Maximilian Schmidt
Die Künischen Freibauern
Maximilian Schmidt

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VII.

Zur festgesetzten Stunde traf der königliche Zug in Jenewelt ein. Die Begleitung der Majestäten bestand nur in wenigen Personen. Außer dem neunjährigen Prinzen Ferdinand und einigen Damen der Königin begleiteten das Königspaar auf seiner Reise nur Pater Lamormain und drei Kavaliere, darunter Fürst Karl von Lichtenstein. Eine Eskorte bewaffneter Reiter umgab den königlichen Zug. Auch die Majestäten und ihr Gefolge, selbst die Damen, waren zu Pferde. In einiger Entfernung folgten die Gepäckwagen.

Mit unendlichem Jubel wurden die Fürstlichkeiten begrüßt. Der Oberrichter hielt eine Ansprache an die Majestäten, in welcher er dieselben der Ergebenheit der königlichen Freibauern versicherte, deren Gebiet sie als freudigst willkommene Gäste beträten.

Der König dankte sichtlich erfreut und setzte dann in Begleitung der Freibauern, welche vor und hinter dem königlichen Zuge ritten, seinen Weg fort. Mit brausenden Freudenrufen wurde die Reiterschar in Seewiesen begrüßt.

Auf den Glockentürmchen des Poschinger- und des Eisnerhofes wurde eben die Mittagsstunde geläutet, als die hohen Reisenden vom Pferde stiegen. Der König 95 entblößte sein Haupt und betete das Ave Maria. Alle Anwesenden thaten dasselbe.

Nach Beendigung dieser kurzen Andacht wollte Frau Juditha zu einer längeren Rede ansetzen, aber der aufs neue erschallende Jubelruf des Volkes ließ sie nicht zu Worte kommen. Der König schnitt daher diesen Versuch lächelnd ab mit den Worten:

»Ich danke, Gräfin. Wir werden uns bei der Tafel wiedersehen.«

Dann erfolgte der Einzug in den Eisnerhof. Die beiden Töchter des Oberrichters, heute in malerischer, böhmischer Tracht, standen, Blumensträuße in den Händen, am Eingangsthore und hießen die Majestäten mit herzlichen Worten willkommen.

Eisner selbst trat nun herzu und führte die Majestäten in sein Haus. Als der König die Gemächer des ersten Stockes, welche für das Königspaar hergerichtet waren, betrat, war er überrascht von der Gediegenheit und dem Geschmacke, welche sich in dem reichen Schnitzwerke des Plafonds und der Vertäfelung, der Farbenglut der gemalten Fenster und dem soliden Werte der gesamten Einrichtung zeigte, das in keiner Adelsburg besser zu finden gewesen wäre.

»Gestattet den Freibauern, daß sie an Stelle Eurer Soldaten hier Wache halten, Majestät,« bat Eisner. »Ich bürge mit meinem Kopfe für alle Sicherheit. In den Schoß eines jeden Freibauern könnt Ihr ruhig Euer Haupt legen; die Liebe Eures Volkes ist die sicherste Wache. Mein Haus ist nun das Eure, befehlt über mich als Eurem getreuen Knecht.«

Dem König gefiel die Rede des wackern Eisner gar 96 wohl. Er reichte ihm wiederholt die Hand zum Kusse und lud ihn auch zur Tafel ein. Dann gab er Befehl, daß seine Soldaten Quartier beziehen und den Freibauern die Leibwache übertragen werden solle. Die Majestäten nahmen nun das zweite Frühstück ein, während ihrer Begleitung dasselbe in ihren Quartieren gereicht wurde.

Der König war ein Mann von neununddreißig Jahren. Er hatte etwas kleine, gedrungene Gestalt, ein rundes, volles Gesicht mit langem, spitz zugedrehtem Schnurrbart und dem schmalen Kinnbart der damaligen Mode. Seine, große Gutmütigkeit ausdrückenden Augen wurden von breiten, dunklen Brauen beschattet. Er war von ungemein huldvoller Herablassung gegen seine Umgebung, maßlos freigebig, aber unselbständig in seiner Meinung und deshalb abhängig von seinen Räten und Beichtvätern. Sein Anzug war von dunklem Samt nach spanischem Schnitt und von seinem Hute, dessen Gupf eine schmale Krone umschloß, wehte eine lang herabfallende Straußenfeder.

Die Königin, einige Jahre jünger und von auffallender Familienähnlichkeit mit ihrem Gemahl – sie waren Geschwisterkinder – hatte einen schlanken Wuchs und war etwas größer, als ihr Gemahl. Sie war ungemein leutselig und echt bayerischen Gemütes.

