, welcher die Majestäten anwohnten. Vor dem kleinen Kirchlein drängten sich die Andächtigen in dichten Massen. Nach vollbrachter Andacht und eingenommenem Frühmahl ward sodann zur Abreise geschritten.

Der König sprach seinem Wirte die vollste Anerkennung aus, versicherte, daß er sich in dem gastlichen Hause recht wohl gefühlt habe und überreichte den beiden Töchtern Eisners je einen wertvollen Ring mit seinem Namenszuge. Dem Oberrichter aber händigte er ein Schreiben an den Kaiser ein, das diesen von der Sachlage klar unterrichten sollte und trug ihm auf, sobald als möglich dasselbe in Wien persönlich zu übergeben.

Auch die Königin und der junge Erzherzog verabschiedeten sich auf das huldvollste von der Familie Eisner. Erstere sagte scherzend zu Marianka, sie möge es ihr wissen lassen, wenn sie einmal Hochzeit mache; sie werde ihr dann gewiß eine Freude bereiten.

Frau Juditha von Kolowrat wurde etwas kühler verabschiedet, als sie empfangen worden; sogar den üblichen Handkuß gewährte ihr der König nicht, indem er sich rasch dem Volke zuwandte, das ihm von allen Seiten zujubelte. 116 Die Freibauern waren bereit, dem Könige zu Pferde das Geleite bis zur Grenze zu geben.

Alsbald setzte sich der königliche Reisezug in Bewegung den etwas steilen Berg hinan, um über Brunst und die Hochebene, dann über den Abhang des Pampferberges nach dem Thalbecken von Eisenstein zu gelangen. Hier an der Grenze erwarteten den König der Abt und der Prior des Klosters Rinchnach, welche mit mehreren Soldknechten dem Fürsten entgegen geritten waren, um ihre hohen Gäste schon hier zu begrüßen und sie nach dem Kloster, ihrem heutigen Nachtlager, zu geleiten.

An der Grenze angelangt, verabschiedete der König die Freibauern mit der Zusicherung, daß er alle Zeit dankbar und in Gnaden ihrer gedenken wolle und stets auf ihr Wohl und die Heilighaltung ihrer Privilegien bedacht sein werde. Dem Oberrichter aber reichte er gnädig die Hand mit den Worten:

»Glück auf nach Wien!« – – –

Dem strengen Befehle Pater Lamormains gehorchend, hatte sich Libussa an diesem Morgen nicht mehr in die Nähe des Königs gewagt. Ihr Herz war so voll froher Hoffnung, den Geliebten, den sie suchte, wieder zu finden, daß sie überhaupt an nichts anderes mehr dachte, als so rasch wie möglich nach Schloß Hrádeck zu kommen, und so machte sie sich zeitig mit den Ihrigen auf den Weg dorthin durch das bergige und bewaldete Gelände. Die ganze Familie war in glücklichster Stimmung, denn die Ehre, die ihnen dadurch zu teil geworden, daß sie während der königlichen Tafel spielen durften, war so groß und der Gewinn an klingender Münze, den ihnen der gestrige Tag gebracht, so reich, daß sie in ihrem ganzen Leben niemals 117 so viel Geld auf einmal in ihrem Besitze gehabt hatten. Sie waren für die nächste Zukunft geborgen und sie erwogen jetzt sogar, ob es nicht am klügsten wäre, das Anerbieten des Girgalherrn anzunehmen und sich dort ständig niederzulassen. Libussas Mutter war der Eindruck nicht entgangen, den ihre Tochter auf den König gemacht, und schmeichelte ihr dies auch einerseits, so empfand sie doch darüber ein gewisses Bangen. Sie war recht zufrieden, daß sich Libussa darüber keine Gedanken zu machen schien. Selbst der sonst so schweigsame Geiger Antonin war heute guter Dinge, denn Gut giebt Mut, und er lachte und plauderte, wie schon seit langem nicht mehr.

