Maximilian Schmidt
Die Künischen Freibauern
Maximilian Schmidt

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X.

Der Oberrichter hatte sich, wie angeordnet, mit den Freihofbesitzern Poschinger und Schürer auf die Reise nach Wien gemacht. Eisner trug die Ablösungssumme in blanken Goldstücken im Leibgurt bei sich. Er hatte nicht erst gewartet, bis die Freibauern dieselbe zusammenbrachten, sondern es aus seinem Eigenen vorgestreckt, auf daß keine Zeit versäumt werde. Reichte das Geld nicht aus, so war in Wien das reiche Handlungshaus Schirmer, welches mit ihm in Geschäftsverbindung stand und an welches er die Produkte seiner Glashütte absetzte, zumeist böhmische Glaskorallen, hier »Patterln« oder »Betteln« genannt.

Dorothea, die Tochter Schirmers, war mit Marianka zu gleicher Zeit zu Linz in einer klösterlichen Erziehungsanstalt gewesen und sie hatten dort innige Freundschaft geschlossen, weshalb Marianka ihrem Vater nicht nur viele herzliche Grüße, sondern auch ein kleines Geschenk in Form eines goldenen Kreuzleins mitgab. Unter den herzlichsten Segenswünschen von den Seinigen verließ er am frühesten Morgen Seewiesen.

Die Reise wurde zu Pferd über Budweis ausgeführt. Jeder der Freibauern hatte einen berittenen Knecht bei 150 sich. Sie bedurften fast fünf Tage, bis sie die Kaiserstadt erreichten.

Eisner fand bei dem Kaufherrn Schirmer die gastlichste Aufnahme, während seine übrigen Begleiter in einem Gasthause abstiegen.

Schon am nächsten Tage ließ sich die Deputation der Freibauern in der Hofburg bei Kaiser Matthias zur Audienz melden. Der sechzigjährige, etwas kränkelnde Kaiser empfing die Abgeordneten, sobald er durch einen Kämmerling von ihrem Wunsche unterrichtet war, sehr gnädig, besonders den Oberrichter, welchen er von Prag her kannte, wo er ihn, da Eisner zu den Ständen Böhmens gehörte, schon etliche Male gesprochen hatte.

Die Majestät schien jedoch mißgestimmt zu werden, als der Oberrichter das Handschreiben König Ferdinands überreichte. Hätte Eisner den Kämmerling nicht schon im voraus unterrichtet, daß die Freibauern außer der Pfandsumme noch eine gleich große für den Kaiser zu übergeben willens seien, wenn sie die kaiserliche Versicherung erhielten, daß sie niemals wieder von der königlichen Kammer getrennt, d h. nicht wieder verpfändet würden, so wäre die Mission jedenfalls gescheitert. So aber befahl Matthias seinem Kanzler, eine Urkunde auszustellen, in welcher sie die vom Kaiser verlangte Versicherung erhielten.

Eine zweite Urkunde sollte der Oberrichter zugleich mit der Pfandsumme der bisherigen Schutzherrschaft aushändigen, in welcher dieser geboten wurde, auf das Gebiet der Freibauern keinerlei Ansprüche mehr zu erheben. Die beiden Schriftstücke, mit des Kaisers Unterschrift und Siegel versehen, sollten ihm am andern Tag eingehändigt werden.

Die Freibauern waren überglücklich über dieses 151 Ergebnis. Die Kaiserin Anna empfing dieselben ebenfalls und unterhielt sich mit ihnen in der herablassendsten Weise. Sie sprach die innigsten und besten Glückwünsche für das Böhmerland aus, das so glücklich sein könnte, wenn die beiden Parteien friedlich mit einander auszukommen wüßten.

»Überbringt meine Grüße dem schönen Königreiche, das ich und der Kaiser wohl nie wieder sehen werden,« sprach sie mit Thränen in den Augen.