Fürst Karl von Lichtenstein, ein mittelgroßer, schmächtig gebauter Mann, war gleich dem König spanisch gekleidet. Sein blasses Gesicht zeigte strenge Züge, die Kopfhaare trug er geschoren, auch hatte er Schnurr- und Knebelbart. Man sah den Fürsten niemals herzlich lachen, seine Züge schienen unbeweglich. Anders war es bei dem Jesuitenpater Lamormain der Fall, der sich bemühte, ein stets freundliches Gesicht zu zeigen, wenn er sich beobachtet 97 wußte. War das nicht der Fall, dann ließ er die ermüdeten Muskeln ausruhen und sein Antlitz sprach dann von eisiger Kälte. Mit etwas zugekniffenen Augen blickte er verächtlich auf die Menschen. Er war einer von jenen, welche über Hunderte von armen Frauen das Hexenurteil gesprochen und sie dem Scheiterhaufen überliefert hatten, einer jener Schrecklichen, die da vergaßen, daß sie selbst vom Weibe geboren, und in ihrem Fanatismus und Wahnwitz zu Ehren Gottes die scheußlichsten Mordthaten an völlig schuldlosen Geschöpfen begingen. Er war der Schatten in dem lichten Bilde, welches die Königsfamilie darbot; mit einem gewissen Grauen blickten die Leute nach ihm.

Der Pater war mit dem Fürsten Lichtenstein ebenfalls im Eisnerhofe untergebracht, die übrige Begleitung wohnte im Poschingerhofe.

Die Freibauern versorgten ihre Pferde in den umliegenden Höfen, so gut es ging und kamen dann zu Fuß zum Eisnerhofe, wo sich auf den nahen Wiesen ein vollkommener Jahrmarktstrubel entwickelt hatte.

Auch Antonin und seine Familie trugen zur Lustbarkeit bei. Sie spielten vor den Schenken und erfreuten die Leute durch ihre heiteren Stücke. Wenzel war ihr treuer Begleiter, er wanderte mit ihnen von einer Schenke zur andern, dazwischen aber suchte er in die Nähe des Eisnerhofes zu gelangen, um nach Paula zu spähen, und es gelang ihm nach vieler Mühe endlich auch, einen flüchtigen Gruß von ihr zu erhaschen.

Der junge Erzherzog begab sich in den Nachmittagsstunden, während seine Eltern von der Reise ausruhten, mit seinem Begleiter zu dem Volksplatze und nahm mit Interesse von den verschiedenen Schaustellungen Notiz. Er 98 kam dabei auch in die Nähe Antonins und seiner Familie, und als er sie spielen hörte, war seine Aufmerksamkeit ganz und gar gefesselt.

Der junge Prinz zeigte schon in seiner frühesten Jugend ein außergewöhnliches musikalisches Talent, das ihn späterhin sogar noch zum Komponisten machte, als er als Ferdinand III. die Kaiserkrone trug.

Dem Prinzen zuliebe sang Libussa ihre schönen, böhmischen Volkslieder und entzückte damit nicht nur den königlichen Knaben, sondern alle, die sie hörten, so daß alles herzudrängte, teils um der schönen Sängerin zu lauschen, teils um den künftigen Thronfolger zu sehen.

»Du mußt meiner gnädigen Frau Mutter vorsingen,« sagte der Erzherzog zu Libussa. »Ich werde ihr sagen, wie schön das ist.«

Der fürstliche Begleiter reichte den Eltern des Mädchens eine Belohnung und kehrte dann mit dem Prinzen zum Eisnerhof zurück. Der junge Ferdinand rühmte dort seiner Mutter mit Entzücken das Spiel der Musikanten, besonders aber Libussas herrlichen Gesang und bewirkte dadurch, daß die Königin den Wunsch ausdrückte, während der Tafel jene Musiker zu hören.

Mariankas schöner Blumenstrauß prangte nun doch in einer prächtigen Glasvase aus Eisners eigener Fabrik auf der königlichen Tafel, bei welcher außer den Hofbediensteten auch die beiden Töchter des Oberrichters dem Königspaare aufwarteten und über deren Flinkheit und dabei entfaltete Grazie der König großes Wohlgefallen empfand.