Man hatte ihnen als nächsten Weg nach Bergstadtl und Hrádeck einen Waldsteig gewiesen. Lange Zeit waren sie dahin gewandert, ohne einem Menschen zu begegnen, da hatten sie, an einer Wegbiegung angekommen, einen seltsamen Anblick: einen alten Klepper, auf welchem ein zusammengekauertes Männlein saß. Beide schienen leblos zu sein. Der alte Geiger dachte sofort an den gespenstischen »Bilmesreiter« und bekreuzte sich lebhaft. Libussa und ihr Bruder jedoch wagten es, die Erscheinung näher zu untersuchen, und erkannten, daß nichts Übernatürliches hier im Spiele war, denn Roß und Reiter waren nur in einen tiefen Schlaf versunken.

Es war Magister Dominik. Weder er, noch sein alter Klepper hatten die Nacht über ein anderes Lager gehabt, als die Rasenmutter und beide froren bei der empfindlichen Frische der Nacht ganz bedeutend, obwohl es noch Sommer war. Auf dem Heimritte durch den stillen Wald überkam den Magister ein unüberwindlicher Schlaf und so war er nach und nach eingenickt. Seinem Rößlein 118 mochte es wohl ebenso ergehen und als es weder Zügel noch Bügel mehr spürte, blieb es stehen, und auch ihm fielen alsbald die Augen zu. Die Stellung, oder besser, die Hängerei des Reiters hatte aber einen solch gefährlichen Grad erreicht, daß er im nächsten Augenblicke sicher das Gleichgewicht verlieren und unfehlbar vom Gaule sinken mußte. Es war deshalb nicht mehr als billig, daß ihn die Geschwister durch ein lautes »Hollah!« aus dem Schlafe zu wecken suchten.

Aber dieses »Hollah« erschreckte das Pferd, es machte einen Sprung und Dominik flog zur Erde, glücklicherweise auf weiches Waldmoos. Während Stanislaus dem Klepper nacheilte und ihn am Zügel festhielt, nahmen sich die übrigen des Gefallenen an, der noch ganz schlaftrunken fragte:

»Träum ich oder wach ich? Reit ich oder lieg ich?« Noch ehe ihm aber eine Antwort zu teil geworden, hatte er sich etwas erhoben und setzte mit einer Art Galgenhumor hinzu: »Ich glaub', ich sitze.«

Jetzt erblickte er auch seinen Klepper und es begann in seinem Hirn ein wenig zu dämmern.

»Erzählt mir doch, was ich erlebt habe,« bat er die Umstehenden. »Mir träumte wohl, die Gräfin von Kolowrat hätte mich zu ihrem Gemahl erwählt und wir ritten selbander durch den Wald, um uns in der Waldkapelle trauen zu lassen? Dann stürzte ich plötzlich vom Gaul und aus allen meinen Himmeln. Oder habt Ihr Frau Juditha wirklich neben mir einhersprengen sehen?«

»Das hat Euch alles nur geträumt,« gab Libussa lachend zur Antwort. »Ihr seid ja gar nicht gesprengt, sondern habt samt Eurem Pferde geschlafen. Aber wer seid Ihr denn, daß Ihr so noble Träume habt?«

119 »Ich? Wer ich bin?« fragte Dominik erstaunt das Mädchen. »Bist du so weit her, daß du den Magister Dominik, den berühmten Arzt von Welhartitz nicht kennst? Das mag dir der Himmel verzeihen. Zur Strafe helft mir auf die Beine.«

Er reichte Libussa und ihrem Bruder seine Hände hin und diese zogen ihn in die Höhe.

»Ich glaube wahrhaftig, ich habe mir eine kleine Quetschung zugezogen,« sagte er dann, sich von oben bis unten betastend.

»Ihr könnt Euch ja selbst wieder heilen, wenn Ihr so berühmt seid,« meinte die Musikersfrau.

»Leider wieder eine Kur, für die ich nicht bezahlt werde,« brummte der Magister.

»Ihr könnt doch von Euch selbst nichts fordern,« lachte Libussa.