»Das wolle der Himmel verhüten,« entgegnete Eisner. »Möge das Leben Seiner Majestät ein langes und gesegnetes sein, und nichts zu einer Befürchtung Anlaß geben. Um das wollen wir Gott bitten alle Tage.«

»Euch glaub ich das wohl,« meinte die Kaiserin. »Aber ich täusche mich deswegen nicht: er lebt manchem schon zu lange. Reiset mit Gott!«

Die Männer verließen, von den letzten Worten der Kaiserin eigentümlich berührt, die Hofburg. Sie wußten ja recht gut, auf wen sie anspielte. Hatte doch Erzherzog Ferdinand fortwährend in den Kaiser gedrängt, ihn schon jetzt als König von Böhmen krönen zu lassen und es war leicht zu erraten, daß er es kaum erwarten konnte, dort Alleinherrscher zu sein, da er sich schon jetzt, wenige Monate nach der Krönung, in die Regierungsgeschäfte einmischte und den Statthaltern Befehle erteilte, wozu er doch noch nicht berechtigt war.

»Ja, ja,« sagte da einer der Freibauern, »das Glück wohnt nicht immer in Palästen. Er mißgestimmt, krank, gichtbrüchig – sie in Thränen.«

»Das ist wohl nur gerechte Vergeltung,« meinte der andere. »Er hat es ja seinem eigenen Bruder, dem Kaiser Rudolf, nicht anders gemacht, hat ihm das Leben 152 verbittert, sich dessen Renten angeeignet und ihn noch bei Lebzeiten vom Throne verdrängt, so, daß dieser nach einer Reihe von Kränkungen verarmt, seiner Kunstschätze beraubt, in denen er noch Lebensfreude gefunden, abgehärmt, vernachlässigt in seiner Kleidung lebte und unbetrauert und verachtet gestorben ist. Es mag ihm nun im Alter, wenn er so allein auf seinem Krankenlager liegt, wohl die Erinnerung an den Fluch seines Bruders den Kopf durchqueren.«

»Jeder trägt selbst das Seinige dazu bei, wie sich sein Alter gestaltet,« versetzte der Oberrichter. »Wenn der Gärtner nicht schon im Frühjahr sorgsam darauf bedacht ist, wird er im Sommer keinen Aug' und Herz erfreuenden Blumenflor um sich haben. Doch lassen wir das. Sonst ist es ja schön in der Kaiserstadt und wir haben erreicht, was wir gewollt.«

Die Freibauern waren sämtlich bei dem reichen Kaufherrn zu Gaste geladen und beim feurigen Ungarwein, den Frau und Tochter kredenzten, vergaßen sie die Trübsal anderer und freuten sich des glücklichen Erreichens ihrer eigenen Vorteile.

Andern Tags holten sie in der kaiserlichen Kammerkanzlei die bereits ausgefertigten Dokumente. Als sie aus dem Thore traten, hielt vor diesem soeben eine Sänfte, welcher zu nicht geringem Erstaunen der Freibauern die Gräfin Juditha von Kolowrat entstieg.

Frau Juditha erblaßte förmlich, als sie sich dem Oberrichter gegenübersah, der den Hut ziehend, sie ehrerbietigst begrüßte. Sie wußte, was die Freibauern planten und eilte nach Wien, den Plan zu vereiteln, und nun waren sie ihr doch zuvorgekommen. Und warum? Weil ihr Kleid, 153 welches sie bei der Audienz in der Hofburg zu tragen wünschte, nicht früher fertig geworden war. Dieses Kleid kostete ihr das Gebiet des künischen Waldhwozd! Doch faßte sie Hoffnung, daß noch nicht alles verloren sei.

»Ei, ihr hier in Wien?« sagte sie. »Und zu dreien? Davon habt ihr mir ja kein Wort gesagt, als ich zum Königsfeste bei euch war?«

»Euer Gnaden, es giebt Dinge, über die man nicht gerne zum voraus spricht, die man erst erledigt, um sie dann als Thatsache kundgeben zu können,« entgegnete der Oberrichter.

»Nun, und ihr könnt das?« fragte die Gräfin.

»Ich bin so glücklich, Euer Gnaden. Ich habe auch Euch ein Dokument zu übermitteln. Wann gestatten Euer Gnaden, daß ich es übergebe?«

»Sogleich!« erwiderte die Gräfin, die vor Neugierde brannte, zu erfahren, wie weit die Bauern in ihrer Angelegenheit gekommen seien.

Der Oberrichter willfahrte ihrem Wunsche.

»Was enthält das Schreiben?« fragte sie mechanisch, denn sie ahnte es, als sie das kaiserliche Siegel daran erblickte.