Als ihm Marianka wieder einmal den Becher füllte, sagte er galant zu ihr, auf den Strauß zeigend:

99 »Daß in Seewiesen prächtige Mädchen gedeihen, beweist mir das liebholde Schwesternpaar – aber diese Blumen – in meinem Hofgarten zu Graz giebt es nichts Schöneres. Gedeihen diese hier auch auf dem Eisnerhof?«

»O nein, Majestät,« entgegnete Marianka, »sie kommen aus einem nahen Schlosse.«

Sie wollte den Namen Welhartitz vor dem König nicht nennen, und gleichsam bittend blickte sie zu der dem König gegenüber sitzenden Juditha, damit diese nichts verraten möge. Der König folgte dem Blicke Mariankas und sprach jetzt freundlich:

»Ah, von Euch, Gräfin? Ihr habt uns da ein großes Opfer gebracht. Ich werde diese Blumen mitnehmen als eine schöne Erinnerung.«

»O bitte, Majestät, zu viel Ehre!« entgegnete Frau Juditha voll Unterthänigkeit und wollte sich in einer Reihe von Ergebenheitsbezeugungen ergehen, als aus dem Hausflur vor der offenen Thüre das Saitenspiel der befohlenen Musikantenfamilie ertönte. Sofort wendete sich die ganze Aufmerksamkeit der hohen Gäste diesem Spiele zu, das dieselben sehr ergötzte. Alles aber lauschte lautlos, als Libussa mit ihrer schönen Stimme zu singen begann.

Nachdem sie geendet, wünschte die Königin die Sängerin zu sehen und das Mädchen ward hereingerufen. Libussas Erscheinung rief eine gewisse Aufregung hervor. Sie sah, die mit rotweißen Bändern – die böhmischen Farben – gezierte Laute im Arm, in ihrer buntfarbigen Kleidung und dem üppigen, dunklen Haare, das in reicher Fülle das von der Erregung mit sanftem Rot angehauchte Antlitz mit den nachtschwarzen, großen Augen umrahmte und über den schönen Nacken hinunterfiel, wahrhaft reizend aus.

100 Sie verneigte sich tief vor den Majestäten und ließ dann ihre Blicke auf dem König fragend haften. Dieser sah äußerst wohlgefällig nach ihr hin.

»Bist du ein Zigeunerkind?« fragte er nach einer Pause.

»Nein, Majestät. Meine Eltern sind Böhmen und katholisch. Wir sind fahrende Leute, wir wandern freilich wie die Zigeuner, aber sonst haben wir nichts gemein mit ihnen.«

Der König nickte ihr wohlgefällig zu.

Pater Lamormain warf einen ängstlichen Blick nach ihm. Er, des Königs Beichtvater, glaubte jeden Gedanken seines hohen Beichtkindes demselben von der Stirne lesen zu können.

Die Königin aber sprach jetzt:

»Mein Sohn rühmte mir deinen Gesang und wir hörten auch eine Probe aus der Ferne. Laß uns einmal hier etwas hören.«

»Ja, singe. Wie heißt du?« fragte freundlich der König.

»Libussa, Majestät.«

»Libussa? Weißt du, wer die erste gewesen, die diesen Namen trug?«

»O ja; es war des Herzogs Crocus Tochter und die dritte Herzogin in Böhmen. Sie hat gegründet Prag und hat geholt vom Pfluge weg den Bauern Premysl und ihn zum Stammvater gemacht von vielen Fürsten Böhmens?«

»Brav, mein Kind, du machst deinen Lehrern Ehre,« versetzte der König vergnügt. »Nun sing uns ein Lied, Libussa.«

»Gestatten Eure Majestät, daß ich singe das Lied von der schönen Bozena?«

101 »Bozena? Ist das Herzog Udalrichs Gemahlin, die Mutter Herzog Bretislaws?«

»Ja, Majestät.«

Und sofort begann sie ihren Gesang.

»Der Herzog vom Böhmerland reitet aus Prag
Früh morgens hinaus in den frischgrünen Hag,
Ihm folgen der Jäger und Rüden gar viel,
Manch Hirschlein zur Strecke er bringen heut will.
Der Himmel ist blau
und duftig die Au.
    Halali trara! Halali trara!

Bald künden die Rüden mit gellendem Laut,
Sie hatten ein treffliches Hirschlein erschaut,
Sie jagen das Wild über Stock, über Stein,
Herr Udalrikus folgt rasch hinterdrein
Über Stock, über Stein,
Bald holt er es ein.
    Halali, trara!

Das Hirschlein sich flüchtet voll Angst und Pein
Ins Dörfchen Opuzna zur offenen Scheun',
Ein bildschönes Mägdlein schließt schnell das Thor
Und stellt mit dem Knüttel sich wehrend davor.
»Herr Ritter, halt still!
Ich gab ein Asyl.«
    Halali trara!

Der Herzog, ob ihres Anblicks erstaunt,
Sagt gnädig: »Hold Mägdelein, froh sei gelaunt,
Dieweil du das Wild mit Asyl hast beglückt,
Reich mir einen Labetrunk, der mich erquickt,
Vom Brunnen zur Stell
Erfrisch mich der Quell.«
    Halali, trara!