»Kann ich,« antwortete Dominik, »kann ich! Aber der Mensch zahlt mir nichts. Ich gebe mir überhaupt nie das, was ich mir schuldig bin. Schlafe da samt meinem Gaul unter freiem Himmel, jetzt, da die Herbstnebel sich bald einstellen. Was muß mein Gaul von mir gedacht haben? Nun, als Zeichen seiner Mißstimmung hat er mich auch abgeschüttelt. Es wird schwer sein, ihn wieder zur Vernunft zu bringen.«

Stanislaus hatte inzwischen den Klepper herangebracht. Das Tier wieherte.

»Ich glaube, der Gaul hat Hunger,« meinte der Knabe und zog ein großes Stück Brot aus der Tasche, um es dem Pferde zu reichen.

»Ja, ja, gefrühstückt haben wir beide heute noch nicht,« versicherte der Magister ganz niedergeschlagen. »Aber wo 120 hätten wir's sollen? Alle Bauernhöfe in der Runde sind ausgegessen bis zur letzten Krume. So etwas ist seit den Hussitenzeiten nicht mehr dagewesen. Gott bewahre uns davor!«

Kopfschüttelnd versuchte er, wieder in den Sattel zu kommen, wobei ihm Stanislaus behilflich war und nachdem dies nach einiger Mühe gelungen, trabte er dem Schlosse Welhartitz zu.

Auch die Musikanten schritten auf ihrem Wege weiter. Je näher sie ihrem Ziele kamen, desto banger wurde es Libussa im Herzen. Der Himmel, der sich seit Tagen in so herrlichem Blau über die Erde gewölbt, verdüsterte sich von Stunde zu Stunde mehr und erhöhte so das Halbdunkel, das in dem Walde herrschte. Auch die Anstrengungen des vorhergehenden Tages, das Nachtlager unter freiem Himmel machte sich jetzt geltend und der alte Antonin wurde so ernstlich unwohl, daß sich die Wanderer genötigt sahen, in dem zu dem prächtigen, hochgelegenen Gute Oberstankau gehörigen Dörfchen einige Stunden Rast zu machen. Von hier aus konnte man die Gebäulichkeiten der etwa noch anderthalb Stunden entfernten Burg Hrádeck schon erkennen. Libussas Seele eilte dem Körper voraus. Sobald sich der Vater wieder einigermaßen erholt hatte, setzten sie ihren Weg fort, denn sie hofften im Dorfe Hrádeck auf gute Nachtherberge.

Düstere, schwere Gewitterwolken standen im Westen, und von ferne her rollte der Donner, und so beschleunigten sie ihre Schritte, um noch vor Ausbruch des Gewitters unter Obdach zu kommen. In kurzer Zeit hatten sie denn auch Hrádeck erreicht.

Der Thorwart stand vor dem offenen Schloßthore 121 und hielt Ausschau. Nicht ohne Besorgnis betrachtete er das finstere Gewölk.

Libussa trat schon die Frage nach Josef Marcon auf die Lippen, aber sie drängte sie zurück, grüßte freundlich und fragte dann, ob die Herrschaft anwesend sei.

Der Pförtner blickte sie einen Augenblick prüfend an, dann antwortete er herablassend:

»Der gnädige Herr nicht, der ist gestern nach Prag geritten, wohl aber ihro Gnaden hochdessen Frau Mutter. Wollt Ihr im Schloßhofe spielen, so kann ich Euch das schon erlauben, denn ich habe Befehl vom gnädigen Herrn, fahrende Musikanten nicht von der Thüre zu weisen. Also wenn Ihr spielen wollt –«

»Gewiß wollen wir,« erwiderte Libussa und sah mit bittendem Blicke die Ihrigen an, welche bereitwillig beistimmten. Wußten sie ja doch, daß Libussa hier ihr Glück zu finden hoffte.

»So kommt herein,« sagte der Pförtner, ihnen in den Schloßhof voranschreitend. Sie folgten ihm, nahmen ihre Instrumente aus den Leinensäcken und begannen, sie zu stimmen.