»Es besagt, daß der Pfandverband gelöst und Euer Gnaden der Schutzherrschaft über uns enthoben seid. Ich bitte Euer Gnaden nun, bestimmen zu wollen, wann und wo Ihr die Pfandsumme gegen Quittung in Empfang zu nehmen gedenkt.«

Juditha durchflog die Urkunde und warf sie dann in ihre Sänfte. Dann blickte sie erregt in das ruhige Gesicht des Oberrichters und fragte spöttisch:

»Also für ewige Zeiten habt ihr euch vorgesehen?«

154 »So ist's, Euer Gnaden. Wir wollen frei bleiben, so gut es Euer Gnaden in Ihrem Dominium zu bleiben wünschen.«

»Ewig!« lachte Frau Juditha höhnisch auf. »Da muß ich doch lachen. Ja, wenn Kaiser Matthias ewig am Leben bliebe, dann vielleicht – vielleicht sag' ich. Aber seine Nachfolger werden sich wenig um das »ewig« kümmern, wenn ihre Kassen leer sind. Man wird sich dann der Grafen Kolowrat wieder erinnern.«

Mit dieser verborgenen Drohung bestieg sie wieder ihre Sänfte, um sich in ihre Wohnung zurücktragen zu lassen. Den Oberrichter beschied sie zu sich.

Dieser aber ließ sich durch die Aussicht, die ihm die erzürnte Frau vor Augen gestellt, die Freude über seinen Sieg nicht verkümmern.

»Für jetzt haben wir unsere Freiheit,« sagte er zu seinen Begleitern, »und so lange das Wort eines Kaisers heilig ist, bleibt sie uns auch erhalten.«

Als Eisner gegen Abend in das Palais kam, in welchem die Gräfin abgestiegen und er die betreffende Pfandsumme in Gold übergeben und die Quittung hiefür erhalten hatte, teilte sie ihm weniger aus Leutseligkeit als aus Eitelkeit mit, daß ein Freund ihres verstorbenen Gemahls, der Woiwode von Moldau, Graf de Serin aus dem alten, kroatischen Grafengeschlechte der Zriny, dem der Held von Szigeth entstammte, um ihre Hand angehalten habe und noch heute die Verlobung gefeiert würde.

Eisner gratulierte und meinte:

»Somit werden Euer Gnaden künftighin »Fürstin« heißen.«

»Das werde ich,« entgegnete sie mit leuchtenden 155 Augen. »Es ist immer besser, emporzustreben, als hinabzusteigen.«

Eisner wußte recht gut, daß sie mit dem »Hinabsteigen« die einst mit Freiherrn von Perglas vergebens erhoffte Verbindung meinte. Dann sagte er:

»Der Woiwode hat meines Wissens – Familie?«

»Nur ein Töchterchen«, entgegnete Juditha, »Maria Magdalena, ein reizendes Mädchen – ich werde es sehr lieb haben.«

Der Oberrichter wünschte, daß des Himmels Segen über ihr und ihrem neuen Hause walten möge und bat schließlich für die künischen Freibauern um ein gnädiges Gedenken.

»Die Freibauern?« rief sie jetzt erzürnt, »gedenken werde ich derselben – wir haben noch nicht abgerechnet –«

»Ich dächte doch,« fiel Eisner ein. »Ich halte ja die Quittung in der Hand.«

»Es giebt noch andere Abrechnungen als mit Geld,« meinte Juditha. »Ich habe mich an manches zu erinnern. Gehabt Euch wohl! Reiset glücklich!«

Sie entfernte sich rasch, daß Eisner nichts mehr erwidern konnte. Er mußte lächeln, denn er wußte wohl, daß das heißen sollte: »Brecht Euch den Hals auf der Heimreise!« Er wollte schon möglichst vorsichtig sein, dies zu verhindern.