Sie reicht ihm mit lieblichem Anstand den Trank.
»Dein Name?« – »»Herr, Bozena.«« – »Bozena Dank!« 102
Du wärest wohl würdig zu höherem Stand,
Zu tauschen mit besser'm das Bauerngewand,
So schön und so hehr,
Trägst du nicht Begehr?«
    Halali, trara!

»Ich kenn' nicht Begehren nach Würde und Stand,
Den einstens ich liebe, dem reich ich die Hand,
und wär es ein Bettler, mir gälte das gleich,
Ich machte durch Liebe und Treue ihn reich.
Durch Liebe und Treu,
Daß nie er's bereu!«
    Halali, trara!

»Und wenn mir's gefiele, dich selber zu frei'n,
Was würdest du sagen; sollt's mich nicht gereu'n?«
»Euch Ritter, so herrlich – zu Euch meiner Seel!
Sagt ich ohne zieren: Euch nehm ich zur Stell,
Wenn Ihr's am Altar
Gelobet als wahr.«
    Halali, trara!

»Das will ich, hold Mägdlein, mit redlichem Sinn,
So wahr ich der Herzog vom Böhmerland bin!
Ruf Vater und Mutter, und folge mir gleich,
Ich teile die Krone mit dir und mein Reich.
Schwing dich auf mein Roß,
Komm mit in mein Schloß!«
    Halali, trara!

Ein Hirschlein zu jagen zog Udalric aus,
Und bringet ein herrliches Mägdlein nach Haus.
Er fraget nicht lange nach höfischem Sinn
Und schmücket als böhmische Herzogin
Mit Krone von Gold
Sein Mägdlein so hold.
    Halali, trara!

Lautlose Stille hatte während Libussas prächtigem Gesang geherrscht, jetzt, da sie vollendet, lohnte ihr 103 allgemeiner Beifall. Auf Wunsch des Königs sang sie dann noch einige böhmische Volkslieder heiteren Charakters und ergötzte damit die ganze Gesellschaft. Selbst Pater Lamormain und der finstere Fürst Lichtenstein versagten ihren Beifall nicht.

Nun rief die Königin das Mädchen zu sich und einen Ring vom Finger ziehend, sprach sie:

»Nimm dies zum Dank für deinen schönen Sang.« Doch als sie Libussa den Ring anstecken wollte, bemerkte sie denjenigen, welchen das Mädchen von »Josef Marcon« erhalten und sie rief erstaunt aus: »Was sehe ich? Du bist ja im Besitze eines viel wertvolleren, als ich dir ihn gebe. Wohl von einem Freunde?« Sie sah das Mädchen durchdringend an.

»Ja, Majestät,« hauchte Libussa, »von einem Freunde, den ich Eurer Majestät zu empfehlen wage.«

»Er wird dich heiraten?«

»Er hat es mir versprochen.«

»Wie heißt er? Wo ist er?«

»Er heißt Josef Marcon. Wo er weilt, ich weiß es nicht –«. Ihre Augen füllten sich mit Thränen.

Die Königin merkte das und drang nicht weiter in sie.

»Nun, hast du ihn gefunden, so wende dich an mich,« sprach sie in gütigem Tone. »Ich werde mich eurer annehmen.« Damit steckte sie den Ring an Libussas Finger. Diese küßte der Königin tief gerührt die Hand.

Aber auch der König, der jetzt die Tafel aufhob, trat herzu und sagte:

»Führt dich dein Weg nach meinem Hof, so melde dich bei mir. Ich will dich dann wieder singen hören. Hab Dank und geh mit Gott.«

104 Er reichte ihr gnädig die Hand zum Kusse. Sie sah ihn mit thränenfeuchten Augen dankbar an und verließ das Gemach. Wie träumend von dem ihr widerfahrenen Glück trat sie mit den Ihrigen ins Freie. Von außen her vernahm man den Jubel des Volkes, der bis zu den Ohren des Königs drang und ihn veranlaßte, unter dasselbe zu treten und einige Zeit in dessen Mitte zu verweilen.

Sobald Ferdinand unter Eisners Führung auf dem Platze erschien, brach der Jubel von neuem los. Alles drängte sich herzu, man küßte ihm die Kleider, viele warfen sich auf die Kniee und man hatte Mühe, die Leute so weit zurückzuhalten, um für die Majestäten und ihr Gefolge den Weg frei zu machen.

Vor einem »Pimperltheater«, aus einem von bemalter Leinwand umrahmten Viereck bestehend, wirbelte ein Trommler, als Bajazzo gekleidet und dazwischen lud er mit heiserer Stimme zum Besuche ein. Die Pimperln oder Marionetten waren der Reihe nach an der Frontseite, die zugleich als Vorhang diente und auf welchem der doppeltgeschwänzte böhmische Leu gemalt war, aufgestellt.