»Sind viele Bedienstete hier im Hause?« fragte Libussa.

»Jawohl,« entgegnete der Pförtner, »die Stallknechte, der Jäger, die weiblichen Wesen sind alle da, sie hören alle gern Musik und ich obendrein.«

Als Libussa von der Anwesenheit des Jägers hörte, klopfte ihr Herz fast hörbar.

Nun begannen sie zu spielen. Sogleich öffneten sich einige Fenster im Schlosse und unter der Stallthüre erschienen die Knechte. Der Jäger ließ sich nicht blicken.

122 Nun hoffte Libussa durch ihren Gesang ihn zu locken und sie begann die Romanze von der schönen Bozena. Ihre Stimme ertönte so laut und kräftig, daß man es in allen Räumen des Schlosses hören mußte und sie sang so schön und mit einer Innigkeit, daß alles mit Bewunderung lauschte. Das Lied war zu Ende, aber der Ersehnte war nicht erschienen. Mit banger Neugier blickte sie nach allen Fenstern, nach allen Thüren. Sollte sie wieder getäuscht worden sein?

Die Thränen traten ihr in die Augen. Da kam eine Kammerzofe und forderte sie auf, ihr zu folgen; die Burgfrau wolle sie sehen.

»Geh nur,« sagte die Mutter, als Libussa zögerte; »wir warten hier auf dich.«

Libussa nickte den Ihrigen zu und folgte der Zofe ins Schloß. Diese führte sie in das erste Stockwerk und öffnete dort die Thüre zum Gemache der Burgfrau.

Libussa trat ein und stand Frau von Hracin gegenüber.

»Du hast soeben ein Lied gesungen, das mir sehr gefällt,« sprach diese freundlich zu dem Mädchen. »Du hast eine herrliche Stimme. Was war das für ein Lied, das du da sangst?«

»Das Lied von der schönen Bozena.«

»Richtig, ich täuschte mich nicht. Wer sind die Leute, die dich begleiten?«

»Meine Eltern und mein Bruder.«

»Woher?«

»Wir haben keine Heimat. Wir ziehen von Ort zu Ort und spielen, wo man es uns erlaubt. Nur in Prag halten wir uns im Winter zeitweise länger auf.«

»In Prag?«

123 »Ja, dort kennt man den Geiger Antonin überall.«

»So heißt wohl dein Vater?«

»Ja, gnädigste Frau.«

»Und du? Wie heißt du?«

»Libussa.«

»Libussa?« Die Stimme klang plötzlich streng und kalt, so daß das Mädchen erschrocken in das erregte Gesicht der Freifrau blickte. War es nicht eine Libussa, die mit diesem Liede ihren Sohn Humprecht bezauberte? Wenn diese es wäre? Schon der Gedanke machte sie erbeben.

Libussa konnte sich diese plötzliche Veränderung in dem Wesen der Freifrau nicht erklären. Sie fürchtete sich förmlich vor diesen durchdringenden Blicken.

»Erlauben gnädigste Frau, daß ich nun wieder zu meinen Eltern –«

»Nein, bleibe!« herrschte die Schloßfrau sie an. »Gestehe, du bist nach Hrádeck gekommen, um jemanden zu suchen.«

»Wie wissen das Ihre Gnaden?« fragte Libussa errötend und ganz die Lage vergessend, in der sie sich befand. »Also ist er wirklich hier? Wo kann ich ihn sehen?«

Die Freifrau zeigte schweigend auf das Bild über dem Kamin.«

Libussa wandte sich nach der angegebenen Richtung und ein Ruf der Überraschung entrang sich ihrer Brust.

»Josef! Ja, das ist er, Josef Marcon.« Sie sah mit Entzücken zu dem Bilde auf. Jetzt streifte ihr Blick das reiche Gewand und plötzlich erinnerte sie sich, was der Bruder gesagt. Alles Blut wich aus ihren Wangen und mit bebender Stimme fragte sie:

124 »Um Himmelswillen, gnädigste Frau, wer – wer ist das?«

»Du solltest es nicht wissen? Es ist Humprecht von Hracin, mein Sohn, den du mit deinen verführerischen Augen in deine Netze gelockt –«

Sie unterbrach ihre zornig hervorgestoßenen Worte, denn Libussa, unfähig, länger zu stehen, war auf einen Stuhl gesunken und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen.