Am darauffolgenden Tage traten sie die Heimreise an. – Dorothea, des Kaufherrn Tochter, entbot der Freundin ihren Gruß und bat Eisner, die Tochter einmal zu ihr in die Kaiserstadt zu schicken, damit sie erkennen lerne, was leben heiße. Dem reichen Kaufmannskinde war es unbegreiflich, wie ein junges Mädchen in der 156 Abgeschlossenheit der Wälder zufrieden und glücklich sein könne. Der Oberrichter lachte ob dieser Anschauung und meinte, wer die grünen Tannen um sich her gewohnt sei und seine Freude gefunden habe am lustigen Vogelschlag und am Rauschen der Berggewässer, der habe kein Verlangen, in den engen Mauern einer Stadt zu leben. Dorothea sollte nur einmal mit ihrem Vater nach Seewiesen kommen, in das stille Waldthal, da würde es ihr vielleicht auch gefallen. Sie würde dort Reize und ein Glück kennen lernen, die keine Stadt zu bieten vermag. Dorothea versprach, bei Gelegenheit dieser herzlichen Einladung zu folgen, und schickte auch ihrerseits der Freundin ein kleines Andenken. Dann trennte man sich. –

Im stillen, grünen Seewiesener Thale hatte das Glück in der That goldigen Einzug gehalten. Nicht Waldesrauschen und Vogelsang allein waren es indessen, die dasselbe herbeigeführt, sondern das in Stadt und Land, bei arm und reich überall gleich sich einstellende und das Leben verklärende Empfinden, welches man »Liebe« nennt.

Herr Wolf von Perglas hatte schon einige Tage nach Eisners Weggang auf dem Eisnerhof zugekehrt. Die Muhme, welche von der politischen Gegnerschaft ihres Vetters und derer von Welhartitz noch nichts wußte, fühlte sich durch den Besuch des erst jüngst wieder heimgekehrten Junkers höchlich geschmeichelt.

Marianka gedachte wohl der Rede ihres Vaters, doch des Junkers Liebeswerben ließ sie bald den Ernst derselben vergessen. Täglich kam dieser nach Seewiesen geritten, bald auf dem Wege längs der Wostruschna, bald über das bewaldete Bergland, einige Male sogar in Begleitung Humprechts von Hracin. Die jungen Leute zogen die 157 Muhme bald ins Vertrauen und diese freute sich darüber, daß die beiden ihrer schon in der Kindheit begonnenen Neigung zu einander treu geblieben. Sie sah die Hindernisse nicht, die sich ihnen in den Weg stellten, zumal da Wolf erklärte, daß sein Vater seine Wahl vollkommen billige. Daß der Oberrichter etwas dagegen einzuwenden haben könnte, das hielt die Muhme für ganz ausgeschlossen.

Es waren prächtige Herbsttage eingetreten. Die Holzbirnbäume, welche überall einzeln in den Feldern standen, leuchteten im tiefen Rot ihrer Blätter, gleichsam als die Herolde des angekommenen Herbstes. Diese Holzbirnbäume waren gleichwie den alten Slaven, so auch den alten Deutschen heilig und deshalb legten auch die Enkel nicht die Axt an sie, sondern besangen sie in ihren Volksliedern, deren eines beginnt:

»Steht im Feld ein breiter Birnbaum.«In Polen erhebt sich die Krone des Holzbirnbaumes gleichfalls überall aus dem Korn, unangetastet von der Hand des Ackermanns. (Dr. Rich. Andree.)

Die Laubbäume am Rande der Wälder hatten sich in gelb und braun gekleidet, deren heitere Farben um so stärker abstachen von dem dunklen Grün der Tannen und Fichten und Föhren. Eine alte Linde, vor dem Freibauernhofe stehend, breitete ihre Äste über die am Stamme angebrachte Bank, auf welcher das glückliche Paar die seligsten Stunden verbrachte, von einer schönen Zukunft träumend, träumend bis zur Ankunft des Vaters, der sie jäh aus diesem Traume erweckte.

Nachdem der Oberrichter mit seinen Begleitern in der Heimat glücklich angekommen, verbreitete sich rasch die freudige Kunde von dem günstigen Erfolge der Abgesandten. 158 Die Freibauern jubelten. Jetzt fühlten sie sich wieder als »adelige Herrn«, in allen Kirchen wurden Festgottesdienste abgehalten und dem Oberrichter der Dank aller in herzlichster Weise entgegengebracht.