»Heran, heran, ihr Leute!« schrie der Ausrufer. »Soeben beginnt das große Drama in fünf Akten »Faust und Mefistafel« auf deutsch.«

Der König kam soeben herzu und es interessierten ihn diese Figuren. Der Ausrufer erklärte sofort die Bedeutung der Akteurs, als da waren: Der König und die Königin von »Portugalo«, Doktor Jan Faust und sein »Lakai« Wagner, böhmisch »Kolar« genannt, Mefistafel und einige andere Teufel, Kasperle, die schöne Helene, zwei Rüppel und einige Erscheinungen.

Der König, erheitert durch diese Erklärung, geruhte, 105 der Vorstellung beizuwohnen. Rasch wurden nun für die Majestäten und deren Gefolge Sitze herbeigeholt und die Figuren hinter den Vorhang geschafft. Auf einem »Flaschinettl« (Leierkasten) wurde ein böhmisches Lied als Einleitung gespielt und dann begann die Vorstellung.

Der Inhalt dieses uralten Puppenspiels, das nun vor dem König aufgeführt wurde, ist in kurzem folgender:Aus Dr. Richards Andree »Tschechische Gänge« (Verlag Velhagen und Klasing, Leipzig). Aus diesem schon im 17. Jahrhundert aufgeführten Puppenspiel hat Goethe für seinen 2. Teil des »Faust«, wie ersichtlich, manches verwendet.

Beim Öffnen des Vorhanges sitzt Faust in mittelalterlicher Rittertracht vor einem großen Buche und studiert; er ist unzufrieden mit sich und der Welt und will sich dem Teufel verschreiben, aber ein guter Engel zur Rechten warnt ihn, während links ein böser Geist auftritt und die Oberhand behält. Nun erscheint der »Lakai« Wagner und meldet zwei fremde Studenten, welche, durch des Doktors Ruhm angelockt, ihn zu sehen und zu sprechen wünschen. Während Faust abgeht, um sie zu empfangen, tritt Kasperl, die lustige Figur, auf, macht seine Witze, guckt in das aufgeschlagene Zauberbuch und setzt sich auf dasselbe, um vielleicht durch diese Gebärde den Sinn der lateinischen Schrift zu enträtseln. Hierüber gerät er mit dem herbeigekommenen Wagner in Streit. So schließt der erste Akt.

Im zweiten ist Faust tief im Walde beschäftigt, einen Zauberkreis zu bilden. Dann wird der schnellste Teufel zitiert. Der erste, Pick, genügt nicht; dagegen findet Mefistafel, welcher in einer Minute von Persien nach Böhmen durch die Lüfte gesaust ist, den Beifall des Doktors. 106 Er wird auf 36 Jahre als Diener angenommen, wogegen Faust folgende fünf Punkte eingehen muß: Erstens, er darf niemand etwas borgen; zweitens darf er nie in die Kirche gehen; drittens kein Almosen reichen; viertens sich nicht verheiraten und fünftens muß er den Kontrakt mit seinem Blute unterzeichnen, das ihm Mefistafel aus der Hand saugt. Auf der dadurch entstandenen, wunden Stelle erscheinen die warnenden Worte: homo fuge! Kasperl kommt auch in den Wald und erblickt den Zauberkreis, den er für einen Vogelherd hält. Er steigt hinein, um Vögel zu fangen und auf sein »Perlicke, Perlocke« erscheinen die Teufel, die er für große Eulen hält und zum Spaß zitiert und wieder verschwinden läßt je nach dem Rufe»Perlicke« oder »Perlocke«. Schließlich flüchtet er vor den ergrimmten Teufeln, indem er den Zauberkreis auf dem Rücken mit fort nimmt.

Im 3. Akt tritt Kasperl bei Faust in Dienste, der zum König von Portugalo, dessen Land auf einer großen Insel liegt, gereist ist. Kasperl setzt ihm nach, indem er auf Mefistafel dahin reitet; dieser läßt ihn in der »Hauptstadt Portugalo« gerade vor dem König und dessen versammeltem Hofe niederfallen. Faust, als Zauberer berühmt, macht vor dem Herrscher seine »Kunsti«. Er läßt Alexander den Großen und die schöne Helena erscheinen. Beide kommen mit Pferdefüßen, ersterer in der Tracht eines alten böhmischen Herzogs, letztere als Türkin gekleidet. Auch Goliath und David erstehen aus ihren Gräbern, um sich vor dem König zu produzieren.