»Also betrogen – betrogen!« schluchzte sie.

»Nur keine Komödie!« rief die Freifrau. »Du giebst vor, ihn nicht zu kennen und kommst doch auf sein Schloß, ihn aufzusuchen, um ihn aufs neue in dein Netz zu locken. Aber da sei Gott vor!«

Sie schritt zur Thüre und zog an einem Glockenzuge. Sofort erschien die Zofe.

»Der Richter mit dem Büttel soll sofort zu mir kommen,« befahl sie.

Libussa hatte sich wieder etwas aufgerichtet. Ihr Frauenstolz war erwacht.

»Was wollt Ihr mit dem Richter? Mit dem Büttel?« fragte sie.

»Das sollst du gleich sehen,« lautete die strenge Antwort.

»Gnädige Frau, ich habe nichts verbrochen, was des Richtens bedürfte. Nicht Euern Sohn suchte ich hier, sondern Josef Marcon. Unter diesem falschen Namen und unter Verschweigen seines Standes hat er mir ewige Treue gelobt, hat mir versprochen, mich zu seinem Weibe zu machen, hat mich betrogen und verraten. Ruft ihn her, fragt ihn selbst, ob ich die Wahrheit sagte.«

»Zu seinem Glücke ist er nicht hier,« erwiderte die 125 Freifrau. »Sein Weib wolltest du werden? Bettelpack, diese Pläne will ich euch vertreiben!«

»Ist nicht mehr nötig,« entgegnete Libussa. »Ich liebte Josef Marcon, er lebt nicht mehr.« Und sich zu dem Bilde wendend, sagte sie mit von Thränen unterdrückter Stimme: »Ich fluche dir nicht, Josef. Möge dir Gott verzeihen, was du an mir gethan! Und nun gehabt Euch wohl, gnädige Frau, ich muß zu meinen Eltern –«

Die Freifrau vertrat ihr den Weg.

»Du bleibst!« rief sie. Und da in diesem Augenblicke der Schloßrichter mit dem Gerichtsdiener eintrat, wandte sie sich an diesen:

»Herr Richter, verhaftet mir sofort diese Gauklerin!«

»Ich bin keine Gauklerin!« rief Libussa. »Daß sich dieser dort unter falschem Namen mit mir verlobte, ist sein, nicht mein Verbrechen.«

Von unten herauf tönte ein lustiges Musikstück; es war ein greller, das Herz Libussas durchschneidender Gegensatz. Die Ärmsten dort unten ahnten nicht, in welch fürchterlicher Lage sich ihre Tochter und Schwester befand.

»Laßt mich zu meinen Eltern!« flehte sie, sich vor der gestrengen Frau auf die Knie werfend und die gefalteten Hände zu ihr emporhebend.

Jetzt bemerkte die Freifrau an ihrem Finger die beiden wertvollen Ringe und erkannte in dem einen mit dem brennenden Rubin sofort ein dem Familienschmucke entnommenes Juwel.

»Woher hast du diesen Ring?« fragte sie.

»Von ihm!« hauchte Libussa.

»Herr Richter,« sprach die Burgfrau, »diesen Ring hat sich die Gauklerin sicher unrechtmäßig angeeignet. 126 Außerdem klage ich sie an der Zauberei, begangen an meinem Sohne. Laßt sie abführen ins Gefängnis. Ihr bleibt zur weiteren Besprechung hier.«

Der Richter gab dem Büttel ein Zeichen. Dieser näherte sich rasch der Angeklagten und fesselte ihr die Hände auf dem Rücken. Libussa schrie laut auf vor Wut und Schmerz.

»O meine Eltern!« rief sie aus.