Als nun Wolf von Perglas kam, den Oberrichter zu beglückwünschen, nahm dieser Anlaß, über dessen Verhältnis zu Marianka sich zu äußern. Es geschah dies selbstverständlich nicht in verletzender Art. Der Oberrichter war ja dem Junker dankbar für den guten Rat, den ihm derselbe durch Marianka in Gutwasser hatte übermitteln lassen, und er sprach ihm diesen Dank auch aus. Aber von einer Werbung um seine Tochter bat er ihn, so lange abzustehen, bis die politischen Verhältnisse sich etwas geklärt hätten. Auch der Glaubensunterschied bildete zwischen den Liebenden eine in damaliger Zeit fast unübersteigliche Schranke, obwohl der Oberrichter recht gut wußte, daß die Gräfin Kolowrat daran für sich keinen Anstoß genommen hätte. Er machte Wolf klar, daß er als Oberrichter der katholischen Freibauern mit ihm, der ja der Gegenpartei angehöre, in keinem Verkehr stehen könne, ohne sich des Verdachtes auszusetzen, daß er zur feindlichen Partei hin neige. Sich von einem solchen Verdachte frei zu halten, verlange die Klugheit und Selbsterhaltung.

Wolf von Perglas mußte anerkennen, daß der Oberrichter recht habe, so schwer es ihm auch fiel, seine Besuche einstellen zu müssen. Er gab damit aber nicht die Hoffnung auf eine bessere Zukunft auf.

In Gegenwart des Vaters nmschlang er Marianka und sprach:

»So sind wir als Kinder fest verschlungen 159 hinabgestürzt, so treu vereint halten wir uns fürs Leben. Willst du, Marianka?«

»Du weißt es, Wolf,« erwiderte diese, sich zärtlich an ihn schmiegend.

»Daß Ihr mein Kind glücklich machen wollt, Junker, das weiß ich,« versetzte Eisner gerührt, »nur fürchte ich, daß Ihr es nicht könnt. Die Grafen Thurn, Fels und Schlick werden Euch verleiten, unser armes Böhmerland wiederholt in Kampf und Zwietracht zu stürzen. Entsagt dem Bunde, dem Ihr Euch angeschlossen und noch heute begrüße ich Euch mit Freuden als meinen Eidam.«

Wolf war in peinlicher Lage. Er sah sich plötzlich zwischen Liebe und Pflicht gestellt.

»Entsage!« flehte Marianka mit innigem Blick.

»Alles, alles, mein Lieb, brächte ich gerne zum Opfer, um dich schon jetzt besitzen zu dürfen,« versetzte Wolf, »aber meine Ehre, mein Eidschwur – Marianka, könntest du einen Meineidigen lieben, einen Ehrlosen?«

»Heißt das ehrlos sein, wenn man die von Gott eingesetzte Obrigkeit achtet?« fragte der Oberrichter.

»Von Gott?« fragte der Junker zurück. »Sagt lieber, von einem schwachsinnigen Kaiser, entgegen dem tausendjährigen Rechte Böhmens, sich seinen Fürsten selbst zu wählen.«

»Es wird sich alles in Güte lösen,« hoffte der Oberrichter. »König Ferdinand wird die Parteien zu versöhnen wissen. Ich bitte Euch deshalb nochmals dringend, haltet Euch durch nichts gebunden, was wider Recht und Ordnung geht. Der größte Teil des böhmischen Adels hat dem König gehuldigt. Ich hab' es mit eigenen Augen gesehen, ich war zur Krönung in Prag. Eure Partei 160 muß unterliegen. Und was dann? Bedenkt diese Möglichkeit.«

»Es wäre feige, mit Niederlagen zu rechnen.«

»Nein, Junker, das wäre Klugheit. Besinnt Euch, erwägt alles, denkt, daß ich ein mehr ruhig denkender Mann bin, als Euer Vater, der an Fehden gewöhnt ist. Ich kenne den Grafen Thurn ziemlich genau. Er ist ein Streber, er wird Euch opfern, damit er seine Absichten erreicht. Glaubt mir, nicht um der Politik und des Glaubens willen beschwört er vielleicht einen neuen Landfriedensbruch herauf, nur seinem Eigennutz soll er dienen.«

»Ihr kennt ihn nicht, Herr Eisner, Ihr verkennt ihn,« verteidigte Wolf. »Thurn ist ein Mann von lauterer Seele. Er denkt nicht an sich, nur an die heilige Sache.«