Im 4. Akt werden ebenfalls verschiedene Zaubereien getrieben, bis Faust, der das Ende seines Kontraktes herannahen sieht, die Reue überkommt. Mit vielem 107 Widerstreben holt ihm Mefistafel das Bild des Heilandes aus Jerusalem, vor dem Faust in langem Gebete niederkniet. Auf alle mögliche Art suchen ihn Teufel aus seiner Andacht zu schrecken, aber ein guter Engel steht ihm bei. Da holt Mefistafel die schöne Helena und diese bringt Faust wieder auf die Bahn des Lasters.

Im letzten Akte ist die Dienstzeit Mefistafels abgelaufen. Achtzehn Jahre sind vorüber und da der böse Geist auch die Nächte gedient hat, so ist Faust um die Hälfte der Zeit betrogen. Nur wenige Stunden bleiben ihm noch und schauerlich tönt die Glocke, welche anzeigt, wie die Frist allmählich verrinnt. In seiner Herzensangst verschließt sich Faust in sein Studierzimmer und mietet zwei kräftige Bursche, die zwei »Rüpel«, die für ihn wachen und deren derbe Fäuste den Mefistafel zurücktreiben sollen. Sie geraten zuerst unter sich und dann mit letzterem in einen heftigen Streit. Kasperl ist unterdessen Nachtwächter geworden und ruft die Stunden aus und als der Ton der Mitternachtsglocke verhallt ist, da ergreift Mefistafel den Doktor, denn die Wächter sind eingeschlafen, und führt ihn zur Hölle. Die Wächter aber, ergrimmt darüber, daß sie um ihre Bezahlung geprellt sind, lassen ihren Zorn an einem Schacherer aus, den sie tüchtig durchprügeln. – –

Während der Hof sich an dem Puppenspiel ergötzte, spielte der alte Antonin mit seiner Familie dem jungen Volke in einiger Entfernung zum Tanze auf. Wer nicht von dem Glanze der königlichen Gäste angezogen, in deren Nähe weilte, vergnügte sich dort auf dem Rasen mit Tanz und Lustbarkeit. Die junge Welt vor allem trieb es diesem Platze zu.

Marianka und Paula, des Oberrichters Töchter, 108 begaben sich nach aufgehobener Tafel ebenfalls auf diesen Platz, um sich von den Anstrengungen des Tages ein Viertelstündchen zu erholen und den seltenen Anblick dieses Volkslebens zu genießen. Sie waren von ihrer Muhme begleitet, und alsbald hatte sich auch Wenzel, des Girgalhofbauern Sohn zu ihnen gesellt.

Die Muhme war bald in ein lebhaftes Gespräch mit einigen Freibäuerinnen aus der Nachbarschaft verwickelt und Wenzel, dies benützend, forderte Paula zum Tanze auf. Sie sah fragend nach der älteren Schwester.

Marianka zögerte mit der Antwort. Sie fand es für die junge Schwester nicht eben schicklich, hier auf öffentlichem Platze zu tanzen; doch konnte sie den flehenden Blicken der beiden nicht widerstehen und gab mit einem Nicken des Kopfes ihre Einwilligung.

Kaum war das junge Paar flüchtigen Fußes davon geeilt, als ein Bauernbursche, den Hut tief ins Gesicht gedrückt, Marianka leise ansprach. Ein Ausruf freudiger Überraschung entschlüpfte ihr, als sie den Sprecher näher betrachtete.

»Ihr, Junker Wolf?« rief sie aus.

Dieser machte ihr rasch ein Zeichen, ihn nicht zu verraten.

»Ihr habt mir heute eine große Freude gemacht,« sprach sie leiser, ihm die Hand reichend, »und ich danke Euch dafür von ganzem Herzen. Doch warum diese Verkleidung?«

»Um unerkannt zu sein. Meines Bleibens ist hier nicht lange. Dich zu sehen, kam ich her, Marianka.«

»Mich?« fragte sie tief errötend. »Was wäre ich –«

109 »Sind wir uns nicht von jeher herzlich gut gewesen?« unterbrach er sie.

»Das wohl, Herr –«

»Was soll das ›Herr‹?« rief der Junker verweisend. Dann aber bat er in sanftem Tone: »Sage ›du‹ zu mir, wie ehedem in den glücklichen Tagen unserer Kindheit, dann wird es auch mir leichter, dir zu sagen, daß ich dir auch jetzt noch herzlich gut bin und dir's bleiben werde mein Leben lang.«

Ein seelenvoller Blick Mariankas lohnte ihn für diese Worte, und dadurch ermutigt, fuhr er mit Wärme fort:

»Marianka, ich liebe dich, ich habe dir mein Herz geweiht und wünsche nichts sehnlicher, als auch das deine zu besitzen.«

»Es hat Euch – dir schon gehört, eh du's begehrtest,« flüsterte das Mädchen.