»Jagt das Pack aus dem Schlosse!« befahl die Herrin, »treibt sie aus unserm Herrschaftsgebiet. Sie sollen sich niemals wieder hier blicken lassen!«

»Schont meine Eltern!« rief Libussa flehend. »Hört Ihr den Donner? Er zeigt Euch an, daß Ihr uns unrecht thut.«

»Fort mit der Hexe!« rief die Freifrau.

Der Büttel faßte das Mädchen am Arm. Aber Libussa riß sich los und trat noch einmal vor die Gebieterin hin.

»Diese Stunde wird Euch keinen Segen bringen,« sagte sie. »Ihr mißbraucht Eure Macht gegen Wehrlose. Wenn das das Anrecht des Adels ist, so zu handeln, wie Ihr es thut und Euer Sohn, so geb' ich keinen Deut für Eure Würde, und das gemeine Weib, wie Ihr es nennt, steht hoch über Euch. Aber noch lebt ein Gott, und der König, der mich gestern seiner Gnade versicherte, wird mich vor Euch schützen, wird mich rächen.«

Die Freifrau hatte mit abgewandtem Gesichte diese Rede gehört. Der Richter winkte, und der Büttel faßte Libussa wiederholt und zwang sie, ihm zu folgen.

Sie ward in eine kleine, finstere Kammer gebracht und der Büttel gab ihre Hände frei. Dann kümmerte er 127 sich nicht weiter um sie, sondern schloß die Thüre und entfernte sich. Libussa fiel nun ohmächtig der Länge nach auf den Boden hin. Zorn und Schmerz hatten sie überwältigt.

Ihre Angehörigen aber wurden aus dem Schlosse gejagt und trotz Sturm und Regen in die Ferne getrieben. Vergebens war ihr Rufen nach Libussa.

»Der Hexe wird ihr Recht werden,« erwiderte man ihnen. »Sie hat unsern jungen gnädigen Herrn durch Zauberkünste an sich gelockt, dafür soll sie büßen!«

Der Jammer der Musikanten war herzzerreißend. Der Vater murmelte mit geballter Faust einen Fluch, Stanislaus aber schwur, die Schwester zu rächen.

Es dunkelte bereits. Der alte Antonin strauchelte mehrmals; er war so erschöpft, daß er kaum mehr weiter 128 konnte. Aber der Büttel drohte mit dem Fanghunde, er mußte das letzte Restchen von Kraft aufwenden, um sich weiter zu schleppen.

Endlich, nach ungefähr einer Stunde, waren sie an der Grenze des Gebietes von Hrádeck angelangt und der Büttel mit seinen Knechten hatte dem Auftrage Genüge gethan.

»Dort, wo die Lichter brennen, ist Bergstadtl,« sagte er. »Vielleicht findet ihr dort Unterkunft; aber laßt es euch nie wieder einfallen, das Gebiet von Hrádeck zu betreten.«

Dann rief er seinen Hund herbei und trat mit seinen Gesellen den Rückweg an.

Eine Viertelstunde später kamen die Musikanten, zitternd vor Aufregung und ganz durchnäßt in Bergstadtl, dem durch seinen Silberbergbau so gesegneten Orte, an. Sie fanden in der zunächst des Weges gelegenen Knappenschenke glücklicherweise Aufnahme, freilich nur in einer ganz kleinen Kammer, welche nur für die Eltern Raum bot. Dem Sohne wurde auf der Ofenbank, in der »Hüll«, das Nachtlager angewiesen. Da Stanislaus im voraus die Zeche bezahlte, erhielt er eine dicke Kotze, um sich zu wärmen. In ihrem namenlosen Schmerze und der Angst um Libussa verlangte keines zu essen, noch zu trinken, nur mit sich allein wollten sie sein. –

Libussa aber, wieder aus ihrer Ohnmacht erwacht, kämpfte, stille vor sich hinbrütend, mit Wahnsinn und Verzweiflung. Nur hin und wieder faßte sie all ihr Empfinden in dem schmerzlichen Ausruf zusammen:

»Josef! Josef!« 129


 << zurück weiter >>