»Ihr werdet in Eurem edelmütigen Vertrauen bitter enttäuscht werden,« beharrte Eisner bei seiner Meinung. »Und seht, Junker Wolf, ich sehe unter diesen Umständen keine glückliche Zukunft für mein Kind an Eurer Seite. Glaubt mir, es schmerzt mich doppelt: Für Euch und für meine Tochter. Kann ich dereinst Mariankas Hand in die Eure legen mit der Gewißheit, daß das Glück Eures Hauses nicht in einem Bruderkrieg zerstört wird, in dem Ihr, wohlgemerkt, auf der Seite meiner Gegner stehen würdet, dann soll es mich freuen, Euch meinen Sohn zu nennen, denn Eure Person ist mir lieb und wert. Daß Euch Marianka treu bleibt, das glaube ich wohl behaupten zu dürfen.«

Wolf von Perglas wußte dieser Sachlage gegenüber nichts einzuwenden.

»Ich will erwägen,« sagte er, »was sich mit meiner Ehre und meiner Liebe vereinbaren läßt. Lebt wohl, 161 Herr Eisner, und du, Marianka, halte fest zu mir im Frieden, wie im Sturm. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder!«

Eisner und Marianka gaben ihm das Geleite bis in den Hof, wo ein Knecht sein Pferd hielt. Rasch schwang er sich in den Sattel und nochmals grüßend ritt er von dannen.

»Vater,« sagte Marianka, als sie ins Haus zurück gingen, »du siehst doch gar zu schwarz.«

»Nein, mein Kind,« entgegnete Eisner. »Ich bin zwar kein Prophet, aber so viel ist gewiß, wir gehen trüben Zeiten entgegen. Dunkles Gewölk zieht sich am politischen Horizont zusammen, gebe Gott, daß der gute Wolf nicht von einem Blitze zerschmettert werde.«

Erschrocken blieb Marianka stehen und blickte mit Entsetzen in des Vaters Gesicht.

»Was fürchtest du?« fragte sie erblassend.

»Die Zukunft,« entgegnete Eisner. »Laß uns beten, daß der Friede im Lande nicht gestört werde.«

Über Krieg und Frieden dachte auch Wolf von Perglas nach, als er langsamen Schrittes seiner Burg zuritt. Mariankas Besitz hing von dem Frieden des Landes ab. Eisners Äußerungen über den Grafen Thurn gingen ihm im Kopfe um. Der Oberrichter war nicht der Mann, der jemanden ungerecht anklagte. Um so mehr beunruhigte ihn die schlimme Beurteilung des Defensors. Er wollte auf der Hut sein und nach Beweisen fahnden. Jedenfalls würde er seinem Vater mitteilen, was er gehört.

In seine Gedanken vertieft, hörte er sich plötzlich von Humprecht angerufen, der ihm entgegengeritten war.

162 »Es scheint, du machst Verse,« rief ihm dieser zu, »oder Wirtschaftspläne.«

»Weder das eine, noch das andere,« entgegnete Wolf. »Ich bin nur tief beunruhigt und du sollst erfahren, weshalb.« Und er erzählte dem Freunde die Unterredung mit dem Oberrichter.

»Glaube das nicht!« versetzte Humprecht, als er geendet. »Das sind nur falsche Anklagen seiner Feinde. Für Thurns Ehrenhaftigkeit und Uneigennützigkeit kann jeder von uns die Hand ins Feuer legen, so gut, wie für meine Onkel, die Grafen Joachim und Heinrich Schlick. Graf Joachim ist heute nach Hrádeck gekommen. Er erwartet uns, und ich ritt dir entgegen, dich dorthin einzuladen, denn nunmehr muß ich meine Selbstverbannung von dort aufgeben. Dein Vater ist bereits dort.« Dann aber schlug er plötzlich einen wärmeren Ton an. »Denke nur, ich habe Libussa nochmals unterwegs nach Prag überrascht. Heute wird sie dort ankommen und endlich eine Heimat finden, nach der sie sich so sehr gesehnt. Nun aber müssen die Herzen schweigen. Graf Joachim hat wichtige Nachrichten vom mährischen Adel, der sich uns anschließt. Ich brenne vor Begierde, näheres zu hören. Laß uns eine schärfere Gangart einschlagen, damit die alten Herren nicht allzu lange auf uns warten müssen.«

Sie gaben ihren Pferden die Sporen und sprengten ohne weitere Verzögerung der Burg Hrádeck zu. 163


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