»Marianka, Geliebte!« Wie gerne hätte er sie jubelnd an sein Herz gezogen, doch hier war nicht der Ort dazu und so begnügte er sich, ihr warm die Hand zu drücken. »Marianka, so gehörst du mir?«

»Fürs ganze Leben!« hauchte sie. »Aber –«

»Kein ›Aber‹ jetzt!« bat der Beglückte. »Davon ein anderes Mal. Ich weiß, was du mir sagen willst. Doch laß uns auf die Zukunft bauen; unsere Liebe wird jedes Hindernis besiegen. Vertraue mir, vertraue meiner Liebe!«

Ihr Auge sprach, daß sie ihm Glauben schenke.

Jetzt war die Vorstellung zu Ende und der Hof setzte seinen Rundgang fort. Aus der Ferne schimmerte Frau Judithas edelsteingeschmückte Gestalt herüber.

»Ich darf nun nicht länger mehr bei dir weilen,« sprach Wolf hastig. »Leb wohl, mein Herz, bald sehen 110 wir uns wieder!« Noch ein warmer Händedruck, dann hatte er sich in der Menge verloren.

Marianka stand wie träumend. Sie hätte aufjauchzen mögen vor Glück. Da erblickte sie plötzlich Frau Juditha dicht neben sich. Sie wollte mit einem Knix zur Seite weichen, doch die Dame hielt sie fest.

»Du strahlst ja förmlich vor Vergnügen, Mädchen,« sprach sie, sich zu einem gütigen Tone zwingend. »Wer war denn der junge Mann, der soeben von dir ging?«

»Der Sohn eines Freibauern,« antwortete Marianka, über und über errötend.

»In der That?« fragte Juditha, sie scharf ins Auge fassend, und mit schneidender Stimme versetzte sie: »Und wenn ich nun wüßte, daß das eine Unwahrheit ist?«

Marianka empörte dieser Ton und ihre stolze Fassung wiedergewinnend, gab sie gelassen zur Antwort:

»Dann wären Euer Gnaden besser unterrichtet, als ich.«

Juditha war von diesem sichern Tone betroffen. Sollten ihre eifersüchtigen Augen sie wirklich getäuscht haben? Marianka hatte sich mit einer Verbeugung verabschiedet und sie hinderte dieselbe nicht, sich zu entfernen. Und dennoch – der Blumenstrauß – er kam von der Burg Welhartitz – der junge Freibauer – war es nicht ganz die Gestalt Wolfs von Perglas – wenn er wirklich die Tochter eines Nichtadeligen ihr vorzöge? Diese Freibauern, sie traten ihr überall in den Weg, sie trotzten ihrer Macht. Doch zu Hörigen wollte sie dieselben machen, ihren Stolz brechen, die Übermütigen demütigen, sich an ihnen rächen nach Möglichkeit.

Unter solch löblichen Gedanken schritt sie weiter durch das Gedränge, und obwohl zwei ihrer Diener bemüht 111 waren, ihr Platz zu machen, erhielt sie doch manchen Stoß, der von Ehrerbietung wenig Zeugnis gab. Sie hätte längst den Platz verlassen, doch strengte sie ihre Augen an, denjenigen zu suchen, den sie für den jungen Perglas hielt, und um Gewißheit zu erlangen, ließ sie sich manchen Tritt und manchen Stoß gefallen.

Wolf hatte sich in das dichteste Gewühl gemengt und wurde so ohne seinen Willen zum Tanzplatze hingedrängt. Hier fand er zu seinem Erstaunen Libussa wieder, die verschollene Geliebte seines Freundes. Sofort drückte er sich an sie heran und als eine Tanzpause es gestattete, legte er ihr die Hand auf die Schulter und flüsterte ihr zu:

»Josef Marcon sucht dich. Auf Burg Hrádeck, vier Stunden von hier, wirst du ihn finden.«

Libussa stieß einen Freudenruf aus. Rasch wandte sie sich um, aber derjenige, welcher ihr diese beglückende Nachricht gebracht, war schon durch die Menschenmenge von ihr gedrängt. Dazu begann ein neuer Tanz, und Libussa mußte der Pflicht gehorchen. Aber aus ihren Augen strahlte nun das reinste Glück und die Freude verklärte ihr ganzes Wesen.

Das schien auch der König zu bemerken, der jetzt zum Tanzplatze herangekommen war. Er ging deshalb gerade auf Libussa zu, indem er sie nach beendetem Tanze ansprach:

»Auf deinem Antlitze strahlt ja jetzt das reinste Glück. Erhalte es dir und vergiß nicht, einmal nach Graz zu kommen. Ich werde mich gern deiner erinnern, Libussa.«

Wieder reichte er ihr die Hand zum Kusse dar.

Kaum aber hatte sich der König entfernt, da stand Pater Lamormain neben ihr.

112 »Versuche niemals, den König aufzusuchen,« raunte er ihr in strengem Tone zu. »Ich würde dich als Hexe anzeigen und das wäre dein Tod. Schweige gegen jedermann!«

Langsam und mit drohendem Blicke entfernte er sich.

Libussa konnte sich die Warnung, wie die Drohung des unheimlichen Mannes nicht gleich enträtseln, plötzlich aber fiel ihr ein, was der strenge Pater gemeint haben könnte. Sie errötete in ihrer jungfräulichen Unschuld bis unter die Haarwurzeln, und war erzürnt über den niedrigen Verdacht des Geistlichen. Dann aber gedachte sie der Worte Wolfs, daß Josef Marcon ihrer harre, und nun konnte sie wieder lachen und heiter sein.

Inzwischen hatte der König auch Frau Juditha von Kolowrat mit einer Ansprache ausgezeichnet.

»Ich fühle mich sehr glücklich im Kreise meiner Freibauern,« sagte er zu ihr. »Ihr dürft stolz darauf sein, daß sie Eurer Schutzherrschaft anvertraut sind. Haltet sie mir nur gut!«

»Ganz gewiß, Majestät,« antwortete Juditha. »Ich beabsichtige sogar, mir diese Schutzherrschaft von Seiner Majestät dem Kaiser ganz und für immer zu erwerben, und werde zu diesem Zwecke nächste Woche nach Wien reisen.«

»Was werden die Freibauern dazu sagen?« fragte der König.

»O, sie befinden sich ganz wohl unter meines Hauses Herrschaft, Majestät.«

»Ich wünsche, daß es so sei,« versetzte der König, der Gräfin freundlich zunickend. Dann schritt er dem Eisnerhofe wieder zu.

113 Vor dem Thore wartete Herr Eisner des hohen Gastes. Der König trat schnell an ihn heran.

»Sagt mir offen, fühlen sich die Freibauern unter ihrer Schutzherrschaft so glücklich, wie mir's die Gräfin vorhin versichert hat?« fragte er den Oberrichter.

»Majestät,« entgegnete dieser, »gerade das Gegenteil ist zutreffend. Die Schutzherrschaft sucht uns unsere altverbrieften Rechte auf alle Weise zu schmälern und wir kommen aus den Streitigkeiten gar nicht mehr heraus. Deshalb wollen wir eine Lösung des Pfandverbandes erwirken und sind zu jedem Opfer bereit.«

»Dann dürft ihr euch aber wirklich beeilen,« sagte der König, »sonst möchte es zu spät sein. Meiner Zustimmung dürft ihr sicher sein, ich werde euch das schriftlich geben.«

Der Oberrichter verstand den Wink und er beschloß, die Angelegenheit möglichst zu beschleunigen.

In diesem Augenblicke wurde ein mehr als tausendstimmiger Gesang hörbar. Fragend sah der König den Oberrichter an.

»Majestät, es ist ein Lied zu Ehren unseres Landespatrons, des hl. Wenzeslaus, das Böhmen und Deutsche vereint singen, ehe sie sich in ihre Quartiere zurückziehen,« erklärte Eisner.

Der König entblößte das Haupt und alle übrigen thaten dasselbe.

Es war ein herrlicher Gesang, der weithin in den lauen Sommerabend hinaustönte, während rings umher Berg und Wald in violetter Farbenpracht prangte und der Himmel im feurigen Abendrot erstrahlte.

»Svaty Václave, vévodo ceské zemê« tönte es von 114 den hellen Stimmen der Böhmen, während die Deutschen sangen:

»Heiliger Wenzeslaus,
Herzog des Böhmerlands,
Du unser Fürst,
Bitt für uns bei Gott
Dem heiligen Geist.

Wie schön ist des Himmels Reich!
Selig, wer dort gelangt
Zum ewigen Heil,
In die helle Glut
Des heil'gen Geistes.

Deinen Schutz erbitten wir,
Erbarm dich über uns.
Tröste die Traurigen,
Wehr alles Übel ab,
Heiliger Wenzeslaus!«

Der König hatte mit frommem Gemüte diesem Sange zugehört, dann begaben sich die höchsten Herrschaften in ihre Gemächer. Bald herrschte tiefste Ruhe ringsumher, denn der Oberrichter hatte dafür gesorgt, daß das Geräusch der Tausende, die heute in dieser Gegend nächtigten, nicht bis zu den Majestäten drang. Ihre Ruhe wurde nicht gestört.

Er selbst aber hatte sich bewaffnet und wachte die Nacht über am Ausgange zur Treppe. Der König hatte sich ihm anvertraut. Eisner aber verließ sich nur auf sich selbst. Alsbald schwebte der Engel des Friedens über dem Freibauernhofe. 115


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